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Ihre Jungfräulichkeit wird versteigert … und nur ein kühner Lord kann sie retten
Band 2 der prickelnden historischen Liebesroman-Reihe für Fans von Stacy Reid
Seit einer stürmischen Begegnung mit Lord Bryght Malloren kann Portia St. Claire den berüchtigten Wüstling nicht vergessen. Leider ist er – genau wie ihr Bruder – hoffnungslos dem Glücksspiel verfallen. Doch als sie bedrängt wird, zur Bezahlung der Spielschulden ihres Bruders ihre Unschuld zu verkaufen, kann nur noch Bryght sie retten …
Lord Bryght Malloren nutzt seinen Ruf als Draufgänger, um Geschäftsmännern am Spieltisch ihr Geld abzunehmen. Doch als er Portia St. Clare auf der Auktionsbühne erkennt, kann er sie nicht einem solch grausamen Schicksal überlassen. Um sie zu retten, muss er das tun, was er am besten kann: eine Wette gewinnen. Aber in einer Nacht voller Leidenschaft riskieren diejenigen, die das Glück herausfordern, alles zu verlieren – einschließlich ihrer Herzen ...
Weitere Titel dieser Reihe
Die Maske der Lady (ISBN: 9783986377120)
Erste Leser:innenstimmen
„Ich habe schon die Forbidden Love-Reihe von Jo Beverley verschlungen und bekomme auch von dieser Regency-Reihe nicht genug!“
„Fesselnder historischer Liebesroman mit Bryght als unwiderstehlichem Helden.“
„Starke Charaktere, vielschichtige Liebesgeschichte und eine uneingeschränkte Empfehlung!“
„Fesselt an die Seiten und geht ans Herz, ich freue mich auf weitere Teile.“
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Seitenzahl: 693
Veröffentlichungsjahr: 2022
Seit einer stürmischen Begegnung mit Lord Bryght Malloren kann Portia St. Claire den berüchtigten Wüstling nicht vergessen. Leider ist er – genau wie ihr Bruder – hoffnungslos dem Glücksspiel verfallen. Doch als sie bedrängt wird, zur Bezahlung der Spielschulden ihres Bruders ihre Unschuld zu verkaufen, kann nur noch Bryght sie retten …
Lord Bryght Malloren nutzt seinen Ruf als Draufgänger, um Geschäftsmännern am Spieltisch ihr Geld abzunehmen. Doch als er Portia St. Clare auf der Auktionsbühne erkennt, kann er sie nicht einem solch grausamen Schicksal überlassen. Um sie zu retten, muss er das tun, was er am besten kann: eine Wette gewinnen. Aber in einer Nacht voller Leidenschaft riskieren diejenigen, die das Glück herausfordern, alles zu verlieren – einschließlich ihrer Herzen ...
Erstausgabe 1995 Überarbeitete Neuausgabe Juli 2022
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-312-2
Copyright © 1995, Jo Beverley Titel des englischen Originals: Tempting Fortune
Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP, NEW YORK, NY 10018 USA Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright © 2005, CORA-Verlag in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg. Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2005 bei CORA-Verlag in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg. erschienenen Titels Spiel um Glück und Liebe.
Übersetzt von: Holger Hanowell Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © marinasvetlova, © robertdering PeriodImages.com: © Maria Chronis, VJ Dunraven Productions, PeriodImages.com Korrektorat: Katharina Pomorski
E-Book-Version 07.02.2025, 14:27:13.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Maidenhead, England, November 1761
Der Mond tauchte die kalte Eingangshalle in ein unheimliches Licht. Es muss am Mondschein liegen, dachte Portia St. Claire, dass der Eindringling wie der Fürst der Finsternis aussieht. Weiße, scharf geschnittene Gesichtszüge von übernatürlicher Schönheit, umgeben von dunklen, lederartigen Schwingen …
Mit einer raschen Handbewegung richtete sie die schwere Pistole auf die Brust der fremden Erscheinung. „Stehen bleiben!“ Die Gestalt hielt inne. Als zwei elegante Hände mit schmalen langen Fingern sichtbar wurden und eine beschwichtigende Geste andeuteten, stellte sich heraus, dass die vermeintlich schwarzen Schwingen nichts anderes als ein dunkler Umhang waren. Portia atmete ängstlich ein. Das bedeutete, dass die geisterhafte Erscheinung aus Fleisch und Blut war. Ein gewöhnlicher Einbrecher, sonst nichts. Aufgrund ihres beherzten Auftretens stand sie nun einem Verbrecher gegenüber. Eine klügere Frau hätte sich bei dem Geräusch von zersplitterndem Glas unter dem Bett verkrochen. Doch Portia hatte sogleich nach der Pistole ihres Bruders gegriffen, sich vergewissert, dass sie auch geladen war, und war dann nach unten geschlichen, um zu sehen, was vorgefallen war. Sie war dem Motto ‚Man muss der Gefahr ins Auge blicken‘ treu geblieben, aber jetzt fragte sie sich, ob diese Weisheit auch stimmte. Der düstere Eindringling wirkte nicht sonderlich eingeschüchtert, und nun, da sie ihn gestellt hatte, wusste sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Offenbar war der Fremde auch unter dem Umhang dunkel gekleidet, denn das Mondlicht ließ lediglich das wachsame Gesicht und die feingliedrigen Hände hell erscheinen. Sie schauten aus gekräuselten Manschetten heraus, die aus teurer Spitze waren. An der linken Hand trug der Mann einen Ring. Der große, eingefasste Stein war dunkel, aber die Art und Weise, wie er im schwachen Mondlicht schimmerte, verriet Portia, dass es sich um einen kostbaren Juwel handeln musste. Ein Glitzern neben seinem Gesicht deutete auf ein weiteres teures Schmuckstück hin, auf einen mit Juwelen besetzten Ohrring. Demnach hatte sie es nicht mit einem gewöhnlichen Straßenräuber zu tun. „Ich bin, wie Sie sicherlich bemerkt haben, stehen geblieben.“ Sein Tonfall war höflich, und seine Sprache verriet Wohlstand und eine treffliche Erziehung. Er sprach leise und mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme, die Portia jedoch keinesfalls die Aufregung nahm. „Ja, Sie sind stehen geblieben“, stieß Portia scharf hervor. „Und jetzt werden Sie das Haus verlassen.“
„Oder?“, entgegnete er kühn.
„Oder ich rufe die Wache, Bursche! Ich habe gehört, wie Glas zersplittert ist. Sie sind ohne Zweifel ein Einbrecher.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich nehme an, das bin ich. Aber wie beabsichtigen Sie, die Wache zu rufen, während Sie mich in Schach halten, mignonne.“
„Verschwinden Sie. Auf der Stelle!“
„Oder?“, fragte er erneut herausfordernd.
„Oder ich schieße!“
„Schon besser“, meinte er. „Dazu wären Sie allerdings in der Lage.“
Bryght Malloren lächelte in sich hinein. Er hatte nicht erwartet, dass dieser Auftrag ihm Vergnügen bereiten würde, aber jetzt, da er sich dieser tapferen Verteidigerin von Herd und Heim gegenübersah, musste er ein Lachen unterdrücken. Vermutlich würde sie wirklich auf ihn schießen, falls er sie auslachte. Doch sie war so viel kleiner als er. Sie maß nicht einmal fünf Fuß, im Gegensatz zu seiner Größe von sechs Fuß. Trotz der bauschigen Röcke und der üppigen, wollenen Schultertücher war er sich sicher, dass sie von schlanker Gestalt war. Die beiden Hände, die den Griff der Pistole so forsch umklammerten, waren klein und zierlich. Aber ‚zierlich‘ war nicht das Wort, das ihm sofort zu dieser Frau einfiel. ‚Resolut‘ passte besser zu ihr. Oder ‚glühender Eifer‘. Fürwahr, bei ihrem erhitzten Gemüt – teilweise hervorgerufen durch Mut, teilweise durch Zorn und Angst – musste er unweigerlich an den Funkenflug eines knisternden Holzfeuers denken. Er vermochte nicht zu sagen, welche Farbe ihr Haar hatte, das ihr über die Schultern fiel, doch er glaubte, es wäre rot. Sie würde wahrhaftig auf ihn schießen, und das allein genügte, um seine Neugierde zu wecken. Er durfte sich indes nicht ablenken lassen, denn es blieb ihm nicht viel Zeit, um seinen Auftrag zu erfüllen. Diese kleine Kriegerin aber schien fest entschlossen, ihn davon abzuhalten. Daher musste er die Sache mit Verstand angehen. „Ich bekenne, das Küchenfenster eingeschlagen zu haben, um mir Einlass zu verschaffen, Madam. Aber auf mein Klopfen hin hat mir niemand die Tür geöffnet.“
„Sie brechen also immer in Häuser ein, wenn Ihnen niemand die Tür aufmacht?“, fragte sie forsch. Er dachte einen Augenblick lang nach. „In der Regel haben die Häuser, an deren Türen ich klopfe, Bedienstete. Haben Sie keine Dienstboten?“
„Das geht Sie überhaupt nichts an!“, erwiderte sie aufgebracht. Offenbar hatte er einen wunden Punkt getroffen. Wer zum Teufel war diese Frau? Dieses Haus in Maidenhead hatte der Earl of Walgrave gemietet, um darin seine Tochter, Lady Chastity Ware, gefangen zu halten. Bryght war davon ausgegangen, dass es nun leer stand, nachdem Lady Chastity die Flucht gelungen war. Die junge Frau hob bedrohlich den Pistolenlauf. „Verschwinden Sie!“
„Nein.“ Bryght hörte, wie sie verärgert zischend die Luft einsog, und wartete gespannt ab. Nur eine wahrlich abgestumpfte Person wäre in der Lage, einen unbewaffneten Menschen kaltblütig zu erschießen, und wer auch immer diese Frau sein mochte, er konnte nicht glauben, dass die kleine Amazone gefühllos war. Er schien Recht zu behalten. Sie drückte nicht ab. „Wohlan“, begann er, „für meine Anwesenheit gibt es einen guten Grund.“
„Was für ein Grund kann einen Einbruch rechtfertigen?“
„Ich bin gekommen, um ein Schriftstück zu holen, das ein früherer Bewohner hier gelassen hat.“ Sie ließ sich nicht beirren. „Was für ein früherer Bewohner?“
„Sie stellen viele Fragen. Sagen wir, es handelt sich um eine Dame.“
„Um welche Dame?“
„Ich ziehe es vor, darauf nicht zu antworten.“ Da er mittlerweile des Spielchens überdrüssig war, trat er einen Schritt vor, um die Frau zu entwaffnen. Er sah, wie sie den Atem anhielt und die Waffe bedrohlich auf ihn richtete. Verflucht! Er warf sich in dem Moment auf sie, als sie den Abzug betätigte. Portia lag auf dem Rücken und glaubte, von einem Riesen erdrückt zu werden. Von dem Rückstoß der Feuerwaffe fühlte ihre Hand sich taub an, und ihr Kopf brummte von dem Aufprall auf dem harten Boden. Vielleicht rührte das Schädelbrummen auch nur von dem donnernden Widerhall des Pistolenschusses her. Noch nie hatte sie im Haus eine Pistole abgefeuert. Der Knall war ohrenbetäubend gewesen. Benommen schaute sie auf und stellte fest, dass der Einbrecher ziemlich besorgt wirkte. Er stützte sich auf einem Arm ab und holte hörbar Luft. „Wie können Sie es wagen!“, empörte sie sich.
„Ich konnte wohl kaum zulassen, dass Sie auf mich schießen“, entgegnete er gelassen.
„Sie hätten ja gehen können!“ Portia versuchte, den Mann abzuwerfen, begriff indes sogleich, dass diese Idee nicht besonders klug war. Er lag genau zwischen ihren Beinen, und ihr einfacher Rock bildete nur eine dürftige Barriere. Die Art, wie er angesichts ihrer misslichen Lage die geschwungenen, vollen Lippen zu einem Grinsen verzog, ließ in ihr den Wunsch aufkommen, ihm das allzu hübsche Gesicht zu zerkratzen. „Wer sind Sie?“, wollte sie wissen.
„Bryght Malloren, zu Ihren Diensten. Und mit wem habe ich die Ehre?“
„Das, Sir, geht Sie nichts an.“ Verzweifelt wand sie sich unter ihm, doch er gab sie nicht frei. „Dann werde ich Sie Hippolyta, Königin der Amazonen, nennen.“ Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, und die Zärtlichkeit dieser Geste brachte sie ganz durcheinander. Seine Stimme barg die gleiche Zärtlichkeit, als er sprach: „Kämpfen Sie immer, wenn es aussichtslos erscheint, Hippolyta?“ Sein dunkles Haar war zerzaust. Es hatte sich aus dem Haarband gelöst und fiel ihm ins Gesicht. Er sah betörend gut aus. „Ich hatte eine Pistole“, erwiderte sie.
„In der Tat.“ Er grinste. Portia ärgerte das. Der Kerl lachte über sie. „Gehen Sie von mir runter!“ Der Nachdruck in ihrer Stimme war unmissverständlich. „Nicht, bevor Sie mir ein Pfand gegeben haben.“
„Ein Pfand?“ Zum ersten Mal regte sich in ihr ein Gefühl großer Furcht. Das Geräusch von zerbrechendem Glas hatte sie beunruhigt. Und beinahe zu Tode erschreckt hatte sie den Atem angehalten, als ihr Blick auf die dunkle Gestalt gefallen war, die sich in dem Gang auf sie zu bewegt hatte. Doch während des gesamten Wortwechsels hatte sie keine wirkliche Angst vor diesem Mann verspürt. Jetzt wurde ihr bewusst, dass er sie in der Hand hatte. Von Natur aus war sie nicht prüde, und in jungen Jahren hatte sie als wahrer Wildfang gegolten, doch nie zuvor war sie einem fremden Mann schutzlos ausgeliefert gewesen. „Ein Pfand“, wiederholte er, aber auch der sanfte Ton in seiner Stimme vermochte nicht, ihr pochendes Herz zu beruhigen. Unversehens starrte sie auf seinen Ohrring – ein dezentes, aber offensichtlich teures, mit Juwelen besetztes Pferd. Nur die wildesten Herumtreiber trugen solch empörende Verzierungen, und nur ein wohlhabender Tunichtgut konnte sich so einen edlen Schmuck leisten. Kein Zweifel, sie war in der Gewalt eines wohlhabenden, zügellosen Wüstlings. Er lächelte, und es war ein durchtriebenes Lächeln. „Ich verlange stets ein Pfand von den Frauen, die mir nach dem Leben trachten.“ Portia begann sich zu wehren, aber ihre Hände verfingen sich in den drei Schultertüchern. Als sie die Hände endlich freibekommen hatte, ergriff er ihre Handgelenke. „Hören Sie nie auf zu kämpfen?“
„Was würde das bringen?“ Sie versuchte, sich dem Griff zu entwinden, doch der Mann drückte umso fester zu. „Sie tun mir weh!“
„Dann hören Sie auf, sich zu wehren.“
„Ich fange an zu weinen.“
„Können Sie das wirklich aus dem Stand? Das würde ich gerne erleben.“ Portia kochte vor Wut, und ihre Furcht ließ allmählich nach. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sie vor diesem Mann keine Angst. Das war höchst sonderbar. Ihr wurde bewusst, dass sie das Gewicht seines Körpers beinahe als angenehm empfand – zumindest war ihr jetzt warm, denn zuvor hatte sie ein bisschen gefroren. Schwache Düfte umspielten ihre Sinne. Lavendel, dachte sie, von seinem Hemd, und ein Parfüm, das Männer trugen, aber dieses war nicht aufdringlich. Keiner dieser schweren Düfte, die Unsauberkeit und Krankheiten überdecken sollten …
„Könnten Sie sich nicht wenigstens eine Träne abringen?“, neckte er sie, und Portia zwang sich, einen klaren Kopf zu behalten. Erneut begehrte sie gegen seinen Griff auf, aber er hatte keine Mühe, die Oberhand zu behalten. „Sie glauben, ich hätte keinen Grund zum Weinen?“, giftete sie.
„Ich halte Sie nicht für jemanden, der nah am Wasser gebaut hat, meine Amazone, sofern Sie die Tränen nicht als Waffe ansehen.“ Und dann küsste er sie. In all ihren fünfundzwanzig Jahren war Portia nie zuvor auf diese Weise geküsst worden: Der harte Leib eines Mannes drückte sie zu Boden, während seine Hände jeglichen Widerstand brachen und den Ansturm seiner Lippen ermöglichten. Doch es war ein zärtlicher Ansturm. Da sie sich auf etwas viel Schlimmeres eingestellt hatte, schlug die Zärtlichkeit sie in ihren Bann. Gerade noch rechtzeitig rief sie sich in Erinnerung, dass er ihr Feind war, und daher verhielt sie sich still und teilnahmslos. Er zog den Kopf zurück, und sie nahm die Erheiterung in seiner Stimme wahr. „Ich staune, über was für eine Anzahl von Waffen Sie verfügen, meine junge Kriegerin. Werden Sie mir gestatten, das Schriftstück zu holen, wenn ich Ihnen den Sieg überlasse? Das Dokument dürfte Ihnen gleichgültig sein.“
„Nein.“ Lachend erhob er sich und half ihr wieder auf die Füße. Während sie noch damit beschäftigt war, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen und ihre Schultertücher in Ordnung zu bringen, ging er an ihr vorbei und lief behände die Stufen hinauf. „Stehen bleiben!“, rief sie. Portia entledigte sich der hinderlichen Tücher und rannte ihm nach; ihre Schuhe dröhnten auf den hölzernen Stufen. Er bewegte sich schnell und zielstrebig, als sei das Haus ihm vertraut, und eilte geradewegs zu dem hinteren Schlafgemach. Doch das zeigte ihr, dass er sich überhaupt nicht auskannte, denn der Raum war leer; man hatte jedes einzelne Möbelstück hinausgetragen. Vermutlich war er in das falsche Haus eingedrungen. Sie stürmte hinter ihm her und bekam seinen Umhang zu fassen. „Sehen Sie? Hier ist nichts!“ Unbekümmert löste er seinen Umhang, trat in den Raum und ließ sie verwirrt und mit einer Fülle schwerer Wolle auf der Türschwelle stehen. Rasch ließ sie den Umhang fallen und eilte dem Eindringling erneut nach. Er schritt gerade auf den Kamin zu, als sie sich an ihm vorbeidrängte und ihm mit ausgebreiteten Armen den Weg versperrte. „Keinen Schritt mehr“, keuchte sie. Er blieb unmittelbar vor ihr stehen. Erst jetzt ging ihr auf, wie töricht sie war. Der Raum besaß zwei Fenster ohne Vorhänge, und im hellen Mondlicht konnte sie den Unbekannten endlich eingehend betrachten. Unter seiner dunklen Weste und den Reithosen aus Leder zeichnete sich ein wohlgeformter, kraftvoller Leib ab, dem sie niemals gewachsen sein würde. Zudem verriet der Ausdruck auf seinem ansprechenden Gesicht einen Willen, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Nichts und niemand würde diesen Mann von einem einmal gefassten Vorhaben abbringen, und nun verlangte er Zutritt zu dem Kamin, den sie mit ihrem Leib abschirmte. Sie schluckte beklommen und hoffte, dass sie nicht so ängstlich aussah, wie sie sich fühlte. Portias Mutter hatte oft über das ungestüme Wesen ihrer Tochter geklagt und die Schuld bei ihrem Namen gesucht, den ihr idealistischer Vater nur ausgesucht hatte, weil ihn die kühne weibliche Hauptfigur in Shakespeares Kaufmann von Venedig faszinierte. Hannah Upcott hatte nichts für das Theater übrig und war der Ansicht, Portias Name fördere eine unziemliche Neigung, die Welt herauszufordern. Daher hatte sie darauf bestanden, dass ihre zweite Tochter den bezeichnenden Namen Prudence, die Besonnene, erhielt. Mrs. Upcott hatte immer wieder vorausgesagt, Portias Leichtsinn würde sie noch in Schwierigkeiten bringen, und des Öfteren das Sprichwort bemüht: ‚Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.‘ Portia befürchtete, dass ihre Mutter Recht behalten sollte, aber sie war dennoch nicht in der Lage, gefügig beiseite zu treten. Ihr Gegenüber machte keine Anstalten, sie grob anzufassen. „Wenn da nichts ist“, begann er ruhig, „warum dann so hitzig?“ Obgleich ihr Herz wie wild pochte, schaute sie ihm geradewegs in die Augen. „Sie haben sich gewaltsam Zutritt zu diesem Haus verschafft, Sir. Ich werde dieses Eindringen nicht dulden.“ „Zu einem anderen Zeitpunkt, Hippolyta, würde es mir Freude bereiten, nachzuprüfen, ob Sie wirklich in der Lage sind, etwas zu dulden oder zu verbieten, aber ich habe etwas Wichtiges zu tun. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie mich ganz einfach loswerden, indem Sie mir gestatten, das zu suchen, was mich in dieses Haus führte?“
„Da müssen Sie erst beweisen, ob Sie ein Anrecht auf dieses Schriftstück haben. Wem gehört es?“
„Das erwähnte ich bereits. Einer Dame.“ Inzwischen klang die sonst so angenehme Stimme leicht ungehalten.
„Und wie kommt es hierher?“
„Sagen wir, die Dame war hier zu Gast.“ Sie blickte sich in dem leeren Raum um. „Hier? Das möchte ich bezweifeln.“ „Vielleicht bevorzugt sie eine spärliche Einrichtung, wer weiß? Ich frage mich nur, warum Sie dieses Gemach mit einem Feuereifer bewachen. Verdient der Earl of Walgrave eine solche Ergebenheit?“ Bei dem Namen horchte Portia auf. Wenn dieser Malloren wusste, dass der Earl of Walgrave das Haus gemietet hatte, dann war er tatsächlich in das richtige Gebäude eingedrungen. Zum ersten Mal fragte Portia sich, ob der Mann nicht doch ein Recht hatte, hier einzudringen. Immerhin hatte er an die Tür geklopft. Sie hatte das laute Pochen gehört, sich aber nicht darum gekümmert. So spät am Abend hatte sie niemanden erwartet, und da sie allein im Haus war, wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, die Tür zu öffnen. „Wie jeder Hausbesitzer kann der Earl mit Recht davon ausgehen, dass sein Haus unversehrt bleibt“, erwiderte sie.
„Ich glaube nicht, dass der mächtige Earl diesen bescheidenen Ort als sein Zuhause bezeichnen würde. Er hat es nur zu einem bestimmten Zweck gemietet. Allerdings frage ich mich, was Sie hier eigentlich zu suchen haben. Sind Sie etwa die Haushälterin?“
„Wo denken Sie hin!“, empörte sie sich.
„Oder ein Eindringling, wie ich? Schließlich habe ich Sie in der Dunkelheit herumschleichen sehen, mit einer Pistole in der Hand.“
„Ich bin nicht geschlichen! Wir sind Gäste, Sir. Obendrein gute Bekannte des Earls, und er hat uns gestattet, hier zu wohnen.“ Natürlich verschwieg Portia ihm, dass sie und ihr Bruder verarmte Bittsteller waren und dass der Earl ihnen aufgetragen hatte, auf ihn zu warten, bis es ihm beliebte, ihnen Gehör zu schenken.
„Wir?“ Portia merkte, dass sie sich auf eine Unterhaltung einließ, und zu viele unbedachte Worte bargen Gefahr. „Wir?“, wiederholte er leise. „Meine Wenigkeit, zehn stämmige Brüder und drei Dienstboten“, entgegnete sie mit vorgeschobenem Kinn. „Sie sind alle ausgegangen.“
„Nur drei Bedienstete?“, spottete er. „Wie armselig. Ich benötige ja schon drei Diener beim morgendlichen Ankleiden!“ Sie war sich nicht sicher, ob er scherzte. „Ich werde Ihnen nicht einfach erlauben, Ihr Vorhaben auszuführen, Mr. Malloren.“
„Mylord“, verbesserte er sie freundlich und kam näher. „Lord Arcenbryght Malloren. Ein höchst sonderbarer Name, aber so heiße ich.“ Portia war kurz davor, staunend den Weg freizugeben, doch sie entgegnete kühn: „Ihr Stand entschuldigt nicht Ihre Dreistigkeit, Mylord.“
„Gewiss.“ Er stützte sich beiderseits ihres Kopfes an der Wand ab. „Aber bei meinem Titel ist es höchst unwahrscheinlich, dass ich wegen meiner Sünden vor ein Gericht gezerrt werde, nicht wahr?“ Seine Größe zwang sie, den Kopf in den Nacken zu legen, um ihm in die Augen schauen zu können. Mit pochendem Herzen sah sie, dass er sich zu ihr hinabbeugte. Ihr wurde ganz schwindelig. Verflucht sei er …
„So, mignonne“, wisperte er und strich mit den Lippen über ihren Mund, „warum gewähren Sie mir nicht meine Dreistigkeit?“ Portia musste sich eingestehen, dass sie nicht mehr weiterwusste. Er war ein Edelmann, ein Wüstling, und ein großer, rücksichtsloser Mann, der nur seine Interessen verfolgte. Rasch schlüpfte sie unter seinem Arm hindurch; er gab sie tatsächlich frei und grinste sie allzu unverschämt an. Die zehn Plagen der Ägypter sollten auf sein Haupt fallen! Sie sammelte sich und deutete verächtlich auf die leere Feuerstelle und die schlichte Holzverkleidung. „Fahren Sie ruhig fort, Mylord. Ich kann es kaum erwarten, wie Sie Papier aus dem Nichts hervorzaubern. Oder sind Sie gar ein Zauberer?“
„Vielleicht bin ich das.“ Er trat einen Schritt vor, und anstatt in den leeren Rost oder den rußigen Kamin zu schauen, untersuchte er die Stelle, wo die Holzverkleidung auf die Wand traf. Neugierig kam Portia näher und beobachtete ihn. Er machte sich an dem Spalt zwischen dem Holz und der Wand zu schaffen, doch plötzlich fluchte er und saugte an seinem Finger. „Oh weh“, rief sie mit vorgetäuschtem Mitgefühl aus. „Haben Sie sich an einem Nagel verletzt, Mylord?“ Der finstere Blick, den er ihr zuwarf, lehrte sie, ihre Zunge im Zaum zu halten. „Ist da wirklich etwas hinter dem Holz, Mylord?“, fragte sie vorsichtig. „Ja, Miss Neugierig, da ist etwas.“ Er griff in seine Tasche und holte ein Taschenmesser hervor. „Sie sind also hier Gast? Ich habe den Earl für einen besseren Gastgeber gehalten. Wie mir scheint, mangelt es an Dienstboten, Möbeln und Wärme.“
„Die anderen Räume sind ausreichend möbliert.“
„Und wie steht es um die Wärme und die Bediensteten? Ah, ich vergaß. Sie haben Ausgang, und die zehn stämmigen Brüder sind auch gerade nicht im Haus.“
„So ist es. Außerdem bevorzuge ich eine kühlere Raumtemperatur. Das ist gesünder.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, sehnte sich indes im Stillen nach ihren Schultertüchern und versuchte, ein Zittern zu unterdrücken.
„Verzeihen Sie, aber ich glaube Ihnen kein Wort, Hippolyta. Allerdings geht mich das Ganze auch nichts an. Sollten Sie jedoch vorhaben, Walgrave zu bestehlen, so haben Sie meinen Segen.“ Portia wurde von heftigem Zorn ergriffen. „Wie können Sie es wagen …“ Doch er hörte gar nicht zu. „Ah“, sagte er schließlich, und in dem Spalt wurde ein Stück Papier sichtbar. Mit der Spitze seines Messers zog er daran, bis er es mit den Fingern zu fassen bekam. Dann erhob er sich und hielt ihr ein gefaltetes Papier hin. „Abrakadabra!“ Portia nahm die Gelegenheit wahr, entriss ihm das Schriftstück und wollte fortrennen. Doch er hielt sie fest, zog sie unerbittlich an sich und nahm ihr das Papier wieder ab. „Wie töricht“, meinte er schroff. Zu spät sah Portia ihren Fehler ein, denn jetzt klang seine Stimme hart und unnachgiebig. Er hatte einen Arm um sie geschlungen und hielt ihr das Schreiben mit der anderen Hand drohend vors Gesicht. Dem Papier entströmte ein aufdringlicher Duft, und sie drehte den Kopf weg, da sie den schweren Geruch des Parfüms nicht ertragen konnte. „Gefällt Ihnen der Duft ,Otto of Roses‘ nicht?“ Er sagte es fast beiläufig, aber sie war nicht davon überzeugt, dass er zu Späßen aufgelegt war.
„Der Duft ist ungewöhnlich schwer, Mylord.“
„Passt er zu einer tugendhaften und umsichtigen Dame?“
„Wohl kaum.“
„Aber dieser Brief könnte an eine Freundin gerichtet sein und von modischen Kleidern handeln.“
„Ist das der Inhalt?“
„Ich fürchte, nein.“ Obwohl sie in seinem eisernen Griff gefangen war, entspannte Portia sich. Erneut spürte sie, dass von diesem Mann keine unmittelbare Bedrohung ausging; sie empfand die merkwürdige Umarmung sogar als angenehm. Als kleine Frau war es schwer, für alles im Leben verantwortlich zu sein. Schon ertappte sie sich bei der Frage, wie es wohl wäre, einen starken Mann an ihrer Seite zu wissen. Was für törichte Gedanken! Was nutzte es, Männern zu vertrauen, wenn sie durch unüberlegte Investitionen das eigene Dach über dem Kopf verloren oder gar am Kartentisch verspielten? So war es ihrem Vater widerfahren, worauf er sich das Leben genommen hatte. Und so war es auch ihrem Halbbruder ergangen, der sie nun in diese missliche Lage gebrachte hatte. Sie versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien. „Lassen Sie mich los, Mylord. Sie haben das, was Sie suchten, und ich kann Sie nicht davon abhalten, es zu nehmen.“
„Ich bin froh, dass Sie das endlich einsehen.“ Er ließ sie los, und sie wandte sich ihm zu. Ihre Vermutung stimmte. Der unbeschwerte, vergnügliche Tonfall, den sie von Beginn an bei ihm wahrgenommen hatte, war verflogen, und der grimmige Blick, den er auf das Schriftstück in seiner Hand warf, war beunruhigend. Sonderbarerweise verspürte sie Zuneigung zu dem fremden Mann und den Wunsch, einem Leidenden Trost zu spenden. Doch litt er wirklich? „Sind das nicht die Schriftstücke, die Sie gesucht haben?“, fragte sie. Ihre Blicke trafen sich.
„Glauben Sie, hinter der Kaminverkleidung befindet sich eine ganze Sammlung parfümierter Liebesbriefe? Was für eine entzückende Vorstellung! Ich sollte es gleich überprüfen …“ Er machte natürlich keine Anstalten, es zu tun, sondern drehte mit seinen langen Fingern die Papiere nachdenklich hin und her. „Es wäre jammerschade, das Haus nur mit einer Wäscheliste zu verlassen, die lediglich einen Spalt in der Holzverkleidung ausfüllen sollte.“ Portia verschränkte die Arme affektiert vor der Brust. „Das, Mylord, ist keine Wäscheliste.“
„Sie kennen sich aus, was? Na, na, Hippolyta. Ja, ich denke in der Tat, dass dies ein schmachtender Liebesbrief ist, einer, der eher von einer verbotenen als von einer heiligen Liebe handelt.“ Er sprach scheinbar unbekümmert, aber etwas Düsteres lastete auf ihm. Auch wenn sie keine unmittelbare Bedrohung in ihm sah, fröstelte Portia. Scheinbar endlos standen sie wie erstarrt und schweigend im silbernen Schein des Mondes, bis er das Papier auseinander faltete und in das Licht hielt. Sie bemerkte eine Veränderung in seinem Blick. Im Mondlicht wirkte sein Gesicht blass, doch nun spannte sich seine Miene an, als lese er schlechte Neuigkeiten. Portia schob jegliche Ablehnung beiseite und legte dem Fremden eine Hand auf den Arm. „Mylord, was steht dort?“ Er packte sie unvermittelt am Kragen ihres Kleids. „Zeit für Ihre Geheimnisse, Hippolyta. Wer sind Sie und was tun Sie hier?“
„Ich bin ein Gast des Earls.“ Ihre Stimme glich einem Piepsen und versagte ihr vor Schreck schließlich vollends. Er stieß sie unbarmherzig zurück und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand. „Keine Bediensteten. Kein Licht. Eine Pistole und ein merkwürdiges Interesse an diesen Schriftstücken. Überlegen Sie sich eine bessere Antwort!“
„Kein Licht?“, stammelte sie. „In meinem Schlafzimmer ist eine Kerze!“
„Und was hat es mit der Pistole auf sich?“, fragte er in einem scharfen Tonfall.
„Ich habe einen Einbrecher gehört!“
„Und da sind Sie gleich nach unten gekommen, um den Eindringling zu stellen? Welche wohlerzogene Dame würde sich so benehmen?“ Seine Augen funkelten, obgleich er seinen Zorn noch zurückzuhalten schien. „Wie lautet Ihr Name, Hippolyta?“ Sie würde alles preisgeben, wenn er sie nur losließe. „Portia St. Claire.“ Auch das half ihr nicht. Er starrte sie an, und seine Augen nahmen ein unheilvolles Glitzern an. „St. Claire?“, wiederholte er dann kaum wahrnehmbar. „Kein Wunder, dass Sie diesen Brief um jeden Preis haben wollen.“ Das unvermutete Lächeln, das nun seinen Mund umspielte, löste Unbehagen in ihr aus. „Was würden Sie mir für den Brief geben?“ Portia wünschte, sie wäre nie die Stufen hinuntergelaufen, denn sie konnte diese Gehässigkeit nicht ertragen. „Nichts. Gar nichts.“
„Ach nein? Der Inhalt ist aber äußerst pikant. Möchten Sie eine Kostprobe?“ Während er sie mit einer Hand festhielt, faltete er das Schreiben erneut auseinander. „Die Zeilen richtete eine gewisse Desirée an einen gewissen Herkules. Hören Sie, was sie ihm schreibt: Ich denke immerzu an deinen mächtigen Stab in meiner weichen Tasche, und der schlappe ,Mr. Tea‘ glaubt, ich verzehre mich nach ihm. Als wir uns das letzte Mal im Theater trafen, trug ich dein Taschentuch zwischen meinen Schenkeln …“ Sie stemmte sich gegen seinen Arm. „Hören Sie damit auf!“ Er hielt inne. „Ich vermute, Desirée würde von Ihnen mehr Einsatz erwarten, um mir diesen Brief zu entreißen, Portia St. Claire.“
„Ich kenne keine Desirée!“
„Kommen Sie, wir wissen, dass dies nicht ihr richtiger Name ist.“
„Richtig oder nicht, ich kenne diese Person nicht!“ Sie wehrte sich gegen seinen Griff. „Lassen Sie mich los, bitte!“ Portia hasste ihren flehentlichen Unterton, doch sie würde vor ihm kriechen, um endlich freizukommen. Die Angst raubte ihr schier den Atem, und ihr Herz raste unnatürlich schnell. Nie zuvor war ihr jemand begegnet, der so voller Zorn war. „Nehmen Sie Ihren Brief und gehen Sie“, flüsterte sie. Da er mit dem Rücken zur Fensterseite stand, lag sein Gesicht im Schatten. „Sie sind bereit, mich kampflos mit dem Brief gehen zu lassen?“
„Ja. Ja!“, rief sie.
„Warum haben Sie dann versucht, den Brief zu entwenden?“ Als sie nicht antwortete, schüttelte er sie heftig. „Warum?“
„Nur um Ihren Plan zu vereiteln“, keuchte sie. Mit einem Mal gab er sie frei. „Es erstaunt mich, dass Sie überhaupt so alt geworden sind, Miss St. Claire.“ Portia entfernte sich langsam von dem unberechenbaren Fremden. „Ich bin erst fünfundzwanzig.“
„Ich habe Sie für jünger gehalten, gemessen an Ihrem Aussehen und Ihrem überstürzten Verhalten.“ Der gefahrvolle Unterton in seiner Stimme war verflogen, und er schien seinen Spaß zu haben. „Richten Sie Desirée aus, dass Bryght Malloren ihren Brief hat und sich wegen der Bezahlung bei ihr melden wird.“ Portia straffte die Schultern und funkelte den Mann wütend an. „Ich sagte doch schon, dass ich keine Desirée kenne! Sie sind von Sinnen, Mylord!“ Er zog eine Braue hoch, wandte sich zum Gehen und hob seinen Umhang vom Boden auf. Portia hatte keine weiteren Einwände und betete im Stillen, dass er das Haus unverzüglich verlassen möge. Doch es kam etwas dazwischen. In diesem Augenblick betrat ihr jüngerer Bruder Oliver den Raum mit einer Kerze. Nach den Schatten und silbernen Mondstrahlen wirkte das unstete, goldene Licht grell. „Portia? Was machst du hier im Dunklen?“ Erschrocken blieb er stehen. „Und wer sind Sie, Sir?“
„Ein Einbrecher“, entgegnete Bryght Malloren schroff. Er drehte sich zu Portia um. „Wo sind Ihre anderen stämmigen Brüder und die drei Dienstboten?“
„So gehen Sie doch, Mylord“, antwortete Portia. Oliver war gerade einen halben Fuß größer als sie und diesem fremden Mann nicht gewachsen. Doch ihr Bruder schien sich der Gefahr nicht bewusst zu sein. „Mylord? Dienstboten? Was zum Teufel geht hier vor? Ich verlange eine Erklärung, Sir!“ Mit der freien Hand griff er nach dem Degen. Doch Bryght Malloren entriss ihm die Kerze und schlug ihn mit einem einzigen Schlag nieder. Portia schrie auf und rannte zu ihrem Bruder. Aber sie hielt erschrocken inne, als der Eindringling sich ihr zuwandte. Im flackernden Schein der Kerze sah sein Gesicht dämonisch aus. „Wenn das Fliegengewicht wieder zu sich kommt, teilen Sie ihm mit, wer ich bin. Als ein Malloren könnte ich ihn wie eine Schabe zerquetschen. Was den Degen anbelangt, so wäre es mir ein Leichtes, Ihren Bruder mit einer Hand auf dem Rücken zu töten. Und glauben Sie mir, ich hätte keine Gewissensbisse, einen St. Claire zu töten.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Verschwinden Sie, Sie aufgeblasener Schläger!“ Er machte keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen, sondern musterte sie mit einem kalten Blick. „Wollen Sie es wirklich auf einen weiteren Kampf ankommen lassen, Hippolyta?“
„Ich wünschte, ich hätte meine Pistole. Diesmal würde ich nicht zögern. Hinaus!“ Doch er kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. „Amazonentränen“, sagte er leise. „Dieser Waffe dürfte jeder Mann erliegen.“ Mit einer übertriebenen Verbeugung kehrte er ihr den Rücken und eilte aus dem Raum. Erst jetzt bemerkte Portia, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Tränen des Zorns, redete sie sich ein und wischte sie mit beiden Händen fort. Himmel, sie meinte, was sie sagte! Hätte sie eine geladene Pistole zur Hand, würde sie diesen Schurken auf der Stelle erschießen. Besorgt betrachtete sie ihren Bruder, der sich wieder regte, und lief dann zum Treppenabsatz, um sich zu vergewissern, dass der Eindringling auch wirklich das Haus verlassen hatte. Sie hatte gerade das Geländer erreicht, als die Haustür zugeschlagen wurde. „Gott sei Dank“, murmelte sie und hoffte im Stillen, diesem Mann niemals wieder zu begegnen.
Als sie ihren Bruder aufstöhnen hörte, lief Portia zurück und sah, wie Oliver sich das Kinn rieb. „Zum Teufel mit dem Kerl! Wer war das? Und warum um alles in der Welt gibst du dich hier mit einem Mann ab?“
„Wie bitte? Der Kerl ist bei uns eingebrochen!“, entgegnete sie. Oliver erhob sich mühsam und rückte seine gepuderte Perücke zurecht. „Eingebrochen? Warum? Hier gibt es keine Wertsachen. Zumindest nicht für diesen Mann.“ Dann griff er erneut nach seinem Degen. „Bei Gott, ich werde Genugtuung fordern, wenn ich herausbekomme, wer dieser Bursche ist.“
„Er nannte sich Lord Arcenbryght Malloren.“ Oliver ließ augenblicklich den Knauf des Degens los und starrte seine Schwester ungläubig an. „Ein Malloren!“
„Kennst du ihn etwa?“
„Einen Malloren? Gott bewahre.“ Er blickte sich benommen um, denn er spürte immer noch die Nachwirkung des harten Schlags. Portia ergriff seinen Arm und führte ihren Bruder zur Treppe. „Er ist nur gekommen, um einen Brief zu holen, den jemand hier vergessen hat. Lass uns in die Küche gehen. Da ist es warm, und ich glaube, da ist noch etwas Kaffee auf der Ofenplatte.“ Als sie die Stufen hinunterstiegen und es Oliver wieder besser zu gehen schien, fragte sie ihn: „Erzähl mir von den Mallorens.“
„Rothgar“, sagte er, als würde ein Name allein alles erklären.
„Was ist mit diesem Rothgar?“ Inzwischen hatten sie die Eingangshalle erreicht, und unter ihren Schritten knirschte Gipsmörtel. Oliver hob die Pistole auf und schaute zu der lädierten Decke empor. „Warum hat er hier eine Pistole abgefeuert?“
„Das war ich“, erwiderte Portia und zog ihren Bruder mit sich fort. „Ich habe mich erschrocken. Unglücklicherweise habe ich ihn nicht getroffen.“ Oliver schaute wieder zur Decke. „Du hast nicht mal annähernd getroffen, Portia, oder ist er hereingeflogen?“ Portia beschloss, ihren Bruder nicht über die genauen Umstände der nächtlichen Begegnung aufzuklären. Obschon er jünger als sie war, nahm er seine Rolle als Familienoberhaupt sehr ernst. Doch sie vermutete, dass es ein schreckliches Ende nähme, wenn Oliver es auf eine Kraftprobe mit Bryght Malloren ankommen ließe. Im Augenblick war ihre Furcht jedoch unbegründet. Oliver brach am Küchentisch zusammen und barg sein Gesicht in den Händen. „Bryght Malloren. Zum Teufel auch. Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist der Zorn der Mallorens.“
„Wer sind diese Leute?“
Oliver blickte auf. „Die Mallorens? Sie gehören zu den großen, weit verzweigten Adelsfamilien. Sie sind reich und mächtig und haben Verbindungen zu den hohen Kreisen der Gesellschaft.“ Portia stellte zwei Tassen auf den Tisch. „Wieso ist ein solcher Mann dann in dieses Haus eingebrochen?“
„Es heißt, dass sie beizeiten in schmutzige Geschäfte verwickelt sind.“
„Schmutzige Geschäfte? Das hört sich an, als ob sie lauter Kriminelle wären. Obwohl ich zugeben muss, dass dieser Mann sich wie einer benommen hat.“ Oliver schnitt eine Grimasse. „Leute wie die Mallorens können sich beinahe alles herausnehmen.“ Das hatte der Eindringling angedeutet. Portia wünschte, sie könnte einen gewissen Malloren wegen seiner Verbrechen vor Gericht bringen. Wie gern würde sie ihn in Ketten sehen! Vor dem Gedanken, ihn am Galgen zu erblicken, schreckte sie indes zurück. Nein, so weit würde sie es nicht kommen lassen. Sie stellte Zucker und eine Schale mit Sahne auf den Tisch. „Wen hast du mit Rothgar gemeint?“
„Den Marquis of Rothgar. Er ist das Oberhaupt dieser Brut.“ Portia trat an den Ofen, um die Kaffeekanne zu holen. „Ich habe den Namen in den Zeitungsblättern gelesen. Lord Rothgar hat eine wichtige Stellung im Oberhaus.“
„Zweifelsohne eine, die nur seinen eigenen Interessen dient. Er ist ein hartherziger Teufel, nach allem, was man hört. Und Bryght ist ein Spieler.“ Portia erstarrte, als sie die Kaffeekanne vom Feuer nahm. Ein Spieler. Für einen Moment musste sie die Kanne wieder abstellen. Ein Spieler. Der Fluch ihrer Familie. Die ganze Welt schien dem verderbten Glücksspiel verfallen zu sein. Vor ihrer Geburt war ihr Vater selbst ein Spieler gewesen. Nach der Heirat hatte er Besserung gelobt, doch anstatt das Geld durch ehrliche Arbeit zu verdienen, hatte er sich dubiosen Kapitalanlagen zugewandt – unsichere Beteiligungen, die erstaunliche Profite versprachen. Er hatte alles verloren und sich dann selbst erschossen. Zu jener Zeit war Portia noch ein Kleinkind gewesen und konnte sich an den schrecklichen Vorfall nicht mehr erinnern. Doch oft genug hatte sie davon gehört, insbesondere dann, wenn ihre Mutter sie eindringlich warnte, niemals ein Risiko einzugehen. „Werde nicht so wie dein Vater, Portia – glaube nicht, du wärst klüger als andere und könntest immer gewinnen. Nimm das an, was der Allmächtige uns beschert.“ Mit einem Mal entsann Portia sich der Worte des nächtlichen Eindringlings, als er sie fragte, ob sie stets kämpfte, wenn es aussichtslos war. Warum hatte er ihr Wesen so schnell durchschaut? Es stimmte, dass sie sich weigerte, das ‚anzunehmen, was der Allmächtige bescherte‘, und den Drang verspürte, gegen das Schicksal aufzubegehren. Oft hatte sie sich über ihre Mutter und ihren Stiefvater geärgert, denn sie waren so in ihr Schicksal ergeben und zu zaghaft, um ein Wagnis einzugehen. Jetzt erkannte sie indes, dass sie dankbar sein müsste. Oliver war genauso waghalsig wie sie. Er liebte raue, gefährliche Sportarten und hatte sogar zur Armee gehen wollen. Da der Kummer seiner Mutter ihm dies verwehrt hatte, hatte er sich dem Glücksspiel hingegeben, sein Geld verloren und womöglich sein Haus. Wenn es ihm nicht gelang, fünftausend Guineen aufzutreiben, war Overstead Manor für immer verloren. Wie es schien, gehörte Bryght Malloren zu dem gleichen Menschenschlag, und immerhin war er kein junger, fehlgeleiteter Narr wie Oliver. Er war ein reifer Mann, der dem Laster verfallen war. Warum diese Tatsache ihr überhaupt nahe ging, vermochte Portia nicht zu sagen. Sie starrte ihren Bruder an. Hatte Oliver gar gegen Lord Bryght gespielt? Hatte sich dieser Mann nicht nur Zutritt zu ihrem Haus verschafft und sie angegriffen, sondern auch mit einem Würfelwurf ihr Dasein zerstört? Schließlich brachte sie die Kraft auf, die Kaffeekanne hochzuheben, und stellte sie laut auf dem Tisch ab. „Kennst du Lord Arcenbryght näher?“, fragte sie, meinte indes nichts anderes als: „Hast du gegen ihn gespielt?“
„Einen Malloren? Die sind zu hoch für mich, meine Liebe. Ich habe ihn bei dem Licht nicht einmal erkannt. Aber jeder weiß über sie Bescheid.“
„Was weiß jeder?“
„Dass sie reich und mächtig sind und ihnen niemand in die Quere kommen darf.“ Portia nahm gegenüber von ihrem Bruder Platz. „Wenn sie so wohlhabend sind, warum ist Lord Arcenbryght dann ein Spieler?“ Oliver seufzte verstimmt. „Ich habe es dir schon so oft erklärt, Portia. Jeder spielt. Der König spielt, die Königin spielt, sämtliche Minister frönen dem Spiel. Selbst der Bischof! Jeder Mann, der ein richtiger Mann sein will, spielt.“
„Aber warum?“ Seit dem Tag, als Oliver mit der fürchterlichen Nachricht nach Overstead Manor zurückgekehrt war, er habe den Besitz beim Spiel verloren, hatte Portia immer wieder dieselbe Frage gestellt. Warum setzte ein vernünftiger Mensch alles auf eine Karte oder einen Würfelwurf? Oliver schenkte sich Kaffee ein. „Was soll ich sagen? Ein Mann muss spielen, Portia, oder man hält ihn für einen Sonderling. Es ist ein Zeichen von Mut, von Stärke. Jemand, der nicht spielt, gilt als ängstliches, wertloses Geschöpf. Aber das verstehst du nicht. Es ist Männersache, obgleich auch viele Frauen spielen.“
„Ich glaube, ihre Ehemänner sollten es ihnen verbieten.“
„Wieso, sie spielen doch auch.“
„Aber wieso tun sie das?“, fragte Portia erneut.
„Weil es aufregend ist“, erwiderte er.
„Aufregend? Was kann daran aufregend sein, wenn man sein Geld verliert?“
„Es ist aufregend zu gewinnen“, erklärte er. „Komm schon, Portia. Du bist doch sonst nicht so prüde. Hast du schon vergessen, dass du nachts aus deinem Fenster geklettert bist, um Fort zu treffen und den Bollard-Brüdern beim Wildern zuzuschauen? Das war töricht, aber ich möchte wetten, dass es aufregend war.“ Portia mochte es gar nicht, wenn man ihr die Jugendsünden vorhielt. „Das kann man wohl kaum vergleichen“, meinte sie verdrießlich.
„Doch, das kann man!“ Er beugte sich mit geweiteten Augen vor. „Der Nervenkitzel dieses Abenteuers war die Gefahr. Die Gefahr, sich den Hals zu brechen. Das Risiko, eine Tracht Prügel zu beziehen. Denk doch nur, wenn die Bollard-Brüder euch entdeckt und sich der Zeugen entledigt hätten! So ist es auch am Spieltisch! Es ist aufregend, alles zu wagen und zu überleben. Je größer das Risiko, desto größer der Nervenkitzel! Man lernt seine Grenzen kennen, und nur so merkt man, dass man lebt …“ Doch dann ging ihm auf, was er da sagte, und er sank hilflos zurück auf seinen Stuhl. „Aber ich habe damit abgeschlossen. Darauf gebe ich dir mein Wort, meine Liebe.“ Portias Hände zitterten leicht, als sie sich Kaffee einschenkte. Immer wieder beteuerte Oliver, nie wieder zu spielen, aber manchmal zweifelte sie an seinen Worten. Wenn er vom Glücksspiel sprach, war er wie geblendet – geblendet von dem krankhaften Zwang, ein Risiko einzugehen. „Es gibt bestimmt noch andere Wege, deinen Mut unter Beweis zu stellen, Oliver.“
„Das mag sein.“ Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Die Armee, zum Beispiel.“
„Oliver, du weißt, dass es Mama das Herz brechen würde!“
„Verflucht, Portia, es wundert mich nicht, dass es mich an den Spieltisch gezogen hat. Wenn es nach dir ginge, dürfte ich nur meine Gutsbesitzerkleidung anziehen und über Land reiten.“
„Du könntest den Besitz verwalten.“
„Eine stupide Arbeit. Außerdem könntest du das besser als ich. Aber ich denke, das Leben wird noch aufregend genug werden.“ Er schenkte ihr ein dünnes Lächeln. „Denn zuallererst muss ich Bryght Malloren zum Duell fordern.“
„Nein!“, rief Portia entsetzt aus. „Sei kein Narr!“
„Er hat mich geschlagen, Portia!“ Das hatte Portia schon vergessen. Sie hatte nur daran gedacht, wie der Fremde sie behandelt hatte. „Es wird nicht nötig sein, gegen ihn zu kämpfen.“
„Mag sein, zumal ich ihm vielleicht nie wieder begegne. Aber das ist unwahrscheinlich, so, wie die Dinge liegen. Wir können nur hoffen, dass du dir nicht seinen Zorn zugezogen hast. Die Feindschaft der Mallorens können wir uns im Augenblick nicht leisten.“ Portia erwiderte darauf nichts. Sie hatte sich Lord Bryght in den Weg gestellt und gedroht, auf ihn zu schießen, aber er war erst wütend geworden, als er den Brief gefunden und sie ihm ihren Namen verraten hatte. Je länger sie darüber nachdachte, desto merkwürdiger kam ihr sein Verhalten vor. Sie nahm etwas von dem Zucker und rührte nachdenklich in ihrem Kaffee. „Der Name St. Claire schien ihm bekannt vorzukommen. Kannst du dir das erklären?“ Oliver schüttelte den Kopf. „Ich vermute, er kennt die Familie deines Vaters. Dein Onkel ist Lord Felsham, obschon er ein unbedeutender Adliger ist.“ Portias Vater war der dritte Sohn von Lord Felsham gewesen. Nach seinem Tod hatte Portias Mutter Sir Edward Upcott geheiratet und weitere Kinder zur Welt gebracht, von denen zwei überlebten – Oliver und Prudence. Die hübsche Prudence war erst sechzehn Jahre alt und hatte Aussichten auf eine treffliche Partie gehabt, bevor ihr Bruder sie zu einer mittellosen Frau gemacht hatte. Doch über das Unglück ihrer Familie wollte Portia jetzt nicht weiter nachgrübeln. Es musste einen Weg geben, das Anwesen und die Zukunft der Familie zu retten. „Soweit ich weiß, ist Lord Felsham tatsächlich unbedeutend“, sagte sie. „Ich habe einen Onkel, der Bischof von Nantwich ist, aber an dem dürften die Mallorens noch weniger Interesse zeigen.“ Sie verzog das Gesicht. „Doch ich glaube, es könnte zu einer blutigen Fehde kommen. Die St. Claires haben nie gebilligt, dass Vater die Tochter eines Strumpfhändlers geheiratet hat. Wir haben keinen Kontakt mehr zu ihnen. Doch ich denke, wir sollten versuchen, herauszufinden, ob sie uns jetzt helfen können …“
„Das glaube ich nicht, Portia. Lord Felsham müsste schon Krösus sein, um mir einfach so fünftausend Guineen zu überlassen.“ Portia seufzte. Fünftausend Guineen! Der Preis für ihr Leben und für das Leben ihrer Familie. Sie konnte es kaum glauben, dass sie sich in einer so aussichtslosen Lage befanden. Das Unheil hatte seinen Lauf genommen, als Olivers Vater starb. Sir Edward war ein ehrbarer Gutsherr gewesen, aber er hatte allzu sehr üppigen Mahlzeiten und dem Portwein zugesprochen. Eines Morgens hatte er beim Aufstehen über Übelkeit geklagt und war dann tot zu Boden gesunken. Sein Tod war ein furchtbarer Schlag für die ganze Familie gewesen, aber niemand hatte ahnen können, dass dieser herbe Verlust ihr Leben so nachhaltig ändern würde. Oliver erbte den Titel eines Baronets, aber da er erst einundzwanzig Jahre alt war, konnte es als eher unwahrscheinlich gelten, dass er schon bald eine Braut nach Overstead brachte. Oliver war immer schon rastlos gewesen und hatte sich nie mit dem Landleben abfinden können. Erneut hatte er angekündigt, der Armee beizutreten. Als seine Familie protestierte – Hannah und Prudence flehten ihn unter Tränen an, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen –, hatte er sich nach London begeben, ‚um etwas von der Welt zu sehen‘, wie er sich ausgedrückt hatte. Portia erinnerte sich noch genau, wie erleichtert sie alle gewesen waren, dass er diesen viel versprechenden Weg eingeschlagen hatte. In ihrer Vorstellung besuchte Oliver Gemäldegalerien, hielt sich am Königshof auf und begegnete in den Kaffeehäusern den führenden Philosophen und Dichtern. Doch anstatt hochgeistige Gespräche zu führen, hatte Oliver sich von weniger erhabenen Interessen leiten lassen. Schon bald hatte er seine ganze Zeit in Clubs und Spielhöllen verbracht, hatte gewonnen und verloren. Dann war die verhängnisvolle Nacht gekommen, in der er alles gesetzt und Overstead Manor an einen gewissen Major Barclay verloren hatte. Dieser Major suchte Portia nun in ihren Albträumen heim – ein oberflächlicher, verschlagener Mensch mit lüsternen Augen und einem dämonischen Grinsen. Natürlich hielt sie ihn für einen Falschspieler und Betrüger. Doch der Major hatte kein Interesse an einem kleinen Anwesen in Dorset gezeigt. Er hatte Bargeld verlangt und schließlich Olivers Angebot zugestimmt, eine Hypothek von fünftausend Guineen auf das Haus aufzunehmen. Aber es war Oliver nicht gelungen, sich die Summe bei der Shaftesbury Bank zu leihen. Verflucht seien der Major und die Bankiers! Portia wünschte, sie hätte bei den Verhandlungen in der Bank dabei sein können, aber natürlich war es für eine Frau undenkbar, an derartigen Besprechungen teilzunehmen. Selbst wenn die Frau mehr von dem Anwesen verstand als der Mann. Dabei hatte sie Sir Edward bei der Verwaltung des Gutshofs geholfen und wusste, dass eine Anleihe in dieser Größenordnung möglich war. Nachdem die Bank Oliver schließlich abgewiesen hatte, war er kurz davor gewesen aufzugeben und hatte wieder davon geredet, der Armee beizutreten. Er war sich sicher, einen Vorschuss zu erhalten, um die Familie in bescheidenem Umfang unterstützen zu können. Portia hingegen war nicht bereit gewesen, so schnell klein beizugeben. Als letzte Möglichkeit hatte sie vorgeschlagen, Rat bei ihrem Nachbarn zu suchen, dem großen Earl of Walgrave. Natürlich hatte sie gehofft, der Earl würde Oliver die Summe vorstrecken, denn er war äußerst wohlhabend und zudem Olivers Taufpate. Unglücklicherweise hatte der Earl sich nicht auf seinem Anwesen, Walgrave Towers, aufgehalten. Abermals hatte Oliver der Mut verlassen, und er war im Begriff gewesen, den Besitz Major Barclay zu überschreiben. Doch Portia hatte weiter gekämpft. Ihr war nämlich zu Ohren gekommen, dass der Earl in Maidenhead weilte, und sie hatte ihren Bruder förmlich dorthin geschleift. Leider hatten die Geschwister das gemietete Haus genau in dem Augenblick erreicht, als der Earl das Haus verließ. Er hatte sie aufgefordert, so lange hier zu bleiben, bis seine Geschäfte es ihm erlaubten, sich ihrer Sache anzunehmen. Das hatte viel versprechend geklungen, aber mittlerweile waren zwei Tage verstrichen, und daher war Oliver an diesem Abend ausgegangen, um den Earl aufzusuchen. Er hatte gewiss etwas herausgefunden. „Hast du Lord Walgrave getroffen?“, fragte Portia ihn. Er schüttelte enttäuscht den Kopf. „Wie es aussieht, hat er Maidenhead mit der gesamten Dienerschaft verlassen. Blick den Tatsachen ins Auge, Portia. Auch er dreht uns den Rücken zu. Es ist hoffnungslos.“ Sie ergriff die Hand ihres Bruders. „Du darfst jetzt nicht aufgeben, Oliver. Du hast immer noch einen Monat, um das Geld aufzubringen.“ Er lachte bitter auf. „Wie soll ich das anstellen?“
„Oh Oliver, wir müssen es weiter versuchen! Vielleicht können wir dem Earl folgen. Wohin ist er gegangen?“
„Das weiß niemand. Um Himmels willen, Portia, wir können nicht einfach wie Jagdhunde seiner Fährte folgen! Merkst du nie, wann du dich geschlagen geben musst? Wenn Lord Walgrave bereit gewesen wäre, uns zu helfen, so hätte er es auch getan.“
„Er war einfach sehr beschäftigt …“
„Und wird es immer sein.“
„Aber irgendetwas müssen wir doch unternehmen!“
Er leerte die Kaffeetasse. „Da bist du gefragt, denn ich weiß nicht mehr weiter. Unsere letzte Möglichkeit ist, die Geldverleiher aufzusuchen, aber die Zinsen, die diese Leute verlangen, würden uns ohnehin ruinieren.“
„Sollen wir einfach nach Hause gehen und alles Major Barclay überlassen?“
„Was haben wir für eine Wahl?“ Portia schaute ihn eindringlich an. „Wir können wie zwei Jagdhunde der Fährte des Earls folgen.“
„Portia!“
„Oliver, ich gebe mich noch nicht geschlagen. Wir warten noch ein paar Tage, falls Lord Walgrave uns eine Nachricht zukommen lässt. Sollten wir indes nichts von ihm hören, gehe ich nach London, um ihn zu suchen. Wenn du nicht mitkommen willst, gehe ich eben allein.“
Oliver war mit dem Plan alles andere als einverstanden, und Portia redete beinahe eine Woche lang auf ihren Bruder ein, bis er endlich zustimmte. Selbst als sie auf die Kutsche nach London warteten, äußerte er noch seine Bedenken: „Mutter wird in Ohnmacht fallen, wenn sie dich mit nur einem Begleiter in der verruchten Hauptstadt weiß“, sagte er. „Sie wird uns nicht aufhalten können“, entgegnete Portia entschlossen. „Und außerdem hoffe ich, dass wir erfolgreich nach Hause zurückkehren, bevor Mutter überhaupt merkt, dass wir Maidenhead verlassen haben. Das Gespräch mit dem Earl wird sicherlich nicht lange dauern, und wenn wir mit guten Neuigkeiten heimkehren, wird Mutter uns nicht böse sein.“
„Wenn wir den Earl finden“, meinte Oliver verzweifelt, doch er bestieg die Kutsche ohne weitere Einwände. Portia nutzte die sechsstündige Kutschfahrt, um zu überlegen, wie man das Gespräch mit dem Earl am besten beginnen sollte. Er war ein altmodischer, puritanischer Mensch und würde einer Frau wohl kaum Gehör schenken, sofern sie nicht um Gnade bettelte. Doch das war nicht Portias Art, aber sie war sich auch nicht sicher, ob sie dem Verhandlungsgeschick ihres Bruders vertrauen konnte. Als sie die Hauptstadt erreichten, hatte sie den Entschluss gefasst, ihren Bruder zum Haus des Earls zu begleiten. Sie gelobte, sich wie eine wohlerzogene, sittsame junge Dame im Hintergrund zu halten. Vielleicht sollte sie sich ein paar Tränen abringen …
Das erinnerte sie an Bryght Malloren. Woher hatte er gewusst, dass sie nicht weinte? Und wie hatte er ahnen können, dass sie es hasste, klein beizugeben? Sie musste zugeben, dass dieser verfluchte Mann sich immer wieder in ihre Gedanken stahl, und wenn es ihr gelang, einmal nicht an ihn zu denken, tauchte er in ihren Träumen auf. Wie widersinnig! Er war ein Spieler und ein Raufbold. Doch sie konnte sich noch sehr genau an den Augenblick erinnern, als sie unter ihm gelegen und seine Lippen auf ihren gespürt hatte. Manchmal wünschte sie sich sogar, sie wäre nicht so passiv gewesen, sondern hätte den Kuss ausgekostet. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt und bereits umworben worden, aber ihre Freier hatten sich alle tadellos benommen. Noch nie war sie so geküsst worden. Sie sah darin eine große Lücke in ihrer Erziehung, und trotz seiner Durchtriebenheit hielt sie Bryght Malloren für einen ausgezeichneten Lehrmeister. Wie recht ihre Mutter doch hatte, wenn sie sich darüber beklagte, ihre Tochter neige durch das Blut der St. Claires zur Wildheit. Portia verbannte diese Gedanken aus ihrem Kopf. Sie verspürte einen Stich in ihrem Herzen, denn sie wusste, dass es ihr Schicksal war, eine alte Jungfer zu werden. Portia war zu klein, zu dünn, zu direkt und war obendrein mit rotem Haar und Sommersprossen geschlagen. Inzwischen hatte die Kutsche die verstreut liegenden Gehöfte und Bauerngärten hinter sich gelassen und bog in die geschäftigen, dicht bebauten Straßen von London ein. Während der ganzen Fahrt hatte Portia nicht wahrhaben wollen, dass sie sich zu einem Fremden von hoher Geburt hingezogen fühlte. Als sie im Hof des ‚Swan‘ aus der Kutsche stieg, hatte sie den inneren Kampf gewonnen. Auch wenn ihr jetzt ein geeigneter Mann einen Heiratsantrag machen sollte, würde sie ihn kaum annehmen. Schließlich wurde sie in Overstead gebraucht. Sie und Oliver würden viele Jahre ein bescheidenes, mit harter Arbeit angefülltes Leben führen müssen, wenn sie dem Earl die geliehene Geldsumme zurückzahlen wollten. Portia war davon ausgegangen, London sei eine grandiose und aufregende Stadt, aber dieses Viertel war alles andere als einladend. Sowie sie den Gasthof verlassen hatten, sehnte sie sich nach der Geborgenheit des Landes. Die lauten Straßen wimmelten von Menschen, und die Gosse stank nach Unrat. Und an jeder Ecke lauerte das Laster. Ein betrunkenes Paar torkelte an ihnen vorbei, obwohl es noch nicht dunkel war. Portia beobachtete, wie eine zerlumpte Frau, die an einer Wand lehnte, von einem ebenso heruntergekommenen Mann angesprochen wurde. Dass die beiden miteinander ins Geschäft kamen, war unverkennbar, aber die Summe, um die es ging, war gewiss nicht hoch. Wie furchtbar. Schon bald entdeckte sie, dass außer Huren und Gin alles in London teuer war. Sie wären gut beraten, sich nicht länger als nötig in der Stadt aufzuhalten, denn die wenigen Guineen in ihrem Geldbeutel würden nicht lange reichen. Oliver wollte in dem vornehmen Viertel, in dem er zuvor gewohnt hatte, nach einer Unterkunft suchen, aber Portia konnte ihn von diesem Vorhaben abbringen. Am Stadtrand in Clerkenwell fand sie eine billige Bleibe in der Dresden Street. Sie mieteten zwei Schlafkammern und einen Wohnraum für zwei Guineen im Monat, mussten jedoch angesichts der kalten Witterung im Dezember noch zusätzliche zehn Shilling pro Woche für das tägliche Kaminfeuer aufbringen. Portia schaute sich in den schlichten Zimmern um. „Wir zahlen viel zu viel Geld für solch eine dürftige Unterbringung“, meinte sie verärgert. „Ich versichere dir, Portia, dass wir kaum billiger unterkommen konnten.“ Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Wir können es uns nicht leisten, unser Geld zu verschwenden, Oliver“, wies sie ihn zurecht. Er errötete schuldbewusst. „Oh, ich weiß, ich weiß. Es tut mir leid. Aber ich frage mich, wie ich in einem solchen Viertel Freunde bewirten soll.“
„Wir sind nicht hier, um Gäste zu empfangen.“ Er gab dem wackligen Tisch einen Stoß. „Wenn der Earl uns kein Geld leiht, werde ich mich an Freunde wenden müssen. Aber wenn ich von denen Hilfe erbete, muss ich sie einladen und bewirten. Gott sei Dank weiß noch keiner, wie viel ich verloren habe.“
„Denkst du, sie werden dich schneiden, wenn sie es erfahren? Dann sind es keine wahren Freunde.“
„So einfach ist das nicht, Portia. Es ist den Leuten unangenehm, mit einem Mann zu verkehren, der völlig ruiniert ist.“ Da hatte ihr Bruder nicht ganz Unrecht. Genau aus diesem Grund hatten Portia und ihre Mutter in Dorset nichts von ihrer misslichen Lage erzählt. Könnten sie sich die Summe leihen, würde vielleicht kein Nachbar jemals das ganze Ausmaß des Unglücks erfahren. Falls sie sich das Geld nicht leihen könnten, würden sie heimlich wieder abreisen, ohne die Freunde in eine peinliche Situation zu bringen. Sie versuchte, einen Kompromiss zu finden. „Wie ich gehört habe, treffen Männer sich in den Clubs und Kaffeehäusern. Kaffeehäuser dürften nicht allzu teuer sein.“ Und gewiss kein Glücksspiel dulden, dachte sie. „Du solltest deine Freunde besser dort treffen als hier. Aber wenn wir Glück haben, wird das gar nicht nötig sein. Morgen früh werden wir als Erstes herausfinden, ob Lord Walgrave in der Stadt ist.“ Und so begaben sie sich am nächsten Morgen zu Fuß in die zwei Meilen entfernte Abingdon Street, in der Seine Lordschaft ein Stadthaus besaß. Während sie durch die edleren Viertel von London gingen, begriff Portia, warum die Leute so von der Innenstadt schwärmten. Die Gebäude waren beeindruckend, die Straßen breit und sauber. Sie fasste neuen Mut, denn sie war sich sicher, dass die Lösung all ihrer Sorgen unmittelbar bevorstand. Als sie voller Zuversicht in die Abingdon Street einbogen, jagte ihnen der Trauerflor an der Tür des Ware House einen Schrecken ein. Sie und Oliver erklommen die breite Treppe und klopften an die Tür, an der ein Totenschild mit dem gräflichen Wappen befestigt war. Der Bedienstete, der öffnete, trug eine schwarze Schleife am Arm. „Wer ist gestorben?“, fragte Oliver sogleich. Der ernste Diener musterte sie eingehend und beschloss offenbar, dass sie ein Recht auf eine Antwort hatten. „Der große Earl of Walgrave, Sir. Man nannte ihn den Unbestechlichen.“
„Er ist tot?“, fragte Oliver wie benommen. „Aber ich habe doch noch vor einer Woche mit ihm gesprochen.“
„Er starb ganz plötzlich, Sir.“
„Ich bin der Patensohn des Earls. Wenn Familienangehörige zugegen sind, würde ich ihnen gern mein Beileid aussprechen.“
„Es ist niemand da, Sir. Sie dürfen aber gern eine Nachricht hinterlassen.“ Der Diener bat sie in das große, aber kalte Haus und führte sie in ein kleines Zimmer, in dem schwarz umrandetes Büttenpapier zur Verfügung stand. Beide brachten ihr Beileid zum Ausdruck und ließen die Bögen liegen, um sie der Familie zukommen zu lassen. Da hatte Portia eine Idee. Der Todesfall bedeutete, dass jetzt der älteste Sohn des Earls, Fortitude Ware, Lord Walgrave war. Und Fort war ein Freund von ihr. Sie wandte sich an den Diener. „Der neue Earl, hält er sich in der Stadt auf?“ Der spröde Dienstbote rümpfte zwar die Nase, aber er sah in den beiden Besuchern inzwischen Angehörige der privilegierten Schicht. „Nein, Madam. Er ist in Walgrave Towers, um den Trauerfeierlichkeiten beizuwohnen. Aber wir erwarten ihn in Kürze zurück.“ Als sie ins Freie traten, sagte Oliver verzweifelt: „Verflucht, was für ein Pech!“ Portia jedoch schöpfte neue Hoffnung. „Aber Oliver, es sieht doch gar nicht schlecht aus. Fort ist jetzt der Earl!“ Olivers Miene hellte sich auf. „Das stimmt, und er ist immer ein guter Freund gewesen. Nie war er hochnäsig.“
„Und er wird bald wieder in der Stadt sein! Na also, alles läuft nach Plan.“
„Aber wir wissen noch nicht, ob er mir eine so hohe Summe leihen wird, Portia.“
„Ich weiß, er wird es tun!“ Portia hüpfte beinahe vor Freude. Als sie um die Ecke bogen, meinte Oliver: „Es schickt sich nicht, bei einem Todesfall so fröhlich zu sein.“ Portia biss sich auf die Lippe. „Du hast recht, aber ich habe mir nie viel aus dem alten Earl gemacht. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass wir gerettet sind. Denk doch nur, wir könnten in einigen Tagen wieder in Overstead sein und alles wäre geregelt.“ Plötzlich musste Oliver lächeln. „Es tut gut, dich wieder fröhlich zu sehen, Portia.“ Sie erwiderte sein Lächeln. „Ja, endlich habe ich wieder Grund dazu. Jetzt wird alles gut, Oliver. Habe ich es nicht immer gesagt?“
„Wir haben es so gut wie geschafft, oder etwa nicht? Dann musst du dir London anschauen, Portia, solange wir noch warten. Wir werden ins Theater gehen. Sollten wir uns dazu entschließen, brauchst du allerdings ein neues Kleid.“
„Hör auf, Oliver!“ Portias Fröhlichkeit schwand. „Das ist unangebracht. Überleg doch, du bist hoch verschuldet. Selbst wenn wir uns die Summe leihen, so werden wir einige Jahre wenig Geld zur Verfügung haben. Wir werden uns alle mit einem einfachen Leben begnügen müssen, um das Geld zurückzahlen zu können.“ Doch ihr Bruder war unverbesserlich. „Dann lass uns wenigstens diesen einen Tag genießen!“
„Oliver!“
„Verflucht, Portia. Du bist doch sonst kein Spielverderber!“ Portia brauchte ihn nur scharf anzublicken, und er errötete. „Oh, tut mir leid. Aber es ist eine Schande, in London zu sein – vielleicht für einige Jahre zum letzten Mal in einem erbärmlichen Raum in Clerkenwell herumzusitzen und nichts zu tun.“ Portia wusste, dass ihr Bruder sich schnell langweilte. „Das verlangt ja niemand“, versicherte sie ihm. „Es spricht doch nichts dagegen, dass du die Kaffeehäuser besuchst und deine Freunde triffst. Vielleicht brauchst du eines Tages doch noch ihre Hilfe.“