Milea - Tea Loewe - E-Book
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Tea Loewe

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Beschreibung

"Die Legende besagt, dass ihr giftiger Atem erstarken wird, wenn das Ungleichgewicht zwischen den Elementen wächst. Die Heilige Macht wird die Menschen strafen und der Nebel das Land verschlingen mit seiner Krankheit, bis nichts mehr ist." Eine forcierte Hochzeit zwingt Priestertochter Milea zur Flucht. Nur knapp entkommt sie dem Tod. Doch ihr Verschwinden öffnet den Weg für neue Machtverhältnisse. Das Gleichgewicht der Welt gerät aus den Fugen und die Natur erkrankt. Auf der Suche nach Rettung und Verbündeten ist es ausgerechnet die Liebe, die Milea und ihren tief verwurzelten Glauben vor die größte Herausforderung stellt. Ein High-Fantasy-Abenteuer für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren in einer Welt der Elemente voller Spannung und Gefahr, voller Liebe und Hingabe, gespickt mit Katastrophen, die das Gleichgewicht aus den Angeln reißen und die fünf Lande in den Abgrund stürzen könnten.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

KARTE DER FÜNF LANDE

PROLOG

1 – Milea

2 – Élim

3 – Milea

4 – Élim

5 – Milea

6 – Élim

7 – Milea

8 – Élim

9 – Milea

10 – Élim

11 – Milea

12 – Élim

13 – Milea

14 – Élim

15 – Milea

16 – Élim

17 – Milea

18 – Élim

19 – Milea

NACHWORT

WEITERE WERKE VON UND MIT DER AUTORIN

DANKSAGUNG

Über das Buch:

"Die Legende besagt, dass ihr giftiger Atem erstarken wird, wenn das Ungleichgewicht zwischen den Elementen wächst. Die Heilige Macht wird die Menschen strafen und der Nebel das Land verschlingen mit seiner Krankheit, bis nichts mehr ist."

Eine forcierte Hochzeit zwingt Priestertochter Milea zur Flucht. Nur knapp entkommt sie dem Tod. Doch ihr Verschwinden öffnet den Weg für neue Machtverhältnisse. Das Gleichgewicht der Welt gerät aus den Fugen und die Natur erkrankt. Auf der Suche nach Rettung und Verbündeten ist es ausgerechnet die Liebe, die Milea und ihren tief verwurzelten Glauben vor die größte Herausforderung stellt.

Ein High-Fantasy-Abenteuer in einer Welt der Elemente voller Spannung und Gefahr, voller Liebe und Hingabe, gespickt mit Katastrophen, die das Gleichgewicht aus den Angeln reißen und die fünf Lande in den Abgrund stürzen könnten.

Über die Autorin:

Tea Loewe wurde 1985 in der Buch- und Messestadt Leipzig geboren. Schon in ihrer Kindheit blühte ihr Kopf voll Fantasie – egal ob Schule, Projekte oder Freizeit: Kreativität ist schon immer ein fester Bestandteil ihres Lebens. Mit einem Austauschjahr in den USA erweiterte sie ihre sprachlichen Fähigkeiten. Nach dem Abitur studierte sie Psychologie an der Universität Leipzig und arbeitet seither im therapeutischen Bereich. Ihre Schriftstellerkarriere kam 2017 ins Rollen. Seither veröffentlicht sie unter verschiedenen Pseudonymen Kurzgeschichten und Romane.

Weitere Infos unter www.tealoewe.de

Tea Loewe

Milea

das Gleichgewicht der Elemente

High Fantasy

IMPRESSUM

Copyright ©2024 Tea Loewe

1. Auflage

www.tealoewe.de

Alle Rechte vorbehalten.

Tolino-Edition: 9783759273284

ISBN Taschenbuch: 9798327725997

Imprint: Independently published

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des von der Herausgeberin freigegebenen Textes kommen.

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung der Herausgeber. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Der Text des Romans ist ohne Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz geplant und verfasst worden. Sämtliche Personen, Orte und Ereignisse dieses Werkes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, egal ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Impressum:

Herausgeberin der ersten Auflage: Tea Loewe, c/o Eva Töpelt, Bornaische Str. 200, 04279 Leipzig. Lektorat: C. Hoffmann, Korrektorat: P. Schütze. Druck: Kindle Direct Publishing. Buchsatz: Tea Loewe. Umschlaggestaltung: Tea Loewe. Stockfotos Umschlag/ Kapitelzierden: Celtic Woman von Enrique Meseguer via Pixabay mit freier Inhaltslizenz, a i - generated woods von Alan Frijns via Pixabay mit freier Inhaltslizenz, Stand 20.03.2024, Lens Flare Light via Canva mit freier Inhaltslizenz. Symbole und Kapitelzierden K I-unterstützt erstellt und bearbeitet. Verwendete Schriftarten: Celtic Knots und Crimson – free fonts, Stand 01.05.2024, Abolition mit bestehender Lizenz. Map erstellt mit Inkarnate-Lizenz.

Alles in dieser Welt

ist miteinander

verbunden.

KARTE DER FÜNF LANDE

PROLOG

aus der Niederschrift ›Wie die Welt begann‹

Einst war das Land kahl und kalt, dunkel und ohne jedes Leben. Deshalb erschuf die Heilige Macht Mensch und Tier. Sie sollten ihr dienen und die Welt beleben. Doch sie verkümmerten in diesem leeren Nichts. So knieten Mensch und Tier gemeinsam im Zentrum nieder und wünschten sich, das Land möge erblühen.

Zehn Tage und Nächte beteten sie, bis die Heilige Macht sie erhörte und durch die Betenden in das öde Land strömte. Die Sonne sank als Feuer zur Erde hernieder und brachte die Wärme in den Boden, das Wasser fiel darauf und versorgte die Ländereien mit Feuchtigkeit, die Erde erschuf das Pflanzenreich und der Wind trug dessen Saat umher, sodass das Leben überall spross. Mensch und Tier blieben im Zentrum, dankten mit ihren Ritualen der Heiligen Macht und lebten im Einklang. So vergingen viele hundert Jahre.

Die Menschen wurden mehr an der Zahl. So reichlich, dass sie in die Lande hinauszogen, hin zu demjenigen Element, dem sie sich am meisten verbunden fühlten. Mit ihrer Hingabe erschufen sie die feurigen Ebenen, die windigen Hügel, die tiefen Wälder und die wasserreichen Niederungen. Allein im Zentrum blieben die Elemente im Gleichgewicht vereint.

Die Heilige Macht schützte das Zentrum zum Windreich hin durch hohe Bergketten, zum Feuerreich hin durch Lavafelder, zum Wasserreich hin durch einen reißenden Strom und zum Erdreich hin durch einen undurchdringlichen Wald.

Der Einklang hielt viele hundert Jahre, bis nach und nach Missgunst die Herzen der Menschen eroberte. Anstatt ihre Unterschiede zu ehren und den Elementen zu dienen, schürte sich Neid. Mit jedem Streit und jeder Auseinandersetzung erkrankte die Heilige Macht im Zentrum stärker. Schließlich zog ihr vergifteter Atem aus den Bergen in die Ländereien hinab und setzte sich dort als todbringender Nebel fest. Tausende erkrankten und fanden den Tod. Kriege brachen aus und vertieften das Elend.

Erst als sich die Menschen im Zentrum der alten Rituale entsannen, breitete sich die tödliche Gefahr nicht weiter aus. Der Nebel setzte sich in eine Kuhle des Tals wie eine Mahnung an die Überlebenden, und bis heute nährt sich der göttliche Atem von Missgunst und Neid.

Die Legende besagt, dass der Nebel wieder erstarken wird, wenn das Ungleichgewicht zwischen den Elementen wächst. Die Heilige Macht wird die Menschen strafen und der göttliche Atem das Land verschlingen mit seiner Krankheit, bis nichts mehr ist.

1 – Milea

Zielsicher fanden Mileas Füße Halt auf den glatten Schindeln. Das Dach neigte sich an dieser Stelle weniger steil, aber immer noch gefährlich schräg zum Rand hinunter, und der Fenstersims lag unterhalb ihrer Position. Sie musste schnell hinabklettern, damit man sie nicht sah.

Aus der Ferne drang das Klappern von Hufen an ihr Ohr. Es näherte sich über die Pflastersteine den Heiligen Berg hinauf und würde in Kürze den Innenhof erreichen.

Warum war die Delegation aus Axan so pünktlich? Sie hasste diese Männer und Frauen dafür, dass sie nach Minden kamen, und dass sie überhaupt existierten! Brachten die Axaner doch unausweichliche Veränderungen in ihr Land. Einer der schwierigsten Tage ihres bisherigen Lebens stand Milea bevor und es gab nichts, was sie davor retten würde.

Mit angewinkelten Beinen rutschte sie auf dem Hinterteil die Terrakotta-Schindeln hinunter. Dabei drückte sie die Stiefel fest gegen das Dach, um ihren Abstieg zu bremsen. Mit einem Mal glitten die Sohlen von den Ziegeln ab, und Milea rutschte auf das Dachgesims zu.

Panisch riss sie den Oberkörper herum und presste die Hände auf die Schindeln. Ihre Handflächen brannten. Erst im letzten Moment kam sie zum Halt.

Vorsichtig lugte sie in Richtung Dachgesims, denn dahinter ging es fünf Stockwerke in die Tiefe. Milea presste die Lippen aufeinander. Natürlich wäre das ein rettender Ausweg vor dem heutigen Nachmittag, doch sie war noch zu jung, um den Tod zu wählen. Es gab andere Mittel und die würde sie nutzen.

Das Hufgetrappel kam, begleitet von den ratternden Rädern einer Kutsche, auf den Innenhof. Stimmen drangen zu Milea herauf.

Einem Instinkt folgend presste sie ihren Oberkörper auf das Dach. Es gäbe nichts Peinlicheres, als wenn sie hier entdeckt wurde. Sie musste zurück in ihr Zimmer, schließlich konnte sie der Delegation nicht in kurzen Jagdhosen und hautengem Oberteil entgegentreten.

Milea schauderte bei dem Gedanken an das aufwendige Kleid, das eine Etage tiefer auf sie wartete. Dieses unbequeme Ding war der größte Graus, aber heute unausweichlich.

Sie hörte ein Klopfen. Es drang von ihrer Zimmertür durch das offene Fenster herauf, gefolgt von einem Ruf.

»Milea?«

Zum Ungleichgewicht der Mächte aber auch! Das war ihre Schwester Dala. Noch immer lag Milea auf dem Dach und überlegte, wie sie ihr Zimmer erreichen konnte. Der Fenstersims war so nah und doch so fern, die Stimmen aus dem Hof unterhalb ihrer Position unverändert laut. Dass ihr Zimmer ausgerechnet in einem der Bogenflügel liegen musste, die den Hof des Tempels überspannten!

Ein Regenbogenpfau landete auf dem Dach ganz in ihrer Nähe. Er schien sie zu mustern, legte seinen Kopf schief und deutete ein Flügelflattern an.

Milea erwiderte seinen Blick. »Hallo mein Freund. Du kommst genau zur rechten Zeit. Kannst du mir helfen und die Meute da unten ablenken?« Sie schenkte ihm ein Lächeln und öffnete ihr Herz für ihre Gefühle. Das Symbol des Gleichgewichts auf ihrer Schulter kribbelte, als es sich in gewohnter Weise erwärmte.

Noch während der Blick des Regenbogenpfaues auf ihr klebte, klopfte es erneut unterhalb an ihrer Zimmertür.

Mit einem lauten Schrei hob sich der majestätische Vogel vom Dach und segelte in den Innenhof hinab. Die einzige Pfauenart, die Milea kannte, die überhaupt höher als zwei Manneslängen abheben konnte. Wenn sie durch den Himmel flogen, war es, als zog sich ein Regenbogen darüber.

Begeisterte Rufe drangen zu Milea herauf.

Sie nutzte ihre Chance, krabbelte bis an das Dachgesims heran und klammerte ihre Hände um den Regenablauf in Form eines Wasserfalls. In einer fließenden Bewegung schob sie ihre Beine über den Rand. Nach unten hängend holte sie Schwung und schaukelte mit Kraft durch das offene Fenster hinein, wo sie mit einem Sprung auf den Dielen landete.

Ein Blick aus dem Fenster hinaus offenbarte ihr eine Runde Damen und Herren, die begeistert das geschlagene Rad betrachteten, wie es in den Strahlen der Mittagssonne schimmerte. Ein klassischer Hofstaat, der in Reichtümern badete und kein Auge für die Probleme des eigenen Landes hatte. Pompöse Kleider in axanischem Feuerrot, aufgetakelte Frisuren und Schuhe, mit denen man sich die Knöchel brechen konnte. Einer der Herren bedrängte den Pfau und versuchte, eine Schwanzfeder zu rupfen. Milea wollte empört hinabrufen, da pickte der Vogel mit seinem Schnabel nach der Hand und flatterte auf Abstand. Er wusste wohl, wem er trauen konnte und wem nicht.

»Danke«, flüsterte sie in Richtung ihres tierischen Retters.

»Milea?« Wieder war der Ruf ihrer Schwester von einem energischen Klopfen begleitet. »Schläfst du? Ich komme jetzt herein.«

»Nein, ich bin wach. Warte kurz!« Hektisch flog Mileas Blick durch den Raum.

In den Kleidungsstücken, die sie noch von ihrem Streifzug durch den Wald trug, konnte sie die Tür keinesfalls öffnen. Zum Glück hing heute kein Geruch von Pferdestall an ihr, auch wenn es ihr schwergefallen war, ihren Lieblingsplatz zu meiden. Sie schnappte ein weißes Unterkleid aus dichtem Leinenstoff von ihrem Bett und warf es über. Es verdeckte neben dem unpassenden Gewand auch den Dolchgürtel, den sie um den Oberschenkel trug. Sie würde ihn vielleicht brauchen und das musste Dala nicht wissen. Es genügte, dass sie in so Vieles bereits eingeweiht war.

Milea eilte zur Tür und drückte die Klinke hinunter.

Der quietschende Türflügel offenbarte Dala, die sie mit tadelnder Miene musterte. »Du trägst noch nicht einmal dein Kleid.«

Auf der Stirn trug Mileas Schwester einen Kranz aus geflochtenen Blumen, gespickt mit winzigen, beigefarbenen Schmetterlingen, blauen Bändern und roten Schmucksteinen.

Milea lächelte gequält. »Ich wollte es gerade anziehen. Kannst du mir helfen?«

»Gern.« Dalas Gesichtszüge entspannten sich wieder und ihre Finger streichelten über Mileas Wange. »Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun, als beim Ankleiden zu helfen.«

Mileas Blick huschte den Flur entlang, bevor sie Dala rasch ins Innere zog. Sie schloss die Tür. »Du hast genug getan. Den Rest muss ich allein schaffen.« Wie zur Bestätigung drückte sich der kalte Knauf des Spitzdolches in ihren Oberschenkel. Er wartete auf seinen Einsatz, auf den entscheidenden Moment für die Zukunft Mindens.

»Du willst das wirklich tun?« Dala sank in ihrem jungfräulich weißen Seidenkleid auf Mileas Bett. Die Polster gaben unter dem zarten Gewicht kaum nach, anders als bei Milea, die mit ihrem trainierten Körper mehr Muskeln auf die Matratze brachte.

Sie plumpste neben ihrer Schwester auf die Bettdecke. »Mir bleibt nichts anderes übrig. Wir können Minden nicht in eine Allianz mit dem Feuerreich führen. Die Heilige Mitte muss politisch und militärisch unabhängig bleiben, sonst werden die Probleme in unserem Land noch größer. Die Menschen finden kaum genug zu essen nach der Dürre des letzten Jahres.«

»Ich weiß.« Dala seufzte. »Vater denkt, dass eine Allianz mit Axan eine gute Grundlage wäre, mit den anderen Ländern in Verhandlungen einzusteigen und einige der Missstände damit auszuheben. Er denkt, es würde das Gleichgewicht zwischen den Nationen wieder stärken.«

»Das ist der größte Blödsinn! Bin ich die Einzige, die Daryan zuhört, wenn er seine Lehren weitergibt? Die Axaner suchen neues Land zum Roden und unser teures Mintall. Die Mindener Bevölkerung ist ihnen egal. Wenn sie sich hier einnisten, werden die Lyamer ihre Wasservorräte noch strenger hüten als zuvor. Die Länder im Süden haben sich bereits hinter ihren Grenzen verbarrikadiert. Ich hätte Vater für weniger naiv gehalten.«

Dalas warme Finger schlossen sich um ihre Hand. »Denke nicht schlecht von ihm. Das hat er nicht verdient. Er will das Beste für uns. Außerdem: Wann hat uns die Heilige Macht zuletzt ein Zeichen gesendet?«

Gerade eben, als ich auf dem Dach hockte, dachte Milea, sprach es aber nicht aus. Stattdessen stieß sie den Atem durch die Nase, entzog sich dem Griff ihrer Schwester und erhob sich.

Musste sie Kalo wirklich heiraten, weil ihre Mutter Axanisches Blut in sich getragen hatte? Legte ihr Vater in diesen Weg deshalb solch große Hoffnung? Die Blutlinie ihrer Mutter war seit jeher ein Geheimnis. Selbst innerhalb der Familie wussten allein Milea und ihr Vater davon. Umso wichtiger war es, dass sie ihren eigenen Weg ging. Das Gleichgewicht stand ohnehin schief.

Es kostete sie Überwindung, das Kleid vom Haken zu heben. Dieses Kleidungsstück repräsentierte alles, wofür Minden stand – das Reich der Mitte, des Gleichgewichts und der Brücke zur Heiligen Macht. Und sie sollte es verraten für eine Ehe mit Kalo von Axan, dem Kronprinzen des Feuerreiches.

Ihre Finger krampften sich um die Seide, als ihre Schwester das Kleid von ihr entgegennahm. Nur widerwillig ließ sie los. Es half alles nichts.

Während Dala ihr in das unbequeme Stück Stoff hineinhalf, hielt Milea die Luft an. Das Gewicht legte sich wie eine Bürde auf ihre Schultern. Wenigstens würde sie es nicht ewig tragen müssen, zumindest wenn ihr Plan aufging.

Als Milea endlich wieder durchatmen konnte, fragte sie: »Hast du Kalo schon gesehen?«

Zur Antwort hörte sie Dala kichern. »Ja, heimlich durch ein Fenster im Tempelgang. Er trägt das Kinn in der Luft und stolziert herum wie ein Gockel. Aber er ist auch ansehnlich.«

Mit den Fäusten in die Hüften gestemmt wandte Milea sich an ihre Schwester. »Stell dir vor, ich müsste tatsächlich das Bett mit ihm teilen.«

Wieder kicherte ihre Schwester und schob ihr einen Schemel entgegen. »Das wäre das Ende für dich, was? Vielleicht ist er nicht so schlimm, wie er wirkt.«

»Rede dir das gern ein, aber mich täuscht er nicht.« Milea nahm Platz und beobachtete, wie ihre Schwester verschiedene Farben nebeneinander aufreihte.

Pinselstrich um Pinselstrich senkte sich auf ihr Gesicht, während Dala auf wundervolle Weise Muster auf ihre Wangen und Stirn malte. Die Farben Rot, Beige, Blau und Grün, die sie nutzte, ehrten die vier Nationen, die Minden umgaben. Minden lag im Zentrum und die Farbe Weiß stand für die Reinheit des Gleichgewichts. Sogar Hals und Ohren bemalte Dala. Das überdeckte die zarte Narbe an Mileas rechtem Ohrläppchen, was ihr durchaus recht war. Die Narbe war erst zu sehen, wenn man nah vor ihr stand, und wenige wussten davon, was vorerst so bleiben sollte.

Als Dala fertig war, konnte man von Mileas Gesicht nicht mehr viel erkennen. Sie atmete tief ein und aus. »Die Briefe, die Kalo an Vater geschickt hat, um für eine Allianz und die Vermählung zu werben, haben eine ganz deutliche Sprache gesprochen. Er hält nichts von den Ritualen und nichts vom Gleichgewicht. Es hat Etliches an Überzeugung gekostet, ihn zum heutigen Ritualablauf zu überreden.«

Dalas Blick flog gen Boden. Sie knetete die Hände ineinander, sagte aber nichts. Als sie wieder aufblickte, standen Tränen in ihren Augen. »Pass auf dich auf, ja?«

»Das werde ich«, entgegnete Milea und nahm Dala in einer Umarmung gefangen. Sie hauchte ihr einen Kuss auf den blonden Haarschopf. »Dann wollen wir mal.«

Dala tupfte sich mit dem Handrücken über die Augen und wies auf die Tür. »Nach dir.«

»Danke. Manchmal empfinde ich es als Fluch, immer den Vortritt zu erhalten.« Milea ging ein paar Schritte und sah im Augenwinkel, wie ihre Schwester die Hände im Rocksaum verkrampfte.

»Ich bin es gewohnt«, entgegnete Dala leise. »So war es schon immer.«

Milea reichte ihrer Schwester die Hand. »Dein Tag wird noch kommen. Bestimmt.«

Dala erwiderte nichts darauf, ließ sich aber von ihr aus dem Zimmer führen.

* * *

Milea stierte geradewegs auf die Tür am Ende des Ganges, während sie sich ihr näherte. Hinter ihr klapperte Dala auf Absätzen über den Marmorboden. Milea hingegen setzte einen nackten Fuß vor den anderen. Wenn Vater der Meinung war, sie in diese Ehe und damit diesen Aufzug forcieren zu müssen, sollten zumindest ihre Schritte frei bleiben. Sie waren verborgen unter der weit aufgefächerten Seide, genau wie ihr Spitzdolch am Oberschenkel. An der Hand trug sie ihre beiden Ringe, durch eine unscheinbare Mintallstange auf der Handfläche verbunden. Sie waren ein Geschenk von Daryan, ihrem Lehrmeister, und heute wichtiger denn je, denn sie enthielten ein ganz eigenes, tödlich spitzes Geheimnis.

Hoch erhobenen Hauptes trat sie zwischen den Türflügeln hinaus ins Freie auf den hellen Innenhof.

Innerhalb von Herzschlägen verstummten die Gespräche. Einzig die Geräusche der Natur blieben. Der Wind, der durch die Blätter fuhr, Vögel, die in den Schatten ihre Lieder zwitscherten, und das Summen von Insekten füllten die Luft. Warm legte sich die Sonne auf ihre Wangen.

Ihr Plan war heikel, aber er konnte gelingen. Immerhin hatte sie Dala an ihrer Seite.

Als hätte sie es gehört, schloss ihre Schwester zu ihr auf. »Wie dich alle anstarren«, flüsterte sie.

Milea lächelte. Sie wusste um ihre Wirkung und den Effekt des Kleides, auch wenn sie es lieber zu einem anderen Anlass getragen hätte. Bedächtig schritt sie weiter in den Tempelhof hinein.

Im Schatten der vier Ecktürme standen Priesterinnen und Priester in den Farben der Elemente und beteten einen Singsang. Milea mochte das tiefe Brummen der grüngewandeten Erdpriester. Doch erst in Kombination mit den Rhythmen der Feuerpriester, den langgezogenen Tönen der Wasserpriester und den hohen Stimmen der Windpriester entfaltete sich der Gesamtklang. Sie bildeten eine Einheit, genau wie Minden im Zentrum der Länder das Gleichgewicht der Elemente wahrte.

Bis heute.

In der Mitte des Platzes im Schatten des zentralen Turmes blieb Milea stehen.

Obwohl dieser Turm mitten auf dem Hof stand, versperrte er nicht die Sicht. Seine dünnen Standbeine verbanden sich in Bögen ein Stockwerk oberhalb, von wo die Wohnräume in luftigen Höhen auf die Ecktürme zuliefen.

Als Kind hatte sich Milea oft gefragt, wie das halten konnte, und sich nie näher herangetraut aus Angst, der Turm könnte über ihr zusammenbrechen. Heute war sie erwachsen und musste sich größeren Herausforderungen stellen.

Sie atmete aus, angesichts dessen, was kam. Mochte das Spektakel beginnen.

Sie drehte sich um die eigene Achse. Dabei führte sie die Arme in die Höhe, damit sich die beigefarbenen Flügelärmel ausbreiten konnten. Wie ein Vogel im Wind, nur dass an ihrem Oberkörper blaue Seidenfäden hinabrannen wie Wasserfälle, die sich in einem lavaroten Band verloren, das in einen mit Blättern bestickten Rock überging. Vier Elemente – Wind, Wasser, Feuer, Erde – und eine sie einende Kraft – die Heilige Macht, die man in Minden verehrte wie sonst nichts auf der Welt.

Nach zwei Umdrehungen sank sie auf die Knie und führte die Hände zur Stirn. »Möge die Heilige Macht mich erhören und das Gleichgewicht immerfort tragen.«

»Möge die Heilige Macht auch mich erhören«, erklang es hinter ihr. Schwere Schritte näherten sich.

Milea stand erst auf, als der Mann unmittelbar neben ihr zum Halt kam. Betont langsam erhob sie sich und wandte sich ihm zu. Sie blickte in die flammenfarbenen Augen von Kalo, dem Kronprinzen aus dem Feuerreich Axan. Seine schwarzen Haare und die kantige Nase waren der schreiende Kontrast zu ihren eigenen weichen Gesichtszügen und den blonden Haaren, die über ihre Schultern bis auf die Brust fielen.

Sie schenkte ihm ein höfliches Lächeln. »Ihr müsst zuerst in der Mitte des Platzes vor der Heiligen Macht niederknien, bevor Ihr sie ansprecht.«

»So? Muss ich das?«

Kalos Frage hing wie ein Faustschlag in ihrer Magengrube. Seine Blicke lagen auf ihr und erinnerten sie an die Baumlinge, die erst mit ihrer Beute spielten, bevor sie den Gnadenbiss setzten.

Entschlossen straffte Milea die Schultern. »Ihr wollt mein Ehemann werden, dann sollten Euch die Heiligen Rituale nicht egal sein.«

»Das sind sie nicht«, entgegnete Kalo. »Andernfalls hätte ich dieses Arrangement nicht getroffen.«

»Ein … Arrangement.« Milea spuckte die Worte aus, während sie die Hände auf ihr Kleid presste.

Im Hintergrund erspähte sie ihren Lehrmeister Daryan, der ein Kopfschütteln andeutete, wohl um sie zu besänftigen, aber es war ihr egal. Sie ließ sich nicht verkaufen, erst recht nicht für das, was auf dem Spiel stand. »Wie könnt Ihr annehmen, dass ich das Gleichgewicht dieser Welt freiwillig bedrohe?«

»Was wollt Ihr damit sagen?«, warf ihr Kalo entgegen.

Sie wandte sich ab von ihm und hob die Stimme, sodass der ganze Hof sie hören konnte. »Ich bin Milea von Minden, Nachfolgerin des Obersten Priesters und Hüters des Gleichgewichts – meines Vaters.«

Die Priesterinnen und Priester an den Ecktürmen verstummten. Die Gäste aus Axan steckten ihre Köpfe ebenso tuschelnd zusammen wie die Menschen aus Minden.

Milea trat einen Schritt von Kalo weg. Alle sahen sie an, als sie den Blick ihres Vaters suchte, der auf einem hölzernen Schemel unterhalb des Mittelturmes Platz genommen hatte. »Ich soll zukünftig die Beschützerin des Gleichgewichts sein. Doch wie soll mir das gelingen, wenn meine Hochzeit eben dieses stürzt?«

Während die Mindener verunsichert nickten, weiteten sich die Augen der Axaner genau wie die ihres Vaters. Einzig Kalo wirkte davon unberührt. Er musterte sie, als hielte er ihre Ansprache für die Flausen eines unreifen Mädchens. Aber sie war fast zwanzig und wusste genau, was sie tat.

Sie trat einen Schritt auf ihren Vater zu. »Ich bitte dich, diese Hochzeit nicht zu segnen. Die Menschen in unserem Land haben kaum genug, um sich zu nähren. Die Dürre hat uns zugesetzt. Wir sollten die Heilige Macht nicht weiter schwächen, indem wir uns der Hitze zuwenden. Wir benötigen Nahrung, sauberes Wasser und Arbeit. Seit diese Allianz im Gespräch ist, verwelken die Felder Mindens noch schneller, die Menschen sind krank und noch nie gab es derart viele Bettler in unserem Land wie heute.«

Ihr Vater rutschte ein Stück nach vorn und krallte die Finger um die Sitzfläche aus Rindensteinen. »Milea, das Gleichgewicht zerfließt bereits. Du hast es selbst beschrieben. Minden braucht Unterstützung in diesen Zeiten, und eine Allianz mit Axan ist die beste Basis, die anderen Länder von einem Miteinander zu überzeugen.«

»Glaubst du das wirklich?«

»Ich werde nicht darüber diskutieren.«

Darauf hatte Milea gewartet. »Dann fordere ich ein Tschi To Kao.«

»Nein!« Der Ruf war ihrem Lehrmeister Daryan entfahren, der sie mit Blicken anflehte, die Forderung rückgängig zu machen.

Sie ignorierte es und konzentrierte sich stattdessen auf Kalo. Es irritierte sie, wie sich seine Miene zu einem Grinsen verzog.

»Ihr versucht, Euch dem Ehebund zu entziehen? Es ist geltendes Recht Mindens, dass Euer Vater Euch verheiraten darf.«

»Und es ist geltendes Recht Mindens«, konterte sie, »ein Tschi To Kao zu fordern. Es hat oberste Priorität. Aber Ihr könnt Euer Glück versuchen. Wenn Ihr mich besiegt, bin ich Euer.« Herausfordernd lächelte sie ihn an, bereit sich ihm im Kampf zu stellen.

Kalo zog lediglich die Augenbrauen in die Höhe. Seine Hand lag auf dem Schwertknauf an seiner Hüfte, die feuerroten Augen durchdringend und brennend wie die Lavafelder, die die Reiche Minden und Axan voneinander trennten. »Soweit mir bekannt ist, kann lediglich ein zeremoniell bestätigter Priester oder Priesterin ein Tschi To Kao fordern, es sei denn, der Hohepriester persönlich erteilt seine Erlaubnis.«

Kalos Kopf fuhr zu Mileas Vater herum, der wie versteinert auf seinem Heiligen Stuhl saß.

Es tat ihr leid, dass sie ihn vor diese Entscheidung stellte, aber es war ihre einzige Chance, Mindens Zukunft zu retten, und die aller anderen Länder, die unter dem Schutz der Heiligen Macht standen.

Ihr Vater löste sich nur langsam aus seiner Starre. Wie ein gealtertes Uhrwerk wog er den Kopf nach links und rechts. »Oft habe ich in den vergangenen Monden zur Heiligen Macht gebetet, um zu erfahren, wie sie über diese Allianz denkt. Ich erhielt nicht ein einziges Mal Antwort. Das stärkte die Idee, Bündnisse miteinander zu schmieden, um das Gleichgewicht zu fördern. Gleichzeitig hat in hundert Jahren niemand ein Tschi To Kao gefordert. Daher werde ich noch einmal beten und um Rat fragen.«

»Das ist Irrsinn!«, polterte Kalo.

Mileas Vater erhob sich. »Unsere Rituale sind kein Irrsinn. Sie sind der Steg zur Heiligen Macht und zum Gleichgewicht. Grundlage für eine Allianz ist, dass Ihr sie als Teil des Lebens akzeptiert.«

Als Kalo nichts darauf erwiderte, atmete Milea erleichtert aus. Da ihr Vater es in die Hand der Heiligen Macht gab, hatte sie eine realistische Chance. Außerdem hatte Kalo erneut bewiesen, welch geringen Stellenwert das Gleichgewicht dieser Welt für ihn hatte. Ein weiterer Grund, sich gegen diese Eheschließung aufzulehnen.

Leider war sie noch nicht als Priesterin geweiht, auch wenn sie seit über zehn Jahren die Lehren Daryans in sich aufsaugte, aber sie vertraute der Heiligen Macht mit ganzem Herzen.

Ihr Vater kniete vor dem Mittelturm nieder. Er führte die Stirn auf den Boden, einmal in Richtung jedes einzelnen der vier Ecktürme. Danach stand er wieder auf und vollführte mit den Händen die ehrerbietenden Bewegungen, die das Ritual von ihm forderte: eine Wellenbewegung für das Wasser, ein Hauchen über die Handfläche für den Wind. Anschließend richtete er die Fingerspitzen kreisförmig auf, um das lodernde Feuer zu symbolisieren, und führte die Hand in die Höhe, wie Pflanzen aus der Erde wuchsen. Zum Abschluss legte er die Handfläche auf sein Herz und richtete den Blick auf den Boden vor seinen Füßen, genau in die Mitte, in das Zentrum, zur Macht, die die Elemente zusammenhielt.

In dieser Haltung blieb er stehen.

Milea wusste, dass er auf ein Zeichen wartete, und sie betete mit ihm, öffnete ihr Herz und lauschte in die Welt hinein. Es war das erste Mal, dass sie während dieses Rituals nahe bei ihrem Vater stand. Sie kannte es lediglich aus Daryans Lehren, da ihr Vater es stets hinter verschlossener Tür durchführte.

Das Symbol Mindens auf ihrer Schulter erwärmte sich und kribbelte, als wollte die Heilige Macht ihre Wünsche erhören.

Der Wind frischte spürbar auf und zog durch den Innenhof. Er riss einige Blätter von einem Baumsetzling auf dem Hof. Sie landeten in einem der Rinnsale, die die Innenmauern zur Zierde umflossen, und trieben geradewegs auf eine der rituellen Kerzen zu. Dort blieben sie haften.

Wind, Erde, Wasser und Feuer.

Das war eindeutig! Hoffentlich sah ihr Vater das genauso.

Mileas Vater ging zu der Stelle und führte die Finger in das Rinnsal hinein. Mit der freien Hand strich er sich über seine Schulter, genau dort, wo auch Milea ihr Zeichen trug. Das Kinn reibend erhob er sich wieder, kam zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Wange. Tränen stiegen in seine Augen. »Du bist dir im Klaren darüber, dass du im Fall deines Sieges sämtliche Privilegien verlierst? Wenn du das Tschi To Kao überlebst, bist du eine Frau ohne Stand. Dir wird in Minden kaum etwas als die Bettelei bleiben.«

Milea nahm seine klammen Finger in ihre. »Wenn es die Welt davor schützt, ins Ungleichgewicht zu fallen, ist es mir den Preis wert.«

»Ihr wollt das Tschi To Kao gewähren?« Kalos entrüsteter Ausruf ließ sie zusammenfahren.

Ein rhythmisches Hornsignal ertönte und mit ihm flammte ein weißes Feuer auf der Spitze des Mittelturms auf.

»Ja«, erwiderte ihr Vater. »Die Sprache der Heiligen Macht war eindeutig.« Er hielt inne, schluckte. »Nun liegt es bei Euch, zu beweisen, dass Ihr diese Ehe und die Allianz verdient, und bei Milea, dass dem nicht so ist.«

* * *

Die plattgetretene Erde des Kampffeldes gleich vor den Toren des Tempels kitzelte Mileas Fußsohlen. Sie bohrte die Zehen in den Dreck, während sie ihren Gegner musterte.

Kalo hatte erwartungsgemäß nicht sich gewählt, sondern einen seiner Kämpfer. Dabei war Kalo, glaubte man den Erzählungen, der mit Abstand beste Kämpfer Axans.

Die Oberarme des Mannes, den er gewählt hatte, waren doppelt so breit wie ihre eigenen und er überragte sie um mindestens einen Kopf. Außerdem hatte er sich sichtlich von Kalos Arroganz anstecken lassen. Locker stützte er sich auf den Schwertknauf, ein breites Grinsen im Gesicht, während er Milea betrachtete. Die umstehenden Männer aus Axan lachten. Sie machten keinen Hehl daraus, welche Chancen sie ihr im Kampf einräumten.

»… schneller tot, als sie ihren Rock für mich heben könnte«, drangen Wortfetzen zu ihr, »… zeig uns, was du kannst, Vögelchen … schade um das weiche Fleisch …«

Auf der anderen Seite des Kampffeldes standen die Mindener, allen voran die Tempelpriesterinnen und -priester sowie ihr Vater, daneben Dala, deren Gesichtsfarbe sich dem weißen Samtkleid angepasst hatte. Dala hatte gewusst, dass Milea diesen Weg gehen würde, und versprochen, sie darin zu unterstützen und die Heirat mit allen Mitteln zu verhindern. Ihren Lehrmeister Daryan entdeckte Milea mit geballten Fäusten im Hintergrund stehend. Sie sah ihm an, wie gern er den Männern aus Axan ihre dreisten Worte ausprügeln wollte. Sie hatte ihn nicht eingeweiht, aber nach Kalos Auftritt würde er ihre Entscheidung verstehen. Hoffentlich genügten seine Trainingseinheiten.

»Möge das Tschi To Kao seinen Lauf nehmen«, schallte die zittrige Stimme von Mileas Vater über den Platz. Er führte die Hände zum Herzen und von dort zum Boden hinab, bevor er sich wieder aufrichtete. Sein Gesicht war aschfahl. Das Sprechen bereitete ihm Mühe. »Möge die Heilige Macht uns leiten und uns offenbaren, welcher Seite das Recht gebührt. Gekämpft wird, bis einer von euch beiden aufgibt oder nicht weiterkämpfen kann.«

Diese Worte schnürten Milea den Hals zu. Auch wenn sie gewusst hatte, dass sie diesen Satz hören würde. Die Aufregung pumpte durch ihren Körper, während ihr Gegner noch immer auf seinem Schwertknauf lehnte, als wäre es ein Zaun am Rande einer Viehweide.

Milea hatte kein Schwert bei sich. Erlaubt waren jene Dinge, die sie bei sich trug, während sie die rituellen Worte aussprach. Sie warf ihrem Gegner einen herausfordernden Blick zu.

Der riss die Stahlspitze aus dem Boden und legte sich das Schwert über die Schulter. Grinsend schlenderte er näher. »Wie willst du deinen Tod haben? Schnell oder qualvoll?« Er schwang die Schneide in die Luft und ließ sie auf Milea niedersausen.

Im letzten Moment hechtete sie zur Seite davon und rollte über ihre Schulter wieder in den Stand.

Die Klinge grub sich in den Boden. Ein paar abgetrennte Haarbänder flatterten im Sand, und der Krieger Axans starrte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seinen Oberschenkel. Blut quoll aus einem tiefen Schnitt hervor.

Bevor er sich sammeln konnte, zog Milea den Nadeldolch, den sie auf ihrer Handfläche versteckt gehalten hatte, durch den Stoff des Kleides. Sie riss es herunter, sodass sie in den schwarzen Kleidungsstücken vom Vormittag dastand.

»Bring sie um!«, keifte Kalo vom Seitenrand.

Die umstehenden Priesterinnen und Priester keuchten, und das angstgetränkte Gesicht ihres Vaters schnürte Milea die Kehle zu. Schnell blickte sie auf ihre Hand, beobachtete dabei aber ihren Gegner im Augenwinkel. Den Nadeldolch klappte sie zurück auf die Mintallstange, die ihre Ringe miteinander verband. Sie hatte das tausend Mal geübt. In einer fließenden Bewegung zog sie stattdessen den Spitzdolch aus der Oberschenkelhalterung.

Die Oberfläche glänzte golden in der Nachmittagssonne. Das kantige Abbild ihres Gegners spiegelte sich darauf, als er auf sie zukam.

Diesmal warf sie sich nach hinten. Knapp konnte sie zwei weiteren Hieben ausweichen. Der bullige Mann brachte Kraft mit sich, dafür fehlte ihm die Wendigkeit. Zufrieden registrierte sie seinen verbissenen Gesichtsausdruck.

Milea tänzelte um ihn herum. An der Muskelmasse geschätzt würde ihre Kondition deutlich länger ausreichen. Immer wieder brachte sie Distanz zwischen sich und Kalos Mann, dessen Lungen immer kräftiger um Atemzüge rangen. Die Nachmittagssonne brannte Milea im Nacken und trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Doch nicht nur ihr. Kalo hatte ihr einen Mann entgegengestellt, der sich allein auf seine Kraft verließ.

Erneut kam der Gegner näher. Sein Arm zuckte zu einem Angriff.

Milea hechtete nach rechts, als der Schmerz in ihrem Oberschenkel explodierte. Die Klinge schlitzte ihre Haut der Länge nach auf, nicht besonders tief, aber es brannte wie Feuer. Sie stürzte in den Dreck, kaum in der Lage, sich wieder aufzurichten.

Ein grimmiges Knurren näherte sich, Stahl sauste durch die Luft.

Im letzten Moment rollte Milea zur Seite. Sand spritzte von der Wucht des Stahleinschlages nach allen Seiten.

Während ihr Gegner das Schwert wieder aus dem Boden zog, krabbelte sie rückwärts davon. Noch immer war es ihr nicht möglich, auf die Beine zu kommen. Der Schmerz raubte ihr beinahe den Verstand. Eine Spur aus Blutstropfen zeichnete ihren Weg über das Kampffeld, an dessen abgesteckten Rändern die meisten Mindener die Hände vor den Mund geschlagen hatten.

Der Wind war verschwunden, ebenso wie das Insektensummen und das Rauschen des Wasserlaufes im Innenhof, als würde sogar die Heilige Macht den Atem anhalten und den Ausgang des Kampfes verfolgen.

Mit dem Arm wischte Milea sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Luftzüge wurden flacher und ihre Muskeln ächzten. Sie rappelte sich auf und blickte ihren Kontrahenten aus schmalen Augen an. Im stillen Einvernehmen standen sie sich gegenüber. Die Ruhe vor dem Sturm. Ein gegenseitiges Abschätzen. Jede Nuance seiner Bewegungen verfolgte sie: die Schultern, die sich hoben und senkten, den Griff der Finger um das Schwert, der mal fester, mal lockerer wog, der Blick, der kaum merklich umher zuckte, im Versuch, eine Schwachstelle zu finden.

Auf einmal rannte der Axaner auf sie zu.

Milea reagierte gerade rechtzeitig. Schlag um Schlag wich sie aus. Der Dolch wechselte in ihre linke Hand und sie ließ den Nadeldolch von ihrer Handfläche wieder ausfahren. Mit gekreuzten Klingen fing sie einen Hieb des Gegners ab.

Dessen Augen verengten sich, als unter der Goldummantelung die violette Farbe des Mintalls zum Vorschein kam, aus dem die Dolche eigentlich gefertigt waren. Eine Legierung aus Eisen und Diamanten, auf natürliche Weise entstanden in den Gebirgen am südlichen Rand Mindens. Ein Geschenk der Heiligen Macht, die den alten Sagen zufolge in den Bergen lebte.

Mileas Muskeln spannten sich, während der Druck des Schwertes stärker wurde. Ihr Oberschenkel brannte noch immer wie Feuer. Es verlangte ihr alles ab, nicht einfach zusammenzubrechen. Sie verhakte die Dolche ineinander und hoffte auf die Beständigkeit des Mintalls gegen den blanken Stahl. Als der Druck für den Bruchteil eines Atemzuges nachließ, drehte sie sich, die Dolche fest im Griff, um die eigene Achse. Mit einem heftigen Ruck entriss sie dem Krieger sein Schwert. Es schepperte zu Boden, während sie ihm mit einer weiteren Drehung die Schneide über die Wange zog.

Er riss die Hände vors Gesicht, was Milea ausnutzte. Eine weitere Körperdrehung, und sie stand neben ihm. Sie jagte den Nadeldolch gezielt durch Leder, Stoff, Haut und Fleisch, bis zum Anschlag. Als ihr Gegner in die Knie ging, zog sie die Klinge wieder heraus. Sie sprang in die Höhe und ließ mit beiden Händen umschlossen den Knauf auf den Nacken des Axaners niederfahren. Mit ihrem gesamten Körpergewicht lehnte sie sich in diesen Angriff.

Er zeigte Wirkung. Ein Stöhnen auf den Lippen kippte der Krieger in den Dreck. Blut sickerte aus der Wunde. Sie war keinesfalls tödlich, nicht einmal sonderlich schädlich, sollte Milea gut getroffen haben. Aber es genügte.

Schwer atmend schob sie ihre Dolche zurück in die Halterungen. »Der Sieg ist mein.«

Ein Kribbeln zog sich über ihre Schulter. Eine Böe riss an dem Zeremonienkleid, das noch immer im Sand lag, und zog es durch den Dreck. Niemand sagte etwas. Sie schienen darauf zu warten, dass der Hohepriester eine Entscheidung fällte. Dabei war das unnötig. Die Heilige Macht hatte bereits entschieden. Wieder zog sich ein Kribbeln über Mileas Schulter, intensiver, tiefer, unangenehm brennend.

Ihr Vater kam zu ihr. Seine Augen wirkten trüb, sein Gang gebückt, die Schritte kraftlos. »Du lagst richtig«, flüsterte er und kam vor ihr zum Stehen. Mit lauter Stimme fuhr er fort: »Milea von Minden gewinnt das Tschi To Kao. Damit hat sie sich die Freiheit erkämpft. Gleichzeitig verliert sie jedes Recht nach dem Mindener Gesetz. Von nun an wird sie von der Gunst anderer abhängig sein, aber auch frei von jedem Zwang. Das Ehebündnis ist hinfällig.«

Bei den letzten Worten schielte Milea zu Kalo. Irritiert sog sie die Luft ein.

In Kalos Wangen bildeten sich Grübchen, keine durch und durch fröhlichen, sondern vielmehr zufriedene. Sein selbstgefälliges Lächeln jagte ihr Schauer den Rücken hinab, so sehr, dass sie den pochenden Schmerz in ihrem Oberschenkel für einen Moment vergaß. Kalo wirkte in keiner Weise erschüttert über Mileas Sieg. Im Gegenteil.

Einem Triumphator gleich schlenderte er auf das Kampffeld. »So, so. Kein Ehebund, keine Allianz.« Er wandte sich den Umstehenden zu. »Das ist äußerst schade für die Beziehungen unserer Länder. Es sei denn, jemand anderes aus der Familie des Hohepriesters ist bereit …«

»Niemand wird das tun!«, warf Milea dazwischen.

»Doch.« Es war eine zaghafte Stimme aus dem Hintergrund. »Ich.«

* * *

Milea fuhr zu ihrer Schwester herum. »Dala! Tu das nicht!«

»Doch!«, widersprach sie und trat zwischen zwei Priesterinnen einen Schritt nach vorn.

Milea konnte es nicht glauben. »Hat Kalo dich zu diesem Schritt gezwungen? Erpresst er dich mit irgendetwas?«

Dala schüttelte mit gequältem Ausdruck den Kopf, wandte ihr den Rücken zu und ging zu Kalo, um vor ihm zu knicksen.

»Du hast es mir versprochen …«, hauchte Milea.

Fassungslos verfolgte sie, wie der gehasste Axaner nach dem Kinn ihrer Schwester griff. Er beugte sich zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, der Milea den Magen verdrehte. »Dann sollst du Mein werden, Dala von Minden.«

Übelkeit überkam sie und für einen Moment verschwamm ihr Gesichtsfeld. »Diese Option steht nicht zur Debatte!«, rief sie.

Ihr Vater legte ihr ein breites Tuch über die Schultern und verdeckte damit die immer noch kribbelnde Stelle. In seinen Augen lag eine seltsame Resignation. »Als Zweitgeborene ist es Dalas freie Entscheidung.« Sein ruhiger Tonfall versenkte die Realität wie ein Hammer den Nagel im Holz. Dabei klang er keinesfalls unglücklich. Ergab er sich derart schnell in das Schicksal? Las er die Zeichen der Heiligen Macht nicht mehr? Bezog er keine Stellung?

Diese Tatsache trieb Milea Tränen in die Augen. Sie kämpfte sie nieder und hielt bewusst Kalos Blick stand.

»Dala, du verstehst nicht, was du anrichtest.«

»Was weißt du schon«, murrte ihre Schwester und sah zu ihr, während Kalo seine Hände auf ihren Rücken legte und sie an sich zog.

Das Kribbeln auf Mileas Schulter verschwand. Die Heilige Macht hatte ihre Freiheit bestätigt. Sie zog das Tuch enger um sich, damit Dala es nicht sah.

Ihre Schwester kam zu ihr. Vor Milea blieb sie stehen und sprach mit gesenkter Stimme, sodass bloß Milea es hören konnte. »Du hast gesagt, mein Tag würde kommen. Hier ist er. Ich löse mich aus deinem Schatten, während du diesen Tempel auf alle Zeit verlässt. Geh! Es ist zu deinem Besten.«

Milea fiel nichts dazu ein.

Bevor ihr Körper den Verrat mit einem Schwall Erbrochenem zeichnete, wandte sie sich erhobenen Hauptes ab. Sie hatte Mühe, ihre Haltung zu wahren, und war kurz davor, zusammenzubrechen. Ihr ganzer Körper zitterte. Doch den Triumph wollte sie Kalo und Dala nicht gönnen.

Niemals!

Sie tat einen Schritt, um das Kampffeld zu verlassen, als Kalo sich vor ihr aufbaute. »Ihr geht nirgendwohin.«

Speerspitzen der Söldnerinnen und Söldner aus Axan richteten sich auf sie und umzingelten sie in Windeseile.

Erschrocken hielt Milea inne und musterte das blanke Metall.

Binnen Herzschlägen zogen die Mindener Priesterinnen und Priester nach. Sie waren die Elite, die besten Krieger, die dieses Land zu bieten hatte. Dolche, Bogensehnen und Kurzschwerter blitzten in der Sonne. Das war Heiliger Grund und Boden und kein Axaner hatte das Recht, hier ungefragt Waffen zu ziehen.

Mit flehendem Ausdruck griff Dala nach Kalos Hand. »Du hast, was du wolltest. Achte unsere Rituale und lass Milea gehen.«

»Das werde ich keinesfalls«, blaffte er. »Du hast gesagt, dass sie auf freiem Fuß eine Gefahr für diese Ehe bleibt.«

Milea biss sich auf die Lippen. Dala hatte sie verraten, mit dem Ehebund und mit den anderen Geheimnissen. Der Schmerz saß tief und sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.

»Ich wünsche«, sagte Kalo mit Nachdruck in der Stimme, »dass man sie einsperrt.« Milea sah ihm an, wie gern er den Wunsch als Befehl ausgesprochen hätte, doch die Allianz stand auf brüchigem Boden und er konnte nicht ganz Minden gegen sich aufbringen.

Niemand rührte sich. Nicht einmal Kalos eigene Männer. Die umstehenden Bewaffneten flößten ihnen offenbar Respekt ein und man wartete auf die Worte des Hohepriesters.

Ihr Vater stand noch immer nahe bei ihr. Seine Augen wirkten getrübt, die Gesichtsmuskeln eingefallen. Seine Stimme war belegt, als er sprach. »An diesem Heiligen Ort obliegt es mir, die Befehle auszusprechen. Ich werde Eurem Wunsch nicht stattgeben.« Dann wandte er sich an Milea. »Geh in dein Zimmer, nimm dir, was du brauchst und verlasse den Tempel.«

Als hätte er ihr persönlich den Speer auf die Brust gesetzt, sah sie ihren Vater an. Wollte er nicht die Stimme gegen Kalo erheben? Sie konnte nicht fassen, dass er das mit Minden geschehen ließ! Sie wartete einige Herzschläge lang, doch er meinte es ernst.

Zornig wandte sie sich ab und marschierte mit zusammengebissenen Zähnen an den Axanern vorbei. Tapfer überging sie die Schmerzen in ihrem Oberschenkel. Sie spürte Kalos bohrenden Blick im Rücken, bis sie den Tempel erreichte. Erst als sie hinter den massiven Toren im Inneren verschwunden war, knickte sie ein.

Ihre Beine zitterten und humpelten nur unter Mühen vorwärts. Wenigstens milderte die Kühle in der Zugangshalle den Schweißfluss auf ihrer Stirn.

Als sie die erste Treppenstufe hinauf zu ihrem Zimmer betrat, fuhr ihr der Schmerz bis in den Fuß. Sie presste eine Hand auf die Wunde und erschrak, als sie einen Blick darauf warf.

Die Ränder verfärbten sich blau und die Wunde warf kleine Bläschen. Sulvanengift! Die Klinge ihres Gegners musste damit benetzt gewesen sein. Das erklärte die brennenden Schmerzen. Dieser elende …!

Milea biss die Zähne aufeinander. Kalo wollte sie umbringen. Von Anfang an. Deswegen hatte er sie gehen lassen. Die Zeit spielte für ihn.

Fieberhaft überlegte sie, was Daryan ihr über Sulvanengift erzählt hatte. Ihre Gedanken fühlten sich träge an und ihr Gesichtsfeld verschwamm, sodass sie die Augen schließen musste. Verzweifelt krampften sich ihre Finger um das Geländer, während sie tiefe Atemzüge nahm.

Priester betraten hinter ihr den Tempel. Sie hörte es an den baren Füßen, mit denen sie über den Marmorboden tappten. Offenbar gab sie ein klägliches Bild ab, denn umgehend eilten Schritte zu ihr. Kräftige Hände griffen nach ihren Armen und stützten sie.

»Halte durch«, raunte einer von ihnen. Es war Daryan. Seine tiefe, beruhigende Stimme hätte sie unter Hunderten erkannt. Er war ihr Lehrmeister, ihr Vorbild, ihr engster Freund in diesen Hallen.

Dankbar krallte sie sich an den Schultern der Helfer fest, die sie in ihr Zimmer brachten. Dort sank sie auf ihr Bett, kaum fähig zu atmen. Das Gift verteilte sich in ihrem Körper. Wenn sie nicht rasch etwas tat, war sie tot.

»Geh. Ich bleibe noch bei ihr.« Daryans Stimme kam wie durch einen Schleier zu ihr. Sie hörte, wie jemand den Raum verließ, während sie mit sich selbst kämpfte. Der Zurückgebliebene begann, in ihren Schubladen zu wühlen. Das musste Daryan sein.

»Ganz rechts«, murmelte sie, als ihr endlich einfiel, wonach er wohl suchte. Ihre Lippen kamen kaum auseinander. Die Welt rückte weiter in die Ferne.

Etwas wurde auf ihre Wunde gepresst. Der Schmerz holte sie in die Realität zurück. Sie sah, wie Daryan ein paar tiefrote Blätter auf den Schnitt an ihrem Oberschenkel presste. Mit der anderen Hand zerrieb er ein weiteres Blatt zwischen den Fingern. Der Geruch von faulen Eiern drang an Mileas Nase, und zum Schmerz gesellte sich ein Anflug von Übelkeit.

Ausgerechnet die Dungkastanie sollte ihre Rettung werden. Während die Früchte eine der liebsten Speisen Mindens war, ertrug man den fauligen Geruch der Blüten kaum. Damit war der Baum einer der wichtigsten Symbole des Gleichgewichts und in Minden heilig, die Ernte streng reguliert und der Verzehr ausschließlich an besonderen Tagen erlaubt. Kaum jemand wusste allerdings um die heilenden Eigenschaften der Blätter, deren grünbrauner Saft einen weniger intensiven, doch ausreichend unangenehmen Geruch verströmte.

Daryans Finger schoben sich unter ihre kurze Hose. Ehe sie dazu in der Lage war, sich bei ihm zu beschweren, verschwanden sie in ihrem After. Er schmierte den Saft von seinen Fingern im Inneren ab und zog sie wieder hervor. »Tut mir leid«, nuschelte er. »Auf diesem Weg wirkt das Gegengift am schnellsten.«

Milea bemühte sich, die Peinlichkeit der Situation zu ignorieren, und hielt die Augen geschlossen. Sie kämpfte dagegen an, dass ihr Körper aufgab. Erst, als sie den Eindruck hatte, er begann das Gift zu bekämpfen, überließ sie ihm die Oberhand und versank in Schwärze.

2 – Élim

Die Klinge sauste auf Élims Kopf zu. Er riss sein Schwert waagerecht in die Höhe und parierte in letzter Sekunde den Angriff. Die Muskeln an seinen Oberarmen traten hervor, während er die Wucht des Schlages abfing.

Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn, und er musste blinzeln, was sein Gegenüber sofort ausnutzte. Erneut fuhr die Klinge auf Élim zu. Diesmal seitlich in Richtung Brust.

Seine Intuition schickte ihn einen Schritt nach links, sein Oberkörper drehte sich aus der Routine jahrelangen Trainings heraus zur Seite und er parierte den nächsten Angriff. Er verhakte seine Klinge mit der seines Gegners und drehte sie mit einem kräftigen Ruck aus dessen Händen.

Der geschmiedete Stahl schepperte auf den gepflasterten Untergrund und schreckte die Hühner im nahegelegenen Stall auf. Gackernd flatterten sie in ihrem Gatter umher, während Élim sich auf den Knauf seines eigenen Schwertes stützte. »Das war ein ausgezeichneter Kampf, Nebel.«

»Danke, und wie immer gebührt Euch die Ehre des Sieges.«

»Weil Ihr Euch wie immer zurückhaltet.«

»Wer weiß«, erwiderte Nebel und hob sein Schwert vom Boden auf, als wäre er zwanzig, nicht Anfang vierzig.

Élims Trainingspartner und jahrelanger Vertrauter war ein sonderbarer Mann. Weshalb er sich Nebel nannte, war ein Rätsel, aber vermutlich war es Ausdruck seiner mysteriösen Vergangenheit, oder aber es stand für die krausen, grauen Haare, die seinen Kopf umgaben wie ein Nebelschleier und von dort bis auf die Schultern fielen.

Élim stellte sein Schwert zurück zur restlichen Übungsausrüstung und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Beim nächsten Mal lasse ich Euch gewinnen.«

Ein Grinsen stahl sich in Nebels Züge, während er seine Übungsklinge zurückstellte. »Das werdet Ihr nicht. Andernfalls werde ich keine Gnade walten lassen, sobald Ihr am Boden liegt.«

Er war der Einzige in ganz Lyam, der gegenüber Élim solche Worte wagen durfte. Jeder andere wäre dafür der Burg verwiesen worden, aber nicht Nebel. Élim wusste ihn zu schätzen. Er vertraute dem Krieger, der dem Alter nach sein Vater sein könnte, wie den wenigsten Menschen in seinem Leben. »Das werde ich zu verhindern wissen. Nach dem Mittag machen wir weiter.«

Nebel griff nach einem Becher Wasser, den eine Magd zu ihm brachte, und leerte ihn in einem Zug. »Weshalb seid ihr derart versessen auf das Training, Prinz Élim?«

Auch Élim nahm sich zu Trinken und setzte sich zu Nebel auf die Treppe, die den Wehrgang hinaufführte.

»Weil ich es für nötig halte. Ab morgen lasse ich die Truppen in ein intensives Training einsteigen.«

»Ist es wegen der Botschaft aus Axan?«

»Ja, sollte die Hochzeit zwischen Minden und Axan vollzogen werden, steuern wir auf eine militärische Schieflage zu. Da bin ich lieber vorbereitet.«

»Dann glaubt Ihr den Geschichten Eurer Mutter?«

Élim spuckte aus. »Nein. Das ist Humbug. Sie hat förmlich Angst, dass die Welt auseinanderbricht, wenn diese Hochzeit stattfindet.«

»Und was glaubt Ihr?«

Élim blickte in Nebels dunkelbraune Augen. »Ich bin sicher, dass Kalo von Axan nach Macht strebt und seine Mutter ihm dabei freie Hand lässt. Er hasst die Menschen, besonders dann, wenn sie nicht zu ihm aufsehen. Er wird sich die Ländereien einverleiben und wir liegen nun mal am nächsten an Axan und Minden. Wenn ihm erst das Mintall gehört, werden seine Streitkräfte eine ernstzunehmende Bedrohung.«

»Mintall ist rar«, entgegnete Nebel. »Er wird kaum alle Truppen gleichzeitig ausrüsten können.«

Élim fuhr sich durch die schwarzen Haare. »Zumindest noch nicht. Aber er wird den Abbau beschleunigen, und dann ist es eine Frage der Zeit.«

»Damit könntet Ihr recht haben.« Nebel stand auf und füllte seinen Becher aus einem Krug Wasser auf. »Wie geht es Euren Geschwistern?«

Da war es. Das eine Thema, das Élim mit Abstand am liebsten mied. Er stand auf und stieg den Wehrgang hinauf. Hinter ihm kratzten Nebels Stiefel über die Stufen. Sein Vertrauter würde ihn wohl nicht in Ruhe lassen, bis er geantwortet hatte.

Dennoch ging er nicht gleich auf die stumme Forderung ein, sondern trat an die Burgzinnen heran. Élim liebte die Aussicht. Gen Süden bot sich ein nahezu freier Blick auf das Land. Überall glitzerte das Wasser von Flüssen und Seen, dazwischen Siedlungen und kurz vor der Grenze zu Kulm die zweite Burg seines Reiches Lyam. Eine Art Sommerresidenz und sein Rückzugsort, wenn ihm hier auf der Hauptburg oberhalb der Hauptstadt Lyr alles zu viel wurde.

»Weglaufen ist nicht mehr so leicht wie früher, was?

---ENDE DER LESEPROBE---