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"Der perfekte Liebesroman für den Urlaub mit dem gewissen Etwas: sein Enthusiasmus und die wunderschönen Beschreibungen bieten einen unerwarteten Blick auf die Komplexität der sich entwickelnden Liebe und der sich veränderten Psyche. Er ist eine unterhaltsame Empfehlung für Fans von Liebesromanen, die nach etwas mehr Komplexität bei ihrer Lektüre suchen." --Midwest Book Review (Für jetzt und für immer) DAS GEISTERHAFTE ANWESEN: MORD ZUM FRÜHSTÜCK ist der Debut-Roman einer neuen, mitreißenden Cozy-Krimireihe der Bestsellerautorin Sophie Love, Autorin der Reihe Die Pension in Sunset Harbor, einem Nr.-1-Bestseller mit mehr als 200 Fünf-Sterne-Bewertungen. Marie Fortune, 39, eine erfolgreiche Hundefrisörin aus Boston, hat die Nase voll davon, es den Reichen und ihren verwöhnten Hunden recht zu machen. Es ist Zeit für einen Neuanfang, weshalb sie kündigt und in eine Kleinstadt in Maine reist, an die sie sich durch die Sommer ihrer Kindheit erinnert. Marie wollte eigentlich nur ein paar Tage dort bleiben, doch muss schockiert feststellen, dass ihr ihre Großtante ein Erbe hinterlassen hat: ein heruntergekommenes, historisches Haus oben auf dem Berg mit Blick auf den Hafen. Marie fühlt sich sofort zu dem Haus hingezogen. Und auch wenn die Einwohner der Kleinstadt sie für verrückt halten, beschließt Marie, das Haus zu renovieren und ihm als Bed & Breakfast neues Leben einzuhauchen. Doch mit einer Sache hatte sie nicht gerechnet: in dem Haus spukt es. Doch auch das zweite Erbstück, das ihre Tante ihr vermacht hat, ist eine Überraschung: ein Hund, der sich jedoch nicht wie ein typischer Hund verhält. Als sich kurz darauf auch noch ein unerwarteter Todesfall ereignet, versucht Marie, das Verbrechen nicht nur aus reiner Neugierde zu lösen – ihre eigene Zukunft könnte davon abhängen. Dieser packende Krimi voller Rätsel, Liebe, Spuk, Reisen, Tiere und gutem Essen vor der Kulisse einer Kleinstadt und einem renovierungsbedürftigen Bed & Breakfast wird Ihr Herz erwärmen – DAS GESITERHAFTE ANWESEN ist ein Krimi, der sie fesseln und bis spät in die Nacht nicht mehr loslassen wird. Doch bei allem Schauerhaften kommt auch der Humor nicht zu kurz. "Die Romantik ist spürbar, aber sie ist nicht erdrückend. Applaus an die Autorin für den gelungenen Auftakt zu einer Romanreihe, die uns Unterhaltung pur verspricht." --Books and Movies Reviews (Für jetzt und für immer) Buch 2 und Buch 3 in der Romanreihe — TOD ZUM BRUCH und HEIMTÜCKE ZUM MITTAGESSEN — können bereits vorbestellt werden!
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DAS GEISTERHAFTE ANWESEN:
Mord
Zum
Frühstück
Ein Cozy-Krimi mit Hundespürnase Casper — Buch 1
Sophie Love
Von der #1 Bestseller-Autorin Sophie Love, die auch die Romantik-Serie DIE PENSION IN SUNSET HARBOR mit acht Bänden sowie die Romantik-Serie DIE LIEBE AUF REISEN mit fünf Bänden geschrieben hat kommt nun die brandneue „CANINE CASPER“-Krimiserie mit bislang drei Bänden.
Sophie würde sich freuen, von Ihnen zu hören, also bitte schauen Sie auf www.sophieloveauthor.com
BÜCHER VON SOPHIE LOVE
EIN COZY-KRIMI IN EINEM KURIOSEN BUCHLADEN
HEXEREI ZUR TEESTUNDE: EIN UNHEILVOLLER BAND (Buch 1)
EIN COZY-KRIMI MIT HUNDESPÜRNASE CASPER
DAS GEISTERHAFTE ANWESEN: MORD ZUM FRÜHSTÜCK (Buch 1)
DIE PENSION IN SUNSET HARBOR
FÜR JETZT UND FÜR IMMER (Buch 1)
FÜR IMMER UND EWIG (Buch 2)
FÜR IMMER MIT DIR (Buch 3)
WENN ES DOCH NUR FÜR IMMER WÄRE (Buch 4)
FÜR IMMER UND EINEN TAG (Buch 5)
FÜR IMMER UND NOCH EIN TAG (Buch 6)
FÜR DICH FÜR IMMER (Buch 7)
WEIHNACHTEN FÜR IMMER (Buch 8)
DIE LIEBE AUF REISEN
DAS FESTIVAL DER LIEBE (Buch 1)
ITALIENISCHE NÄCHTE (Buch 2)
EINE LIEBE IN PARIS (Buch 3)
INHALT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREISSIG
KAPITEL EINUNDREISSIG
Der Mann, der sich gerade vor ihr aufgebaut hatte, erinnerte Marie Fortune stark an ihren ehemaligen Schuldirektor, auch wenn sie nicht so recht wusste, warum. Wenn er die Stirn runzelte, hatte sie den Eindruck, als würde sein gepflegter Schnurrbart es dieser gleichtun. Aber es lag vermutlich eher an der Art, wie er sie über den unteren Rand seiner Brille hinweg betrachtete; fast so, als wäre sie ein Käfer, den er am liebsten zertreten würde.
„Ich verstehe nicht“, sagte der Mann, der nicht Schuldirektor Davis war. „Es ist doch wirklich nichts Besonderes. Warum haben Sie es nicht vorrätig?“„Na ja, es ist eine ganz spezielles Haargel“, sagte Marie. „Wenn wir es auf Lager hätten, würde es nur Staub ansetzen. Und Sie haben auch einen einzigartigen Hund.“
Außerdem, dachte sie, benötigen nicht alle Hunde ein besonderes Gel. Das zu sagen hätte sie sich natürlich niemals getraut.
Der Mann sah sie noch finsterer an. Einen Moment lang fühlte sich Marie, als wäre sie wieder 15 Jahre alt, und Direktor Davis starrte sie von oben herab an. Es war allerdings immer einfach gewesen, Direktor Davis zu erklären, was sie schon wieder in seinem Büro machte. Einem verwöhnten reichen Pinkel zu erklären, warum der Salon „Pampered Paws“ nicht genau das Haargel führte, das er suchte, war jedoch nicht ganz so leicht. Er war nicht die Art von Mann, der einsah, dass sich die Welt nicht ständig um ihn drehte. Für ihn war nicht nachvollziehbar, dass „Pampered Paws“ nicht perfekt auf seine Hündin eingestellt war – eine drahtige Saluki-Dame, die noch dazu genau zu wissen schien, wie teuer sie war.
Selbst die Hündin wirkte auf einmal so, als würde sie die Stirn runzeln. Als Maries Blick den der Hündin traf, drehte diese ihren Kopf zur Seite, fast so, als wäre es auch unter ihrer Würde, sich mit Marie abzugeben.
„Es tut mir wirklich leid“, erklärte Marie, „aber niemand macht Haargel speziell nur für Salukis. Das einzige, das ich bestellen könnte und das für Ihr Tier geeignet wäre, ist sehr schwer erhältlich und außerdem ziemlich teuer.“„Ich finde das ungeheuerlich!“Wirklich ungeheuerlich ist, dachte Marie, dass ein erwachsener Mann auf ein Haargel für Hunde besteht. Auch das sagte sie selbstverständlich nicht. Stattdessen sah sie ihn verständnisvoll an und nickte, genauso, wie sie es bei ihrer Einschulung bei „Pampered Paws“ eingebläut bekommen hatte.
„Wie Sie sicherlich wissen, sind wir ein Hundesalon, keine Tierhandlung“, erklärte Marie. „Darum führen wir auch nicht genau Ihre Marke. Ich könnte es aber bestellen, wenn Sie –“
„Das kann ich dann schon selbst machen, von zu Hause aus!“Aber das wirst du nicht, dachte sie. Selbst einzukaufen, auch online, war etwas, das nur die einfachen Bürger unter uns machen.
„Ich verstehe natürlich. Aber wenn Sie – “
„Daisy Mae hat am kommenden Montag einen Termin. Ich erwarte, dass Sie bis dahin das Gel besorgen, das ich für ihre Pflege ausdrücklich angefordert hatte, oder ich bin hier die längste Zeit Kunde gewesen!“
„Selbstverständlich. Sie können sich auf mich verlassen.“
„Auf Wiedersehen“, sagte er. Dabei spuckte er das Wort „Wiedersehen“ so angewidert hin, als hätte er gerade in etwas Saures gebissen.
Daisy Mae und ihr großer, schnauzbärtiger Besitzer stürmten aus dem Laden. Als sie durch die Tür verschwanden, warf Daisy Mae noch einen Blick über die Schulter ihres Herrchens und bellte. Auch sie wollte offenbar sicherstellen, dass Marie die Botschaft klar und deutlich verstanden hatte.
Oh ja, das hatte sie, und wie. Marie wurde einmal mehr bewusst, wie sehr sie ihren Job hasste.
Die Begegnung mit dem Doppelgänger ihres ehemaligen Schuldirektors hatte Marie ziemlich durcheinandergebracht. Sie schlenderte in den hinteren Bereich des Salons, hin zu dem großen Fenster, durch das die Kunden zuschauen konnten, wie ihre geliebten Fellnasen verwöhnt wurden.
Im Moment war dort nur ein einzelner Hund in Behandlung – ein Labradoodle, um den sich Maries Freundin Kara kümmerte. Kara sah, wie Marie sie durch das Fenster beobachtete und gab ihr ein „Daumen hoch“. Danach widmete sie sich stirnrunzelnd dem Hinterteil des Hundes, hob seinen Schwanz und fing an, die Stelle zu rasieren, die niemand wirklich gerne rasierte.
Gerade als Marie sich wieder abwenden wollte, um etwas zu finden, womit sie sich beschäftigen konnte, erfasste sie aus den Augenwinkeln heraus ihr Spiegelbild. Sie war eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Aussehen: Ihr Make-up war nicht übertrieben, ihr schulterlanges, braunes Haar war auf eine süße Art verwuschelt, und sie selbst sah frisch und ausgeruht aus.
Aber ganz egal wie gut sie aussah, sie konnte ihre 39 Lebensjahre nicht verleugnen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie in einem Hundesalon arbeitete, dessen Kundenstamm ziemlich reich und ziemlich narzisstisch veranlagt war. Was war nur aus ihren Träumen geworden, eines Tages eine eigene Pension zu eröffnen, irgendwo an der Küste von Maine? Die Idee dazu stammte von ihrer Großtante June, einer der etwas exzentrischeren Mitglieder ihrer Familie. Oder, um genauer zu sein, sie war inspiriert von dem großartigen wie außergewöhnlichen Haus am Strand, in dem Großtante June wohnte. Aber woher auch immer die Idee ursprünglich stammte, es war ein Traum geblieben. Ein Traum, der selbst ihr immer absurder erschien, je älter sie wurde.
Nicht, dass das nun noch irgendeinen Unterschied machte. Das Leben hatte sie hierher geführt. Sie hatte ja versucht, eine Arbeit zu finden, der sie zumindest in Teilen etwas abgewinnen konnte. Sehr schnell jedoch war sie in ihrer Karriere vom Weg abgekommen, aus der Kurve geflogen und wie ein Sack Müll am Straßenrand gelandet, genau hier bei „Pampered Paws“. Der Abflug war während ihrer College-Zeit passiert, nur drei Semester hatten noch zum Abschluss als Tierärztin gefehlt. Eine furchtbare Liebesbeziehung hatte genauso viel mit dem Absturz zu tun wie der unerwartete Tod ihres Vaters. Sie konnte damals gar nicht so schnell schauen, wie sich anschließend ihre Träume in Luft aufgelöst hatten. Kein Abschluss als Tierärztin, und erst recht keine eigene Pension.
„Marie!“
Die Stimme ihrer Chefin ließ ihren Herzschlag stocken. Marie drehte sich um und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, bevor sie sich Deandra Lewinston zuwandte. Obwohl sie durchaus attraktiv war, hatte die Frau etwas von den bösen Stiefmüttern in Disney-Filmen. Und sie hatte sich ganz offenbar auch in die kundigen Hände eines Schönheitschirurgen begeben. Zugegeben, die Eingriffe waren gut gelungen. Man musste sehr genau hinsehen, um etwas zu erkennen. Deandra hatte aber fünf Kinder, und ihre Brüste waren noch immer so prall und fest, dass Marie überzeugt davon war, dass sie auch da hatte Hand anlegen lassen.
„Ja, Deandra?“
„Hast du so wenig zu tun, dass du Kara bei der Arbeit zuschauen musst?“
„Nein, ich – "
„Wir haben neun Buchungen heute zwischen Mittag und drei Uhr. Bevor sie da sind, möchte ich, dass du sicherstellst, dass die Tiere, die abgeholt werden sollen, rechtzeitig gefüttert werden. Und pass dieses Mal bitte auf, dass die Vegetarier getrennt ihr Futter bekommen. Mrs. Thornton beschwert sich noch immer, weil der Atem ihres Cockerspaniels eine Woche lang nach Fisch gestunken hat.“„Selbstverständlich.“
„Und hast du die Schleifen für Precious fertig? Mrs. Hight kommt gleich, um sie abzuholen.“
„Ja, alles fix und fertig vorbereitet.“
„Gut“, sagte Deandra kurz angebunden und wandte sich ab.
Ihr Lächeln wirkte verkrampft, als Marie den Pflegebereich verließ und zu den Bädern ging. Sie verbrachte die folgende Stunde damit, die Wasch-Stationen für die nächsten Buchungen vorzubereiten. Als sie anfing, die Spiegel an den Waschplätzen zu putzen, fühlte sie sich, als wäre sie endgültig gescheitert. Ich putze Spiegel, damit Hunde, die mehr kosten als mein Auto, sich darin betrachten können, während ich ihre Krallen stutze und ihr Fell auskämme. Wie um alles in der Welt konnte es nur so weit kommen?
Sie kannte die Antworten, aber sie waren alle wenig erbaulich. Niedergeschlagen putzte sie weiter und versuchte dabei, keine Schlieren auf den Spiegeln zu hinterlassen.
Nach der Putzaktion bereitete sie die Futternäpfe im Wartebereich vor. Sie portionierte das Futter, als müsste sie einen Weltklasseathleten mit exklusiven Smoothies versorgen, und nicht einen Vierbeiner, der nichts lieber tat, als an seinem eigenen Hinterteil zu schnüffeln und zu lecken.
Als sie fertig war, begab sie sich wieder nach vorne in den Laden. Sofort sah sie die Frau, die mit einem gehetzten Ausdruck im Gesicht so auffällig im Wartebereich hin- und hermarschierte, dass sie gar nicht übersehen werden konnte.
„Hallo, entschuldigen Sie?“, rief die Frau laut, kaum dass Marie im Laden erschienen war.
Als sie näherkam, erkannte sie die Kundin sofort – Mrs. Gloria Hight, ausgerechnet! Sie trug ein sehr eng anliegendes, rosa Kleid und dazu trotz des trüben Wetters eine schwarze Sonnenbrille. Sie war Stammkundin bei „Pampered Paws“, sie und ihr kleiner Yorkie-Pommeraner-Mix, ein energiegeladener Fellball namens Precious. Mrs. Hight, eine 30 Jahre alte sogenannte Society-Lady, war mit dem buchstäblichen Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen, und vermutlich mit dem Rest des Silberbestecks gleich dazu.
„Guten Tag Mrs. Hight“, antwortete Marie. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich warte seit geschlagenen fünf Minuten auf Bedienung“, meinte Mrs. Hight patzig. „Ist meine Precious fertig?“
„Das ist sie“, sagte Marie betont fröhlich. „Schon seit einer Stunde. Sie fühlt sich in ihrer Luxuskoje richtig wohl.“ Sie hasste diesen Ausdruck. Die ‚Luxuskojen‘ waren nichts anderes als kleine, wenn auch prächtig ausdekorierte Zwinger für Hunde.
Einmal hatte sich ein Kunde beschwert, weil es in den Luxuskojen keine Fernsehgeräte gab. Offenbar war sein Bull Mastiff ein großer Fan der Show „Animal Planet“, und der Kunde war außer sich, dass man seinem Liebling diese Extrawurst vorenthalten hatte.
Das war eine eher unsinnige Beschwerde, sicher, aber Mrs. Hight und ihre Precious fielen in dieselbe Kategorie. Unter all den Hunden, die Marie pflegte — und das waren viele — war Precious der mit Abstand schlimmste Fall. Das Traurige daran war, dass Precious eigentlich ein wirklich hübscher Hund war. Aber Mrs. Hight bestand darauf, Precious auf eine Weise herzurichten, die jedem Betrachter das Entsetzen ins Gesicht trieb.
Marie führte Mrs. Hight zu Precious in die Luxuskoje. Zöpfe und Schleifen verzierten jeden Zentimeter des Kopfes des kleinen Hundes. Sie sah aus wie eine Schriftrolle, die darauf wartete, entpackt zu werden. Ihr Zöpfe waren so fest geflochten, dass sie samt der rosa Bänder vom Kopf abstanden wie seltsame bunte Antennen. Die Schleifen waren kleiner als diejenigen, die man einem Baby ins Haar binden würde, aber dafür fünfmal so teuer. Das Fell war gemäß Mrs. Hights Anweisungen so stark zurückgekämmt, dass dem armen Ding fast die Augen aus dem Kopf fielen.
Es war eindeutig, dass der Hund sie hasste.
Und ganz offensichtlich auch Mrs. Hight.
„Was um alles in der Welt soll dieses erbärmliche Etwas darstellen?“
Äh, Ihr Hund, dachte Marie.
„Was meinen Sie?“, fragte Marie.
„Das ist ganz bestimmt nicht so, wie ich es bestellt habe.“ Mrs. Hight beugte sich hinunter, um Precious aufzuheben. Der Hund sprang ihr in die Arme und fing sofort an, ihren Kopf an ihr zu reiben bei dem Versuch, die lächerlichen Schleifen loszuwerden.
„Es tut mir leid, Mrs. Hight, aber das ist genau, was Sie bestellt haben. Wenn sie wünschen, kann ich Ihnen den Auftrag holen und –“
„Glauben Sie, ich bin bescheuert? Ich habe ganz klar gesagt, dass ich die Schleifen in der Farbfolge Rosa, Magenta, Türkis, Weiß und Lavendel verflochten haben möchte. Sie haben es in der Reihenfolge Rosa, Türkis, Magenta, Weiß und Lavendel gemacht. Sind Sie farbenblind?“
Marie konnte den Fehler nun auch sehen, tat sich jedoch schwer, sich darüber so sehr aufzuregen wie Mrs. Hight.
„Ja, aber ich kann das in Ordnung bringen, wenn Sie mir zwanzig Minuten geben.“„Ich habe aber keine zwanzig Minuten. Ich bin eine viel beschäftigte Frau!“
Mrs. Hight schrie inzwischen förmlich. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, stimmte Precious kläffend ein. Die Hündin schien bemerkt zu haben, dass sie die volle Aufmerksamkeit der anderen Kunden im Wartebereich hatten. Das spornte sie noch mehr an – Tier und Frauchen gleichermaßen.
„Ich habe schon mehr Geld hier ausgegeben, als mir lieb ist! Wenn Sie noch nicht einmal eine einfache Farbfolge beachten können…“
Zwischen all dem Gekläffe und Gejaule fiel eine der Schleifen aus Precious’ Fell. In weitem Bogen segelte sie quer durch den Raum und landete vor den Pfoten eines Husky-Welpen, der gerade erst hereingebracht worden war und als Reaktion auf das Durcheinander direkt eine kleine Pfütze unter sich machte.
Als wäre das noch nicht genug, sah Marie, wie Deandra auf sie zugestürmt kam. „Mrs Hight“, sagte sie, „was kann ich tun, um die Situation in Ordnung zu bringen?“
„Na, vielleicht würde es schon helfen, jemanden anzustellen, der Ahnung hat. Und nicht farbenblind ist!“
„Oh, da können Sie Gift drauf nehmen”, meinte Marie, „dass ich Ahnung habe.“
„Ich wäre mir da nicht so sicher!“
Precious und ihre Besitzerin bellten und schimpften im Duett wie ein ziemlich durchgeknallter Chor. Dabei kläffte der Hund noch nicht einmal Marie an. Die kleine Hündin bellte nur, um sich an dem Lärm zu beteiligen. Marie fragte sich, ob Mrs. Hight sie vielleicht sogar darauf abgerichtet hatte.
„Mrs. Hight, das war doch nur ein kleines Versehen“, versuchte Marie es mit Deeskalation.
Mrs. Hight und Deandra sahen sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Danach wandte sich Deandra der Kundin voll Mitgefühl zu. „Ich verspreche Ihnen, wir bringen das in Ordnung. Die Kosten für den gesamten Auftrag übernehmen natürlich wir – ich werde sie von Maries Gehalt abziehen.“
Mrs. Hight nickte zufrieden. „Das klingt vernünftig. Vielleicht sollten Sie ihr aber dabei über die Schulter sehen, damit sie nicht wieder alles durcheinanderbringt.“
Etwas ganz tief in Marie erwachte in diesem Moment. Sie war normalerweise sehr höflich und vermied Konfrontationen. Sie verlor so gut wie nie ihre Fassung, und wenn es doch einmal geschah, war es auf eine eher kindliche Art. Es war ihr vorher nur einmal passiert – ein ganz unglücklicher Zwischenfall bei einem Football-Spiel, das sie zusammen mit ihrem Freund angesehen hatte. Sie erinnerte sich jetzt daran, aber die Worte lagen ihr bereits auf der Zunge und wollten hinaus.
„Noch einmal“, sagte sie, „ich kenne mich mit der Pflege von Hunden aus und bin auch nicht farbenblind. Ich habe schon mit vielen Hunden gearbeitet, einige davon noch verwöhnter und dümmer als die Ihre, also habe ich auch da Erfahrung. Und jeder kann sehen, dass Ihr Hund diese Schleifen und Bänder absolut verabscheut.“
„So können Sie nicht mit mir r –“
„Schauen Sie sich das arme Ding doch einmal an“, fuhr Marie fort. „Sie hasst sie. Und ich kann sie gut verstehen. Die Dinger sehen furchtbar aus.“
„Ich kenne meinen Hund! Erzählen Sie mir nicht…“
Marie war sich nur zu bewusst, was sie da gerade sagte. Sie war sich auch ihrer Lautstärke bewusst. Jeder im Laden konnte sie hören, aber sie konnte sich nicht mehr bremsen. Nur das Winseln von Precious war neben ihrer Stimme noch zu hören.
„Marie –”, sagte Deandra.
„Ja, meine Liebe? Ach, weißt du was, Deandra, ich werde es Dir leicht machen.“
Ein Teil ihres Gehirns flehte sie an, den Mund zu halten. Aber sie musste an all ihre Träume aus ihrer College-Zeit denken, und die aus der Zeit vorher. Tierärztin und Besitzerin einer Pension. Dieser Job bei „Pampered Pets“ war so weit von allem entfernt, was ihr wichtig war, dass die nächsten zwei Worte ihr nicht nur leichtfielen – sondern förmlich eine Befreiung waren.
„Ich kündige!“
„Großartig“, rief Deandra. „Endlich!“
„Ach ja?“ sagte Marie. „Das möchte ich sehen! Mit weniger Personal wirst du selbst mehr arbeiten müssen und diese furchtbaren Leute hier im Laden endlich richtig kennenlernen.“Ein wenig bekam sie Angst vor ihrer eigenen Courage. Sie konnte es sich eigentlich nicht leisten, ohne Arbeit dazustehen. Aber sie hatte mit diesem Mist mehr als ein Jahr ihres Lebens vergeudet. Sie hatte genug, mehr als genug. Und sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie zum krönenden Abschluss die Hand ausstreckte und Precious am Hals kraulte.
Der Hund wedelte mit dem Schwanz. Mrs. Hight verzog wütend das Gesicht.
Marie ging schnurstracks zur Tür und winkte auf dem Weg den Anwesenden, die sie offen anstarrten, fröhlich zu. Einem Impuls folgend hob sie auf dem Weg nach draußen noch die Schleife auf, die Precious aus dem Fell geflogen war.
Sie wusste, dass es kindisch war, aber sie band sie in ihr eigenes Haar. Jemand hinter ihr schnappte hörbar nach Luft. Sie hoffte inständig, dass es Mrs. Hight war.Marie grinste den gesamten Weg zu ihrem Auto und ihr Lächeln erstarb erst, als sie den Motor anließ. Ich habe gerade gekündigt, dachte sie. Was habe ich mir dabei gedacht?
Sie hatte keinen Plan B, keine Alternative. Und ihr Lebenslauf war bestenfalls mittelmäßig. Sie hatte keinen Abschluss und keine wirklichen Fähigkeiten, abgesehen davon, Hunde zu frisieren und gelegentlich einen guten Witz zu reißen.
Sie versuchte, sich die gehobene Stimmung beim Verlassen des Hundesalons wieder in Erinnerung zu rufen, aber sie schien verschwunden zu sein wie die Schleife aus Precious’ Fell.
Marie legte ihren Kopf auf das Lenkrad. Wenigstens hatte sie einen Freund, zu dem sie gehen konnte – jemanden, bei dem sie sich ausheulen konnte. Jemanden, der sie ermutigen und ihr sagen würde, dass alles wieder in Ordnung kommt.
Sie dachte an die Hunde-Schleife, die noch immer in ihrem Haar steckte. Sie nahm sie ab und warf sie auf den Sitz hinter sich, genauso, wie sie diesen lächerlichen Job weggeworfen hatte, zusammen mit dem letzten Rest an finanzieller Sicherheit. Die Erkenntnis traf sie mit voller Wucht, gleichzeitig mit einer bohrenden Frage. Was mache ich jetzt nur?
Kurz nach fünf Uhr kam sie nach Hause und machte sich direkt über die Flasche Cabernet her, die auf der Küchentheke auf sie wartete. Sie schenkte sich ein Glas ein und setzte sich auf die Couch. Nach einem kräftigen Schluck schickte sie Chris eine Textnachricht. Sie fragte, ob er Zeit hätte, zu ihr zu kommen, erwartete aber nicht wirklich eine positive Antwort. Chris ertrank in letzter Zeit förmlich in Arbeit. Er liebte seinen Job allerdings, und so war das mit dem Ertrinken seiner Meinung nach nur halb so schlimm.
Oh Mann, wie großartig muss es sein, wenn man seine Arbeit wirklich gerne macht, dachte Marie.
Sie war sich ziemlich sicher, dass Chris wusste, wie viel er ihr bedeutete. Für sie war das schwierig, denn sie hatte sich vorher erst einmal so richtig verliebt, und das war damals nicht gut ausgegangen. Und dass es da jetzt wieder jemanden gab, der das Potenzial hatte, „der Mann fürs Leben“ zu sein (Gott, wie sie diesen Begriff hasste) – nun, der Gedanke machte ihr Angst.
Trotzdem gab es sie, diese Momente, in denen sie sich wie ein frisch verknallter Teenager fühlte. Sie fragte sich, ob es vor allem daran lag, dass Chris zwar fast 40 Jahre alt war und auch so aussah, aber gleichzeitig unglaublich unreif sein konnte.
Er spielte nächtelang Fortnite und ging auf Comic-Messen. Wahrscheinlich war er gerade darum so gut in seinem Job – er entwarf und programmierte Handyspiele für eine Reihe von Produzenten.
Im vergangenen Jahr war er der einzige stabile Punkt in ihrem Leben gewesen, einmal abgesehen von ihrer Arbeit. Bevor sie bei „Pampered Paws“ angefangen hatte, war sie ein paar Jahre lang Tierarzthelferin gewesen. Er hatte sie aufgefangen, als das in die Hose gegangen war. Er war auch immer für einen Scherz zu haben, er küsste wie ein Gott und schien ganz allgemein Freude daran zu haben, ihr Freude zu machen.
Sie war überrascht, als sie direkt eine Antwort erhielt. Er verwendete sogar Smileys und Ausrufezeichen, was bei ihm sonst selten vorkam. Offenbar war er strahlender Laune, was bedeutete, dass sein Arbeitstag gut verlaufen war.
Sie saß auf der Couch, trank Wein, und wartete auf ihn – und versuchte, nicht dauernd an die eine Seite ihres Jobs zu denken, die sie ganz bestimmt vermissen würde.
Das Geld.
Deandra hatte ihr beileibe kein üppiges Gehalt bezahlt. Nur knapp über Mindestlohn. Dafür war das Trinkgeld oft Wahnsinn. Ja, es gab da ein paar Geizkrägen, aber auch solche, die das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinauswarfen. Sie meinten wohl, der ganzen Welt beweisen zu müssen, wie weit sie über allen anderen standen. Selbst nach Abzug der 20 Prozent, die Deandra vom Trinkgeld einbehielt, war Marie alle zwei Wochen ein ansehnlicher Betrag ausbezahlt worden.
Das war von nun an Geschichte. Sie versuchte krampfhaft, nicht in Panik zu verfallen, doch ihre Angst wuchs mit jeder Minute.
Sie ging in die Küche und versuchte, ein Abendessen zu zaubern – es musste etwas sein, das schnell ging. Chris hatte ziemlich seltsame Arbeitszeiten, die mit noch seltsameren Essenszeiten einhergingen, und so wusste sie nie, ob – und wenn ja, wann – er zum Essen kam. Sie entschied sich für die sicherste, weil zeitlich unkritischste Lösung: während sie das Nudelwasser erwärmte, schüttete sie Pastasauce in einen Topf. Es lief alles wie am Schnürchen, während sie auf Chris wartete und gleichzeitig an die Küchentheke gelehnt durch Facebook scrollte. Sie rührte die Nudeln um, trank einen Schluck Wein und scrollte weiter. Rühren, schlucken, scrollen und danach alles wieder von vorne.
Sie war nicht ganz bei der Sache, während sie die Status-Updates ihrer Freunde und die üblichen Memes betrachtete. Ihre Gedanken waren noch immer mit dem beschäftigt, was sie getan hatte. Sie war froh, den Job los zu sein. Allein zu wissen, dass sie Deandra nie mehr wiedersehen musste, war schon Belohnung genug. Sie war auch froh, sich von Kunden nie mehr sagen lassen zu müssen, wie lange – auf den Millimeter genau – das Fell des Hundes zu sein habe. Und außerdem könnte sie nun dank der unsicheren Zukunftsaussichten auch den einen oder anderen fast vergessenen Traum wiederbeleben.
Seit sie sieben Jahre alt war, wollte sie ihre eigene kleine Pension betreiben. Sie hatte damals so getan, als wäre ihr Schlafzimmer „Marie Fortunes Big Bright Bed and Breakfast“. Sie hatte ihre Eltern und ihre Schwester eingeladen, bei ihr zu übernachten, und sie mit Speisen aus Plastik und Kannen voll Tee, die nur in ihrer Fantasie existierten, verwöhnt. Sie hatte ihre Gäste auf Erkundungsreisen eingeladen in alle vier Ecken ihres Zimmers bis in den Kleiderschrank und hatte sogar an kleine Karten gedacht, auf denen ihre „Gäste“ vor ihrer Abreise Verbesserungsvorschläge notieren sollten.
Je älter sie wurde, desto klarer wurde ihr, wie viel Geld so ein Traum kostete und wie viel Arbeit sie würde investieren müssen. Sie gab schließlich klein bei, als ihre Eltern sie drängten, sich auf eine aussichtsreichere Laufbahn einzulassen. Sie erinnerten sie daran, wie gut sie schon immer hatte mit Tieren umgehen können, und überredeten sie, Tierärztin zu werden. Marie war zwar nicht berauscht von der Idee gewesen, aber sie hatte sich doch vorstellen können, mit der Karriere halbwegs glücklich zu werden.
Aber ihr ursprünglicher Traum blieb, auch dann noch, als sie schon lange mit dem Studium begonnen hatte.
Und heute? Heute verfolgte sie ihren Traum nur noch von Weitem, indem sie zusah, wie andere Menschen im Fernsehen Häuser und Wohnungen renovierten.
Was ist nur aus mir geworden?
Bevor sie sich in der schwarzen Wolke depressiver Gedanken verlieren konnte, klopfte es. So schnell sie konnte, riss die Tür auf und fiel ihrem Freund, Chris, sofort um den Hals.
Sie küssten sich, lange und voll Verlangen. Als sie sich nach einer halben Ewigkeit von ihm löste, sah Chris sie überrascht an.
„Auch dir einen guten Abend“, sagte er.
„Tut mir leid. Es ist nur … oh Mann, das war vielleicht ein Tag.“
„Kein Grund, dich zu entschuldigen, wenn du mich so anfällst. Im Gegenteil, falls du gerne weitermachen möchtest …“
Er nickte vielsagend in Richtung Schlafzimmertür, die hinter dem Wohnzimmer zu sehen war. Sie konnte ihm fast nicht widerstehen. Er sah heute unglaublich gut aus. Sie vermutete, dass ein Termin mit einem Investor dafür verantwortlich war, dass er heute statt seiner üblichen verwaschenen Jeans und einem langärmeligen Shirt ein richtiges Hemd und eine helle Stoffhose trug.
„Keine Zeit“, sagte sie, „ich habe ein kompliziertes Essen auf dem Herd.“
Chris warf einen Blick in die Küche und sah die vorbereiteten Spaghetti. „Niemand sollte eine Einladung zu Spaghetti ausschlagen“, meinte er. Er küsste sie sanft auf die Augenbraue. „Schlimmer Tag, hmm?“
Auf einmal war sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie ihm gestehen sollte, was sie angestellt hatte. Was würde er von ihr denken? Dass sie voreilig gehandelt hatte? Vielleicht sogar ein wenig kindisch war?
„Und wie!“
„Hmmm, ja, das ist Mist.“
Für einen 36-Jährigen war das keine besonders tiefgreifende Erkenntnis. Chris schien in letzter Zeit ständig müde zu sein. Er schlief überhaupt wenig und wenn er einmal bei ihr übernachtete, dann war das wenige, das sie über ihn in Erfahrung bringen konnte, dass er fürchterlich laut schnarchte und morgens seine Müslischale mit einem Rest Milch wie ein Ober-Macho einfach neben der Spüle stehen ließ.
„Ja, das ist Mist“, stimmte sie ihm zu.
„Magst du beim Essen darüber reden?“
„Klar.“
Sie deckten den kleinen Tisch im Essbereich zwischen Küche und Wohnzimmer.
„Aber bevor wir in meine ganz private kleine Hölle eintauchen – wie ist es dir heute ergangen?“, fragte sie.
„Ganz OK“, antwortete Chris. „Ich habe jetzt drei Wochen lang von zu Hause aus arbeiten können, das war echt geil.“
Nicht gerade das Vokabular, das man von einem reifen Mann erwarten würde. Gut, seine Arbeit bestand aus dem Programmieren von Handyspielen, in denen endlos Autos in die Luft gejagt und Goldmünzen gesammelt wurden. Das färbte wohl so langsam auf andere Lebensbereiche ab.
„An welchem Spiel arbeitest du gerade?“, fragte sie.
Er fing an zu erzählen und ging dabei wie immer ziemlich ins Detail. Er liebte seinen Job; die Leidenschaft, mit der er darüber sprach, war das, was Marie ganz besonders an ihm liebte. Als er fertig war, fragte er sie nach ihrem Tag. Aber die Frage wirkte, als wäre er nicht ganz bei der Sache.
„Es war wirklich seltsam heute“, antwortete sie. „Ganz plötzlich, aus heiterem Himmel, kamen Erinnerungen an meine Kindheit hoch und daran, was ich damals werden wollte, weißt du? Habe ich dir jemals von „Marie’s Big Bright Bed and Breakfast“ erzählt? Das war damals mein Traum.“
„Ich dachte, du wolltest Tierärztin werden.“
„Da war ich schon erwachsen. Das war ein Traum, zu dem meine Eltern mich mehr oder weniger gedrängt haben. Die Pension, das war das große Luftschloss, das ich in meiner Kindheit gebaut hatte … oh Gott, Chris … ich habe heute gekündigt.“
Da war es heraus. Einfach so.
„Echt jetzt?“
„Ja.“ Sie wartete auf eine Reaktion, irgendeinen Kommentar dazu, dass sie ja schon fast 40 Jahre alt war und nun ohne Arbeit dastand.
„Gut gemacht“, sagte er. „Der Job war scheiße.“
Manchmal wünschte sie sich, er würde nicht reden wie ein Teenager. Als sie merkte, dass er nicht viel mehr zu sagen hatte, fügte sie hinzu: „Ich weiß, ich müsste Angst haben. Habe ich auch … nur nicht allzu viel.“
„Hmm, klar”, sagte Chris. Er saugte wie ein kleiner Junge einzelne Spaghetti in den Mund und zog sein Handy zu sich heran.
„Wie gesagt, es hat die alten Träume in mir wieder erweckt. Und dann musste ich an meinen Vater denken, und wie er gestorben ist … und dass ich damals angefangen habe, meine Träume aufzugeben. Aber ich kann nicht meiner Familie die Schuld geben, weißt du? So nach dem Motto: mein Vater ist tot und meine Mutter auf mysteriöse Weise verschwunden. Ich musste mein Studium aufgeben und mich um das kümmern, was vom Geschäft meines Vaters übrig war. Wie in dem Song ‚Cry me a river‘, weißt du?“
Er nickte, und schlürfte weiter Spaghetti. Er sah aus, als wäre er geistig woanders. Schlimmer noch, er sah aus, als wäre er auch körperlich am liebsten woanders.
„Chris!“
„Was?“
„Hörst du mir überhaupt zu?“
„Sicher doch. Ich – “
Sein Handy vibrierte, als eine Textnachricht hereinkam. Er zog das Telefon zu sich her und tippte eine Antwort, die, wie sie vermutete, etwas mit der Arbeit zu tun haben musste. Sie hatte ihn erst einmal so abwesend erlebt. Es hatte ihr schon damals nicht gefallen, und auch heute ließ es nichts Gutes erahnen für den Rest des Abends.
Der Ärger, der in ihr aufkeimte, fuhr seinen Stachel aus. Sie spürte, wie sein Gift ihren ganzen Körper erfasste, jeden Nerv. Ihr wurde heiß. Sie hatte um kein tiefgründiges Gespräch gebeten, ganz und gar nicht. Sie hatte doch nur gehofft, dass er ihr sein Ohr schenkte. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Aufmerksamkeit von dem Mann, den sie liebte.
„Also heute“, fuhr sie fort, „hat mir doch tatsächlich dieser Golden Retriever ein Video gezeigt, in dem zu sehen war, wie er Ninja bei Fortnite besiegt hat.“
Endlich sah Chris auf. Seine Augenbrauen schossen in die Höhe und er wirkte verwirrt. „Was hast du gesagt?“
„Genau.“ Marie trug ihren Teller zur Spüle und füllte sich Wein nach.
„Was ist los, Marie?“
„Ich habe hier geschlagene 3 Minuten geredet und es war dir völlig egal. Du hast weiter auf dein Telefon gestarrt, bis ich etwas von Fortnite erzählt habe.“
„Naja, ja … du redest ja auch nie über Fortnite.“
„Ich weiß. Ich bin eine 39-jährige Frau. Warum sollte ich?“
Er seufzte, warf ihr einen missmutigen Blick zu und stand auf. „Ich muss mal.“
Das Gesprächsthema hat für meinen Geschmack zu viel von einem Minenfeld, war die Botschaft, die Marie zwischen den Zeilen heraushörte.
„Weißt du was?“, rief sie hinter ihm her, als er den Flur entlang ging in Richtung Toilette. „Ich hätte dich sowieso nicht eingeladen in „Marie’s Big Bright Bed and Breakfast!“
„Was für’n Ding?“, rief er zurück.
„Der Toast war ein wenig zu trocken, aber der Tee schmeckte nach frischen Blüten!“
„Marie, geht es dir gut? Brauchst du – “
„Ach, geh endlich pinkeln!“
Das Geräusch der sich leise schließenden Tür ein paar Sekunden später zeigten ihr, dass er genau das getan hatte. Sie wischte sich eine einsame Träne aus dem Augenwinkel.
Doch bevor sie sich Gedanken machen konnte, warum er sich so seltsam benahm, vibrierte sein Telefon erneut. Ohne zu zögern, griff sie danach. Sie sah den Anfang einer Nachricht auf dem Sperrbildschirm. Sie war nicht von einem seiner Kontakte, aber die Nummer war aus der Gegend. Marie las: Ich werde nicht die ganze Nacht aufbleiben, aber ich kann die Tür offenlassen, wenn du …
Mehr konnte sie nicht lesen, aber es war ohnehin genug. Der Herzschmerz, der folgte, war heftig.
Marie konnte nicht anders und entsperrte sein Telefon. Sie hatte ihm ein paarmal über die Schulter geschaut und hatte keine Probleme damit. Sie ging direkt zu der Nachricht und fand den dazugehörigen Verlauf, der weit in die Vergangenheit reichte. Die Nachrichten waren kurz. Aber sie erzählten eine ziemlich eindeutige Geschichte.
Sie war noch immer mit Lesen beschäftigt, als Chris zum Tisch zurückkehrte. Als er sah, was sie tat, blieb er stehen. Marie sah zu ihm auf und musste alles aufbringen, was ihr an Willenskraft geblieben war, um nicht vor ihm in Tränen auszubrechen.
Stattdessen warf sie ihm das Telefon hin. Es landete mit einem lauten Klappern auf seiner Seite des Tisches.
„Wer ist sie?“, fragte Marie.
„Warum liest du meine Nachrichten?“
„Warum schreibt dir eine Frau hier aus der Gegend, dass sie heute Nacht die Tür für dich offenlässt?“, konterte sie. „Und, wenn wir gerade dabei sind, noch an einer ganzen Reihe weiterer Nächte in den letzten paar Wochen.“
Er wusste, dass er aus dieser Geschichte nicht mehr herauskam. Sie sah es in seinem Gesicht und in der Art, wie seine Augen nach einem Ausweg zu suchen schienen.
„Marie … es ist nur … es ist nichts Ernstes.“
„Oh, es klingt aber sehr ernst. Vielleicht nicht emotional, aber körperlich schon. Wer ist sie?“
„Eine Frau, die für die neue Spielefirma arbeitet, die wir letzten Monat übernommen haben.“
„Und wann hattest du vor, mir von ihr zu erzählen? Oder wolltest du einfach so weitermachen?“
Er trug seinen Teller zur Spüle und sah sie abschätzend an. Er richtete sich auf, straffte die Schultern und meinte trotzig:
„Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregen musst.“
„Wie bitte? Willst du mich verarschen?“
„Marie, die Zeiten ändern sich. Wir sind fast vierzig. Und Beziehungen funktionieren heute anders, weißt du? Ich sehe da kein Problem. Was ist denn so falsch daran, zwei Frauen zu lieben?“
„Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich den ganzen Tag gehört habe. Und glaub mir, die Latte lag nach meinen Erlebnissen auf der Arbeit schon sehr hoch.“
„Aber sie – “
„Hau ab, Chris.“
„Marie, hör mir zu.“
„Oh, das habe ich. Und ich habe genug gehört. Und jetzt hau ab!“
Es gab so viel, was sie ihm noch sagen wollte, aber dafür war es zu spät. Er war bereits an der Tür, als sie noch versuchte, die richtigen Worte zu finden. Es wirkte fast so, als hätte er nur darauf gewartet, verschwinden zu können.
Leise zog er die Tür zu. Wenn es nach Marie gegangen wäre, hätte er sie auch donnernd zuschlagen können, das hätte denselben Effekt auf sie gehabt.
Stumm starrte sie die Tür an und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Was für ein erbärmlicher Tag! Konnte es überhaupt noch schlimmer kommen?
In dem Moment klingelte das Telefon.
Sie erkannte die Nummer nicht. Auch die Vorwahl war nicht aus der Gegend.
Sie hob ab in der Erwartung, dass sich jemand verwählt hatte.
„Hallo?“
„Hallo. Spreche ich mit Marie Fortune?“ Es war eine männliche Stimme und sie klang sehr streng und sehr amtlich.
„Am Apparat.“
„Ms. Fortune, mein Name ist Miles und ich rufe an von der Polizei in Winscott County.“ Er zögerte und seine Stimme klang rau, irgendwie trocken. Es war seltsam. Sie wusste, was diese Art von Anrufen normalerweise zu bedeuten hatte, aber sie hatte keine Familie mehr in der Gegend.
Es sei denn …
Sie spürte, wie ihr Herz sich zusammenzog in Erwartung dessen, was als Nächstes kam.
„Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Tante June verstorben ist.“
Marie ohrfeigte sich in Gedanken selbst. Es war keine 30 Sekunden her, da hatte sie sich gefragt, ob es überhaupt noch schlimmer kommen könnte. Nun, die Antwort hatte sie jetzt. Sie öffnete den Mund, doch sie bekam keinen Laut heraus.
„Ms. Fortune, sind Sie noch da?“
„Hm …“
Das war alles, was sie zustande brachte, während Erinnerungen an Tante June in ihrem Kopf wild durcheinanderwirbelten.
Tante June war eine ziemliche Exzentrikerin gewesen. Marie hatte ihren ersten dreckigen Witz von Tante June gehört, das erste Mal Alkohol (einen kleinen Schluck Whiskey) in ihrem Haus gekostet und sich schlicht und einfach in Junes Haus verliebt. Es war ja tatsächlich auch Tante June gewesen, die ihr den Floh ins Ohr gesetzt hatte, eines Tages ein Gästehaus zu betreiben.
June war 98 Jahre alt geworden und nie lange an einem Ort geblieben. Sie hatte zwar die letzten 30 Jahre an der Küste von Maine gelebt, war aber sehr häufig nach Florida, Puerto Rico und ausgerechnet Wyoming gereist. Sie war immer eine ihrer liebsten Verwandten gewesen und hatten einander sehr nahegestanden, vor allem während sie auf die Mittelstufe ging. Und als ihre Mutter so plötzlich verschwand, als sie noch ein Teenager war, sprang Tante June eine Zeit lang quasi als Ersatzmutter ein.
