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Eine Countess, die ihren Titel nicht verlieren will und ein Marquis mit düsterem Geheimnis …
Die historische Liebesroman-Reihe geht prickelnd weiter!
Als der König höchstpersönlich dem Marquis von Rothgar aufträgt, Diana Westmount, die Countess of Arradale, nach London zu begleiten, treffen zwei der willensstärksten Persönlichkeiten Englands aufeinander. Beide leben schon lange in selbstgewählter Einsamkeit. Die unabhängige Lady Diana fürchtet durch eine Heirat ihren Titel und ihre Freiheit zu verlieren und Rothgar hütet ein düsteres Geheimnis aus seiner Vergangenheit. Kann ein Moment der Gefahr – und eine Nacht der Leidenschaft – ihre eisige Selbstbeherrschung ins Wanken bringen?
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Erste Leser:innenstimmen
„Ich kann die historische Liebesroman-Reihe rund um die Mallorens nur empfehlen und freue mich schon auf den nächsten Teil!“
„Mitreißend und gefühlvoll geschriebene Liebesgeschichte, die ans Herz geht.“
„Zeichnet sich durch viel Leidenschaft, Spannung und Gefühl aus – alles was ich von einer historical Romance erwarte!“
„Mein bisher liebster Teil der Regency Romance-Reihe.“
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Seitenzahl: 680
Veröffentlichungsjahr: 2022
Als der König höchstpersönlich dem Marquis von Rothgar aufträgt, Diana Westmount, die Countess of Arradale, nach London zu begleiten, treffen zwei der willensstärksten Persönlichkeiten Englands aufeinander. Beide leben schon lange in selbstgewählter Einsamkeit. Die unabhängige Lady Diana fürchtet durch eine Heirat ihren Titel und ihre Freiheit zu verlieren und Rothgar hütet ein düsteres Geheimnis aus seiner Vergangenheit. Kann ein Moment der Gefahr – und eine Nacht der Leidenschaft – ihre eisige Selbstbeherrschung ins Wanken bringen?
Erstausgabe 2000 Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2022
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-691-8
Copyright © 2000 by Jo Beverley Titel des englischen Originals: Devilish
This edition published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.
Copyright © 2006, Weltbild Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2006 bei Weltbild erschienenen Titels Teuflische Leidenschaft (ISBN: 978-0-45119-997-3).
Übersetzt von: Christa Hohendahl Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com: © Alex Dvihally, © Sofia Zhuravetc PeriodImages.com: © Maria Chronis, VJ Dunraven Productions, PeriodImages.com Korrektorat: Katharina Pomorski
E-Book-Version 09.11.2022, 09:12:47.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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Für Ken, Jonathan und Philip, drei wichtige Männer in meinem Leben. Euch verdanke ich die Möglichkeit und das Vergnügen, Autorin zu sein. Die Götter sind überaus gnädig.
London, Juni 1763
Als sich die Türen des Savoir Faire öffneten, fiel ein breiter Lichtstrahl auf die mitternächtliche Straße und versetzte die herumlungernden Dienstboten unmittelbar in Bewegung. Männer mit tropfenden Fackeln in den Händen eilten herbei, um den Gentlemen, die aus dem Club traten, Licht für den Heimweg anzubieten. Einer der wartenden Lakaien stieß nun einen schrillen Pfiff aus und erhielt Antwort von einer der Kutschen, die sich auf der Straße hintereinander aufreihten. Die Laternen der Kutsche leuchteten auf, und in ihrem Licht wurde ein Pferdeknecht erkennbar, der den beiden Pferden die Futterbeutel abnahm.
Der livrierte Lakai kehrte nun zur Tür zurück, um sicherzustellen, dass die aufdringlichen Fackelträger seinen Herrn, den berühmten Marquis von Rothgar, und Lord Bryght Malloren, seinen Halbbruder, nicht belästigten. Mit ein paar frechen Bemerkungen zogen sich die jungen Burschen zurück, um ihr unterbrochenes Würfelspiel irgendwo in der Dunkelheit fortzusetzen.
Der Marquis und sein Bruder trugen funkelnde Edelsteine, und an Hals und Handgelenken blitzte kostbare Spitze auf, doch sie waren nicht auf eine Leibwache angewiesen. Die kleinen Degen, die beide trugen, hatten zwar vergoldete Scheiden und kostbare Zierleisten, doch das ließ sie nicht minder gefährlich aussehen – schon gar nicht in den Händen dieser Männer.
Während sie darauf warteten, dass ihre Kutsche vorfuhr, plauderten sie ein wenig miteinander. Da öffneten sich die Türen des beliebten Clubs erneut, und eine Gruppe von Personen kam lachend heraus, wobei einer der Männer völlig falsch vor sich hin grölte.
Auf einmal sang er ein ganz anderes Lied:
Denn Keuschheit ist 'ne feine Sache,
Doch kleiden kann sie leider nicht.
Die Lady spricht zu viel von Takt,
Ihr Gentleman war schließlich nackt!
Die beiden Brüder drehten sich blitzschnell um, zischend fuhren ihre Degen aus den Scheiden.
„Ich denke“, sagte der Marquis in sanftem Tonfall zu dem Sänger, „dieses Lied ist schon vor ungefähr zwei Jahren aus der Mode gekommen. Ihr werdet Euch natürlich für die Geschmacklosigkeit entschuldigen, nicht wahr, Sir?“
Das Lied gehörte zu den Zoten, die sich in der Stadt verbreitet hatten, als Lady Chastity Ware mit einem nackten Mann im Bett erwischt worden war. Die junge Dame hatte ihre Unschuld beteuert, aber nur der Einfluss der Mallorens hatte es möglich gemacht, dies auch zu beweisen und den guten Ruf der jungen Adeligen in der Gesellschaft wiederherzustellen. Chastity war jetzt die Frau des jüngsten Halbbruders des Marquis, Lord Cynric, der nun Lord Raymore hieß.
Der Sänger, ein blonder, vermutlich betrunkener Mann, grinste höhnisch beim Anblick der Männer mit ihren schmucken Degen. „Eher will ich verflucht sein. Es wird einem Mann doch wohl erlaubt sein, ein Lied zu singen.“
„Nicht dieses!“, fuhr Lord Bryght ihn an und richtete seine Degenspitze auf den Hals des Mannes. Der Sänger zuckte nicht mit der Wimper, doch seine Begleiter wichen erschrocken zurück.
Der Marquis schob die Klinge seines Bruders mit der Spitze seines eigenen Degens beiseite. „Wir werden hier auf der Straße keine Raufereien und kein Gemetzel veranstalten, Bryght.“ Er musterte den unverschämten Sänger. „Euer Name, Sir?“
Die meisten Männer in London hätten bei dem eisigen Tonfall des Mannes, den viele den ‚Finsteren Marquis‘ nannten, vor Angst gezittert, aber dieser hier grinste einfach weiter. „Curry, Mylord. Sir Andrew Curry.“
„Dann, Sir Andrew, werdet Ihr Euch dafür entschuldigen, dass Ihr so falsch gesungen habt.“
Die Nasenflügel des Sängers bebten leicht, aber das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht. „Versucht Ihr immer noch, Parfüm über den Misthaufen zu kippen, mein lieber Herr Marquis? Mit Reichtum und Macht kann man nicht alles erreichen, und Gestank vergeht nicht.“
„Schon gar nicht bei einer Leiche“, bemerkte der Marquis. „Ich fürchte, wir müssen uns verabreden. Euer Sekundant?“
Anstatt beunruhigt zu sein, lächelte Curry. „Giller?“
Einer seiner Anhänger, der viel zu vornehm angezogen war und ein Mopsgesicht hatte, schien zu schlucken, sagte aber: „Natürlich, Curry. Stets zu Diensten.“
„Mich wird Lord Bryght vertreten“, sagte der Marquis, „aber die Details können wir sicher noch klären. Welche Waffen?“
„Degen.“
„Mit Degen also, um neun am Teich im St. James's Park. Sehr beliebt bei Selbstmördern.“ Er schob seinen Degen zurück in die Scheide und bestieg seine wappenverzierte Karosse.
Lord Bryght steckte seinen Degen ebenfalls in die Scheide zurück. Currys gute Laune gefiel ihm nicht. „Giller? Tretet mit mir zur Seite, wenn es Euch beliebt.“
„Warum?“, fragte der untersetzte Mann ängstlich.
„Weil du mein Sekundant bist, du Trottel“, sagte Curry. „Lord Bryght ist in solchen Dingen offenbar peinlich genau. Geh und versichere ihm, dass ich mich nicht entschuldigen werde.“
Giller, der aussah, als befürchtete er, aufgespießt zu werden, stolperte auf seinen hohen Absätzen hinüber.
Bryght sagte: „Es ist unsere Pflicht, Mr. Giller ...“
„Sir Parkwood Giller, Mylord.“
„Ich bitte um Verzeihung, Sir Parkwood. Es ist unsere Pflicht zu versuchen, eine Versöhnung herbeizuführen. Sprecht mit Sir Andrew, und wenn er seine Meinung ändert, kontaktiert mich im Malloren House, Marlborough Square.“
„Seine Meinung ändert!“, rief Giller. „Curry! Das kann ich mir nicht vorstellen. Versucht stattdessen lieber, den Marquis vom Selbstmord abzubringen.“ Erhobenen Hauptes drehte er sich um und stolperte zu seinen Freunden zurück.
Es war also genau so, wie Bryght vermutet hatte. Curry war ein professioneller Duellant.
Bryght stieg in die Kutsche, die sofort abfuhr. Hinter ihnen setzte der Gesang gleich wieder ein. Bryght fluchte, aber sein Bruder legte ihm die Hand auf den Arm. „Morgen wird die Sache angemessen geregelt, Bryght.“
„Angemessen? Warum zum Teufel kämpfst du mit einem solchen Mann? Du hättest ihm die Peitsche dafür geben können, dass er dieses Lied gesungen hat, und keiner hätte Einspruch erhoben.“
„Meinst du? Wir sind hier nicht im autokratischen Frankreich, und außerdem schien er es auf ein Duell abgesehen zu haben.“
„Normalerweise bist du Leuten gegenüber, die es auf etwas abgesehen haben, nicht so entgegenkommend“, gab Bryght barsch zurück, denn das erinnerte ihn an das Anliegen, weswegen er nach London gekommen war. Doch jetzt war sicher nicht der richtige Zeitpunkt, das Thema anzusprechen. Wenn das hier schief ging, hatte sich der Grund seines Anliegens ohnehin erledigt.
Im flackernden Licht der Kutschenlampe war Rothgars Lächeln zu sehen. „Es wäre schwierig gewesen, das Duell zu verhindern, Bryght, und ich wollte gerne wissen, wer es auf meinen Tod abgesehen hat.“
Bryght sah seinen Bruder an. „Du weißt also, welchen Ruf dieser Mann hat?“
„Ein Maulheld und ein Betrüger, der ungestraft davonkommt, weil die Leute seine Degenkünste fürchten. Ihm muss eine Lektion erteilt werden.“
„Aber warum ausgerechnet von dir?“ Rothgar war ein guter Fechter, ein verdammt guter, aber es gab immer jemanden, der noch besser war. Das war genau das, was Rothgar seinen jüngeren Halbbrüdern eingepaukt hatte, als er sie aufs Leben vorbereitete.
Rothgar gab keine Antwort. Bryght fiel nun wieder ein, was sein Bruder soeben gesagt hatte. „Du glaubst, er ist ein bezahlter Mörder? Zum Teufel, Bey, wer sollte deinen Tod wollen?“
Rothgar warf ihm einen seiner typisch sanften Blicke zu. „Du glaubst, ich bin Hass und Furcht nicht wert?“
Bryght lachte – Rothgar brachte ihn oft zum Lachen –, sagte dann aber: „Er wird dich nicht umbringen. Heutzutage kann ein Mann für ein Duell mit tödlichem Ausgang ins Gefängnis geworfen werden.“
„Was sollte er sonst vorhaben? Er ist doch gerade so ein typischer heimatloser Schurke, der unbekümmert nach Frankreich flieht, besonders wenn er einen großen Beutel Blutgeld als Belohnung bekommt.“
„Wessen Geld?“
„Das ist eben die Frage. Mir fallen keine Feinde ein, die so weit gehen würden. Wirklich ziemlich beunruhigend. Der Hass deiner Feinde bemisst sich wohl an der Größe deiner Erfolge.“
„Wahrscheinlich hast du Feinde, von denen du nicht einmal weißt.“ Rothgars beinah fröhliche Stimmung machte Bryght wütend. „Weil du der ‚Finstere Marquis‘ und die ‚Schwarze Eminenz‘ von England bist, meint jeder, er könne dir ganz einfach sein persönliches Unglück in die Schuhe schieben.“
Die beiden Beinamen trug der Marquis nicht ohne Grund: Strenge, Arroganz, aber auch Düsterkeit umgaben ihn; und die undurchsichtige Rolle des dunkelhaarigen Aristokraten in der Regierung, wo er als einflussreicher Berater des Königs und graue Eminenz im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt, hatte ihm in Kombination mit seinem dunklen Erscheinungsbild die leicht abgewandelte Bezeichnung ‚Schwarze Eminenz‘ eingebracht.
Rothgar lachte aber bloß. „Meinst du wie bei einem warzigen alten Dorfweib? So eine, der die einfachen Leute die Schuld für ein missgebildetes Kind oder plötzlich verendete Schafe geben?“
Bryght musste nun auch lachen, denn ein unpassenderes Bild für seinen eleganten, kultivierten Bruder konnte man sich kaum denken. Als die Kutsche im Vorhof von Malloren House hielt, verflog seine gute Laune jedoch schnell. Wünschte jemand seinem Bruder den Tod?
Diese Frage hielt ihn die Nacht über wach. Und er grübelte immer noch darüber, als ihre Kutsche am nächsten Morgen am St. James's Park in der Nähe des trüben Teiches anlangte. „Zur Hölle! Warum sind hier so viele Leute? Das ist ein Duell und keine Theateraufführung.“
„Gibt es da einen Unterschied?“, fragte Rothgar trocken, als er aus der Kutsche kletterte. Bryght wusste nicht, ob sein Bruder gut geschlafen hatte, aber er wirkte so gelassen wie immer.
Bryght stieg aus und ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Ein Großteil der Londoner Gesellschaft schien anwesend zu sein – zumindest der männliche Teil. Hinter dem vornehmen Adel in Spitzen und Borten drängelten sich die Menschen aus den unteren Bevölkerungsschichten, die sich reckten und auf und ab hüpften, um etwas sehen zu können. Verflucht, einige trugen sogar Kinder auf den Schultern, und auch auf den umliegenden Bäumen hockten Männer, Frauen und Kinder. Weiter hinten hingen ganze Menschentrauben aus den Fenstern der umliegenden Häuser, von denen aus man den Ort des Geschehens einsehen konnte. Aufblitzende Lichtreflexe verrieten ihm, dass einige Leute Fernrohre dabeihatten.
Alles, was sein Bruder tat, erregte öffentliche Aufmerksamkeit, aber dieser Auflauf hier war für eine ehrenhafte Verabredung verdammt unpassend. Wer zum Teufel hatte die Welt alarmiert? Das machte das Duell beinahe zur Posse.
Da entdeckte Bryght vorne in der Menge Lord Selwyn. Selwyn hatte eine morbide Vorliebe für öffentliche Hinrichtungen und reiste durch ganz Europa, um den grausamsten von ihnen beizuwohnen. Für eine Posse wäre er nicht so früh aufgestanden.
Zumindest Selwyn ging davon aus, heute einen Toten zu sehen.
Bryght bemerkte, dass er viel zu auffällig in die Runde schaute. Um ruhiger zu werden, zog er eine silberne Dose hervor und nahm eine Prise Schnupftabak. Wenngleich er aufgrund seiner Heirat die Vergnügungen Londons dem Leben auf dem Lande geopfert hatte, kannte er die Regeln noch gut. Man zeigte keine Furcht oder gar Sorge um die Unversehrtheit der eigenen Person. Im Privatleben nur selten. In der Öffentlichkeit nie. Andernfalls würde man wie im Tierreich in Stücke gerissen.
Er verlegte seine Aufmerksamkeit nun auf Rothgars Gegner. Curry stand schon in Hemd und Kniehosen da, wobei ein Körper zum Vorschein kam, der so dünn und stark wirkte wie eine Peitschenschnur. Größe und Reichweite Currys waren offenbar ähnlich wie bei seinem Bruder.
Bryght wünschte sich inbrünstig, Cyn wäre da. Cyn war zwar etwas kleiner, aber er hatte das gewisse Etwas, eine Begabung und eine Reaktionsfähigkeit, die einen echten Fechter ausmachten. Vielleicht war er einfach besser als Rothgar. Im Grunde war es ohnehin Cyns Kampf, denn die Beleidigung hatte seiner Frau gegolten.
Ein Bediensteter reichte Curry das Rapier, und Curry übte ein paar Stöße und Ausfälle.
„Die Pest soll ihn holen“, murmelte Bryght. „Er ist Linkshänder.“
„Ein übler Vorteil“, bemerkte Rothgar, als ihm sein Diener aus dem Rock half. „Ich weiß.“
Das war wieder ein typisches Lehrstück seines Bruders. Natürlich wusste Rothgar Bescheid. Er ließ sich nicht einmal auf flüchtige Begegnungen ein, ohne Erkundigungen einzuholen. Zweifellos hatte er zwischen gestern Abend und jetzt herausgefunden, wie viele Wanzen Curry im Bett hatte.
„Wie ich mir schon dachte, er ist gut“, sagte Rothgar, als ihm sein Diener die lange Weste abnahm. „Er hat sich in England schon dreimal duelliert und jedes Mal gewonnen. Seine Gegner ließ er mit üblen Verletzungen zurück, die aber nicht tödlich waren. Gerüchte besagen, er habe in Frankreich zwei Männer umgebracht.“
Bryght versuchte, Haltung zu bewahren, um so unbeteiligt wie sein Bruder zu wirken, doch er machte sich ernsthafte Sorgen. Rothgar übte regelmäßig mit einem Lehrer und hatte darauf bestanden, dass alle seine Brüder dasselbe taten, um bei einem solchen Ereignis – einem provozierten Anlass für ein Duell – gewappnet zu sein.
Aber war Rothgar gut genug?
Fettler, der Kammerdiener seines Bruders, faltete gelassen den abgelegten Rock und die Weste zusammen. Selbst der livrierte Lakai, der den vergoldeten und mit Einlegearbeiten versehenen Degen seines Herrn hielt, wirkte nicht beunruhigt. Gewiss sahen Rothgars Dienstboten ihren Herrn bereits in der Rolle des Siegers. Bryght wünschte, er könnte diese einfältige Gewissheit teilen. Der Ausgang eines Kampfes zwischen zwei geschickten Fechtern war nie vorhersehbar.
Rothgar drehte sich zu ihm um. „Los. Tu deine Pflichten als Sekundant.“
„Und was genau soll ich als Erstes tun?“
Sein Bruder zog den roten Siegelring vom Finger und reichte ihn herüber. „Übernimm meine Bürde, wenn es schief geht.“ Mit einem leichten Lächeln fügte er hinzu: „Bete, dass ich gewinne, mein Lieber.“
„Sei nicht so verdammt töricht.“
„Dürstest du nach der Marquis-Würde?“
„Du weißt, dass das nicht so ist. Ich meinte, natürlich bete ich, dass du gewinnst.“
„Ich bezweifle allerdings, dass die Engel unsere Worte hören werden. Geh also und mach einen letzten Friedensversuch.“
„Gibt es irgendeine Bedingung, die du akzeptieren würdest?“
Rothgar steckte sich die Spitzenrüschen in den Ärmelaufschlag. „Selbstverständlich! Bin ich ein Tier? Wenn er auf Knien zu mir herüberkriecht und um Vergebung bittet, darf er unversehrt ins Exil fliehen.“
Obschon er genau die gleichen Worte gewählt hätte, hätte Bryght am liebsten die Augen verdreht, als er auf die Mitte der beiden Gruppen zuging und wartete. Es gab keine Aussicht auf eine Entschuldigung, aber man musste immer den korrekten Weg einschlagen.
Sir Parkwood Giller tänzelte auf ihn zu und genoss sichtlich die wichtige Rolle, die er in diesem öffentlichen Drama spielte. Er zog sogar ein auffällig buntes, spitzenumsäumtes Taschentuch hervor und wedelte damit, während er sich viel zu tief verbeugte und eine ekelerregende Wolke billigen Parfüms verbreitete. „Mylord!“
Bryght schluckte seinen Abscheu hinunter und deutete eine Verbeugung an. „Ich komme, um zu fragen, ob Euer Duellant seinen Fehler erkannt hat.“
„Fehler!“ Wieder wehte das Taschentuch. Es könnte als Geheimwaffe fungieren. „Oh Gott, nein, Mylord. Aber wenn der Marquis einsieht, dass seine Beleidigung fehl am Platz war ...“
„Ihr scherzt.“
„Keinesfalls. Jeder weiß ...“
„Giller, die Zeiten, als Sekundanten sich in den Kampf einmischten, sind vorüber, aber ich werde Euch zwingen, wenn Ihr darauf besteht.“
Zwanzigmaliges Schwenken des Taschentuchs. Oder eher dreißigmaliges.
Das Weiße in Gillers Augen trat hervor – oder genauer gesagt wurde blutrot. „Nein ... auf keinen Fall, Mylord. Da könnt Ihr sicher sein!“
„Wie klug.“ Dann verkündete Bryght die Bedingungen seines Bruders, woraufhin Giller die Stupsnase rümpfte und beleidigt sagte: „Dann findet das Duell statt, Mylord!“
„Es ist Eure Pflicht, Eurem Duellanten die Bedingungen mitzuteilen, genauso wie ich dem meinigen Currys mitteilen werde.“ Nach einer knappen Verbeugung kehrte Bryght zu seinem Bruder zurück.
„Das bedingungslose Eingeständnis, dass Chastity eine Schlampe ist, das verlangt er natürlich.“
Rothgar, der seine Muskeln aufwärmte und lockerte, antwortete nicht. Bryght sagte nichts weiter, denn er wusste, dass sein Bruder sich vor einem Fechtkampf immer sammelte und konzentrierte. Ihm selbst war das nie besonders gut gelungen. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb Rothgar und Cyn ihn letztlich immer besiegten.
Wenn er genauer darüber nachdachte, schien sich der aggressive Cyn vor einem Wettkampf auch nicht lange zu konzentrieren. Er war einfach blitzschnell und brillant. Bryght wünschte sich erneut, Cyn wäre da. Er würde Curry in Stücke schneiden und jede Minute genießen. Sechs Jahre als Soldat hatten ihn auf bemerkenswerte Weise gegen den Umgang mit dem Tod abgehärtet.
Nun warteten alle darauf, dass Rothgar verkündete, er sei bereit. Bryght mochte ihn gewiss nicht drängen, aber er hoffte, sie würden bald anfangen und es hinter sich bringen. Diese Verzögerung sollte Curry vermutlich aus dem Gleichgewicht bringen. Der Mann hatte bereits seine Übungen eingestellt und war dazu übergegangen, sichtlich ungeduldig auf und ab zu marschieren und mit den Leuten herumzualbern.
Die Menge war unruhig, wirkte aber nicht, als sei sie auf Currys Seite. Wenn der Tod in der Luft lag, war es taktlos, ungeduldig zu sein.
Als wollte er den richtigen Moment abpassen, hielt Rothgar nun inne, streckte sich und schenkte Bryght eines seiner seltenen Lächeln. Dann betrat er die Mitte des Platzes.
Bei Gott, er war einfach großartig!
Seine Bewegungen waren stets geschmeidig und anmutig. Doch vor Fechtkämpfen erhielten sie eine neue Qualität – so als ob das Gleichgewicht seiner Körperkräfte nun eine Art Killerinstinkt hinzugewonnen habe. Natürlich hatte er die Schuhe mit den Absätzen ausgezogen, doch er hatte ebenso die einstudierte Eleganz des Höflings abgelegt, sodass die Schönheit des wilden Tieres, das darunter schlummerte, zum Vorschein kam.
Er war groß, breitschultrig, schlank und muskulös – die Wahrheit wurde nicht länger von der Eleganz und der Künstlichkeit des vornehmen Edelmannes verschleiert. In der Menge wurde es still, und Bryght wusste, dass das mehr als nur Vorfreude auf das Duell war. Es war Respekt.
Jeder kannte den Aristokraten, der in England großen Einfluss ausübte, ohne ein politisches Amt innezuhaben. Aber nur wenige hatten je gesehen, was unter dem würdevollen Auftreten, der Intelligenz und der Seide verborgen lag.
Bryght fragte sich, ob Rothgar nur deshalb nicht gern an Duellen teilnahm, weil er Besseres zu tun hatte. Möglicherweise wollte er auch dieses versteckte Machtelement nicht preisgeben. Jetzt zeigte es sich in seinem kräftigen Körper und den hageren Gesichtszügen – alles konzentrierte sich auf seinen tödlichen Gegner.
Curry schien die Veränderung nicht zu spüren. Mit einem deutlich hörbaren Schnauben stolzierte er zuversichtlich auf seinen Gegner zu, nahm dann erst die Fechthaltung ein und wirkte dabei recht steif.
Bryght entspannte sich ein wenig. Vielleicht war die Fechtkunst der beiden doch von verschiedener Klasse.
Nicht verschieden genug. Vom ersten Degenklicken an veränderte sich auch Curry, und es war offensichtlich, dass er seinen Ruf verdiente. Er hatte mehr von einem Feuerspucker als von einem guter Techniker, dennoch war er kräftig, schnell und geschickt und hatte den Vorteil, Linkshänder zu sein. Er besaß sogar etwas von dem zauberhaften Funken, der den Fechtkampf über Schnelligkeit und Technik hinauswachsen lässt, eine zusätzliche Begabung, mit der er dem Unausweichlichen ausweichen und den kleinsten Fehler für sich nutzen konnte.
Die leichten, aber todbringenden Klingen schlugen gegeneinander und glitten ab, die nur mit Strümpfen bekleideten Füße bewegten sich auf dem federnden Rasen vor und zurück, flinke Körper beugten und drehten sich, fingen sich, streckten sich, sprangen zurück, schnellten nach vorn ...
Angreifende Klingen wurden abgewehrt, allerdings nicht immer ohne Körperkontakt. Trotz der kühlen Morgenluft waren beide Männer bald schweißgebadet. Ihre Haarbänder hatten sich gelöst, und beide Hemden waren mit Blutflecken übersät. Bis jetzt gab es nur Schrammen, doch Bryghts Herz klopfte heftig, genauso, wie das seines Bruders klopfen musste. Es war verdammt knapp. Ein einziger Fehler konnte die Entscheidung bringen, aber möglicherweise war es auch eine Frage der Ausdauer.
Schweigend kämpften die beiden Männer zu den klirrenden Geräuschen der Klingen, vollkommen konzentriert auf ihre Augen und Hände und auf ihre Degen – die biegsame Verlängerung von Hand, Arm und Körper. Flinke Füße und kräftige Beine bewegten sich mit tödlicher Geschwindigkeit vor und zurück. Beide merkten offenbar, dass der Kampf ausgeglichen war, denn jetzt kamen sie zunehmend aus ihrer Deckung, um den Gegner zu Fall zu bringen.
Curry zielte auf den Oberkörper und nötigte Rothgar zu einer schwierigen Parade, die jedoch nicht verhindern konnte, dass Rothgars Schulter aufgeschlitzt wurde. Sogleich schickte Curry einen erneuten Stoß auf das Herz hinterher, aber wie durch ein Wunder behielt Rothgar das Gleichgewicht und schlug das Rapier weit nach hinten.
Keuchend und triefend traten beide Männer zurück, nur um sofort wieder nach vorn zu springen. Es konnte nicht mehr lange dauern. Dann wehrte Rothgar einen weiteren geschickten Stoß ab, streckte sich weit nach vorn, so weit, wie Kraft und Gleichgewicht es zuließen, und seine Degenspitze drang genau unter dem Brustbein in Currys Oberkörper ein. Nicht tief genug, um zu töten. Nicht einmal tief genug, um ernsthaft zu verletzen. Doch der Mann taumelte instinktiv zurück. Benommen legte er die Hand auf die Verletzung, und die Menge hielt den Atem an.
Vielleicht dachten sie, er würde sterben. Vielleicht dachte er dasselbe.
Blitzschnell stach Rothgar ihm in den Oberschenkel, sodass Blut herauslief. Curry versuchte sich zu sammeln, Gleichgewicht und Kontrolle wiederzuerlangen, doch Rothgars Degen nutzte Currys hektische Parade aus, mit der dieser sein Herz schützen wollte, und bohrte sich tief in die linke Schulter.
Diese Verletzung würde ihn zum Krüppel machen. Curry würde überleben, aber mit seinem linken Arm nie wieder einen Degen benutzen können, es sei denn, er hatte viel Glück.
Bryght bemerkte, dass er den Atem angehalten hatte, und holte nun tief Luft. Beifallsrufe und Applaus von allen Seiten ließen das Ganze absurderweise wie eine beliebte Opernszene erscheinen.
Äußerst kühn hob Curry seinen heruntergefallenen Degen mit der rechten Hand auf und versuchte fortzufahren, aber Rothgar entwaffnete ihn mit wenigen Bewegungen. Sein Degen ruhte auf der bebenden Brust des Mannes, lag absichtlich auf dessen Verletzung. Immer noch schwer atmend sagte er: „Ich nehme an, jetzt seid Ihr bereit ... Lieder zu singen, die auf dem neuesten Stand sind und weniger schräg klingen?“
In Currys Augen flackerte Wut auf. Die Wut eines Mannes, der noch nie besiegt worden war, sich für unverwundbar gehalten hatte und dies auf gewisse Weise immer noch tat. „Verdammte Singerei. Lady Chastity Ware war und bleibt eine Hure ...“
Er starb mit durchbohrtem Herzen, bevor er noch mehr Schmutz ausspucken konnte.
Rothgar zog seinen Degen zurück, und der Arzt kam ohne große Eile herbei, um Currys Tod zu bestätigen. Keiner von Currys verblüfften Freunden schien den Wunsch zu verspüren, sich am Leichnam zu versammeln und zu trauern, und plötzlich, wie bei einer Vogelschar, die aus Käfigen befreit wird, erhob sich ringsherum lautes Stimmengewirr.
Rothgar sah sich im Publikum um: „Meine Herren“, sagte er, augenblicklich für Stille und Aufmerksamkeit sorgend. „Ihr habt gehört, dass Sir Andrew Curry versucht hat, den Namen einer Dame in den Schmutz zu ziehen, und dabei nicht nur die Ehre meiner Familie, sondern auch diejenige unseres gütigen Königs und seiner Gemahlin verletzt hat. Der König und die Königin haben Lady Raymore am Hofe als tugendhafte Frau akzeptiert. Weisheit und Urteilsvermögen der königlichen Hoheiten sollten nicht infrage gestellt werden.“
Nach einem überraschten Zögern kam zustimmendes Gemurmel auf, unterbrochen von Rufen wie ‚Jawohl!‘, ‚Gott schütze den König!‘ und ‚Der Teufel soll ihn holen!‘ Currys Kumpane wechselten erschrockene Blicke und schlichen sich hastig davon.
Während Rothgar von Männern umringt wurde, die ihm gratulieren und den Kampf noch einmal durchgehen wollten, bemerkte Bright, dass niemand dageblieben war, der sich um das Fortschaffen der Leiche kümmerte. So ging er mit dem Diener der Mallorens zum Arzt hinüber und veranlasste das Nötige. Wenn sie Glück hatten, brauchte Dr. Gibson oder einer seiner Kollegen eine Leiche, die sie zu anatomischen Zwecken zerstückeln konnten. Als Bryght alles geregelt hatte, half Fettler seinem Bruder gerade in den Mantel.
„Warst du so in Bedrängnis, wie es ausgesehen hat?“, fragte Bryght.
Rothgar nahm einen kräftigen Schluck aus einer Reiseflasche. Sicher war darin das saubere Wasser, das er täglich von einer Quelle in den Kreidehügeln mitbrachte. „Er war gut. Aber er ist nie richtig an mich rangekommen.“
Sie kletterten in die Kutsche, der Diener setzte sich ihnen gegenüber, und die Kutsche fuhr los und brachte sie zurück zum Malloren House.
„Hast du irgendwelche ernsthaften Verletzungen?“
„Nur Kratzer.“
„Ich glaube nicht, dass er bedacht hat, seinen Degen zu vergiften.“
Rothgars Mundwinkel zuckten. „Werde nicht theatralisch.“
„Es würde zu diesem Abschaum passen.“
Sein Bruder hatte jedoch bereits den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen, sodass Bryght sich weitere Bemerkungen verkniff. Selbst an Rothgar konnte die Gefahr, die Anstrengung und das Töten nicht spurlos vorübergehen. Bryght dachte über seine eigene nervöse Reaktion nach und merkte, dass er jeglichen Geschmack an solchen Dingen verloren hatte. Er fragte sich, ob es seinem Bruder genauso ging.
Als sie bei Malloren House ankamen, konnte er nicht umhin, Rothgar in dessen stattliche Gemächer zu folgen. Er wusste, dass das Haus und seine vielen ausgezeichneten Bediensteten gut für Rothgar sorgen würden, aber er musste einfach mitgehen. Rothgar zog die Augenbrauen hoch, warf ihn jedoch nicht hinaus, als er sein ruiniertes Hemd abstreifte. In der Tat waren nur kleine Schnitte und Kratzer zu sehen. Am schlimmsten war die Wunde quer über der Schulter, aber auch sie war nicht tief.
Bryght konnte allmählich wieder klarer denken. „Was meinst du“, fragte er, „war das nur ein unbesonnener Mann oder ein Komplott?“
Sein Bruder hatte sich bis auf die Unterhosen ausgezogen und wusch sich. „Wenn es ein Komplott war, versuchen sie es bestimmt noch einmal. Die Art und Weise wird aufschlussreich sein.“
„Noch einmal? Zur Hölle, du kannst doch nicht einfach auf die nächste Attacke warten.“
„Was schlägst du vor, wie ich sie verhindern soll? Aber das würde ich auch gar nicht wollen. Ich ziehe es vor, jedweden mordgierigen Feind zu enttarnen und ihn mir vorzuknöpfen.“ Rothgar trocknete sich ab und erteilte knappe Anweisungen zu Verbänden und Kleidung. „Du interessierst dich doch für Mathematik. Ein einziger Anschlag ist wenig aufschlussreich. Drei sollten die Urheber allerdings zu erkennen geben.“
„Das nächste Mal könnte es Gift sein oder eine Pistole im Dunkeln.“
Sein Bruder setzte sich, damit der Barbier die Wunde an der Schulter behandeln konnte. „Ich gebe mein Bestes, um gegen solche Dinge gewappnet zu sein.“
„Und dennoch ...“
„Der Himmel bewahre mich vor Männern, die gerade eine Familie gegründet haben!“ Rothgar drehte sich energisch um. „Das ist die einzige Erklärung für diesen ganzen Wirbel. Nichts hat sich wesentlich verändert, Bryght. Außer dir.“
Geduldig glich der Barbier seine Arbeit der neuen Position an.
Verdammt, dachte Bryght. Jetzt war er bei dem Thema angelangt, das er ansprechen wollte. „Meine Umstände haben sich sehr wohl geändert“, sagte er und gab seinem Bruder den roten Siegelring zurück. „Ich führe zu Hause ein sorgenfreies Leben und erbebe bei der Vorstellung, deine Verpflichtungen übernehmen zu müssen.“
„Ich setze alles daran, dir dieses Schicksal zu ersparen, bis du zu alt für solche Sorgen bist.“
„Kannst du es Francis auch ersparen?“
Er meinte seinen Sohn. Es entstand eine vielsagende Pause, in der Rothgar sich darauf konzentrierte, den Ring wieder an die rechte Hand zu stecken und seine bandagierte Schulter zu dehnen. Dann nickte er zufrieden. Der Barbier murmelte etwas, woraufhin er sich wieder umdrehte und rasieren ließ.
Bryghts Gesicht verspannte sich. Hier ging es um Heirat, Rothgars Heirat und die Zeugung eines Sohnes, eines Erben; doch sein Bruder wies dies zurück. Da Rothgars Mutter verrückt geworden war, hatte er beschlossen, das unreine Blut dieser Linie nicht weiterzugeben. Es war immer klar gewesen, dass Bryght oder einer seiner Brüder, Söhne einer anderen Mutter, die zukünftigen Malloren-Generationen hervorbringen würden.
Das Thema war tabu, aber dieses Mal konnte Bryght ein Ausweichen nicht hinnehmen. Sobald der Barbier das Rasiermesser abgelegt hatte und begann, die Seifenspuren wegzuwischen, fragte er: „Nun?“
Rothgar stand auf, um das Hemd und die Kniehosen anzuziehen, die ein paar junge Kammerdiener ihm reichten. „Vielleicht findet dein Sohn eines Tages Vergnügen an hohem Stand und Macht.“
„Und wenn nicht?“
„Ich vermute, dass er ohnehin dazu erzogen wird, seine Pflicht zu tun.“ Als Nächstes kam die fein bestickte graue Seidenweste dran. Ein Diener machte sich daran, sie mit einer langen Reihe von ziselierten Silberknöpfen zu schließen.
Bryght schwitzte, als befände nun er sich in einem Duell.
Schon lange hatte er seine Rolle als Rothgars Erbe akzeptiert. Da er als Sohn eines Marquis aufgewachsen war, hatte er wohl oder übel eine Menge über die Aufgaben und Pflichten gelernt, und Rothgar hatte darauf bestanden, dass er noch mehr lernte. Auch wenn er nicht wollte, war er in der Lage, die Bürde auf sich zu nehmen, wenn es nötig war.
Als er letztes Jahr geheiratet hatte, hatte er akzeptiert, dass sein ältester Sohn eines Tages das Marquisat, die Marquiswürde, erben würde. Jetzt allerdings war dieser theoretische Erbe ein neun Monate altes Kind mit kupferfarbenen Locken und einem bezaubernden Lächeln. Sein Sohn Francis, den Bryght und Portia frei aufwachsen lassen wollten, damit er die aufregende moderne Welt kennenlernen konnte. Wie sollte Francis sein eigenes Leben gestalten und gleichzeitig bereit sein, morgen, nächstes Jahr oder in vierzig Jahren schwer lastende Verpflichtungen zu übernehmen?
Oder nie. Unerträglich.
Doch wie sollte er argumentieren ...?
Ihm wurde nun klar, dass er schon wieder nachgegeben hatte. Er hatte das Thema fallen gelassen. Vielleicht hatten ihn seine Nerven im Stich gelassen, weil er wusste, dass sein Bruder das Thema Heirat, sobald die Sprache darauf kam, vehement und unbarmherzig bekämpfen würde, wie er Curry bekämpft hatte.
Der Friseur brachte eine graue Perücke, deren hintere Haare in einer grauen Seidentasche verborgen waren und von einer schwarzen Schleife zusammengehalten wurden. Die Pracht, mit der sein Bruder zurechtgemacht wurde, erregte schließlich Bryghts Aufmerksamkeit.
„Wo zum Teufel gehst du hin?“
„Hast du vergessen, dass heute Freitag ist?“
Das hatte er tatsächlich. Jeden Mittwoch und jeden Freitag gab der König einen Empfang. Die Anwesenheit war nicht direkt verpflichtend, doch man erwartete von jedem wichtigen Mann des Hofes oder der Regierung, dass er teilnahm, wenn er sich in London aufhielt. Tat er dies nicht, gab das dem König Anlass zu vermuten, dass er mit einer der Splittergruppen sympathisierte, die gegen die königliche Politik waren.
„Du willst trotzdem hingehen?“, fragte Bryght. „Der König weiß bestimmt, dass du gerade ein Duell hattest.“
„Er wird sich von meinem Wohlbefinden überzeugen wollen.“
„Ein Dutzend Männer werden da sein, die ihm davon ...“
Sein Bruder hob die linke Hand, die jetzt mit zwei funkelnden Edelsteinen geschmückt war, und brachte ihn zum Schweigen. „Das Landleben trübt deinen Verstand, Bryght. Der König wird mich sehen wollen, und es ist wichtig, dass die Welt sieht, dass ich vollkommen unversehrt und unerschütterlich bin. Abgesehen davon“, fügte er hinzu, während er flüchtig auf ein Tablett mit Halstuchnadeln blickte, das ihm hingehalten wurde, „dass die Uftons in der Stadt sind und ich sie vorstellen soll.“
„Wer zum Teufel sind die Uftons?“
„Sie haben ein kleines Anwesen bei Crowthorne.“ Er nahm eine schwarze, prachtvolle Perle in die Hand. „Zuverlässige Leute. Sir George zeigt seinem Sohn und Erben all die wunderbaren Dinge in London, zweifellos genauso, wie er ihm Huffäule, Räude und sauberen Boden gezeigt hat. Carruthers kümmert sich um sie.“
Bryght gab es auf, Einwände zu erheben. Wenn ihm danach war, würde Rothgar vielleicht den König enttäuschen. Aber die Uftons würde er nicht enttäuschen.
Heute würde er überhaupt niemanden enttäuschen. Er bereitete sich auf einen großen Auftritt vor. Die eben erst beobachtete Rasur war sicher schon die zweite an diesem Tag, um alle Spuren dunkler Stoppeln zu entfernen – als Vorbereitung für Puder und Schminke. Das war natürlich wichtig, um erlaucht und zart zu wirken. Wenngleich die übertriebene Pflege am Hof normal war, sollten Rothgars Bemühungen zweifellos seine Maske wiederherstellen – nach der Enthüllung todbringender Kraft beim Duell.
Bryght dachte an Shakespeare. „Die ganze Welt ist eine Bühne ...“ Zuerst die Gewalttätigkeiten während des Duells und dann die eingeübten Kniffe am Hof. Später vielleicht der Esprit eines Salons, die verführerische Magie eines Balles oder die Gefahr der Spieltische. Vor seiner Heirat war er selbst auf diesen Bühnen aufgetreten und hatte es durchaus genossen, aber die vollendete Kunst seines Bruders hatte ihm immer gefehlt.
„Hast du bedacht, dass der König Currys Tod missbilligen könnte?“, fragte er.
„Wenn er mich tadeln möchte, muss er die Gelegenheit dazu erhalten.“
„Und wenn er dich in den Tower werfen will? Dafür sorgt, dass du dich vor Gericht verantworten musst?“
„Dafür gilt das Gleiche. Es war allerdings eine saubere Angelegenheit, vor vielen Zeugen.“
„Dein Todesstoß könnte für unüblich erachtet werden.“
Rothgar drehte sich zu Bryght um. „Willst du, dass ich hier herumschleiche, bis ich die Meinung des Königs weiß? Vielleicht denkst du auch, ich sollte nach Holland fliehen oder mich in die Neue Welt einschiffen?“
So betrachtet gab es keine andere Möglichkeit, als an dem Empfang teilzunehmen, und zwar in voller Pracht. Er hätte es wissen sollen. Hatte Rothgar jemals die falsche Karte ausgespielt?
Sein Bruder war faszinierend und bewundernswert, doch manchmal wirkte er wenig menschlich. Die Beachtung eines jeden Details, selbst der Kleidung für diesen Auftritt, die Tatsache, dass er fast immer auf der Bühne stand und vielschichtige Rollen spielte, konnte nicht spurlos an ihm vorübergehen. Es war nicht der Lebensstil für einen lachenden Engel. Rothgar war immerhin durch schreckliche Verluste und Belastungen geprägt worden.
Vielleicht hatte er schon immer ein stählernes Wesen gehabt, doch vier tragische Tode hatten ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war – ein Mann, der mit neunzehn zu Macht und Verantwortung gezwungen worden war. Ein Mann, der ein kleines Reich aufgebaut hatte, das er nun verwaltete, und der dieses Reich und die Kontrolle darüber vielleicht brauchte, als Schutz vor seinen Verlustängsten.
Oder als Schutz vor der Angst, verrückt zu werden.
Seine Mutter war wahnsinnig geworden und hatte ihr neugeborenes Kind umgebracht. Rothgar, selbst noch ein kleines Kind, war ein machtloser Zeuge gewesen. Manchmal dachte Bryght, dass das Bedürfnis seines Bruders nach Kontrolle auch eine Art von Wahnsinn war. Er versuchte, die Welt zu einer Theaterbühne zu machen, mit ihm selbst als Direktor. Oder vielleicht zu einem der komplizierten Automaten, die er so mochte. Eine Maschine, die von ihm kontrolliert wurde; die ihm ganz allein gehörte und von ihm am Laufen gehalten werden musste; eine Welt, in der er Katastrophen verhindern konnte.
Es war eine eindrucksvolle Leistung, und Rothgar tat wirklich bemerkenswerte Dinge für seine Familie und für England, aber Bryght wollte nicht, dass irgendwelche Leidensprüfungen seinen Sohn so werden ließen wie seinen Bruder. Und doch hatte er zugelassen, dass ihm das Thema entglitten war.
Bevor er den Mut aufbringen konnte, es noch einmal zu versuchen, zog Rothgar vorsichtig seine maßgeschneiderte Jacke an. Die matte stahlgraue Seide warf keinerlei Falten und war auf der gesamten Vorderseite aufwendig mit schwarzen und silbernen, sechs Zoll breiten Stichen bestickt. Fettler glättete die Seide über den Schultern und am Rücken, auf der Suche nach nicht vorhandenen Mängeln. Obwohl Rothgar einen kleinen, reich verzierten Degen trug, wusste Bryght, dass er in einer so engen Kleidung niemals würde fechten können. Zweifellos bedingt durch die Kleidung, sah er jedoch selbst wie eine verzierte Stahlklinge aus.
Seine Kniehosen und seine Strümpfe waren aus demselben Grau. Er schlüpfte in schwarze Schuhe mit silbernen Absätzen und Schnallen und wählte ein schneeweißes Seidentaschentuch, das mit einer raffinierten Seidenspitze umsäumt war. Zum Schluss befestigte Fettler den silbernen Stern des Bath-Ordens an seiner linken Brust, dessen goldenes Kreuz in der Mitte die einzige farbige Stelle an ihm war.
Dann drehte er sich um und verneigte sich mit perfekter Anmut, während er elegant das Taschentuch schwenkte.
Schönheit und Bedrohung präzise vermischt.
Bryght klatschte, und sein Bruder verzog die Mundwinkel. Obwohl Rothgar seine Rolle auf dieser Bühne voll ausspielte, verirrte er sich nicht in der Künstlichkeit wie viele andere. Ihre Welt, das hatte er gegenüber seiner Familie häufig betont, war zwar ein Kostümball, aber ein Ball, bei dem bedeutende Dinge entschieden wurden.
Als sie das Zimmer verließen, umgab sie ein feiner Parfümduft. Rothgar hatte ein wenig auf sein Taschentuch geträufelt, und der Kontrast zu dem billigen Zeug dieses Gecken war schon fast ein paar Tränen wert.
Ebenso wie die Tatsache, dass Bryght sich eine einzigartige Gelegenheit hatte entgehen lassen. „Was Francis betrifft“, sagte er, und er wusste, dass es kein guter Zeitpunkt war.
„Ja?“
Das einzelne Wort klang so kalt wie Stahl, aber Bryght blieb hartnäckig. „Du wirst ihn bei der Reise zu Brands Hochzeit besser kennenlernen.“
„Ich zittere schon vor Freude.“ Aber Rothgar warf ihm einen Blick zu und lächelte. „Er ist ein reizendes Kind, Bryght. Glaubst du, dass Brands Pläne, im Norden zu leben, gelingen werden?“
„Vermutlich schon. Er hat nie Geschmack am eleganten Leben gefunden.“ Doch Bryght war sich darüber im Klaren, dass er abgelenkt worden war. Diesmal etwas freundlicher, aber genauso entschlossen.
„Er wird es nicht vollkommen vermeiden können“, bemerkte Rothgar, als sie den oberen Absatz der geschwungenen Haupttreppe erreichten. „Die Cousine seiner Braut unterhält dort ein großes Anwesen. Ihr Wohnsitz konkurriert mit Rothgar Abbey.“
„Die Peeress von Arradale? Bey –“
„Eine furchteinflößende nordische Kriegerin, mit Waffen in Form von Locken, leuchtenden Augen, Seide und Pistolen. Und sie weiß sie alle geschickt einzusetzen.“
„Bey –"
„Hat Brand dir erzählt, dass sie ihn beinahe umgebracht hat? Und meine Männer und mich hat sie mit ihrer eigenen kleinen Armee natürlich auch in die Flucht geschlagen.“
Belangloses Geschwätz als Verteidigungswaffe, geschwungen wie ein Degen, sodass Bryght kaum eine Möglichkeit fand zu sagen, was er zu sagen hatte.
„Eine Peeress aus eigenem Recht“, fügte sein Bruder hinzu, als sie die Treppe hinuntergingen. „Sie hat beträchtliche Macht und nicht vor, sie zu verlieren.“
Aha! „Nicht jeder mag Macht“, warf Bryght nun entschlossen ein. „Bey, ich will nicht, dass Francis damit belastet wird, dein Erbe zu sein.“
Eisiger Nebel schien sich auf sie niederzusenken. „Dann versichere ihm, wenn er alt genug ist, dass ich mein Möglichstes tun werde, um ihn zu überleben.“
„Ich wünschte, du würdest heiraten, Bey.“
„Nein, Bryght, auch nicht deinetwegen.“
„In der Familie deiner Mutter ist niemand sonst wahnsinnig geworden. Vielleicht war es nur eine vorübergehende Krankheit oder eine Art Ausrasten!“
„Alles muss irgendwann einmal anfangen. Ich will es nicht riskieren.“
„Haben meine Sorgen denn gar keine Bedeutung?“
Sie hatten das Ende der Treppe erreicht, und Rothgar drehte sich zu ihm um. „Ich kümmere mich um die Sorgen meiner ganzen Familie. Eine Möglichkeit wäre, mir das Kind zu überlassen, damit ich es als meinen Erben großziehe.“ Bryght suchte noch nach den passenden Worten, als Rothgar fortfuhr: „Die andere ist, dass ich bald sterbe. Dann wärst du Marquis, und Francis könnte sicher in seine zukünftige Rolle hineinwachsen. Soll ich die Mörder ihre Arbeit machen lassen?“
Die Pest sollte diesen herzlosen Teufel holen. Neben Zuneigung und Freundschaft gab es zwischen ihnen immer auch Rivalität und Gegensätze, die sich aus ihren Rollen ergaben, aus ihrem Wesen und ihrer Geschichte.
Bryght befürchtete, dass es zwecklos war, doch er blieb hartnäckig. „Du könntest heiraten. Riskiere es.“
Rothgar hob die Augenbrauen. „Risikobehaftete Generationen, nur um dir ein paar Sorgen zu ersparen und deinem Sohn eine gewisse Unsicherheit? Ich bin anderer Meinung. Erziehe Francis dazu, jede Bürde zu akzeptieren, die sich auf seine Schultern legen könnte. Es ist die einzige Möglichkeit. Du kannst ihn noch so sehr verhätscheln, die Bürden werden kommen. Das sagt mir zumindest die Erfahrung.“
Er wandte sich ab, ließ sich von einem wartenden Diener Umhang und Hut reichen und trat durch die hohen Flügeltüren hinaus. Für die kurze Reise zum St. James's Palace nahm er in seiner lackierten und mit Gold verzierten Sänfte Platz. Diesmal ignorierte er die wartenden Bittsteller, die darauf hofften, dass sich der Marquis ein wenig Zeit für sie nahm und etwas von seiner Macht und seinem Einfluss für ihre Belange einsetzte.
Die livrierten Träger hoben die Stangen an und machten sich auf den Weg, auf jeder Seite von bewaffneten Dienern begleitet.
Der Marquis von Rothgar war wieder auf der Bühne.
Zitternd vor Wut und nervöser Anspannung wandte Bryght sich ab. Es gab Zeiten, in denen er seinen Bruder gern selbst aufgespießt hätte, wenn er gekonnt hätte.
Harrogate, Yorkshire
„Passt doch auf!“ Die Gräfin von Arradale wich vor der Florettspitze zurück, die ihr Herz bedroht hätte, wäre die Spitze nicht mit einem Knauf versehen gewesen und hätte sie keinen gepolsterten Brustschutz getragen.
Ihr Fechtlehrer zog die Maske von seinem zerfurchten Gesicht. „Ihr übt nicht genug, Mylady.“
Diana zog ebenfalls die Gesichtsmaske ab und reichte sie ihrer wartenden Zofe. „Wie sollte ich auch, Carr, wenn Ihr nicht nach Arradale kommt, um mit mir zu üben?“ Clara hängte die Maske auf und eilte zurück, um die Bänder zu lösen, die den Brustschutz zusammenhielten.
William Carr legte hastig seine eigene Schutzkleidung ab. „Ihr wisst, dass ich Euch verehre, Mylady, aber ich werde nicht zulassen, dass Ihr mich ganz für Euch vereinnahmt.“
Diana warf einen Blick auf den gut aussehenden Iren mit den dunklen, lockigen Haaren und den leuchtenden blauen Augen. Sie hatte ein paar Mal daran gedacht, auf seine Flirtversuche einzugehen, aber sie wusste instinktiv, dass er als Spielzeug zu gefährlich war. Wie die meisten Männer würde er sie nur zu gern besitzen, ihre Macht und ihren Reichtum, und aus ihr eine bloße Ehefrau machen.
„Zumindest mit meinen Schießkünsten werdet Ihr zufrieden sein“, sagte sie, während sie auf einen Spiegel zuging und ihr kastanienbraunes Haar in Ordnung brachte.
„Doch leider wird es Eure Wangen nicht so reizend zum Erröten bringen.“
„Nein? Aber mein Herz wird schneller schlagen.“
„Das ist die Macht, Mylady“, sagte er mit einem matten Lächeln. „Es ist ein Jammer, dass Ihr für die Macht geschaffen seid, und ja, genau dadurch wirkt Ihr noch schöner. Aber auch gefährlich. Sehr gefährlich.“
Sie warf ihm einen beschwichtigenden Blick zu, wenngleich er immer das Richtige zu sagen wusste. Gefährlich. Der Gedanke, dass sie gefährlich war, gefiel ihr.
Der Spiegel sagte ihr, dass Carr die Wahrheit über ihr Aussehen sagte; von der Anstrengung waren ihre Wangen gerötet, und ihre Augen funkelten. Ein Jammer, dass das alles umsonst war. Ja, sie gehörte zu den Frauen, die auf Männer anziehend wirkten, auch ohne Rang, Reichtum und Macht.
Es war ihr Unglück, dass Rang, Reichtum und Macht ihr nicht erlaubten, die Männer zu ermutigen.
Sie drehte sich wieder um. „Kommt, ich zeige Euch, wie gefährlich ich geworden bin. Mit einer Pistole brauche ich keinen Partner, deshalb übe ich allein. Täglich.“
„Ich glaube Euch“, sagte er und hielt ihr die Tür auf, die auf einen sonnenbeschienenen Hof führte. „Ihr liebt es zu gewinnen.“
„Ja.“
„Und Ihr seid immer noch wütend auf Euch, dass Ihr letztes Jahr danebengeschossen habt, obwohl Ihr auf einen Mann feuertet, den Ihr nicht töten wolltet.“
„Natürlich bin ich froh, dass ich Lord Brand nicht getötet habe, Carr, aber ich hätte nicht so wild drauflosschießen dürfen. Das war eine Schwäche.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Ihr müsst mir beibringen, wie man das vermeidet. Wie man in einer Notlage einen sauberen Schuss abgibt.“
Als sie an der Tür zu seiner Pistolengalerie angekommen waren, blieb er stehen. „Sicher, aber wie sollte eine große Lady wie Ihr in eine Notlage geraten?“
„Es ist schon einmal passiert“, erwiderte sie. „Wenn es wieder passiert, muss ich vorbereitet sein. Wären die Umstände so gewesen, wie ich dachte, hätte ich mein Leben verlieren können, und Rosa ebenfalls! Warum sonst arbeite ich so hart daran?“
„Allein der großen Herausforderung wegen, Lady Arradale.“
Bei dieser trockenen Bemerkung lachte sie laut auf. „Das stimmt. Ihr kennt mich zu gut, Carr. Aber auch, weil ich bereit sein werde, mich und die Meinen zu verteidigen, wenn es jemals dazu kommen sollte. Seid mein Lehrer. Seid mein Lehrer und behandelt mich, als wäre ich ein Mann.“
Er schloss die Tür auf und fragte: „Wer bedroht Euch, Mylady? Es wäre eine Ehre für mich, ihn für Euch zu töten.“
„Keiner“, antwortete sie und betrat den langen Raum, wo ihr der abgestandene Geruch von Schießpulver und Rauch in die Nase stieg. Es stimmte, dass sie die Macht von Pistolen liebte.
Dass sie nicht bedroht wurde, stimmte ebenfalls – zumindest nicht körperlich. Ihr Leben floss ruhig und sanft dahin, abgesehen davon, dass sie sich der Existenz eines gewissen Marquis bewusst war.
Sie nahm die speziell für sie angefertigten Waffen aus dem Kasten, um sie zu laden – etwas, das sie immer selbst machte. Während sie Schießpulver in den Lauf der Ersten schüttete, musste sie sich eingestehen, dass sie heute wegen des Marquis hierhergekommen war. Sie hatte Carr seit Monaten nicht besucht, aber die Nachricht, dass der Finstere Marquis bald nach Norden kommen würde, hatte sie hierher getrieben, um ihre Fertigkeiten zu trainieren.
Während sie die Kugel mit Stoff umwickelte und in den Lauf stopfte, dachte sie an ihre letzte Begegnung. Sie hatte ihn mit der Pistole bedroht und schließlich verjagt. Und er war kein Mann, der eine Niederlage vergaß.
Sie legte die Pistole zur Seite und nahm sich die andere vor. Jene gewaltsame Begegnung war nicht der einzige Grund für das nervöse Prickeln, das sie empfand.
Oh nein – sie stopfte die nächste Kugel nach unten – es war die Erinnerung an ihn, an die Wirkung, die er auf sie hatte. Als er letztes Jahr im Norden gewesen war und sie zu Hause besucht hatte, hatten sie sich ständig gegenseitig herausgefordert, meistens mit Worten. Die verbalen Fechtkämpfe waren jedoch in einen Flirtwettkampf übergegangen.
Sie öffnete die Pfanne, um das feine Pulver hineinzugeben, hielt jedoch gedankenverloren inne.
In einer unvergesslichen Nacht hatte er versucht, sie zu verführen. Er hatte es nicht ernsthaft gewollt – es war Teil ihres ständigen Wettkampfes gewesen, und er hatte sie testen wollen –, doch die Erinnerung daran hatte seitdem dauernd an ihrer Vernunft und ihrem Verstand genagt.
Nach ihrer Weigerung hatte er gesagt: „Solltet Ihr jemals Eure Meinung ändern, Lady Arradale ...“
Jene Worte waren es, die sie Tag und Nacht verfolgten, und es hatte viele verrückte Momente gegeben, in denen sie sich gewünscht hatte, sie hätte dieses zynische Angebot angenommen.
Sie schüttelte den Kopf und ließ das Pulver vorsichtig in die Zündpfanne rieseln. Der Marquis stellte keine körperliche Bedrohung dar, das nicht; trotzdem hatte sie im letzten Jahr intensiver als je zuvor schießen geübt.
Im Moment übte sie täglich und hatte sich trotz ihres ausgefüllten Tagesablaufs Zeit genommen, hierher zu kommen, vor allem um Carr zu sehen. Denn der Marquis kam wieder nach Norden, kehrte zurück, um Unruhe in ihr Land und ihren Seelenfrieden zu bringen.
Sie schloss den Pfannendeckel und füllte danach die Pfanne der anderen Waffe. Dann entsicherte sie die erste Pistole, sodass der Hahn gespannt und die Pistole schussbereit war. „Wenn mich jemand bedroht, Carr, komme ich selbst mit ihm klar.“
Als sie jedoch ihre Position vor den Zielscheiben einnahm – grob stilisierte Figuren mit roten Herzen als Ziel war ihr bewusst, dass auch ein Herzschuss keine Verteidigung gegen die Bedrohung war, der sie entgegensah.
Es wurde Mittag, und die Menschen strömten durch das Pförtnerhaus an der Pall Mall in das Labyrinth aus alten Gebäuden, das als St. James's Palace bekannt war. Kabinettsminister waren darunter, Offiziere, erschöpfte Höflinge, und auch Landedelmänner, die einmal im Leben eine Audienz beim König haben wollten. Sie alle trugen das komplette Hofkostüm – elegante Kleidung, kleiner Degen, gepudertes Haar –, da sie ansonsten nicht empfangen worden wären.
Diejenigen, die daran gewöhnt waren, dies zwei- oder dreimal pro Woche mitzumachen, schlenderten über den Hof und unterhielten sich oder hatten andere Dinge im Kopf. Die Gentlemen vom Land allerdings blickten mit großen, erwartungsvoll leuchtenden Augen umher. Den König so nah vor sich zu sehen. Empfangen zu werden. Ein oder zwei Worte mit ihm zu wechseln!
Die Träger des Marquis brachten ihn durch das Pförtnerhaus in den großen Innenhof, wo er ausstieg und sich die üppige Spitze an den Handgelenken zurechtrückte. Er nahm von verschiedenen Seiten Grüße entgegen und schätzte die Stimmung ein. Neugier und eine gewisse erregte Erwartung, dass er im Tower enden könnte. Das war nicht unwahrscheinlich. Der junge König war schwer einzuschätzen, auf ihm lastete die Gewissheit, moralischer Führer seines Reiches zu sein.
Rothgar entdeckte seinen Sekretär bei zwei staunenden Landherren und schlenderte zu ihnen hinüber. Bevor Carruthers sie vorstellen konnte, trat der ältere Mann vor und verneigte sich. Er war groß und kräftig, fühlte sich jedoch offensichtlich unwohl in seiner prächtigen Kleidung. „Verehrter Herr Marquis! Wir sind Euch sehr zu Dank verpflichtet.“
Rothgar verneigte sich ebenfalls. „Durchaus nicht, Sir George. Ich bin erfreut, Euch in London zu sehen. Dies ist gewiss Euer Sohn ...“ Während er sprach, blinzelte er seinem Sekretär zu, der ‚George‘ mit den Lippen formte. Er unterdrückte ein Lächeln und fügte ‚George‘ hinzu.
Der hübsche, ein wenig benommen wirkende junge Mann verneigte sich ebenfalls und hielt dabei vorsichtshalber seinen kleinen Degen fest. Diese Dinger waren bekanntermaßen tückisch und hatten schon viele Damen zu Fall gebracht oder gelegentlich gar an unglücklichen Stellen getroffen. Der junge George wurde offenbar zu einem ebenso tadellosen Mann erzogen, wie sein Vater einer war.
Der Marquis schlug vor, ins Gebäude hineinzugehen. „Ich hoffe, meine Leute haben dafür gesorgt, dass Eure Reise nach London ganz nach Euren Wünschen war, Sir George.“
„Das haben sie gewiss, Mylord!“, beteuerte Sir George und berichtete von all den wunderbaren Dingen, während sie in Richtung Empfangssaal gingen. Als sie sich dem Saal näherten, fing er jedoch nervös und aufgeregt an zu stammeln. „Glaubt mir, Mylord, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
„Lasst Euch von Seiner Majestät leiten, Sir George, aber sprecht zu ihm. Er beschwert sich bei solchen Anlässen vor allem darüber, dass die Leute ihn nur anstarren und ‚Ja, Sir‘, ‚Nein, Sir‘ sagen.“
„Sehr wohl, Mylord!“ Sir George sah aus, als müsste er kräftig schlucken. „Nun, die Sterne mögen mir beistehen, ich werde mein Bestes geben. Aber du, Georgie“, sagte er zu seinem Sohn, der ihnen folgte und dabei die Waffensammlung an den getäfelten Wänden anstarrte, „du bleibst besser bei ‚Ja, Sir‘ und ‚Nein, Sir‘. Hast du gehört?“
„Ja, Vater!“
Rothgar verbarg ein Lächeln. Empfänge waren eine langweilige Verpflichtung, und er genoss es, seine Nachbarn vom Land vorzustellen. Mit ihren Augen betrachtet gewannen die Empfänge an Frische und Würze und erinnerten ihn daran, dass es ein Hauptmerkmal des englischen Staates war, dass anständige Männer Zutritt zum König erhielten. Er bedauerte, das Duell nicht um einen Tag verschoben zu haben. Er würde dafür sorgen, dass die Uftons in keine Unannehmlichkeiten gerieten, aber wenn der König beschloss, Duelle und den Tod zum großen Thema zu machen, würde es ihre Begeisterung beeinträchtigen.
Sie betraten den Empfangssaal, der reich mit Wandteppichen und Gemälden geschmückt war, jedoch keine Möbel enthielt, und stellten sich in den Kreis, der sich an der Wand formierte. Rothgar wählte einen Platz neben anderen Leuten vom Land, und schon bald unterhielten sich die Uftons angeregt mit ihresgleichen. Unterdessen kamen mehrere Männer zu Rothgar und sprachen mit ihm. Keiner von ihnen missbilligte das Duell, aber was die Folgen betraf, waren einige offensichtlich unsicher. Diejenigen, die ihn plötzlich ignorierten, entgingen ihm ebenfalls nicht.
Als der König schließlich eintraf, war ihm seine Stimmung nicht anzusehen. George III. war erst fünfundzwanzig, groß und ansehnlich, hatte eine frische Gesichtsfarbe und große, blaue Augen. Da er seine Aufgabe ernst nahm, ging er langsam im Raum umher und blieb bei jedem Mann stehen, um mit ihm zu sprechen. Selbst wenn er über Rothgar nachdachte, so ließ er es sich nicht anmerken. Während er sich durch den Raum bewegte, bildete er den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.
Der König sprach kurz mit dem Earl of Marlbury, der neben Rothgar stand, dann schweifte sein Blick ernst und nachdenklich weiter. Rothgar spürte, wie der ganze Raum den Atem anhielt und sich fragte, ob man einem Ereignis beiwohnen würde, das es wert war, an die Nachkommen überliefert zu werden.
Dann senkte der König den Kopf. „Verehrter Herr Marquis, wir sind erfreut, Euch gesund hier zu sehen. Sehr erfreut.“
Ein Raunen ging durch den Saal, und Rothgar verneigte sich. „Euer Majestät ist gütig wie immer. Darf ich Euch Sir George Ufton von Ufton Green in Berkshire und seinen Sohn George vorstellen?“
Von da an ging alles glatt. Sir George erzählte kurz und überlegt von den Umständen bei ihm zu Hause. Dann fragte der König den jungen George, ob er seinen Aufenthalt in London genieße und bekam ein nervöses ‚Ja, Sir‘ zur Antwort.
Danach ging er weiter.
Sir George stieß einen tiefen Seufzer aus. Rothgar unterdrückte jegliches Zeichen von Erleichterung. Er erlaubte sich keinerlei Siegeszeichen, als er die Verbeugungen der vorbeigehenden Kabinettsminister erwiderte, auch wenn einige ihn immer noch als Rivalen ansahen.
Wenngleich es durchaus gestattet war, den Saal zu verlassen, sobald der König vorbeigegangen war, ließ Rothgar den Uftons einen Moment Zeit, sich von ihrem Erlebnis zu erholen, bevor er sie nach draußen an die frische Luft geleitete. Carruthers erwartete sie und übergab sie einem livrierten Diener, der ihnen noch mehr Attraktionen zeigen würde. Danach nahm er Rothgar beiseite und teilte ihm mit, der König hätte ihn zu einer privaten Audienz bestellt.
„Aha, ich bin also noch nicht komplett entkommen“, murmelte Rothgar, und selbst sein diskreter Sekretär blickte ihn gequält an.
Er machte sich zum Schlafgemach des Königs auf, das nur noch für Audienzen genutzt wurde. Er wusste, dass man ihn keinesfalls schelten, sondern umgarnen würde, und danach würde der König ihn um seinen Rat in anstehenden komplexen Angelegenheiten bitten.
Manchmal ermüdete ihn diese Rolle. Manchmal wünschte er sich sogar, wie Sir George zu sein, nur verantwortlich für ein kleines Anwesen und seine Familie. Er war jedoch in diese Pflichten hineingeboren, und Gott hatte ihm das Talent gegeben, seinem Land von Nutzen zu sein. Er konnte sich nicht heraushalten, ohne dabei seine Ehre zu verlieren.
Nach seiner Rückkehr nach Hause zog Rothgar erleichtert sein steifes Hofkostüm aus und veranlasste einige Dinge, die aus dem Gespräch mit dem König resultierten.
Obwohl der Friedensvertrag mit Frankreich unterzeichnet worden war, gab es in Paris immer noch Leute, die wieder den Krieg herbeisehnten und die Niederlage ungeschehen machen wollten. Es war notwendig, ihre Pläne zu kennen und auf ihre Spione in England Acht zu geben. Rothgar konnte häufig Informationen beschaffen, die offizielle Ermittler nicht herausfanden, vor allem, weil er ein eigenes Netz von Spionen unterhielt.
Als Nächstes kümmerte er sich um einen Stapel von Dokumenten, die er mit einem Siegel versehen und unterschreiben musste. Dann wandte er sich belanglosen Dingen zu, Briefen und Listen von Leuten, die auf seine Dienstleistungen oder seine Gönnerschaft hofften. Er blätterte sie beiläufig durch, weil er nicht in der Stimmung für solche Dinge war, bis er bei einem Päckchen angelangt war, das ihm ein Verleger geschickt hatte.
Es enthielt eine Auswahl von Gedichten. Er überflog sie und legte einige beiseite, weil sie interessant schienen. Dann stieß er auf ein paar Seiten, die den Titel Diana, eine Kantate trugen. Sie wurde Monsieur Rousseau zugeschrieben, war jedoch ins Englische übersetzt. Ein leichtes Stück, aber da ihm sofort eine andere Diana in den Sinn kam, auch ein interessantes.
Die Sonne schon fast am Horizont verschwand,
Als die keusche Diana und ihre Jungfernschar ...
Lady Arradale. Sie hatte einen festen Charakter, einen offenen Blick und einen Körper, der für die Liebe geschaffen war.
Wahrscheinlich war sie jedoch eine keusche Jungfrau und darüber nicht gerade glücklich.
Eine Abschrift davon könnte ein amüsantes Geschenk sein.
Er verstand ihren Beschluss, nicht zu heiraten, aber eine solche Entscheidung forderte ihren Preis, besonders für eine Frau. Sicher fiel es ihr nicht leicht, ihre weiblichen Bedürfnisse zu befriedigen. Außerdem war eine unverheiratete Frau für viele Menschen eine Beleidigung des Himmels; als alte Jungfer dazu bestimmt – in den Worten Shakespeares –, Affen in die Hölle zu geleiten.
Aus irgendeinem Grund hatte der König heute nach ihr gefragt, und sicher gehörte er ebenfalls zu denen, die beleidigt waren. Wenig angetan war George vor allem von der Vorstellung, dass sich eine junge alleinstehende Frau in der besonderen Position befand, die Peerswürde mit ererbtem Besitz im Oberhaus innezuhaben.
In der Hoffnung, dass der konventionelle König ihre Existenz komplett vergaß, hatte Rothgar gleichgültige Antworten gegeben. Die Könige von England waren durch viele Regeln eingeschränkt, aber sie hatten immer noch Biss.
Rasch las er den Text der Kantate durch. Sie beschrieb einen Angriff der Göttin Diana auf Amor, also auf die Liebe. Das würde der Gräfin gefallen, dachte er. Würde es auch als Warnung dienen? Am Ende ging ein Pfeil daneben, und Diana unterlag der Liebe.
Vielleicht, dachte er, als er die Seiten zu den interessanten Gedichten legte, sollte er auch eine Abschrift davon bei sich haben.
Er war sich darüber im Klaren – über solche Dinge war er sich immer im Klaren –, dass Lady Arradale einen lauernden Pfeil darstellte. Sie war hübsch und lebhaft, doch das waren nur ihre unbedeutendsten Reize. Wegen ihrer ungewöhnlichen Stellung war sie zu einer außergewöhnlichen Frau geworden, klug, kühn und tapfer.
Sie war außerdem eigensinnig, impulsiv und vielleicht sogar verwöhnt. Normalerweise würden solche Eigenschaften jegliches Interesse seinerseits zum Erlöschen bringen, aber in ihrem Fall riefen sie seinen Beschützerinstinkt hervor. Als Cousine von Brands Braut gehörte sie fast zu seinem Heiligtum, seiner Familie.
Ein weiser Mann vermied die Gefahr. Während er seinen Siegelring am Finger auf und ab schob, zog er in Betracht, überhaupt nicht an Brands Hochzeit in Yorkshire teilzunehmen. Dann würde er gar nicht erst in die Reichweite des Pfeiles gelangen.
Die übrige Familie plante jedoch hinzufahren, und er wollte das glückliche Ende von Brands Abenteuer miterleben.
Er prüfte, ob er noch irgendwelche Papiere übersehen hatte, und stand vom Schreibtisch auf. Er konnte ruhig hinfahren. Die Komplikationen, die sich aus dem Ende des Krieges mit Frankreich ergaben, boten Grund genug, rasch nach London zurückzukehren. Zusätzlich würde er veranlassen, dass Carruthers ihm per Eilboten Unterlagen zuschickte, um ihm die aktuelle Lage zu verdeutlichen.
Ein Abwehrmanöver, aber ein kluges. Man überlebte am ehesten, wenn man der Gefahr aus dem Weg ging. Er würde einen Tag vor der Hochzeit ankommen und am Tag danach abreisen. Drei Tage. Es würde ihm leicht fallen, drei Tage lang Verwicklungen mit der Gräfin zu verhindern.
Als er das Zimmer verließ, um sich auf seine abendlichen Verpflichtungen vorzubereiten, war ihm jedoch bewusst, dass es viele historische Dramen gab, ja sogar Tragödien, die das Gegenteil bewiesen.
Drei Tage waren Zeit genug für eine komplette Katastrophe.
Drei Tage, sagte sich Diana, als sie auf das Signalhorn des Pförtners wartete, der die Ankunft der Malloren-Kutschen ankündigte. Er würde nur drei Tage bleiben. Sie konnte diese drei Tage überstehen, ohne in irgendeine Katastrophe zu geraten.
Trotz dieser Vorsätze spannte sich jedoch jeder einzelne Nerv an, als das Horn in der Ferne ertönte. In früheren Tagen hatte jenes Horn zum Beobachtungsstand des Schlosses gehört und vor Feinden gewarnt. Vielleicht hatte sie die Erinnerung daran noch im Blut, denn ihr Herz begann zu rasen und ihr Mund wurde trocken.
Sie zwang sich zur Vernunft. Dies war kein Überfall. Es war eine Feier des Hauses und eine Hochzeit. Sie würde die perfekte Lady sein, der Marquis der perfekte Gentleman, und in drei Tagen würden sie sich wieder trennen.
Mit etwas Glück diesmal für immer.
„Diana?“
Sie fuhr herum und erblickte ihre Mutter. Die verwitwete Gräfin komplizierte alles, indem sie nicht nur eine, sondern zwei Hochzeitsglocken läuten hörte. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass Dianas Nervosität aus ihrer Zuneigung für den Marquis resultierte.
„Das sind die Mallorens, vermute ich“, sagte ihre Mutter beiläufig. „Gehst du nicht hinunter, um sie zu begrüßen?“
„Ja, natürlich, Mutter.“
Die Lippen ihrer Mutter verzogen sich zu einem fast schelmischen Lächeln. „Du hast Arradale von innen nach außen gekehrt, um alles herzurichten, meine Liebe, und du gehst schon eine Stunde lang hier im Raum auf und ab, und jetzt zögerst du. Was ist mit dir los?“
Keine mädchenhafte Aufregung, Mutter.
„Nichts“, sagte Diana mit gezwungenem Lächeln und eilte vor diesem wissenden Blick davon.