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Der Earl of Walgrave hasst ihre ganze Familie – doch der maskierten Lady kann er sich nicht entziehen …
Band 3 der prickelnden historischen Liebesroman-Reihe für Fans von Stacy Reid
Um sich bei der Vauxhall Gardens Masquerade ausgelassen in Spaß und Flirts zu stürzen, verkleidet sich Lady Elfled Malloren als geheimnisvolle Schönheit Lisette. Doch als sie auf dunklen Pfaden in tödliche Gefahr gerät, muss sie sich in die rettenden Arme des rachsüchtigsten Feindes ihrer Familie werfen – dem unberechenbaren Fort Ware, Earl of Walgrave. Seine Anziehungskraft auf Elf ist unleugbar und trotzdem muss sie sich ihm entziehen, bevor er sie unter der Maske erkennen kann. Doch nach nur einer Nacht weiß Elf, dass sie den Mann, den sie nicht lieben sollte, nie vergessen wird …
Weitere Titel dieser Reihe
Die Maske der Lady (ISBN: 9783986377120)
Das Glück des Lords (ISBN: 9783986373122)
Erste Leser:innenstimmen
„Eine wunderbar fesselnde historical Romance, ich habe so sehr mit Elf mitgelitten …“
„Leidenschaftlich, romantisch und spannend – was will man mehr?“
„Ich habe Band 3 der Regency Romance-Reihe heiß erwartet und wurde nicht enttäuscht.“
„Jo Beverley schreibt einfach die unterhaltsamsten Liebesgeschichten!“
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Seitenzahl: 602
Veröffentlichungsjahr: 2022
Um sich bei der Vauxhall Gardens Masquerade ausgelassen in Spaß und Flirts zu stürzen, verkleidet sich Lady Elfled Malloren als geheimnisvolle Schönheit Lisette. Doch als sie auf dunklen Pfaden in tödliche Gefahr gerät, muss sie sich in die rettenden Arme des rachsüchtigsten Feindes ihrer Familie werfen – dem unberechenbaren Fort Ware, Earl of Walgrave. Seine Anziehungskraft auf Elf ist unleugbar und trotzdem muss sie sich ihm entziehen, bevor er sie unter der Maske erkennen kann. Doch nach nur einer Nacht weiß Elf, dass sie den Mann, den sie nicht lieben sollte, nie vergessen wird …
Erstausgabe 1997 Überarbeitete Neuausgabe August 2022
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-708-3
Copyright © 1997 by Jo Beverley Titel des englischen Originals: Something Wicked
This edition published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.
Copyright © 1998, Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 1998 bei Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München erschienenen Titels Maskenspiel der Leidenschaft (ISBN: 978-3-42669-000-0).
Übersetzt von: Henriette Zeltner Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Cezary Wojtkowski, © kovop58, © dimid_86, © Swetlana Wall, © Tartezy, periodImages.com: © Maria Chronis, VJ Dunraven Productions Korrektorat: Katharina Pomorski
E-Book-Version 29.09.2022, 09:00:33.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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London, Juni 1762
„Ich werde dich vermissen.“ Lady Elfled Malloren warf sich in die Arme ihres Zwillingsbruders und war entschlossen, nicht zu weinen.
„Es wird sich etwas ändern“, sagte er schroff. „Nach diesem gemeinsamen Jahr wird alles wieder ganz fremd sein.“ Hauptmann Lord Cynric Malloren erschien für eine offizielle Reise in voller militärischer Pracht, mit rotem Mantel und gepudertem Haar, das im Nacken von einer schwarzen Schleife zusammengehalten wurde.
Unter einem schicklichen Spitzenhäubchen schimmerte Elfs sandfarbenes Haar golden. Sie trug ein weißes Kleid, das von gestickten Vergissmeinnicht übersät war. Dennoch war ihre Ähnlichkeit nicht zu übersehen. „Ich wünschte, du würdest nicht so weit fortgehen“, klagte sie. „Nova Scotia. Es wird Jahre dauern …“ Er legte einen Finger auf ihre Lippen. „Schsch. Ich bin auch vorher schon jahrelang fort gewesen, und du wirst bald wieder völlig mit deinem eigenen Leben beschäftigt sein.“ Sie zog einen Schmollmund und entwand sich seinen Armen. „Fang jetzt nicht an, mir die Vorzüge des Ehestands zu preisen!“
Er blickte lächelnd zu seiner Frau hinüber, die taktvoll an der Tür zur Halle wartete und mit ihrer beider Bruder, dem Marquis von Rothgar, plauderte. „Mir gefällt die Ehe, und du und ich, wir sind uns ja sehr ähnlich.“
Sind wir das?, wollte Elf fragen, aber jetzt war wohl kaum der Zeitpunkt für Streitereien. „Dann werde ich die Bewerber noch einmal in Augenschein nehmen“, sagte sie leichthin und fügte mit einem neckenden Gesichtsausdruck hinzu, „natürlich wäre es hilfreich, wenn meine lieben Brüder nicht alle interessanten abgeschreckt hätten!“
Er zwinkerte ihr zu. „Man muss ein Schurke sein, um einen Schurken zu erkennen. Wir machen uns besser auf den Weg.“ Aber er machte keinerlei Anstalten zu gehen, obwohl draußen eine Kutsche und sechs unruhige Pferde warteten. „Geh! Ich hasse lange Abschiede.“ Sie küsste ihn schnell und zog ihn dann in Richtung seiner Frau und dem Tor zum Abenteuer.
Sie gab ihrer Schwägerin Chastity einen Kuss auf die Wange. „Schreibt, bevor ihr aufs Schiff geht.“ Sie umarmten einander und verharrten einen Augenblick so; sie waren enge Freundinnen geworden. „Pass auf ihn auf“, flüsterte Elf und kämpfte schon wieder mit den Tränen.
„Natürlich.“ Chastity befreite sich aus der Umarmung, um sich die Nase zu putzen.
„Wenn es irgendeinen Sinn hätte, würde ich dich bitten, dafür auf Fort achtzugeben.“ Sie sprach von ihrem Bruder, dem Earl of Walgrave.
„Ich kann mir seine Antwort auf einen solchen Vorschlag gut vorstellen.“
Sie warfen einander einen vielsagenden Blick zu, denn Chastitys Bruder hasste alle Mallorens.
Hinter ihnen öffneten zwei Lakaien die großen Doppeltüren und ließen Sommersonne und Vogelgezwitscher herein. Der Marquis und Cyn traten hinaus und warteten. „Hab wenigstens ein Auge auf ihn“, sagte Chastity. „Meine Liebe! An den Orten, wo er sich herumtreibt? Da wäre mein guter Ruf augenblicklich dahin!“
„Nicht mehr.“ Chastity schnitt eine Grimasse. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich über die Läuterung eines Bruders beschweren würde, aber als sorgloser Racker war mir Fort hundertmal lieber als in der Rolle von Lord Walgrave, dem Zyniker.“ Sie streifte ihre Handschuhe über. „Es macht mir wirklich Sorgen, ihn so zurückzulassen. Er ist seit Vaters Tod nie mehr der Alte geworden.“
Elf begleitete sie zum Tor. „Dann werde ich den Schutzengel spielen. Wenn ich höre, dass er in der Klemme sitzt, etwa wegen seiner verdammten Arroganz enthauptet werden soll, werde ich wie die Jungfrau von Orleans zu seiner Rettung schreiten!“ Und mit einem Grinsen fügte Elf hinzu: „Vor allem, um ihn zu ärgern.“
Chastity kicherte und sagte: „Er ist nicht so schlimm, Elf. Es ist nur …“
„Es ist nur, dass er alle Mallorens geringer als Würmer achtet und mich dementsprechend behandelt.“ Chastity seufzte und wandte sich ihrem Mann und dem Marquis zu, der bis Portsmouth mit ihnen reisen würde. Schnell war alles reisefertig. Elf sah von den Stufen aus, wie die drei in die vergoldete Kutsche stiegen. Der Kutscher rief etwas, schnalzte mit der Peitsche, und die sechs Pferde zogen die prächtige Karosse fort. Bald bog sie vom Marlborough Square ab, während Cyn und Chastity sich noch zu einem letzten Gruß herauslehnten.
Passanten waren stehen geblieben, um die Abreise zu beobachten. Jetzt gerieten sie – wie aufgezogenes Spielzeug – wieder in Bewegung, Müßiggänger setzten ihre Spaziergänge fort, Dienstboten besannen sich wieder auf ihre Aufträge, und Kinder kehrten zu ihren Spielen zurück.
Als die Kutsche in der Ferne verschwunden war, biss Elf sich auf die Lippen, und es tat ihr schon leid, sich bereits hier verabschiedet zu haben und nicht erst auf dem Schiff. Aber sie hasste lange Abschiedsszenen, und schlussendlich hätte es ihr dann genauso wehgetan wie jetzt.
Sie hatte gedacht, das Schlimmste überstanden zu haben, als Cyn mehr oder weniger davongelaufen war, um zum Militär zu gehen. Für eine Weile hatte sie ihn sogar gehasst, weil er sie allein gelassen hatte, obwohl sie wusste, dass er sich nie in ein Leben fügen könnte, wie Rothgar es für ihn vorgesehen hatte. Juristerei? Um Himmels willen! Das war mal wieder eine der wenig weitsichtigen Ideen ihres ältesten Bruders. Cyn brauchte Taten und Herausforderungen. In den sieben Jahren war er viermal nach Hause gekommen, und sie hatte wirklich geglaubt, erwachsen und selbstständig genug geworden zu sein, um ihn nicht mehr zu vermissen. Aber als er im letzten Jahr todkrank heimgekehrt war, hatte sie zum ersten Mal der Möglichkeit ins Gesicht sehen müssen, ihn für immer zu verlieren. Es hatte Monate gedauert, bis er sich erholte. Dann hatten seine Hochzeit und die Vorbereitungen auf seinen neuen Posten als Berater des Gouverneurs von Nova Scotia einige weitere Monate beansprucht. Er war ihr wieder sehr ans Herz gewachsen. Jetzt war es ihr, als verlöre sie einen Teil von sich selbst, und der Verlust war aufgrund seiner Ehe noch endgültiger. Sie liebte Chastity wirklich von ganzem Herzen und neidete keinem von beiden ihr Glück, und doch machte es sie traurig, dass es im Leben ihres Zwillingsbruders jetzt jemanden gab, der ihm vielleicht ebenso nahestand, wie sie es getan hatte. Sie merkte, dass sie herumstand und ins Leere starrte, während die beiden Lakaien wie Statuen warteten, um das Tor zu schließen.
Mit einem Seufzer dreht sie sich um und ging zurück ins Haus.
Sie gab sich den Gedanken hin, die schon seit einiger Zeit in ihrem Kopf herumgeisterten.
Sie beneidete ihren Zwillingsbruder.
Das Leben, das er führte, machte ihr das ihre schmerzlich bewusst.
In gewisser Weise war sie sogar froh, dass Cyn nun so weit fortging.
Als die Diener das Tor hinter ihr geschlossen und Sonnenschein und Vogelgezwitscher ausgesperrt hatten, kam ihr zu Bewusstsein, dass ihr geliebter Zwillingsbruder ihr im vergangenen Jahr äußerst unbequem gewesen war. Während sie seinen Abenteuern lauschte und sich an seinen Geschichten erfreute, war ihr Stück für Stück klar geworden, dass sie selbst in den vergangenen sieben Jahren gar nichts erlebt hatte. Oh ja, sie hatte eine Menge Bälle, Abendgesellschaften und Konzerte besucht – und viele davon sogar selbst arrangiert. Sie war zwischen London und Rothgar Abbey in Berkshire hin- und hergereist und – welch ein waghalsiges Abenteuer! – sogar bis nach Bath und Versailles. Manche würden glauben, sie hätte ein erfülltes Leben, denn sie führte das Haus ihres Bruders und war von vielen guten Freunden umgeben. Aber wenn sie den Berichten von seinen Reisen in fremde Länder, von gewonnenen und verlorenen Schlachten, von Schiffbruch und Schlangenbiss zuhörte, kam sie zu dem Schluss, dass sie selbst nicht das kleinste Abenteuer erlebt hatte.
Plötzlich merkte sie, dass sie schon wieder dastand und ins Nichts starrte, diesmal in der holzgetäfelten Halle. Sie raffte ihre zarten Röcke und stieg die geschwungene Treppe hinauf, um sich in ihre Privatgemächer zurückzuziehen. Das hielt ihre Gedanken jedoch nicht davon ab, weiter aus den dunklen Ecken ihrer Seele hervorzukommen und eine klare, furchterregende Gestalt anzunehmen.
Cyn war frisch verheiratet und auf dem Weg zu neuen Abenteuern. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren befand er sich am Beginn eines vielversprechenden, erfolgreichen Lebens. Sie dagegen – im gleichen Alter – wurde schon als langweilige alte Jungfer angesehen, der es bestimmt sein würde, das Heim ihres Bruders zu versorgen, die Kinder ihrer Geschwister zu lieben, doch selbst niemals eigenes Zuhause und eigene Kinder zu haben.
Und sie war noch Jungfrau.
Ihr Schritt beschleunigte sich, und sie stürzte in ihr hübsches Boudoir, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, als ob sie verfolgt würde.
Warum war ihre Jungfräulichkeit zum zentralen Punkt ihrer Unzufriedenheit geworden? Welch ein Unsinn! Schließlich hatte Cyn in dieser Hinsicht keine Geheimnisse vor ihr gehabt, und sie hatte seit Jahren gewusst, dass hier ein Unterschied zwischen ihnen bestand. Er hatte mit siebzehn seine erste Frau gehabt – Cassie Wickworth von der Klostermolkerei. Später hatte er einige ausgewählte Bordelle besucht und sogar eine kurze, aufregende Affäre mit einer älteren, verheirateten Dame gehabt, deren Namen er Elf allerdings nicht verraten hatte. In der Armee hatte er sicher auch nicht wie ein Mönch gelebt.
Solche Tatsachen hatten ihr zuvor nie etwas ausgemacht. Das war bei Männern eben anders, und sie hatte sich darauf eingestellt, bis zur Ehe zu warten, um in die Erotik eingeweiht zu werden.
Als sie einsah, dass sie ihre Tür nicht länger bewachen musste, weil der Feind längst drinnen war, ließ sie sich in einen cremefarbenen Brokatsessel fallen. Es war wohl Cyns Hochzeit, die ihrer eigenen Ehelosigkeit so messerscharfe Kanten zugefügt hatte.
Nie zuvor hatte sie mit ansehen müssen, wie er Nacht für Nacht zu einer Frau ging, während sie sich allein in ihr Zimmer zurückzog. Es hatte sie nicht getröstet, dass sie ein bisschen von den Abenteuern erfahren hatte, die er und Chastity vor ihrer Ehe miteinander erlebt hatten. Das und ihre offen zur Schau getragene Liebe und die Zärtlichkeit, mit der sie einander berührten oder auch nur ansahen, hatte die Tatsache unterstrichen, dass Elf ein sehr wichtiger Teil des Lebens fehlte.
Und dass dies wahrscheinlich immer so bleiben würde. Schließlich war es gar nicht so einfach, seine Jungfräulichkeit außerhalb einer Ehe zu verlieren, besonders wenn man vier Brüder hatte, die jeden Mann töten würden, der sie kompromittierte.
Sie erhob sich, um sich in dem hohen Spiegel zu betrachten. Mit ihrer schicklichen Frisur, gekrönt von einem weißen Spitzenhäubchen, sah sie aus wie der Inbegriff einer alten Jungfer. Und in ihrem weißen Kleid mit den kleinen Vergissmeinnicht wie der Inbegriff einer Jungfrau. Einer jugendlichen Jungfer.
Es schien absurd, obwohl sie keine Vorstellung davon hatte, wie sich eine alte Jungfer von fünfundzwanzig Jahren kleiden sollte. Da sich alle darin einig waren, dass sie in diesen Dingen keinen Geschmack hatte, überließ sie das ihrer Zofe. Sie kehrte ihrem Spiegelbild den Rücken, um im Zimmer auf und ab zu gehen, und dachte an die einfachste Lösung all ihrer Probleme. Heiraten.
Das war Cyns Rezept, aber er hatte ja auch im Gegensatz zu ihr eine verwandte Seele gefunden. Sie genoss die Gesellschaft von Männern, und es mangelte ihr auch nicht an Verehrern. Aber sie war noch nie einem Mann begegnet, der sie verzaubert hatte; niemand, der sie ihre kühle Selbstkontrolle verlieren und etwas Verrücktes tun ließ. Etwas Verruchtes … War es lächerlich, das zu erwarten?
Cyn war es so ergangen. Sein Wille, alles für Chastity zu riskieren, und ihr gegenseitiger Verzicht aufeinander vor der Ehe standen als Beweis für die Macht der Liebe. Ein anderer ihrer Brüder, Bryght, war so sehr von Portia St. Claire verzaubert worden, dass sein brillanter, logischer Verstand sich nichts anderem mehr widmen konnte als dem Bestreben, sie für sich zu gewinnen.
Ihre Freundin Amanda war vernarrt in ihren Mann, und ihr war ganz elend, wenn er für ein paar Tage in Regierungsangelegenheiten verreisen musste.
Elf hatte nie etwas erlebt, das dieser Art von Verrücktheit auch nur im Entferntesten ähnelte. Sie war sich sicher, wenn es ihr bestimmt gewesen wäre, hätte es sich bereits ereignet. Vielleicht führte sie ein zu braves Leben, um sich Cupidos Pfeil auszusetzen …?
Sie trat wieder vor den Spiegel, riss sich ihr schickliches Häubchen vom Kopf und schleuderte es in die Ecke. Dabei zog sie ein paar Nadeln aus ihrer Frisur, sodass ihre sandfarbenen Locken über ihre Schultern fielen.
Doch dann seufzte sie. Sie war nicht der heimliche Schwärm der Männer. Wie unfair, dass Cyn hübscher war als sie! Er hatte die bemerkenswerten grün-goldenen Augen ihrer Mutter geerbt, ihre dichten Wimpern und ihr rotgoldenes Haar. Elfs Augen waren eine langweiligere Variante dieses Farbtons, und ihre Wimpern hatten das gleiche Hellbraun wie ihr Haar. Sie besaßen beide das energische Kinn ihres Vaters, doch zu einem Offizier passte es besser als zu einer Lady. Ungeduldig schüttelte sie diese unnützen Gedanken ab. Kinn und Augen ließen sich nicht ändern, und sie dachte gar nicht daran, ihr Haar zu bleichen. Vielleicht ein bisschen Farbe ins Gesicht …?
„Ah, Mylady! Vous étes prête?“
Elf drehte sich zu ihrer Zofe um. Natürlich, sie wollte ja ein paar Tage bei Amanda verbringen. Ihre Sänfte wartete sicher schon.
„Bien sûr, Chantal.“
Wie immer, wenn sie allein miteinander waren, sprachen die Herrin und ihre Zofe Französisch. Chantal war Französin, und Elfs Mutter, ebenfalls eine Französin, hatte Wert darauf gelegt, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen. Elf fuhr auf Französisch fort. „Sind meine Sachen schon vorausgeschickt worden?“
„Natürlich, Mylady. Und Eure Sänfte wartet. Aber was ist mit Eurer Haube passiert, Mylady?“
Elf spürte, wie sie errötete. „Oh, sie sah ein bisschen zerknittert aus.“
Chantal gab einen missbilligenden Laut von sich und steuerte Elf zu ihrer Frisierkommode, damit Haare und Spitzenstoff wieder in perfekte Ordnung gebracht werden konnten. Elf schob ihre düsteren Gedanken beiseite. Sie waren nur eine vorüberziehende dunkle Wolke, die die Verabschiedung mit sich gebracht hatte. Ein paar Tage mit Amanda würden ihre Trübsal schon vertreiben.
Am nächsten Morgen betrat Elf Amandas Boudoir, wo sie ihre langjährige Freundin an einem kleinen Frühstückstisch sitzend fand. Sie blickte jedoch mürrisch aus dem Fenster. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
Amanda zuckte zusammen. „Oh Elf! Was für ein Segen, dass du hier bist, sonst wäre ich wirklich ganz und gar verlassen!“ Amanda Lessington war eine liebenswürdige Brünette, etwa so groß wie Elf, aber etwas rundlicher. Sie war mit dramatischen dunklen Augen und vollen Lippen gesegnet, um die Elf sie immer beneidet hatte.
Elf setzte sich ihrer Freundin gegenüber. „Was ist passiert?“
„Stephen ist fort. Etwas schrecklich Wichtiges ist in Bristol passiert. In Bristol, ich bitte dich!“ Mit einer Handbewegung tat Amanda einen von Englands wichtigsten Seehäfen ab. Elf wusste, dass Amandas Problem mit Bristol einfach war, dass sie die häufigen Reisen ihres Mannes dorthin hasste. „Es wird sich zweifellos nur um ein paar Tage handeln.“
„Eine Woche. Eine ganze Woche. Und du weißt nicht, was das für Folgen hat! Der skrupellose Mann hat uns ohne zuverlässige Eskorte zurückgelassen. Außer“, fügte sie mit einem strengen Blick hinzu, „man könnte deine Brüder in die Pflicht nehmen. Es geschähe Stephen recht, wenn ich den Abend in Rothgars Armen verbringen würde!“
Elf unterdrückte ein Grinsen. „Ist das eine heimliche Fantasie von dir? Ich wünschte, ich könnte sie dir erfüllen, Liebste, aber er ist mit Cyn nach Portsmouth gereist.“
„Bryght?“, fragte Amanda hoffnungsvoll. Elf schüttelte den Kopf. „Er ist unten in Candleford und ziemlich nervös, wo es doch bei Portia bald soweit sein wird.“
„Brand?“
„In einer Familienangelegenheit nach Norden gereist. Das ist mit der Grund, warum ich hier bin. Sie wollten mich nicht gern allein zurücklassen.“
„Ach“, sagte Amanda mit einem gespielten Seufzer. „Dann sind wir also beide grausam verlassen worden.“ Elf nahm sich eine Scheibe Schinken und eine Brioche. „Nicht ganz …“
Ihre Unzufriedenheit hatte sich nicht verflüchtigt. Sie hatte sie die halbe Nacht vom Schlafen abgehalten, und diese neue Situation schien sie zu nähren wie trockenes Reisig ein Feuer. Als sie sich etwas heiße Schokolade aus der Porzellankanne eingoss, kamen ihr aufregende, erschreckende Gedanken. „Nicht verlassen, Amanda“, sagte sie schließlich. „Wir sind ohne Beschützer.“
„Ist das nicht dasselbe?“
„Nicht für mich.“ Elf schnitt sich ein Stück Schinken ab und genoss den würzigen Geschmack und die pikanten Gedanken, die in ihrem Kopf herumtanzten, gleichermaßen. „Ich hatte immer Angst, einen meiner feuerspeienden Beschützer in ein Duell zu verwickeln, also musste ich mich stets äußerst schicklich benehmen. Aber jetzt, wo keiner von ihnen in der Nähe ist, habe ich vielleicht endlich einmal die Gelegenheit zu einem Abenteuer.“
„Einem Abenteuer?“, fragte Amanda verwirrt. „Was für ein Abenteuer?“
„Oh, irgendwas Verruchtes natürlich.“ Elf lächelte über den Gesichtsausdruck ihrer Freundin. „Nicht wirklich, aber lass uns nach Vauxhall fahren.“
„Nach Vauxhall? Das ist wohl kaum ein verruchtes Abenteuer. Wir waren beide schon ein dutzendmal dort.“
„Ohne Begleitschutz. Heute Abend. Zur Mittsommernachtsmaskerade.“
Amanda schnappte nach Luft. „Das ist nicht dein Ernst!“
„Viele Angehörige der guten Gesellschaft besuchen solche Veranstaltungen.“
„Viele Männer, meinst du.“
Im vollen Bewusstsein, sich einer wilden Laune hinzugeben, fragte Elf: „Und warum sollen sie allein den ganzen Spaß haben?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob das so spaßig wäre.“ Aus einer Laune geboren, hatte sich die Idee bereits in ihr verfestigt. Elf spürte, dass sie den Verstand verlieren würde, wenn sie nicht etwas unternähme, etwas anderes. Sie beugte sich zu ihrer Freundin vor. „Komm schon, Amanda. Ich verspreche, keine Dummheiten zu machen. Wir werden Halbmasken tragen. Niemand wird uns erkennen.“ Sie ergriff Amandas Hand. „Ich will nur einmal sehen, wie es ist, eine Nacht lang jemand anderer zu sein.“
„Wer?“, jammerte Amanda.
„Ich weiß nicht. Aber auf alle Fälle nicht Lady Elfled Malloren, die Schwester des mächtigen Marquis von Rothgar –Berühren verboten! Sondern einfach eine ganz normale Frau …“ Nach kurzem Zögern drückte Amanda ihre Hand. „Elf, ich habe dich, seit wir Kinder waren, nicht mehr so erlebt. Ich dachte immer, Cyn wäre der Rädelsführer bei allen unseren Streichen gewesen.“
„Vielleicht sind Cyn und ich uns sehr ähnlich.“
„Vielleicht seid ihr das wirklich.“
„Amanda, ich muss das tun.“
„Ja, das sehe ich …“ Aber sie runzelte besorgt die Stirn. „Irgendwie bin ich aber für dich verantwortlich.“
„Ich bin sechs Monate älter als du!“
„Aber ich bin eine verheiratete Frau.“ Mit ernstem Blick sah sie ihre Freundin an. „Versprichst du mir, dass wir zusammenbleiben?“
„Natürlich. Wo ist deine Abenteuerlust geblieben? Früher als Kind warst du nicht so ängstlich.“
„Weil wir damals noch Kinder waren. Ich glaube nicht, dass das ein besonderer Spaß wird. Ich denke, es wird bloß ein lärmendes Gedränge sein.“ Sie sah Elf einen Moment lang forschend an und lächelte dann. „Aber wenn dich nach einem Abenteuer verlangt, so sollst du es bekommen.“
Zehn Stunden später raffte Elf ihre seidenen Röcke, um aus dem Boot auf die Stufen, die nach Vauxhall hinaufführten, zu treten. Die Aufregung kochte in ihr, wie sie es nicht mehr erlebt hatte, seit Cyn und sie ungestüme Kinder gewesen waren.
Sie und Amanda waren beide als Dominos verkleidet: Reifröcke unter weiten Seidenumhängen, weißgepudertes Haar unter tiefen Kapuzen versteckt. Verzierte weiße Ledermasken bedeckten ihre Gesichter vom Haaransatz bis zu den Lippen. Selbst wenn sie das Pech haben sollten, einem nahen Verwandten zu begegnen, würde man sie nicht erkennen.
Amandas Umhang war silberblau, Elfs kräftig scharlachrot. Sie hatten für heute Nacht getauscht.
Elf glaubte, dies wäre ihre einzige Chance für ein wildes Abenteuer, und sie war entschlossen, das Beste daraus zu machen. Chantal – in dieser Hinsicht tyrannisch – beharrte darauf, dass kräftige Rottöne unmöglich zu heller Haut und rötlichem Haar passten; und wenn Elf sich etwas Rotes kaufte, so verschwand es immer irgendwo.
Heute Nacht jedoch, mit gepudertem Haar und anonym, hatte Elf Amanda überredet, mit ihr zu tauschen. Dann hatte sie darauf bestanden, dass Chantal ein bestimmtes rotgestreiftes Kleid mit rotem Unterrock heraussuchte. Natürlich hatte Chantal, das Miststück, protestiert, das Kleid sei voller Flecken.
„Und wie kann es schmutzig geworden sein, wenn ich es nie trage?“, hatte Elf gefragt.
Auch wenn Chantal einen langweiligen Geschmack hatte, so war sie die Ehrlichkeit in Person. Sie hatte schließlich das Kleid und den Unterrock in einer Schachtel auf dem Dachboden von Malloren House gefunden. Auf Befehl hatte sie sogar ein Paar rot-weiß-gestreifte Strümpfe und ein bestimmtes schwarz-rotes Satinmieder mit Goldspitze dort ausgegraben. Aber es standen Tränen in ihren Augen, als sie es hervorholte: „Nicht mit dem roten Unterrock, Mylady! Bitte!“ Elf war resolut gewesen, obwohl sogar die großzügige Amanda bei dieser Kombination geblinzelt und gemeint hatte, das Mieder ginge vielleicht ein bisschen zu weit. Elf hatte es trotzdem getragen. Sie würde vielleicht nie wieder die Gelegenheit haben, anzuziehen, was sie wollte. Sie würde vielleicht nie wieder Gelegenheit zu einem Abenteuer haben. Sie hatte vor, heute Nacht alles bis zum allerletzten Tropfen auszukosten.
Heute Nacht war sie nicht Elfled Malloren, die wohlerzogene Lady, sondern ein ganz neues Geschöpf. Lisette hatte sie die scharlachrote Dame im Spiegel getauft. Lisette Belhardi, was sich ungefähr mit ‚kühn und hübsch‘ übersetzen ließ. Mademoiselle Lisette war auf Besuch aus Paris und weitaus wagemutiger, als es Elfled Malloren jemals hätte sein können.
Elf fühlte sich jetzt großartig, wie eine neugeborene Person in einem Wunderland. Sogar der Kai von Vauxhall sah anders aus, besonders festlich geschmückt für die Mittsommernacht. Laternen warfen glitzernde Regenbögen aus der Dunkelheit auf das sich kräuselnde Wasser der Themse. Neben dem Geplauder ringsum und den ungeduldigen Rufen der Bootsmänner konnten sie schon die Musik aus dem Wäldchen hören. „Willkommen in Vauxhall, meine Damen!“, rief ihnen ein grinsender junger Mann zu, der ihnen die Stufen hinaufhalf und dafür von jeder einen Penny bekam. Mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: „Ich bin sicher, zwei so hübsche Dinger werden bald galante Begleiter finden, die sie in einer Nacht wie dieser beschützen.“
Amanda zog ihre blaue Kapuze noch tiefer ins Gesicht. „Elf“, flüsterte sie, „bist du sicher, dass wir das Richtige tun?“
„Ne craignez rien, Aimée“, sagte Elf, um ihre Freundin zu beruhigen und sie daran zu erinnern, dass sie Französisch sprechen sollte, um sich noch besser zu tarnen. Sie schob Amanda vorwärts und fuhr auf Französisch fort: „Wir können sowieso nicht mehr zurück. Da sind noch so viele Boote, die Passagiere absetzen wollen, dass da in nächster Zeit kaum eine Chance auf ein Boot in die Gegenrichtung besteht. Komm schon.“
Elf führte Amanda in den Strom der Besucher, die auf die dunkle Vauxhall Lane zusteuerten. Sie hatte die Gärten schon viele Male besucht und wusste, dass der Weg nur scheinbar gefährlich war, denn er war viel zu kurz und bevölkert für irgendwelche Überraschungen. Sein eigentlicher Zweck bestand darin, das glitzernde Strahlen der illuminierten Gärten besser zur Geltung zu bringen.
Dennoch schlug ihr Herz etwas schneller, als sie in den Schatten traten. Denn dies war schon deshalb ein Abenteuer, weil sie ohne Begleitung unterwegs waren. Amanda hatte darauf bestanden, ein Messer in ihre Tasche zu packen, und Elf genötigt, einen Dolch im Mieder zu tragen. Aber sie hatten keinen Mann bei sich, um andere Männer abzuschrecken. Diese neue Situation machte Elf überhaupt nicht nervös. Sie genoss sie sogar wie einen erlesenen Wein. Im Geheimen hoffte sie sogar heute Nacht, wo ihre Brüder nicht zugegen waren, um diese Art von Männern abzuschrecken, einen aufregenden Schurken kennenzulernen.
Es musste ja schließlich irgendwo auf der Welt aufregende Männer geben.
Nach wenigen Augenblicken traten sie und Amanda aus der Dunkelheit in das Licht Tausender Laternen. Farbige Lampions schmückten hohe Bäume, umkränzten steinerne Bögen und umschlangen griechische Tempel und antike Grotten. In der Nähe hatte man eine hübsche Lichtung angelegt, auf der kostümierte Schauspieler als Charaktere aus Ein Sommernachtstraum posierten, darunter auch einer mit einem Eselskopf.
„Ich weiß einen Fleck, wo wilder Thymian wächst …“, zitierte Amanda, die sich schließlich doch von der Aufregung hatte anstecken lassen.
Sie konnte sich nicht länger dagegen wehren, von all dem Geplauder und Gelächter der maskierten und kostümierten Spaßmacher mitgerissen zu werden. „Oh, du hattest recht, Elf. Es ist wirklich lustig hier!“
„Lisette“, erinnerte Elf sie.
„Na gut, Lisette.“
„Und du bist Aimée.“
„Ich weiß, ich weiß. Obwohl ich denke, dass es etwas übertrieben ist, erfundene Namen zu verwenden“, verteidigte Amanda sich, war jedoch schon weit mehr an allem interessiert, was um sie herum vorging. „Ich wünschte, ich hätte mich statt der Maske für ein Kostüm entschieden. Schau dir diese Titania an!“
Die besagte Dame hatte zwar Probleme mit ihren großen, herabhängenden Flügeln, aber ihr Kostüm war außerordentlich hübsch. Elf bewunderte ihre Fantasie, doch sie bedauerte ihre eigene Wahl nicht. Sie hatte nicht jede Vorsicht fallengelassen, und selbst das fantasievollste Kostüm gab weniger Tarnung als eine venezianische Maske. Schließlich sagte man ja, diese Masken seien so gestaltet, dass ein Mann mit seiner Frau tanzen konnte, ohne es zu bemerken. Und umgekehrt. Es gab hier heute Nacht viele Männer mit solchen Masken. Während sie sich in der lärmenden Menge treiben ließen, überlegte Elf, wie viele Angehörige der feineren Gesellschaft hier waren, wie viele Gentlemen Gefahr liefen, ihre eigenen Ehefrauen zu verführen oder umgekehrt. Fasziniert fragte sie sich, an welchem Punkt solche Liebenden einander erkennen würden und ob sie erfreut oder enttäuscht wären. Konnte ein verlockender Partner abstoßend sein, wenn er die Maske abnahm?
Was hatte dann die Verlockung ausgemacht? Vielleicht einfach nur das Abenteuer, die Verruchtheit. Etwas Verruchtes, hatte sie zu Amanda gesagt. Natürlich hatte sie nicht vor, etwas wirklich Verruchtes zu tun. Sie wollte nur ein wenig Abwechslung.
Sie bemerkte, dass Amanda an ihrem Umhang zupfte. „Elf … Lisette. Zum Wäldchen geht es da entlang.“ Im Wäldchen, dem Herzen von Vauxhall, spielte ein Orchester, und man konnte Erfrischungen kaufen. Es gab dort kleine Hütten und Pavillons, in denen die Gäste sitzen, essen und einander beobachten konnten. Rothgar besaß einen Privatpavillon, und bei ihren früheren Besuchen hatte Elf die meiste Zeit dort verbracht. Sie könnte ihn auch heute Nacht benutzen, wenn sie wollte.
Oh nein. Heute Nacht würde alles anders sein. Elf legte einen Arm um die Taille ihrer Freundin und lenkte sie entschlossen den breiten Südweg hinunter, weg von der Sicherheit. „Wie sollen wir an so einem Ort ein Abenteuer erleben?“ Nur um die Freundin zu ärgern, schlug sie vor: „Vielleicht sollten wir den Druiden-Weg nehmen?“
Abseits von den gut beleuchteten Hauptwegen gab es verschlungene, finstere Pfade, wo man bekanntermaßen auf Verruchtheiten aller Art stieß.
Als Amanda aufschrie, lachte Elf. „Ganz ruhig, meine Liebe, ich denke nicht, dass ich so unvernünftig sein möchte.“ „Elf …“
„Lisette“, verbesserte Elf sie. „Hör auf, so ein Hasenfuß zu sein, Aimée! Du musst doch zugeben, dass die Vorbereitung auf diese Eskapade und unser heimliches Entwischen das Unterhaltsamste waren, was wir in den letzten Jahren erlebt haben.“
„In der Tat, das hat Spaß gemacht“, gab Amanda zu und zog ihre Kapuze tiefer ins Gesicht. „Aber der Druiden-Weg …?“
„Ich habe nur Spaß gemacht, Liebes.“ Elf schob die Kapuze ihrer Freundin zurück. „So wirst du noch gegen einen Baum laufen, Amanda. Nicht einmal deine Mutter würde dich so erkennen! Du bist doch die verheiratete Dame hier, also solltest du ein wenig mutiger sein.“
„Du bist die Malloren. Ich dachte immer, du wärst anders als deine Brüder, aber jetzt frage ich mich …“ Elf zog ihre Freundin etwas zur Seite, unter die tiefhängenden Äste einer Buche. „Willst du wirklich nach Hause gehen? Wir gehen, wenn du das möchtest.“
Nach einem kurzen Zögern schüttelte Amanda den Kopf. „Natürlich nicht. Ich sehne mich manchmal auch nach einem Abenteuer.“ Ihre vollen Lippen verzogen sich schmollend. „Und ich möchte es Stephen heimzahlen, dass er mich so vernachlässigt.“
„Du hättest keinen Politiker heiraten dürfen, meine Liebe. Aber wenigstens ist er dir absolut ergeben.“
„Ich weiß, aber … Er fehlt mir nun mal. Selbst wenn er zu Hause ist, ist er immer so beschäftigt …“ Dann schüttelte sie den Kopf und schob die Kapuze ganz von ihrem gepuderten Haar. „Auf ins Abenteuer, also! Aber lass uns ein bisschen vorsichtig sein, Lisette – siehst du, ich hab’s mir gemerkt! –, ich habe eine Menge Männer ein Auge auf uns werfen sehen.“
„Tatsächlich ? Das hoffe ich aber auch.“ Elf lenkte ihre Schritte zurück in die Menge. „Ich hatte gehofft, noch nicht zu alt dafür zu sein. Schau mal da drüben! Ist das nicht Lord Bucklethorpe? Er muss schon an die sechzig sein, aber er scheint sich immer noch für einen ziemlich tollen Kerl zu halten.“ Der ältliche Earl war als Charles II. verkleidet. „Glaubst du, er hat die Neil Gwyns zusammen mit dem Kostüm ausgeliehen?“, fragte Elf und starrte auf die üppigen Dekolletés der beiden Orangenverkäuferinnen, die an den Armen des Earls hingen.
„Ich denke, er wird sie für heute Nacht auf die eine oder andere Weise entlohnen“, murmelte Amanda. „Lass uns bitte vorsichtig sein.“
Elf schenkte ihrer Freundin ein beruhigendes Lächeln. „Ich verspreche, mich nicht für Geld an irgendeines Mannes Arm zu hängen, meine Liebe. Vielmehr schwöre ich, mich hier an überhaupt keinen Mann zu hängen, der nicht der Held meiner Träume ist.“
Amanda schaute mit einem schiefen Lächeln auf die lärmende Menge. „Dann sind wir hier sicher. Ich bitte dich, liebe Lisette, welche Art Held jagt durch deine Träume?“ Während sie dahinspazierten, versuchte Elf diese Frage zu beantworten. „Ein Ritter in strahlender Rüstung. Oder vielleicht ein echter Kavalier mit einem Federhut.“ Sie besah sich einen beleuchteten chinesischen Drachen. „Vielleicht einen Drachentöter …“
„Oh Gott!“ Amanda hob ihr verziertes Lorgnon an die Augen und ließ den Blick über die Menge schweifen. „So einen Mann wirst du heute Nacht hier sicher nicht finden.“
„Damit habe ich auch niemals gerechnet“, log Elf, die wusste, dass Amanda recht hatte. Jeder, der den Eintritt bezahlte, konnte hierher nach Vauxhall kommen, und diese öffentliche Maskerade lockte ein besonders wildes Volk an. Sie sah junge Burschen vom Land, Abenteurer aus der Stadt und Soldaten auf Urlaub.
Kein Drachentöter weit und breit.
„Ich nehme nicht an, dass irgendeine Dame jemals einem Drachentöter begegnet“, gab Elf zu bedenken, „außer sie trifft vorher einen Drachen.“
„Und wer würde das schon wollen?“, fragte Amanda. Eine Dame, die einen Mann wie ihre Brüder kennenlernen wollte, dachte Elf, behielt diesen Gedanken jedoch für sich. Chastity hatte bei dem verzweifelten Versuch, ihre Schwester Verity in Sicherheit zu bringen, Wegelagerer gespielt und Cyns Kutsche angehalten.
Dann hatten sich die drei querfeldein durchgeschlagen, um den Feinden und der Armee zu entgehen.
Portia, Bryghts Braut, sollte in einem Bordell versteigert werden, um die Spielschulden ihres Bruders zu begleichen, und war nur dank Bryghts Schlagfertigkeit entkommen. Dann war sie von ihren Verwandten gefangengehalten worden und durch ein Fenster geflohen.
Elf wusste, dass die beiden damals in echter Gefahr gewesen waren. Sie selbst wollte mit Sicherheit nicht von der Armee gejagt oder in einem Bordell verkauft werden … Aber sie wollte etwas, und sie wollte einen Drachentöter. Es gab keine Drachen in Vauxhall, außer den billigen chinesischen, und die Helden – diese Möchtegernhelden in Kostümen – waren genauso falsch.
Trotz ihrer Enttäuschung hatte Elf nicht die Absicht, ihr Abenteuer jetzt abzubrechen. Allein schon sich anonym in so einer Menge herumzutreiben war unterhaltsam, und es stellte keine echte Gefahr dar. Selbst diese vier Möchtegernschurken dort drüben, die noch nicht einmal trocken hinter den Ohren waren, aber ihr und Amanda zweideutige Angebote zuriefen, konnte man einfach ignorieren. Sie bemerkte eine Gruppe betrunkener Galane, die mit glitzernden Augen auf sie zusteuerten, und schickte ihnen instinktiv einen eiskalten Malloren-Blick entgegen. Trotz der Maske verfehlte er seine Wirkung nicht, sodass sie stehenblieben, nervös kicherten und sich dann auf der Suche nach willigeren Damen trollten.
Elf lachte in sich hinein. Wie sollte eine Dame ein Abenteuer erleben, die jeden Mann abschreckte, der Interesse an ihr bekundete?
Ein sehr großer, breitschultriger Soldat stellte sich ihr in den Weg: „Hallo, meine Hübsche, darf ich Euch zu einem Glas Wein einladen?“
Wegen der Gedanken, die sie gerade gehabt hatte, verkniff sie sich ihr böses Funkeln, senkte bewusst ihre Ansprüche und lächelte: „Ich bin nicht durstig, Sir, aber …“
Amanda schob sich zwischen sie und warf auf Französisch ein: „Komm, Cousine, wir werden noch zu spät zu unserer Verabredung kommen.“ Sie griff nach Elfs Arm und zog sie weiter. Elf ließ es geschehen, beschwerte sich aber: „Wie soll ich meinen Spaß haben, wenn du mich nicht einmal mit einem Herrn sprechen lässt?“
„Dieser Herr wollte mehr als sprechen, glaub mir!“
„Aimée, ich bin vielleicht unverheiratet, aber ich bin nicht dumm. Ich weiß, was er wollte, aber ich weiß auch, dass er mich zu nichts zwingen kann, solange ich auf den Hauptwegen bleibe. Ja, wirklich, es ist langweilig, auf den Hauptwegen zu bleiben …“
Amanda blieb stehen: „Elf … Lisette … Oh, wer auch immer! Ich habe nichts gegen diese kleine Maskerade, aber es gibt Grenzen. Wir gehen nicht auf die Seitenwege. Hast du die Geschichten darüber nicht gehört? Die schlimmsten Dinge, Raub, Vergewaltigung …“
„Übertreibungen, sicherlich“, widersprach Elf absichtlich bockig. „Schließlich ist man hier nirgends weit weg von den Leuten. Schreie würde man überall hören.“
„Aber würde sich auch jemand darum kümmern?“ Elf warf einen fragenden Blick auf ihre Freundin. Amanda war nicht dumm. Es war Elf nicht in den Sinn gekommen, dass die Leute vielleicht absichtlich Hilfeschreie überhören würden, aber in dieser zweifelhaften, halbseidenen Menge konnte sie sich das durchaus vorstellen.
„Also“, sagte Amanda bestimmt, „wir bleiben auf den Hauptwegen oder gehen nach Hause.“
Elf atmete hörbar aus. „Du bist keinen Deut besser als meine Brüder.“
„Und allem äußeren Anschein zum Trotz bist du immer noch der gleiche Wildfang, der Ärger machen will, wie in unserer Kindheit.“
„Aber natürlich“, sagte Elf, „ich bin nur als Dame verkleidet.“ Sie trat zur Seite, um einem betrunkenen, schwankenden Paar Platz zu machen. „Aber ich bin kein kindischer Wildfang mehr. Es wäre interessant, herauszufinden, was ich wirklich bin.“
„Madam …“
Elf taxierte einen jungen Mann, der versuchte, sich vorzustellen. Er hatte ein weiches Kinn und war wahrscheinlich ein Kaufmannsgehilfe. Sie schenkte ihm einen Malloren-Blick, und er verzog sich.
„Wie ich schon gesagt habe, Elf, du musst heiraten. An Angeboten wird es ja wohl nicht fehlen.“
„Du wiederholst dich. Und ich werde nur den perfekten Mann heiraten.“
Elf merkte, dass sie ins Englische gefallen waren, aber sie protestierte nicht. Amanda fühlte sich in der Fremdsprache sichtlich unwohl, und überhaupt schien ihr das ganze Unternehmen plötzlich wie eine Dummheit.
„Ach Gott!“, rief Amanda aus. „Wenn du auf einen Mann wie deine Brüder wartest, kannst du warten, bis du schwarz wirst. Und glaub mir, ein ganz normaler Mann ist viel weniger anstrengend.“
Elf zwang sie zum Stehenbleiben. „Willst du damit sagen, dass mit meinen Brüdern etwas nicht stimmt?“ Amanda hob die Hände. „Friede! Natürlich nicht. Ich habe auch schon von ihnen geträumt. Aber sie sind zähe Brocken, Elf. Realistisch gesehen hat ein gemütlicher Mann am Kamin auch seine Vorzüge. Natürlich“, fügte sie hinzu, während sie weitergingen, „habe ich mich auch schon gefragt, wie es wäre, einen Malloren in meinem Bett zu haben …“ Erschreckt schlug sie sich die Hand vor den Mund. Elf kicherte. „Keine Sorge, ich werd’s Stephen nicht weitersagen.“
Sie sahen eine Bude, an der Limonade verkauft wurde, und steuerten darauf zu. Als jede von ihnen ein Glas in der Hand hielt, fragte sie: „Wen würdest du wählen, Amanda? Einen aufregenden Mann im Bett, mit dem es ansonsten nicht so einfach ist? Oder einen ruhigen, bequemen, der auch im Bett nur ruhig und bequem ist?“
„Wenn du damit sagen willst, dass Stephen …“
„Ich will damit gar nichts sagen. Also, wie ist er?“, fragte sie. Amanda funkelte sie an und kniff die Lippen zusammen. „Er ist ganz wundervoll. Das Problem mit diesem Mann ist nur, dass er zu selten zu Hause und oft zu müde ist nach den langen Sitzungen im Whitehall. In solchen Momenten wandern meine Gedanken zu verbotenen Früchten wie zu Rothgar.“
Bei der sehnsüchtigen Erwähnung ihres ältesten Bruders hob Elf die Brauen.
„Er ist nicht besonders freundlich“, sinnierte Amanda, „aber er hat so etwas …“
„Wahrscheinlich die Tatsache, dass er nicht beabsichtigt zu heiraten“, sagte Elf nüchtern. „Der Eindruck, unerreichbar zu sein, ist wohl sehr anziehend.“
Amanda kicherte. „Wohl wahr! Aber jetzt, wo ich dir mein dunkelstes Geheimnis verraten habe, musst du mir deines auch anvertrauen.“
„Dunkelstes Geheimnis?“ Elf trank von ihrer Limonade, die zu dünn und viel zu süß war. Kannte sie selbst überhaupt ihr dunkelstes Geheimnis? Im Bewusstsein, dass Ärger in den tiefsten Winkeln ihrer Seele lauerte, hielt sie sie bewusst verschlossen.
„Ich habe dir von meiner Rastlosigkeit erzählt“, sagte sie. „Von meinen Drachentöter-Träumen.“
„Und was genau ist das?“
„Ein Drachentöter? Oh, so jemand wie der heilige Georg, würde ich annehmen … Nein, nein, er ist bestimmt kein Heiliger. Er ist ein dunkler, gefährlicher Mann. Ein Mann, der töten würde, um mich zu verteidigen, der aber für mich natürlich keine Gefahr darstellt. Außer für mein Herz …“ Amanda gab ein zustimmendes Murmeln von sich. „Wirklich, Amanda, für eine empfindliche Matrone kannst du ganz schön verrückt sein!“
„Als empfindliche Matrone kann ich es mir leisten, ein wenig verrückt zu sein. Nur die unverheirateten Damen müssen keusch sein. Aber ich denke, ich habe dein dunkelstes Geheimnis immer noch nicht erfahren. Gibt es da nicht einen bestimmten Mann, für den du deine verruchten Gedanken hegst?“
„Dutzende, angefangen bei dem Müllersburschen, als wir noch klein waren.“
„Oh ja! Was für Muskeln! Wir haben uns immer unten am Weiher versteckt und ihn angehimmelt …“ Elf hoffte, ihre Freundin damit abgelenkt zu haben, aber Amanda fragte: „Und heute?“
„Walgrave“, antwortete Elf, um es hinter sich zu haben. „Ich habe sonderbare erotische Phantasien über den Earl of Walgrave.“
„Lord Walgrave?“ Amanda blickte Elf leicht überrascht an. „Er ist in unserem Alter, wohlerzogen, akzeptabel und unverheiratet. Ich kann darin nichts Verruchtes sehen.“
„Er ist aber auch unerträglich und ein erklärter Feind meiner Familie!“ Elf stellte ihr Glas ab. „Komm. An einen Baum gelehnt hier herumzustehen ist absolute Zeitverschwendung.“ Sie zog Amanda zurück in den Strom der Feiernden. „Wenn wir in diese Richtung gehen, finden wir vielleicht wenigstens einen guten Platz, um das Feuerwerk zu sehen.“ Amanda eilte neben ihr her. „Aber ist der Earl nicht der Bruder von Chastity? Das macht ihn doch zu deinem Schwager.“
Elf hätte wissen können, dass die bloße Bewegung Amanda nicht vom Thema abbringen würde. „Das hat keine familiäre Zuneigung ausgelöst, kann ich dir versichern. Wir sind alle höflich zueinander, mehr oder weniger, Cyn und Chastity zuliebe.“
„Mein Gott! Das ist ja wie bei Romeo und Julia!“ Elf blieb abrupt stehen, sodass eine ihnen nachfolgende Gruppe in sie hineinrannte. Als alle sich wieder entwirrt hatten, sagte sie: „Romeo und Julia! Da täuschst du dich. Er verachtet mich. Er schätzt gefügige und liebenswürdige Frauen. Und ich verachte ihn. Er ist ein Lebemann, der es wagt, mir Schicklichkeit zu predigen.“
Amanda zog Elf hinüber zu einer Bank, wo sich ein Pärchen gerade erhob, um in einem der verruchten Seitenwege zu verschwinden, wie Elf bemerkte. Sie ließ sich von ihrer Freundin auf die Bank drücken, denn sie wusste, dass sie jetzt ausgefragt werden würde.
Sie wünschte, sie hätte ihre Zunge im Zaum gehalten. Sie hatte die Sache mit Walgrave eigentlich geheimhalten wollen, aber schließlich stimmte es ja. Sie verachtete ihn wirklich, auch wenn er eisblaue Augen und eine Aura hatte, die – wie sie fürchtete – rein sexueller Natur war. Er ließ ihre Nerven prickeln, wenn sie ihn unter dem Schutz ihrer Brüder provozierte.
Sie dachte viel zu viel an ihn, und manchmal träumte sie sogar von ihm. Warum, das wusste sie nicht. Er lächelte nie, außer zynisch, und schien von einer furchtbar schlechten Laune besessen zu sein. Sie war wütend.
„Predigt dir Schicklichkeit?“, wiederholte Amanda wie ein Spürhund, der die Fährte aufgenommen hatte. „Vielleicht hat er nur Probleme damit, sich in seiner neuen Rolle zurechtzufinden. Bisher war er ein sorgloser junger Mann – eine Art Lebemann, möchte ich wetten, aber keiner von der schlechten Sorte –, und dann ist er plötzlich Earl. Es kann nicht einfach sein, in die Fußstapfen eines Mannes zu treten, der der Unbestechliche genannt wurde.“
„Er gibt sich aber alle Mühe. Versucht, so unerträglich aufgeblasen zu sein wie sein Vater.“
Amanda warf ihr einen Blick zu. „Und das gelingt ihm nicht, nehme ich an. Ich glaube nicht, dass du dich Fantasien über seine Wichtigtuerei ergibst.“ Sie dachte einen Moment lang nach. „Starb nicht der alte Earl in Rothgar Abbey?“
„Ja. Ein Anfall.“
Das stimmte nicht, war aber die offizielle Version. Tatsächlich war der Earl in eine Art Wahn verfallen und hatte versucht, die Mutter des Königs zu töten. Jemand hatte ihn rechtzeitig erschossen. Wahrscheinlich Rothgar. Der neue Lord Walgrave schien offensichtlich Rothgar die Schuld am Tod seines Vaters zu geben und nach Mitteln und Wegen zu suchen, den Mallorens zu schaden.
Natürlich war alles vertuscht worden. Der Versuch, ein Mitglied der königlichen Familie zu töten, war schließlich Hochverrat und hätte Walgraves gesamte Familie ruiniert. Der Titel und Besitz des alten Earls wären konfisziert und seine zwei Söhne und zwei Töchter aus der guten Gesellschaft verstoßen worden.
Amanda klopfte mit ihrem Lorgnon an ihre Lippen. „Du musst eine Menge Gelegenheiten gehabt haben, dem neuen Earl zu begegnen. Die Hochzeit und andere Okkasionen.“
„Ein paar, aber das waren schon zu viele, kann ich dir versichern. Amanda, wenn du ans Verkuppeln denkst, schlag dir das aus dem Kopf. Es gibt wohl kaum zwei verschiedenere Menschen auf dieser Welt.“
Amanda wirkte nicht entmutigt. „Walgrave scheint seine Sache gut zu machen. Stephen sagt, er sei überrascht, wie viel Aufmerksamkeit der Earl den Staatsangelegenheiten widmet und wie umsichtig er sich im Parlament verhält.“ Elf täuschte ein Gähnen vor. „Freut mich für ihn, aber können wir jetzt vielleicht von etwas Interessanterem sprechen?“
„Elf! Du hast zugegeben, dass du von ihm träumst. Er ist ausgesprochen stattlich, fast so wie Bryght.“ Sie starrte in die Ferne und gab einen theatralischen Seufzer von sich. Elf witterte eine Chance, das Thema zu wechseln. „Zuerst Rothgar, jetzt Bryght. Als Nächstes erzählst du mir, dass du heiße Träume von Cyn hast!“
„Nein“, sagte Amanda lachend. „Aus irgendeinem Grund kommt er mir eher vor wie ein Bruder, nachdem wir so viele Sommer gemeinsam im Schlamm beim Stichlingefangen verbracht haben.“
Sie legte einen Arm um Elf. „Vielleicht liegt es auch daran, dass du für mich wie eine Schwester bist und er dein Zwillingsbruder ist.“
Elf erwiderte die Umarmung und hoffte, ihre unkluge Vertraulichkeit würde darüber in Vergessenheit geraten. Aber Amanda vergaß so etwas nicht. „Also“, sagte sie, „warum deine Fantasien nicht Wirklichkeit werden lassen? Wenn dein Bruder Walgraves Schwester heiraten kann, ohne dass der Himmel einstürzt, warum solltest dann nicht auch du ihn heiraten können.“
Elf befreite sich aus der Umarmung. „Du hast Grillen im Kopf. Ich sagte es dir doch schon, wir verabscheuen einander aus tiefster Seele, und er scheint wie besessen davon, Rothgar zu vernichten. In einer solchen Ehe gäbe es keine Gemütlichkeit am Kaminfeuer.“
Amanda grinste. „Aber denk doch ans Bett!“ Elf sprang auf. „Du bist eine verdorbene Frau! Aber ich kann es mir angesichts dieses Hasses auch im Bett nicht sehr angenehm vorstellen.“
Amanda seufzte, als sie sich ebenfalls erhob. „Du hast absolut recht. Trotzdem ist es eine Schande. Er ist genau der Richtige für dich.“
„Ein Verrückter?“ Elf brachte ihre Röcke in Ordnung. „Komm, lass uns zu den Booten zurückgehen. Wenn wir die ganze Nacht Backfischträume austauschen wollen, können wir das genauso gut in aller Gemütlichkeit zu Hause machen.“ Amanda widersprach nicht. „Hab’ ich dir jetzt den Abend verdorben?“
„Nein.“ Elf hängte sich bei ihrer Freundin ein. „Es war nur so eine verrückte Idee. Ich muss über eine bessere Möglichkeit nachdenken, mein Leben zu ändern.“
Auf demselben Weg zurückzugehen bedeutete, gegen den Strom zu schwimmen, da die meisten Leute in Richtung des Platzes strömten, wo bald das Feuerwerk stattfinden würde. Zuerst dachte Elf, das Drängeln der Menge würde sie zurückhalten, aber dann schlang sich ein Arm um ihre Taille und presste sie gegen eine feuchte, wollene Uniform. Sie sah auf und erkannte den reichdekorierten Hauptmann von vorhin. „Monsieur!“
„Immer noch allein, meine Hübsche?“
„Je ne comprends pas.“
Er wechselte in ein unbeholfenes Französisch. „Falls Ihr Eure Leute verloren habt, geleite ich Euch gerne zu ihnen zurück.“
„Ich fürchte, dass Ihr eher eine Entführung als ein Geleit im Sinne habt, Sir.“ Sie versuchte, sich aus seinem Arm zu winden, hatte jedoch gegen seine massige und kräftige Gestalt keine Chance.
Er lachte und zog sie an sich, wobei er ein bisschen fest drückte, sodass sie fürchtete, er würde ihr versehentlich ein paar Rippen brechen. Aber da blitzte ein Funken Gefahr in ihrer Fantasie auf, wie die ersten Lichtblitze des Feuerwerks. Sie lächelte ihn an.
„El… Lisette!“ zischte Amanda und zupfte an ihrem Umhang.
„Sch, Cousine. Siehst du nicht, dass der Gentleman und ich uns unterhalten?“
Der Hauptmann grinste und zeigte dabei große, aber gesunde Zähne zwischen seinen ziemlich dicken Lippen. „Welch eine Schande, dass ich ohne einen Freund hergekommen bin, Mademoiselle Lisette. Dann wäre Eure Begleiterin sicher nicht so streng, möchte ich wetten.“
Elf beschloss, ihre Rolle zu spielen, und setzte ein affektiertes Lächeln auf. „Da habt Ihr zweifellos recht, Hauptmann. Aber wie Ihr seht, bleibt sie mir auf den Fersen.“ Der Hauptmann drehte sich zu Amanda um und schlang seinen anderen Arm um sie. „Ich bin ein starker Mann“, erklärte er mit einem lauten, dröhnenden Lachen. „Ich werde mit euch beiden fertig, keine Angst!“
„Da bin ich mir ganz sicher, Sir“, säuselte Elf, der diese Schauspielerei anfing, Spaß zu machen. Sie strich über seine behaarte Hand. „Ich mag starke Männer.“ Amandas Augen blitzten dringende Botschaften hinter ihrer Maske hervor, aber Elf lächelte nur. Sie waren beide bewaffnet. Sie würden im Notfall auch mit so einem starken Mann fertig werden, und immerhin war das ein Abenteuer. Und sie wollte nicht ohne ein kleines Abenteuer nach Hause gehen.
Der Hauptmann lotste sie durch die Menge, bahnte ihnen einen Weg und schützte sie vor Zusammenstößen. Er hatte je einen Arm um die beiden gelegt, seine Aufmerksamkeit galt jedoch Elf. Sie empfand die Situation nicht als unangenehm, denn sie betrieben etwas Konversation über die Gärten, das Wetter und seine letzte Stationierung in Holland. Dann, ohne irgendeine Vorwarnung, zog er Elf zu sich heran und küsste sie. Obwohl sie zurückwich und ihren Kopf wegdrehte, fanden seine Lippen ihr Ziel. Heißer Zwiebelatem überfiel sie, und sie kämpfte wütend gegen seinen Griff an. Erschreckenderweise blieb das wirkungslos. Sie hatte sich nie zuvor in der Gewalt eines kräftigen Mannes befunden und kam zu dem Schluss, dass es ihr kein bisschen gefiel. Ihre Gegenwehr zwang ihn, Amanda loszulassen. Zu Elfs Schrecken sah sie, wie ihre Freundin den Dolch zog. Sie wehrte sich noch heftiger, um den Hauptmann vor dieser gefährlichen Attacke zu warnen, aber seine nassen Lippen versiegelten die ihren. Tatsächlich kämpfte er hart, um ihren Mund aufzuzwingen und seine Zunge hineinzustecken. Schauderhaft, aber sie sah ihre Freundin schon wegen Mordes im Kerker sitzen und den unvermeidlichen Skandal!
Brüllend sprang der Hauptmann zurück und gab Elfs Mund frei. Offensichtlich hatte Amanda zugestochen. „Aimée, nein!“, schrie Elf, als sie sah, wie ihre Freundin die Hand nochmals erhob.
Die Leute rundherum waren stehen geblieben und starrten den wütenden Hauptmann und die zwei Frauen an. Bevor sich jemand zum Eingreifen entschließen konnte, warf sich Elf wieder in seine Arme und schimpfte: „Aimée, lass das!“ Amanda steckte den Dolch wieder ein und sah erschöpft, aber auch ein bisschen erschrocken über ihre eigene Courage aus. „Das macht sie nur, weil sie eifersüchtig ist, Monsieur“, sagte Elf besänftigend und mit starkem englischen Akzent, während sie den Schnitt in seinem Ärmel berührte. „Seid Ihr sehr schlimm verletzt?“
Der Hauptmann reckte sich. „Nur ein Flohbiss. Aber ich könnte diese Dame vor Gericht bringen, weil sie meinen Mantel zerrissen hat!“
Er zog ein Taschentuch heraus, und sie half ihm, es um seinen Arm zu binden, um die Blutung zu stillen. Elf konnte nicht anders, als die Gleichgültigkeit zu bewundern, mit der er diese Wunde behandelte, die mindestens zwei bis drei Zentimeter tief sein musste.
„Seid gnädig, Capitaine. Sie ist so leicht erregbar, wisst Ihr.“ Er grinste und zog Amanda wieder an seine Seite. „Na, das klingt vielversprechend, meine hübsche Teufelin.“ Er wandte sich wieder zu Elf. „Was ist mit Euch, meine Kleine? Seid Ihr auch leicht zu erregen?“
Elf begriff, dass sie ihn bei Laune halten musste, bis die Leute um sie herum das Interesse verloren hatten und sie verschwinden konnten. Einen Seufzer unterdrückend schmiegte sie sich an ihn. „Ich weiß nicht, Monsieur. Ich bin in diesen Dingen nicht sehr erfahren.“
Ein heftiges Lachen schüttelte ihn. „Da bin ich genau der Richtige, um Eure Erfahrung zu bereichern. Oh ja, ich werde sie sehr bereichern. Das kann ich versprechen.“ Amanda stupste Elf an und flüsterte: „Nimm dich in acht!“ Elf ignorierte sie und lächelte zu dem Mann auf. „Es scheint, dass Ihr unser beider Erfahrung bereichern müsst, Capitaine.“ Seine großen, dunklen Augen glitzerten, und er leckte sich die feuchten Lippen. „Ich könnte es mit einem Dutzend aufnehmen und hätte noch nicht genug.“
„El… Lisette!“, zischte Amanda. „Er führt uns auf den Druiden-Pfad!“
Elf wünschte, Amanda würde mehr Vertrauen in ihren Instinkt zeigen. Natürlich wusste sie, dass der Hauptmann sie auf einen der schwach beleuchteten Nebenwege führte. Wie sollten sie ihm aber auch inmitten der Menge entkommen? An einem ruhigen, dunklen Plätzchen würde sie den Lüstling schon so benebeln, dass sie flüchten könnten. Unter neckischem Geplänkel ließ sie ihn sie weiter und weiter weg von den hellen Lichtern in das Reich der Schatten und Geheimnisse führen. Als schließlich eine Biegung sie ganz gegen den Südweg abschirmte, entwand sie sich ihm und tat so, als studiere sie ihn voller Bewunderung. „Mon Dieu, Capitaine, Ihr seid ein Bild von einem Mann“, schmachtete sie. „Ihr müsst der größte Mann in Eurem Regiment sein.“
Er ließ von ihr ab und streckte sich. „Einer der größten, jawohl, und der stärkste. Und“, fügte er hinzu und klopfte auf seinen gewölbten Schritt, „überall gut gebaut.“ Er machte einen Schritt, um Elf wieder in den Arm zu nehmen, aber sie entwischte ihm und betrachtete ihn jetzt von hinten. „Solche breiten Schultern. Ein Herkules von einem Mann! Sicherlich könnt Ihr eine Kanone mit einer Hand tragen.“
„Beinah, beinah.“ Er drehte sich zu ihr um, aber sie bewegte sich so, dass sie immer hinter ihm stand und er sich permanent um sich selbst drehte. „He, meine Schöne, bleibt stehen, damit ich Euch auch bewundern kann!“
„Dafür werden wir noch genügend Zeit haben. Zuerst will ich Eure wunderbare Erscheinung betrachten …“ Sie ließ ihn sich noch ein paarmal um sich selbst drehen, dann sagte sie: „Ihr solltet auch meine Cousine küssen, damit sie nicht wieder eifersüchtig wird.“
Sie hatte ihn so schwindlig gemacht, dass er stolperte, als er sich wieder Amanda zuwandte. Sie stieß ihn so fest sie konnte, griff dann nach Amandas Hand und rannte zurück in Richtung der Lichter.
Aber er hielt mehr aus, als sie gedacht hatte, und geriet durch ihren Stoß nur ein wenig ins Schwanken. Amanda zögerte einen Augenblick, bevor sie verstand, und wurde aus Elfs Griff gerissen.
Elf blieb stehen, entschlossen, die Freundin zu retten, doch die riss sich selbst los und lief in die entgegengesetzte Richtung, auf den überfüllten Südweg zu. „Lauf!“, schrie sie und rannte selbst auf den wohlbeleuchteten Teil des Parks zu. Mit einem übermütigen Lachen raffte Elf ihre Röcke und lief den verlassenen Druiden-Pfad hinunter, während sie den Hauptmann hinter sich keuchen hörte.
Laternen waren hier sehr rar und der Weg verschlungen. Elf passierte ein eng umschlungenes Paar auf einer Bank und ein paar raschelnde Büsche.
Nach einigen Augenblicken blieb sie schwer atmend stehen. Teufel noch mal! Die Jahre als feine Dame hatten an ihren Kräften gezehrt.
Dann hörte sie stampfende Schritte. Sie war ihn immer noch nicht los.
Sie tauchte in die Büsche ab, die den Pfad säumten, und versuchte, sich so leise wie möglich einen Weg zu bahnen. Sie hörte Seide reißen und fürchtete um Amandas hübsches Cape.
Wenigstens brauchte sie sich nicht um ihre Freundin zu sorgen, solange diese nicht zurückkam, um ihr zu helfen. Dichtes Gebüsch und dunkle Schatten formten eine unheimliche, fremde Welt, aber sie passierte auch ein paar Lichtungen. Ob von der Natur oder von Menschenhand angelegt, erfüllten sie ihren Zweck. Sie stolperte beinah über ein Paar in flagranti. Ihre instinktive Entschuldigung wurde von dem aufspringenden Mann mit einem Fluch erwidert. Sie konnte ein Kichern kaum unterdrücken und eilte weiter.
Sobald sie sich außer Hörweite dieser beiden befand, blieb sie stehen, um zu horchen.
In der Ferne krachten Feuerwerkskörper. Der verschmähte Liebhaber brüllte immer noch ihren Namen. Aber jetzt mischten sich andere Stimmen ein, die ihn aufforderten, den Mund zu halten und zu verschwinden. Das Unterholz schien von Liebespaaren nur so zu wimmeln!
Der Hauptmann hatte nun offensichtlich ihre Spur verloren. Ihr Plan hatte also funktioniert.
Dann wurde er still, und sie begann erneut, sich zu fürchten. Sie hatte ihn zum Narren gehalten, und er wirkte nicht wie jemand, dem das nichts ausmachen würde. Außerdem schien er nicht ganz dumm. Sie nahm an, dass er ebenfalls stehen geblieben war und wie ein guter Jäger horchend darauf wartete, dass sie sich durch irgendein Geräusch verriet. Sie begann, sich möglichst leise von dort zu entfernen, wo sie ihn zum letzten Mal gehört hatte, auf der Hut vor weiteren verborgenen Paaren. Manchmal konnte sie sich zwischen Büschen oder Baumstämmen hindurchzwängen, aber an anderen Stellen zwang das dichte Gestrüpp sie zu Umwegen. Bald hatte sie sich hoffnungslos verirrt.
Sie blieb in der völligen Dunkelheit eines dichten Eibengehölzes stehen, um nachzudenken. Das Feuerwerk war zu Ende, und kein Geräusch war zu hören.
Amanda war in Sicherheit, dachte sie, solange sie sich nicht wieder in das Wegegewirr stürzte, um nach ihr zu suchen. Tatsächlich konnte sie nichts anderes für ihre Freundin tun, als so schnell wie möglich auf den Südweg zurückzukehren. Um das ungefährdet in die Tat umzusetzen, musste sie wohl oder übel die Wege meiden. Das hieß, sich querfeldein durch die Büsche schlagen, bis sie Musik hörte. Es machte ihr Angst, dass sie sie jetzt nicht hören konnte, denn das bedeutete, dass sie sich weit vom Zentrum der Gärten entfernt haben musste. Sie konnte nicht einmal irgendwelche stöhnenden Liebespaare hören. Sie fühlte sich ganz allein inmitten der Natur. Dieser dunklen, schweigenden, ominösen Natur … Dann überlegte sie sich, dass sie eigentlich gar nicht fern der Wege bleiben musste, solange sie aufmerksam war und darauf gefasst, wieder ins Gebüsch abzutauchen, sobald sie den Hauptmann sah.
Oh, ihr armer Umhang. Was für ein Bild würde sie abgeben, wenn sie schließlich wieder ins Licht trat! Da kam ihr eine Idee. Möglichst geräuschlos nahm sie das üppige Kleidungsstück ab und drehte es herum, mit der dunklen Innenseite nach außen. So würde sie es nicht nur vor Beschädigung schützen, sondern auch weniger auffallen als mit dem leuchtenden Rot. Und wenn sie schließlich wiederauftauchte, konnte sie es erneut wenden und einigermaßen ordentlich aussehen.
Danach setzte sie ihren Weg fort. Doch schon bald vernahm sie Schritte auf dem nahe gelegenen Pfad. „Das sollte genügen“, hörte sie die leise und sanfte Stimme eines Mannes.
Gott, musste sie jetzt vielleicht eine schmutzige Verführungsszene mit anhören?
„Es ist ruhig genug“, erwiderte eine andere leise männliche Stimme. „Also, was wollt Ihr?“
Trotz ihres behüteten Lebenswandels wusste Elf über vieles Bescheid und befürchtete schon, Ohrenzeuge einer homosexuellen Begegnung zu werden. Die folgenden Worte zerstreuten diese Befürchtung jedoch sofort. „Euer Engagement für die Sache ist infrage gestellt worden, Mylord. Es herrschen erhebliche Zweifel.“
„Bei wem?“
Elf schien plötzlich, dass sie diese Stimme mit dem leicht schleppenden Tonfall kannte. Doch sie war sich nicht ganz sicher.
„Bei denen, die mehr zu verlieren haben als Ihr.“
„Ich bezweifle, dass irgendjemand von ihnen mehr zu verlieren hat als ich.“
„Ja, aber das ist vielleicht der Grund für ihr Misstrauen.“ Die Stimme offenbarte einen schottischen Akzent und verlor deutlich an Respekt. „Was würdet Ihr gewinnen, wenn wir siegten, Mylord?“
„Dass die Gerechtigkeit siegt“, erwiderte der Lord hörbar verärgert. „Die Rückführung der Stuarts auf ihren rechtmäßigen Thron.“
Bei diesen Worten hatte Elf das Gefühl, jemand würde ihr Eiswasser über den Rücken gießen.
Verrat.
Sie sprachen von Hochverrat!
Aber diese Jakobiten-Sache war doch schon vor siebzehn Jahren von den 45ern niedergeschlagen worden. Und die Köpfe der letzten Lords, die sich dafür stark gemacht hatten, verrotteten immer noch in Temple Bar. Elf hatte von Beginn an wie erstarrt dagestanden, aber jetzt versuchte sie sogar, ihren Atem zu bremsen. Liebestolle Hauptmänner waren eine Kleinigkeit im Vergleich zu Verschwörern. Wenn diese Männer sie hier fänden, würden sie ihr die Kehle durchschneiden.
Zentimeter für Zentimeter und bei jedem Rascheln ihrer Kleider erstarrend, zog sie den Dolch aus ihrem Mieder. Auch wenn es nur ein kleines Ding war, mit einer Klinge, die nicht länger war als eine Hand, war es doch besser als gar nichts. „Ich bezweifle, dass Ideale Euch bewegen, Mylord“, sagte der Schotte. „Vielleicht erhofft Ihr Euch eine Machtposition unter dem neuen Regime. Aber Ihr müsst bedenken, dass es da viele andere mit Ansprüchen gibt, Ansprüchen, die zum Teil schon seit Generationen bestehen.“
„Meine Familie hat auch einen Anspruch.“ Konnte er ein schottischer Lord sein? Es gab nur wenige Engländer, die die Stuarts unterstützt hatten, und manche Schotten hatten keinen Akzent.
Der Lord ergriff wieder das Wort, diesmal mit hörbarer Verachtung. „Wenn Ihr meine Hilfe nicht wollt, sagt es nur. Ich werde sie Euch nicht aufdrängen. Aber wie Ihr ohne mich in die Nähe des Königs gelangen wollt, kann ich mir nicht vorstellen.“
„Ihr wisst zu viel, als dass man Euch so gehen lassen könnte, Mylord.“
Eine neue Drohung hing in der Luft, und Elfs Herz raste. Mord? Konnte sie wirklich hier stehen und nichts tun, selbst wenn es sich um Verräter handelte?
Der Lord scherte sich jedoch offensichtlich nicht um die Gefahr. „Droh mir nicht, Murray. Ich habe eine genaue Beschreibung des Plans für den Fall meines plötzlichen Todes hinterlegt. Außerdem bin ich sehr wohl in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.“ Elf hörte das tödliche Sausen eines gezogenen Schwerts.
Die lange Stille, die folgte, hätte Elf glauben machen können, sie sei allein, aber die beiden konnten ja nicht völlig geräuschlos verschwunden sein.
„Gemach, Mylord“, sagte der Schotte schließlich, mit leichter Nervosität in der Stimme. „Wir brauchen keine Schwerter. Es ist nur so, dass bei uns allen die Nerven blank liegen, je näher der Zeitpunkt rückt. Schließlich könntet Ihr auch ein Mann des Königs sein, ein Agent provocateur.“ Der Lord lachte. „Absurd. Da bist du eher einer. Natürlich würde ein Mann diese Rolle für Geld übernehmen, aber das Einzige, woran es mir nicht mangelt, ist Geld. Sind wir jetzt fertig hier?“
Der Lord hatte offensichtlich die Kontrolle über die Situation wiedergewonnen, denn die Stimme des Schotten hatte einen unterwürfigen Ton, als er sagte: „Jawohl, Mylord.“
„Dann ersucht mich nicht mehr um derartige Treffen. Wir müssen uns nur noch kurze Zeit gedulden, und Begegnungen wie diese sind gefährlich und unerquicklich.“
„Jawohl, da habt Ihr zweifellos recht, Mylord.“ Dann zeigten endlich knirschende Schritte Elf an, dass sie fortgingen.
Sie holte tief Luft und begann zu zittern. Herr im Himmel, was sollte sie nur machen? Jemand plante, dem König etwas Schreckliches anzutun, dem zweifellos eine bewaffnete Invasion folgen sollte! Sie musste das verhindern.