Das Haus am See - Olaf Lange - E-Book

Das Haus am See E-Book

Olaf Lange

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Beschreibung

Mike und Mary sind glücklich verheiratet und leben in einem kleinen idyllischen Ort in Nevada am Ufer eines Sees. Doch die Harmonie wird getrübt durch unheimliche Geschichten, die sich die Anwohner über den See erzählen. Noch dazu hat Mary ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz in ausgerechnet diesen See verloren. Seitdem hat die junge Frau panische Angst vor dem Wasser und meidet den See aufs Äußerste. Als eines Tages ein Flugzeug auf dem See treibt und ein Suchtrupp der Polizei anrückt, findet dieser abscheuliche Kreaturen auf dem Seeboden. Es scheint, als ob die Absturzopfer als lebende Tote im See gefangen wären. Mithilfe eines Spezialisten auf dem Gebiet Indianerzauber wollen Mike und Mary den Fluch brechen.

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Seitenzahl: 398

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Das Haus am See
Olaf Lange
Erschienen im novum pro Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und -auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2010 novum publishing gmbh
ISBN Printausgabe: 978-3-99003-160-5
ISBN e-book: 978-3-99003-622-8
Lektorat: Susann Säuberlich
Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.
www.novumpro.com
AUSTRIA · GERMANY · HUNGARY · SPAIN · SWITZERLAND
Kapitel 1
Mike stand grinsend am Seeufer und hielt noch immer die Axt in seiner Hand. Er holte weit aus und schlug erneut zu. Grobe Holzsplitter flogen durch die Luft. Mit der anderen Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
„Geschafft, das erste ist fertig“; sagte er laut zu sich selbst, warf die Holzscheite zu den anderen Holzresten auf einen Haufen und betrachtete sein Werk.
Das erste von geplanten zehn, dachte er und stand stolz vor dem ersten fertig gestellten Holzhaus.
Weitere sollten folgen. Doch die mussten noch etwas warten.
Zwei weitere, noch im Rohbau befindliche standen in einiger Entfernung und warteten auf ihre Fertigstellung.
Endlich Urlaub. Wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet! Es war ein langes und anstrengendes Jahr, dachte Mike, als er sein Werkzeug zusammenpackte. Er war Zimmermann und baute Ferienhäuser.
Die Stadtverwaltung hatte ihm einen lukrativen Auftrag erteilt. Mike sollte zehn Holzhäuser am Ostufer des Sees errichten.
Besser konnte es im Augenblick nicht laufen.
„Aah“, schrie Mike plötzlich und fasste sich an die Stirn. Ein stechender Schmerz durchbohrte sein Gehirn, als würde jemand eine heiße Stricknadel durch seinen Schädel bohren.
„Aah“; erneut schrie Mike auf und stürzte auf die Knie, die Axt glitt ihm aus der Hand und fiel zu Boden.
Mit beiden Händen hielt er seinen Kopf, und obwohl er seine Augen geschlossen hatte, tanzten bunte Bilder vor seinem Gesicht. Mike konnte sie anfangs nicht entziffern, es waren bunte, schnell wechselnde und flimmernde Bilder, scheinbar ohne Sinn.
Die Bilder verschwanden wieder und Mike öffnete langsam seine Augen.
Er kniete am Seeufer und beobachtete die Wasseroberfläche, die ruhig und spiegelglatt vor ihm lag. Plötzlich färbte sich das Wasser rot, es brodelte und schien sich in eine kochende, rote Brühe zu verwandeln. Leichte Nebelschwaden bildeten sich auf der Wasseroberfläche und zogen einen grauen Schleier über den gesamten See.
Blubb, blubb, hörte Mike an verschiedenen Stellen vor sich aus dem Nebelschleier und plötzlich konnte er einzelne, dunkle Schatten auf der Wasseroberfläche erkennen. Sie trieben langsam Richtung Ufer.
Sieht aus wie Treibholz, dachte Mike. Er griff nach einem der Schatten. Der fühlte sich weich und feucht an, fast glitschig. Mike packte fester zu und zog dieses schleimige Etwas näher an sich heran.
„Aaaah“, schrie er erneut, während er auf einen menschlichen Arm starrte, den er in der Hand hielt.
Er musste sich im Endstadium der Verwesung befinden, Mikes Finger drangen in das faulende Fleisch wie in feuchten Schlick, es stank fürchterlich. Er ließ sofort wieder los, sein Magen rebellierte und begann pulsierend, Mikes letzte Mahlzeit wieder hinauf zu befördern. Mike konnte den Brechreiz gerade noch unterdrücken.
Er schaute über die Wasseroberfläche und entdeckte noch mehr Leichenteile, die sich auf dem Wasser langsam auf und ab bewegten. Beine, Arme, einen Schädel, mehrere Rümpfe. Teilweise bis auf die Knochen verwest, als hätte ein wildes Tier, das nicht von dieser Welt stammte, eine Ausgeburt der Hölle, diese Menschen zerfetzt, ihre Körper ausgelutscht und nach seinem Blutrausch die Überreste einfach in den See gespuckt.
Plötzlich durchbohrte wieder dieser unerträgliche Schmerz Mikes Gehirn. Er schrie auf und presste beide Hände gegen seine Schläfen. Dunkelheit überfiel ihn und er sackte zusammen.
Es dauerte eine Weile, bis er wieder zu sich kam. Sichtlich benommen rappelte er sich auf, drehte sich um und schaute hinüber zum See.
Nichts zu sehen, dachte Mike, alles beim Alten. Gott sei Dank.
Aber was war das?
Mike wusste es nicht, noch nicht. Früher hatte er ähnliche Erlebnisse, konnte sich kaum noch daran erinnern oder wollte sich nicht erinnern. Es waren meist traumähnliche Visionen, aber sie waren niemals so schaurig wie diesmal, Albträume im Wachzustand, aber immer in Verbindung mit einer Ohnmacht, aus der Mike dann zwar geschwächt und erschöpft, aber überaus erleichtert erwachte, wenn er merkte, dass sich das Erlebte nur in seinem schmerzenden Hirn abgespielt hatte.
Diesmal würde er Mary, seiner Frau, nichts davon erzählen. Wäre wohl besser so. Sie muss nicht alles wissen, dachte er, würde ihn wohl für bescheuert halten.
Vielleicht bin ich ja wirklich nicht ganz dicht, dachte Mike, niemand weiß doch, was in seinem Gehirn vor sich geht, eine einzige Fehlschaltung in dieser gelartigen Masse reicht doch bereits aus, um jemanden für den Rest seines Lebens in einen zitternden und sabbernden Idioten zu verwandeln, der wahrscheinlich noch glaubt, Napoleon oder ein Besucher von einem fernen Planeten zu sein.
Mike raffte sein Werkzeug zusammen, als wäre nichts geschehen, warf es in eine selbst zusammen gezimmerte Holzkiste und schob diese in seinen alten Kombi.
Es war ein alter Volvo, fünfzehn Jahre alt, feuerrot, der an allen Ecken rostete. Doch er hatte Mike noch nie im Stich gelassen.
„Ja, altes Mädchen. Was wir nicht alles schon zusammen erlebt haben, was?“, sagte Mike und schlug die Heckklappe zu.
Mit dem Wagen hatte er fast die halbe USA durchquert, von Philadelphia nach New York, über South Carolina nach Florida. Dann reiste er nach Westen von Kansas über Colorado nach Nevada.
Doch sein Traumziel war noch offen, Kalifornien.
Mike dachte oft an die Zeit zurück, als er allein unterwegs war, ohne festes Ziel, einfach nur dem scheinbar endlosen Highway folgend, aus dem alten Autoradio erklang Jimi Hendrix, aufgenommen auf Kassette, und er träumte davon, selbst bei Woodstock dabei gewesen zu sein.
„Hendrix, Cocker, Santana, ja, Mary, das ist nicht nur einfach Musik, das ist eine Lebensphilosophie“, schwärmte Mike ihr immer wieder vor, „die machen nicht nur einfach Musik, um zu leben, nein, die leben, um Musik zu machen.
Verstehst du den Sinn?“
„Die Zeiten sind vorbei, werde erwachsen, übernehme Verantwortung“, hörte er Marys Stimme.
Ja, ja, wie meine Mutter, dachte er, wenn Mary ihn wieder in die Realität zurückholte, während er von der „guten alten Zeit“ schwärmte und Mary zu einem spontanen Trip nach Kalifornien oder sonst wo hin überreden wollte.
Aber doch, einen spontanen Trip hatten sie gemeinsam unternommen, doch das Ziel gehörte nicht gerade zu Mikes Traumzielen. Las Vegas.
Vor einem Jahr waren sie dort.
Sie haben in Vegas geheiratet.
Mary träumte schon immer von einer Hochzeit in Vegas, in einem weißen Hochzeitskleid mit anschließender Fahrt in einer Limo auf dem Strip.
Mike hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Gedanken übers Heiraten gemacht. Ihm ging das eigentlich alles viel zu schnell. Er war gerade mal achtundzwanzig und hätte gut und gerne noch zehn Jahre warten können.
Doch dann ließ er sich doch von Mary überreden. Mike wusste nicht, was ihn in diesem Augenblick geritten hatte.
Und schließlich buchten sie das „All-inclusive-Hochzeitswochenende“ im Luxor inklusive Limo und Hochzeitssuite.
Sie fuhren mit dem Wagen nach Vegas – Mike bestand darauf.
„Wenn wir nach Vegas reisen“, sagte er damals zu Mary, „dann standesgemäß, mit dem eigenen Wagen.“
Und wenn wir angekommen sind, fahren wir mit der Karre den Strip einmal rauf und wieder runter.“
Außerdem war die Fahrt mit dem Wagen günstiger als eine Busfahrt, auch ein Argument für Mike.
Mary war es im Grunde egal, Hauptsache Las Vegas.
Mary hatte sich sofort in diese Stadt verliebt, und wenn am Abend das Lichtermeer der Casinos die Stadt erhellte, stand sie fassungslos am Strip, mit Tränen in den Augen bestaunte sie diesen, wie sie sagte, traumhaften Ort.
Auch das Hotel war ein Traum. Mary kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Sie hatte schon viel von Las Vegas gehört, „aber das muss man einmal selbst erlebt haben, es war unbeschreiblich“ sagte sie immer wieder.
Sie wurden nach dem Frühstück mit einer Limousine abgeholt und standen bald darauf vor dem Hotel, das einer ägyptischen Pyramide nachempfunden war, und warteten auf den Wagen. Mary hatte sich im Hotel ein Hochzeitskleid ausgeliehen, Mike einen passenden Anzug, in dem er sich überhaupt nicht wohlfühlte.
Dann ging es endlich los.
Und ruck, zuck war es auch schon wieder vorbei. In die Limo gesprungen, zur Kapelle gefahren, willst du Mary heiraten? Ja. Willst du Mike heiraten? Ja. Kuss. Rein in die Limo, ab zum Hotel, 240 Dollar.
Und schon standen sie wieder vor dem Hotel.
„Und was jetzt?“, fragte Mike.
„Jetzt sind wir verheiratet“, antwortete Mary und umarmte Mike, „jetzt sind wir Mann und Frau.“
Sie verbrachten noch das Wochenende in Vegas und machten sich am Montagmorgen wieder auf den Rückweg.
Sie lebten mitten in Nevada, umgeben von einigen Maisfarmen, in einer kleinen Stadt, eher einem Dorf, mit einem Rathaus, einer Kirche, einer kleinen Kneipe und einem Supermarkt.
In einer Stadt, in der schon seit 100 Jahren nichts Aufregendes geschehen war – abgesehen von einem tragischen Flugzeugabsturz vor vier Jahren vor der Stadt, doch daran wollte niemand mehr denken und schon gar nicht darüber sprechen – und in der wohl auch in den nächsten 100 Jahren nichts Aufregendes geschehen würde.
Mary wurde hier geboren, so wie ihre Eltern und ihre Großeltern.
Sie lernte Mike vor zwei Jahren kennen. Er war auf der Durchreise, auf der Suche nach einem Job.
Er war zwar Zimmermann, doch er hatte schon als Automechaniker, als Dachdecker, Holzfäller, ja sogar als Kellner gearbeitet. Doch der Kellnerjob war nur eine Notlösung, das war nun wirklich nicht seine Welt.
Es war an einem Freitagabend im August, als Mike damals in die Stadt kam. Die Sonne ging gerade unter, doch die Luft kühlte nicht ab, es war unerträglich heiß.
Mike fuhr mit seinem alten Kombi die Route 23 entlang, die mitten durch den Ort führte.
Am Ortseingang erblickte Mike das Schild von Bens Motel, fuhr zunächst jedoch weiter, denn er brauchte erst einmal einen Drink.
Es waren kaum Leute auf der Straße. Hier ist ja der Hund begraben, dachte Mike. Hier werde ich bestimmt nicht alt.
Die Stadt ähnelte mit ihren Holzhäusern, die sich links und rechts entlang der Straße aneinanderreihten, einer alten Westernstadt.
Hier und da klaffte eine Lücke in der Häuserkette, einige Gebäude waren bereits durch moderne Wohnhäuser ersetzt.
Das Zentrum bildeten die Kirche und die gegenüberliegende Kneipe. Sogar diese ähnelte äußerlich einem Saloon.
Nur dass vor ihr keine Pferde standen, sondern einige Autos, und die waren wahrscheinlich genau so alt wie die Stadt selbst.
Mike lenkte seinen Wagen in Richtung Kneipe und parkte ihn in eine freie Lücke.
Er war den ganzen Tag unterwegs gewesen, legte nur eine kurze Pause ein, zum Tanken, Pinkeln, und kaufte an der Tankstelle noch eine Coke und Zigaretten.
Mehr hatte die kleine, verfallene Holzhütte mitten in der Wüste auch nicht zu bieten. Vor dem Haus stand eine einzige Tanksäule, Sand, so weit das Auge reichte.
Weit und breit nur Sand. Mike glaubte nicht, dass hier jemand lebte, doch als er seinen Wagen neben der Tanksäule abstellte, öffnete sich die notdürftig zusammen gezimmerte Tür des zum Teil verfallenen Hauses und ein zwei Meter großer Einheimischer trat heraus. Blaue Latzhose, freier Oberkörper, Cowboyhut und Sandalen, ja, ein Einheimischer, dachte Mike.
„Was darfs denn sein?“
„Volltanken, bitte.“
„Hast du Geld?“
„Jau“, sagte Mike kurz, griff in seine Hosentasche und wedelte mit einigen Zwanzigern in der Luft herum.
Überzeugend, denn augenblicklich steckte der Tankrüssel in Mikes altem Kombi.
„Habt ihr Zigaretten?“
„Jau.“
„Camel?“
„Jau.“
„Habt ihr Coke?“
„Jau, aber nicht kalt.“
„Egal, nehm ich. Eine Camel, eine Coke. Und den Sprit.“
„Jau, macht 45,80.“
Mike drückte dem „Einheimischen“ das Geld in die Hand, der schlürfte zurück in die windschiefe Hütte und kam nach einem kurzen Moment wieder heraus, in den Händen die Zigaretten und die Coke.
„Gibt’s hier irgendwo ein Motel?“, fragte Mike, während er versuchte, die hartnäckige Folie von der Zigarettenschachtel zu entfernen.
„Jau.“
„Und wo?“
„Weiter Richtung Westen.“
„Ja, wunderbar. Und wie weit ist es bis dort hin?“
„Weiß nicht genau. Vielleicht zwei- oder drei … mmh … hundert Meilen.“
„Wie weit? Und der nächste Ort?“
„Das ist der nächste Ort.“
„Alles klar. Danke für das Gespräch. Dann mach ich mich mal auf den Weg.“
„Jau.“
Ich glaube, der lebt schon etwas zu lange hier draußen, dachte Mike, stieg in seinen Wagen und lenkte ihn zurück auf die Straße.
Die nächsten fünf Stunden kamen ihm ewig lang vor.
Die Route 23 wollte einfach nicht enden. Links und rechts nur Steppe, weit und breit kein Haus, kein Mensch, nur hin und wieder ein Truck, der schnaufend und irgendwie bedrohlich entgegen kam und mit lautem Brummen an ihm vorbei donnerte und dabei ein kurzes Hupkonzert gab.
Nun war er angekommen, noch nicht am Ziel, so glaubte er, aber doch an einem Ort, an dem es immer noch besser war, als die Nacht in der Wüste zu verbringen.
Mike griff ins Handschuhfach, nahm die Zigaretten heraus und steckte sie in seine Hemdtasche. „Scheiß Qualmerei“, sagte er laut zu sich selbst.
Er hatte schon so oft versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, doch länger als drei Tage hat er nie durchgehalten.
Er stieg aus dem Wagen, sah noch einmal Richtung Westen, die Sonne verschwand gerade am Horizont.
Dann ging er zielstrebig zur Eingangstür der kleinen Kneipe. Darüber hing ein Schild mit der Aufschrift: „anno 1889“.
Ich wusste es, hier trank schon Billy the Kid seinen Whisky, dachte Mike und musste grinsen.
Er öffnete die Eingangstür und ein Gemisch aus Zigarettenrauch und Westernmusik, die aus einer alten Musikbox dröhnte, strömte ihm entgegen.
Mike trat ein.
Warum wusste ich, wie es hier aussieht, dachte er. Der Raum war dunkel, der Zigarettenrauch sammelte sich an der Decke, über der Theke baumelten einige Lampen mit grünen Stoffschirmen, in einer Ecke befand sich die Musikbox, aus der eine rauchige Frauenstimme von alten Zeiten sang, als die Männer noch mit Pferd, Hut und Cowboystiefeln unterwegs waren. In der anderen Ecke stand ein Billardtisch, anscheinend der Treffpunkt der Jugend dieser Stadt.
Mike setzte sich an einen freien Tisch direkt neben der Tür.
Und da kam auch schon die Bedienung auf ihn zu, die einfach super in diesen Schuppen passte: groß, blond, weiße Bluse, weiter Rock und Cowboystiefel.
Wie im Film, dachte Mike.
„Hey.“
„Hey, was darf’s denn sein, Fremder?“
Sie schauten sich beide einige Sekunden schweigend an und fingen dann laut an zu lachen.
„Ein Bier, … und wo finde ich hier in dieser Stadt den Hufschmied?“
Und wieder mussten sie lachen, so laut, dass sie die Musikbox übertönten.
„Ein Bier, kommt sofort, Cowboy.“
Die Bedienung war Mary. Damals arbeitete sie noch im Saloon, so nannten Mary und Mike später die Kneipe immer scherzhaft, sie hatte eigentlich keinen richtigen Namen, jeder nannte sie nur „Kneipe“.
An den folgenden Tagen war Mike jeden Abend im „Saloon“.
Hier traf sich die halbe Stadt, manchmal glaubte man, hier traf sich die gesamte Stadt. Anfangs kam Mike, um Kontakte zu knüpfen.
Handwerker waren hier gern gesehen, es gab viel zu tun und Mike bot seine Hilfe an, die hier gut bezahlt wurde.
Doch allmählich kam er immer öfter, um Mary zu sehen.
Auch Mary freute sich, wenn Mike am Abend in den „Saloon“ kam.
Sie saßen oft noch spät an Mikes Stammtisch neben der Eingangstür, sprachen über Gott und die Welt, lachten über alles Mögliche oder schauten sich nur lächelnd an.
So ging es einige Wochen lang, sie kamen sich langsam näher – und dann waren sie offiziell ein Paar. Gewundert hatte es hier niemanden, sie passten einfach zusammen.
Mike „wohnte“ in seinem Kombi. Da er hier ursprünglich eigentlich nicht lange bleiben wollte, reichte ihm sein Mini-Wohnmobil.
Er hatte die Rückbank zu einem gemütlichen Bett umfunktioniert, nachdem er eine Nacht in Bens Motel verbracht hatte.
Das Geld, das er für seine Reparaturarbeiten bekam, wollte er nicht für ein teures Motelzimmer verschwenden, er wollte es für die Zukunft zurücklegen, obwohl er bis dahin noch nicht so genau wusste, wie seine Zukunft aussehen würde.
Sein „Stammtisch“ im Saloon wurde zu seinem Büro, wo er seine ersten Aufträge entgegen nahm, wo er frühstückte und am Abend von Mary mit hausgemachten Frikadellen und Bier versorgt wurde.
Mary wohnte in einem kleinen Zimmer über dem Saloon. Es war zwar gemütlich und nett eingerichtet, aber für zwei Personen war es wirklich zu klein. Es diente wohl ursprünglich als Abstellraum, war neun Quadratmeter groß, bestückt mit einem Bett, einem Kleiderschrank, einem kleinen Tisch, auf dem sich Modezeitschriften stapelten, und einer alten Wanduhr, die jede volle Stunde einen lauten, dumpfen Gong ertönen ließ.
Gegenüber der Tür befand sich ein kleines Fenster, auf der Fensterbank stand ein Kaktus, der im Sommer rote Blüten trug.
Das Fenster lag nach vorn zur Hauptstraße mit Blick auf die Kirche.
Mary zog hier vor vier Jahren ein, als sie den Job im Saloon bekam. Günstiger konnte sie nicht wohnen.
Sie hatte damals keine andere Möglichkeit, sie verlor ihre Eltern vor vier Jahren bei dem tragischen Flugzeugabsturz.
Ihr kleines Häuschen am Stadtrand wurde damals von der Bank kassiert, die Hypothek konnte Mary unmöglich aufbringen.
Sie war gerade achtzehn Jahre alt geworden und befand sich zu der Zeit des Unglücks übers Wochenende bei einer Freundin. Die Eltern kamen von einer gemeinsamen Geschäftsreise, als das Flugzeug aus ungeklärter Ursache kurz vor der Landung, einen Kilometer vor der Stadt, in einen See stürzte.
Es gab keine Überlebenden.
Die Bergungsmannschaften fanden nur einige Trümmerteile, Taucher konnten nicht eingesetzt werden, da der See, ein ehemaliger Vulkankrater, angeblich zu tief war. Das war die offizielle Erklärung.
Seit diesem Tag war Mary nicht mehr an dem See gewesen.
Als Kind ging sie in den Sommermonaten fast jeden Tag an den See. Die Kinder bauten sich Flöße aus Baumstämmen, die zu Haufen am Ufer lagen. Auch die Erwachsenen nutzten den See als Erholungsgebiet, zum Schwimmen und Angeln.
Doch seit dem Unglückstag ist es dort still geworden.
Zu still, so meinte die Stadtverwaltung.
Sie plante, das Seeufer zu erschließen, kleine Ferienhäuser zu errichten, um so zahlungsfreudige Touristen anzulocken.
So sollte der von den Einwohnern gemiedene See sinnvoll genutzt werden und zusätzlich noch Geld in die leere Stadtkasse spülen.
Mike nutzte damals die Chance und gründete seine eigene Firma. Mit einigen Helfern aus der Stadt, die anfangs nur schwer aufzutreiben waren und auch nur für kurze Zeit blieben, begann er am Seeufer, im Auftrag der Stadt, mit dem Bau von Holz-Ferienhäusern.
Mike und Mary bezogen nach ihrer Hochzeit eine Drei-Zimmer-Wohnung am Ortseingang.
Doch Mike meinte, das sei nur eine vorübergehende Lösung. Er träumte von einem eigenen Haus am See.
„Das schlag dir mal ganz schnell aus dem Kopf!“, brüllte Mary damals. „Ich gehe auf gar keinen Fall an den See, und dort wohnen werde schon mal gar nicht. Ich glaube, du spinnst.“
Mike kannte mittlerweile die Geschichte vom Flugzeugabsturz ihrer Eltern. Er wollte ihr noch etwas Zeit geben, irgendwann würde sie darüber hinweg sein und sich schon zu einem schönen Haus am See überreden lassen.
Den Job im „Saloon“ gab Mary auf.
Ein Leben als Hausfrau, das war jedoch auch nichts für sie. Vier Wochen hielt sie durch, sie erledigte zwar den Schreibkram für Mike, aber das erfüllte sie nicht wirklich.
Mary begann Kurzgeschichten zu schreiben. Geschichten über ihre Stadt, über die Leute hier, eigentlich brachte sie nur den täglichen Klatsch und Tratsch zu Papier.
„Damit kannst du aber kein Geld verdienen“, meinte Mike. Das wollte Mary auch nicht.
Das Schreiben lenkte sie ab.
Wenn Mary ihre Gedanken mit einem Bleistift auf lose DIN‑A4-Blätter kritzelte, musste sie nicht an den See denken, sie war dankbar für jeden Augenblick, in dem sie nicht an den See denken musste.
Der Verkauf der Häuser am See lief nur schleppend. Das lag wahrscheinlich immer noch an der Erinnerung an die damalige Flugzeugkatastrophe.
Die Geschichte ging natürlich durch die Presse, und die Tatsache, dass nie ein Opfer gefunden wurde, machte die Sache unheimlich.
Und wie es bei solchen Ereignissen oft geschieht, kam es immer wieder zu fantastischen Erzählungen und wilden Spekulationen.
Es wurden die verrücktesten Geschichten erzählt: Jemand sah im Morgengrauen auf dem Wasser das Flugzeugwrack, es schwebte ein Meter über der Wasseroberfläche zwischen den Nebelschwaden.
Ein anderer sah eine ähnliche Erscheinung und behauptete, Gesichter hinter den Fenstern gesehen zu haben. Blasse, angsterfüllte, aber regungslose Gesichter, die ihn anstarrten.
Und jedes Mal soll das Flugzeug langsam und lautlos im Nebel verschwunden sein.
Doch diese Geschichten wird es immer geben, überall. Sie wurden meist als Spinnereien abgetan.
Einige Leute ließen sich jedoch nicht abschrecken, sie machten sich über solche Gruselgeschichten lustig.
So wie Mr. und Mrs. Green.
Sie kamen aus New York, waren beide Ende 50 und wollten hier ihren Lebensabend verbringen.
Es waren nette Leute und sie waren immer freundlich.
Sie hatten von diesem Ort aus der Presse erfahren, sie amüsierten sich über die Geistergeschichten und wollten sich diese Gegend einmal selbst ansehen. Sie verbrachten hier ein Wochenende, besichtigten die Stadt und den See und verliebten sich sofort in diesen Ort. Als sie von dem geplanten Bau der Ferienhäuser erfuhren, beschlossen sie, für immer hier zu bleiben.
Nachdem sie sich zum Kauf eines Hauses am See entschlossen hatten, verbrachten sie immer wieder einige Tage dort, um sich selbst ein Bild vom Baufortschritt zu machen.
Auch dieses Wochenende waren Mr. und Mrs. Green in der Stadt. Sie wohnten in Bens Motel, wie jedes Mal.
Kapitel 2
Mary war gerade beim Abwasch, als es an der Tür klopfte. Sie legte den Teller und die Spülbürste beiseite, öffnete die Schleife ihrer Schürze und legte sie ab. Sie stand in der Küche, die in weißem Landhausstil mit Hängeschränken bis unter die Zimmerdecke eingerichtet war. Die Spüle, eingelassen in eine eichenfarbene Arbeitsplatte, befand sich direkt unter dem Küchenfenster. Mary sah zwar während der Hausarbeit von Zeit zu Zeit aus dem Fenster, hatte jedoch niemanden kommen sehen.
Sie ging durch die Küche in die Diele, die Wohnung befand sich in einem alten Anbau, in dem die Diele das Zentrum der Wohnung bildete. Von hier aus gelangte man in die Küche, ins Wohnzimmer mit offenem Kamin, ins Schlafzimmer und durch eine etwas schmalere Tür ins Bad mit Toilette, einem Waschbecken und einer alten Sitzbadewanne.
Mary schritt zur Haustüre und öffnete sie. Sie blickte durch das noch geschlossene Fliegengitter, das man jetzt im August wirklich nötig hatte, denn sonst würde man von den vielen Fliegen und Mücken aufgefressen.
Auf der weißen Holzveranda standen zwei Gestalten. Mary konnte jedoch wegen der Dämmerung nur ihre Umrisse erkennen.
Wie oft habe ich zu Mike gesagt, er soll mir auf der Veranda neben der Haustür eine Lampe anbringen, aber alles andere ist ja wichtiger, dachte Mary wütend.
„Ja bitte?“, fragte Mary.
„Guten Abend, wir sind es. Mr. und Mrs. Green.“
„Ach, Entschuldigung. Ich habe Sie nicht erkannt“, entgegnete Mary und öffnete die Fliegengittertür.
Sie hatten sich ein- oder zwei mal in der Stadt getroffen, Mike hatte ihr erzählt, dass Mr. und Mrs. Green ein Haus am See kaufen wollten.
„Kommen Sie doch herein. Kaffee?“
„Ja, danke“, antwortete Mr. Green, „wir hätten gerne Ihren Mann gesprochen. Es geht um unser Haus am See.“
„Was ist denn mit Ihrem Haus? Haben Sie es sich anders überlegt?“, fragte Mary, und es lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Immer wenn sie an den See dachte, bekam sie so ein mulmiges Gefühl.
„Nein, ganz und gar nicht, Mrs. …“
„Nennen Sie mich Mary.“
„Ok. Mary. Wir möchten im nächsten Monat unser neues Haus beziehen, das hatten wir jedenfalls vor. Jedoch wollen wir noch einige Änderungen vornehmen, die Raumaufteilung gefällt uns nicht besonders, und so wollten wir Ihren Mann fragen, ob er uns dabei behilflich sein könnte.“
„Mike ist noch auf der Baustelle, aber kommen Sie doch in die Küche, ich koche uns erst mal einen Kaffee.“
Mary ging voraus und Mr. und Mrs. Green folgten ihr.
„Eine schöne Küche, genau so eine möchte ich auch, Schatz“, sagte Mrs. Green und schaute ihren Mann erwartungsvoll an.
„Du möchtest so vieles“, antwortete Mr. Green lächelnd.
„Nehmen Sie doch Platz, der Kaffee kommt gleich“, sagte Mary, mit einer Hand auf einen massiven Holztisch zeigend, um den vier ebenfalls massive Stühle mit dunkelrotem Lederbezug angeordnet waren, und mit der anderen Hand eine weiße Porzellan-Kaffeekanne aus dem Hängeschrank über dem Herd ziehend. Sie nahm die Kaffeekanne, setzte einen Porzellanfilter darauf, füllte ihn mit Kaffee, nahm einen Kupferkessel vom Herd, füllte ihn mit Wasser, stellte ihn wieder zurück auf den Herd und schaltete diesen ein.
„So, ein paar Minuten noch. Aber Mike müsste jeden Moment kommen.“
Mary platzierte vier Tassen auf den Tisch, eine für Mike, nahm die Milch aus dem Kühlschrank und den Zucker aus dem Vorratsschrank und stellte alles auf den Tisch.
„Sie brühen den Kaffee noch von Hand? Das sieht man selten“, sagte Mrs. Green und versuchte, ein Gespräch zu beginnen.
„Ja, ich habe es mit einer Kaffeemaschine versucht. Doch Mike und mir schmeckt der Kaffee so am besten.“
Plötzlich ertönte ein leises Pfeifen, das schnell lauter wurde, wie wenn ein Zug in den Bahnhof einfährt.
Mary nahm den Kessel vom Herd und das Pfeifen verstummte, sie nahm die Pfeife vom Kessel, langsam stieg der Wasserdampf aus der Öffnung und Mary begann, mit kreisenden Bewegungen das heiße Wasser über den Kaffee zu gießen.
Sofort erfüllte der frische Kaffeeduft den Raum.
„Darf ich?“, fragte Mr. Green und hielt mit zwei Fingern eine Schachtel Zigaretten in die Luft wie ein Schiedsrichter die gelbe Karte.
„Entschuldigen Sie, ich selbst rauche nicht und Mike raucht, wenn er es nicht mehr aushält, auf der Veranda.
Wenn es Ihnen also nichts ausmacht …“
„Kein Problem, Mary“, fiel Mr. Green ihr ins Wort und steckte die Schachtel so schnell in seine Hemdtasche zurück, wie er sie zuvor gezückt hatte.
„So, der Kaffee ist fertig“, bemerkte Mary, in den Kaffeefilter schauend, nahm die Kanne, eilte zum Tisch und schenkte in einer fließenden Bewegung drei Tassen Kaffee ein. Diese Bewegung ist ihr während ihrer Arbeit im „Saloon“ in Fleisch und Blut übergegangen, so etwas verlernt man nicht so schnell.
„Danke, Mary.“
„Danke.“
„Nichts zu danken, ich hoffe, er schmeckt Ihnen.“
„Oh, wir haben Besuch, hallo“, schallte es aus der Diele.
Mary schnellte herum und sah erschrocken zur offenen Küchentür.
„Bist du irre, Mike, musst du mich so erschrecken, ich hab dich gar nicht kommen hören.“
Mike musste lachen.
Auch Marys versteinerte Gesichtszüge lockerten sich und sie musste lächeln.
Sie ging auf Mike zu und umarmte ihn.
„Und? Wie war dein Tag, Stress gehabt?“, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Abgesehen von den Leichenteilen im See war es eigentlich ein guter Tag, dachte Mike, sprach es jedoch nicht aus.
„Ach, ging so. Ich mach jetzt drei Wochen Urlaub“, flüsterte er zurück.
„Ich glaube, daraus wird nichts“, entgegnete Mary, drehte ihren Kopf und deutete mit ihren Augen auf Mr. und Mrs. Green.
„Guten Abend, Mr. und Mrs. Green“, rief Mike in Richtung Esstisch und begrüßte beide mit einem kräftigen Handschlag, „sind Sie zufrieden mit Ihrem neuen Haus?“
„Hallo, Mike“, entgegnete Mr. Green etwas verlegen, „Ja, schon. Aber meine Frau und ich, … äh … wir sind nicht so ganz glücklich mit der Raumaufteilung. Wir hätten gerne einige Innenwände versetzt und wollten fragen, ob sie uns dabei vielleicht behilflich sein könnten, natürlich nicht umsonst, versteht sich.“
Mike setzte sich an den Tisch und Mary goss ihm ebenfalls eine Tasse Kaffee ein.
„Ich habe von Anfang an zum Bürgermeister gesagt, wir lassen die Innenwände besser fehlen, bis die Käufer den Innenausbau mit uns gemeinsam planen können. Aber nein.“
Während Mike sprach, schaufelte er Zucker aus einem weißen Porzellan-Töpfchen in seine Tasse, goss etwas Milch darauf und fing hektisch an zu rühren.
„Wenn es zu viele Umstände macht, dann …“, begann Mrs. Green mit ruhiger Stimme und wurde prompt von Mike unterbrochen.
„Nein. Kein Problem. Aber warum hört denn da keiner auf mich.“
Mr. und Mrs. Green schauten abwechselnd zu Mary, dann zu Mike, der nachdenklich an seinem Kaffee nippte.
„Ich mach jetzt Urlaub und in drei Wochen melde ich mich bei Ihnen, und dann sehen wir uns das Problem mal an“, sagte Mike und nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse.
„Ja, Mike. Die Sache ist nur die: Wir wollten schon nächsten Monat einziehen, und wir dachten …“ Mr. Green unterbrach seinen Satz, legte seine Hand auf die Hand seiner Frau, die vor ihr auf dem Tisch ruhte, und sah sie fragend an. Sein Blick wechselte zu Mary, die ihre Tasse in beiden Händen an ihren Mund hielt und langsam einen Schluck nahm, dann sah er zu Mike hinüber.
Mrs. Green und Mary schauten ebenfalls zu Mike, der nachdenklich in seine Tasse schaute, als könne er in ihr die Zukunft sehen.
Mike spürte die Blicke, die ihn beobachteten. Er blickte auf und schaute mit seinen Augen in die Runde, ohne dabei seinen Kopf zu bewegen.
„Schon gut, ihr habt mich überredet“, rief Mike, lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ich werde meinen Urlaub verschieben. Ich komme morgen früh zu Ihnen und schaue mir Ihr Problem an. Ich weiß aber noch nicht, wie Sie das wieder gut machen können.“
„Wir werden uns schon einigen, danke, Mike“, sagte Mr. Green sichtlich erleichtert.
„So, wir müssen jetzt auch wieder los“, sagte Mrs. Green auffordernd zu ihrem Mann und erhob sich von ihrem Stuhl.
„Ja, wir wollten Sie eigentlich nicht so lange stören“, sagte Mr. Green und erhob sich ebenfalls.
Mary und Mike standen auf und begleiteten Mr. und Mrs. Green zur Tür.
„Nochmals vielen Dank, und danke für den Kaffee, auf Wiedersehen.“
Mr. Green schüttelte Marys Hand, während er sich bedankte, und fragte Mike, während er auch seine Hand zum Abschied schüttelte: „Wann sind Sie denn morgen am See?“
„So gegen zehn“, antwortete Mike.
„Ok. Bis morgen.“
„Ja. Bis morgen.“
Mike und Mary blieben noch einen Augenblick in der Türe stehen und sahen den beiden nach.
Es war eine sternenklare Nacht, der Vollmond ging gerade auf und spiegelte sich auf der Wasseroberfläche des Sees, den Mike und Mary von ihrer Veranda aus sehen konnten.
Mr. und Mrs. Green schlenderten Hand in Hand die Straße entlang. Sie hatten es nicht weit bis zu Bens Motel, das nur wenige Gehminuten entfernt war.
„Sieh nur, die vielen Sterne. Hast du in New York jemals so viele Sterne gesehen?“, fragte Mrs. Green verträumt.
„Nein, jetzt, wo du das sagst, fällt es mir auch auf.“
Mr. Green blieb stehen, legte seinen Kopf in den Nacken und blickte nach oben.
„Das sind wirklich viele Sterne“, sagte er leise vor sich hin.
Mrs. Green blieb ebenfalls stehen, schaute zuerst ihren Mann an, blickte dann ebenfalls nach oben, während sie mit leiser Stimme, beinahe flüsternd, sagte: „Lass uns runter zum See gehen.“
„Was willst du denn jetzt am See? Es ist dunkel und …“
„Es ist nicht dunkel, wir haben Vollmond, oder hast du Angst?“
„Ha“, rief Mr. Green, „Angst? Ich habe keine Angst. Oder glaubst du etwa die Schauergeschichten von dem Geisterflugzeug, die uns Ben im Motel erzählt hat. Das sind vielleicht spannende Gutenachtgeschichten, sonst nichts.“
„Nein. Ich glaube auch nicht an solche Geschichten. Aber wir wohnen bald hier und ich möchte nicht eines Tages auf der Veranda vor unserem Haus sitzen und dann feststellen müssen, dass an den Geschichten doch was dran war.“
„So ein Quatsch“, entgegnete Mr. Green etwas grimmig, „aber gut, wenn es dich beruhigt. Aber warum unternehmen wir diese Expedition nicht am Tage?
„Weil am Tage keine Geister erscheinen.“
„So ein Quatsch.“
Mrs. Green nahm die Sache nicht wirklich ernst, sie empfand es eher als spannendes Abenteuer, so wie in ihrer Jugend, wenn sie mit ihren Freundinnen in der Abenddämmerung auf dem Friedhof umherschlich, um Geister zu jagen.
Sie mussten umkehren, um zum See zu gelangen. Direkt am Ortsrand verließen sie die Straße und bogen in einen Weg ein, der durch ein Maisfeld direkt zum See führte. Der Mais war hochgewachsen, man konnte nicht über ihn hinwegsehen, und der Wind blies eine leichte Brise über das Feld, das sich langsam hin und her bewegte und ein leises Rauschen von sich gab.
Der Weg war uneben, mit einigen Hügeln, und von tiefen Furchen durchzogen, die von den Autos stammten, die täglich zum See fuhren.
Es waren meist Lieferanten, die Baumaterial für die neuen Häuser geladen hatten, oder mögliche zukünftige Ferienhausbesitzer, die zu einer Besichtigung kamen.
Doch der Weg sollte eines Tages einer neuen Asphaltstraße weichen.
Mr. und Mrs. Green liefen den Weg entlang und sie hatten das Gefühl, als wäre er endlos.
Doch dann hatten sie den letzten Hügel hinter sich gelassen – und da lag er vor ihnen. Der See.
Eingebettet in eine grüne Hügellandschaft, umgeben von riesigen alten Bäumen. Die Oberfläche glänzte, vom Vollmond angestrahlt, wie eine riesige Eisfläche.
„Ist er nicht herrlich?“, fragte Mrs. Green, während sie ihren Mann an die Hand nahm und stehen blieb.
„Ja, das ist er.“
Sie standen einige Minuten ruhig da, blickten über den See und beobachteten die Wellen, auf denen sich hin und wieder kleine Schaumkronen bildeten. Vor ihnen lag ein alter Holzsteg, der einige Meter ins Wasser ragte, und sie hörten, wie unter ihm die Wellen gegen die morschen Planken schlugen.
Mr. und Mrs. Green gingen am Ufer entlang, sie kamen an zwei halb fertigen Häusern vorbei, bis sie schließlich vor ihrem neuen Haus standen.
Es war fertig gestellt, bis auf einige Änderungen der Innenwände, und ähnelte einer Blockhütte.
Die Außenwände bestanden aus naturbelassenen Holzpaneelen, das Dach war mit roten Schindeln gedeckt und vor der Eingangstür befand sich eine Veranda, auf der bereits eine Holzbank stand, die im Preis inbegriffen war.
Sie betraten die Veranda, setzten sich gemeinsam auf die Bank und beobachteten weiter die Wellen, wie sie auf und ab tanzten.
„Sie nur, … da, … was ist das?“, fragte Mrs. Green aufgeregt und deutete mit dem Finger auf die Mitte des Sees.
Dort bildete sich plötzlich Nebel, das Wasser brodelte und aus den aufplatzenden Blasen auf der Oberfläche stieg Rauch auf, der sich mit kreisenden Bewegungen mit dem Nebel vermischte.
Der Nebel wurde dichter und hüllte nahezu den halben See ein. Er bewegte sich langsam und gleichmäßig auf das Ufer zu.
Plötzlich ertönte ein Geräusch, laut und kreischend wie Flugzeugturbinen, die aufheulten und plötzlich wieder verstummten.
Der Nebel riss auf, schob sich auseinander wie ein riesiger Vorhang, und gab den Blick frei auf ein riesiges, auf dem Wasser liegendes Flugzeug. Die Kabine war hell erleuchtet und man konnte angsterfüllte Gesichter an den Fenstern erkennen.
Die Menschen schlugen mit den Händen gegen die Scheiben, sie schrien offensichtlich, aber man konnte sie nicht hören.
„Mein Gott. Sieh nur, das ist das Gei…“, kreischte Mrs. Green, doch ihr Mann unterbrach sie sofort, packte sie an den Schultern und schüttelte sie.
„Sei still, SEI STILL. Das ist kein Geisterflugzeug. Das hier ist gerade abgestürzt. Das hast du doch gehört. Wir müssen Hilfe holen. Schnell.“
Mrs. Green konnte sich nur langsam beruhigen. Sie weinte und zitterte am ganzen Körper.
„Wo willst du hier Hilfe holen? Ich bleibe auf gar keinen Fall alleine hier.“
„Nein, ich bleibe hier und versuche zu helfen. Du läufst zurück zur Stadt, nimm den Weg durch die Maisfelder bis zur Kreuzung, von dort siehst du schon das Haus von Mike und Mary. Lauf zu ihnen, sie sollen den Sheriff anrufen und die Feuerwehr. Beeil dich.“
Mrs. Green nickte nur zustimmend, drehte sich um und rannte los. Sie übersprang die zwei Stufen der Veranda, rannte am Ufer entlang und bog in den Weg ein, wo sie zwischen den Maisfeldern verschwand.
Sie lief so schnell, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her.
Mr. Green sprang ebenfalls von der Veranda und eilte zum Ufer. Er lief am Wasser entlang und schaute immer wieder zu dem Flugzeug hinüber.
„Noch schwimmt das Ding, aber warum öffnet denn niemand die Türen, die Leute müssen doch da raus, bevor es absäuft“, rief Mr. Green und lief weiter am Ufer entlang, „und warum liegt hier nirgendwo ein Boot?“
Plötzlich blieb er stehen und blickte zum Flugzeug hinüber.
Das Flugzeug sank, um den Rumpf herum brodelte das Wasser, es kochte und dicke Blasen stiegen auf, aus denen kleine Rauchwolken entwichen und einen Nebelschleier um das Flugzeug bildeten.
Es sank ganz langsam und das Wasser spritzte gegen die kleinen Fenster, hinter denen die Menschen saßen und mit angsterfüllten Gesichtern hinaus blickten.
Doch sie schrien nicht mehr, sondern starrten Mr. Green an. Die Gesichter veränderten sich, sie alterten in nur wenigen Sekunden um Jahrzehnte, ihre Haut wurde faltig und grau, zog sich zusammen und riss an einigen Stellen auf. Ihre Augen verschwanden und hinterließen schwarze, runde Öffnungen, die Haut rutschte von den Schädeln und legte den Knochen frei.
Mr. Green zuckte zusammen, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und sein Herz fing an zu rasen, es schlug so fest, dass er seinen Puls in seinen Ohren spüren konnte.
Das Flugzeug sank weiter, Metallteile verformten sich unter dem Druck des Wassers und gaben quietschende Geräusche von sich, durch kleine entstehende Öffnungen im Rumpf strömte Luft heraus, die ein helles Pfeifen erzeugte, das in ein dumpfes Blubbern überging, als das Flugzeug komplett versank.
Dann war es plötzlich ruhig. Kein Geräusch war mehr zu hören.
Der Nebel löste sich langsam auf, er verteilte sich auf dem See, trieb noch einen Moment in dünnen Nebelschleiern über das Wasser und verschwand dann völlig.
Mrs. Green lief, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, den ganzen Weg durch die Maisfelder zurück.
Sie war am Ende ihrer Kräfte. Wann war sie zuletzt so gerannt? Das musste schon Jahre her sein.
Sie kam an die Kreuzung, blieb stehen, beugte sich nach vorn und stützte ihre Hände auf die Knie.
Sie musste erst einmal durchatmen.
Als sie aufblickte, sah sie das Haus von Mike und Mary, es lag gegenüber der Kreuzung, etwa 200 Meter entfernt.
Sie nahm noch mal ihre ganze Kraft zusammen und lief los.
„Hilfe, Hilfe, Mike, Mary“, rief Mrs. Green, während sie die drei Stufen zur Veranda hinauf rannte. Sie öffnete die Fliegengittertür und trommelte mit der Faust gegen die Eingangstür. „Hilfe, machen Sie auf.“
Mike und Mary saßen in der Küche, als es plötzlich an der Haustür klopfte. Mike stand auf und sagte zu Mary, während er zur Haustür ging: „Wer ist das denn jetzt noch, um diese Uhrzeit?“
Doch als er die Hilferufe hörte, lief er schneller und riss die Tür auf.
„Mrs. Green. Was ist denn passiert?“
Mary kam hinzu, stellte sich hinter Mike und schaute erschrocken über seine Schulter.
„Es ist etwas Schreckliches passiert. Ein Flugzeug ist abgestürzt. In den See. Mein Mann ist dort geblieben, um zu helfen.
Sie müssen den Sheriff anrufen, die Feuerwehr, Krankenwagen.“
„Kommen Sie erst mal herein und beruhigen sich“, sagte Mike zu Mrs. Green, trat zur Seite und ließ sie eintreten.
Sie gingen durch die Diele in die Küche, Mike und Mrs. Green setzten sich an den Tisch, während Mary drei Gläser aus dem Küchenschrank nahm und sie auf die Tischplatte stellte.
„Möchten Sie etwas trinken, Mrs. Green?“, fragte Mary.
„„Ja, danke. Wasser bitte.“
Mary öffnete den großen, doppeltürigen Kühlschrank, nahm eine Flasche Mineralwasser heraus und füllte es in die Gläser.
„So, nun trinken Sie erst mal einen Schluck und erzählen noch mal langsam, was genau passiert ist“, sagte Mike ruhig zu Mrs. Green.
„Also, mein Mann und ich, wir waren am See an unserem Haus. Plötzlich schwamm ein Flugzeug auf dem Wasser, ich weiß nicht, wie es dort hingekommen ist, aber mein Mann sagt, es wäre abgestürzt. Er ist dort geblieben, um zu helfen, und ich soll Hilfe holen. Ich glaube aber, das war kein Absturz. Ich glaube, das ist das Geisterflugzeug.“
Mrs. Green hatte noch nicht ausgesprochen, da senkte Mary ihren Kopf und schlug ihre Hände vors Gesicht.
Sie schluchzte und murmelte immer wieder: „Ich hasse diesen See, ich hasse diesen See, …“
„Ich ruf sofort den Sheriff an“, sagte Mike, während er von seinem Stuhl aufsprang und mit einem Satz am Telefon neben dem Kühlschrank stand. Er riss den Hörer herunter und drückte die Fünf, unter der er die Nummer des Sheriffs gespeichert hatte, für Notfälle, so wie jetzt.
„Hallo? Sheriff? Ja, hier ist Mike. Wir haben einen Notfall. Ein Flugzeugabsturz, am See.“
Kapitel 3
Der Fernseher lief und auf dem Bildschirm lieferte sich gerade eine Gangsterbande eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei quer durch L. A.
Es war eine dieser Serien, in der Unmengen an Munition verschossen und jede Menge Autos zu Schrott gefahren wurden.
Der Sheriff saß vor dem Gerät in einem altmodischen Fernsehsessel, den Kopf zur Seite geneigt – auf der Nasenspitze trug er eine kleine Lesebrille.
Er sah sich diese Großstadtkrimis gerne an und stellte sich dann vor, einmal selbst in so einem Polizeiwagen zu sitzen und die Gangster durch die Straßen von L. A. oder New York zu jagen.
Doch es war schon spät, fast Mitternacht, und der Sheriff war eingeschlafen, bevor er die Gangster schnappen konnte.
Der Sheriff wurde hier geboren, wie fast alle hier, und er wurde Sheriff, weil auch sein Vater und sein Großvater Sheriff waren. Vor zehn Jahren starb seine Frau an Lungenkrebs, obwohl sie nie in ihrem Leben eine einzige Zigarette angerührt hatte. Er kam nie darüber hinweg.
Doch sein Beruf lenkte ihn immer wieder von seinem Kummer ab. Noch drei Jahre, dann würde er 63 werden und in den wohlverdienten Ruhestand gehen.
Das grelle Pfeifen seines Handys, das eine Polizeisirene imitierte, riss ihn plötzlich aus seinen Träumen.
Sein Handy lag neben ihm auf dem Wohnzimmertisch und er griff danach, ohne hinzusehen, drückte mit dem Daumen die Hörertaste und hielt es an sein Ohr.
„Sheriff Stone, wer stört?“
„Hallo, Sheriff. Ja, hier ist Mike. Wir haben einen Notfall. Ein Flugzeugabsturz. Am See.“
„Oh mein Gott, schon wieder? Das gibt’s doch gar nicht. Gibt es Überlebende?“
„Das weiß ich nicht. Wir haben es gerade erfahren, von Mrs. Green. Sie wissen schon, Mrs. Green aus New York.
Sie war mit ihrem Mann am See, als das Unglück geschah. Mr. Green ist am See geblieben.“
„Alles klar. Ich verständige sofort Bob, und der soll Dr. Miller mitbringen. Ich fahre sofort los, bin gleich da.“
Bob war der Chef der hiesigen Feuerwehr, die übrigens nur aus insgesamt vier Leuten bestand – Andy, Tom, Joe und Bob.
Bob machte diesen Job schon sechsundzwanzig Jahre, er war der Dienstälteste, Andy und Tom waren seit fünf Jahren dabei, sie sind direkt nach der Highschool zur Feuerwehr gekommen, und Joe war erst seit einem Jahr dabei.
Während der heißen Jahreszeit verbrachten sie die meiste Zeit in der Zentrale, da es immer wieder zu kleinen Bränden kam. Entweder fing eine Scheune Feuer oder irgendein trockenes Feld fing plötzlich an zu brennen, doch dafür hatten sie dann über die Wintermonate eine meist sehr ruhige Zeit.
Sheriff Stone schaute durch seine Brille, die immer noch vorn auf seiner Nasenspitze saß, auf sein Handy in der rechten Hand und wählte die Nummer der örtlichen Feuerwehr.
„Hier ist die Feuerwehr. Ich hoffe es ist ein Notfall, sonst …“
„Hallo, Bob, hier ist Sheriff Stone. Ja, es ist ein Notfall. Flugzeugabsturz am See. Mehr weiß ich nicht. Mike hat mich gerade angerufen, hatte nur die Meldung, sonst keine Informationen.“
„Schon wieder ein Flugzeugabsturz, an derselben Stelle?“
„Ich weiß nichts Genaues. Weck deine Leute, fahr bei Dr. Miller vorbei, der soll mitkommen. Ich fahr jetzt los, wir treffen uns gleich am See.“
Sheriff Stone beendete das Gespräch, indem er die rote Hörertaste drückte, steckte sein Handy in die Hemdtasche seiner braunen Sheriff-Uniform, die er eigentlich noch vor dem Abendkrimi ausziehen wollte, und sprang aus dem Sessel.
Er schaltete den Fernseher aus und lief zur Garderobe neben seiner Haustür. Er schnappte sich seinen Cowboyhut und setzte ihn auf, den Gürtel, bestückt mit seiner Waffe und den Handschellen. Einen circa halben Meter langen
Schlagstock nahm er vomHaken und band ihn um seine Hüfte.
Der Sheriff rannte aus seinem Haus, schloss die Tür und verriegelte das Türschloss zweimal. Das tat er immer, man konnte schließlich nie wissen, wer sich draußen alles so rumtreibt.
Er stieg in seinen Landrover, eine Spezialanfertigung, und startete die Maschine, 4,8 Liter, 280 PS. Damit hätte er in New York so richtig Spaß gehabt, wenn die bösen Jungs ihn plötzlich im Rückspiegel sahen und Sheriff Stone seine Lichtorgel einschaltete. So nannte er seine zehn Scheinwerfer und die roten und blauen Blinklichter, die vorne am Kühlergrill und auf dem Autodach angebracht waren.
Er musste lächeln, als er daran dachte, aber sofort schoss ihm wieder das Flugzeug durch den Kopf und das Lächeln verschwand.
Sheriff Stone legte den Schalthebel auf „D“ und trat das Gaspedal bis zum Anschlag. Während die Reifen auf dem Kiesweg vor seinem Haus durchdrehten und Kieselsteine und Staub durch die Luft wirbelten, schaltete er seine „Lichtorgel“ ein und sofort war alles hell erleuchtet. Als er von dem Weg runter auf die Hauptstraße kam und mit quietschenden Reifen Richtung See fuhr, schaltete er seine Sirene ein.
Er musste durch die gesamte Stadt bis zum Ortsrand fahren, da er genau am anderen Ende der Stadt wohnte. Er hatte damals das Haus, ein typisches weißes Landhaus mit Veranda, einem kleinen Vorgarten und einigen Hektar Land zusammen mit seiner Frau gekauft. Und er wollte es unbedingt behalten, nachdem sie von ihm gegangen war.
Der Sheriff hatte freie Fahrt, die Straßen waren um diese Uhrzeit wie leer gefegt, aber trotzdem würde er mindestens zehn Minuten brauchen, um den See zu erreichen.
Bob drückte den schweren Telefonhörer in die dafür vorgesehene Halterung, die sich vor ihm auf dem Schreibtisch befand. Daneben befand sich ein großer, roter Knopf, auf den schlug er mit der flachen Hand, und schon ertönte eine laute Sirene.
„Alarm, Alarm!!!“, rief er, sprang von seinem Stuhl auf und rannte in eine Ecke des Raumes, in der aus einer runden Öffnung im Boden ein Rohr ragte, das bis an die Zimmerdecke reichte.
„Alarm … Andy, … Tom, … Joe! Bewegt euch. Wir haben einen Notfall.“
Einige Schritte neben der Öffnung befand sich eine Tür, die plötzlich aufsprang, und drei Männer stürmten heraus. Sie hatten Feuerwehrhelme auf dem Kopf und zogen sich beim Laufen noch ihre Stiefel und lange, schwarze Mäntel an.
Einer nach dem anderen sprang an das Rohr und rutschte daran herunter.
Das Rohr endete im Erdgeschoss, in einem Raum, in dem ein Feuerwehrwagen stand, der mit einer Drehleiter ausgestattet war. Am Heck des Fahrzeugs war ein Schlauch angebracht, der auf ein riesige Rolle gewickelt war, und an den Seiten hingen mehrere Äxte und Schaufeln.
Die Männer sprangen in das Fahrzeug, Joe öffnete das große Holztor und sprang dann ebenfalls in den Wagen.
Der Motor wurde gestartet, gleichzeitig blitzten rote und blaue Lampen auf dem Fahrzeugdach auf, und schon setzte sich das rote Ungetüm in Bewegung.
Bob saß am Steuer, er kämpfte mit dem riesigen Lenkrad und bewegte das Fahrzeug durch das Tor die Auffahrt hinunter auf die Hauptstraße.
Er wühlte in seiner Jackentasche, zog sein Handy heraus und warf es hinüber zu seinem Beifahrer.
„Hier, Andy, fang. Ruf Dr. Miller an. Er soll sich fertig machen, wir sind in fünf Minuten bei ihm. Er fährt mit uns.“
„Aber Bob, was ist denn überhaupt los?“, fragte Andy und tippte gleichzeitig Dr. Millers Telefonnummer auf der Handytastatur.
„Flugzeugabsturz. Am See. Mehr weiß ich nicht.“
Es wurde schlagartig still in der Kabine des Feuerwehrfahrzeugs, niemand sprach ein Wort, nur Andy, während er mit Dr. Miller telefonierte.
Außer Joe hatten sie das alles vor vier Jahren schon einmal mitgemacht. Als sie damals an den See kamen, fanden sie nur einige Trümmerteile am Ufer. Keine Überlebenden und keine Opfer.
Das Flugzeug musste damals auf dem Wasser notgelandet und versunken sein, ohne dass ein Passagier sich befreien konnte. Auch Leichen wurden nie gefunden. Das Wrack sank auf den Grund des Sees, so tief, dass kein Sonnenlicht bis zu ihm dringen konnte, wo es kein Leben gab, und das Wrack wurde zu einer Gruft für achtundfünfzig Passagiere und vier Besatzungsmitglieder.
Niemand hätte je gedacht, dass so etwas noch einmal geschehen würde.
„Hallo, Doc, hier ist Andy, habe ich Sie geweckt?“
„Ja, haben Sie. Was gibt’s?“