Das Herz der Wölfin - Cathy McAllister - E-Book

Das Herz der Wölfin E-Book

Cathy McAllister

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Beschreibung

Bei einem Wikingerangriff auf seine Burg, fällt dem Franken Fulk ein junger Wikingerbursche in die Hände. Die ungewöhnlichen, blauen Augen des Jungen, üben eine beunruhigende Anziehungskraft auf ihn auf, bis er eine verblüffende Entdeckung macht. Unter dem präparierten Wolfskopf steckt kein Junge, sondern eine junge Frau. Zwischen Fulk und seiner schönen Gefangenen Ylfa knistert es gewaltig, doch die stolze Kriegerin bekämpft Fulk mit allen Mitteln.

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Seitenzahl: 262

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Contents

Titel

Copyright

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Nachwort

Das Herz der Wölfin

Cathy McAllister

Historical Romance

Das Herz der Wölfin

Cathy McAllister

Deutsche Erstausgabe 2012

copyright © 2012-2020 by Cathy McAllister

Coverdesign by Madelene Martin

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle Personen und Handlungen in folgendem Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Kapitel 1

Schnaubend brach der mächtige Keiler durch das dichte Unterholz. Seine kleinen Augen funkelten boshaft und seine Hauer waren wirklich furcht einflößend. Die beiden großen Wolfshunde knurrten mit aufgestelltem Fell und zogen kräftig an ihren Leinen.

„Soll ich sie los machen Herr?“, fragte der Hundeführer.

Fulk von Rabenfeld stand Auge in Auge mit dem riesigen Keiler, etwa zwanzig Schritte von dem Tier entfernt. Breitbeinig und leicht geduckt, den Sauspeer in der Hand, war er bereit. Seine ganze Haltung und sein scharf geschnittenes Gesicht zeugten von konzentrierter Anspannung und grimmiger Entschlossenheit.

„Nein“, winkte er ab.

Er hörte das Signal der anderen Jäger, die langsam näher kamen. Nun, er würde ihnen einen Prachtkeiler bieten und damit hoffentlich Engilbert, seinen prahlerischen Vetter, überbieten. Er hatte nicht viel übrig für den ältesten Sohn seines einzigen Onkels.

Der Keiler scharrte mit seinem Vorderbein im Laub, dann gab er ein furchtbares Geschrei von sich und stürmte los. Das Grunzen und Quieken des Tieres hallte von den Wänden der tiefen Senke, in der sie sich befanden, wieder. Es war eine unheimliche Szenerie. Der Nebel hing schon den ganzen Tag schwer über dem feuchten, mit einer dicken Laubschicht überzogenem Boden. Die Luft war erfüllt von dem Humusduft des herbstlichen Laubes und dem Modergeruch des schlammigen Tümpels am Ende der Senke, wo sie den Eber aufgestöbert hatten.

Fulk war hochkonzentriert, das Adrenalin ließ das Blut in seinen Adern kribbeln. Alles lief wie in Zeitlupe, er hörte den keuchenden Atem des heranstürmenden Tieres, das kratzende, raschelnde Geräusch seiner Klauen auf dem Waldboden. Fulk ließ den Keiler auf sich zu kommen, um dann im letzten Moment zur Seite zu springen und dem wütenden Tier den Speer ins borstige Fleisch zu stoßen. Das Wildschwein quiekte schrill und knickte mit den Vorderbeinen ein. Es versuchte sich noch einmal aufzurappeln, doch dann brach es endgültig zusammen. Mit ruhiger Hand aber klopfendem Herzen zog Fulk sein reich verziertes Jagdmesser und kniete sich neben das sterbende Tier, um ihm die Kehle durchzuschneiden.

„Ein Prachtexemplar Herr Graf“, lobte der Hundeführer.

„Ja, ein gar nicht so übles Exemplar“, stimmte Fulk zufrieden zu und schnitt seiner Jagdbeute die Ohren ab, welche er den Hunden vorwarf, die sich gierig darauf stürzten.

In diesem Moment kamen die Hundeführer seines Vetters und seines Nachbarn heran, dann folgten Vetter Engilbert und Fulks nächster Nachbar Hartmut. Dahinter kamen die Träger, die bereits ein Wildschwein an einem stabilen Stock trugen.

„Wie ich sehe, seid ihr auch erfolgreich gewesen“, sagte Fulk mit einem Kopfnicken auf den deutlich kleineren Keiler, der an der Tragstange befestigt hing.

„Ja, Engilbert hatte Glück“, sagte Hartmut. „Ich selbst habe einen Bock im Auge gehabt, aber leider konnte er entkommen. Schade, es war ein kapitales Tier.“ Er zuckte mit den Schultern und klopfte Fulk auf die Schulter. „Wirklich ein toller Bursche mein Freund. Es war eine schöne Jagd aber jetzt steht mir der Sinn nach einem warmen Feuer und einem kräftigen Schluck, um meine Eingeweide aufzuwärmen.“ Er grinste schelmisch.

„Das sollst du bekommen, Freund.“

Engilbert musterte Fulks Beute mit neidvollem Blick, doch weder Fulk noch Hartmut schenkten ihm Beachtung.

„Gehen wir zurück zum Sammelplatz“, bestimmte Fulk, nachdem die Träger auch seine Beute an einen Tragstock gebunden hatten.

Auf dem Sammelplatz warteten die Knechte mit den Pferden und die zurückkehrenden Jäger feierten ihre Jagderfolge erst einmal mit einem kräftigen Rotwein aus den mitgebrachten Weinschläuchen. Insgesamt war der Jagdausflug sehr erfolgreich gewesen. Zwei Keiler, ein prächtiger kleiner Bock, elf Kaninchen und acht Rebhühner.

„Du bist heute der König der Jagd.“ Brice, Fulks bester Freund, schlug ihm anerkennend auf die Schulter. „Dagegen sieht mein Böckchen recht mickrig aus.“

„Dafür hast du doppelt so viel Kaninchen wie ich und die Hälfte der Rebhühner gehen auch auf dich. Mir scheint, wir werden die nächsten Tage reichlich zu schmausen haben.“

„Ja mein Freund. Ich hoffe, dein Weinkeller ist gut gefüllt“, stimmte Brice lachend zu und zwinkerte.

„Ich habe genug Wein, um dich ein ganzes Jahr lang abzufüllen. Ich hoffe nur, du singst nicht wieder gar so zotige Lieder. Meine liebe Schwester gerbt uns sonst das Fell!“

„Gisela kann meinem Charme genauso wenig widerstehen, wie alle Weiber. Ich werde ihr ein paar schöne Worte ins Ohr flüstern und schon schnurrt sie wie ein Kätzchen.“

„Ha! Wohl eher wie ein Raubkätzchen. Mag sein, dass Gisela eine Schwäche für dich hat, aber das heißt noch lange nicht, dass sie dir aus der Hand fressen wird.“

„Wir werden sehen Fulk mein Freund. Ich habe vor, um sie zu werben – mit deinem Einverständnis vorausgesetzt.“

Fulk schaute seinen Freund verwundert an.

„Du willst um meine Schwester freien?“

„Gewiss. Warum nicht?“

Fulk schluckte. „Sie ist erst sechzehn“, gab er zu bedenken.

„Was sich ja wohl in drei Tagen ändern wird, wenn ich mich nicht sehr irre. Mit siebzehn sind die meisten Mädchen schon lange verheiratet. Ich denke, dass ich mit meinen vierundzwanzig Jahren noch nicht zu alt für sie bin und ein schönes Heim habe ich ihr auch zu bieten. Ich werde sie immer anständig behandeln, wie es einer Dame zukommt.“

„Das weiß ich, mein Freund. Wenn ich irgendeinem Mann meine Schwester anvertrauen würde, dann dir. Trotzdem ist die Vorstellung für mich noch ungewohnt. Ich sehe immer noch das kleine Mädchen in ihr.“

Brice grinste seinen Freund an.

„Mir scheint, du hast sie in der letzten Zeit nicht sehr genau angesehen. Sie ist eine Frau geworden, eine wunderschöne noch dazu.“

„Wir reden ein anderes Mal über meine Schwester. Jetzt sollten wir aufbrechen, damit wir vor Einbruch der Dunkelheit zur Burg gelangen“, lenkte Fulk von dem für ihn unangenehmen Thema ab.

Er gab die erforderlichen Anweisungen und schon bald war die kleine Jagdgesellschaft auf dem Heimweg. Es war ein Weg von gut zwei Stunden, den sie zurückzulegen hatten. Die erfolgreichen Jäger waren guter Laune und freuten sich auf einen saftigen Braten und einen kräftigenden Trunk am warmen Feuer. Es war des Abends schon recht kühl und man konnte bereits den nahenden Winter spüren.

Fulk ritt schweigsam auf seinem feurigen Rappen. Das Gerede seines Freundes über die Brautwerbung hatte ihn daran erinnert, dass es auch für ihn langsam Zeit wurde, an eine Vermählung zu denken. Leider hatte er nicht die geringste Ahnung, welche Braut er ins Auge fassen könnte. Es gab viele geeignete Kandidatinnen, die aufgrund ihrer Stellung und Abstammung infrage kämen, doch keine von ihnen vermochte ihn zu reizen. Es waren wahre Schönheiten darunter, kein Zweifel, dennoch ließ keine von ihnen den Wunsch in ihm aufkommen, mehr als nur ein paar vergnügliche Nächte mit ihr zu verbringen. Er beneidete Brice, der offenbar die Liebe gefunden hatte.

Fulk wusste selbst nicht, was er eigentlich von einer Frau erwartete. Einige Väter hätten ihm gern ihre Tochter als Braut gegeben, doch die meisten Frauen fürchteten ihn. Sein Ruf war nicht der Beste, hatten sich doch viele Legenden um ihn herum gebildet. Es stimmte, dass er ein gnadenloser Krieger war, doch er beschränkte Gewalt für gewöhnlich auf den Krieg und nicht gegen unschuldige Frauen und Kinder. Sein finsteres Erscheinungsbild sprach auch nicht gerade für ihn. Seine langen, schwarzen Locken ließen ihn stets wild und ungezähmt erscheinen und die grünen Augen waren die eines lauernden Raubtieres. Seine linke Wange wurde von einer hässlichen, gezackten Narbe entstellt, die er sich auf der Wolfsjagd zugezogen hatte.

Im Allgemeinen machte sich Fulk nicht so viel daraus, dass die bleichen Jungfern ihn nicht haben wollten. Die Frauen hatten ohnehin keinen Geist, hatten nicht einmal eine eigene Meinung. Gab es denn keine Frau, die einen eigenen, denkenden Kopf besaß, der nicht nur hübsch, sondern auch klug war? Und die mutig genug war, den Teufel von Rabenfeld zu lieben?

Seine Mutter war eine kluge und mutige Frau gewesen. Seine Eltern hatten sich auch nach langen Ehejahren noch ihre tiefe Liebe und Leidenschaft erhalten gehabt. Es war jetzt fünf Jahre her, dass seine Eltern und sein jüngerer Bruder an einer rätselhaften Krankheit gestorben waren.

„Woran denkst du?“, riss Brice seinen schweigsamen Freund aus den Grübeleien.

Fulk fuhr herum und sah seinen Freund an, der seinen Schimmel neben ihn lenkte. Er gewahrte einen besorgten Ausdruck auf Brice Gesicht.

„Ich habe an nichts Bestimmtes gedacht“, wich er aus.

„Das schien mir aber etwas sehr Bestimmtes“, wandte Brice ein.

Fulk betrachtete den Freund. Sie kannten sich seit Kindertagen und hatten sich immer alles anvertraut. Einer war stets für den anderen da und nach dem plötzlichen Tod seiner Eltern und seines Bruders war es Brice gewesen, der ihm in seinem Kummer beigestanden hatte. Fulk seufzte.

„Nun gut. Du hast recht. Ich habe an meine Eltern und meinen Bruder gedacht.“

„Es ist lange her, mein Freund. Du konntest nichts für ihren Tod. Es hätte nichts geändert, wenn du da gewesen wärst. Du solltest damit abschließen und an etwas anderes denken. Zum Beispiel könntest du dich endlich einmal damit befassen ein Eheweib zu suchen, und Erben zu zeugen. Du wirst immerhin bald sechsundzwanzig.“

„Glaubst du, das wüsste ich nicht? Ich kann mich nur eben einfach für keine Frau erwärmen, die von ihrem Vater zu einer Ehe mit mir gezwungen werden muss und die bei meinem Anblick in Ohnmacht fällt. Außerdem muss ich mit der Erwählten ein Leben lang auskommen und meine Eltern ...“

„Deine Eltern waren sicher ein glückliches Paar, aber leider sind solche Ehen sehr selten. Du suchst nach etwas Unerreichbaren und darum kann kein Weib deinen hohen Ansprüchen genügen.“

„Warum bist du so wild darauf, um meine Schwester zu freien, wenn du nicht daran glaubst, mit ihr glücklich zu werden?“, fuhr Fulk auf.

„Oh, ich denke wohl, dass ich mit Gisela glücklich werden kann, eben, weil ich mit den Beinen auf dem Boden bleibe und sie auch. Wir mögen uns, fühlen uns auch körperlich angezogen und wir können gemeinsam reden und lachen. Das ist sehr viel und mit all diesen Begebenheiten werden wir eine gute Ehe führen können.“

„Das klingt nett, aber langweilig“, sagte Fulk angewidert.

Brice seufzte.

„Du bist wahrlich ein hoffnungsloser Fall. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja doch noch ein Weib, das dir Feuer unter dem Arsch macht.“

„Vielen Dank!“, sagte Fulk grinsend.

„Gern geschehen!“, gab Brice lachend zurück.

Die Festung kam in Sicht, als es bereits zu dämmern begann. Eine Horde schmutziger, aber fröhlicher Kinder kam ihnen entgegen, um die Jagdbeute zu bewundern. Die Hunde hatten es immer eiliger, nach Hause zu kommen, wo sie ihren verdienten Anteil bekommen würden und einen Platz am warmen Feuer.

***

Die kleine Gesellschaft hatte sich an dem erlesenen Wild und dem besten Wein aus Fulks Keller gütlich getan und nun hatten einige Spielleute begonnen, die Herrschaften zu unterhalten. Die Unterhaltung war laut und übertönte zuweilen die Musik. Es wurde gelacht und gebrüllt und die Hunde kläfften hin und wieder, wenn sie sich um die Reste der Tafel balgten.

Gisela beschloss, sich zurückzuziehen und die weinseligen Männer mit ihren derben Unterhaltungen allein zu lassen. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte etwas weibliche Unterstützung auf der Festung. Sie sehnte sich nach weiblicher Gesellschaft. Ihr Blick wanderte zu ihrem Bruder, der mit seinen Freunden scherzte. Er lachte, doch das Lachen erreichte seine Augen nicht. Sie seufzte. Ihr Bruder hatte genug männliche Gesellschaft, dennoch erschien er ihr noch einsamer zu sein als sie selbst.

Sie erhob sich vom Tisch.

„Gute Nacht wünsche ich. Erlaubt, dass ich mich jetzt zurückziehe!“

Sie war sich bewusst, dass Brice Blick ihr folgte und ihr Herz flatterte aufgeregt. Er war nicht ihr einziger Bewerber, aber nur er brachte ihr Herz zum Hüpfen und ihre Wangen zum Erglühen. Sie warf ihm noch einen Blick zu und erwiderte sein Lächeln, dann verließ sie den Saal.

***

Fulk hatte die Szene beobachtet und runzelte die Stirn. Brice hatte recht. Gisela war tatsächlich zu einer wunderschönen jungen Frau erblüht. Warum war ihm dass nicht selbst aufgefallen, dass ihr Busen und ihre Hüften sich sanft gerundet hatten und die magere, knabenhafte Figur einer runden und weiblichen gewichen war? Wann hatte diese Metamorphose stattgefunden? Es war eindeutig, dass er sich in letzter Zeit viel zu wenig um seine jüngere Schwester gekümmert hatte.

Ob es ihm gefiel oder nicht, sie war nun beileibe kein Kind mehr und es war ihm immer noch lieber, sie mit seinem besten Freund vermählt zu sehen, als mit einem anderen Mann. Brice war im besten Mannesalter, verfügte über einen stattlichen Stammsitz und seine Truhen waren gut gefüllt. Es würde ihr an nichts mangeln und sie würde seinen Haushalt gut zu führen wissen. Trotzdem wollte er darauf bestehen, dass sie zumindest noch bis zum Sommer warteten, bis sie sich vermählten. Er wollte diese delikate Angelegenheit nicht übers Knie brechen und die beiden sollten sicher gehen, dass es sich nicht um eine kurzfristige Vernarrtheit handelte. Sollten sie sich bis zum Sommer nicht anders entscheiden, würde er seinen Segen geben.

„Was schaust du so finster drein?“, wollte sein Nachbar Hartmut wissen. „Komm, trink noch einen Becher mit uns.“

Fulk ließ zu, dass man ihm erneut einschenkte, und versuchte ein Lächeln. Die frisch gefüllten Becher wurden erhoben und Brice ergriff das Wort zu einem Trinkspruch: „Auf unseren Gastgeber, der uns so überaus großzügig bewirtet und auf König Ludwig den Zweiten!“

Die anderen stimmten in den Trinkspruch ein, nur Engilbert ließ es an Begeisterung fehlen, doch dies fiel den gut gelaunten Männern sowieso nicht mehr auf.

Plötzlich war ein Tumult von draußen zu hören. Die Männer sprangen auf und traten aus der Halle ins Freie.

„Wikinger! Wir werden angegriffen!“

Schlagartig waren die Männer wieder nüchtern und sie eilten zu ihren Waffen, um sich sodann ins Kampfgetümmel zu stürzen. Fulk verschaffte sich einen Überblick und erteilte seinen Kriegern Anweisungen.

Die Wikinger hatten es geschafft, die Palisaden zu überwinden und strömten in den Innenhof der Festung, wo sie von Fulk und seinen Männern verbissen bekämpft wurden. Sie waren hünenhaft und sahen mit ihren Bärten und den verzierten Helmen wild und barbarisch aus. Einige trugen sogar Tierköpfe auf dem Haupt. Einer der Kämpfer war auf solche Weise mit einem Wolfskopf samt Fell geschmückt. Er war kleiner und schlanker als die anderen Kämpfer und bartlos. Ein Jüngling, aber nicht minder kampfstark. Fulk sah, wie der Jüngling einen seiner Männer schwer verwundete und sich dann dem nächsten Gegner stellte, dann verlor er ihn im Kampfgetümmel aus den Augen.

Er hatte alle Hände voll zu tun. Diese wilden Nordmänner waren ausgezeichnete Kämpfer, und obwohl er selbst sehr groß war, überragten ihn die meisten Wikinger. Es war wirklich Glücksache, dass ausgerechnet heute so viele Männer in der Festung waren. Hätte er nicht zum Jagdausflug geladen, wären er und seine Männer vielleicht jetzt schon verloren gewesen. Nur durch die zusätzliche Kampfkraft der Besucher war der Kampf einigermaßen ausgeglichen. Trotzdem schien es noch lange nicht sicher zu sein, dass sie den Angriff würden abwehren können.

Eine Weile später stand Fulk endlich dem Jüngling gegenüber, der ihm aufgefallen war. Mit einem Kriegsschrei stürzte der junge Krieger sich auf ihn und ihre Schwerter prallten Funken sprühend aufeinander. Fulk musste zugeben, dass der Junge gut zu kämpfen wusste, doch er bemerkte als erfahrener Kämpfer auch, dass sein Gegner zu ermüden begann. Immer wieder ließ er das Schwert kurz sinken, um seinen Arm zu schonen. Nicht mehr lange, dann würde Fulk ihn überwinden, da war er sich sicher. Er beobachtete die Miene seines Gegners, die eine gewisse Verzweiflung, aber auch Verbissenheit zeigte. Diese Verbissenheit nötigte Fulk einigen Respekt ab und er bedauerte, diesen Jungen vielleicht töten zu müssen. Der Größe und der Statur nach war er wohl höchstens sechzehn. Fulk sah die Erkenntnis der baldigen Niederlage in den ungewöhnlich hellblauen Augen des Wikingers.

Auch die anderen Wikinger gerieten jetzt mehr und mehr in Bedrängnis. Fulks Gegner schien dies auch erkannt zu haben und schrie den anderen etwas zu, worauf diese sich langsam zurückzogen. Drei von ihnen zögerten, als sie sahen, dass der Jüngling keine Rückzugsmöglichkeit mehr hatte und der Junge rief ihnen erneut einen Befehl zu, was ihn einen Moment so sehr ablenkte, dass es Fulk gelang, ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen. Die drei verbliebenen Wikinger stürzten sich wütend auf ihn, doch sie wurden schnell von Fulks Männern überwältigt. Die anderen Barbaren hatten die Flucht ergriffen.

„Du hast gewonnen, Franke“, schrie der Jüngling ihm entgegen und sah ihn hasserfüllt an.

„Du sprichst unsere Sprache“, stellte Fulk fest.

„Bilde dir nichts darauf ein, Franke“, erwiderte der Junge verächtlich. „Was wirst du nun tun? Wirst du mich und meine Männer töten?“

„Bist du ihr Anführer?“

Der Junge nickte und reckte stolz das Kinn.

„Dann wirst du von ihnen getrennt untergebracht. Ihr seid meine Gefangenen. Wie ich mit euch verfahren werde, muss ich erst einmal überdenken.“

Er gab Anweisungen, die Gefangenen zum Verschlag zu schaffen, der als Gefängnis diente, und den Anführer getrennt zu halten von seinen Männern, dann machte er sich daran, die Bilanz des Überfalls zu erstellen. Es gab einen toten Krieger zu beklagen und viele Verwundete, die man in die Halle geschafft hatte. Die Frauen eilten bereits zwischen den Männern hin und her und kümmerten sich um die Versorgung. Fulk gab einer Magd Anweisung, Badewasser in sein Gemach zu bringen und begab sich nach oben.

***

Ylfa fluchte frustriert vor sich hin, als sich die Tür zu ihrem Verschlag hinter ihr schloss. Wie hatte das nur passieren können? Es waren viel mehr Krieger in dieser Festung gewesen, als sie vermutet hatte und sie hatten gut gekämpft. Nun saß sie in der Falle und drei ihrer Männer ebenfalls. Zum Glück hatten die Anderen fliehen können. Sie würden nach Hause segeln und ihrem Vater berichten, was sich zugetragen hatte. Er würde sie umbringen, falls diese verdammten Franken ihm nicht zuvor kamen. Sie hatte seine besten Männer genommen und war auf Raubfahrt gefahren. Ohne seine Erlaubnis, welche er ihr natürlich nie gegeben hätte, schließlich war sie nur ein Mädchen. Er hatte ihr zwar das Kämpfen beigebracht, aber dennoch durfte sie ihr Können niemals unter Beweis stellen. Warum war sie nicht als Mann auf die Welt gekommen, dann wäre vieles einfacher. Sie verfluchte die Tatsache, dass sie nur eine Frau war.

Aufgeregt lief sie in ihrem Gefängnis auf und ab. Es war ziemlich klein, drei Schritte im Quadrat. Ihre einzige Lichtquelle war die Fackel vor ihrer Tür, die durch die Ritze zwischen den Holzplanken einen schwachen Schein in ihre Zelle warf. Einzige Ausstattung des Raumes war eine hölzerne Bank, die viel zu kurz war und ein Eimer für die Notdurft. Das Stroh auf dem Boden war muffig, dämpfte aber etwas die Kälte, die von dem gestampften Boden ausging. Eine Decke oder Felle gab es nicht und Ylfa fror schon jetzt erbärmlich. Seufzend setzte sie sich auf die Bank und schlang die Arme um ihre angewinkelten Knie.

Das war wirklich eine miese Lage, in die sie sich da gebracht hatte. Dieser finster aussehende Franke, welcher der Herr dieser Festung zu sein schien, hatte verdammt gut gekämpft und er war fast so groß, wie ein Wikinger, mit ebenso mächtigen Muskeln. Wie geschickt er sein Schwert geführt hatte. Es war wahrlich keine Schande, gegen so einen Gegner verloren zu haben. Was sie viel mehr beunruhigte, war das seltsame Gefühl, das sie ergriffen hatte, als sie ihm in diese katzenhaft grünen Augen gesehen hatte. Es war ein seltsames Gefühl in ihrem Bauch, so wie das Kribbeln, wenn man sich vor etwas fürchtete. Verdammt! Sie fürchtete diesen Bastard nicht. Ein Wikinger fürchtete weder den Kampf noch den Tod. Ärgerlich war nur, dass ihr als Frau der Weg nach Walhalla verwehrt war, auch wenn sie tapfer im Kampf sterben würde. Es war wirklich eine große Ungerechtigkeit!

Kapitel 2

Nachdem Fulk sichgebadet hatte, ließ er seine Wunden von seiner Schwester versorgen. Zum Glück waren es nur recht harmlose Kratzer, die bald heilen würden. Nur der Schnitt auf seinem linken Oberschenkel bereitete ihm ein wenig Probleme beim Laufen.

„Soll ich die Gefangenen auch versorgen? Ich glaube, sie sind ebenfalls verletzt“, fragte Gisela ihren Bruder.

Fulk schnaubte verächtlich.

„Habe ich sie vielleicht gebeten, uns anzugreifen?“

Gisela legte beschwichtigend eine Hand auf Fulks Arm und schaute ihn aus ihren freundlichen, braunen Augen an.

„Es ist unsere Christenpflicht, sie anständig zu versorgen, auch wenn du vorhast, sie hinzurichten“, sagte sie unbeirrt.

„Nun gut, wenn du unbedingt willst“, brummte Fulk. „Aber du gehst nicht allein! Ich werde mit dir gehen, morgen früh. Sie werden schon so lange überleben.“

„Wie du meinst, Bruder. Aber morgen nach dem Frühmahl werden wir nach ihren Verletzungen schauen. – Ich werde mich dann jetzt zur Nachtruhe begeben, wenn du mich nicht mehr brauchst.“

„Nein, nein. Ich komm schon zurecht. – Geh nur und schlaf gut.“

„Danke. Du auch. – Soll ich dir einen Trunk bringen lassen, der dich besser einschlafen lässt?“

„Nein“, wehrte Fulk ab. „Ich brauche wirklich nichts, Schwester. Nur etwas Ruhe.“

Gisela erhob sich und gab ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange.

„Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“

Fulk fühlte sich rastlos. Er begann, in seinem Zimmer auf und ab zu laufen. Immer wieder ging ihm der Überfall durch den Kopf. Wieso hatten die Wikinger gerade seine Festung angegriffen? Es gab einige, die dichter an der Küste lagen und einfacher zu erreichen waren. Und wieso folgten die wilden Krieger einem bartlosen Jüngling? Er musste etwas Besonderes sein.

„Verdammt! Wenn ich nur wüsste, was das alles zu bedeuten hat!“

Da Fulk viel zu aufgeregt zum Schlafen war, beschloss er, noch einmal nach seinen Männern zu sehen.

Brice hatte es an der Schulter erwischt und es war fraglich, ob ihm die volle Beweglichkeit seines Schwertarms erhalten bleiben würde. Engilbert war am Oberarm verletzt, zum Glück am linken und er hatte ein paar kleinere Verletzungen an Brust und Armen. Drei seiner Krieger waren schwer verwundet und es war nicht sicher, ob sie die Nacht überstehen würden. Zuerst suchte Fulk seinen Vetter in dessen Zimmer auf und wünschte ihm pflichtschuldig eine baldige Genesung und eine gute Nacht. Dann schaute er nach den verletzten Kriegern und ging zuletzt zu seinem Freund, der sich mit einem Stuhl vor das Feuer gesetzt hatte und einen Becher mit gewürztem Apfelwein leerte. Fulk zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm.

„Wie geht es deiner Schulter? Hast du Schmerzen?“, fragte er und nahm einen Becher mit Met entgegen, den eine Magd ihm reichte.

„Es ist nicht so schlimm. Das hilft darüber hinweg. Noch einen Becher und ich schlaf selig wie ein Neugeborenes“, antwortete Brice mit einem Grinsen. „Und wie steht es bei dir?“

„Ach, halb so wild.“ Fulk nahm einen tiefen Zug von dem Met und wischte sich über den Mund. „Meine Schwester will morgen früh unbedingt die gefangenen Wikinger versorgen. Sie meint, es wäre unsere Christenpflicht. Pah!“

Fulk nahm einen weiteren Schluck. Er starrte in die flackernden Flammen des Feuers. Ein durchgeglühtes Holzscheit barst auseinander und Funken sprühten.

„So unrecht hat sie doch nicht. Was ist schon dabei, wenn du sie ihre Wunden versorgen lässt?“ Brice winkte einer Magd und orderte einen neuen Becher Apfelwein, dann wandte er sich wieder seinem Freund zu. „Was hast du jetzt eigentlich mit deinen Gefangenen vor?“

„Darüber werde ich mir morgen den Kopf zerbrechen. Ich werde jetzt noch mal nach diesem jungen Anführer sehen und versuchen, etwas aus ihm heraus zu bekommen. Er ist verdammt jung für einen Anführer.“

Entschlossen leerte Fulk seinen Becher in einem Zug und knallte ihn vor sich auf den Tisch.

„Vielleicht ist er der Sohn eines Anführers. Männer folgen keinem kleinen Jungen, wenn er nicht etwas Besonderes ist“, überlegte Brice und kratzte sich ausgiebig das Kinn.

„Eben das ist es, was mir Kopfzerbrechen bereitet“, seufzte Fulk. „Ich nehme ihn mir noch einmal vor. Wir sehen uns morgen beim Frühmahl.“

„Ja. Eine gute Nacht.“

Fulk erhob sich und legte seine Hand auf Brice gesunde Schulter. „Gute Nacht!“

Fulk ließ sich die Tür von einem Wärter aufschließen und betrat den Verschlag, wo man den Anführer der Wikinger untergebracht hatte. Der Wärter steckte zwei Fackeln in eiserne Wandhalterungen, denn es war sehr dunkel in dem kleinen, fensterlosen Raum. Fulk gewahrte den jungen Wikinger, der auf der harten Bank hockte und ihn aus türkisfarbenen Augen anfunkelte. Er trug noch immer das Wolfsfell mit Kopf auf dem Haupt, was ihm trotz seiner weichen Gesichtszüge eine gewisse animalische Bedrohlichkeit verlieh.

„Lass uns allein!“, befahl Fulk dem Wärter.

„Aber Herr, er ist vielleicht gefährlich!“

„Hast du Schwierigkeiten damit, meine Befehle zu befolgen?“, fragte Fulk mit drohender Stimme.

„Nein, gewiss nicht Herr Graf!“, antwortete der Wärter unterwürfig und verließ den Raum, die Tür hinter sich schließend.

Eine Weile herrschte Schweigen, während Wikinger und Franke sich gegenseitig herausfordernd musterten. Es gefiel Fulk, dass der Junge keine Angst zeigte, auch wenn er sie sicherlich hatte. Jeder vernünftige Mann hatte Angst. Fulk nahm sich die Zeit, sein Gegenüber genau zu betrachten. Die ledernen Beinkleider waren blutbefleckt und am Oberschenkel sogar blutdurchtränkt. Der Junge war also doch verletzt. Die Tunika war teilweise zerrissen und der lederne Brustpanzer, den der Wikinger darüber trug, war mit seltsamen Zeichen verziert. Das Gesicht des Jungen war verdreckt, was seine hellen Augen noch mehr leuchten ließ. Die Gesichtszüge waren fast zu schön für einen Jungen. Die Nase schlank und kühn geschwungen, die Lippen voll und die Augen wurden von langen Wimpern und fein geschwungenen Brauen umrahmt.

„Wie nennt man dich?“, wollte er wissen.

„Ylfa!“, antwortete der Wikinger brummig.

„Du bist verletzt!“, sagte Fulk und deutete auf die blutige Hose.

„Ein Kratzer!“, sagte Ylfa abfällig. „Ist nicht meine erste Verletzung.“

„Trotzdem werde ich das untersuchen lassen“, sagte Fulk bestimmt und rief den Wärter.

Es dauerte nicht lange, bis der Gerufene in den Raum geeilt kam. Er blickte mit grimmiger Miene umher, offenbar in dem Glauben, der Gefangene hätte irgendwelche Schwierigkeiten gemacht. Als er die Lage erfasst hatte und offensichtlich keine Gefahr zu drohen schien, wandte er sich Fulk zu, in Erwartung eines Befehls.

Fulk sprach, ohne den Blick von dem Gefangenen abzuwenden.

„Schick nach Jungfer Gisela. Sie soll etwas zum Verbinden mitbringen.“

Der Wärter nickte und eilte davon.

„Ich brauche kein Weib, das mich wickelt wie ein Kleinkind“, knurrte Ylfa.

„Das entscheide ich! Du hast hier keinerlei Rechte mehr. Ich will, dass du bei bester Gesundheit bist, wenn ich über dein weiteres Schicksal entscheide.“

„Reine Verschwendung, wenn du mich sowieso töten willst. Glaube nicht, dass ich Angst davor habe“, sagte Ylfa mit einem mühsam verborgenen Zittern in der Stimme.

„Natürlich nicht!“, antwortete Fulk mit einem gönnerhaften Grinsen.

Das Bürschchen imponierte ihm immer mehr. Wer auch immer sein Vater war, er konnte stolz auf seinen Sohn sein.

„Warum hast du meine Festung überfallen? Es gibt einige Anlagen, die besser gelegen sind, dichter am Meer. Was hat dich hier her verschlagen?“

Ylfa schwieg beharrlich.

„Nun, vielleicht braucht es ein wenig Überredungskunst, um deine Zunge zu lockern. Wie würde dir die Peitsche gefallen? Sie hat schon stärkere Männer als dich zum Reden gebracht“, sagte Fulk mit bedrohlichem Unterton.

„Du bist seltsam, Franke. Erst willst du meine Wunden heilen, dann drohst du mir mit der Peitsche. Ist das bei euch etwa so üblich?“

Fulk fluchte im Stillen. Das hatte er nun davon, dass er sich von Giselas Gutmütigkeit hatte anstecken lassen. Nun war seine Glaubwürdigkeit dahin.

„Denk nicht, dass ich davor zurückschrecke, dir wehzutun. Es gibt einige Methoden, die dich quälen, ohne dabei allzu großen körperlichen Schaden anzurichten.“

Mit Genugtuung registrierte er das kurze Aufblitzen von Angst auf dem Gesicht des Wikingers, auch wenn dieser sich schnell wieder unter Kontrolle hatte.

„Überlege es dir gut!“

In diesem Moment betrat Gisela mit einem Korb über dem Arm den Verschlag. Fragend sah sie ihren Bruder an. Hatte er nicht gemeint, dass sie erst morgen nach dem Gefangenen sehen würden? Ihr Blick fiel auf den Wikinger, der noch erstaunlich jung aussah. Das sollte der Anführer der wilden Wikingerbande sein? Sicher, Männer zogen jung in die Schlacht. Doch nicht als Anführer von Männern, die nicht nur älter, sondern auch erfahrener waren. Irgendetwas stimmte hier nicht, das spürte Gisela. Sie konnte nur noch nicht sagen, was es war.

„Da bist du ja, Schwester. Der Junge ist am Oberschenkel verletzt. Ich werde nach Wasser schicken lassen, dass du die Wunde reinigen kannst.“

„Nicht notwendig, Bruder. Das habe ich schon getan. Es müsste gleich jemand kommen“, antwortete Gisela.

„Gut!“ Fulk wandte sich an Ylfa. „Kann ich dir trauen, wenn ich meiner Schwester erlaube, dich zu versorgen? Ich warne dich – eine falsche Bewegung und du bist ein toter Mann.“

Ylfa grinste verächtlich. „Keine Angst. Ich mach der Kleinen schon nichts.“

Gisela drängte sich an ihrem Bruder vorbei und stellte ihren Korb neben die Bank. „Zieh deine Hosen aus!“

„Nun mach schon! Tu, was sie gesagt hat!“, schnauzte Fulk, als der Junge zögerte.

„Nein! Sie soll die Hose aufschneiden!“, begehrte Ylfa auf.

Fulk grinste höhnisch.

„So, das Bübchen geniert sich, vor einer Dame die Hosen fallen zu lassen.“ Er wandte sich an Gisela, die ihre Hände in die schmalen Hüften gestemmt hatte. „Mach schon. Schneid ihm die verdammten Hosen auf. Ich wollte nicht die ganze Nacht hier verbringen.“

***

Gisela seufzte ergeben und nahm ein Messer zur Hand, mit dem sie die Hose auftrennte, um die Wunde großflächig freizulegen. Der Schnitt war zum Glück nicht tief und hatte keinen Muskel verletzt. Trotzdem hatte die Wunde viel geblutet und war jetzt verkrustet und schmutzig.

Ein Knecht kam mit dem heißen Wasser.

„Ah, gerade zur rechten Zeit!“, bemerkte Fulk und deutete dem Bediensteten, das Wasser neben Giselas Korb zu stellen. Vorsichtig wusch Fulks Schwester die Wunde, strich eine heilende Salbe darauf und verband das Bein. Prüfend sah sie Ylfa in die hellblauen Augen, dann lächelte sie. „Sitzt der Verband auch nicht zu fest?“

„Nein, danke“, antwortete Ylfa. „Du hast Zauberhände. Die Wunde tut fast gar nicht mehr weh.“

„Nun, so ist das eben. – Männer kämpfen und Frauen flicken sie wieder zusammen“, sagte Gisela bedeutsam und betonte die Worte „Männer“ und „Frauen“. Mit diebischem Vergnügen registrierte sie, dass Ylfa errötete. Sie hatte verstanden.

„Können wir dann jetzt?“, fragte Fulk leicht genervt. „Ich würde gern in mein Bett, ehe der Morgen graut.“

Gisela packte ihre Sachen zusammen und verließ mit ihrem Bruder den kleinen Raum. Der Wärter verschloss gewissenhaft die schwere Tür und wünschte seinen Herrschaften eine angenehme Nachtruhe.

***

„Wenn ich nun schon mal hier bin, möchte ich auch nach den anderen Gefangenen sehen“, verlangte Gisela, nachdem sie mit Fulk den Verschlag verlassen hatte.

Fulk stöhnte. Das hatte er davon, dass er seine Schwester hatte rufen lassen. Frauen brachten einem Nichts als Unannehmlichkeiten ein.

„Morgen kannst du sie versorgen. Für heute Nacht habe ich genug von dreckigen Barbaren. Du wirst jetzt zu Bett gehen und ich auch!“, sagte er, entschlossen nicht wieder klein beizugeben.

Gisela blieb ruckartig stehen, stellte ihren Korb ab und stemmte die Hände in die Hüften. Fulk blieb stehen und sah sie erstaunt an. Sie reichte ihm nur bis zur Brust und war sehr zierlich gebaut, aber wie sie so entschlossen dastand und ihn wütend anfunkelte, bekam er gehörigen Respekt vor ihr. Sie erinnerte ihn in diesem Moment an seine Mutter, die eine sehr resolute Persönlichkeit gewesen war.

„Oh nein, lieber Bruder! In dieser Sache wird es nach meinem Willen gehen, sonst kannst du was erleben!“