Das Geheimnis unserer Herzen - Robyn DeHart - E-Book
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Das Geheimnis unserer Herzen E-Book

Robyn DeHart

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Beschreibung

Eine alte Legende, zwei mutige Abenteurer und eine leidenschaftliche Liebe!

Schottland, 1888: Vanessa Pembroke reist in die schottischen Highlands, um dort nach fossilen Knochen zu suchen. Ihr größter Wunsch ist es, endlich als Wissenschaftlerin anerkannt zu werden, doch als Frau muss sie dafür etwas wirklich Spektakuläres vollbringen - wie die Existenz des Monsters von Loch Ness zu beweisen. Vanessa will nichts anderes als Ruhe und Zeit, in der sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren kann. Stattdessen trifft sie auf Graeme Langford, den verführerischen Herzog von Rothmore. Und er verwickelt sie in das Abenteuer ihres Lebens ...

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Zauberhafte Versuchung
Das Rätsel deiner Leidenschaft

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Seitenzahl: 468

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Danksagungen

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

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Zauberhafte Versuchung

Das Rätsel deiner Leidenschaft

Über dieses Buch

Eine alte Legende, zwei mutige Abenteurer und eine leidenschaftliche Liebe!

Schottland, 1888: Vanessa Pembroke reist in die schottischen Highlands, um dort nach fossilen Knochen zu suchen. Ihr größter Wunsch ist es, endlich als Wissenschaftlerin anerkannt zu werden, doch als Frau muss sie dafür etwas wirklich Spektakuläres vollbringen – wie die Existenz des Monsters von Loch Ness zu beweisen. Vanessa will nichts anderes als Ruhe und Zeit, in der sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren kann. Stattdessen trifft sie auf Graeme Langford, den verführerischen Herzog von Rothmore. Und er verwickelt sie in das Abenteuer ihres Lebens …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Robyn DeHart wusste schon immer, dass sie Schriftstellerin werden wollte. Sie wuchs als jüngstes von drei Kindern wohlbehütet in Texas auf. Nach ihrer Schulzeit studierte sie Soziologie an der Texas State University. Anschließend hatte sie diverse Jobs, bis sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei sehr verwöhnten Katzen am Fuße der Smoky Mountains in den USA.

Robyn DeHart

DASGEHEIMNISUNSERERHERZEN

Aus dem amerikanischen Englisch vonUlrike Moreno

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2011 by Robyn DeHart

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Treasure Me«

Originalverlag: Forever, an imprint of Grand Central Publishing

This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2013/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Susanne Kregeloh, Drestedt

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © Cindy_Giovagnoli/iStock/Getty Images Plus; sanyal/iStock/Getty Images Plus; Jule_Berlin/iStock/Getty Images Plus; The Killion Group

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2379-4

be-heartbeat.de

lesejury.de

Für Phil und Roscoe,das

Mein großer Dank gilt meiner Schwester Rhonda, die vor so vielen Jahren Vanessa ihren Namen gab. Obwohl du keine Leserin bist, empfiehlst du doch all deinen Freunden meine Bücher. Deine Unterstützung bedeutet mir alles.

Danksagungen

Es wird oft gesagt, dass kein Autor seine Bücher ohne die Unterstützung anderer schreibt, und dem kann ich nur aus vollem Herzen zustimmen. Deshalb geht mein aufrichtiger Dank an Emily, Hattie und Joey, meine Brainstorming-Gruppe, denn die Idee zu diesem Buch ist während unserer Treffen und Mittagessen bei Chili’s entstanden. Ich hätte es ohne euch nicht schreiben können. Meiner brillanten Agentin Christina danke ich für ihr Verständnis und ihre beständige Ermutigung – und dafür, dass sie nicht einmal mit der Wimper zuckt, was meine Neurosen anbelangt. Ganz herzlich bedanke ich mich auch bei den Mitarbeitern der Grafikabteilung von Grand Central, die mich auch weiterhin mit phänomenalen Bucheinbänden erfreuen; ich weiß euer Talent zu schätzen! Und auch ein großes Dankeschön an meine Redakteure Amy und Alex. Ihr spornt mich mit jedem Buch an, eine noch bessere Autorin zu werden, und ich bin euch unendlich dankbar für euer Feedback und eure Begleitung. Ich bin stolz auf diese Legend Hunter-Bücher.

Prolog

Loch Ness, Schottland1881

Donner krachte, und dicke, schwere Regentropfen prasselten auf Graeme Langford nieder, während er die Ruder in die kalten, schmutzig-trüben Gewässer des Loch Ness eintauchte. Die Muskeln an seinen Armen brannten schon vom Rudern, und trotz der Kälte bildete sich Schweiß auf seinem Rücken. Der Sturm wühlte den See auf und erschwerte die Fahrt, trotzdem ruderte er weiter.

Durch den Regenschleier konnte Graeme in der Ferne den Felsenstrand und die Berge sehen, die sich hinter dem Ufer des Lochs erhoben. Irgendwo in diesen Bergen würde er die Abtei finden. Ein exzentrischer, sehr reicher Amerikaner hatte das verfallende Anwesen kürzlich erworben, um seine frühere Pracht und Schönheit wiederherzustellen. Da die Renovierung schon nächste Woche beginnen sollte, musste Graeme sich beeilen und finden, was er suchte, bevor er keine Gelegenheit mehr dazu bekam.

Das kleine Boot tanzte auf den hohen Wellen, und Graeme kämpfte mit aller Kraft gegen die Strömung an. Er kam nur langsam voran, war durchnässt bis auf die Knochen, und die Blasen, die sich an seinen Händen gebildet hatten, schmerzten. Aber schließlich erreichte er das Ufer, sprang aus dem Boot und zog es, seine schmerzenden Muskeln verfluchend, auf den Strand. Das Leben in London verweichlichte ihn offenbar.

Das Tageslicht verschwand fast ganz hinter den Sturmwolken, was Graemes Sicht stark beeinträchtigte. Aber er hatte genug Berge in ganz Schottland bestiegen, um zu wissen, dass er auch diese trotz des schwachen Lichtes überqueren konnte. Und so hängte er sich seine Tasche um und begann den Aufstieg in die Hügel. Die Highlands waren genau genommen keine Berge; echte Berge hatte er in Spanien gesehen. Aber da auch diese felsigen Anhöhen hier in Schottland ihre Tücken hatten, achtete er auf jeden seiner Schritte. Der Regen und das Donnergrollen ließen nach, als sich der Sturm verzog.

Frische Herbstluft füllte Graemes Lungen, als er den Hügel hinaufstieg. So rau und wild, wie manche Teile Schottlands es noch immer waren, liebte er dieses Land, seine Geschichte und die unwegsame Landschaft, seine Menschen und ihre Legenden. Halb gehörte er ohnehin hierher, da seine Mutter Schottin war, aber es war das englische Blut seines Vaters, das sein Leben bestimmte. Vor vier Jahren, nach dem Tod seines Vaters, hatte Graeme seinen Platz als Herzog von Rothmore eingenommen. Seither kam er seinen Verpflichtungen als Angehöriger des englischen Adels nach, auch wenn er immer wieder wünschte, er könnte mehr Zeit in seinem geliebten Schottland verbringen.

Der Einfluss seines schottischen Erbes war es, was ihn zu dieser Suche trieb, sein brennendes Verlangen, etwas zu finden und zurückzuerstatten, was von Rechts wegen Schottland gehörte: den Stein der Vorsehung, ein biblisches Relikt, das über geheimnisvolle Kräfte verfügte. Dieser Stein hatte sich jahrhundertelang im Besitz der schottischen Monarchie befunden, bevor er von den Engländern gestohlen worden war. Oder zumindest hatten alle das gedacht. Auch Graeme war erst kürzlich zu der Überzeugung gelangt, dass der von den Engländern geraubte Stein eine Fälschung war. Und nun wollte er derjenige sein, der den echten Stein ausfindig machte.

Seinen jüngsten Nachforschungen zufolge gab es irgendwo in der verlassenen Abtei ein Buch, das ihm helfen könnte, seine Suche zu vollenden.

Als hätte sein Unterbewusstsein das Bild heraufbeschworen, lag der mächtige Steinbau, der sich eng an den Hang des nächsten Hügels lehnte, plötzlich vor ihm. Bögen wölbten sich über verfallendem Gestein wie die Rippen eines riesigen, von Geiern saubergepickten Tierskeletts. Nur das Gebäude am Haupteingang war noch intakt. Graeme betrat es durch eine Öffnung in der Mauer, die den Mönchen einst Schutz geboten hatte, und musste feststellen, dass er nicht allein war. Die Arbeiter, die die Abtei wieder aufbauen sollten, waren bereits angekommen. Oder zumindest ihre Gerätschaften, die über die Anhöhe verstreut lagen. Die Männer waren früher als erwartet eingetroffen, was möglicherweise bedeutete, dass Graeme zu spät gekommen war.

Da es schon dunkel wurde und es daher unwahrscheinlich war, dass die Männer noch arbeiteten, schlich sich Graeme näher an den Bau heran. Aufmerksam lauschte er, ob Stimmen zu hören waren, aber alles war still. Schließlich erreichte er das Eingangsportal der Abtei und zog an der hohen, bogenförmigen Holztür, die sich knarrend öffnete. Dunkelheit umgab ihn, als er hindurchtrat.

Aus seiner Tasche zog er eine einfache Wachskerze und zündete sie an, dann faltete er eine Karte auseinander und warf einen Blick darauf. Die Kerze flackerte, als er die Zeichnung – eine Abbildung ebendieses Bauwerks oder vielmehr dessen, was darunter lag – studierte.

Graeme stand in der einstigen Kapelle. Diebe hatten ebenso wie der Lauf der Zeit dafür gesorgt, dass das kostbare Buntglas der Fenster des einstmals wundervollen Raums verschwunden war. Werkzeug und Baumaterialien lagen an der Wand aufgestapelt, und als er zum nächsten Raum weiterging, fand er dort zwischen zwei Säulen schon aufgebaute Baugerüste vor.

An den hohen Säulen vorbei und durch einen bogenförmigen Durchgang drang er noch tiefer in das verfallene Bauwerk ein. Der größte Teil des Steinbodens war noch in relativ gutem Zustand, auch wenn hier und da ein paar Steine fehlten. Als Graeme von dem Verkauf des alten Gebäudes erfahren hatte, war er nicht sicher gewesen, ob der Käufer es zu Wohnzwecken erworben hatte oder ob noch jemand anderer die darunter verborgenen Schätze suchte. Doch die Bauvorbereitungen, die er sah, schienen eher darauf hinzuweisen, dass der neue Besitzer die Absicht hatte, hier zu leben.

Es war fast hundert Jahre her, vielleicht sogar noch länger, seit Mönche in dieser Abtei gelebt hatten. Der Legende nach waren diese frommen Männer einst die Wächter vieler uralter Kirchenschätze gewesen – verloren geglaubter kirchenrechtlicher Schriften, des Speers, der Christus in die Seite gestoßen worden war, und des Gegenstands, den Graeme suchte: Der drei Weisen Buch der Weisheit, eine uralte Schrift, von der es hieß, sie enthalte die genaue Beschreibung des Steins der Vorsehung.

Heißes Wachs tropfte auf Graemes Hand und versengte ihm die Haut, bevor es erstarrte. Der Gang verschmälerte sich und endete an einer Treppe. Als Graeme die Wendeltreppe hinunterstieg, gelangte er zu einem weiteren Gang, von dem mehrere kleinere, mit Bögen versehene Durchgänge abzweigten. Die geheime Kammer lag jedoch um noch eine Ebene tiefer unter der Abtei, verborgen im Schoß des Hügels, in den sie hineingebaut worden war.

Durch die einstigen Schlafquartiere der Mönche, von denen eine Zelle zur anderen führte, folgte Graeme den verwinkelten, gewundenen Gängen, die schließlich in einer Sackgasse endeten. Er wusste, dass er unter diese Etage der Abtei gelangen musste, aber er war auf keine weitere Treppe mehr gestoßen. Verdammt. Irgendwo auf dem Weg musste er eine falsche Abzweigung genommen haben.

Wieder nahm er die Illustration heraus und studierte sie sehr genau. Sein Ziel war ein großer Raum voller Bücher und Schätze, dessen Eingang früher von Mönchen bewacht worden war. Er hatte dieses verdammte Bild im Tagebuch eines toten Dorfpriesters gefunden, der eine Schwäche für alte Überlieferungen gehabt hatte.

Ein kurzer Windstoß traf ihn und brachte den Kerzenstummel zum Erlöschen. Dunkelheit umgab Graeme. Er griff in seine Tasche, um eine neue Kerze herauszuholen, riss ein Streichholz an der Mauer an und hielt es an den Docht. Licht flackerte auf, und die neue Kerze erhellte den Raum vor ihm. Aber dann erstarb die Flamme wieder, als wäre sie von jemand ausgeblasen worden. Von irgendwoher musste ein Luftzug kommen.

Graeme ließ seine Hände über den kalten Stein der Wand gleiten, fand aber nichts, das sein Interesse weckte. Vielleicht würde sich diese ganze Suche als vergeblich erweisen. Als er seinen nächsten Schritt machte, stieß er gegen etwas, das aus der Wand hervorstand. Graeme kniete sich auf den Boden und betastete den Vorsprung, der sich als eine Art Hebel herausstellte. Als er die Hand darauf legte und ihn flach gegen den Stein drückte, verlagerte sich unter ihm etwas. Der Boden öffnete sich, und Graeme bewegte sich abwärts. Mit einem Aufzug! Offenbar hatten die Mönche schon über eine ziemlich fortgeschrittene Technologie verfügt. Graeme hoffte nur, dass dieses alte Ding beim Hinauffahren genauso reibungslos funktionierte.

Der steinerne Schacht war so eng, dass er sich die Schultern daran aufschrammte, als er weiter hinunterfuhr, aber in der Dunkelheit konnte er nach wie vor nichts sehen. Ketten quietschten und ächzten unter ihm, und dann kam die Plattform ruckartig zum Halten.

Graeme wartete, bis alle Geräusche verstummt waren, erst dann verließ er den Aufzug. Er zündete seine Kerze wieder an und entdeckte einen Wandhalter mit einer Fackel rechts von ihm. Angezündet, erhellte sie einen schon wesentlich größeren Bereich um ihn herum. Er stand auf einem Boden aus festgestampfter Erde, und unmittelbar vor ihm tat sich ein tiefer Graben auf; eine unterirdische Kluft, soweit er es abschätzen konnte.

Es war zu dunkel, um erkennen zu können, was sich jenseits dieser Kluft befand, doch falls die Illustration korrekt war, würde er auf der anderen Seite eine Kammer finden. Vorsichtig trat Graeme an den Rand des Abgrunds und starrte in die Finsternis hinab. Wie sollte er dort hinüberkommen? Auf der Suche nach einer Brücke oder einer anderen Möglichkeit der Überquerung wandte er sich nach links. Als er mit der Stiefelspitze gegen irgendetwas stieß, schob er den Schmutz beiseite und entdeckte ein fest gespanntes Tau vor seinen Füßen, das sich bis zur anderen Seite der Kluft erstreckte. Ein weiteres Tau, an einem Metallring in der Mauer befestigt, befand sich direkt über seinem Kopf. Es gab nach, als er daran zog, und ließ sich bis auf Brusthöhe herunterziehen. Das Ganze war eine »Brücke« aus zwei Tauen – eines, um sich festzuhalten, und ein zweites, um zur anderen Seite hinüberzubalancieren. Diese Mönche waren wirklich ausgesprochen einfallsreich gewesen.

Graeme stieß enttäuscht den Atem aus, denn dies war keineswegs die Art von Brücke, die er sich erhofft hatte. Er hasste Höhen. Nichts als ein altes Tau zwischen sich und dem dunklen Abgrund unter sich zu haben, war nicht sehr vertraueneinflößend. Aber die Zeit lief ihm davon. Der amerikanische Käufer der Abtei würde irgendwann auch diesen Bereich entdecken. Wenn Graeme also nicht heute noch das Buch fand, wäre es wahrscheinlich für immer für ihn verloren.

Da es unmöglich war, die Seilbrücke mit einer Kerze in der Hand zu überqueren, drückte er den Docht zwischen den Fingern aus und steckte die Kerze in seine Tasche. Die Fackel erhellte den hinter ihm liegenden Bereich, doch sobald er sich auf dem Seil befand, würde er von völliger Dunkelheit umgeben sein. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass seine Tasche gut befestigt war, setzte er einen Fuß auf das Tau. Es gab unter seinem Gewicht nach, war aber offensichtlich auf der anderen Seite fest verankert.

Das Balancierseil in den Händen, stellte er nun auch seinen anderen Fuß auf das Tau. Langsam begann er sich voranzubewegen, indem er seinen linken Fuß ein wenig zur Seite schob und dann den rechten folgen ließ. Das Tau schwankte und schaukelte ihn hin und her, während er den Abgrund überquerte. Was zum Teufel hatten diese Mönche sich dabei gedacht? Offensichtlich hatten sie einige wertvolle Stücke zu bewachen gehabt, wenn sie so weit gegangen waren, um sie zu beschützen.

Seine Augen versuchten sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, da aber nirgends Licht war, konnte er immer noch nichts sehen. Trotzdem ging er weiter – bis sein Fuß gegen das Gestein auf der anderen Seite stieß und er es geschafft hatte.

Erleichtert trat Graeme auf den Felsvorsprung, zündete seine Kerze an und entdeckte eine Reihe von Fackeln an der Wand, mit denen sich der Gang erhellen ließ. Beim Hindurchgehen musste er sich ducken, da seine Größe sich als echtes Hindernis in diesem niedrigen, schmalen Gang erwies. Auf seinem Weg zündete er noch weitere Wandfackeln an.

Schließlich öffnete sich vor ihm ein Raum, in den er vorsichtig hinuntertrat. Dieser große, nahezu kreisrunde Bereich stand voller Truhen, Kästen und steinernen Tischen, die mit einer Vielzahl von Gegenständen wie Kelchen oder Edelsteinen bedeckt waren. In die Felswand eingelassene Nischen enthielten weitere, wenn auch kleinere Truhen. Hier begann Graeme seine Suche, indem er den Deckel einer jeden Truhe anhob und ihren Inhalt durchstöberte, mit der Hand über alle Oberflächen glitt und jeden Gegenstand genauestens untersuchte. Wenn der Rest dieser unbezahlbaren Schätze noch da war, müsste auch das Buch noch irgendwo hier sein.

Eine der kleineren Truhen enthielt alle nur erdenklichen Arten von Edelsteinen, eine andere war bis zum Rand mit Goldstücken gefüllt. Sollte der amerikanische Besitzer diese Schätze finden, würde sein Reichtum sich auf einen Schlag mehr als verdoppeln. Graeme zog eine Truhe aus einer der Wandnischen, worauf ein schrilles Aufkreischen die Stille brach und ihm ein Schwarm Fledermäuse entgegenschwirrte. Graeme duckte sich schnell, doch eines der Tiere prallte gegen seine Stirn, flog aber weiter, als wäre nichts geschehen. Diese verdammten Biester.

In der Truhe fand er eine Karte, die er einsteckte für den Fall, dass sie ihm nützlich werden könnte. Nach und nach durchsuchte er eine Truhe nach der anderen, bis er endlich zu einer kam, die mit Büchern gefüllt war. Auf den Fersen kauernd, nahm er jedes Buch heraus und überprüfte nicht nur die Titel, sondern sah sich auch die Texte an. Dabei stieß er auf zwei, die einigen seiner Freunde bei Solomon’s von Nutzen sein könnten, und steckte sie ebenfalls in seine Tasche. Dann sah er es – ein kleines, in Leder gebundenes, mit Edelsteinen besetztes Buch, in dem er die uralte persische Schrift fand, die er suchte. Der drei Weisen Buch der Weisheit, war der Titel.

Graeme warf einen letzten Blick auf all die glitzernden Schätze und löschte die Fackeln, bevor er den Rückweg über die Seilbrücke antrat. Es fiel ihm schwer, all diese kostbaren Antiquitäten zurückzulassen, aber er konnte sie unmöglich allein bergen. Er würde Solomon’s benachrichtigen, damit sie eine Gruppe schickten, um all diese historischen Artefakte in Sicherheit zu bringen, aber er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte. Das Seil unter seinen Füßen vibrierte und schwankte, und irgendwo zu seiner Rechten hörte Graeme das Scharren von Metall.

Dann gab das Tau unter seinen Füßen nach, und er klammerte sich an das Halteseil, als er fiel. Ihm war, als würden ihm die Schultern ausgerissen bei dieser jähen Verlagerung seines Gewichts, aber er ließ nicht los. Vorsichtig eine Hand neben die andere legend, begann er, sich so schnell er konnte in die linke Richtung zu bewegen.

Die ganze Zeit über horchte er angestrengt und wartete auf das Geräusch von durchscheuerndem Tau, aber das Einzige, was er hörte, war sein eigenes schweres Atmen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, seine Hände waren feucht vor Schweiß, und er betete, dass er nicht den Halt verlieren möge. Quälend langsam näherte er sich dem Licht der Fackeln links von ihm.

Schließlich erreichte er die andere Seite, wo er sich auf den Boden fallen ließ und dem Himmel dankte, dass er nicht in den Tod gestürzt war – und der Auffindung des Steins der Vorsehung einen Schritt näher gekommen war.

Kapitel eins

London, 1888

Auf leisen Sohlen schlich Vanessa Pembrooke die Treppe hinunter. In zwei Tagen würde sie heiraten, und die Gedanken an die Trauung trieben sie so sehr um, dass sie nicht einmal mehr nachts zur Ruhe kam. Ihre Mutter und deren Heer von Dienstmädchen würden Stunden brauchen, um Vanessa zu frisieren, zurechtzumachen und in ungewohntem Glanz erstrahlen zu lassen. Das Schlimmste aber war das Kleid, das sie tragen würde – von Kopf bis Fuß in Rüschen und Spitze gehüllt, würde sie aussehen wie ein Zierdeckchen mit Füßen. Unnötig zu erwähnen, dass diese verflixten Gedanken ihr den Schlaf raubten. Deshalb schlich sie auf Zehenspitzen zur Bibliothek hinunter, um sich etwas zur Ablenkung zu suchen.

Im Haus herrschte Stille, die Dienstboten waren alle schon zu Bett gegangen, und auch Vanessas Familie hatte sich längst zurückgezogen. Ihr Verlobter logierte bei ihnen, aber er war mit Magenbeschwerden schon früh zu Bett gegangen. Zu dieser späten Stunde würde sie die Bibliothek also ganz für sich haben. All diese Bücher warteten nur auf sie. Das neueste wissenschaftliche Journal hatte sie schon von vorn bis hinten durchgelesen. Vielleicht würde sie sich für etwas Historisches entscheiden.

Ein leises Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit und ließ sie vor der Tür der Bibliothek innehalten. Sie drehte sich um, sah aber niemanden. Vielleicht war es die bevorstehende Hochzeit, die sie so nervös machte. Mit einer leisen Drehung des Knaufs öffnete sie die Tür zur Bibliothek.

Sie war schon drauf und daran, das Zimmer zu betreten, als sie etwas – oder jemanden – auf dem Boden vor dem erlöschenden Kaminfeuer sah. Nackte, ineinander verschlungene Glieder, die vor Schweiß glitzerten. Der Mann stöhnte, und die Frau, die auf ihm saß, als ritte sie ein Pferd, flüsterte mit rauer Stimme: »Ja … ja … ja …«

Nicht einmal in ihren wildesten Fantasien wäre Vanessa auf die Idee gekommen, dass ein Paar auf diese Weise miteinander verkehren könnte, da sie nur über die traditionelle »Mann-auf-Frau-unter-der-Bettdecke«-Stellung aufgeklärt worden war. Vanessa fragte sich, was zwei Menschen dazu bringen könnte, so etwas in einem allen zugänglichen Raum zu treiben. Es war äußerst skandalös, und sollte ihre Mutter davon Wind bekommen, würde sie diese beiden Dienstboten auf der Stelle entlassen. Aber dann lehnte sich die Frau zurück, sodass Vanessa das Gesicht des Mannes sehen konnte – und feststellte, dass er kein anderer war als Jeremy, ihr Verlobter!

Vanessa wusste, dass sie ihn mit offen stehendem Mund anstarrte, obwohl die Etikette in einem solchen Fall verlangte, dass sie sich abwandte und ihn seiner Entgleisung überließ. Jedenfalls war das genau der Rat, den ihre Mutter ihr gegeben hätte. Wende den Kopf ab und schau weg. Tu so, als bemerktest du es nicht.

Natürlich wusste sie, dass Männer zu Seitensprüngen neigten, aber was ihr am meisten zu denken gab, war das lange, blonde Haar, das der Frau über die nackten Schultern fiel. Denn dieses Haar war ihr nur zu gut bekannt, weil es ihrer jüngeren Schwester Violet gehörte.

Wut kochte in Vanessa hoch. Sie wusste nicht, wie lange sie dort stand, aber irgendwann beendeten die beiden, was sie taten. Violet löste sich von Jeremy und legte sich neben ihn. Dicht aneinandergeschmiegt, steckten sie die Köpfe zusammen und flüsterten sich offensichtlich liebevolle Worte zu. Und erst in diesem Moment betrat Vanessa die Bibliothek. Dabei räusperte sie sich, und als Jeremy sie sah, griff er nach dem nächsten Stück Stoff, um seine Nacktheit zu bedecken. Dass dieser Stoff zufällig Violets Unterhemd war, ließ ihn äußerst lächerlich erscheinen. Aber Vanessa konnte der Situation nichts Komisches abgewinnen.

»Vanessa!«, sagte er. »Ich, ähm, wir …« Immerhin besaß er den Anstand, unter ihrem Blick zu erröten.

»Ich habe gesehen, was ihr getan habt«, sagte Vanessa, bevor sie tief durchatmete und sorgfältig ihre nächsten Worte wählte. »Und du sagtest, du wärst nicht interessiert an dieser Art Beziehung. Du sagtest, du glaubtest nicht an Leidenschaft.«

Er sah Violet an und wandte sich dann wieder Vanessa zu. »Das war vorher«, murmelte er und senkte seinen Blick.

»Vor dem hier?«, fragte sie und deutete auf den Boden, auf dem sie saßen. »Vor heute Nacht?«

»Nun ja … bevor ich Violet begegnete.« Er errötete noch heftiger und drückte das Hemd an seine Brust.

Waren sie schon die ganzen sechs Wochen zusammen gewesen, seit Jeremy in London war? Vanessa hätte sich gern gesetzt, um ein paarmal tief durchzuatmen und so lange über die Lage nachzudenken, bis alles vielleicht einen Sinn ergab.

»Wir haben uns verliebt, Vanessa.« Jeremy schüttelte den Kopf, und sein Gesichtsausdruck kam Selbstmitleid jetzt bereits gefährlich nahe. »Es tut mir leid. Es kam ganz unerwartet.«

Vanessa veränderte ihre Haltung und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Verliebt. Noch etwas, woran du angeblich nicht glaubtest. Und wann wolltet ihr beide mir diese kleine Neuigkeit erzählen?« Sie trat einen Schritt vor. »An unserem Hochzeitstag?« Die Empörung, die in ihr gebrodelt hatte, schwoll zu ungebremster Wut an. »Nach der Hochzeit? Oder hattet ihr vor, die Sache einfach zu verschweigen und darauf zu hoffen, dass ich nichts bemerken würde?«, fragte sie, wohl wissend, dass ihre Stimme lauter wurde.

Die ganze Zeit saß Violet nur da und sagte nichts, ja, sie besaß nicht einmal den Anstand zu erröten. Sie vermied es nur, Vanessa anzusehen.

»Ich weiß es nicht«, war alles, was Jeremy zu erwidern wusste.

Vanessa wartete nicht auf weitere Erklärungen, sondern drehte sich um und ging. Sie wusste nicht, wer von beiden sie wütender gemacht hatte. Sie mochte Jeremy und hatte geglaubt, ihre Beziehung gründete auf gegenseitigem Interesse und Respekt. Was Violet anging, so hatten sie das gleiche Blut in ihren Adern, eine gemeinsame Kindheit und gemeinsame Erinnerungen. Zugegebenermaßen waren diese Dinge die einzigen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Schwestern, aber sie war immerhin eine Familienangehörige.

In ihrem Schlafzimmer zog Vanessa die Tür hinter sich zu, öffnete ohne Zögern ihre Truhe, die schon einen Teil ihrer Aussteuer enthielt, und begann achtlos Kleidungsstücke hineinzuwerfen. Violet war die jüngste der drei Pembrooke-Schwestern und zweifellos die attraktivste. Und auch die lebensfroheste. Sie war temperamentvoll und verwöhnt, und die Menschen, vor allem die Männer, liebten sie.

Vanessa liebte sie auch. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit waren sie Schwestern, und was Violet ihr angetan hatte, war der ultimative Verrat.

Drei Stunden später, als die Kutsche sich endlich anschickte, die London Street hinunterzurumpeln, wagte Vanessa nicht, aus dem kleinen Fenster zu blicken, aus Angst, das schmerzerfüllte Gesicht ihrer Mutter zu sehen oder, was noch schlimmer wäre, das erleichterte ihres Verlobten. Sie war jetzt ganz offiziell eine Braut, die vor ihrer Hochzeit davongelaufen war.

Bis zum Morgen würde jedoch hoffentlich niemand merken, dass sie verschwunden war. Sie nahm ihre Brille ab und reinigte die Gläser an ihrem Rock. Gott, was für einen Skandal das auslösen würde! Vanessa seufzte schwer. Sehr oft war es der Mann, der den Fehltritt beging, und trotzdem war es stets der Ruf der Frau, der ruiniert wurde.

Na ja, daran war nichts zu ändern. Vanessa setzte ihre Brille wieder auf und straffte die Schultern. Jeremy P. Morris. Wie sorgfältig hatte sie ihn als ihren zukünftigen Partner ausgewählt! Ein amerikanischer Wissenschaftler, der Geld für seine Forschung brauchte – mit ihrer Mitgift wäre er finanziell sehr gut versorgt gewesen, und zusammen hätten sie große wissenschaftliche Entdeckungen machen können.

Sie zupfte ein loses Fädchen von ihrem Oberteil und wickelte es um einen Finger. Jeremy war ihr geradezu perfekt erschienen. Besonnen, analytisch, intelligent und gänzlich uninteressiert an den Oberflächlichkeiten des Lebens, die heutzutage die meisten Menschen so in Anspruch nahmen – Liebe, Lust und Ähnliches. In diesen Dingen hatte er völlig mit ihr übereingestimmt. Vanessa hörte auf, den Faden um ihren Finger zu wickeln, und zerknüllte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie hatte Jeremy wirklich für den perfekten Ehemann für sie gehalten.

Sogar mit dem Gedanken an den Beischlaf mit ihm hatte sie sich abgefunden, weil sie weder von Leidenschaft noch Selbsttäuschungen wie Liebe geplagt werden würden, sondern geschlechtliche Beziehungen ausschließlich zu Fortpflanzungszwecken unterhalten würden. Jeremy hätte einen guten Vater abgegeben und ihren Kindern alles über die wichtigen Dinge im Leben beibringen können. Aber jetzt hatte sie ihn in den Armen ihrer Schwester erwischt. In einer leidenschaftlichen Umarmung, splitterfasernackt und unter lustvollem Gestöhne. Vanessa schüttelte den Kopf, um das Bild aus ihrem Bewusstsein zu vertreiben.

Wenn irgendjemand eine leidenschaftliche Reaktion bei Jeremy hatte herbeiführen können, war es Violet. Welche Wahl hatte das Vanessa gelassen? Natürlich hätte sie die Augen vor der Realität verschließen und trotzdem den Mann heiraten können, den sie für den Richtigen für sich gehalten hatte. Aber dann wäre ihre Schwester unglücklich gewesen. In gleichem Maße wie ihr Ehemann. Und wohin hätte das geführt?

Offenbar hatten die beiden etwas ganz Besonderes zusammen gefunden. Ob es länger anhalten würde als eine Sternschnuppe, bezweifelte Vanessa. Aber wer war sie, um zwei Menschen im Weg zu stehen, die sich vormachten, sie liebten sich? Wenigstens hatte sie die Wahrheit gerade noch rechtzeitig entdeckt.

Außerdem hatte sie ihr praktischerweise die Möglichkeit eröffnet, sich auf eine äußerst wichtige Reise zu begeben. Vanessa ballte die Fäuste, um das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, während sie sich immer wieder sagte, dass das einzig Wichtige ihre Forschung war. Sie war es, die ihr am Herzen lag. Zum Glück hatte sie im Laufe der Zeit eine bescheidene Summe angespart. Das Geld war eigentlich dazu gedacht gewesen, Haarbänder und Ähnliches zu kaufen, aber sie hatte es einfach jedes Mal versteckt, wenn ihre Mutter es verteilt hatte.

Sobald die Kutsche anhielt, würde sie einen Zug besteigen, der sie nach Schottland bringen würde. Den ganzen Weg nach Inverness, zum Loch Ness, wo in letzter Zeit einige höchst ungewöhnliche Funde aufgetaucht waren. Natürlich sahen Leute mit begrenzter Vorstellungskraft in dem Fossil nicht mehr als einen ganz normalen Knochen – und spekulierten sogar, dass es sich um irgendeine Art von Rinderknochen handeln müsse. Aber Vanessa dachte anders.

Ihrer Meinung nach hatte Mr. Angus McElroy Beweise für die legendäre Kreatur entdeckt, die angeblich in den dunklen Tiefen des Loch Ness lebte. Die Einheimischen bezeichneten sie als Wasserpferd, soviel sie wusste. Hatte William Buckland die Existenz solch riesiger Geschöpfe nicht bewiesen – und wenn auch bisher nur an Land? Warum sollte es dann so unvorstellbar sein, dass es solche Tiere auch im Wasser gab?

Die paläontologische Gemeinde hatte die Behauptungen des Schotten jedoch nur verlacht, und angeführt hatte den Angriff Vanessas Verlobter – oder vielmehr Exverlobter. Er hatte sogar eine Abhandlung veröffentlicht, in der er die Bedeutung des Fundes zu entkräften versuchte und ihn als nichts Außergewöhnliches hinstellte. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass Jeremy nicht der richtige Mann zum Heiraten war.

Er war engstirnig, und es fehlte ihm an Kreativität. Dem Himmel sei Dank, dass sie diese Eigenschaften nicht an zukünftige Nachkommen weitergeben würde! Noch schlimmer jedoch war, dass seine Ideen wissenschaftlich unvertretbar waren. Oder kurz gesagt, er irrte sich.

Und sie gedachte, ihren Aufenthalt in Schottland zu benutzen, um genau das zu beweisen.

Auf der anderen Seite Londons, in einer verdunkelten Kutsche, tat Niall Ludley, Graf von Camden, einen tiefen, unsicheren Atemzug. »Ich bin nahe dran. Ich weiß es. Ich brauche nur mehr Zeit.« Seine Stimme zitterte vor Ärger oder Furcht. Er war selbst nicht sicher, was es war.

Er war es nicht gewöhnt, so verhört zu werden. Unter normalen Umständen war er derjenige, der das Sagen hatte. Und nicht nur das, sondern auch in der Dunkelheit herumzusitzen entnervte ihn, und er hasste es, nicht sehen zu können, mit wem er sprach. Was für ein Mann ließ sich auf einen Handel mit jemandem ein, den er nicht kannte? Ein verzweifelter Mann. Ein Mann, dem keine andere Wahl mehr blieb.

»Mehr Zeit«, sagte der Mann mit völlig ausdrucksloser Stimme. Ein Streichholz wurde angerissen und die kleine Flamme an eine Zigarre gehalten. Ein tiefer Zug und ein Wölkchen Rauch folgten. Der Duft von süßem, würzigem Tabak begann den Innenraum der Kutsche zu erfüllen. »Wie viel mehr Zeit?«, fragte der Mann.

Niall schüttelte den Kopf, obwohl er wusste, dass sein Gegenüber ihn nicht sehen konnte. »Ich weiß es nicht. Zwei Wochen. Vielleicht länger.« In Wirklichkeit hatte er keinen blassen Schimmer. Immerhin hatte er fast sechs Jahre nach dem Schatz von Loch Ness gesucht und noch immer nichts gefunden. Erst kürzlich hatte er entdeckt, dass es eine weitere Höhlengruppe unter Urquhart Castle gab und die bekannteren durchsucht. Aber leider hatte er nicht zu jenen hinter den eingestürzten Felsen vordringen können, die den Zugang zu den anderen Höhlen blockierten.

»Ich kann sehr geduldig sein«, sagte der Fremde. »Ich habe mich eingehend nach diesem speziellen Schatz erkundigt, und mir wurde gesagt, Sie seien der Experte, der Mann, der am meisten darüber wisse und am nahesten herangekommen sei. Aber auch meine Geduld hat Grenzen. Was Sie tun, hätte ich selbst in der Hälfte der Zeit tun können.«

Niall war versucht zu fragen, warum er es dann nicht getan hatte. Dies war nicht das erste Mal, dass der Mann so etwas erwähnte. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er etwas Ähnliches gesagt. Niall hatte ihm an jenem Tag einige Fragen gestellt und nur wenige Antworten erhalten, und dann war der Mann verschwunden, als wäre er nie im Raum gewesen. Aber er hatte gesagt, er könne sich nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen, weil ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt sei.

Das war es also, wozu Niall herabgewürdigt worden war: Zum Handlanger eines Mannes, dessen Identität er nicht kannte, der aber zweifellos ein Krimineller war. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, sah er sich auch noch gezwungen, diesen Fremden anzubetteln.

»Ich werde den Schatz finden, das verspreche ich.«

»Natürlich werden Sie das.« Niall konnte ein Lächeln in der Stimme des Mannes hören. Kein freundliches, ermutigendes Lächeln, sondern ein kaltes, grausames. »Sie kennen die Konsequenzen, falls Sie es nicht tun.«

»Ja, die kenne ich«, sagte Niall.

»Wissen Sie, wie man mich nennt?«, fragte der Fremde und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarre.

»Sie sagten, Ihr Name sei David«, antwortete Niall.

»Richtig. Aber so nennt mich heute niemand mehr. Ich habe jetzt einen viel interessanteren Spitznamen.« Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie, sodass Niall zum ersten Mal einen Blick auf das Gesicht des Mannes werfen konnte. Leider sah er jedoch kaum mehr als Konturen, nur einen kleinen Teil der vom Schein der Straßenlaterne erhellten Züge.

Aber in diesem winzigen Moment bemerkte er die Pistole in der linken Hand des Mannes. »Meine Geschäftspartner nennen mich den Raben.«

Niall gefror das Blut in den Adern, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er hatte den Namen bei mehr als einer Gelegenheit gehört. Das war bei Solomon’s gewesen. Andere Mitglieder dieser Interessengemeinschaft von Gelehrten hatten Zusammenstöße mit einem Mann gehabt, der als Rabe und rücksichtsloser Schatzjäger mit einem Hang zu Diebstahl, Erpressung, Entführung und Mord bekannt war. Niall versuchte, tief und ruhig durchzuatmen. Panik würde seine Frau und seinen Sohn nicht retten. Für sie musste er stark sein, sein Temperament unter Kontrolle halten und tun, was immer dieser Bastard wollte, damit er seine Familie zurückbekam.

Graeme Langford schwenkte gelangweilt sein Glas Scotch, während er Fredrick Rigby zuhörte, der ihn mit der Geschichte über seinen Fund uralter Schriftrollen irgendeines obskuren byzantinischen Königs unterhielt. Graeme trank einen Schluck Whisky und verdrehte die Augen. Als er seine langen Beine vor sich ausstreckte, fühlte sich der Wollstoff seiner Hose unangenehm schwer und beengend für ihn an. Es wurde Zeit, dass er nach Schottland ging, um wieder einen Kilt zu tragen und das Hochland zu durchstreifen.

Es war nie seine Absicht gewesen, den Solomon’schen Legendenjägern beizutreten, aber als die Einladung gekommen war, hatte er sie gerne angenommen. Die meiste Zeit genoss er seine Mitgliedschaft im Club, da die Mehrzahl der Männer dort wirklich nette Kerle waren. Aber es gab auch einige wenige, die schlichtweg Spinner waren.

Nick Callum fing Graemes Blick von der anderen Seite des Tisches auf und erwiderte ihn mit unverhohlener Verzweiflung. Dann beugte er sich vor, stellte sein Glas ab und legte den Kopf auf den Tisch. Graeme musste ein Lächeln unterdrücken. Wann immer Rigby sich im Club aufhielt, konnte niemand eine ungestörte Unterhaltung führen. Der verdammte Angeber sprach so laut und an den ganzen Raum gewandt, dass jeder seine Geschichten mitbekam.

»Er wird nie die Klappe halten«, brummte Nick.

»Ziehen wir in den Salon um?«, schlug Graeme vor.

»Auf jeden Fall«, stimmte Nick zu, als er sich erhob.

Als sie den größten Raum des Clubs betraten, sah Graeme sofort Max Barrett, Fielding Grey und das neueste Mitglied Solomon’s, ein gewisser Justin Salinger, an einem Tisch zusammensitzen. Schnurstracks gingen Nick und er zu ihnen hinüber. Bevor Nick sich setzte, drehte er jedoch seinen Stuhl, um sich rittlings daraufzuhocken.

Graeme beobachtete seinen Freund. »Es ist schon zwanghaft bei dir, immer anders sein zu wollen.«

Zur Antwort schickte Nick seinen Freund zum Teufel, um ihn dann mit einem breiten Grinsen zu bedenken.

»Kinder!«, tadelte Max in gespieltem Ärger.

Trotz der vielen Leute war es in dem großen Raum erheblich ruhiger. Nur würde Rigby leider sofort herüberkommen, sobald er merkte, dass das Publikum hier größer war. Wenn sie ein ungestörtes Gespräch führen wollten, würden sie es also schnell tun müssen. »Wie läuft die Suche nach Atlantis?«, fragte Graeme Max.

Max zuckte mit den Schultern. »Ich habe neue Erkenntnisse, bin aber nicht sicher, dass sie zu irgendetwas führen werden.«

»Er wurde angeschossen«, fügte Justin hinter vorgehaltener Hand hinzu.

»Nicht zum ersten Mal«, warf Fielding ein.

Max lachte. »Ich hatte ganz vergessen, euch diese Geschichte zu erzählen.«

»Es war eine Frau, die ihn angeschossen hat«, stellte Justin grinsend fest.

Max hatte ein Händchen dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Der Umstand, dass es diesmal bei einer Frau geschehen war, überraschte Graeme nicht im Mindesten.

»Wer war es diesmal?«, wollte Fielding wissen.

»Zum Teufel mit dir, Salinger! Wenn du all meine verdammten Geheimnisse ausplauderst, erzähle ich auch die deinen«, sagte Max.

»Hallo, Liebling«, sagte Esme Grey, als sie heranrauschte und Fielding auf die Wange küsste.

Graeme war den beiden behilflich gewesen, als sie wegen der Büchse der Pandora Ärger bekommen hatten, ganz zu schweigen erst von ihren Problemen mit einem wohlbekannten Kriminellen, der zufällig auch Fieldings Onkel war. So manche waren der Meinung, dass keiner der Greys in den Club hätte aufgenommen werden dürfen, aber zu diesen Mitgliedern gehörte Graeme nicht. Fielding hatte fast ganz im Alleingang die Monarchie gerettet, und obwohl Esme das einzige weibliche Mitglied von Solomon’s war, war sie intelligent und ebenso sehr eine Autorität auf ihrem Gebiet, wie er es auf dem seinen war.

Nick zog einen Stuhl von einem Nebentisch für sie heran.

»Danke«, sagte sie, als sie sich zu ihrem Mann setzte.

»Hast du all unser Geld ausgegeben?«, fragte Fielding.

»Wer weiß«, antwortete sie mit einem honigsüßen Lächeln und begann in ihrer Einkaufstasche herumzukramen. »Ich weiß, dass ihr alle entzückt sein werdet zu erfahren, dass ich mir ein neues Paar Handschuhe gekauft habe«, erklärte sie und legte sie vor ihnen auf den Tisch. »Dazu einen neuen Hut –«, auch der landete auf dem Tisch –, »und eine fabelhafte Gesichtscreme«, schloss sie und packte auch den kleinen Tiegel aus.

»Ich wusste, wenn wir eine Frau in unserer Mitte duldeten, dass sie anfangen würde, allerlei wohlriechenden Krimskrams herzubringen«, stellte Nick in gespieltem Schrecken fest.

»Oh, dann muss ich dich enttäuschen, Nick, denn nichts von alledem hier ist für dich. Es ist alles nur für mich«, erklärte Esme nachdrücklich.

Max griff nach dem Töpfchen Gesichtscreme.

»Siehst du, Lindberg hast du schon verdorben«, sagte Nick.

Max schüttelte den Kopf. »Hast du diese Creme in dem kleinen Laden am Piccadilly Square gekauft?«

»Ja«, erwiderte sie mit einem leichten Stirnrunzeln. »Eine Freundin empfahl sie mir und meinte, sie sei gerade absolut en vogue. Angeblich entfernt sie sogar unerwünschte Falten im Gesicht.« Esme lächelte. »Vielleicht sollten wir gleich ein bisschen davon bei dir probieren«, sagte sie und strich über die Haut zwischen Fieldings Augenbrauen.

Er schob ihre Hand weg. »Diese Fältchen geben mir ein distinguiertes Aussehen. Ohne sie wäre ich genauso hübsch wie unser Nick hier.«

»Warum fragst du?«, wandte Esme sich an Max.

»Weil ich kürzlich Gelegenheit hatte, Miss Tobias kennenzulernen«, erwiderte er.

»Ist sie nicht überaus charmant und wunderschön?«, fragte Esme.

»Charmant und schön?«, fragte Justin. »Das hast du nie erwähnt, Max.«

»Dann war wohl sie die Frau, die dich angeschossen hat?«, warf Graeme ein und lachte schallend über seinen Freund.

Kapitel zwei

Vanessa durchquerte schnell den lauten Pub und setzte sich im Hintergrund an einen leeren Tisch. Schwere Holzverkleidungen bedeckten fast jede Oberfläche in dem Raum, und der Boden sah aus, als diente er als Auffangbecken für vergossenes Bier. Aber sie musste etwas essen.

Behutsam schlug sie Jeremys Notizen auf und strich glättend mit der Hand darüber. Dies war genau die Art von Lokal, gegen dessen Betreten Jeremy sich mit Händen und Füßen sträuben würde. Schon seine kostbaren Notizen auf den klebrigen Tisch zu legen, würde ihn zur Verzweiflung treiben. Deshalb tat sie es trotzdem, wohl wissend, dass er sie ohnehin nicht mehr benötigen würde. Außerdem hätte er sie nicht herumliegen lassen sollen, während er sich mit Violet vergnügte.

Überall um sie herum saßen stämmige und stark behaarte Schotten an den Tischen, die lautstark mit ihren Bierkrügen anstießen, fluchten und Händel miteinander suchten. Hätte sie nicht so viel Übung darin, Lärm zu ignorieren, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren, wäre sie vielleicht abgelenkter gewesen.

Vanessa war es jedoch gewöhnt, so zu tun, als ginge nichts um sie herum sie etwas an, eine Fähigkeit, die sich bei mehr als einer Gelegenheit als sehr nützlich erwiesen hatte, wenn sie auf einer Dinnerparty neben einem Langweiler gesessen hatte. Oder überredet worden war, bei einer Soiree mit einem arroganten, ignoranten Angeber zu tanzen. Dieses Talent hatte sie sich daheim bei ihrer Familie erworben, wo ihre Mutter und Schwestern über nichts Wichtigeres sprachen als die nächste gesellschaftliche Verpflichtung und die Frage, welche Stoffe am besten ihre Haarfarbe und ihren Teint betonten. Natürlich versuchten sie, Vanessa in ihre Gespräche einzubeziehen, aber sie fand nichts von alldem auch nur das kleinste bisschen interessant. Viel lieber wollte sie lesen oder studieren – oder besser gesagt, sie wollte Ausgrabungen machen. Bis zu ebendieser Reise hatte sie jedoch noch nie Gelegenheit dazu gehabt.

Aber jetzt war sie endlich hier in Schottland, wo die Geschichte stark vermischt mit Legenden und die Erde reich an unentdeckten Fossilien war, die nur darauf warteten, von ihr zutage gefördert und kategorisiert zu werden. Als Allererstes morgen früh würde sie zu den Burgruinen hinübergehen und den Zugang zu den Höhlen darunter suchen.

Jeremy irrte sich, was Mr. Elroys Entdeckung anging, und falls der arme Schotte noch lebte, würde sie ihn aufspüren, um es ihm zu sagen. Es war ein Streitpunkt zwischen ihr und ihrem zukünftigen Ehemann gewesen, aber er hatte sich immerhin die Zeit genommen, sich ihre Argumente anzuhören. Sie hatte geglaubt, er durchdächte ihre Hypothese, doch mittlerweile war sie ziemlich sicher, dass er sie wahrscheinlich nur bei Laune hatte halten wollen. Aber nun würde sie ihm das Gegenteil beweisen – ihm und dem Rest der wissenschaftlichen Gemeinde, die Vanessa für engstirnig und völlig unqualifiziert hielt.

Sie hatte versucht, Mr. McElroys Standpunkt darzulegen, indem sie mehrere Briefe an Fachzeitschriften geschickt hatte, die seine Theorie unterstützten, dass der von ihm aufgefundene Knochen zu einem Tier gehörte, das die Schotten als Wasserpferd bezeichneten. Aber nicht einer dieser Briefe war von irgendeinem der wissenschaftlichen Journale veröffentlicht worden. Vanessa glaubte zwar nicht, dass noch immer eine sagenhafte Kreatur in jenen torfverschmutzten Gewässern lebte, aber etwas hatte vor vielen Jahren dort gelebt, und der Beweis dafür wartete nur darauf, von ihr entdeckt zu werden.

Unbewusst kaute sie auf der Spitze ihres Stifts herum und sammelte ihre Gedanken, bevor sie etwas notierte.

»Was tut ’n hübsches Ding wie Sie hier ganz allein?« Ein stiernackiger Mann ließ sich auf den leeren Stuhl neben Vanessas fallen. Sein ausgeprägter schottischer Akzent und seine vom Alkohol schon undeutliche Stimme erforderten einige Konzentration, um zu verstehen, was er sagte. Als sein Blick auf ihr Notizbuch fiel, rümpfte er die Nase. »Was tun Sie da in diesem Buch?«

Sie schloss das Buch über ihrer Hand, um die Stelle zu markieren, und blickte ihn streng über ihre Brillengläser an. »Ich arbeite, Sir, und Sie stören mich.« Vielleicht hätte sie in ihrem Zimmer bleiben sollen. Aber sie war hungrig gewesen, und die Schankmagd hatte gesagt, dies sei der einzige Ort, wo sie etwas essen könnte. Deshalb hatte sie sich hier unten an einen Tisch gesetzt, um auf ihren Lammeintopf zu warten.

Der Mann stieß ein tiefes, derbes Lachen aus. »Ich störe Sie? Na, das werden wir ja sehen.« Blitzschnell streckte er die Hand aus und zog sie mit einer einzigen Bewegung auf seinen Schoß, wobei er das Notizbuch auf den Boden fegte. Vanessa wehrte sich, trat nach seinen Beinen und versuchte, mit den Fäusten nach seiner Brust zu schlagen, aber er packte sie an beiden Handgelenken und hielt sie in einem schraubstockartigen Griff.

»Lassen Sie mich los, Sir!«, fuhr sie ihn an, während sie sich nach Kräften wehrte und Jeremys Notizbuch mit den Seiten nach unten auf dem schmutzigen Boden liegen sah. So befriedigend es vielleicht auch wäre, etwas von ihm zu zerstören, sie brauchte diese Notizen. »Ich muss meine Aufzeichnungen aufheben!«

»Ach was, das glaub ich nicht. Du bist ein leckeres kleines Häppchen«, sagte er und drückte sein Gesicht in ihr Haar. »Und riechst auch gut. Wie Blumen und Honig.«

Vanessas Herz schlug so schnell und hart, dass sie es in ihren Ohren dröhnen hörte. Sie hatte die Situation nicht sorgfältig genug bedacht, war so auf ihre Recherche konzentriert und mit ihren Zielen beschäftigt gewesen, dass sie sich nicht damit aufgehalten hatte, über ihre Umgebung nachzudenken. Dies war keine Gegend, die eine Frau aus gutem Hause allein bereisen sollte. Und trotzdem war sie hier – was nicht sehr klug von ihr war, wie sie sich jetzt eingestehen musste. Es war genau dieses impulsive, unüberlegte Handeln, das ihre Mutter an ihr so störend fand.

Trotzdem bestand kein Grund zur Panik; das war die Reaktion, die von ihren Schwestern zu erwarten wäre. Vanessa dagegen war besonnen und im Allgemeinen auch ganz gut darin, mit kniffligen Situationen fertigzuwerden. Bei dieser würde es nicht anders sein. Sie musste nur ruhig bleiben, einen kühlen Kopf bewahren und einen Weg finden, diesem aufdringlichen Burschen zu entkommen. Vielleicht sollte sie sich einfach losreißen und zu ihrem Zimmer hinauflaufen. Aber solange der Kerl sie in diesem eisernen Griff festhielt, war das unmöglich. Sie könnte natürlich auch um Hilfe rufen. Vielleicht war den anderen Gästen einfach nur nicht klar, dass sie kein Interesse an den Avancen dieses Mannes hatte? Eine solch große Ansammlung von Leuten würde doch gewiss nicht zulassen, dass dieser Mann ihr wirklich etwas tat.

Als jedoch drei andere stämmige Schotten aufstanden und mit lüsternen Blicken zu ihr herüberschlenderten, begann sie an ihren Überzeugungen zu zweifeln. Diese Männer würden sie nicht beschützen, sondern ihren Angreifer höchstens unterstützen. Jetzt erkannte sie den großen Fehler in ihrer Logik. Sie hatte ihre Lage völlig unterschätzt und befand sich daher jetzt in ernsten Schwierigkeiten. Verzweifelt verdoppelte sie ihre Bemühungen, trat wild um sich und versuchte vergeblich, sich dem Griff des Mannes zu entwinden.

»Was haben wir denn hier, Angus?«, fragte einer der anderen, während er sich einen Stuhl heranzog und dann so dreist war, mit seiner groben Hand Vanessas Wange zu berühren.

Sie bedachte ihn mit einem bösen Blick und versuchte, vor seiner respektlosen Berührung zurückzuweichen. Wären ihre Hände frei gewesen, hätte sie ihn geohrfeigt oder ihm die Finger in die Augen gestoßen.

»Einen feinen hübschen Weiberrock«, sagte ein anderer Mann, der auf eine Art und Weise mit den Augenbrauen wackelte, die für Vanessa nur den Schluss zuließ, dass er sie anziehend fand. Die Ironie der Situation entging ihr nicht. Da gab es endlich Männer, deren sexuelles Interesse sie weckte, etwas, was sie bisher nicht gekannt und was ihre Mutter immer stark beunruhigt hatte. Aber heiratswürdige, angemessene Männer waren diese derben Kerle natürlich nicht.

Der Mann, der sie auf seinem Schoß festhielt – Angus hatte der andere ihn genannt –, versuchte, seine Hand an ihrem Bein hinaufgleiten zu lassen, aber sie konnte seine Bemühungen gerade noch mit einem Ellbogenstoß in seinen Unterleib durchkreuzen. Der Mann neben ihr riss an ihrem Haar und zog ihren Kopf zurück, sodass sie sein schmutziges Gesicht dicht über ihrem sehen konnte. Ein übler Geruch nach Bier und Fäulnis ging von seinen gelben Zähnen aus, der ihr die Tränen in die Augen trieb.

»Oh, da bist du ja, Liebes«, sagte eine weitere männliche Stimme hinter ihr. »Und Sie würde ich freundlich bitten, Ihre Hände von meiner Verlobten zu nehmen.«

Den Besitzer der Stimme konnte Vanessa nicht sehen, aber er klang auf jeden Fall ganz anders als die anderen. Obwohl auch er den singenden Tonfall der Schotten hatte, war seine Stimme weitaus kultivierter und seine Ausdrucksweise geschliffener. Und obschon seine Worte höflich waren, lag etwas gefährlich Drohendes in seinem Ton.

»Ihre Verlobte?«, fragte Angus.

»Aye. Ich sagte, lassen Sie sie los.«

»Wie Sie wollen«, erwiderte der Rüpel und ließ Vanessa mir nichts, dir nichts auf den harten Dielenboden fallen.

Sie landete mit einem harten Aufprall, bei dem ihr Wollkleid hinaufrutschte und ihre Knöchel offenbarte. Eine Hand ergriff die ihre, um ihr aufzuhelfen. Sie konnte gerade noch ihr Notizbuch aufheben, bevor sie hochgezogen wurde.

Als sie aufblickte, sah sie ein schon fast beunruhigend gut aussehendes Gesicht vor sich – das schönste, das sie je bei einem Mann gesehen hatte. Sein langes braunes Haar hing in wirren, ungekämmten Strähnen um sein Gesicht, aber sie konnte sehen, dass es frisch gewaschen und überhaupt nicht so wie die fettigen, verfilzten Mähnen der anderen Männer war. Ein Eintagesbart bedeckte seine Wangen und sein Kinn, der allerdings nicht ausreichte, um seine sinnlichen Lippen zu verbergen, die zu einem leichten Grinsen verzogen waren. Aber es waren vor allem seine kristallklaren grünen Augen, die Vanessa so sprachlos machten, dass sie nur nicken konnte wie ein Einfaltspinsel.

Er hielt sie dicht an seiner Seite. Bisher hatte noch niemand einen Streit begonnen, doch zwei der Schotten standen noch immer in einer Haltung da, die darauf schließen ließ, dass sie jeden Moment eine Rauferei beginnen könnten. Vanessa merkte, dass sie den Atem anhielt, und ließ ihn langsam wieder aus.

»Soso, Engländer«, sagte Angus, während er ihren Retter musterte. »Du bist also wieder in die Wildnis unserer Berge zurückgekehrt?«

»Das passt ja gut, dass du dir ’ne feine Lady zum Heiraten mitgebracht hast«, warf ein anderer ein. »Was is’n los mit unseren einheimischen Röcken? Die sind wohl nicht mehr gut genug für deinesgleichen?«

Die Männer brachen in brüllendes Gelächter aus.

So nahe, wie Vanessa ihrem Retter war, konnte sie ihn sogar riechen. Eine angenehme Mischung aus Seife, Leder und dem reinen Geruch der sauberen Highlandluft stieg ihr in die Nase. Sie konnte sich gerade noch zusammennehmen, bevor sie die Augen schloss, um den Duft genüsslich einzuatmen.

»Hast du sie mit hergebracht, um sie zu ehelichen, wie es sich gehört?«, wollte Angus mit einem breiten Grinsen wissen, das den Blick auf seine schlechten Zähne lenkte.

»Das geht dich einen feuchten Kehricht an«, erwiderte Vanessas Retter. Aber sie bemerkte ein nervöses Zucken an seinem Kinn.

»Ein echter Schotte würde sie gleich hier und jetzt zur Frau nehmen«, spottete Angus mit schmalen Augen.

»Erst schließt man den Bund im Bett und dann erst vor dem Traualtar«, stimmte ihm der andere grinsend zu.

»Also was ist, Engländer?«, wollte ein dritter wissen.

Vanessa bemerkte, wie sich die Hand des Mannes, die an ihrer Taille lag, zur Faust ballte. Ihr Retter sah sie nicht ein einziges Mal an, sondern hielt den Blick die ganze Zeit auf die anderen Männer im Pub gerichtet. Sie waren alle ein wenig kleiner als er, aber zwei von ihnen waren genauso kräftig. Und außerdem waren sie deutlich in der Überzahl.

»Ein Engländer würd’s nicht tun«, sagte Angus.

»Und ein echter Schotte ist er nicht«, meinte der andere. »Dafür hat er zu viel blaues Blut.«

Die Spötteleien erinnerten Vanessa an die Wortgefechte ihrer jüngeren Cousins, die sich hänselten und neckten, um sich gegenseitig dazu anzuspornen, etwas Unerfreuliches zu tun. Kindereien, mehr nicht. Aber plötzlich bemerkte sie, wie still es in dem Raum geworden war. Bisher war es so laut gewesen, voller lärmender Stimmen und Musik von einem alten Cembalo in einer Ecke. Doch nun warteten alle und verfolgten, was zwischen ihrem Verteidiger und den elenden Kerlen geschehen würde, die sie belästigt hatten.

»Mavis!«, brüllte Angus. Dann hob er die Hand, und eine Sekunde später flog ein Seil durch das Lokal, und er fing es auf. Das Seil in der Faust, trat er auf sie zu. »Also biste jetzt ’n echter Schotte oder nich?«

»Nee, er is’n Engländer«, sagte der andere Mann.

Endlich senkte der Mann, der sie beschützte, den Kopf und suchte ihren Blick. Seine klaren grünen Augen begegneten ihren, und Vanessa bekam einen trockenen Mund. Sie hatte noch nie zu den Frauen gehört, die sich von der Erscheinung eines Mannes beeindrucken ließen. Ihre Schwestern waren nahezu in Hysterie verfallen, wenn gut aussehende Männer Interesse an ihnen zeigten, aber Vanessa hatte nie genug darauf geachtet, um es auch nur zu bemerken. Bei diesem Mann war sein gutes Aussehen jedoch nur schwer zu ignorieren. Unwillkürlich schob sie ihre Brille höher auf die Nase.

»Wir werden die Zeremonie ausführen«, sagte er mit seiner leisen, tiefen Stimme. »Ich werde sie gleich hier ehelichen.«

Bevor Vanessa irgendwelche Fragen stellen konnte, stand sie auch schon dem hochgewachsenen Fremden gegenüber, und ihre und seine rechte Hand wurden mit dem Seil zusammengebunden. Ihr Retter wiederholte die Gelübde, die ihm vorgesprochen wurden, und nickte ihr zu, als sie mit ihren an der Reihe war.

Vanessa zog an ihrer Hand und merkte, dass sie wirklich ziemlich fest an den Mann mit den schönen grünen Augen gefesselt war. Der Gestank der anderen Männer, die sie umringten, bestürmte ihre Sinne. »Ich heirate diesen Mann?«, fragte sie leise und mehr sich selbst als irgendjemand anderen.

Stürmisches Hurrageschrei brandete auf bei ihren Worten. Wenn sie sich nicht irrte, hatte sie gerade tatsächlich aus Versehen einen Schotten geheiratet.

»Na schön, dann küss sie jetzt. Küss deine Braut«, sagte einer der Männer.

Graeme warf einen langen Blick auf die Frau, die vor ihm stand. Sie war nicht gerade klein, wenn auch entschieden kleiner als er selbst. Aber für eine Frau war sie groß – und hübsch mit ihren strahlend blauen Augen und den Grübchen an den Wangen. Ihre Schönheit war allerdings leicht zu unterschätzen, weil sie sie hinter langweiligen Farben und einer Brille verbarg.

Da seine rechte Hand noch immer an die ihre gefesselt war, benutzte Graeme seine linke, um die Frau an sich heranzuziehen, senkte den Kopf und drückte seine Lippen auf die ihren. Es war als kurzer Kuss gedacht, um diese alberne Zeremonie zu besiegeln, aber kaum berührten sich ihre Lippen, vergaß er den Umstand, dass er diese Frau nicht einmal kannte, und küsste sie mit Leidenschaft. Ihre weichen Lippen öffneten sich, ihr warmer Atem vermischte sich mit seinem. Und in diesem Augenblick fühlte es sich für ihn so an, als hätten sie sich schon hundertmal geküsst.

Abrupt beendete er den Kuss. Aber sie stand noch immer vor ihm, die Augen geschlossen, die Lippen leicht geöffnet. Teufel auch, aber sie war wirklich eine schöne Frau! Er musste sie hier herausschaffen, und zwar schnell, bevor er selbst ihr letztendlich genau das antat, wovor er sie zu bewahren versuchte.

»Nehmt uns diesen verdammten Strick ab«, sagte er scharf.

»Ha! Er kann’s wohl kaum erwarten, mit ihr raufzugehen!«, schrie einer der Männer, worauf wieder ausgelassenes Gelächter folgte.

Einer nahm ihnen die Fessel ab, und Graeme ergriff schnell die Hand seiner angeblichen Braut, um sie aus dem Pub zu führen. Sie blieb jedoch stehen, entzog ihm ihre Hand und wandte sich ihm zu, um ihn anzusehen.

»Vielen Dank, dass Sie mir zu Hilfe gekommen sind. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Ihre Bemühungen zu schätzen weiß. Ich war mir nicht sicher, was diese Grobiane mit mir vorhatten, aber ich wusste, dass ich in keiner Weise daran interessiert war«, sagte sie mit unverhohlener Empörung in der Stimme.

Dachte diese junge Frau etwa, dass er sie hier zurücklassen würde? Allein?

Sie nickte ihm noch einmal zu und wandte sich dann in Richtung Treppe, um zu den Gästezimmern hinaufzugehen.

Graeme schloss sich ihr an und versuchte, die anzüglichen Sprüche und Zurufe zu ignorieren. »Sie können hier nicht bleiben«, sagte er zu ihr.

»Und warum nicht?«, fragte sie, stemmte ihre Hände in die Hüften und sah ihn trotzig an.

»Weil diese Männer, wenn ich nicht eingegriffen hätte, sich zweifelsohne bei Ihnen abgewechselt hätten.« Er machte eine kleine Pause, um zu sehen, ob sie verstand, was er ihr sagen wollte. Als sie große Augen machte und den Kopf zur Seite legte, wäre er jede Wette eingegangen, dass sie wusste, was er meinte. »Hierzubleiben wäre nur eine Einladung an die Kerle, es in Ihrem Zimmer zu tun, statt gleich hier auf dem schmutzigen Fußboden.«

Ihre Lippen formten ein stummes »Oh«.

Graeme zog sie wieder auf die Tür zu.

»Meine Sachen«, flüsterte sie, als sie erneut den Schritt verhielt.

»Was?«

»Mein Gepäck ist in einem der Zimmer oben. Ich hatte vorgehabt zu bleiben«, erklärte sie.

»Gut, dann wollen wir Ihre Sachen holen«, sagte Graeme. »Aber danach müssen wir von hier verschwinden. Diese Männer halten uns für Mann und Frau, und möglicherweise erwarten sie von uns, das zu beweisen.«

Wieder wurden ihre Augen groß und rund, und dann drehte sie sich hastig um und beeilte sich, die Treppe hinaufzukommen.

Graeme ging hinter ihr und erfreute sich am Anblick ihres Rocks, der sich um ihren hübschen Po straffte, als sie die Stufen hinaufstieg. Ihre Größe faszinierte ihn; sie musste endlos lange Beine haben. Aber es war nicht gut, diese Gedankengänge zu verfolgen, er musste ihnen eine andere Richtung geben. Bevor er es jedoch tat, erlaubte er sich für einen Moment die Vorstellung, wie es wäre, sie einfach wieder in die Arme zu nehmen und zu küssen.