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Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Prägungen aus Ihrer Kindheit Ihr jetziges Leben erschweren oder gar belasten? In "Das Innere Kind verstehen für Dummies"finden Sie leicht lesbare Erläuterungen, wie sich abgespaltene Emotionen und Traumatisierungen aus der Kindheit nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Alltag auswirken und die Gesundheit beeinträchtigen. Lebendige Fallbeispiele aus der therapeutischen Praxis verdeutlichen die Beschreibungen. Ein wirkungsvoller Zehn-Schritte-Plan ermöglicht es Ihnen, eine nachhaltige Balance zwischen erwachsenen und kindlichen Persönlichkeitsanteilen zu erzielen, um mehr Authentizität, Autonomie und Selbstbewusstsein in Ihrer aktuellen Lebensführung zu gewinnen.
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Seitenzahl: 544
Python für Dummies
In jedem erwachsenen Menschen sind Persönlichkeitsteile aktiv, die aus der Kindheit stammen. Solche sogenannten Inneren Kinder können in unterschiedlichen Altersstufen entstanden sein. Sie bewahren nicht nur die Erinnerung an prägende positive und negative Erlebnisse der Kindheit, sondern vor allem die daraus entstandenen Gefühle, Denk- und Verhaltensroutinen. Außerdem werden diese kindlichen Erfahrungen und Lebensgewohnheiten in einem Gehirnteil gespeichert, der deutlich älter und durchsetzungsstärker ist als der erwachsene Verstand. Deshalb sind alle Erkenntnisse, Überzeugungen und Reaktionsmuster der frühesten Lebensjahre Teil des Unterbewusstseins und mit dem bewussten Willen nur schwer zu erfassen und zu steuern.
Gewollt oder ungewollt haben Eltern die Macht, die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes zu steuern. Denn ein Kind ist eine lange Zeit bedürftig, leicht beeinflussbar und von seinen Bezugspersonen existenziell abhängig. Aus Angst vor Bindungsverlust und Strafe passen sich einige Kinder perfekt an die Rollenerwartungen und (emotionalen) Bedürfnisse der Eltern an. Zwangsläufig verlieren sie dadurch im Laufe der Zeit nicht nur ihre kindliche Verspieltheit und Sorglosigkeit, sondern vor allem ihre Selbstbestimmung, den Bezug zu ihren eigenen Bedürfnissen und ihren eigenen Willen. Konfliktunfähigkeit, Perfektionismus, Überverantwortung, Harmoniestreben und das Helfersyndrom haben hier ihren Ursprung.
Andere Kinder provozieren negative Aufmerksamkeit durch permanente Rebellion, Widerstand oder Selbstsabotage. Denn je jünger ein Kind ist, desto schneller entsteht bei ihm ein Gefühl von Todesangst, wenn es sich nicht beachtet, abgelehnt oder verlassen fühlt. Unbewusst wird es sich sogar selbst die Schuld für die Vernachlässigung geben, statt zu erkennen, dass das Problem auf der Seite der Bindungsperson liegt. Neben einer solch verzerrten Realitätswahrnehmung und hartnäckigen Gefühlen von Scham, Hilflosigkeit, Existenzangst und Einsamkeit zählen ein geringer Selbstwert und mangelnde Kritikfähigkeit zu den langfristigen Folgen.
Die Entscheidung, in wen man sich verliebt, ist oft weder Zufall noch wird sie von der erwachsenen Persönlichkeit gefällt. In den meisten Fällen steuert das Innere Kind die Auswahl des Partners. Denn den Sehnsüchten und Erwartungen an eine optimale Partnerschaft liegen im Grunde die gleichen Bedürfnisse nach bedingungsloser Liebe, Geborgenheit, Aufmerksamkeit und wortloser Übereinstimmung zugrunde, wie die eines Kindes an seine Mutter. Daher sind tiefe Ablehnungs- oder Verlustangst sowie übertriebene Eifersucht meist unbewusste Kindergefühle, deren Ursprung auf eine unsichere Bindung zur Hauptbezugsperson zurückzuführen ist.
Das Berufsleben weist große Parallelen zur Kindheit auf, weil in der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern fast das gleiche Machtgefälle besteht wie zwischen Eltern und Kindern. Zudem hängt die Gehalts- und Karriereentwicklung oft von einer gefühlt willkürlichen Beurteilung der Arbeitsleistung ab. Wer sich durch seinen Chef übermäßig dominiert oder missachtet fühlt, steckt oft unbemerkt in seinem Inneren Kind. Dessen hohe Leistungsbereitschaft und erfolglose Suche nach äußerer Anerkennung kann eine Ursache für Burn-out sein.
Möglicherweise ist das Innere Kind an der Entstehung hartnäckiger Krankheitssymptome oder therapieresistenter Schmerzen beteiligt. Bei vielen, vor allem älteren Menschen, gehörten jahrelange Gewalt, Willkür und Übergriffe durch Erziehungsberechtige zum normalen Alltag in der Kindheit. Dadurch entstand ein Inneres Kind, das seine natürlichen Impulse von Angst oder Wut unterdrücken musste, um zu überleben. Doch wenn die innere Aggression über lange Zeit nicht im Außen abreagiert werden kann, bleibt sie zwangläufig im Körper stecken. Dort kann sie sich schädigend gegen einzelne Organe oder Körperteile richten und sogenannte »auto-aggressive« Erkrankungen verursachen.
Im Laufe der Kindheit sind aus anerzogenen Moralvorstellungen, elterlichen Erwartungen und (Lern-)Erfahrungen zutiefst unbewusste, automatisierte Angewohnheiten entstanden, die das Denken, Fühlen und Handeln im weiteren Leben beeinflussen. Doch die einschränkenden Überzeugungen, Reaktionsmuster, Verteidigungs- und Abwehrmechanismen des Inneren Kindes verlieren allmählich ihren Automatismus, sobald sie der erwachsene Anteil der Persönlichkeit bewusst wahrnimmt und ihre Sinnhaftigkeit für die aktuelle, eigenverantwortliche Lebensführung kritisch hinterfragt. Auf dem Weg zu einer lebendigen, souveränen und authentischen Persönlichkeit müssen auch die echten, von den Eltern verbotenen Gefühle wieder gefühlt werden, weil sie der Schlüssel zum eigenen Willen, den eigenen Bedürfnissen, zur Selbstbestimmung und Autonomie sind. Dies wird jedoch erfahrungsgemäß nicht mit einem schnellen Befreiungsschlag zu erreichen sein, sondern muss sich in einem längeren, behutsamen Prozess entfalten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 2021
© 2021 WILEY-VCH GMBH, Weinheim
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This translation published by arrangement with John Wiley and Sons, Inc.
Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form. Diese Übersetzung wird mit Genehmigung von John Wiley and Sons, Inc. publiziert.
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Wiley, die Bezeichnung »Für Dummies«, das Dummies-Mann-Logo und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.
Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autorin und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Coverfoto: © Catherine Zibo / adobe.stock.com
Korrektur: Johanna Rupp, Wallstadt
Druck und Bindung
Print ISBN: 978-3-527-71583-1
ePub ISBN: 978-3-527-82059-7
Diana Weber ist selbstständige Heilpraktikerin für Psychotherapie und spezialisiert auf die Durchführung von systemischen Aufstellungen für persönliche, gesundheitliche und berufliche Anliegen im Rahmen der Einzel-, Paar- und Familientherapie. Für sie ist die Arbeit mit dem Inneren Kind kein Modethema, sondern eine der wichtigsten Grundlagen für eine gesunde, authentische Persönlichkeitsstruktur. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Thomas Weber hat sie mit viel Liebe, Sensibilität und Sachverstand eine Reihe von effektiven Seminaren zum Inneren Kind konzipiert, um den Teilnehmern einen behutsamen Kontakt mit ihrer kindlichen Vergangenheit zu ermöglichen. Ausführliche Informationen sind auf ihrer Internetpräsenz https://www.innere-kind-seminare.de zu finden.
Eigentlich hatte ich kein Bedürfnis, jemals ein Buch zu schreiben. Dass es doch noch so weit gekommen ist, liegt an meiner Lektorin Inken Bohn. Ihr verdanke ich die Erkenntnis, dass für den angestrebten Informationsgewinn beim Leser äußerst präzise Formulierungen erforderlich sind, die eine große Klarheit beim Autor voraussetzen. Somit war es die perfekte Gelegenheit, meinen fachlichen Hintergrund zum Thema Inneres Kind durch vielfältige Recherchen nochmals deutlich zu erweitern. Die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in einer verständlichen Form zu vermitteln, wurde bei mir von meinen Eltern Theo und Ursula sowie meinen Brüdern Thomas und Sascha früh gefordert und gefördert. Nicht nur dafür danke ich Euch Vieren heute von ganzem Herzen! Meine Freunde sowie unzählige Klienten haben die Höhen und Tiefen meines Schreibprozesses mit ihren Ermunterungen begleitet. Jedem Einzelnen gebührt ein riesiges Dankeschön. Doch die umfassendste Unterstützung bei der Erstellung dieses Buches bekam ich von meinem Ehemann Thomas. Deine unendliche Geduld und bedingungslose Liebe sind immer wieder ein großartiges Geschenk. Du bist in jeder Hinsicht wundervoll!
Cover
Über die Autorin
Danksagung
Einführung
Über dieses Buch
Konventionen in diesem Buch
Meine Arbeitsweise
Was Sie nicht lesen müssen
Törichte Annahmen über den Leser
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Wie es weitergeht
Teil I: Wichtige Grundlagen zum Inneren Kind
Kapitel 1: Zum Verständnis des Inneren Kindes
Unterschiedliche therapeutische Persönlichkeitsmodelle
Die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Teilpersönlichkeiten
Das Modell des Inneren Kindes
Warum das Innere Kind ein Teil des Unterbewusstseins ist
Wenige Erinnerungen an das Innere Kind
Das Innere Kind – impulsiv und hoch emotional
Verleugnete, bekämpfte und verdrängte Charaktereigenschaften
Die Ziele der Inneren-Kind-Arbeit
Meine Arbeitsmethoden
Kapitel 2: Die wichtigsten kindlichen (Grund-)Bedürfnisse
Willkommen sein
Ausreichende Bewegung
Erlaubnis für starke Emotionen
Glaubwürdige Vorbilder haben
Das Recht auf einen eigenen Willen
Wohlwollende Sprachförderung erfahren
Kapitel 3: Die überlebenswichtige Funktion der Bindung
Angeborene Bindungsbereitschaft
Die Folgen, als Kind mutterseelenallein zu sein
Die Bindungstheorie
Das Konzept der Feinfühligkeit
Vier typische Bindungsmuster
Neuere Erkenntnisse der Bindungsforschung
Kapitel 4: Die unverzichtbaren Leistungen der Eltern
Das Mysterium der Mutterliebe
Vaterliebe braucht etwas Übung
Die prägende Rolle der Mutter
Die prägende Rolle des Vaters
Die Kooperation von Eltern
Gefahren bei alleinerziehenden Eltern
Nichts bleibt wie es einmal war
Kapitel 5: Wie (Innere) Kinder lernen – beobachten, kopieren und experimentieren
Verschiedene Arten des kindlichen Lernens
Objektorientiertes Lernen
Lernen durch Unterweisung
Kapitel 6: Frustration körperlicher und emotionaler Bedürfnisse
Unrealistische Erwartungen
Komplexes Familienleben
Gefährliche Gefühlsansteckung
Kapitel 7: Das Innere Kind und ein angepasstes, falsches Selbst
Erziehung und kindliche Identitätsentwicklung
Erziehung mit kindlichen Urängsten
Kinder wollen gefallen
Elterlicher Anpassungsdruck und das falsche kindliche Selbst
Der echte Persönlichkeitskern und das verdrängte Innere Kind
Macht und Ohnmacht zwischen Eltern und Kindern
Teil II: Wenn traumatische Ereignisse die normale kindliche Entwicklung hemmen
Kapitel 8: Wissenswertes über Psychotraumata
Der Entwicklungsprozess bis zum Trauma
Sinn der Persönlichkeitsspaltung
Merkmale eines Trauma-Ich
Das Zusammenspiel der Persönlichkeitsanteile nach einem Trauma
Unterschiedliche Arten von Psychotraumata
Eine Traumaerfahrung ist personenabhängig
Der Unterschied zwischen Trauma und Stress
Kapitel 9: Traumatisierende Situationen für Babys und Kinder
Vorgeburtliche Traumata – Traumata im Mutterleib
Traumatisierende Ereignisse im Geburtsprozess
Nachgeburtliche Traumata
Kapitel 10: Traumatisierte Eltern und ihre (Inneren) Kinder
Deutschland, eine traumatisierte Nation
Die Generation der Kriegskinder
Eine Auswahl etablierter Traumatherapien
Keine Angst vor einer Traumatherapie
Teil III: Den unbewussten Einfluss des Inneren Kindes im Alltag verstehen
Kapitel 11: In Beziehungen und der Partnerschaft das Innere Kind erkennen
Die große Liebe – eine Sehnsucht des Inneren Kindes
Immer gleich verlaufende Streiterei
Regelmäßig scheiternde (Paar-)Beziehungen
Bindungsangst als Erwachsener
Eifersucht und Verlustangst
Neigung zum Fremdgehen und zu sexuellen Eskapaden
Kapitel 12: Im Studium und Beruf das Innere Kind erkennen
Panik bei der schriftlichen Hausarbeit
Unterschiedliche Autoritätskonflikte
Mangelhafte Kritik- und Konfliktfähigkeit
Fehlendes Selbstvertrauen trotz objektiv hervorragender Kompetenzen
Burn-out – erfolglose Suche nach Anerkennung
Das Phänomen Mobbing
Kapitel 13: In gesundheitlichen Symptomen das Innere Kind erkennen
Der Körper – eine biologische Meisterleistung
Die zerknirschte Tochter
Panik und chronische Schmerzen
Zuckersüßes Übergewicht
Schmerzhafte Blasenentzündungen
Unerfüllter Kinderwunsch
Miterlebter Schmerz
Kapitel 14: In der Erziehung eigener Kinder das Innere Kind erkennen
Angst vor kindlichen Gefühlen
Ablehnung durch die Kinder
Von einer emotionalen Eisscholle zur Insel der Ausgelassenheit
Bitte lebe meine Träume
Kapitel 15: Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen
Unfähigkeit, Nein zu sagen
Unfähigkeit, Entscheidungen zu fällen
Charmante Aufschieberitis
Zu sich selbst stehen
Depressive Phasen: Gefühl innerer Einsamkeit und Leere
Helfersyndrom – nichts Eigenes machen dürfen
Teil IV: Die erwachsene Persönlichkeit und das Innere Kind in eine gesunde Balance bringen
Kapitel 16: Die Kindheit – Lehrzeit für das Leben
Das effektivste Trainingslager der Welt
Lebensumständen zustimmen – Abhängigkeit ertragen
Eigenverantwortung und Kommunikationsfähigkeiten entwickeln
Soziale Beziehungsfähigkeit und Intuition entwickeln
Loslassen üben als Weg in die Selbstbestimmung und Freiheit
Freiheiten erkämpfen
Emotionale Abhärtung trainieren
Unberechenbare Eltern
Die Kindheit ist vorbei
Kapitel 17: Eigenverantwortung übernehmen
Loslösung von elterlichen Prägungen
Die Eltern enttäuschen
Emotionale und materielle Abhängigkeit beenden
Groll und Verbitterung
Eigenliebe statt Selbstsabotage
Kapitel 18: Unterschiede zwischen kindlichen und erwachsenen Anteilen
Kindliche Anteile und die Vergangenheit als Entschuldigung
Kindliche Anteile und ihre paradoxe Wahrnehmung
Erwachsene Anteile und deren Augenhöhe mit anderen Menschen
Kindliche Anteile und deren passive Versorgungswünsche
Erwachsener Anspruch auf Respekt oder kindliche Überempfindlichkeit
Erwachsene Liebe oder kindliche Bedürftigkeit
Erwachsene Spiritualität oder kindliche Realitätsflucht
Das spirituelle »Ego« und das Innere Kind
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 19: Zehn Möglichkeiten, dem Inneren Kind zu begegnen
Sich an die Wohnung der Kindheit erinnern
Mit Menschen sprechen, die einen als Kind kannten
Sich daran erinnern, was einem als Kind wichtig war
Typische Sätze der Eltern oder Bezugspersonen
Bücher und Filme anschauen, die man als Kind gern hatte
Einen Brief an die Eltern schreiben, was man sich von ihnen in der Kindheit gewünscht hätte, aber nicht bekommen hat
Kindheitsträume aufschreiben und überlegen, was man davon heute noch verwirklichen möchte
Mit guten Freunden über die eigene Kindheit sprechen
Sich Fotos aus der eigenen Kindheit anschauen
Dem Kind in sich einen Brief schreiben und ihm erzählen, wie sich sein Leben in der Zukunft entwickeln wird
Kapitel 20: Zehn Möglichkeiten für einen freundlichen Umgang mit sich selbst und dem Inneren Kind
Nicht von sich selbst erwarten, perfekt zu sein
Sich nicht mit anderen Menschen vergleichen
Sich vor schwierigen Situationen Mut zusprechen
Sich selbst gegenüber großzügig sein
Spaß mit sich selbst haben
Sich selbst Komplimente machen
Im Umgang mit anderen Menschen nicht nett, sondern authentisch sein
Anderen Menschen nur helfen, wenn man es wirklich will und nicht, weil Konventionen es verlangen
Auch die vermeintlich negativen Gefühle akzeptieren
Geduldig mit sich selbst und der eigenen Entwicklung sein
Kapitel 21: Zehn Arbeitsschritte für ein Gleichgewicht zwischen Innerem Kind und Innerem Erwachsenem
Besonders prägende negative Erlebnisse in der Kindheit
Überzeugungen und Glaubenssätze über sich selbst
Mit der Situation verbundene besondere Gefühle
Besondere Fähigkeiten durch die Situation entwickeln
Das Innere Kind für die damals entwickelte Fähigkeit loben
Reaktionen in einer ähnlichen Situation
In der Situation erwachsen reagieren
Eine erwachsene Reaktion und mögliche Folgen
In einer ähnlichen Situation reagieren
Zukünftige konkrete Reaktionen in einer ähnlichen Situation
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
Kapitel 8
Tabelle 8.1: Die definierten Phasen eines Traumas
Tabelle 8.2: Präsenz der gespaltenen Persönlichkeitsanteile
Tabelle 8.3: Unterschiedliche Abläufe eines Traumaereignisses trotz gleicher Situ...
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Die moderne Psychologie geht davon aus, dass ab einem bestimmten Alter in jedem Menschen zwei unterschiedliche, aber sehr wesentliche Persönlichkeitsanteile existieren. Es gibt den sogenannten Inneren Erwachsenen, der für das bewusste Denken und Handeln im Alltag verantwortlich ist. Gleichzeitig wird das Erleben in der Gegenwart aber auch – meist unbemerkt – von dem zugehörigen Inneren Kind gesteuert. Denn das Innere Kind enthält alle prägenden positiven und negativen Erfahrungen der Kindheit und repräsentiert damit das Unbewusste und die Gefühle in einem Menschen. Aufgrund dieser beiden Gegensätzlichkeiten befinden sich Menschen oft in einem inneren Spannungsfeld, das eine zufriedenstellende Interaktion mit der Umwelt erschwert.
Das Innere Kind verstehen für Dummies ist eine kompakte Einführung zum Konzept des sogenannten Inneren Kindes. Sie erfahren, wie sich abgespaltene Emotionen und Traumatisierungen aus der Kindheit nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen und gesundheitlichen Alltag auswirken können. Anschaulich verdeutlicht wird das durch zahlreiche lebendige Fallbeispiele aus der therapeutischen Arbeit. Sie können mit einem wirkungsvollen Zehn-Schritte-Plan lernen, wie Sie eine nachhaltige Balance zwischen erwachsenen und kindlichen Persönlichkeitsanteilen erreichen, wenn Sie mehr Authentizität, Autonomie und Selbstbewusstsein in der aktuellen Lebensführung gewinnen und leben möchten.
Dieses Buch will Sie weder mit wissenschaftlichen Theorien noch mit oberflächlichen Weisheiten zum Inneren Kind strapazieren, sondern nachvollziehbar und unterhaltsam dafür sorgen, dass Sie den oft unglaublichen Einfluss prägender Kindheitserfahrungen bei sich selbst und anderen Menschen erkennen können. Da man anhand konkreter Beispiele von anderen Menschen naturgemäß viel schneller zu tiefgreifenden Erkenntnissen kommt, enthält das Buch jede Menge spannender Geschichten aus meiner therapeutischen Arbeit mit ganz unterschiedlichen Klienten und Themen. Zur Wahrung ihrer Anonymität habe ich die Namen geändert und einzelne Aspekte in den Fallbeispielen so verfremdet, dass sie keiner spezifischen Person mehr zugeordnet werden können. Sollte sich trotzdem jemand in den Beispielen oder Namen wiedererkennen, wäre das purer Zufall. Nur zur besseren Lesbarkeit der Texte schreibe ich übrigens durchgängig in der männlichen Form. Selbstverständlich ist damit für mich gleichzeitig auch immer eine weibliche oder transsexuelle Form gemeint.
Ein wichtiger Teil in meinen Beratungen ist die sogenannte Psychoedukation. Dabei geht es um Aufklärung, dass die Entstehung von psychischen und physischen Symptomen damit zusammenhängt, wie schwierige Erfahrungen und Erlebnisse in der eigenen Lebensgeschichte im Gehirn und Körper verarbeitet werden. Sobald Klienten verstehen, dass ihr unliebsames Verhalten oder eine hartnäckige Erkrankung eine logische Folge völlig normaler innerer Verarbeitungsmechanismen ist, sind sie meistens sehr erleichtert.
Menschen suchen nach Sinnhaftigkeit in dem, wie sie fühlen, denken und handeln. In dem Maße wie ihr scheinbar irrationales Benehmen erklärbar wird, gewinnen Klienten ihre Selbstachtung und ihr Selbstvertrauen zurück. Sie fühlen sich nicht länger einem unberechenbaren Schicksal ausgeliefert, sondern wissen danach, dass sie in ihrem Leben wieder durch eigene Anstrengungen handlungsfähig werden können. Häufig ist bei Klienten der Zugang zum eigenen Willen durch eine Vielzahl beeinträchtigender Erlebnisse im Leben verloren gegangen. Ihn wieder zu entdecken, mit einem guten Gefühl zuzulassen und in gesunde Bahnen zu lenken, ist dann ein übergreifendes Hauptziel der Beratungen.
Dieses Buch steckt voller wissenswerter Hintergrundinformationen und lebensnaher, berührender Geschichten rund um das Innere Kind. Die einzelnen Teile des Buches können Sie entweder der Reihe nach lesen oder Sie suchen sich die Aspekte heraus, auf die Sie ganz besonders neugierig sind. Jeder Teil enthält alle für das Verständnis notwendigen Informationen, sodass Sie das Buch nicht unbedingt von vorn nach hinten lesen müssen. Textkästen enthalten deutlich tiefergehende Informationen, die Ihnen zusätzliches Wissen vermitteln. Sie können diese Textkästen aber auch überspringen, ohne Wichtiges zu verpassen.
Ich habe mir natürlich Gedanken darüber gemacht, für wen dieses Buch nützlich sein könnte. Dies sind meine Annahmen über Sie als Leser:
Im Rahmen Ihrer Persönlichkeitsentwicklung sind Sie an spannendem psychologischem Hintergrundwissen interessiert.
Sie möchten
impulsive und destruktive Verhaltensweisen von sich und anderen Menschen besser verstehen,
den Einfluss (oft unbewusster) Überzeugungen, Glaubenssätze und Überlebensstrategien aus der eigenen Kindheit mit ihren Auswirkungen auf private, berufliche oder gesundheitliche Themen erkennen,
wissen, wie Sie durch die Beschäftigung mit dem Inneren Kind zu mehr Authentizität, Autonomie, Selbstbewusstsein und Eigenliebe gelangen können.
sich über das Modethema Inneres Kind informieren, bevor Sie sich gegebenenfalls für vertiefende Maßnahmen – etwa eine Therapie oder einen Seminarbesuch entscheiden.
Vielleicht sind Sie aber auch
ein Vater oder Mutter, der/die ab und an Schwierigkeiten in der Erziehung ihrer Kinder hat,
eine (angehende) Führungskraft, die ihre Kompetenzen für eine souveräne Zusammenarbeit mit emotional anstrengenden Mitarbeitern durch kompaktes psychologisches Hintergrundwissen erweitern möchte, oder
jemand, der auf der Suche nach möglichen psychologischen Ursachen für eine hartnäckige autoaggressive Erkrankungen ist.
Das Innere Kind verstehen für Dummies ist in fünf Teile aufgeteilt. Hier ein kurzer Überblick, was Sie in den einzelnen Teilen dieses Buches erwartet.
Um die scheinbar merkwürdigen Verhaltensweisen des Inneren Kindes verstehen zu können, erfahren Sie in diesen Kapiteln das nötige Hintergrundwissen über die körperlichen und emotionalen Grundbedürfnisse sowie die beeindruckenden Entwicklungsleistungen von Kindern. Vor allem lernen Sie, welch bedeutsame Rolle die Eltern oder sonstige Bindungspersonen in den verschiedenen Entwicklungsphasen spielen und welch gravierenden Einfluss das elterliche Erziehungsverhalten auf die kindliche Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung hat. Es macht nichts, wenn Sie anfangs vielleicht nur wenig Interesse an diesen entwicklungspsychologischen Grundlagen haben. Denn Sie können genauso gut mit Teil II des Buches starten und den ersten Teil später als Abschluss lesen. Wenn Sie mit dem Konzept des Inneren Kindes besser vertraut sind, finden Sie die vielfältigen Informationen möglicherweise doch spannend.
Frustration und Verdrängung gehören zur Kindheit wie schlechtes Wetter zum Urlaub. Doch gerade frühe Erlebnisse können so überwältigend werden, dass sie ein Trauma sind. Daher lernen Sie in diesem Teil zunächst, wie ein Trauma überhaupt entsteht. Dann erfahren Sie, mit welchen Folgen sich die größte Empfindlichkeit der ersten beiden Lebensjahre in Kombination mit der naturgemäß geringsten Erinnerungsfähigkeit des Lebens bis in die Zeit als Erwachsener auswirken kann. Es wird Sie erstaunen, welch tiefgreifende Erfahrungen Menschen bereits vor, während und nach ihrer Geburt machen. Im Anschluss unternehmen Sie einen Ausflug in die deutsche Geschichte, um zu verstehen, wie in Deutschland kriegsbedingte Traumatisierungen eine nährende Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern verhindern. Abschließend stelle ich Ihnen eine Auswahl wirksamer Traumatherapien vor.
Hier wird die Idee vom Inneren Kind in verschiedenen Fallbeispielen lebendig. Sie sind Beobachter mehrerer Therapiesitzungen, in denen das Innere Kind bei der Entstehung und Lösung hartnäckiger Probleme eine große Rolle spielt. In spannenden Beispielen werden Sie den Einfluss des Inneren Kind in verschiedenen Facetten der Partnerschaft, im Berufsleben, bei der Erziehung eigener Kinder, auf die Gesundheit und bei lästiger Unfähigkeit im Alltag immer besser erkennen.
Die Kindheit ist eine unbestritten prägende Zeit und die gemachten Erfahrungen lassen sich nicht mehr ändern. Sie gehören zur eigenen Biografie. Trotzdem müssen die damit verbundenen Einflüsse kein für alle Ewigkeit in Stein gemeißeltes Schicksal bleiben. Denn mit einem anderen Blick auf die Vergangenheit lässt sich eine neue Zukunft gestalten. Dazu finden Sie in diesen Kapiteln einige Anregungen.
Vielleicht haben Sie Lust, sich etwas ausführlicher um Ihr eigenes Inneres Kind zu kümmern. Dieser Top-Ten-Teil enthält eine Menge Anregungen, wie Sie über eine Beschäftigung mit unterschiedlichen Aspekten Ihrer Kindheit einen vorsichtigen Kontakt zu Ihrem Inneren Kind herstellen können. Wenn sich bei Ihnen negative Erfahrungen aus der Kindheit wiederholen, können Sie diese mithilfe von zehn Arbeitsschritten so verwandeln, dass sie künftig in der Lage sind, »selbst-bewusst« zu reagieren. Außerdem ist das Innere Kind der Schlüssel zu größerer Authentizität und Eigenliebe. Sie finden zehn Vorschläge für einen liebe- und verständnisvolleren Umgang mit sich selbst.
Unter diesem Symbol sind wissenswerte Fakten oder Erkenntnisse prägnant zusammengefasst.
Wenn dieses Symbol auftaucht, geht es um eine Klarstellung möglicherweise missverständlicher Informationen, Erinnerungen oder Ideen.
Dieses Symbol erscheint im Zusammenhang mit konkreten Tipps und Tricks für den Alltag.
Nach diesem Symbol folgt ein kurzes Beispiel aus der Praxis, um die konkreten Auswirkungen der beschriebenen Hintergrundinformationen besser zu verdeutlichen.
Der Markt für Ratgeber zur psychischen Selbstoptimierung boomt und jeder Autor behauptet natürlich, die ultimativ wirksame Methode zur Lösung aller Weltprobleme zu kennen. Mir ist es jedoch wichtig, dass Sie alle Inhalte dieses Buches kritisch betrachten und nur akzeptieren, was Sie im Moment nachvollziehbar und stimmig finden. Trotz der Tatsache, dass jemand eventuell öfter allein in seinen feuchten Windeln als im kuscheligen Arm seiner Mutter lag, ist eine glückliche Lebenseinstellung und kompetente Lebensgestaltung nämlich eher die Regel als eine Ausnahme.
Übrigens ist es normal, wenn Sie in diesem Buch vielleicht zu deutlich mehr Erkenntnissen über die Lebensthemen von Freunden und Bekannten gelangen als für Sie selbst. Geben Sie dieses Buch daher doch einfach an so viele Menschen wie möglich weiter, da es denen wahrscheinlich in Bezug auf Sie genauso gehen wird. Ein anschließender Austausch könnte bei allen für einen erweiterten Blickwinkel sorgen.
Teil I
IN DIESEM TEIL …
Um die scheinbar merkwürdigen Verhaltensweisen des Inneren Kindes verstehen zu können, erfahren Sie in diesen Kapiteln das nötige Hintergrundwissen über die körperlichen und emotionalen Grundbedürfnisse
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Verschiedene Persönlichkeitsmodelle der PsychologieDie Merkmale des Inneren KindesErläuterung von Arbeitsmethoden und Begriffen in der Inneren-Kind-ArbeitDas Innere Kind ist ein Begriff, der in den letzten Jahren in Deutschland populär geworden ist. Tatsächlich gibt es kein real existierendes Kind, das in uns lebt. Das Innere Kind ist lediglich ein theoretisches Modell beziehungsweise ein therapeutisches Konzept der Persönlichkeit, das seit etwa 1990 vor allem durch die Bücher des amerikanischen Psychologen John Bradshaw (1933–2016) Das Kind in uns. Wie finde ich zu mir selbst und der beiden amerikanischen Psychotherapeutinnen Erika Chopich und Margaret PaulAussöhnung mit dem Inneren Kind bekannt wurde. Im Jahr 2015 veröffentlichte die deutsche Psychologin Stefanie Stahl ihren Ratgeber Das Kind in dir muss Heimat finden und landete damit einen Bestseller.
In der Psychologie hat die Beschäftigung mit den inneren Zuständen der Kindheit eine lange Tradition. Doch naturgemäß wurde in diesem Bereich vorrangig zur Heilung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen geforscht. Durch das fortschreitende gesellschaftliche Interesse an psychologischem Hintergrundwissen und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung wurden die Erkenntnisse auch für die normale Lebensbewältigung interessant.
In diesem Kapitel fasse ich verschiedene Persönlichkeitsmodelle der Psychologie sowie die Entstehung des Wesens und der Eigenheiten des Inneren Kindes zusammen. Sie werden verstehen, warum das Alter zwischen null und vier Jahren die wohl prägendste, aber gleichzeitig auch in großen Teilen unbewussteste Zeit eines Menschen ist. Gleichzeitig erfahren Sie, dass viele Verhaltensmuster eines Erwachsenen noch immer seinen besten Bewältigungsstrategien aus der Kindheit entsprechen. Wenn Sie interessiert sind, lernen Sie abschließend noch ein paar Begriffe und Methoden kennen, die ich im Rahmen der Inneren-Kind-Arbeit mit meinen Klienten verwende.
Die menschliche Psyche oder Persönlichkeit ist weder sichtbar noch anfassbar, also greifbar. Eventuelle Funktionsstörungen können nicht wie beim Körper durch Röntgen- und Ultraschallgeräte oder die Magnetresonanztomografie (MRT) transparent dargestellt und erkennbar gemacht werden. Obwohl die Neurologie, Hirn- und Verhaltensforschung inzwischen das komplizierte Zusammenspiel zwischen Gefühlen, Verhalten und Gehirnprozessen besser erklären können, ist die Ursache und Heilung vieler seelischer Phänomene bisher noch ein Geheimnis. Da die Wissenschaft der Psychologie deshalb gewissermaßen im »luftleeren Raum« agieren muss, wurden immer wieder neue Theorien und Modelle entwickelt, wie die Psyche funktionieren könnte. Ein einheitliches Theoriemodell existiert bis heute nicht.
Einig sind sich die Forscher inzwischen, dass die Psyche keine abgeschlossene, unveränderliche Einheit ist. Denn auch seelisch gesunde Menschen nehmen vor allem in Entscheidungssituationen gleichzeitig in sich ganz verschiedene Impulse, Meinungen, Gedanken und Gefühle wahr, die oft auch noch widersprüchlich sind. Es scheint, als würden sich innerlich unterschiedliche Stimmen zu Wort melden, die zum Teil völlig unvereinbare Interessen vertreten. Besonders spektakulär ist dabei, wenn die tatsächliche Reaktion am Ende oft nicht mit den vorherigen Überlegungen übereinstimmt. Auch das ist keinesfalls krankhaft und kommt im ganz normalen Alltag relativ häufig vor.
Das Erlebnis, dass man scheinbar, ohne es verhindern zu können, vor dem Kühlschrank steht und eine kalorienreiche Süßigkeit isst statt der beabsichtigten gesunden Möhre, kennt sicherlich fast jeder. Oder denken Sie an den berühmten Gummibaum, der unbedingt abgestaubt werden muss, obwohl die Zeit zur Prüfungsvorbereitung immer knapper wird.
Mehrere Schulen der Psychologie greifen die Vorstellung innerer Stimmen auf, indem sie sie zunächst als »Innere Persönlichkeitsanteile« bezeichnen, denen jeweils ganz charakteristische Eigenschaften zugeordnet sind.
Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud (1856–1939), präsentierte ein einprägsames Bild zur Funktionsweise der Psyche. Mit dem »Eisbergmodell des Bewusstseins« verdeutlichte er, dass das menschliche Verhalten nur zu 10 bis 20 Prozent bewusst gesteuert wird, während das Unbewusste 80 bis 90 Prozent ausmacht. Weiterhin ging er davon aus, dass sich die menschliche Psyche aus drei verschiedenen Teilen (Instanzen) zusammensetzt. Bei ihm konkurrieren in der Persönlichkeit ein lust- und triebgesteuertes »Es« mit einem moralischen »Über-Ich«. Dazwischen befindet sich das vernünftige »Ich« als bewusste Vernunft- und Entscheidungsebene.
Freud war als Erster der Auffassung, dass viele neurotische Störungen ihren Ursprung in der Kindheit haben. Das Ziel der von ihm entwickelten Therapieform Psychoanalyse ist die Bewusstmachung verdrängter Erfahrungen und Verhaltensmuster aus der frühen Kindheit, um in der Gegenwart situationsangemessen handeln zu können.
Zwischen 1955 und 1962 entwickelte der amerikanische Psychiater Eric Berne (1910–1970) mit dem Konzept der Transaktionsanalyse ein ähnliches Modell der Persönlichkeitsstruktur. Nach seinen Beobachtungen umfasst die Persönlichkeit eines Menschen ebenfalls drei unterschiedliche Bewusstseinszustände, die jeweils durch eine typische Kombination aus Denken, Fühlen und Verhalten gekennzeichnet sind. Er unterscheidet
einen Eltern-Ich
-Zustand, in dem elterliche Verhaltensweisen und Wertesysteme imitiert werden,
einen Erwachsenen-Ich
-Zustand mit der Fähigkeit zur objektiven Wahrnehmung und sachlichen Reaktion im Hier und Jetzt,
einen Kind-Ich
-Zustand mit einer kindlich spontanen Orientierung.
Alle drei Zustände sind zwar in jedem Menschen vorhanden, aber ihre Ausprägungen individuell verschieden. Außerdem wird situationsbedingt ständig zwischen den Zuständen gewechselt. Das Ziel der Transaktionsanalyse ist ein besseres Verständnis für die eigenen innerpsychischen Dynamiken, um mit anderen Menschen effektiver und konfliktfreier zu kommunizieren.
Auch dem Konzept des Voice Dialogue, der 1972 von den amerikanischen Psychologen Hal und Dr. Sidra Stone beschrieben wurde, liegt die Annahme zugrunde, dass die menschliche Persönlichkeit aus vielfältigen Anteilen oder Selbsten (selves) besteht. Solche »inneren Stimmen« entstehen im Rahmen individueller Lebenserfahrungen.
Um das bewusste Ich (aware ego) bildet sich ein System von akzeptierten oder abgelehnten Hauptstimmen (primary selves) sowie verdrängten Anteilen (disowned selves).
In den Voice-Dialogue-Sitzungen lernt der Klient nach und nach:
mit seinen internen Stimmen in Kontakt zu treten,
sie einzeln »zu Wort« kommen zu lassen,
sie deutlicher voneinander zu unterscheiden und
ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Verhaltensmotive zu verstehen.
Das Ziel der Arbeit mit dem Voice Dialogue ist die Stärkung des Zugangs zum bewussten Ich sowie eine größtmögliche Akzeptanz der abgelehnten oder verdrängten Stimmen, um destruktive Verhaltensmuster zu verändern und die Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen zu verbessern.
Etwa 1980 entwickelte das amerikanische Psychologen Ehepaar John (1913–2012) und Helen Watkins (1921-2002) die Ego-State-Therapie zur Behandlung von Traumata. In der zugrunde liegenden Theorie gehen auch sie davon aus, dass die Persönlichkeit aus verschiedenen, zum Teil abgespaltenen Anteilen besteht, die jeweils über eigene Emotionen, Denkweisen, Fähigkeiten und Werte verfügen. Diese unterschiedlichen Anteile bezeichnen sie als »Ego-States«, was übersetzt Ich-Zustände bedeutet.
In der Ego-State-Therapie werden vier Ich-Zustandstypen unterschieden:
Geschwächte Ich-Zustände sind durch unverarbeitete Traumata entstanden. Sie reagieren hoch emotional und geraten dadurch schnell außer Kontrolle.
Retro-States sind in der Vergangenheit steckengeblieben und begegnen Situationen in der Gegenwart mit unzeitgemäßen Bewältigungsstrategien aus der Kindheit.
Konflikt-States konkurrieren mit anderen Ich-Zuständen und wollen sich bei Entscheidungen oder Verhaltensweisen um jeden Preis durchsetzen. Die dadurch entstehenden inneren Konflikte führen zu massiven inneren Spannungen in einem Menschen.
Normale Ich-Zustände sind klar und bewusst. Sie sind in der Lage situationsangemessen zu denken, zu fühlen und zu handeln.
Das Ziel der Ego-State-Therapie ist, den Stress im inneren System der Persönlichkeit zu verringern, indem Klienten zu einem verbesserten Verständnis für ihre zersplitterten inneren Anteile kommen und sie durch eine bewusste, tragfähige Kommunikation wieder zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit miteinander verbinden.
Der amerikanische Psychotherapeut Richard C. Schwartz (geboren 1958) geht in seinem etwa 1980 entwickelten Modell des » Inneren Familien-Systems« (IFS) davon aus, dass es für Menschen nicht nur ein System der äußeren Familie gibt, sondern dass ein solches Modell auch in ihrem eigenen Inneren existiert. Die Psyche macht demnach eine Vielzahl innerer Persönlichkeitsanteile aus. Er identifizierte drei zentrale Hauptpersönlichkeiten, die offenbar bei vielen Menschen auftauchen:
»Verbannte« sind Anteile mit heftigen oder traumatischen Erinnerungen, die in der Persönlichkeitsstruktur verdrängt werden, um die Funktions- und Lebensfähigkeit eines Menschen zu gewährleisten.
»Manager« sind Anteile, die mit verschiedenen Anpassungs- und Autonomiebestrebungen die Sicherheit und das Überleben eines Menschen sicherstellen wollen. Deshalb sorgen sie für eine konsequente Abschottung der »verbannten« Anteile.
»Feuerbekämpfer« sind Anteile, die die Manager im Notfall unterstützen, um die verbannten Anteile in Schach zu halten.
Das Ziel der Arbeit mit der Inneren Familie ist es, dass der Klient ein bewusstes inneres Gleichgewicht zwischen seinen unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen herstellt, damit er sich wieder entspannter und lebendiger fühlen kann.
Der Hamburger Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun (geboren 1944) stellte 1988 ein pragmatisches Theoriemodell vor, in dem er die menschliche Persönlichkeit als ein Arbeitsteam betrachtet. Demnach hat die Hauptpersönlichkeit die gleichen Aufgaben wie ein Teamleiter. Er ist erst dann in der Lage sinnvoll zu entscheiden und zu handeln, wenn er die unterschiedlichen Sichtweisen, Bedürfnisse und Einwände aller seiner als Teammitglieder bezeichneten Inneren Stimmen gehört, verstanden und abgewogen hat. Das Ziel der Arbeit mit dem Inneren Team ist eine Selbstklärung der zum Teil widersprüchlich reagierenden Inneren Stimmen, um am Ende zu einer klaren, authentischen Kommunikation nach außen fähig zu sein.
Einig sind sich die psychologischen Schulen ebenfalls, dass das Team der Persönlichkeitsanteile – wie in einem realen Arbeitsteam – von einem souveränen Chef oder einer Chefin geführt werden muss, damit ein Mensch bewusst und situationsangemessen entscheiden und handeln kann. Das ist die Aufgabe der Hauptpersönlichkeit, die mit Begriffen wie »Ich«, »Selbst«, »Oberhaupt« oder »Teamleiter« benannt wird. Sie sollte die unterschiedlichen Motive und Bedürfnisse der einzelnen Persönlichkeitsanteile stets aufmerksam wahrnehmen und am Ende »selbst-bewusst« über eine sinnvolle Vorgehensweise entscheiden.
Die bildhafte Personalisierung der eigenen Innenwelt erleichtert es Menschen, ein besseres Verständnis für die manchmal verwirrenden Widersprüchlichkeiten in sich zu erreichen. Denn wer jede Stimme wie eine eigenständige Person in sich mit einem spezifischen Charakter, Gefühlen, Zielen, Erfahrungen und Werten betrachtet, kann im Umgang mit sich selbst die gleichen Strategien anwenden wie im Umgang mit Menschen aus der äußeren Welt.
Bei psychisch gesunden Menschen sind die Grenzen zwischen den Teilpersönlichkeiten mehr oder weniger durchlässig. Außerdem leben diese durchaus unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile trotzdem relativ harmonisch miteinander und können von der Hauptpersönlichkeit je nach Bedarf bewusst angesteuert und situationsgerecht gewechselt werden. Gemeinsam machen solche Teilpersönlichkeiten somit die psychische Vielschichtigkeit und den seelischen Reichtum eines Menschen aus.
Teilpersönlichkeiten können aber auch massive innere Spannungen und Widersprüche verursachen. Vor allem wenn sie im Rahmen eines unbewussten Abwehrmechanismus gegen Schmerz- und Angstgefühle nach einer frustrierenden oder traumatisierenden Erfahrung entstanden sind. Denn gerade solche verdrängten Ich-Anteile werden danach als »autonome Persönlichkeiten« ein Eigenleben entfalten und versuchen, mit einem »eigenem« Willen, »eigenen« Gedanken und Gefühlen die Realitätswahrnehmung der Hauptpersönlichkeit zu überlagern.
Innerpsychische Konflikte bis zu krankhaften seelischen Zuständen können auftreten, wenn:
die Hauptpersönlichkeit keine Führungsrolle gegenüber den Teilpersönlichkeiten einnimmt
die Hauptpersönlichkeit kein ausreichendes Bewusstsein von der Existenz und Qualität der einzelnen Teilpersönlichkeiten hat
die Hauptpersönlichkeit einzelne Teilpersönlichkeiten verdrängt oder abspaltet
die Teilpersönlichkeiten mit ihren unterschiedlichen Strategien zur Erreichung eines Zieles gegeneinander arbeiten
Die Identität eines Menschen scheint aus einem bewussten »Ich« und mehreren Teilpersönlichkeiten zu bestehen, die im Verlauf seiner Lebensgeschichte im Rahmen mehr oder weniger verdrängter Erfahrungen entstanden sind. Unpassende Verhaltensweisen werden meist von Teilpersönlichkeiten gesteuert, die glauben, sich vor Verletzungen, Schmerzen, Erniedrigung, Unsicherheit und Kritik schützen zu müssen. Ihr Ziel ist, so wenig negative Gefühle wie möglich erleben zu müssen.
In den entsprechenden Büchern der Psychologen John Bradshaw, Erika Chopich und Margaret Paul zum Inneren Kind spielen lediglich zwei Persönlichkeitsanteile eine Rolle. Ihrer Auffassung nach besteht die Psyche aus einem erwachsenen Anteil sowie (mindestens) einem kindlichen Anteil.
Der Innere Erwachsene
entspricht vordergründig der Identität eines Menschen
ist fest mit dem Bewusstsein verbunden
repräsentiert gleichzeitig den sozial gereiften, vernünftig und logisch denkenden Teil der Persönlichkeit
Das Innere Kind:
entspricht dem Teil des Unterbewusstseins eines Menschen, der in den ersten Lebensjahren entstanden ist
beinhaltet alle Prägungen und Lernerfahrungen aus der Kindheit sowie automatisierte Verhaltensprogramme und die dort verinnerlichten Überzeugungen und Glaubenssätze
kann mehrere kindliche Anteile repräsentieren, die aus unterschiedlichen Altersstufen stammen
steht für die authentische Gefühlswelt einer Person mit
ihren lebensfrohen Aspekten wie Lebendigkeit, Neugierde, Begeisterungsfähigkeit, Fantasie, Spontaneität, Freude und Sorglosigkeit sowie
ihren belastenden, meist verdrängten Aspekten wie (Existenz-, Ablehnungs- und Verlust-) Ängsten, Hilflosigkeit, Minderwertigkeitsgefühlen und Gefühlen von Schuld oder Scham
kann überaktiv oder verdrängt sein
Idealerweise sollte der bewusst handelnde Innere Erwachsene jederzeit in einem guten Kontakt mit seinem Inneren Kind sein, um die von dort aufsteigenden Impulse aufmerksam wahrnehmen und situationsangemessen umsetzen zu können. Wenn sich der erwachsene Anteil und die kindlichen Anteile in einer gesunden Balance befinden, fühlt sich ein Mensch als eine lebhafte, souveräne, authentische Persönlichkeit.
Doch häufig übernehmen die kindlichen Anteile unbemerkt die Steuerung der Gedanken, Gefühle und Handlungen in einem Menschen. Entsprechend emotional, unreif und überfordert wird dann sein Denken und Handeln. Genauso oft kommt es vor, dass der Innere Erwachsene die kindlichen Anteile in sich teilweise oder gänzlich ablehnt und verdrängt. Solche Menschen erscheinen übertrieben vernünftig, kontrolliert, starr und unecht. Ihnen fehlt die Emotionalität und Unbeschwertheit, die die kindlichen Anteile auszeichnen.
Rein wissenschaftlich gesehen entspricht das Innere Kind allen während der Kindheit im Körper, Nervensystem und Gehirn gespeicherten (Lern-) Erfahrungen sowie den daraus entstandenen Denk- und Verhaltensroutinen.
Alles, was Menschen denken, fühlen und tun, wird von Gehirnprozessen vorbereitet, gestaltet und bewertet. Konsequenterweise stellt das Innere Kind lediglich ein komplexes neuronales Netzwerk im Gehirn dar, das die Körperwahrnehmungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen eines Menschen steuert.
Das menschliche Hirn besteht aus drei sich nacheinander entwickelnden Arealen. Zum Zeitpunkt der Geburt ist das menschliche Gehirn noch verhältnismäßig unreif. Mit dem frühesten Hirnteil, dem »Hirnstamm«, der mit dem Rückenmark verbunden ist, existiert in den ersten Tagen nur ein Grundgerüst verschalteter Nervenzellen, das die überlebenswichtigen vegetativen Körperfunktionen und Reflexe wie Herzschlag, Atmung, Saugen und Schlucken kontrolliert.
Mit jedem weiteren Tag reift, vernetzt und strukturiert sich das Gehirn erfahrungsabhängig weiter. Emotionen entstehen und werden im zweiten Hirnareal, dem sogenannten Limbischen System gespeichert. Es erreicht seine endgültige Vernetzung mit den anderen Hirnregionen im Verlauf der Pubertät. Allerdings bleiben die Gefühle in einem Menschen trotzdem so lange unbewusst, bis etwa ab dem dritten Lebensjahr das letzte Hirnareal, die Großhirnrinde, funktionsfähig ist. Es wird als präfrontaler Cortex oder Neokortex bezeichnet und befindet sich im Stirnbereich.
Erst jetzt ist ein Mensch langsam zu einer bewussten komplexen Wahrnehmungsverarbeitung und zu kognitiven Leistungen (logisches Denken, Vorstellungen, Erinnerungen, Sprechen, Handlungsplanung, Impulsunterdrückung) fähig. Ohne ausreichende Reife dieses für das Bewusstsein und die Vernunft zuständigen Hirnareals ist er nicht in der Lage, die Reaktionen seines Körpers und seiner Nerven bewusst zu unterscheiden und festzustellen: »Ich habe Angst« oder »Ich liebe dich«. Vollständig entwickelt ist der Frontallappen erst etwa im 21. Lebensjahr.
Menschen machen vom ersten Augenblick ihrer Zeugung sowohl positive wie negative Erfahrungen und speichern sie bis zum letzten Atemzug ihres Lebens. Doch da das menschliche Gehirn eine lange Entwicklungszeit benötigt, sind sie meist bis zum dritten Lebensjahr nicht mit dem Bewusstsein und Verstand verbunden. Sie können nicht aktiv erinnert werden. Alle früheren Erfahrungen – und damit das Innere Kind – sind deshalb Teil des Unterbewusstseins.
Grundsätzlich laufen etwa 80 bis 90 Prozent der Prozesse im Gehirn unbewusst ab. Die sogenannten Basalganglien sorgen dafür, dass immer wiederkehrende Verhaltensmuster unter »Gewohnheiten« abgespeichert werden, damit alltäglich erforderliche Handlungen wie Laufen, Sitzen, Lesen, Sprechen, Autofahren oder Schnürsenkel zubinden routiniert und ohne Nachdenken ausgeführt werden können. Diese Autopilotfunktion ist jedoch nicht fähig zu entscheiden, ob und wann eine Gewohnheit hilfreich oder hemmend ist.
Je stressiger eine Situation, desto schneller greift das Gehirn selbstständig auf seine am längsten und besten eingespurten Informationen und Programme zurück. Da diese meistens den Wahrnehmungsgewohnheiten und dem Gefühls- und Verhaltensrepertoire der Kindheit entsprechen, setzen sich kindliche Verhaltensweisen auch in erwachsenen Zeiten noch ungewollt durch. So übernimmt das Innere Kind unbemerkt die Kontrolle über das Fühlen, Denken und Handeln des erwachsenen Anteils.
Zu seinem ersten Geburtstag kann sich ein Baby zwar bereits zielgerichtet verhalten und einfache Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung feststellen. Was in diesem Alter vielleicht als Ausdruck von Intelligenz betrachtet werden könnte, sind aber noch keine Leistungen eines logisch funktionierenden Verstands, sondern immer besser koordinierte Auswirkungen motorischer und emotionaler Reiz-Reaktions-Muster. Das Gehirn mit seinen vielfältigen Funktionen wächst und entwickelt sich genauso langsam wie die Muskulatur des Körpers.
Im Vergleich zum Tierreich starten Menschen mit einem vergleichsweise unreifen Gehirn und nur wenigen evolutionär angeborenen Verhaltensweisen. Dadurch bleibt genügend Raum, damit es sich weiter durch wichtige Lernvorgänge ausformen kann, die sein Überleben in den unterschiedlichen Klimazonen, Umweltbedingungen, Kulturen und Lebensformen dieser Erde gewährleisten.
Stimuliert wird das Gehirn durch äußere Sinneseindrücke. Jede Berührung, jedes Geräusch, jeder Geschmack, jede Wahrnehmung mit den Augen entspricht einem Reiz, der das Gehirn erreicht und dort in Nervenzellen abgespeichert wird. Im Laufe der Zeit verbinden sich die Nervenzellen zu Netzwerken. Je mehr Nervenschaltungen entstehen, desto schneller wird die Reizverarbeitung und desto differenzierter können die entsprechenden Reaktionen erfolgen.
Besonders gut funktioniert die Speicherung solcher Impulse und Muster, wenn mit einer bestimmten Erfahrung starke Emotionen wie Überraschung, Angst, Ärger, Wut, Freude oder Liebe verknüpft sind. Denn für das Überleben ist es wichtig, sich zu merken, wenn etwas Neues oder Bedeutsames geschieht.
Je früher und häufiger gleiche Lernerfahrungen mit den zughörigen Reaktionsweisen abgespeichert werden, desto mehr bündeln sich die beteiligten Nervenbahnen in den neuronalen Netzwerken. Durch Gewohnheiten entstehen gewissermaßen Datenautobahnen im Gehirn, die unbewusste Verhaltensroutinen ermöglichen.
Das ist praktisch, wenn es um immer gleichbleibende Fähigkeiten wie Laufen, Schwimmen, Sprechen, Lesen oder Zähneputzen geht sowie um allgemeingültige Erfahrungen wie das Verständnis, dass eine Herdplatte heiß ist und sich Schnee kalt anfühlt. All das wird vom Gehirn jederzeit völlig automatisiert gesteuert, damit sich ein Mensch nicht immer wieder neu bewusst auf die genauen Abläufe in den Muskelbewegungen zur Körper- und Sprachbeherrschung konzentrieren oder an die einzelnen Unterscheidungsmerkmale in seiner Umwelt erinnern muss.
Doch auf die gleiche Weise werden nicht nur frühe Lebenserfahrungen und Handlungen, sondern auch die zugehörigen Gefühle, Gedanken, Überzeugungen, Prägungen und Werte im Gehirn tief verinnerlicht. Alles, was über Jahre täglich in der gleichen Weise ausgeführt, gefühlt und gedacht wird – egal ob negativ oder positiv –, speichert das Gehirn in seinem für das Unterbewusstsein zuständigen Bereich als Routine ab.
Da sich außerdem das Langzeitgedächtnis erst im Alter zwischen drei und vier Jahren entwickelt, sind die einmal eingespurten Denk- und Handlungsabläufe der ersten Lebensjahre mit dem bewussten Willen nur schwer zu erfassen und zu steuern. Außerdem greift das Gehirn aus Effizienzgründen vor allem in Stresssituationen automatisch auf seine ältesten und bekanntesten Handlungsprogramme zurück, ohne deren Sinnhaftigkeit für die aktuelle Situation zu berücksichtigen. Das ist der Grund, warum Menschen in solchen Momenten wider besseren Wissens in kindliche Verhaltensweisen zurückfallen.
Selbstverständlich besitzen schon Babys die Fähigkeit, sich zu erinnern. Könnten sie sich negative Erfahrungen nicht merken und im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf reagieren, wären sie kaum überlebensfähig. Doch zunächst handelt es sich eher um instinkthafte Reflexe als um bewusst gesteuerte Verhaltensweisen.
Sechs Monate alte Säuglinge behalten Geschehnisse etwa 24 Stunden im Gedächtnis.
An ihrem ersten Geburtstag können sie über den Zeitraum eines Monats zurückzublicken.
Auch danach steigern sich die Erinnerungszeiträume nur langsam, bis sich ein Langzeitgedächtnis
etabliert hat.
Hirnforscher gehen davon aus, dass genügend Sprachkompetenz eine wichtige Voraussetzung für die aktive Erinnerungsfähigkeit ist und dauerhafte Erinnerungen deshalb im Durchschnitt erst mit etwa dreieinhalb Jahren verfügbar sind.
Es ist also normal, als Erwachsener keine aktive Erinnerung an die Zeit der frühen Kindheit zu besitzen. Umgekehrt kann es ebenso sein, dass sogar eindrucksvolle innere Bilder in Wirklichkeit keine eigene Rückschau in die real erlebte Vergangenheit sind, sondern sich aus wiederholten Erzählungen anderer Menschen über eine besondere Situation zusammensetzen.
Auch Erinnerungen, die nicht aktiv erinnert oder sprachlich benannt werden können, bleiben in einem Menschen trotzdem für immer präsent. Später äußern sie sich häufig über situationsunangemessene Gefühlsausbrüche oder unerklärliche Reaktionen des Körpers und des Nervensystems. Manchmal tauchen sie als innere Bilder auf, die ab und an ins Bewusstsein gespült werden. Menschen erinnern sich an alles in ihrem Leben. Nur eben nicht bewusst.
Die menschliche Fähigkeit, logisch zu denken, baut sich nur langsam auf. Doch auch wenn Kinder sich selbst und die Welt nicht verstehen, sind sie trotzdem in der Lage, etwas zu empfinden. Menschen fühlen von der ersten Sekunde ihres Lebens und gerade Kleinkinder erleben ihre Gefühle mit einer absoluten, gewaltigen Intensität.
Bis mindestens zum zweiten Lebensjahr sind Kinder reines, unkontrolliertes Gefühl. Auf jeden Reiz oder zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse reagieren sie unverfälscht und unmittelbar. Doch bis sie denken und sprechen können, verfügen sie im Schreien, Weinen und Lachen lediglich über drei begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten für die vielfältigen Facetten von Angst, Freude, Ärger, Trauer, Ekel, Stolz, Scham, Schuld, Neid, Verlegenheit oder Mitleid.
Auch zwischen drei und fünf Jahren ist der Verstand von Kindern noch viel zu wenig ausgereift, als dass sie ihre Gefühle in Worte fassen oder ihre Handlungen kontrollieren könnten. Sie müssen erst mühsam von ihren Bezugspersonen lernen, wie ein (un)angenehmes Gefühl überhaupt heißt, um es einordnen zu können. Denn die bewusste Wahrnehmung der jeweiligen Emotionen ist eine nötige Voraussetzung, um sie regulieren zu können. Den schwierigen Umgang mit Emotionen lernen Kinder außerdem, indem sie jeden Tag neu prüfen und verinnerlichen, wie ihre Eltern auf ihre Gefühlsäußerungen reagieren. Gleichzeitig nehmen sie das Verhalten der Eltern zum Vorbild. Aus der Verarbeitung all dieser kindlichen Erfahrungen entstehen im Laufe der Zeit zutiefst unbewusste Angewohnheiten, die das Denken und Handeln noch ein Leben lang beeinflussen.
Solange dem bewussten erwachsenen Anteil das Wissen und das Training fehlen, wie eine ausgewogene Emotionsbewältigung funktioniert, besteht die Gefahr, dass sich das Innere Kind immer wieder mit seinen ungezügelten Gefühlen und unreifen Ausdrucksweisen im normalen Alltag durchsetzt. Allgemein positiv bewertete Gefühle wie Freude oder Begeisterung sind dabei sicherlich weniger kritisch als übertriebene Ängste oder unangemessene Wut.
Die heftigsten kindlichen Gefühle werden ausgelöst, wenn die Grundbedürfnisse nach
Sicherheit,
Geborgenheit und Liebe,
Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit,
Aufmerksamkeit und Anerkennung sowie
Lustbefriedigung
nicht erfüllt werden (können).
Je nach Charakter und den Erfahrungen mit ihrem Umfeld reagieren Kinder entweder mit aggressiven Gefühlen wie Ärger und Wut oder Traurigkeit und Rückzug. Durch Beschämung, Empörung, Zurückweisung, Strafen oder Gleichgültigkeit ihrer Bezugspersonen lernen Kinder nicht, sich zu beherrschen. Sie lernen bestenfalls, wie sie Gefühle unterdrücken oder vortäuschen.
Ohne einen bewussten Zugang und die Kontrolle des Inneren Kindes fürchten und vermeiden erwachsene Menschen noch immer Erinnerungen, Gefühle und Bedürfnisse, die zwar einmal in der Kindheit eine reale Gefahr darstellten, es aber im Erwachsenenleben schon lange nicht mehr sind.
Fast alles, was ein erwachsener Mensch automatisch tut, wurde von seinem Inneren Kind gelernt. Genauso steckt das Innere Kind bis ins hohe Alter hinter vielen selbstverständlichen Denk- und Verhaltensmustern. Das ist völlig unbedenklich, solange sie zur gegenwärtigen Situation passen und eine eigenständige Lebensgestaltung nicht blockieren. Außerdem ist der Zugang zum Inneren Kind der Schlüssel zur lebendigen, authentischen Gefühlswelt eines Menschen. Es spricht auch nichts gegen manchmal eindeutig kindliche Reaktionen, solange sie konstruktiv sind.
Doch manche Menschen werden nur auf dem Kalender und äußerlich erwachsen. Innerlich bleiben sie der Rolle eines spielerischen, angepassten oder rebellischen Kindes verhaftet. Sie
halten eine kindliche Verantwortungslosigkeit für selbstverständlich,
überwinden die typischen Beschränkungen und überholten Denkmuster ihrer Kindheit nicht,
verharren gegenüber anderen Menschen in der gewohnten untergeordneten Position und
hemmen damit ihre Entwicklung in ein selbstständiges, eigenverantwortliches Leben.
Solange das Innere Kind unbemerkt die Persönlichkeit dominiert, verhält sich ein Mensch im wahrsten Sinne des Wortes oft »irrational«, weil der Innere Erwachsene als gereifter, vernünftiger und logisch denkender Teil der Identität nicht in einem ausreichenden und ausgleichenden Maße präsent ist.
Einige der schönsten Eigenschaften eines Kindes sind seine Neugier, Begeisterungsfähigkeit, Sorglosigkeit und seine Fähigkeit, ganz im Hier und Jetzt zu leben. In Verbindung mit einem erwachsenen Verantwortungsgefühl bilden diese Aspekte die Grundlage für ein positives Lebensgefühl. Ohne Zugang zum Inneren Kind ist man von diesen Qualitäten abgeschnitten.
Wer ausschließlich mit dem spielerischen Inneren Kind verbunden ist, der
hat ein fehlendes Verantwortungs- und Realitätsbewusstsein.
besitzt zu wenig Disziplin und Selbstkontrolle.
fühlt sich oft von den Anforderungen des erwachsenen Lebens überfordert.
sucht permanente Freizeitvergnügen, exzessive Partys, gute Laune.
neigt zu Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit.
konsumiert ungehemmt und riskiert häufig seine Verschuldung.
(Kleine) Kinder müssen nicht nur körperlich gut versorgt werden. Mindestens ebenso wichtig sind ihre seelischen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Geborgenheit und Anerkennung. Werden diese nur unzureichend oder gar nicht von den Eltern und Bezugspersonen erfüllt oder ihre natürlichen Bedürfnisse abgewertet, vermuten viele Kinder die Ursache bei sich selbst. Sie kommen zu unwahren Überzeugen und Glaubenssätzen über die Welt und ihre Person. Am Ende fühlen sie sich falsch, nicht liebenswert und minderwertig. Um den damit verbundenen Schmerz und ihre Ohnmacht nicht fühlen zu müssen, versuchen sie, mit Überlebensstrategien wie Perfektionismus, Harmoniestreben oder dem Helfersyndrom gegen ihre inneren Überzeugungen anzuarbeiten.
Wer ausschließlich mit dem »angepassten« Inneren Kind verbunden ist:
macht seine innere Zufriedenheit abhängig vom Urteil anderer Menschen.
hat wenig Zugang zu seinem eigenen Willen, Bedürfnissen und Grenzen.
sieht sich gegenüber anderen Menschen automatisch in einer untergeordneten Position und erwartet Führung.
neigt zur Überverantwortung.
fürchtet sich vor der eigenen Unabhängigkeit und hält sie für Einsamkeit.
kann mit Fehlern, Ablehnung und Kritik nur schwer umgehen.
Jedes Kind möchte von sich aus so schnell wie möglich groß und selbstständig werden. Neben seinem Bindungsbedürfnissen muss es auch eine gesunde Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeit entwickeln dürfen. Doch nicht alle Eltern oder Bezugspersonen können die natürlichen Autonomiebestrebungen ihres Kindes in einer angemessenen Weise unterstützen. Sie stören diese Entwicklung entweder durch Überbehütung oder zu große Kontrolle. Später wird vor allem die sogenannte Trotzphase zwischen drei und fünf Jahren für beide Seiten eine herausfordernde Zeit.
Mit der Entdeckung der eigenen Identität lebt das Kind seinen eigenen Willen oft mit spontanen und heftigen Aggressionen aus. Das führt schnell zu ablehnenden Reaktionen bei den Eltern und dem Umfeld. Wird die Eigensinnigkeit und Selbstständigkeit des Kindes nicht ausreichend akzeptiert und kann es in diesem Prozess keine vernünftige Kontrolle seiner Emotionen lernen, bleibt es in dieser rebellischen Phase stecken.
Wer ausschließlich mit dem »rebellischen« Inneren Kind verbunden ist,
besitzt zu wenig Frustrationstoleranz.
neigt zu unreifer Eigensinnigkeit, Trotz und offenem oder verdecktem Widerstand.
vermutet permanente Übergriffe anderer Menschen, gegen die er sich verteidigen und schützen muss.
versucht andere zu dominieren, um der Gefahr der eigenen Bevormundung vorzubeugen.
wird ungnädig und hoch emotional, wenn seine Bedürfnisse von anderen Menschen nicht sofort erfüllt werden.
verschleppt oder boykottiert Arbeitsaufträge.
widersetzt sich gesellschaftlichen Normen und Regeln.
Es gibt Menschen, die komplett mit ihrem Inneren Kind identifiziert sind, ohne es zu merken. Sie glauben, ihre Verhaltensweisen entsprächen denen einer normalen, erwachsenen Person. Oft lehnen sie ihre vernünftigen inneren Impulse sogar ab und reagieren aggressiv auf entsprechende Hinweise ihrer Umwelt, um ihr verzerrtes Selbstbild zu schützen.
Die Kindheit sollte die schönste und unbeschwerteste Zeit im Leben eines Menschen sein. Tatsächlich ist sie es oft nicht. Viele Kinder müssen in einem Klima von permanenter Lieblosigkeit, Kränkungen, Ablehnung oder sogar Gewalt groß werden. Menschen können seelischen Schmerz nicht lange aushalten, weil der Zustand zu viel Energie verbraucht. Emotionaler Rückzug ist dann eine der besten Optionen, um zu überleben.
Eine der wirkungsvollsten Techniken, um nicht mehr fühlen zu müssen, ist zu denken. Die Welt der Gedanken und der Logik ist kontrollierbar durch eindeutige Regeln. Dort ist man frei von Schmerzen, von Unberechenbarkeit und Willkür. Man wird pflegeleichter für die Eltern und meistens sogar von der Gesellschaft akzeptiert und bewundert. Je älter Kinder werden und je ausgereifter ihr Gehirn wird, desto besser funktioniert diese Technik. Im Extremfall kann die ausschließliche Konzentration auf den Kopf und das Denken dazu führen, dass sogar der Bezug zum Körper verloren geht.
Eine zweite Möglichkeit, dem inneren Schmerz zu entkommen, ist Ablenkung und Beschäftigung. Denn man kann Feuer auch mit Feuer bekämpfen. Wer dafür sorgt, dass er ständig unterwegs und im Einsatz ist, hat schlicht keine Zeit, zu fühlen. Egal ob man sich um viele Hobbys kümmert, mit dem Putzen seiner Wohnung auf Trab hält oder für die ganz große Karriere in einem Unternehmen verausgabt. Praktisch ist auch, dass der dadurch entstehende Stress als Ursache gesehen werden kann, um die darunter versteckten Symptome der verdrängten kindlichen Nervosität zu erklären.
Die letzte Möglichkeit, um Gefühle auf Abstand halten zu können, ist die Steigerung von anfangs neugierigem Konsum und normalen Beschäftigungen in süchtige Verhaltensweisen. Neben den bekannten stoffgebundenen Süchten wie Rauchen, Alkohol, Medikamente und Drogen gibt es auch stoffungebundene Süchte wie Kaufsucht, Sportsucht, Fernseh-/Computersucht, Spielsucht und Sexsucht.
Wenn ein Kind zufällig ein Verhalten oder Mittel entdeckt, von dem es merkt, dass es seine Verletzbarkeit gegenüber den Eltern oder Bezugspersonen verringert, einen Schmerz erspart oder ihm Macht gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es diese Möglichkeit wieder und wieder nutzen wird. Vor allem Sportsucht ist dafür eine unauffällige und gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit.
Aufgrund der langsamen Gehirnentwicklung besitzt ein Mensch in seinen ersten zwei Lebensjahren nur wenig Bewusstsein für seine Identität. Erst im Laufe der Kindheit entwickelt er ein immer genaueres Bild von seinem spezifischen Charakter und seiner individuellen Persönlichkeit. Doch nicht jedes Kind kann sein wahres Wesen frei entdecken. Viele Kinder machen die unangenehme Erfahrung, dass ihre authentischen Gefühle und ihr natürliches Verhalten in ihrem Umfeld zu schmerzhafter Ablehnung und Strafe führen. Doch das Gefühl von Zugehörigkeit ist für ein Kind überlebenswichtig. Um sich diese notwendige Liebe der Eltern zu sichern oder körperliche und seelische Schmerzen zu vermeiden, passt sich das Kind immer perfekter an die Anforderungen seiner Umwelt an.
Erziehung wird durch (unausgesprochene) Erwartungen bestimmt. Schon in den ersten Lebensjahren verinnerlichen Kinder, wie sie sich in ihrem Umfeld zu verhalten haben. Sie wachsen meist unbemerkt in die Wesens- und Rollenerwartungen ihrer Eltern hinein, weil sie mit ihnen kooperieren und ihnen gefallen wollen.
Im Kind entsteht ein charakterliches Idealbild, dem es immer genauer zu entsprechen versucht. Auch negative Vorbilder, wie gewaltvolle oder schwache Personen, prägen dieses Idealbild. Denn das Kind beschließt, dass es auf gar keinen Fall jemals so sein möchte wie solche Menschen. Danach können die echten Impulse aus dem eigenen Innern nur zugelassen werden, wenn sie mit dem Idealbild harmonieren. Ansonsten müssen sie gnadenlos verleugnet, bekämpft und verdrängt werden.
Auf diese Weise wird die eigene Persönlichkeit und Authentizität zugunsten einer »Scheinidentität« geopfert und der entsprechende Selbstbetrug immer weiter perfektioniert. Doch Energie geht nicht verloren. Versteckt unter einer dicken Schicht aus Masken und Rollenzuschreibungen bleibt das wahre Selbst oder verdrängte Innere Kind mit seinen authentischen und oft noch unreifen Gefühlen und Bedürfnissen erhalten. Es wartet sehnsüchtig darauf, sich so zeigen zu können, wie es ist.
Viele Kinder entwickeln ein »Ideal- Ich«, das ausschließlich von Anpassung, Bewertung, äußeren Maßstäben und Wertvorstellungen anderer Menschen (anfangs von den Eltern, später von allen zusätzlichen Bezugspersonen, mit denen sie in Kontakt treten) abhängig wird. Sie entfremden sich von ihrer wahren Identität und werden dadurch von permanenter Bestätigung, Lob und Anerkennung von außen abhängig.
Die Fähigkeit, unangenehme oder unerträgliche Realitäten zu verdrängen, ist ein völlig normales und gesundes Selbstschutzprogramm der menschlichen Psyche. Um seine seelische Stabilität zu erhalten, entstehen in einem Menschen immer wieder das Bedürfnis und die Notwendigkeit, selbst alltägliche Situationen, die ein Zuviel unerträglicher Gefühle wie Angst, Trauer, Hilf- oder Hoffnungslosigkeit auslösen, zu verdrängen. Vor allem in der Kindheit finden viele solcher Prozesse statt.
Doch Menschen, die ihr Inneres Kind vollständig verdrängen,
haben sich von ihrer gesamten Emotionalität verabschiedet.
können auch keine positiven Gefühle wie echte Freude, Begeisterung, Zufriedenheit, Stolz, Liebe und Lebensenergie empfinden
.
befinden sich oft in einem Zustand innerer Leere und Einsamkeit.
fühlen sich häufig gelangweilt, fantasielos, depressiv und antriebslos.
sind wenig bindungsfähig, weil fühlbare Verbindungen zwischen Menschen durch geteilte Emotionen entstehen.
Kindliche Lebensgewohnheiten und Verhaltensmuster sind tief in den Netzwerken des Gehirns verinnerlicht. Doch man bleibt ihnen nicht hilflos ausgeliefert. Sie lassen sich durch längere und vor allem bewusste Lern- und Übungsprozesse verändern.
Sogar erlernte Ängste mit den folgenden Denk- beziehungsweise Verhaltensautomatismen können im Gehirn zwar nicht mehr gelöscht, aber stetig durch neue, positive Erfahrungen in der gleichen Situation überschrieben werden. Doch da es für das Überleben wichtiger ist, sich deutlicher an bedrohliche als an erfreuliche Situationen zu erinnern, braucht das Gehirn unendlich viele intensive Wiederholungen positiver Erlebnisse, bis sich eine einmal eingespurte Angsterfahrung wieder neutralisiert und beherrschbar ist.