Das Geheimnis von Aldenham Park - Caroline Susemihl - E-Book

Das Geheimnis von Aldenham Park E-Book

Caroline Susemihl

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Beschreibung

Serafine Durham erfährt, dass sie ein herrschaftliches Anwesen geerbt hat. Der Haken: Die junge Frau muss Aldenham Park mit Aidan Black, einem begnadeten Shakespeare Darsteller, teilen. Das erste Zusammentreffen verläuft turbulent. Die einsame Serafine setzt alles daran in Aldenham ein Zuhause zu finden. Schnell stellt sie fest, das alte Haus birgt mysteriöse Geheimnisse. Serafine begegnet leibhaftigen Geistern, hört von einem bedrohlichen, uralten Fluch und wird von ihrer Vergangenheit eingeholt. Dabei wird sie von ihren Gefühlen für den attraktiven Aidan, seinem Freund Simon und einem begabten Jungmimen hin und her gerissen. Am Ende steht alles auf dem Spiel und Serafine muss sich entscheiden. „Liebe ist der Schlüssel, und der Tod.“

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Seitenzahl: 283

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Kurze Gebrauchsanweisung

Lieber Leser, liebe Leserin,

bevor du anfängst die Geschichte zu lesen, ein paar Worte vorweg. Die Geschichte hat fünf Anfänge und fünf Enden. Die Ziffer eines Anfangs passt zu dem Ende mit derselben Zahl. Es gilt frei nach William Shakespeare: Wie es euch gefällt!

Im Anhang findet ihr ein Gedicht, aus dem ich ein paar Zeilen zitiert habe und eine Inhaltsbeschreibung von „The Twelfth Night“ oder „Was ihr wollt“.

Ich habe in dem einen oder anderen Kapitel Stücke aus diesem Schauspiel verwendet und es wäre schade, wenn ihr das Stück nicht kennen solltet und deswegen weniger Spaß an den entsprechenden Stellen habt.

Mein Dank gilt Katja für eine Schreibstunde, die mich auf die Idee zu der Geschichte brachte und einem wunderbaren englischen Schauspieler, der Herzog Orsino in der BBC-Verfilmung spielte, für den Musenkuss.

Und natürlich und vor allem meiner Familie, die sich während meines Schreibrausches tapfer gehalten hat, ohne mir die Mitgliedschaft zu kündigen. Ich liebe euch!

Eure C.

Inhaltsverzeichnis

Vorspiel 1 – 5

Es beginnt: Das Erbe

Der Einzug

Pasta gegen Sex

Der erste Morgen

Eve

Tabu oder nicht Tabu

Nächtliche Begegnungen

Der Dschungeldoktor

Geheime Gänge

Eine gute Idee

Herr der Geister

Tagebücher

Der Geisterjäger

Das Theater

Moore & More

Vergangenheit

Ein aufregender Fund

Erwischt

Ein unangenehmer Besucher

Vorhang auf

Demetrius

Der Fluch

Der Alchimist

Stammbäume und Listen

Orsino

Tapetenwechsel

Begegnung der dritten Art

Verführungen

Wortgefechte

Antworten

Ein Geständnis

Der Entschluss

Worte ohne Worte

Die letzte Nacht

Mond und Sonne

Der Tag danach

Der helle Wahnsinn

Partyfieber

Das heilige Feuer

Phönix

Da war doch noch was:

Nachspiel 1 – 5

Anhang: Wissenswertes

1.Vorspiel

„Es begab sich zu einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, dass sich ein bettelarmes Mädchen auf die Suche nach ihrer Familie machte…“

2.Vorspiel

„Hallo! Wer ist da?“

„Smith & Smith. Notare und Anwälte. Ich verbinde sie mit Mister Smith.“

„Guten Morgen Miss Durham, Smith am Apparat.“

„Guten Morgen.“

„Es geht um eine wichtige Erbschaftsangelegenheit.“

„Erben? Ich habe doch keine Verwandten.“

„Bis jetzt dachten sie das, Miss Durham. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass dies nicht den Tatsachen entspricht. Und glauben sie mir, es war nicht einfach sie aufzuspüren. Mein Mandant hat Jahre gebraucht.“

Schweigen.

„Miss Durham sind sie noch dran?“

„Ja. Ich kann es nicht fassen. Ich bin sprachlos.“

„Ich verstehe ihre Skepsis. Aber ich möchte sie bitten mich Montag um 11:30 Uhr, in Aldenham Park, nahe Borhamwood, zu treffen. Dort werde ich sie über alles aufklären. Und bitte seien sie pünktlich.“

„Wie weit ist es bis dort hin?“

„Von meinem Haus in der Finchley Road, Camden Town, sind es circa 10 Meilen. – Ich hoffe, sie werden da sein. Es ist wichtig.“

„Keine Sorge Mister Smith, ich werde pünktlich sein.“

„Dann noch einen angenehmen Tag, Miss Durham.“

„Danke gleichfalls, Mister Smith.“

3.Vorspiel

James saß an seinem Schreibtisch in der Bibliothek. Vor ihm lag ein Bogen Papier. Er las den Text noch einmal, faltete den Bogen sorgfältig und steckte ihn in einen adressierten Umschlag. James wollte den Brief zusammen mit dem Testament Mister Smith aushändigen.

Er war müde und erschöpft. Zu lange hatte sein Leben gedauert. Es fehlte ihm nicht nur an Kraft, auch sein Geist verfing sich in den Jahren des Leidens in einer düsteren Welt, aus der er keinen Ausweg mehr fand. Es lag nun an seinem Erben, das Haus Aldenham zu retten und den Namen zu erhalten.

James hatte das Rätsel entschlüsselt und das fehlende Teil des Puzzles gefunden. Sie hieß Serafine und lebte in einem winzigen Zimmer über den Dächern Londons.

Nachdem James Serafine fand, war er, wann immer möglich, in ihrer Nähe. Beobachtete und beschützt sie. Er wollte wissen, ob sie genug Mut und Herz besaß, den Weg zu Ende zu gehen. James war davon überzeugt. In den letzten Jahren war sie sein einziger Lichtblick. Er liebte sie. Sein Herz verzehrte sich nach ihr, aber sein Verstand gab sie frei.

Serafine war eine verlorene Seele, so wie alle die der Familie Aldenham angehörten. James nahm das Lederband mit dem Amulett ab und legte es in die Kiste mit den Briefen und Tagebüchern, die er Serafine hinterlassen wollte. Es sollte ihr Schutz werden und ein Teil von ihm würde immer bei ihr sein.

Es wurde Zeit Serafine nach Hause zu holen. James erhob sich und nahm die Dokumente vom Tisch. Mister Smith wartete. Er wollte sich nicht verspäten. Seine letzte Nacht brach an.

4.Vorspiel

Ich liebe das Schreiben im Café. Genug frischer Kaffee in allen Variationen. Dazu der samtigbuttrig- zuckrige Duft von Backwaren. Leises Lachen am Nebentisch, Gespräche über Wichtigkeiten und Nichtigkeiten. Löffelklappern, das Zischen der Espressomaschine und trotzdem ungestört sein.

Es ist noch früh. Ich bin der erste Gast. Das stört mich nicht. Es wird nicht lange dauern und das Leben wird um meinen Tisch herum strömen, wie ein Fluss um eine Insel. Ich bestelle meinen ersten Kaffee für heute, fahre mein Netbook hoch und öffne meine Datei „Das Geheimnis von Aldenham Park“. Die letzten Seiten Korrektur liegen vor mir.

„Ihr Kaffee Miss Durham. Haben sie sonst noch einen Wunsch?“, fragt die Bedienung.

„Ich glaube, ich nehme ein Sandwich mit Camembert.“

Sonst übertönt mein knurrender Magen meine Gedanken.

5.Vorspiel

„Wie gefällt es dir?“

Henry sieht mich erwartungsvoll an. Ich kann meinen Blick nicht von der Bühne abwenden.

„Oh Henry es ist fantastisch. Das habe ich mir schon lange gewünscht!“

„Ich weiß mein Herz. Bei unserem ersten Treffen hast du gesagt, wie sehr du das Theater und Shakespeare magst.“

Ich sehe Henry an. Seine blauen Augen sind auf mein Gesicht geheftet.

„Du bist wunderschön und noch schöner, wenn du so begeistert bist.“

Ich neige mich zu ihm hin und küsse ihn zärtlich. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Stück zu. In meinem Kopf beginnen sich die ersten Fäden einer Geschichte zusammenzuspinnen. Ich muss nachher sofort einige Notizen machen und die ersten Zeilen zu Papier bringen.

Vorhang auf! Es beginnt: Das Erbe

Der Himmel über London hatte sein schlimmstes Novembergrau aufgelegt. Ein roher, kalter Wind wehte durch die Häuserschluchten, zerrte die Blätter von den Bäumen. Die ersten Regentropfen fielen und ich trat stärker in die Pedale.

Ein Anwalt, ein gewisser Mister Alistair Smith, hatte mich zu einem Landschlösschen mit dem klangvollen Namen Aldenham Park bestellt. Es lag nahe Borhamwood, einem Londoner Vorort. Bei seinem Anruf dachte ich, dass sich jemand einen Scherz mit mir erlaubte, aber es stellte sich heraus, dass Mister Smith durchaus ein ehrenwerter Mann und seine Integrität über jeden Zweifel erhaben war.

Zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin erreichte ich das Anwesen von Aldenham Park. Vor der breiten Freitreppe stand ein dunkelblauer Porsche. Die Geschäfte von Mister Smith schienen gut zu laufen. Ich stellte mein Fahrrad an einem schmiedeeisernen Rundbogen ab, der in besseren Zeiten Kletterrosen Halt gegeben hatte, und sicherte es mit einem Schloss.

„Meinen sie, in dieser Einöde kommt jemand auf die Idee ihr Fahrrad zu stehlen?“, fragte eine spöttische Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um und sah in ein markantes Gesicht mit graugrünen Augen, die mich aufmerksam betrachteten. Mir lag die Antwort auf der Zunge, aber ich wollte bei dem Anwalt keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Ich setzte ein Lächeln auf und reichte ihm die Hand.

„Hallo Mister Smith schön sie kennenzulernen. Ich bin Serafine Durham, aber das wissen sie ja.“

Er kam näher und nahm meine Hand. Da ich ihm gerade bis zur Schulter reichte, musste ich den Kopf heben, um ihn anzusehen.

„Sie sind also Serafine. Sehr interessant“, er machte eine Kunstpause, „ich bin übrigens nicht Mister Smith. Mein Name ist Aidan Black.“

„Dann sind sie ein Assistent von Mister Smith?“, versuchte ich einen neuen Anlauf die Verhältnisse zu klären.

„Nein. Ich weiß genauso so viel wie sie. – Nur in einer Sache scheine ich im Vorteil zu sein. Mister Smith hat mich darüber aufgeklärt, dass wir zwei Erben sind.“

Ich zögerte. Was sollte diese Scharade? Mister Smith sagte etwas von einem Erbe, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer mir etwas vererben könnte. Viele Jahre meiner Kindheit verbrachte ich in einem Heim und war der Meinung, keine Angehörigen zu haben.

Bevor ich Mister Black nach seinen Erkenntnissen befragen konnte, hörten wir einen Wagen die Auffahrt herauffahren. Eine Minute später hievte sich ein reichlich mittelalterlicher Herr aus einem antiken Mercedes und kam schnaufend auf uns zu.

„Entschuldigen sie“, keuchte er, nahm den Hut ab und tupfte sich die kahle Stirn mit einem Taschentuch ab, „dringende Geschäfte.“

Mister Smith reichte mir die feuchte Hand.

„Miss Serafine Durham darf ich annehmen.“

Sollte dies eine Frage oder eine Feststellung sein? Dass Mister Black nichts Weibliches an sich hatte, sah ein Blinder. Sein tadellos sitzender Anzug mit der exquisiten Seidenkrawatte ließ einen trainierten Körperbau erahnen.

Meine Freundin Eve hätte sich die Hände gerieben. Aidan Black fiel genau in ihr Beuteschema. Er trug die Aura schlichter, teurer Eleganz wie eine zweite Haut. Alles an ihm war kostspielig. Die Lederschuhe, die Uhr aus der Schweiz, der feine Zwirn. Trotzdem bewegte er sich so lässig, als wären es Jeans und Turnschuhe.

„Die bin ich.“

Unauffällig wischte ich mir die Hand an meiner Jacke ab. Es kostete Mühe, mich nicht zu schütteln. Ich verabscheute Berührungen anderer Menschen. Mit den meisten hatte ich keine guten Erfahrungen gemacht. Manchmal ließ es sich allerdings nicht umgehen. Der Händedruck von Aidan war mir angenehm gewesen, obwohl er mich nicht besonders freundlich behandelte. Ein seltsam beunruhigendes Gefühl.

„Es war nicht einfach für mich, sie zu finden“, sagte Mister Smith und wandte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, an Aidan.

„Mister Black“, Mister Smith reichte ihm die Hand, als würde er ihn eine Ewigkeit kennen.

„Mister Smith würden sie es bitte kurz machen. Ich habe noch andere Termine“, Aidan strahlte eine so kühle Arroganz aus, dass es mich ärgerte, als Mister Smith sofort zur Sache kam.

„Nun, dann darf ich sie bitten.“

Er eilte so schnell ihn seine kurzen, dicken Beine trugen die breite Treppe hinauf und zerrte einen alten Schlüsselbund aus seiner abgegriffenen Ledertasche. Nach mehreren unfruchtbaren Versuchen, den richtigen Schlüssel für das Schloss zu finden, nahm Aidan ihm den Schlüsselbund aus der Hand.

„Darf ich.“

Er wählte einen Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn. Mit einem metallischen Klicken öffnete es sich, wie von Zauberhand. Aidan drückte die schwere Eingangstür auf. Ehrfürchtig betrat ich eine eindrucksvolle Empfangshalle. Seit Kindertagen malte ich mir aus, in so einem Haus zu leben. Mit verwunschenen Kellern, Geheimgängen, einer riesigen Bibliothek und einem Dachboden voll skurriler Dinge. Kisten mit Kleidern aus früheren Epochen. Alten Fotoalben mit Bildern meiner Ahnen. Ich traute mich kaum zu atmen. Meine Gebete waren erhört worden.

Mister Smith führte uns in die Bibliothek. Die dunklen Eichenregale reichten bis unter die rauchgeschwärzte Holzdecke, die prachtvolle Schnitzereien zierten. Leitern hingen in einer Schiene, die den Abschluss der Regale bildete.

Die Polstermöbel wurden von weißen Tüchern geschützt. Es roch nach Holz, Papier und kaltem Rauch.

Ich ging zu dem Schreibtisch vor dem Kamin, mit Sicherheit der wärmste Platz im Raum, wenn dort ein Feuer brannte. Auf dem Granitboden der Feuerstelle lag eine fingerdicke Staubschicht. Es war lange her, dass jemand hier saß, um seine Post zu erledigen.

„Also Mister Smith legen sie los.“

Aidan lehnte lässig an einem Regal und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er an meinem Gesicht hängen blieb. Er lächelte spöttisch, als er meine unverhohlene Begeisterung sah. Ich beneidete ihn um seine ungeniert zur Schau gestellte Gleichgültigkeit.

Der dicke Anwalt schnaufte wie ein Walross, legte Hut und Aktenmappe auf den Schreibtisch und holte ein vergilbtes Dokument heraus. Er räusperte sich.

„Miss Durham, Mister Black“, er sah uns über seine Goldrandbrille hinweg an, „hiermit möchte ich das Testament ihres Urgroßonkels, Sir James Richard Hamish Gibbs, des letzten Barons von Aldenham, eröffnen.“

„Wie bitte?“, ich war perplex, „das Testament eines Urgroßonkels, der einen Titel hat? – Ich habe über zehn Jahre meines Lebens in einem Kinderheim verbracht. Wieso erfahre ich erst jetzt, dass ich Verwandte habe.“ Ich sah zu Aidan hinüber. „Ich nehme doch an, wir sind verwandt?“

„Bitte Miss Durham, beruhigen sie sich. Lassen sie Mister Smith weiter lesen“, Aidan warf einen entnervten Blick auf seine Uhr, „sonst dauert das noch ewig.“

Ich schnappte nach Luft. Was bildete sich der anmaßende Kerl ein? Es kostete echte Selbstbeherrschung meinen Zorn zu zügeln und die Empörung für mich zu behalten.

„Mister Smith ersparen sie uns unnötige Einzelheiten. Wäre es möglich das Juristengeschwätz auf ein Minimum zu beschränken?“, fragte Aidan ungeduldig.

Mister Smith schnaubte ungnädig angesichts dieser respektlosen Unterbrechung und warf uns einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Nun gut, wenn sie es so eilig haben. Sie sind beide mit Baron Aldenham verwandt. Sie“, er sah mich an, „über die mütterliche Linie und sie“, er wendete sich Aidan zu, „über die väterliche Linie. Da sie die letzten lebenden Verwandten sind, erben sie das Schloss, das Grundstück und den Park mit allem, was darin ist, zu gleichen Teilen.“

Bei den Worten: mit allem was darin ist, ging bei mir eine Warnleuchte an. Wieso betonte Mister Smith diesen Passus so deutlich?

„Ich werde meinen Teil verkaufen“, Aidan sah mich mit einer lässig hochgezogenen Braue an, „wir werden uns sicher einig.“

Der Mann war innen kalt wie Eis und außen heiß wie Höllenfeuer. Seine Teilnahmslosigkeit schürte meine Wut, mehr als gut war, und doch fühlte ich mich zu ihm in einer Weise hingezogen, die mir Angst machte, weil ich ihm noch nie vorher begegnet war. Ich ging Männern üblicherweise aus dem Weg, das hatte sich bewährt.

„Das ist keine gute Idee Mister Black. Wenn sie das Anwesen nicht wollen, fällt ihr Anteil ihrer Miterbin zu. Falls sie beide verkaufen möchten, wird das Gebäude mit Grund und Boden in eine kirchliche Stiftung überführt. Sie entscheiden.“

„Ich ziehe hier ein“, sagte ich entschieden und lächelte Aidan triumphierend an, „endlich ein Zuhause!“

„Das nennst du Zuhause? Das ist eine Bruchbude.“

Die Provokation war nicht zu überhören. Wann hatte ich ihm das Du angeboten?

„Fliegen dir solche Gemeinheiten einfach so zu?“, rutschte es mir heraus, „oder übst du jeden Tag?“

Aidans Mundwinkel zuckten. Ich hätte mich am liebsten auf die Zunge gebissen. Offenbar machte es ihm Spaß mich zu reizen, bis ich explodierte. Die Liebenswürdigkeit in Person wendete ich mich an Mister Smith:

„Wo war unser Onkel all die Jahre?“

„Mal hier, mal dort“, antwortete Mister Smith wage, „er war ein rastloser Mann. - Sie wollten das Kleingedruckte nicht hören.“

„Das ändert nichts! Ich wohne in einem winzigen Zimmer unter dem Dach. Im Winter friert das Wasser ein und die Eiszapfen hängen von der Decke, während im Sommer höhere Temperaturen herrschen als in der Hölle. Schlimmer kann es hier auf keinen Fall sein. Ich bleibe!“

„Ach und übrigens“, Mister Smith lächelte schief, „sie können das nicht wissen, ihr Onkel hat irgendwo auf seinem Besitz einen Schatz versteckt. - Sagt man.“

Seine Trumpfkarte spielte Mister Smith genau im richtigen Moment aus. Ich schmunzelte.

„Sagt man das?“, fragte Aidan beiläufig und musterte mich abschätzend von oben bis unten, „nun wir werden sehen, welche Schätze Aldenham Park wirklich zu bieten hat.“

Ich spürte, dass er keineswegs an Gold und Silber dachte. Dieser Schatz konnte aus allem möglichen Zeug bestehen. Alte Leute waren manchmal wunderlich, was die Definition von Schätzen anging. Das störte mich nicht. Was der alte Herr auch versteckt haben mochte, dieses Haus war mein Glückslos. Ich würde umziehen. Eher fror die Hölle zu, um bei meinen blumigen Vergleichen zu bleiben.

„Dann ist es abgemacht. Wir teilen uns die Hütte.“

Aidan bedachte mich mit einem durchdringenden Blick. Der Gedanke mit diesem Snob das Haus zu teilen, machte mich nervös. Aber Bedingung war Bedingung. Hoffentlich übertrieb er es mit der Schatzsuche nicht zu sehr. Ich brauchte ein ruhiges Plätzchen, um mein nächstes Buch zu schreiben.

Mehr als die Schatzsuche beunruhigte mich mein rasendes Herz, als Aidan mir zum Abschied die Hand reichte, sich zu mir herunter beugte und mir ins Ohr flüsterte:

„Einen Schatz habe ich schon entdeckt. Es wird aufregend sein, ihn zu bergen.“

Der Einzug

Am nächsten Tag packte ich die wenigen Habseligkeiten in meinem Höllenloch zusammen. Das nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Länger dauerte es, die Kisten allein sechs Stockwerke hinunter zu schleppen.

Während ich auf den Taxifahrer wartete, überlegte ich, wie sich das Zusammenleben mit Aidan gestalten würde. Mit Sicherheit besaß er ein elegantes Loft oder eine stylische Altbauwohnung in der City. Insgeheim hoffte ich, Aidan würde nicht oft in Aldenham Park logieren.

Umso erstaunter war ich bei meiner Rückkehr. Vor dem Haus stand ein Umzugswagen. Drei kräftige Männer trugen Möbel und Kartons ins Haus. Misstrauisch gegenüber dieser logistischen Leistung, lud ich meine Kisten und meine zwei Kleidersäcke aus dem Taxi und schleppte sie in die Empfangshalle. Aidan kam gerade aus der

Bibliothek.

„Hallo Serafine ich habe dich nicht so schnell erwartet.“

Konnte Aidan einen Satz sagen, in dem keine Spitzen steckten?

„Und ich habe nicht erwartet, dich so schnell in dieser Bruchbude anzutreffen“, erwiderte ich heftiger, als beabsichtigt. „Du warst wohl die ganze Nacht mit packen beschäftigt?“

„Touché“, er lächelte dieses spöttische Lächeln, das zur Grundmimik seines Gesichts zu gehören schien, „aber ich denke, du wirst mit mir als Mitbewohner zurechtkommen müssen.“

„Kein Problem. Das Haus ist groß genug dir aus dem Weg zu gehen.“

Aidan stand so dicht vor mir, dass ich seinen warmen Atem auf meinem Gesicht spürte.

„Willst du das denn? Mir aus dem Weg gehen?“

Das bedeutungsvolle Timbre in seiner Stimme traf mich irgendwo in Brusthöhe und verursachte einen kurzen, peinlichen Wortausfall meinerseits. Ich beschloss die offensichtliche Anmache zu ignorieren.

„Welches Stockwerk nimmst du?“, ich bückte mich nach einer Kiste, „ich würde gerne in der Nähe der Bibliothek ein Zimmer haben.“

„Oh eine gebildete junge Dame, wie angenehm. Ich befürchtete schon, mich an den langen Winterabenden zu langweilen.“

„Es gibt keinen Grund, dass du dich mit mir langweilen musst. Ich bin Schriftstellerin und habe Besseres zu tun. Bestimmt warten Legionen von jungen Damen sehnsüchtig darauf dir an kalten Abenden die Füße zu wärmen“, fuhr ich ungerührt fort und reckte mich zu voller Größe auf.

„Da bin ich sicher“, Aidan grinste selbstbewusst.

Verdammt! In seiner Nähe war ich wie paralysiert. Ich durfte mich von ihm nicht austricksen lassen.

„John würden sie der jungen Dame helfen ihre Kisten in das gewünschte Zimmer zu bringen“, rief Aidan einem der Möbelpacker zu, der sich am oberen Ende der Treppe zeigte.

„Klar Chef. – Kommen sie bitte mal rauf. Kevin will wissen, wo sie den Schreibtisch hin haben wollen.“

John kam herunter, schnappte sich eine Kiste und meinen Kleidersack und folgte mir in das ehemalige Speisezimmer. Es war ein großer, heller Raum mit zwei Flügeltüren zu Terrasse und Garten. Auch hier bedeckten weiße Tücher die Möbel.

Während John die restlichen Kisten brachte, befreite ich die Möbel von den Schutzlaken. Kostbare alte Stücke kamen zum Vorschein. Die große Tafel bestand aus zwei separaten Tischen. Ich bat John, sie in der Nähe der Fenster zu platzieren. Dann half er mir die überflüssigen Stühle in das angrenzende Wohnzimmer zu stellen und zwei zierliche Sessel und den dazugehörigen Tisch in mein Zimmer zu tragen.

„Jetzt fehlt nur ein bequemes, großes Sofa, auf dem ich schlafen kann“, sagte ich und betrachtete unser Werk.

„Da kann ich helfen Miss“, John lächelte, „oben in einem der Zimmer steht eins. Das würde ihnen bestimmt gefallen.“

„Zeigen sie es mir bitte.“

Ich folgte John in die obere Etage und kam an Aidans Zimmern vorbei. Er erklärte einem Elektriker, wo er den Fernseher, die Musikanlage und den Computer anschließen sollte. Aidan hatte alles im Griff. Das hatte er wahrscheinlich immer. Ein klarer Vorteil zu seinen Gunsten.

„Hier Miss“, John öffnete die Tür zu einem Zimmer, „dort drüben steht es. Gefällt es ihnen?“

Ich sah hinein. In den guten alten Zeiten war dies wohl der Damensalon. Bestickte Vorhänge zierten die Fenster. Ein dicker Teppich dämpfte jeden Schritt. John zog das Laken von der Couch.

„Die ist wunderschön. Sie haben einen guten Geschmack John.“

Ich strich ehrfürchtig über den dunkelgrünen Samt, der mit hinreißenden Blüten bestickt war.

„Fast zu schön, um darauf zu schlafen.“

„Gerade richtig für eine hübsche, junge Lady.“

„Danke für das Kompliment John. Es ist das erste Mal, dass mich jemand als hübsch bezeichnet und noch dazu als Lady.“

Ich musste Lachen und John grinste etwas unbeholfen.

„Ist aber die Wahrheit Miss. Schauen sie in den Spiegel.“

John deutete auf einen riesigen Barockspiegel, der über einer Anrichte hing. Ich errötete. John war zwar keine zwanzig mehr, aber auch noch kein alter Mann.

„Sehen sie sich im Nebenzimmer um, da gibt’s auch Möbel für Damen. Wenn ihnen was gefällt, schaffen wir es runter – wo wir gerade dabei sind.“

„Vielen Dank, John. Das kann ich gar nicht wieder gut machen.“

„Kein Problem Miss. Er“, John grinste verschmitzt und machte eine Handbewegung, die auf Aidan gemünzt war, „bezahlt gut.“

Ich lachte. Aidan schien kuriose Situationen zu schätzen, trotzdem hätte ich nicht beschworen, dass ihn Johns Äußerung amüsiert hätte. Welchen Beruf er wohl ausübte? Börsenmakler, Anwalt? Die Aufzüge passten ins Bild und sein Pokerface ebenfalls.

Würde ich eines Tages den echten Aidan erleben? Den Mann unter dem Designeranzug. Der Gedanke hätte Aidan gefallen. Mir auch. Ich untersagte mir darüber nachzudenken, um meinen Adrenalinspiegel nicht unnötig in die Höhe zu treiben.

„Danke John. Vielen Dank“, ich schüttelte ihm erleichtert die Hand, „wie kann ich das wieder gut machen?“

Er lächelte vielsagend.

„Ich habe gehört, wie sie zu Mister Black sagten, dass sie Schriftstellerin sind. Sie können mir ein Buch von sich schenken.“

„Zu gerne. Leider habe ich noch keinen Verlag gefunden.“

„Sie werden einen finden. Bestimmt.“

„Dann bekommen sie das erste Exemplar.“ „Danke Miss.“

John war gerade aus der Tür, als es klopfte. Aidan kam herein. Er setzte sich auf einen Sessel. Lässig schlug er die Beine übereinander und sah mich herausfordernd an.

„Wie ich höre, willst du dich an den Umzugskosten beteiligen.“

„Welches Vögelchen hat dir denn diesen krausen Gedanken gepfiffen.“

„Auf den Gedanken bin ich ganz allein gekommen.“

„Ich schätze intelligente Männer. - Ich dachte, das kurzzeitige Ausleihen von John geht auf das Konto Nachbarschaftshilfe. Du hast ihn mir aus freien Stücken angeboten.“

Ich lächelte süß. Aidan zog eine Augenbraue hoch.

„Und ich dachte, du wolltest mir aus dem Weg gehen?“

Das ernste Gesicht stand ihm gut. Plötzlich blitzte der Spott wieder in seinen Augen auf.

„Na gut kleine Lady. Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen“, ließ er den Gönner heraushängen, „aber“, aha, jetzt kam der Haken, „ich betrachte das Habenkonto auf meiner Seite im Plus. Ich hab was gut bei dir.“

„Ich schließe dich in meine Gebete ein.“

Aidans Mundwinkel zuckten verräterisch.

„Habe ich das nötig?“

„Sag du es mir. Bist du ein böser Junge, der für seine schwarze Seele um Erlösung flehen muss?“

„Donnerwetter! Nun ist schon ein unseliger Sünder aus mir geworden. Du bist um ein schnelles Urteil nicht verlegen.“

„Selber Schuld! Du bist der undurchschaubare Teil von uns beiden. Was spricht dagegen die Maske abzulegen?“

„Maske. Was soll das heißen?“

„Du könntest Schauspieler sein. Immer die passende Miene zur rechten Zeit.“

Aidan lachte laut auf. Ich hatte den Eindruck einen winzigen Blick hinter die Maske zu erhaschen.

„Ich bin beeindruckt. Du hast mich durchschaut. Ich dachte, es dauert länger, bis du darauf kommst.“

Prüfend sah ich ihn an. Wenn das stimmte! - Ich versuchte entspannt zu bleiben. Aidan musste mir meine Freude nicht anmerken, das hätte ihn nur herausgefordert.

„In welchem Theater arbeitest du?“

„Ich gehöre zum Ensemble der Royal Shakespeare Company.” Es sollte abgeklärt klingen, aber der Stolz war ihm anzuhören. „Außerdem habe ich in einigen internationalen Produktionen gespielt.“

Ich nahm mir vor ihn zu googlen, sobald ich in die Nähe eines internetfähigen Computers gelangte. Es erklärte zumindest zum Teil seine Unnahbarkeit. Aidan verschanzte sich hinter seinen Rollen. Dafür gab es gewiss Gründe.

„Überlegst du, wie du mich in deinen Geschichten verwursten kannst? – Machen Schriftsteller das nicht so?“

„Oh bitte!“, ich verdrehte die Augen, „was für ein Klischee.“

Hätte Aidan geahnt, dass längst eine Idee in mir keimte, er hätte ein Fass aus Ironie und Sarkasmus über mir ausgeschüttet.

„Zu deiner Information: der Strom funktioniert. Das Telefon in der Halle auch“, Aidan ging zur Tür, „ach ja, auf dem Gasherd kannst du kochen. Das einzige Problem wird die Heizung. Das Öl in den Tanks ist bald alle. Für so einen Schuppen wird das teuer.“

Das befürchtete ich allerdings auch, aber immer ein Problem nach dem anderen. Zuerst musste ich essen. Mein Magen knurrte seit einer ganzen Weile. Ich folgte Aidan in die Halle.

„Mit dem Problem können wir uns Morgen befassen. Ich habe riesigen Hunger“, ich hielt inne, „aber im Kühlschrank wird nichts drin sein? Weißt du, wo es in der Nähe einen Supermarkt gibt?“

„Falsch!“, sein Triumph war unüberhörbar, „der Kühlschrank ist voll und da wir bei Nachbarschaftskonten sind: Punkt zwei für mich.“

„Daher weht der Wind. Und was soll ich tun?“, fragte ich ergeben.

„Du bist ein kluges Kind“, er grinste, „wie wäre es mit kochen.“

„Hast du keine Angst, dass ich dich vergifte?“

„Das bezweifele ich, du brauchst mich. Im Gegensatz zu dir verdiene ich richtiges Geld.“

„Ich habe mich wohl verhört!“, wütend fuhr ich herum und funkelte ihn an. „Unglaublich! Du bist nicht nur taktlos, sondern auch gemein. - Da bist du bei Shakespeare auf der sicheren Seite. Du spielst garantiert die richtig fiesen Kerle.“

Mein Leben im Heim lehrte mich, dass es sehr schmerzhaft war, sich mit den Stärkeren anzulegen. Dessen ungeachtet gab es eine Grenze des Erträglichen! Aidan sollte merken, dass es besser für ihn war, mich nicht gegen sich aufzubringen. Ich hatte eigene Methoden. Mord gehörte nicht dazu. Andererseits kam ich für einen kurzen Moment in Versuchung, die Sache mit dem Gift zu überdenken.

„Also, wann gibt es Dinner?“ fragte Aidan lediglich und ignorierte meinen Ausbruch.

„Ich werde dich informieren“, erwiderte ich kühl und machte mich auf den Weg in die Küche.

Pasta gegen Sex

Die Küche war gigantisch. Die Schränke und der gescheuerte Esstisch, ein Erbe des ausgehenden 19. Jahrhunderts, verströmten ihren eigenen Charme. Aidan hatte nicht zu viel versprochen. Der alte Kühlschrank und die Speisekammer waren gut gefüllt. Es sah aus als hätte er einen Feinkostladen geplündert. Mit diesen Vorräten konnte ich eine Großfamilie satt bekommen.

Ich schaltete das alte Röhrenradio auf der Fensterbank ein und staunte, welchen Sound es ausspuckte, nachdem sich die Röhren aufgewärmt hatten. Passend zum Ambiente ertönte Glenn Millers „in the Mood“. Während ich mit einem jazzigen Hüftschwung das Dinner zubereitete, drifteten meine Gedanken zu meinem Mitbewohner ab.

Was trieb Aidan, sich auf dieses Experiment einzulassen? Immerhin stimmte er bei dem Gespräch mit Mister Smith auf Anhieb für den Verkauf des Anwesens. Vielleicht war er scharf auf den Phantomschatz?

Aidan brachte den Löwenanteil der finanziellen Mittel in unsere Zwangs-WG ein. Ich befürchtete, dass er mir einen gewissen körperlichen Einsatz abringen würde. Aidan war ein äußerst attraktiver Mann. Das kupferfarbene Haar legte sich in weichen Wellen um das Gesicht mit den sinnlichen Lippen, der aristokratischen Nase. Unter sanft geschwungenen Brauen kamen seine Wahnsinnsaugen hervorragend zur Geltung. Auf der anderen Seite gab er sich kalt, arrogant, spöttisch und unnahbar. Und doch, vielleicht existierte eine kleine Ecke in seinem Herzen, die nicht so hart war, wie er mich Glauben machen wollte. Diese ganze „Konto–Punkte-Geschichte“ war ein guter Vorwand sich sein Entgegenkommen nicht anmerken zu lassen.

Es dauerte nicht lange und ich hatte Pasta al Funghi und einen Salat gezaubert. Ich liebte es zu kochen. In meinem früheren Leben verfügte ich selten über genug Geld, so gute Nahrungsmittel zu kaufen. Wenn Aidan wüsste, wie ich mir meinen Lebensunterhalt verdiente, wäre er noch weniger erfreut, unter einem Dach mit mir zu leben.

„Essen ist fertig!“, brüllte ich die Treppe hinauf.

Eine Minute später saß Aidan am Küchentisch.

„Hm, das duftet fantastisch. Ich würde gerne behaupten, ich hätte gewusst, dass du so gut kochen kannst, aber…“

„Aidan verschone mich. Was immer du gedacht hast, vergiss es. Setzt dich. Iss. Ich habe einen Mordshunger.“

„Da will ich dir nicht im Weg stehen - metaphorisch gesehen. - Soll ich den Wein öffnen?“

„Nicht fragen. Tun.“

Ich füllte die Teller und setzte mich ihm gegenüber. Aidan goss den Wein ein und hob sein Glas.

„Auf unser Wohl“, seine grauengrünen Augen wirkten in dem Licht der alten Küchenlampe dunkel, wie aufgewühlte See. Mein Herz machte einen unangebrachten Hopser.

„Auf unfallfreies Zusammenleben“, prostete ich ihm zu.

Ich durfte mich von seiner rätselhaften Aura nicht aus der Ruhe bringen lassen. Dabei hatte ich eine Schwäche für Charaktere mit Ecken und Kanten. Jedenfalls in meinen Geschichten. Im wahren, echten Leben konnte das unwägbare Risiken in sich bergen.

„Magst du Jazz?“, fragte Aidan.

„Sehr. Ich habe den Verdacht das Radio ist zu alt um neuzeitliche Musik zu spielen.“

„Wahrscheinlich brennen dann die Röhren durch“, Aidan grinste.

„Magst du Jazz?“

„Ja. Kennst du das Tazz? Dort gibt’s die beste Jazz Musik in ganz London.“

„Ich habe davon gehört. Leider liegen diese Clubs außerhalb meines Budgets.“

„Das Schreiben bringt dir nicht viel Geld ein?“

War das eine seiner provozierenden Fragen? Ich sah Aidan forschend an. Sein Blick war ernst und offen.

„Nicht wirklich. Es reicht gerade so.“

Ich log, ohne mit der Wimper zu zucken, und fühlte mich jämmerlich.

„Durchhalten ist die Devise. Wenn andere nicht an dich glauben, musst du es stärker tun.

Wenn du fällst, steh wieder auf. Immer einmal mehr als die anderen.“

In seiner Stimme schwang Bitterkeit mit. Aidan meinte nicht nur mich. Ich suchte nach den richtigen Worten. Mir fielen nur sinnlose Worthülsen ein. Aidan ließ für einige Augenblicke die Scharade fallen und zeigte seine wahren Gefühle. Ich war gespannt, mehr davon zu erleben. Den Menschen Aidan hinter dem Schauspieler zu erkennen.

Wir beendeten unsere Mahlzeit schweigend und hingen unseren Gedanken nach. Im Hintergrund spielte das Radio Louis Armstrong’s „It`s a wonderful world“.

Aidan begleitete mich zu meiner Zimmertür. Breitwillig hatte er geholfen die Küche wieder in einen ansehnlichen Zustand zu versetzten.

„Danke für das gute Essen.“

Seine sanfte Stimme löste bei mir eine Gänsehaut aus. Er nahm meine Hand, strich mit dem Daumen über meinen Handrücken. Mein Herz machte einen Satz, aber mein Verstand sagte: Fall nicht auf diese Romeotour rein. Der Mann ist Schauspieler. Das kann hässlich enden.

Aidan beugte sich vor und sein Mund kam meinem ganz nah. Es wäre ganz einfach die Augen zu schließen und sich hinzugeben, aber das hätte mir nicht gereicht. Pasta gegen Sex kam nicht infrage.

„Tut mir leid Aidan. Ich kann das nicht.“ Ich entzog ihm meine Hand. „Gute Nacht.“

Hastig schloss ich die Tür hinter mir. Er sollte nicht sehen, wie sehr mich seine Berührung aufwühlte und verwirrte.

Der erste Morgen

Der nächste Morgen fing für einen englischen Novembertag typisch an. Eine weiße Sonnenscheibe erstritt sich ihren Weg durch feuchte Nebelschwaden.

Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, wo ich mich befand. Aidan fiel mir ein. Dieser merkwürdige Blick, als ich ihm meine Hand entzog. Aber da war mehr. Träume. Viele diffuse Träume. Normalerweise fiel ich in einen tiefen Schlaf, sobald mein Kopf das Kissen berührte. Umso mehr beunruhigte mich das Gefühl, als ich versuchte die Bilder zurückzurufen. Ich erinnerte mich nicht an eine besondere Handlung. Nur an Dunkelheit und Furcht. Wie lähmende Giftpfeile steckten die Schrecken in meinem Körper.

Benommen kroch ich aus meinem kuscheligen Nachtlager und riss eine der Terrassentüren auf. Die kalte, feuchte Luft strömte herein und überspülte meinen Körper wie ein Schwall Eiswasser. Ich atmete heftig ein und aus und fing an zu zittern. Der Kälteschock erfüllte seinen Zweck. Das beklemmende Gefühl verschwand.

Ich schloss die Tür und drehte die alten Heizkörper auf. Dann begab ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Waschgelegenheit. Meine paar Habseligkeiten einzuräumen nahm nicht viel Zeit in Anspruch, dann hatte ich endlich Zeit zu schreiben. Ein beflügelnder Gedanke.

Im Erdgeschoss gab es, außer einer winzigen Gästetoilette, nichts, das einem Badezimmer ähnlich sah. Vermutlich befanden sich die Bäder in den oberen Räumen. Dort wo die ursprünglichen Schlafräume lagen. Tatsächlich fand ich die Bäder. Allerdings floss aus den Wasserhähnen nur eiskaltes Wasser und manche spuckten nur, ohne einen Tropfen Wasser abzugeben.

Ich stand vor Aidans Zimmerflucht. Ob er warmes Wasser hatte? Vorsichtig klopfte ich an. Keine Reaktion. Ich klopfte lauter. Wieder blieb alles still. Ich drückte die Klinke herunter. Die Tür war nicht abgeschlossen. Bemerkenswert, das hätte ich Aidan gar nicht zugetraut. Immerhin kannten wir uns nur ein paar Stunden.

„Hallo! Aidan bist du wach?“

Keine Antwort. Ich trat ein und sah mir Aidans Zimmer an. Er hatte gut gewählt. Im Wohnzimmer gab es einen Ausgang auf den großen Balkon, der zur Vorderseite des Hauses lag und von dem man die Allee einsehen konnte. Alles war zweckmäßig eingerichtet, doch nicht ungemütlich. Auf seinem Schreibtisch lagen Papiere und Manuskripte. Es waren Texte für neue Theaterstücke. Ich betrat das Schlafzimmer und fühlte mich als Eindringling. Ein riesiges Himmelbett stand in der Mitte des Raumes.

Während ein erfahrener Liebhaber junge Frauen auf weichen Kissen verführte, konnten samtene Vorhänge das lasterhafte Geschehen in seinem Innern verbergen. Es erinnerte an einen Film, den ich über Henry VIII gesehen hatte. Der Mann hielt mehr Mätressen, als er verkraften konnte.

Hatte sich Aidan seine Anna Boleyn schon ausgesucht? Ich verstieg mich in wilde Fantasien. Es war nicht einfach den Gedankenstrom zu stoppen, nachdem er sich erst in Gang setzte.

Ich wendete mich der nächsten Tür zu. Ein Zettel hing draußen: „Bedien dich. Aidan“. Es war das Badezimmer. Ich schüttelte den Kopf. Typisch für ihn. Sicher dachte er, es sei besser mir gleich zu erlauben sein Bad zu benutzen, da ich es sowieso tat. Mit Recht. Ich hätte es benutzt, mit oder ohne seine Erlaubnis.

Das Bad stammte noch aus mittelalterlichen Zeiten. Die dunkelgrünen Fliesen waren feinste Handarbeit teilweise bemalt. Die Wanne stand frei auf vier Löwenklauen im Raum. Es gab zwei gigantische viereckige Waschbecken über denen geschliffene Spiegel hingen und in einer Nische eine Toilette. Das sinnvollste Zugeständnis an den Fortschritt war ein Boiler für heißes Wasser.