Das Geheimnis von Talmi'il - Tea Loewe - E-Book
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Das Geheimnis von Talmi'il E-Book

Tea Loewe

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Beschreibung

Dies ist die vollständig überarbeitete Auflage von "Das Geheimnis von Talmi'il" Zwei Königreiche - eine uralte Fehde - eine Todeswelle aus Magie Soohl wäre lieber Kampfmagier, als sich mit Novizen an der Akademie zu plagen. Seinen besten Freund Migal quälen die Pflichten der Thronfolge. Beide brechen aus ihrem Alltag aus, als der tyrannische König aus dem Norden vor der Grenze zum Zarkonischen Reich aufmarschiert. Doch die Rettungsmission, auf die man die beiden schickt, führt entgegen ihren Vorstellungen fort von der Front. Sie sollen einer Spur zu einem Artefakt folgen, mit dem sie die alles vernichtende Todeswelle des Feindes stoppen können. Als ein erbarmungsloser Krieg entbrennt, beginnt für Soohl und Migal nicht nur ein Wettlauf gegen die Zeit, sondern auch einer gegen Migals Stursinn, der rasch zu einer Gefahr für das gesamte Unterfangen wird. Ein Highfantasy-Roman für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren - düster, episch und voller Abenteuer.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

KARTE DES ZARKONISCHEN REICHES

DRAMATIS PERSONAE

Prolog

Erster Teil

1 Neue Aufgaben

2 Dunkle Wolken am Horizont

3 Magiewelle

4 Eine verzweifelte Mission

5 Machtkämpfe

6 Ungünstige Vorzeichen

7 Widerstände

8 Folgenschwere Fehler

Zweiter Teil

9 Konsequenzen

10 Die Ruinen von Talmi'il

11 Hoffnungsfunken

12 Rückzug

13 Kämpfe

14 Bündnisse

15 Letzte Offensive

16 Sieg und Niederlage

Epilog

LESEPROBE AUS

WEITERE WERKE VON UND MIT DER AUTORIN

DANKSAGUNG

Über das Buch:

Zwei Königreiche - eine uralte Fehde - eine Todeswelle aus Magie

Soohl wäre lieber Kampfmagier, als sich mit Novizen an der Akademie zu plagen. Seinen besten Freund Migal quälen die Pflichten der Thronfolge. Beide brechen aus ihrem Alltag aus, als der tyrannische König aus dem Norden vor der Grenze zum Zarkonischen Reich aufmarschiert. Doch die Rettungsmission, auf die man die beiden schickt, führt entgegen ihren Vorstellungen fort von der Front.

Sie sollen einer Spur zu einem Artefakt folgen, mit dem sie die alles vernichtende Todeswelle des Feindes stoppen können. Als ein erbarmungsloser Krieg entbrennt, beginnt für Soohl und Migal nicht nur ein Wettlauf gegen die Zeit, sondern auch einer gegen Migals Stursinn, der rasch zu einer Gefahr für das gesamte Unterfangen wird.

Ein Highfantasy-Roman für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren - düster, episch und voller Abenteuer.

Über die Autorin:

Tea Loewe wurde 1985 in der Buch- und Messestadt Leipzig geboren. Schon in ihrer Kindheit blühte ihr Kopf voll Fantasie – egal ob Schule, Projekte oder Freizeit: Kreativität ist schon immer ein fester Bestandteil ihres Lebens. Mit einem Austauschjahr in den USA erweiterte sie ihre sprachlichen Fähigkeiten. Nach dem Abitur studierte sie Psychologie an der Universität Leipzig und arbeitet seither im therapeutischen Bereich. Ihre Schriftstellerkarriere kam 2017 ins Rollen. Seither veröffentlicht sie unter verschiedenen Pseudonymen Kurzgeschichten und Romane. Das Geheimnis von Talmi'il war ihr Debüt und erscheint nun in vollständiger Überarbeitung neu.

Weitere Infos unter:

Das Geheimnis

von Talmi'il

TEA LOEWE

Dark Highfantasy

Copyright ©2024 Tea Loewe

3. vollständig überarbeitete Auflage

www.tealoewe.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 9783759272997

Imprint: Independently published

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung der Herausgeberin. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Der Text des Romans ist ohne Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz geplant und verfasst worden. Sämtliche Personen, Orte und Ereignisse dieses Werkes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, egal ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Impressum:

Herausgeberin der Auflage: Tea Loewe, c/o Eva Töpelt, Bornaische Str. 200, 04279 Leipzig. Lektorat/Korrektur: C. Hoffmann, M. Jänisen, T. Loewe. Druck: Kindle Direct Publishing. Buchsatz: Tea Loewe. Umschlaggestaltung: Tea Loewe. Stockfotos Umschlag/ Kapitelzierden via Pixabay mit freier Inhaltslizenz, Stand 20.03.2024, Stockfotos laut Angaben teils K I-unterstützt erstellt und umfassend bearbeitet. Verwendete Schriftarten: Deutsch Gothic, Crimson, Clarendon – free fonts, Stand 01.04.2023 sowie Abolition (erworbene Lizenz. Map erstellt mit Inkarnate-Lizenz.

Für die wichtigsten

Menschen in meinem Leben:

meinen Mann und meine Kinder.

Ich liebe euch!

KARTE DES ZARKONISCHEN REICHES

DRAMATIS PERSONAE

Zarkons Reich

Königshaus

König Zarkon, oberster Befehlshaber

Migal Zarkon, Sohn des Königs

Sanni und Miila, Töchter des Königs

Stadt Zaggart

Carviin, Kriegsmeister; Leiter der Schlosswache

Goolur, Handels- & Wirtschaftsmeister

Mantulin, Finanzmeister

Hurrin, Gildevertreter

Oklorn, Gildevertreter

Tuumla Wandill, Truppenvorsteher

Gartoll, Leiter des Nachrichtendienstes

Laxie, Hure im Lusthaus

Akademie von Zaggart

Lewanduul, Hochmagier; Leiter der Akademie

Soohl Kenton, Magier und Lehrmeister

Albin Wertram, Magier

Valia Gaskiin, Magierin

Tiana, Novizin

Jannel, Jonus, Novizen

Detluff, Wolan, Novizen

Medicus Fraan, Mediziner der Akademie

nördliche Grenzwache

Klaanis Dedanon, Leiter der Grenzwache

Novaan, Obermagier an der Grenze

Wehsin, Magier an der Grenze

Keelin, Magier an der Grenze

Ralunk, Kämpfer an der Grenze

Wellon, Kämpfer an der Grenze

Fiiruk, Kämpfer an der Grenze

Schwesternorden von Dunali’il

Lukraatia, Oberhaupt der Schwesternschaft

Aani Lavion, Ordensschwester

Sina Dendrior, Ordensschwester

Rojasi Flam, Ordensschwester

Joni Flam, Ordensschwester

Tia Walhum, Ordensschwester

Schwester Ems, Ordensschwester

Schwester Holwa, Ordensschwester

Schwester Sall, Ordensschwester

Schwester Tinka, Ordensschwester

Lekrami‘il und andere Städte

Filia Orrin, Jägersfrau aus Lekrami’il

Naagi Tamron, Wirt in Lekrami’il

Marcin, Wirt vom Fallenden Fisch in Fingurt

Tulamnits Reich

König Tulamnit, Herrscher des Nordens

Yerron, oberster Befehlshaber

Paltin, Befehlshaber

Jomal, oberster Magier Tulamnits

Prolog

Aani Lavion nahm das letzte Stück ihres Dunkelbrotes, als ein Schatten neben ihr am Tisch auftauchte.

Ohne eine Aufforderung abzuwarten, sprach eine weibliche Stimme aufgeregt auf sie ein: »Werte Schwestern von Dunali’il, ich … mein Mann … ihm geht es nicht gut. Bitte, seht nach ihm. Ich kann auch gut bezahlen.«

Aani würdigte die Frau keines Blickes. Absichtlich hörbar seufzte sie auf und schüttelte den Kopf. War es denn wirklich zu viel verlangt, sie und Sina nach der vergangenen Nacht in Ruhe frühstücken zu lassen?

Noch kauend entgegnete sie: »Wir sind beim Essen. Das seht Ihr doch.«

»Es geht ihm wirklich schlecht. In den letzten Tagen ist er immer schwächer geworden, und …«, die Stimme der Frau brach. »Ich weiß einfach nicht, weshalb.« Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern.

Völlig unbeeindruckt schluckte Aani ihren Bissen hinunter. Sie öffnete den Mund, um zu einer Abweisung anzusetzen, doch ihre Ordensschwester, Sina Dendrior, kam ihr zuvor. »Wir sind ohnehin fertig, nicht wahr, Aani?« Der vorwurfsvolle Klang in ihrer Stimme wurde von einem tadelnden Blick begleitet. Wie so oft. »Bislang gab es keine weiteren Ersuche, also werden wir uns Euren Ehemann ansehen.«

Aani blies sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht und schaute zu der Besucherin auf.

Mit dem verdreckten Gesicht und den geschundenen Händen wirkte die Hilfesuchende wie eine Bäuerin. Entgegen der Andeutung war es unwahrscheinlich, dass sie gut zahlen konnte. Was den Zustand ihres Mannes betraf, so hatte Aani ihr wohl Unrecht getan. Die Frau wirkte verstört und den Tränen nahe.

»Nun gut«, seufzte Aani und ergriff den vor ihr stehenden Becher Morgenbräu. Im Aufstehen schluckte sie den Rest hinunter und richtete sich an die besorgte Ehefrau. »Wie heißt Ihr?«

Die Alte – sie musste um die sechzig sein – traute sich kaum zu atmen. »Orrin«, brachte sie mühsam heraus. »Ich heiße Filia Orrin.«

»Gut, Frau Orrin«, sagte Aani, warf sich die Fellweste über und schob sich an der Alten vorbei in Richtung Wirtshaustür. »Führt uns zu Eurem Mann.«

Im Gehen hörte sie, wie Sina die Ehefrau mit einfühlsamen Worten aus der Starre holte. »Hallo Frau Orrin, ich bin Schwester Sina Dendrior. Verzeiht meiner Mitschwester und Freundin Aani Lavion den barschen Umgang. Wir haben eine anstrengende Nacht hinter uns. Bitte zeigt uns den Weg.«

Aani öffnete die Wirtshaustür und ließ den beiden anderen Frauen den Vortritt. Sie folgte und fand sich augenblicklich im Trubel des frühmorgendlichen Marktgeschehens von Lekrami’il. Die Kälte des einbrechenden Winters stach in Aanis Wangen und verwandelte ihren Atem in Nebelwölkchen.

Zwischen vollen Marktständen zwängten sie sich über den zentralen Platz der Jäger- und Holzfällerstadt im Osten des Zarkonischen Reiches, einer der Hauptwirkstätten der Schwesternschaft.

Wenigstens sah die Hilfesuchende ernsthaft besorgt aus. Wenn Aani eines überhaupt nicht leiden konnte, dann dringliche Gesuche, die sich als harmloser Schnupfen entpuppten.

Auf der anderen Seite des Platzes angekommen, schob sich Aani näher an Sina und die Alte heran. »Erklärt mir, weshalb Ihr Euch um Euren Mann so sorgt.«

Frau Orrin hielt an, als müsste sie sich sammeln, dann ging sie weiter. »Er war jagen. Im nördlichen Wald. Vor sechs Tagen. Seither wirkt sein Gesicht so grau wie Asche.« Sie atmete flach und wirkte gehetzt, obwohl ihr Schritttempo eher einem zügigen Spaziergang glich. »Er ist völlig ausgemergelt. Stur, wie er ist, will er keine Hilfe. Ich habe Angst um ihn.«

Aani runzelte die Stirn. »Ist im Wald etwas passiert? Hat ihn vielleicht ein wildes Tier gebissen?«

Die Alte schüttelte den Kopf. »Das wäre mir aufgefallen. Er hat ein Reh erlegt. Die Erträge sichern uns den Winter. Doch sonst gab es nichts Auffälliges.«

»Hat er sich übernommen?«

»Ich weiß es nicht.« Sie schluchzte auf und mit den Tränen sprudelten die Worte aus ihr heraus. » Er mag alt aussehen. Aber sein Körper ist kräftiger als der manch Vierzigjähriger. Weder lange Strecken noch Kälte machen ihm etwas aus. Zumindest bis vor wenigen Tagen. Ihr müsst wissen, dass uns im letzten Mond die Beute fernblieb. Er muss für die Suche weit in den nördlichen Wald gegangen sein, aber gewiss nicht über die verbotene Grenze hinaus!«

Vermutlich das Alter, wollte sie erwidern, biss sich aber auf die Lippen.

Nach Durchqueren einiger Seitengassen erreichten sie das Ziel. Die Alte hielt vor einem schmalen Zweigeschosser aus Holz, der von weiteren Häusern derselben Bauweise flankiert wurde. Sie öffnete die Tür und stieß einen entsetzten Schrei aus. An ihr vorbei erblickte Aani einen Mann, der bäuchlings in verdrehter Haltung am Fuß der Stiege lag.

Seine Frau hatte sich bereits über ihn gebeugt. »Als ich fortging, war er noch oben.« Tränen liefen ihr in Bächen die Wangen hinab.

Aani sah zu Sina hinüber. Im stummen Einverständnis eilten beide ebenfalls zu dem Alten.

»Wir kümmern uns um ihn«, beruhigte Sina die aufgewühlte Ehefrau und trug ihr auf, ein Kissen für den Kopf des Kranken und warme Tücher zu holen.

Während die Jägersfrau auf der Treppe nach oben verschwand, hatte Aani am Körper und im Aurenfeld des etwa Sechzigjährigen bereits nach Lebenszeichen gesucht und zu ihrer Erleichterung auch gefunden. Sein Herz schlug, wenn auch sehr unregelmäßig. Der Atem war kaum spürbar. Die Ursache dafür lag eindeutig nicht im Sturz, sondern in seiner nichtmagischen Hülle. Wild pulsierte das blassgraue Aurenfeld des Kranken, als folgte es einem Tanz.

Behutsam drehten Aani und ihre Mitschwester den Bewusstlosen auf den Rücken. Dabei fiel eine Kette mit einem Wolfsanhänger aus dessen Brusttasche und rutschte hinab auf den Boden. Als das Edelmetall die nackte Haut am Arm des Jägers berührte, sandte es einen Magiestoß in dessen Aurenfeld.

Erschrocken ließ Aani von ihm ab.

Auch ihre Mitschwester schien es bemerkt zu haben, denn sie sah stirnrunzelnd zu Aani herüber. Gleichzeitig löste sie einen dicken Lederbeutel von ihrem weißen Gürtel.

Aani hatte Sinas Absicht verstanden und kanalisierte in ihrem Aurenfeld magische Energie. Wellengleich umströmte sie der gewohnte flammenrote Mantel mit den kupferfarbenen Schlieren und kitzelte ihre Haut. Sie steuerte die Magie in ihre Fingerspitzen und schob die Luft um das Amulett so fest zusammen, dass sie es darin einschließen konnte. Auf keinen Fall wollte sie dieses Ding mit bloßen Händen berühren. Mithilfe weiterer Magie brachte sie die Luft um den Anhänger herum in Bewegung. So dirigierte sie das schwebende Bündel, in den Beutel hinein.

»Was ist das?«, flüsterte Aani besorgt.

Ihre Ordensschwester deutete ein Kopfschütteln an. »Ich habe keine Ahnung, und es passt keinesfalls in dieses Haus. Es bedingt seinen Zustand. Sein Aurenfeld verliert stetig an Energie, als würde sein Leben verzehrt.«

In diesem Moment kehrte Filia Orrin zurück. Die letzten Worte musste sie gehört haben, denn sie schluchzte erneut auf. »Bitte, Ihr müsst ihm helfen!«

»Wir werden alles versuchen«, antwortete Sina. »Holt uns bitte mehr warme Tücher.«

Filia Orrin nickte und entfernte sich erneut.

Aani beugte sich über den Jäger, schloss die Augen und verfiel in tiefe Konzentration, so wie sie es vor Jahren gelernt hatte. Sie schob alles Unwichtige in den Hintergrund und begann, mit ihrer Magie nach dem Aurenfeld des Jägers zu tasten. Dafür legte sie ihre Hände auf dessen Brust.

Nun lagen seine blassgraue Hülle und ihre eigene, feuerrote ineinander. Auf diese Weise konnte sie leichter Einfluss nehmen.

Das fremde Aurenfeld, auch wenn es nicht magisch war, bewirkte ein Prickeln an ihren Fingerspitzen. Sie spürte, wie der Mantel aus Lebensenergie den Alten umgab, jedoch nicht gleichmäßig und fließend, sondern stürmisch, rau, chaotisch. Seine magische Hülle glich der eines Achtzigjährigen. Das war kein gutes Zeichen.

Wollte sie ein vorzeitiges Zusammenfallen verhindern, musste sie sich beeilen. Schaffte sie es nicht, bedeutete das seinen sicheren Tod.

Mit ruhigen und gezielten Handbewegungen versuchte Aani, das fremde Aurenfeld zu glätten und zu stabilisieren, doch die stetige Verwirbelung, der es ausgesetzt war, ließ nicht nach. Ihre Versuche liefen ins Leere und verpufften ergebnislos.

Als nächstes führte sie dem Energiemantel gezielt eigene Magie zu. Die Hülle des Jägers verzehrte sie sofort, pulsierte kurzzeitig stärker und verwirbelte alles aufs Neue.

Das war völlig untypisch für ein Aurenfeld. Verdammt! Mit den üblichen Mitteln ließ sich der Verfallsprozess bestenfalls verzögern, nicht jedoch aufhalten.

Während sie es in ihrem Tunnel aus Konzentration verzweifelt wieder und wieder versuchte, sprach Sina beruhigend auf die Jägersfrau ein. Aani hörte die Worte nicht. Fassungslos musste sie mitansehen, wie die Hülle des Alten weiter zerfiel. Die Energiestruktur löste sich regelrecht auf.

Angst ergriff sie. Nur mühsam hielt sie die Konzentration und Ruhe für den Heilungsprozess aufrecht. Der Mann hatte noch wenige Augenblicke zu leben und sie konnte nichts tun. Sie kam sich unfähig vor. Noch nie war einer ihrer Patienten vor seiner Zeit gestorben.

Verzweifelt starrte sie auf den Todessturm, der durch das Aurenfeld des Jägers tobte. Eine Mischung aus Pastellviolett und Beige schob sich in ihren Magieblick. Sinas Anwesenheit beruhigte Aani umgehend. Sie nahm den Fokus von den blassgrauen Wirbeln und orientierte sich einige Atemzüge lang an den farbigen Linien ihrer Mitschwester. Dann schwenkte sie den Blick zurück auf die Aufgabe. Mit vereinter innerer Stärke versanken sie in einem letzten Rettungsversuch.

Während Aani die schützende Hülle weiter mit Energie versorgte, versuchte Sina, die Verwirbelungen zu glätten. Die nächsten qualvollen Atemzüge kamen ihr vor wie eine Ewigkeit. Sie kämpften gegen etwas, dass sie nicht verstanden. Als würde sich das Aurenfeld des Kranken den üblichen Gesetzen der Heilungsprozesse verwehren. Als wäre es verändert.

Gerade wollte Aani einen weiteren Energieschub in die Hülle schicken, als die Brust des Jägers aufbebte.

Im nächsten Augenblick fiel sie schlaff in sich zusammen. Vorbei.

Aani öffnete ihre brennenden Augen. Der Blick in das schmerzverzerrte Gesicht Filia Orrins wollte ihr Tränen auf die Wangen treiben, doch sie unterdrückte sie, so gut es ging.

»Es tut uns leid«, setzte Sina an.

Die Jägersfrau blinzelte, als würde sie erst jetzt verstehen. Mit einem Schrei fiel sie auf die Knie. »Nein! Nein! Bitte nicht! Nein!« Von Krämpfen geschüttelt, vergrub sie den Kopf auf der Brust ihres Mannes.

Sina ergriff sanft die Schulter der weinenden Witwe. »Er war schon zu schwach, sein Herz hat aufgehört zu schlagen. Ich wünschte, wir hätten ihn retten können. Glaubt mir!«

Filia Orrin nahm die Worte kaum wahr. Die Frau schluchzte und bebte, während sie das verlorene Leben ihres Mannes beweinte. »Warum nur? Jako, was soll ich denn ohne dich machen? Nein! Bitte! Nein!«

Gemäß dem Totenbrauch standen Aani und ihre Ordensfreundin auf, um Filia Orrin allein neben ihrem Mann trauern zu lassen. Als sie die Frau des Jägers so voller Verzweiflung sah, stiegen Aani erneut die Tränen in die Augen. Was nur war passiert, dass nichts, aber auch gar nichts hatte helfen können?

Sinas Finger legten sich um ihre klammen Hände. Sie wollten den Tod, so unausweichlich er war, nicht hinnehmen.

Sie erwiesen dem Toten die letzte Ehre, indem sie ein Lied zu dessen Gedenken anstimmten. Sanft und tröstlich zugleich sangen sie gemeinsam, während Filia Orrin um ihren Mann trauerte.

Ruhe sanft in tiefem Frieden,

Fliege furchtlos nun hinfort.

Trost den Hinterbliebenen,

Wünschest du von fernem Ort.

Als das Lied verklungen war, bedeutete Aani Sina, ihr aus dem Haus zu folgen. Für einen Toten nahmen sie kein Geld. Auch die Bestattung lag nicht in der Hand des Heilerinnen-Ordens. Daher hielt sie auch nichts an diesem Ort.

Draußen atmete Aani tief durch. »Gut, dass du ihr nicht den wahren Grund seines Todes genannt hast.«

»Sie hätte es sowieso nicht verstanden. Du weißt, dass Nichtmagier das Aurenfeld nicht spüren.«

»Und ich weiß auch, was für den Tod verantwortlich war.«

Sina nickte zustimmend. Sie vergewisserte sich, dass niemand zusah, und nahm den Lederbeutel von ihrem weißen Gürtel. Mithilfe von Magie holte sie die darin enthaltene Kette hervor.

Aani staunte nicht schlecht. Vor ihr in der Luft schwebte eine feingliedrige Kette, an der ein Anhänger in Form eines Wolfes befestigt war. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie das fingerlange Tier betrachtete.

Wer auch immer diese Kette gefertigt hatte, war ein Meister seines Faches. Die filigranen Details im Silbermetall erweckten den Eindruck, der Wolf jage im Lauf. Sogar die sehnigen Beine und die Zähne im Maul des Tieres konnte Aani erkennen. In den winzigen Augenhöhlen steckten grüne Edelsteine, die das Licht einfingen und zu leuchten schienen.

Rasch ließ Sina das Schmuckstück zurück in den Beutel gleiten.

Aani warf unterdessen einen Blick in die Ferne. Irgendwo im Norden Lekrami’ils begann die verbotene Zone, das Sperrgebiet um Talmi’il. Auch wenn von den Barrieren, die das Gebiet einst umgaben, nichts mehr übrig war, so galt der Bereich um die alte, in den Fels geschlagene Stätte als verflucht. Niemand ging freiwillig dorthin.

Sina trat neben sie. »Du denkst dasselbe wie ich?«

»Er wird die Kette kaum von einem Händler bekommen haben. Das hätte er sich nicht leisten können.«

Sina nickte zustimmend. »Dann glaubst du auch, er hat sie in der Sperrzone gefunden?«

»Zumindest wohnt dem Amulett eine Magie inne, die wir nicht verstehen. Wir müssen sie zum Orden bringen.«

»Ich habe die Ehefrau befragt. Sie schien von der Kette keinerlei Kenntnis zu haben. Demnach wird sie das tödliche Schmuckstück nicht vermissen.«

Aani erinnerte sich an ein Gespräch, dessen Inhalt sie nicht verfolgen konnte, weil sie mit Heilungsversuchen beschäftigt war. »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«

»Nein.«

Das war unbefriedigend. Ihnen blieb in der Zwischenzeit nur, Oberschwester Lukraatia von dem Amulett zu unterrichten.

Entschlossen sah Aani Sina in die Augen. »Ich schwöre dir, ich werde herausfinden, was es mit der Kette auf sich hat und wieso der Jäger daran sterben musste. Egal, wie lange es dauert.«

Erster Teil

Der Pfad des Krieges

1 Neue Aufgaben

Die Akademie von Zaggart verfügte mit ihrer eindrucksvollen Architektur über eine Aura, der sich Soohl Kenton selbst nach all den Jahren nicht entziehen konnte. Wann immer er diesen Ort betrat, erfüllte ihn Ehrfurcht.

Auf dem Dach des riesigen Komplexes wehte eine leuchtend rote Fahne, auf der mit weißen Seidenfäden das Symbol für Magie und Wissen eingestickt war: ein dickes Buch, das in einen magischen Strudel hineingesaugt wurde.

Die dreiflügelige Eingangstür, auf die Soohl zuschritt, wirkte einladend und abschreckend zugleich. Sie weckte die Neugier nach all dem Wissen, das dahinter gelehrt wurde, schüchterte Neuankömmlinge durch ihre schiere Größe aber auch ein. Zumindest war es ihm vor achtzehn Jahren so gegangen.

Er betrat den Flur der Akademie. Sofort brach die hektische Atmosphäre der durch die Gänge eilenden Menschen auf ihn herein. Studenten, Novizen und Schüler wuselten umher, begrüßten sich und verteilten sich auf Lehrräume.

Zielstrebig passierte Soohl den Flur im unteren Stockwerk. Er kannte die hier Lernenden kaum. Nur Kinder reicher Eltern nahmen an der Lehre in Rechnen, Bauwesen, Naturwissenschaften, Medizin oder Wirtschafts- und Handelswesen teil. Von ihnen gab es in Zaggart genügend. Die Hauptstadt von Zarkons Reich bot den besser betuchten Einwohnern ein genussreiches Leben. Eines, das Soohl auch gern gelebt hätte. Doch der alte Lewanduul hatte ihn vor acht Jahren mit Abschluss der Lehrjahre an diesen Ort gebunden.

Er nickte einigen Lehrmeistern, die ihm begegneten, zur Begrüßung zu. Dann stieg er über die breite Treppenflucht am Ende des Ganges hinauf in das erste Stockwerk.

Hier oben bildete die Akademie die Novizen aus, die jährlich im Reich ausfindig gemacht werden konnten. Mit einer magischen Begabung geboren zu werden, war zufällig und sehr selten. Daher galt es als große Ehre. Wie oft Soohl diesen Satz gehört hatte! Er hasste ihn und predigte ihn doch selbst oft genug.

Er konnte sich gut erinnern, wie seine Ziehmutter vor Stolz geweint hatte, als bei ihm im Alter von zehn Jahren das Potential entdeckt wurde. Der Magier, der damals die noch unreifen dunkelblauen und onyxschwarzen Magielinien in Soohls Aurenfeld ausfindig machte, lud ihn nach Zaggart ein. Er erklärte ihm zugleich in aller Deutlichkeit die Konsequenzen, sollte er sich verweigern. Die Gefahr, von der in seinem Aurenfeld heranwachsenden Magie mangels Kontrolle getötet zu werden, hatte Soohl damals große Angst gemacht. Selbst heute noch bescherte ihm der Gedanke eine Gänsehaut.

Im ersten Stockwerk angekommen, strebte Soohl geradewegs auf seinen Lehrraum zu.

Wie erwartet alberten seine Novizen auf dem Gang herum und fanden kein Ende, obwohl der Unterricht in einem halben Sonnentakt begann.

Soohl setzte eine grimmige Miene auf und steuerte auf die Gruppe zu. Mit Genugtuung sah er das Erschrecken in den Augen der Kinder, bevor sie durch die offene Tür in den Lehrraum eilten.

Wieso hatte der alte Lewanduul ihm nach der Jahreswende diese Grünschnäbel vorsetzen müssen? War es nicht Strafe genug gewesen, ihn am Ende seiner Studienzeit zum Lehrmeister zu ernennen? Auch nach acht Jahren Lehrzeit konnte er die Enttäuschung darüber nicht abschütteln. Immerhin hatte er den besten Abschluss seit über dreihundert Jahren erzielt und war bereit gewesen, das Reich nach innen und außen zu schützen. Und dann das!

Soohl folgte den Novizen und ließ die Tür in seinem Rücken mit magischer Hilfe zuknallen. Nun war er sich der ungeteilten Aufmerksamkeit seiner Lehrlinge gewiss.

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, entledigte Soohl sich des schwarzen Mantels und atmete durch. Mit Magie aus seinem Aurenfeld und einer gekonnten Fingerbewegung öffnete er eines der Fenster, bevor er sich der Gruppe zuwandte.

Während der ganzen Zeit hatte sich niemand gerührt, als wäre der Moment in einem Bild festgehalten, hätten nicht die roten Vorhänge im kühlen Frühlingswind geweht. Alle Augen im Raum lagen ehrfürchtig auf ihm, oder auch ängstlich. Was juckte ihn das?

»Wir werden uns heute mit weiteren historischen Grundlagen beschäftigen«, durchdrang seine tiefe Stimme die Stille. »Ich hoffe, ihr habt die Hausaufgaben erledigt.«

Wie erwartet senkten einige Novizen nervös den Blick.

»Jannel«, wandte er sich an einen von ihnen, »wie wäre es, wenn du beginnst und den anderen etwas über die Arbeit der Magier in unserem Reich erzählst?«

Jannel blickte sichtlich verunsichert auf. Mit einem Räuspern begann der Novize, den Stapel Bücher auf seinem Tisch zu durchwühlen. »Es muss hier irgendwo sein.«

Soohl gewährte ihm ein paar Herzschläge Zeit, dann tippte er hörbar mit dem Fuß auf den Boden.

»Entschuldigung, Magier Kenton.« Jannel blickte ihn schuldbewusst an. »Ich habe meine Ausarbeitungen im Novizenheim vergessen.«

»Vergessen«, wiederholte Soohl brummend. »Oder nicht gemacht?«

Dieser Junge gehörte zu denjenigen, die – aus armem Elternhaus kommend – vom Eintritt in die Akademie wirklich profitierten. Hier erhielt er nicht nur reichlich zu essen, sondern auch Kleidung, ein Heim, Bildung und ein Einkommen auf Lebenszeit. Aber das schien ihm nicht bewusst zu sein. Zu Jannels Pech kannte Soohl alle Ausreden und Tricks aus seinen eigenen zehn Jahren Lehrlingszeit.

»Du hast deine Ausarbeitungen selbst verfasst, richtig? Ich bin sicher, du kannst uns aus dem Kopf berichten.«

Das Gesicht des Novizen verlor an Farbe und er schluckte hart. »Nun ja«, begann er, sich am Hinterkopf kratzend. »Einige Magier sind an der Nordgrenze zu Tulamnits Reich postiert … andere an der Stadtmauer.«

»Mehr fällt dir nicht ein?«

Die Arme anderer Schüler reckten sich in die Luft, während Jannel mit einem kaum hörbaren »Nein« in seinem Sitz zusammensank.

»Du reichst die Hausaufgabe bis morgen in Form eines Tausend-Wort-Aufsatzes nach.« Soohl überging Jannels Aufstöhnen und wandte sich an die gesamte Gruppe. »Erlangt man den Abschluss als Magier an der Akademie, so hat man gemäß seinen Fähigkeiten auch Pflichten zum Erhalt der Ordnung im Reiche Zarkons zu erfüllen. Jannel hat bereits zwei genannt. Welche gehören noch dazu?«

»Die Patrouillen verteidigen, wenn sie angegriffen werden.«

»Schmuggler an der Grenze aufhalten.«

»Die nördliche Grenze magisch verstärken.«

»König Tulamnit eins auf den Helm geben, wenn er sich her traut.«

Soohl winkte den letzten Beitrag mit tadelndem Blick ab. »Wie oft haben wir darüber gesprochen, dass ihr euch in meinem Unterricht gewählt ausdrücken sollt. Aber genau dies ist der Grund, weshalb ihr im magischen Kampf ausgebildet werdet. Ihr sollt die besten Ordnungshüter des Reiches werden ‑ wobei wir verloren sind, wenn ihr so weitermacht wie bisher.« Soohl bedachte die Runde mit einem mürrischen Blick, woraufhin ausnahmslos alle die Köpfe senkten. Zufrieden fuhr er fort. »Wann war der letzte Nordaufstand?«

Ein junges Mädchen mit kurzen braunen Haaren hob die Hand. »Vor einundzwanzig Jahren, als Tulamnits Reich die nördliche Grenze angriff.«

Nun sah Soohl einem anderen Novizen direkt in die Augen. »Wie viele solcher Nordaufstände gab es in den letzten zweihundert Jahren?«

»… 13?«

Soohl verschränkte die Arme hinter dem Rücken und zog seine Augen zu missbilligenden Schlitzen zusammen. »Wie oft haben wir die letzte Woche darüber gesprochen? Es waren achtzehn. Achtzehn! Merkt euch das endlich.«

Einen tiefen Luftzug später setzte Soohl die nächste Frage nach: »Seit wann gibt es den zarkonischen Rat und aus welchen Mitgliedern besteht er?«

Ein Blick in die Runde verriet ihm, dass er diesmal genauso wenig richtige Antworten ernten würde. Er rollte mit den Augen. »Nun gut. Versuchen wir es mit einer einfachen Frage: Wann war die Gründung des Zarkonischen Reiches?«

Wie Ölgötzen schauten die Novizen ihn an. Das durfte doch nicht wahr sein!

»Welches Jahr haben wir?«, schob er nach.

»Das Jahr 1003«, verkündete Jannel, sichtlich stolz, doch noch etwas Passendes beisteuern zu können.

Das Grinsen wich jedoch schlagartig wieder aus seinem Gesicht, als Soohl zu ihm trat. »Dann frage ich noch einmal: Wann war die Gründung unseres Reiches?«

Jannel, nun deutlich weniger mutig, stammelte: »… 530?«

»Ich fasse es nicht«, donnerte Soohl. »Was denkt ihr eigentlich, woher unsere Zeitrechnung stammt? Nutzt die hohlen Gefäße auf euren Hälsen und füllt sie endlich mit sinnvollem Wissen! Die Gründung des Zarkonischen Reiches fand statt im Jahre Null, also vor 1003 Jahren. Seither dienen die Magier dem Hause Zarkon – wobei wir in friedlichen Zeiten vor allem ein Symbol der Macht und Ordnung innerhalb der Reichsgrenzen sind. Nun strengt eure unnützen Halsgeschwülste an und erzählt mir, welche Möglichkeiten wir dafür haben. Nutzt eure Hausaufgaben, vorausgesetzt, ihr habt euch dazu bequemt, sie überhaupt zu erledigen.«

Nach einer schier endlosen Zeit eifrigen Suchens in ihren Unterlagen hob endlich einer der Novizen die Hand. »Als es bei meinem Vater in der Werkstatt gebrannt hat, kamen die Magier und haben mit ihrem Zauber das Feuer gelöscht. Anschließend halfen sie, das Dach zu reparieren. Meint Ihr solche Dienste?«

»Danke, Jonus! Magie ist vielfältig einsetzbar. Ihr werdet, sofern ihr die Zeit an der Akademie unbeschadet übersteht, den Menschen helfen, Mauern zu sanieren, Sturmschäden zu beseitigen, Dürreperioden zu bewältigen und vieles mehr. Wie das geht, lernt ihr in den nächsten Jahren bei mir.«

Leider.

Der alte Lewanduul wollte ihn wirklich und wahrhaftig quälen mit diesen … diesen … Soohl fand nicht einmal Worte für die geballte Dummheit, die da vor ihm saß.

Er sah zur linken Wand des Raumes. Dort warf die Sonne ihre Schatten. Eine Holzkonstruktion bestätigte ihm, dass die Zeit wahrhaftig so langsam fortschritt, wie es sich anfühlte.

»Fangen wir gleich mit dem Lernen an. Schlagt eure Hefte auf und notiert das Besprochene darin! Ich werde euch morgen einer schriftlichen Prüfung unterziehen. Dabei erwarte ich, dass ihr die Fakten aus den vergangenen zweihundert Jahren unserer Geschichte kennt.«

Ein Jammern zog sich durch die Reihen, das jedoch verstummte, als Soohl begann, zwischen den Tischen umherzulaufen. In strenger Haltung überwachte er die Arbeiten der Novizen, bis die Stunde vorüber war.

»Denkt an den übermorgigen Bibliotheksrundgang«, erinnerte Soohl seine Novizen. »Wer zu spät kommt, wartet vor der Tür und kassiert die erste Minusmagica!«

Der Gong erklang, und mit ihm sprangen die Novizen von ihren Plätzen auf. Sie sprinteten in die Pause, als wäre eine Herde Büffel hinter ihnen her. Soohl wartete, bis alle auf dem Gang verschwunden waren, und machte sich auf den Weg ins Kantinum ein paar Türen weiter. Dort hatte er sich zum Mittagessen mit Migal verabredet.

* * *

Migal Zarkon saß im Ratssaal des Schlosses von Zaggart, wo die Mitglieder des Rates schon seit einer gefühlten Ewigkeit mit den frisch ernannten Gildevertretern debattierten. Kaum war ein Tagesordnungspunkt abgearbeitet, kam ein neuer hinzu. Zu viel für Migal, dessen Aufnahmevermögen bereits vor sechzig Sonnentakten nachgelassen hatte. Er war dazu übergegangen, die vorbeiziehenden Wolkenfelder zu beobachten und auf das Ende der Sitzung zu hoffen.

Erst als die Diskussion hitziger wurde und Migal den mahnenden Blick seines Vaters nicht länger ignorieren konnte, bemühte er sich, wieder in das Geschehen einzusteigen.

»… Märkte in Brodami’il werden verkümmern, wenn wir den Diebesbanden nicht das Handwerk legen. Immer weniger Händler aus Sihgurt trauen sich über unsere Grenze. Wenn wir uns nicht von den südlichen Gütern trennen wollen, muss der Rat reagieren.« Eine gewagte Forderung des Gildevertreters Hurrin.

Doch Migals Vater nickte nur bedächtig. »Eine schwierige Situation. Meister Goolur, was denkt Ihr?«

Handelsmeister Goolur kratzte sich an seinem dicken Kinn. »Wir könnten die Grenzregion mit eigenen Truppen verstärken, um die Diebe dingfest zu machen. Das würde das Problem allerdings nur in den Süden verschieben. Wir könnten auch Sihgurt in die Pflicht nehmen. Schließlich profitieren deren Händler ebenfalls von unseren freien Grenzübergängen. Jeder Karawane einen eigenen Trupp zum Schutz mitzugeben, wäre ebenfalls eine Möglichkeit.«

»Würde unsere Ressourcen aber bei Weitem übersteigen«, setzte Kriegsmeister Carviin entgegen.

Migal sah, wie Schmiedemeister Oklorn, einer der beiden Gildevertreter, energisch den Kopf schüttelte. »Der Rat könnte erwägen, Männer von der nördlichen Grenze abzuziehen. Jedes Jahr verwendet das Reich einen Großteil der Steuereinnahmen für die Verteidigung einer Mauer, an der seit über zwanzig Jahren keine Gefahr droht. Die Orte, an denen mehr Schutz nötig wäre, haben das Nachsehen.«

Kriegsmeister Carviin wirkte skeptisch, doch Migal fand den Vorschlag nicht abwegig. Einundzwanzig Jahre lang war es im Norden so ruhig gewesen, wie in den letzten zweihundert Jahren nicht. Immer häufiger wurden Stimmen laut, dass Abgaben zur Finanzierung einer nicht benötigten Grenze unsinnig waren. Migal verübelte es den Zarkoniern nicht.

Kriegsmeister Carviin wollte, gemessen an seinem grimmigen Blick, an der Grenzbesetzung festhalten. Zu Wort kam er nicht mehr. Migals Vater hob die Hand und beendete damit die Diskussion. »Ich danke den beiden Gildevertretern. Gibt es weitere Schwierigkeiten und Wünsche, mit denen sich der Rat befassen soll?«

Der kleingewachsene, drahtige Meister Hurrin aus den Reihen der Weber warf einen Blick auf ein Stück Pergament in seinen Händen und schüttelte den Kopf. »Nein, mein König. Wir haben alles angesprochen, was uns im Moment drängend erscheint.«

Oje, die Wortwahl sprach Bände und Migal stöhnte innerlich auf. Ratssitzungen, an denen die Gildevertreter teilnahmen, würden zukünftig öfter solche Ausmaße annehmen. Wenngleich das besser war, als sich mit den korrumpierten Vertretern des vergangenen Jahres herumschlagen zu müssen.

»Meister Hurrin, Meister Oklorn«, dankte Migals Vater den Gildevertretern. »Ihr habt viel Zeit und Mühe investiert, die aktuellen Brennpunkte zu sammeln und zu präsentieren. Es wäre nicht gerecht, würde der Rat übereilte Entscheidungen treffen. Wir werden mögliche Maßnahmen in den kommenden Tagen diskutieren und gegebenenfalls nötige Veränderungen in die Wege leiten. Zur nächsten gemeinsamen Sitzung werden wir Euch die Resultate der heutigen Diskussion darlegen.«

Zum Glück nickten die beiden Männer zufrieden und verließen mit erfreuten Mienen den Saal.

Migal bewunderte das diplomatische Geschick seines Vaters. Stets ruhig und besonnen schenkte er allen Gehör, egal welche Sichtweise sie vertraten. Ihm graute vor dem Tag, an dem er selbst die Thronfolge antreten musste, denn das schloss den Ratsvorsitz ein.

Als die Gildevertreter gegangen waren, entspannte sich die Atmosphäre spürbar.

»Ich freue mich über frischen Wind in den Reihen der Gildemeister, aber das ist einem alten Mann fast zu viel.« Hochmagier Lewanduul schien nicht nur Migal aus der Seele zu sprechen, denn er erntete amüsiertes Gelächter und zustimmendes Nicken von allen Ratsmeistern.

»Wir werden sie behutsam, aber bestimmt in die Schranken weisen müssen«, stimmte Finanzmeister Mantulin zu. »Diese Vielzahl an Ideen lässt sich nicht finanzieren, weder durch uns noch durch die Einwohner der Stadt oder des Reiches.«

Migal sah das anders.

Die beiden mochten anstrengend gewesen sein, jedoch fand er es bewundernswert, mit wie viel Elan sie nicht nur für die eigenen Gilden vorgesprochen hatten. »Wir dürfen die Probleme auch nicht ignorieren«, warf er ein. »Gerade die Abgabenlast für die Handwerkszünfte ist seit Jahren ein wichtiges Thema. Wir können auch Sihgurt nicht die Verantwortung für sämtliche Handelsrouten zuschieben, wenn wir unseren wichtigsten Verbündeten im Süden halten wollen.«

»Ihr glaubt wirklich, es wäre sinnvoll, die Ausgaben für den Grenzschutz im Norden zugunsten des Südens zu verringern?« Hochmagier Lewanduuls Worte begleitete ein zutiefst kritischer Blick.

»Was spricht dagegen?« Migal spürte sein altbekanntes, trotziges Selbstbewusstsein an die Oberfläche steigen.

Bevor die Diskussion unliebsame Blüten treiben konnte, hielt sein Vater sie auf. »Meine Herren.« Er schüttelte den blonden Haarschopf und blickte seine Ratskollegen aus tiefen blauen Augen an. »Gestattet, dass ich mir über die geschilderten Probleme meine eigenen Gedanken mache, bevor wir darüber diskutieren. Die Sitzung war lang und uns fehlt die Gelassenheit, mit der nötigen Objektivität zu entscheiden. Die ersten Punkte besprechen wir zur nächsten Zusammenkunft.«

Die Beteiligten nickten zustimmend, womit das Thema beendet war.

Migal hoffte, dass sie nun gehen konnten.

Da meldete sich Goolur, der Handels- und Wirtschaftsmeister, zu Wort. Sein dicker Bauch zeugte von einer gut gefüllten Geldbörse, seine intelligenten Augen von diplomatischem Geschick. »König Zarkon, ich habe noch eine erfreuliche Mitteilung für Euch. Das Reich Hangwolts hat auf unsere Handelsanfrage geantwortet. Demnach seien sie sehr an dem Angebot interessiert und werden das Handelsabkommen unterzeichnen.«

Das waren in der Tat erfreuliche Nachrichten! Migal wusste, wie lange sein Vater und Goolur um dieses Abkommen gerungen hatten. Zaggart wollte vom reichhaltigen Eisenvorkommen in Hangwolt profitieren. Doch ein adäquates Tauschgut zu finden, hatte Kopfzerbrechen bereitet. Zukünftig würde eine Mindestmenge an Stoffen exportiert und jährlich zwei ausgewählte hangwolter Studenten an der Akademie aufgenommen, um sie die Kunst der Medizin zu lehren.

»Das sind hervorragende Neuigkeiten, Meister Goolur. Bitte setzt die Verträge wie vereinbart auf und bringt sie zur nächsten Sitzung mit.« Migals Vater wirkte zufrieden wie lange nicht mehr. »Meine Herren«, fuhr er beinahe beschwingt fort. »Für heute ist die Sitzung beendet.«

Die Runde erhob sich und strebte mit einem verabschiedenden »Mein König« in Richtung der Tür.

Migal sah sich bereits mit Soohl im Kantinum sitzen, als sein Vater ihm eine Hand auf die Schulter legte.

»Mein Sohn, auf ein Wort.«

Migal schluckte die aufkommende Beschwerde herunter. »Ja, Vater?«

»Ich weiß, dass dir die Ratssitzungen kaum Vergnügen bereiten, und bin umso erstaunter, dass du dich heute eingebracht hast. Damit hast du auch bei den anderen Herren Respekt erlangt.«

»Danke, Vater. Wie schaffst du es, diesen langatmigen Sitzungen durchweg das gleiche Maß an Aufmerksamkeit zu schenken?«

»Es sind keine Sitzungen für mich, sondern die Belange der Menschen, die uns ihr Vertrauen schenken.«

Sein ernster Ausdruck schnürte Migal die Kehle zu.

»Ich habe ein weiteres Anliegen«, fuhr sein Vater fort. Das daraufhin folgende Räuspern verhieß nichts Gutes. »So sehr ich dein wachsendes Interesse am Rat zu schätzen weiß, so sehr schmerzt mich die fehlende Absicherung der Thronfolge.«

Als ob Migal es geahnt hätte! Seit seinem neunundzwanzigsten Geburtstag vor einigen Monden ließ sein Vater kaum eine Gelegenheit aus, ihn darauf anzusprechen.

Was konnte Migal dafür, dass er noch keine passende Ehefrau gefunden hatte? Liebe ließ sich nicht erzwingen. Er wusste genau, dass jetzt wieder die Verantwortung-als-Anführer-des-Reiches-Predigt kam.

»Migal, du musst als zukünftiger König deinem Volk eine lange Herrschaft garantieren. Das Geschlecht Zarkons regiert, seitdem das Reich in seiner heutigen Form existiert.«

»Ich weiß, Vater, aber die Frauen, die ich bisher kennenlernen durfte, wecken nicht mein Interesse. Ich werde keinesfalls allein um des Reiches willen heiraten. Zumindest noch nicht.«

»Deine Mutter und ich haben uns eine Möglichkeit überlegt, wie du einige der Damen besser kennenlernen kannst.«

Was sollte das denn jetzt? Wenn sich seine Mutter einmischte, standen die Dinge schlimm für Migal.

»Wir werden einen Ball veranstalten«, fuhr der König fort.

»Wie bitte? Nur über meine Leiche, Vater!« Migal fühlte sich überrumpelt. Tanzen? Diese Idee stammte sicher von seiner Mutter, denn sein Vater hätte ihn niemals ohne Beeinflussung zu so einem Humbug gezwungen.

»Die Einladungen an die hohen Familien des Reiches und die südlichen Königreiche sind bereits zugestellt. Ich weiß, dass du das Tanzen und die königliche Etikette noch mehr verabscheust, als die Ratssitzungen, aber du wirst fortan eine Heirat aus politischen Gesichtspunkten in Betracht ziehen.«

»Und wenn nicht?« Migal verschränkte verärgert die Arme vor der Brust. Die Miene seines Vaters verriet, dass der sich nicht würde umstimmen lassen. »Nun gut. Wenn du und Mutter darauf bestehen … wann gedenkt ihr, mich zu quälen?«

»Kommende Woche«, antwortete sein Vater nun ebenfalls in gereiztem Ton. »Glaubst du, mir macht es Spaß, dich immer wieder auf deine Pflicht gegenüber dem Reich hinzuweisen? Du hast die Wahl, Sohn! Entweder du suchst dir eine passende Gemahlin aus, oder ich übernehme die Entscheidung. Ich gebe dir drei Monate Zeit.«

Mit diesen Worten ließ sein Vater ihn stehen und ging. Migal kochte innerlich vor Wut. Glaubten seine Eltern etwa, sie täten ihm damit einen Gefallen?

Frustrierten Schrittes verließ er den Ratssaal und stürmte die Treppe hinunter. Der Appetit war ihm vergangen, aber einen Freund zum Reden brauchte er umso mehr.

Am Dienstboteneingang schnappte er sich einen einfachen, grauen Mantel und schlang ihn fest um sich. So verließ er das Schloss und lief hinüber zur Akademie. Die Menschen, die ihm unterwegs begegneten, würdigte er keines Blickes. Er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

* * *

Soohl seufzte hörbar, als er sich mit seinem vollen Teller vom Tresen dem Sitzbereich zuwandte.

Das Kantinum strahlte alles andere als Gemütlichkeit aus, so laut wie es um diese Zeit war. Überall klapperte Besteck auf Tellern, und Gerede hallte durch den Saal. An langen Reihen einfacher Holztische saßen Studenten und Novizen zwischen Lehr- und Magiermeistern. Auf der Breitseite des Raumes nahmen Fenster fast die gesamte Front ein. Außerhalb erstreckte sich der Garten der Akademie. Die ersten Knospen hingen an den Zweigen und ein Rindenhörnchen kletterte einen Stamm hinauf.

Soohl legte bei all dem fröhlichen Geplapper eine finstere Miene auf und ging mit seinem Teller und einem Krug voll Windenmost durch den Saal zu einer ruhigeren Seitennische. Das ihm geltende Gemurmel einiger Novizen, die er passierte, quittierte er mit Ignoranz, leises Gekicher mit einschüchternden Blicken.

Wehe, es ging ihm jetzt jemand auf die Nerven. Er wollte beim Essen seine Ruhe. Schließlich waren die Speisen hier im Kantinum die besten in ganz Zaggart, ließ man die Schlossküche außen vor. An einem Zweipersonentisch nahm er Platz, den Rücken zum Saal, und trank einen Schluck. Wo blieb Migal? Die Zeit bis zum Beginn der nächsten Lehrstunde wurde knapper und er sehnte sich nach einem aufbauenden Plausch. Sein Magen grummelte hörbar.

Er versenkte das Messer in seinem gerösteten Lammfilet und schnitt ein Stück herunter.

Da tauchte eine Kapuzengestalt seinen Teller in Schatten. Der Mann setzte sich Soohl gegenüber und streifte den Umhang ab. Unter der dunklen Kapuze kamen schmale Augenbrauen zum Vorschein. Die flache Stirn ließ den hellblonden Pony bis über die Augen reichen, weshalb er ihn in alter Gewohnheit zur Seite strich.

»Das wird aber auch Zeit«, begrüßte Soohl seinen Freund. Dann sah er den verärgerten Ausdruck in dessen Gesicht. »Oje. Langweile mich nicht mit zähem Ratsgeplänkel.«

Migal schüttelte den Kopf. »Die Sitzung ist nicht das Problem. Auch wenn sie sterbenslangweilig war. Mein Vater hat wieder seine Lieblingspredikt gehalten und diesmal übertrieben.«

Soohl wusste sofort, worüber die beiden diskutiert haben mussten. »Das klingt, als hätte er dir die hässlichste Frau des Reiches vor den Altar gezerrt.«

»Er gibt nächste Woche einen Ball im Schloss, zu dem diese schrecklich exzentrischen Damen aus den hohen Familien erscheinen werden. Außerdem hat er die Königshäuser aus den südlichen Ländern eingeladen.«

»Autsch! Das klingt ernst.«

Soohls Freund traten Sorgenfalten ins Gesicht. »Wenn ich eine politische Zwangsehe verhindern will, sollte ich mein Herz schnellstens an jemanden verlieren.«

»Hat er dir eine Galgenfrist gesetzt?«

Migal schnaubte verächtlich und nickte. »Drei Monate.«

»Das kann ich kaum glauben. Weshalb auf einmal diese Eile?«

Frustriert fuhr Migal sich mit der Hand durch die blonde Mähne. »Wenn ich das wüsste. Es ist zum Haare raufen!«

»Das glaube ich dir. Wie war das eigentlich bei deinen Eltern? War das eine Hochzeit aus Liebe?« Soohl schob sich kross gebratene Erdknollen mit Soße in den Mund.

»Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, es war forciert.«

»Sie scheinen gut miteinander auszukommen«, entgegnete Soohl zwischen zwei Gabeln voll Fleisch.

»Meist sind sie ein Herz und eine Seele.« Migals Stirn kräuselte sich skeptisch. »Worauf willst du hinaus?«

»Vielleicht wissen deine Eltern, dass eine arrangierte Ehe nicht zwingend unglücklich macht.«

»Hat dir deine Magie den Kopf vernebelt? Als Nächstes behauptest du noch, sie tun das aus Liebe zu mir.«

»Auch so könntest du es sehen.« Soohl hielt den Blick stur auf Migal gerichtet. Klare Worte, klarer Blick. Das klappte bei seinem Freund meist am besten.

Migal sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Du meinst das tatsächlich ernst?«

Soohl atmete hörbar ein und aus. »Ich kann verstehen, dass dich das nervt. Ich hätte keine Lust auf eine Bevormundung in solch einem Punkt und möchte nicht mit dir tauschen. Aber ich verstehe auch, dass deine Eltern in erster Linie an das Wohl des Reiches denken. Ihr habt Verpflichtungen, die über das normale Maß weit hinausgehen.«

Die beiden saßen eine Weile lang schweigend da. Soohl aß weiter, während sein Freund stumm mit den Fransen der grünen Tischdecke spielte. Soohl wusste, dass er hart gesprochen hatte. Nur wenige durften dem Thronfolger gegenüber so offen sein, und er war dankbar dafür, dazuzugehören.

»Vielleicht hast du recht«, sagte Migal plötzlich. »Auch wenn ich mich keinesfalls wohl damit fühle.«

Soohl sah auf. »Musst du nicht.« Da fiel ihm etwas ein und er konnte ein Grinsen nicht verhindern. »Darfst du zum Ball einen sehr guten Freund einladen?«

Migal entgegnete schmollend: »Wieso? Damit du dich an meiner elendigen Situation ergötzen kannst?«

»Eigentlich hatte ich auf gutes Essen gehofft, aber auch das ist in Ordnung.«

Schallend lachte Migal los und Soohl konnte sich ein noch breiteres Grinsen nicht verkneifen. Ihre gemeinsame Ausbildung an der Akademie hatte sie eng zusammengeschweißt. Seit Generationen hatte es bei den Erben der Familie Zarkon kein Magiepotential mehr gegeben. Erst Migal durchbrach die Reihe, wenn auch nicht mit allzu nennenswerten magischen Fähigkeiten. Ohne Soohl hätte er die Hälfte der Prüfungen nicht bestanden. Das zusätzliche Schwertkampftraining und die Vorbereitungen auf sein Leben als Thronerbe hatten ihn mehr als ausgelastet. Soohl wiederum hatte während der Lehrzeit nichts von Freundschaften gehalten – bis er Migal kennengelernt hatte.

»Ich lade dich gern ein, aber du wirst meinen Schwestern dort nicht aus dem Weg gehen können. Sanni hat erst gestern wieder nach dir gefragt.« Migals spöttischer Unterton sprach Bände.

O nein, daran hatte Soohl nicht gedacht! Er verzog das Gesicht. Migals Schwestern waren wie die vernarrten Furien hinter ihm her, sobald sie ihn erblickten. Soohl dagegen interessierte sich nicht im Geringsten für sie.

Noch immer zupften Migals Finger an der Tischdecke herum. »Ich wäre dir für deine mentale Unterstützung an dem Abend dankbar, und setze dich persönlich auf die Gästeliste.«

»Danke«, entgegnete Soohl, der sich nicht mehr sicher war, ob er wirklich teilhaben wollte.

Migal schmunzelte. »Ich merke gerade, wie sich mein Hunger einstellt. Bin gleich zurück.«

Während Migal sein Mittagsmahl organisierte, versuchte Soohl verzweifelt, das Bild der beiden jungen Frauen abzuschütteln, die ihm den ganzen Abend kichernd und tuschelnd hinterherliefen. Worauf hatte er sich eingelassen? Sein Appetit war offenbar größer gewesen, als sein Verstand – wie so oft.

Als Migal zurückkam, ließ sich Soohl bereits die letzten Bissen gut gewürzter Nussrüben auf der Zunge zergehen. »Wie läuft es eigentlich mit deinen Novizen?«, fragte Migal, bevor er sich eine reichlich bestückte Gabel in den Mund schob.

Soohl legte sein Besteck auf den leeren Teller und lehnte sich seufzend im Stuhl zurück. »Frag nicht. Ich habe keine Geduld für Grünschnäbel.«

»Als ob du nicht selbst einer gewesen bist.«

»Ich war vielleicht jung, aber nie und nimmer so schwer von Begriff. Ich halte das kein Jahr lang aus.«

»Hast du schon darüber nachgedacht, dass der alte Lewanduul dir die Novizen genau deshalb gegeben hat?«

»Du meinst, weil er mich schikanieren will?«

»Nein, wegen der Herausforderung. Dass dir ältere Lehrlinge keine Probleme bereiten, hast du in all den Jahren bewiesen.«

»Deshalb hatte ich gehofft, etwas völlig anderes machen zu dürfen. Echte Herausforderungen. Meine magischen Fähigkeiten wären im Reich oder an dessen Grenzen sicher nützlicher.«

»Hast du mit Lewanduul über deinen Versetzungswunsch gesprochen?«

»Noch nicht.«

»Dann beschwere dich nicht und sprich mit ihm.« Sein Freund schaute ihn streng an, konnte aber die Mundwinkel nur schwer unten halten.

»Zu Befehl, Herr Prinz!«, antwortete Soohl mit der gleichen gespielten Ernsthaftigkeit. Doch die Wahrheit hinter den Worten lag ihm schwer im Magen.

In diesem Moment läutete der Gong zum Ende der Mittagspause.

Soohl sprang auf. »Ich muss los. Die Novizen bekommen gleich ihre erste praktische Lektion. Da bin ich lieber pünktlich, bevor sie noch versuchen, ohne Anleitung Magie zu wirken.«

»Als ob denen so etwas einfallen würde.«

Migals Miene kitzelte ein Schmunzeln aus Soohl heraus. Wahrscheinlich flackerte in seinem Kopf gerade die gleiche Erinnerung an ihre erste gemeinsame Novizenstunde auf. Damals hatten sie wegen der brennenden Vorhänge jede Menge Ärger bekommen und nur mit viel Glück keine Katastrophe ausgelöst.

Soohl setzte sein grimmiges Lehrmeistergesicht auf und hob zum Abschied die Hand. »Wir sehen uns spätestens nächste Woche zum Ball.«

* * *

Weit nördlich der großen Mauer, die Zarkons Reich von seinem eigenen trennte, schritt König Tulamnit zielstrebig durch die Straßen der Hauptstadt Tulaas. Seine Leibgarde folgte ihm dicht auf dem Fuß. Als unerbittlicher Herrscher des Nordens hatte er sich in seiner Amtszeit weit mehr Feinde als Freunde gemacht. Der weite Mantel wehte im Wind hinter ihm her, genau wie die langen braunen Haare, der harte Blick starrte unbeirrt geradeaus.

Zwischen den Häusern vor ihm erhob sich ein Gebäude. Es glich einer schlanken, in den Himmel strebenden Pyramide und erreichte fast die Höhe der Wachtürme seines Schlosses.

Seit dem frühen Tod seines Vaters vor achtzehn Jahren hatte Tulamnit in seinem Reich viel verändert. Die Märkte florierten und brachten dem Königshaus gute Gelder ein. Die Einwohner schwelgten trotz hoher Steuern in Reichtum. Das arme Pack hatte er der Stadttore verwiesen. Dafür war er bei den Wohlhabenden beliebt. Die umliegenden Dörfer leisteten Abgaben, und wer dabei die Reichskasse betrog, bezahlte mit dem Leben. Wer zu fliehen versuchte, ebenfalls.

Tulamnit konnte sich Barmherzigkeit nicht leisten. Seine Vorgänger waren schwach gewesen und hatten das Reich in der Entwicklung stagnieren lassen. Allen voran sein Vater. Beispielhaft war dessen halbherziger Angriff auf die Grenze zu Zarkons Reich vor gut zwanzig Jahren. Welch naiver Versuch!

Sein Vater hatte nie eine Aussicht auf Erfolg gehabt und seinen schwächlichen Versuch mit einem frühen Tod bezahlt. So hatte Tulamnit selbst den Thron in äußerst jungen Jahren bestiegen.

Er erreichte das Pyramidengebäude und ließ seine Leibwächter vor der Tür warten. Allein betrat er die Eingangshalle des Ordenshauses. Dort folgte er dem Flur bis in den großen Saal, in dem er den obersten Magier vorfand.

Da dieser Anweisungen verteilte, wartete Tulamnit nahe der Tür. Ungeduldig drehte er seinen diamantbesetzten Ring zwischen den Fingern hin und her.

Als der Obermagier endlich auf ihn aufmerksam wurde, ließ dieser sofort alle Umstehenden zurück und kam herbeigelaufen. »Euer Majestät, verzeiht, dass ich Euch nicht gleich erblickt habe und Ihr warten musstet.«

Tulamnit winkte ungeduldig ab. »Jomal, mir wurde berichtet, es sei soweit. Zeigt mir, was Ihr habt.«

»Natürlich«, antwortete Jomal unterwürfig. »Ihr werdet erfreut sein. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Magiers, als sie sich in Bewegung setzten.

Er führte Tulamnit in einen weiteren großen Saal, der unmittelbar an den ersten angrenzte. Dort rief Jomal einen Mann zu sich und ließ sich einen violetten Stein geben, den er an Tulamnit weiterreichte. Der tropfenförmige Edelstein zeigte sich ebenmäßig gearbeitet, kantig geschliffen und in eine Spirale aus feinem Gold gefasst.

»Wir haben es vollbracht, Euer Hochwohlgeboren. Wir nennen ihn den Zerstörer.«

»Wie funktioniert er?«

»Er sammelt die Energie von bis zu fünf Magiern, bündelt sie und lässt sie in Form einer Druckwelle frei. Innerhalb der Reichweite – etwa fünfzig Schritt – ist die Magie wahrlich zerstörerisch.«

Der oberste Magier schien sichtlich zufrieden mit dem Bericht, aber Tulamnit hakte weiter nach.

»Kann er es mit dem magischen Schutzwall an der Grenze aufnehmen?«

»Dessen bin ich mir sicher.«

»Einschränkungen?«, fragte Tulamnit barsch.

Jomal knetete nervös seine Hände. »Die Magie muss sehr präzise gewirkt werden, damit der Stein sie halten kann. Außerdem müssen die beteiligten Magier zügig arbeiten. Derzeit habe ich sieben Männer, die den Stein nutzen können. Der Prozess ist kompliziert und kraftraubend, weshalb der Zerstörer vermutlich nur einmal am Tag einsetzbar ist.«

»Seid Ihr zu einer Demonstration in der Lage?«

»Wann immer Ihr wünscht.«

»Dann sammelt Eure Magier und folgt mir.« Mit diesen Worten gab er den Zerstörer zurück und wandte sich zum Gehen.

»Jetzt sofort?«, fragte Jomal.

Tulamnit sah nicht zurück. »Habe ich mich unklar ausgedrückt?«

»Nein, Euer Majestät.« Jomals Schritte hasteten über den Marmorboden.

Tulamnit wartete nicht auf den Obersten und seine Gefolgsleute. Zufrieden lauschte er im Gehen der Hektik, mit der Jomal Leute zusammenrief und gleichzeitig versuchte, Schritt zu halten.

Freudige Erregung durchzog Tulamnit. Die Erschaffung einer geeigneten Waffe gegen diese verdammte Grenze hatte achtzehn Jahre gedauert und Unmengen an guten Magiern gekostet.

Gefolgt von seinen Leibwächtern verließ er das Ordenshaus und schritt die Hauptstraße entlang bis vor die Tore der Stadt.

Vor einem Bauernhaus hielt er an. Ein morscher Holzbau und ein ruinöser Hühnerstall reihten sich kläglich aneinander. Daneben warf ein vertrocknetes Feld nicht mehr als eine Handvoll Sprösslinge. Allesamt verzichtbar.

Tulamnit wartete geduldig darauf, dass Jomals Magier zu ihm aufschlossen.

Einer seiner Leibwächter stand vor der Tür des Bauernhauses und schlug hart gegen das Holz. »Kommt nach draußen! Auf der Stelle!«

Hinter den Fenstern der Nachbargehöfte erschienen Gesichter. Fein! Mit Publikum machte das Spektakel doppelten Spaß.

In diesem Moment öffnete ein schmächtig wirkender Mann im mittleren Alter die Tür. Sofort packte der Leibwächter zu und schleifte den Bauern vor Tulamnit.

»Euer Majestät, welch … welch eine Ehre«, stammelte sein Untertan.

»Wie gedenkst du mit diesem Ödland deine Abgaben zu zahlen?«, fragte Tulamnit in einem Tonfall, der keine Widerrede und auch keine Ausflüchte duldete.

»Oh, Herr, der Frost im Winter saß tief und die Böden sind ausgelaugt.«

»Mir scheint vielmehr«, sagte Tulamnit in beißendem Ton, »du kümmerst dich nicht um das Land, das ich dir in meiner Großzügigkeit lieh!«

Der Bauer fiel zu einem Häufchen Elend zusammen. »Keinesfalls, oh Herr. Habt Erbarmen!«

In diesem Augenblick trat des Bauers Frau mit einem jungen Mädchen an der Hand aus dem Haus. Das Weib war schön. Die Art, wie sie ihn mit angstgeweiteten Augen ansah, erregte Tulamnit.

»Erbarmen ist für Verlierer«, warf er dem Bauern entgegen. »Doch ich bereite den größten Sieg vor, den dieses Reich in tausend Jahren errungen hat. Daran teil haben all jene, die mir loyal ergeben sind.«

»Das sind wir, Euer Majestät. Ich schwöre es bei meinem Leben.«

»So, so.« Tulamnit wandte sich an seine Leibwächter. »Bindet ihn an den Pflock dort auf dem Feld. Wir werden seine Loyalität prüfen.«

Entsetzt schlug die Frau ihre Hände vor den Mund, während der Bauer um Gnade flehte. Zwei kräftige Hände schleppten den Verurteilten trotz aller Proteste und Bittstellungen auf das nahegelegene Feld, um ihn einer Ziege gleich anzubinden.

Währenddessen bedeutete Tulamnit dem Weib und ihrem Kind, näherzutreten.

Mit eingeschüchtertem Blick und geduckter Haltung kam sie zu ihm, das Kind eng an sich gedrückt. »Euer Majestät, macht mit mir, was Ihr wollt, aber ich flehe Euch an, verschont meine Tochter!«

Tulamnit reagierte nicht auf sie. Stattdessen lächelte er. »Jomal, enttäuscht mich nicht.« Mit diesen Worten trat er ein paar Schritte zurück. Die Leibwächter folgten und schoben die beiden Frauen unsanft mit sich.

»Natürlich nicht«, entgegnete Jomal und gab den Befehl zum Angriff.

Der fünfköpfige Zerstörertrupp stellte sich nebeneinander im Halbkreis auf.

Dem Bauern auf dem Feld wurde wohl bewusst, dass ihm Schreckliches blühte. Voller Verzweiflung bäumte er sich gegen die Holzlatten und riss an dem Seil.

Vergnügt rieb sich Tulamnit die Hände und verfolgte das Spektakel.

Der mittlere Magier hielt den Zerstörer mit beiden Händen vor sich. Einer nach dem anderen sandten Jomals Männer Energie in den Stein, während dieser stetig intensiver leuchtete. Nachdem der Magier in der Mitte als Fünfter den Stein gefüllt hatte, ließ er die Energie frei.

Der Bauer hatte sich aus der Schlinge befreit und stolperte das Feld hinunter. Doch er war zu langsam. Tulamnit verstand sofort, weshalb Jomal von einer Magiewelle und dem Zerstörer gesprochen hatte.

Alles, was sich im Weg der Magie befand, wurde plattgewalzt: das windschiefe Haus, die kargen Hühner, das kahle Feld, selbst der Fliehende. Nur Herzschläge später war auf zehn Schritt Breite und dreißig Schritt Länge außer einer Brachlandschaft nichts übrig. Ein langanhaltendes Kreischen durchschnitt die Luft.

Ein Seitenblick zeigte Tulamnit die Bäuerin, das Gesicht zu einer entsetzten Fratze verzogen, während die Tochter schlotternd neben ihr stand.

Weichliches Pack. Er würde ihr wahre Stärke zeigen. Heute Nacht. Mehrfach. Sie brauchte diesen verkohlten Schwächling nicht, um zu verstehen, was Glück war.

»Scheusal!«, brüllte die Frau und stürzte sich auf ihn.

Seine Leibwächter waren schneller, ergriffen sie an den Armen und drückten sie auf den harten Boden.

Zufrieden nickte Tulamnit den Magiern zu. Diese wirkten recht erschöpft, nahmen seine Geste aber mit Stolz zur Kenntnis.

Dann wandte er sich den umstehenden Höfen zu, wohl wissend, dass er dem Geschehen nicht als einziger beigewohnt hatte. Mit einem Fingerzeig befahl er einen Magier zu sich, um seine Worte laut und deutlich bis in die umstehenden Hütten dringen zu lassen.

»Seht, was denen geschieht, die mir ihr Vertrauen verweigern. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns auf einen glorreichen Feldzug vorbereiten. Im Krieg werden die Ressourcen dorthin verteilt, wo sie benötigt werden. Deshalb zahlt ihr hohe Steuern. Ich werde unser Reich zu neuer Größe führen – auch für euch. Im Gegenzug erwarte ich absolute Loyalität. Wer sich widersetzt, hat weder heute noch zukünftig verdient, in diesem Reich zu leben.«

Die Gesichter der Schaulustigen verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Sogleich wirkte die Umgebung verlassen. Einzig Tulamnits Mantel wehte einer Siegesfahne gleich im Wind.

Sollten sie ihn ruhig für einen wahnsinnigen Tyrannen halten. Bis die Armee abmarschbereit und der Krieg geführt war, hinterging ihn hier niemand mehr.

Als nächstes schritt Tulamnit auf die Frau des Bauern und deren Tochter zu. Der ängstliche Blick ihrer Augen hatte nacktem Entsetzen Platz gemacht.

»Wie du sehen kannst, wirst du mit deinem Bauernhof nicht mehr für die Abgaben aufkommen können. Demnach benötigen wir eine andere Lösung. Ich will gnädig sein. Deine Tochter wird in der Küche des Schlosses arbeiten, bis sie alt genug ist, um zu heiraten. Einer der Männer aus meiner Garde wird sich ihrer annehmen. Und du, meine Schöne, wirst mir in meinen privaten Gemächern zu Diensten sein.«

Ohne ein weiteres Wort ließ er die beiden von seinen Männern fortführen. Das Weib taumelte bei jedem Schritt, als fehlte ihr die Kraft. Aber sie protestierte nicht.

Tulamnit wandte sich an seinen obersten Magier. »Jomal, das war eine gelungene Demonstration. Zum Zeichen meines Respekts nehme ich Euch in meinen Kriegsstab auf. Enttäuscht mich nicht! Und noch etwas: Sagt Euren Männern, sie sollen sich ihre Erschöpfung nicht anmerken lassen.«

»Natürlich, Euer Majestät. Vielen Dank, Euer Majestät. Ich stehe Euch zu Diensten.«

»Haltet Euch bereit, Jomal! Wir marschieren in wenigen Tagen los.«

»Es wird alles vorbereitet sein.« Der Obermagier nahm seine Gefolgsmänner mit sich und lief zurück in Richtung des Ordenshauses.

Tulamnit blickte noch einmal auf das Feld der Zerstörung zurück. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Nun glaubte er tatsächlich daran, dass seine Waffe es mit der magisch geschützten Grenze zu Zarkons Reich aufnehmen konnte.

Zufrieden schritt er zurück zum Schloss. Er würde seinen Kriegsstab einberufen und die letzten Befehle verteilen. Es konnte losgehen.

2 Dunkle Wolken am Horizont

»Wahnsinn! Ich wusste nicht, dass es so viele Bücher gibt.«

Soohl betrachtete Tiana, die als Erste aus seiner Novizengruppe am Treffpunkt angelangt war. Mit offenem Mund und glänzenden Augen stand sie im Zugang zur zaggartschen Bibliothek. Soohl war es bei seinem ersten Besuch ähnlich ergangen. Als kleiner Junge aus einem einfachen Dorf, der gerade ein wenig lesen und schreiben konnte, war ihm die Akademie, und insbesondere die Bibliothek, wie ein Wunder vorgekommen.

Tiana zupfte an seinem Ärmel. »Meister Kenton, gibt es jemanden, der all diese Bücher einmal gelesen hat?«

Soohl zog seinen Mantel aus ihrem Griff und schüttelte den Kopf. »Dafür wäre mehr als ein Menschenleben nötig.« Er deutete auf seinen Ärmel. »Aber wenn du mich noch einmal ungefragt anfasst, wirst du es als Erste versuchen dürfen.«

»Was?« Erschrocken trat Tiana einen Schritt zurück.

»Es heißt: Wie bitte …«, setzte Soohl zu einer Lektion an, unterbrach sich aber, denn die anderen Novizen trudelten einer nach dem anderen ein. Mit nicht minder großen Augen stellten sie sich in den Eingangsbereich, sodass niemand mehr hinein oder heraus konnte.

Das war typisch!

»Nun, da wir endlich vollzählig sind, hinein mit euch und vortreten bis zum ersten Regal!«

Er folgte seiner Gruppe hinein. Hier lagen gut besetzte Lesenischen zwischen Bücherregalen, in denen sich Wissen bis unter die Decke stapelte. Riesige Fenster sorgten an sonnigen Tagen für freundliche Helligkeit und an trüben für eine ehrfürchtige, fast gespenstische Atmosphäre.

»Die Bibliothek ist das Herzstück der Akademie«, erklärte Soohl mit tiefer Stimme. »Sie erstreckt sich nahezu über das gesamte zweite Stockwerk. Solltet ihr einmal nach Wissen suchen, das nicht in euren Lehrbüchern steht, so werdet ihr hier fündig.«

Er bedeutete seinen Schützlingen, ihm zu folgen. Gemeinsam mit ihnen schritt er zu den langen Reihen voller Bücher.

»Eure Aufgabe für heute ist denkbar einfach. Ihr habt sechzig Sonnentakte Zeit, euch einen Überblick zu erarbeiten. Am Ende will ich wissen, welche Lektüre in welchem Regal zu finden ist.«

Einige der Novizen schnappten entsetzt nach Luft.

Mit einem grimmigen Blick brachte er sie zur Ruhe und fuhr fort. »Dabei möchte ich keine Auflistung von Buchtiteln, sondern eine Übersicht über die Themen, die in den jeweiligen Regalen vereint wurden. An die Arbeit!«

Jannel hob zögerlich die Hand. »Wollt Ihr uns nicht erst einmal herumführen? Mein Bruder hat …«

»Dein Bruder interessiert mich nicht«, schnitt Soohl ihm das Wort ab, woraufhin Jannel den Arm wieder nach unten riss und zu Boden blickte. »Ich halte nichts davon, euch das Wissen auf dem Silbertablett zu präsentieren. Ihr werdet dafür arbeiten müssen.«

Er verteilte einen aus seiner Sicht vernichtenden Blick in die Runde, was die Novizen zur Eile trieb. Wie ein aufgescheuchter Haufen Hühner rannten sie durcheinander und verteilten sich in den langen Regalgängen.

Soohl sah sich unterdessen in der Bibliothek um und steuerte die hinterste Ecke am Ende der Magieabteilung an. Die verstaubten Regale dieses Teils der Bibliothek trugen jahrhundertealte Tagebuchaufzeichnungen in sich. Nichts, was aus seiner Sicht für irgendjemanden von Interesse wäre.

Doch eben wegen jener Ruhe weilte der alte Lewanduul hier hin und wieder über seinen Studien.

Soohl hatte Glück und entdeckte ihn in der hintersten Nische im Halbdunkel. Ein magisches Licht beleuchtete die halblangen, grauen Haare des Hochmagiers und Leiters dieser Akademie. Sein von Falten durchzogenes Gesicht weilte über einer alten Schwarte.

Soohl trat an den Tisch heran. »Verzeiht, verehrter Hochmagier, könntet Ihr einen Moment Eurer Zeit für mich erübrigen?«

Der Alte sah nicht auf, aber bedeutete Soohl, sich dazu zu setzen.

Neugierig schielte Soohl auf die Seiten des offenen Buches, während er auf den Stuhl gegenüber von Lewanduul sank.

17. Tag des Jahres 294 der zarkonischen Geschichtsschreibung, stand in der ersten Zeile. Eine besonders alte Niederschrift und schwer zu lesen. Er versuchte, über Kopf noch etwas mehr zu entziffern.

Wetter: eisig, wolkig, sechs Fuß tief Schnee. Ort: Tilham. Geschehen: Schnee erstürzte ein Dach. Schnee durch Feuermagie verschmolzen. Dachbalken durch Magier enthoben. Drei Zarkonier errettet mit leichterem bis mittelerem Husten nach Einatmung von Feuerrauch.

In diesem Moment schloss Lewanduul das Buch und sah ihn an. »Spannend, nicht wahr?« Die Neugier in den Augen des Alten blitzte beinahe genauso intensiv wie der Anstecker, der an der dunkelbraunen Westentasche das magische Licht reflektierte.

Soohl war unsicher, was er antworten sollte. Die alte Sprache war schwer verständlich und der Inhalt wenig informativ. Er entschied sich für eine Gegenfrage. »Wieso seht Ihr Euch diese uralten Berichte an?«

»Weil unser Wissen in der Vergangenheit liegt, nicht in der Gegenwart«, antwortete der Alte freundlich.

»Welches Wissen erhofft Ihr zu finden?«

»Praktisches Wissen. Seit hunderten von Jahren helfen wir mit unserer Magie den Menschen. Dennoch hat bisher niemand aufgeschrieben, welches dabei die besten Strategien sind. Viel zu oft begehen wir unüberlegte Fehler, obwohl es in der Vergangenheit in so ziemlich jedem Fall eine Lösung gab, die man als optimale Herangehensweise beschreiben könnte. Diese möchte ich sammeln und in einem neuen Buch zusammenfassen.«

»Das klingt nach einer langwierigen Aufgabe.«

»Ich würde sie vielmehr als abenteuerlich bezeichnen. Aber deshalb sitze ich an dieser Studie, nicht Ihr.« Der Alte lächelte ihn freundlich an, bevor er fortfuhr: »Und nun erzählt, weshalb Ihr hier seid.«