Das Kapital der Gesellschaft - Matthias Bieling - E-Book

Das Kapital der Gesellschaft E-Book

Matthias Bieling

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Beschreibung

Der Dortmunder Privatdetektiv Jupp Koslowski wacht halbtot im Krankenhaus wieder auf. Angefangen hat die ganze Sache mit einem Auftrag, bei dem zunächst alles nach dem Versuch aussieht, Jupps Klienten um das Erbteil an der Fluggesellschaft DLT – der Dortmunder Luft-Transport – zu bringen. Schon bald sieht sich Koslowski einem verwirrenden Gestrüpp aus Investoren, Strohmännern, zwielichtigen Geschäftsleuten, Anwälten, Managern und Wirtschaftsprüfern gegenüber. Als Jupp dann bei der Beerdigung eines Prominenten auf alte Seilschaften und deren Verstrickungen mit der Politik der westdeutschen Bonner Republik stößt, wird klar, dass es um viel mehr geht, als um den Versuch von Wirtschaftskriminellen, ihr Schäflein ins Trockene zu bringen. Während sich Schicht für Schicht vor Koslowski Machenschaften entblättern, die weit in Zeiten des kalten Krieges, der Erpressungen, Maulwürfe, Schläfer und Täuschungen zurückreichen, wird vor seinen Augen der erste Zeuge vergiftet und Jupp muss erkennen, dass die Hintermänner vor nichts zurückschrecken, damit Dunkles für immer dunkel und Stilles für immer still bleibt. Wird Koslowski die Wahrheit finden, bevor alle Spuren verwischt, alle Beweise beseitigt und alle Zeugen tot sind? Der Dortmunder Privatdetektiv Josef "Jupp" Koslowski wird von seiner Vergangenheit verfolgt, treibt durch die Gegenwart und lenkt sich davon mit den 'glühenden Rätseln' der Lyriker aus vergangenen Jahrhunderten ab. Bei seinen Ermittlungen versucht er mit Anstand in dem Schmutz zu wühlen, in den ihn seine anfangs klar und einfach erscheinenden Fälle ziehen, stolpert über geschichtliche Fakten, die die Sicht auf die Historie verändern und wird konfrontiert mit den Herausforderungen der modernen, technologisierten und globalen Welt. Dabei versucht er einfach das Richtige zu tun, nicht aufzugeben und jeden Tag, Tag für Tag weiter zu machen für Wahrheit und Gerechtigkeit. Jupp Koslowski Krimis sind wilde, vielschichtige Wirtschafts- und Wissenschaftskrimi in einer wilden, vielschichtigen Welt. www.juppkoslowski.de

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Das Kapital derGesellschaft

Ein Jupp Koslowski Krimi

Matthias Bieling

Das Kapital der Gesellschaft

Ein Jupp Koslowski Krimi

Coverfoto: Sophia P. Bieling

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© 2023

Impressum

ratio-books • 53797 Lohmar • Danziger Str. 30

[email protected]

Tel.: (0 22 46) 94 92 61

Fax: (0 22 46) 94 92 24

www.ratio-books.de

ISBN 978-3-96136-158-8

eISBN 978-3-96136-159-5

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Erläuterungen

1

In meinem Kopf war Pudding und jede kleine Bewegung tat weh. Es war still, ich war allein und konzentrierte mich daher auf das Popkornmuster an der Decke.

Nach einer Weile betrat eine kleine, mollige Frau in einem weißen Kittel das Zimmer und brachte einen pappigen Geruch mit herein. Sie blickte mir mit mitleidlosen Augen in das Gesicht, fummelte danach etwas an dem Infusionsständer hinter mir herum und verließ den Raum wieder.

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber dann marschierten zwei Männer in den Raum. Der eine war etwas älter, trug ein Handy in seinen Händen und hatte ein aufgeknöpftes hellblaues Hemd mit kurzen Ärmeln zu einer pepitafarbenen Hose an. Der Jüngere sah in seinem Sommeranzug mit den zu kurzen Ärmeln aus, als wäre er eine Aushilfe. Seine Haare waren braun und darin steckte eine Sonnenbrille.

Sie waren augenscheinlich Offizielle.

„Ich bin Hauptkommissar Kasulke“, sagte der Ältere. „Und das ist Kommissar Meyerdrol.“ Er sah mich prüfend an. „Wie geht es Ihnen?“

Ich wusste nicht, was sie von mir wollten, warum ich hier war und was ich antworten sollte. Also nickte ich etwas, aber das schickte einen Schmerzstoß durch meinen Körper, so dass ich den Mund verziehen musste.

Kasulke rieb sich die Nase. „Sie sind weit weg von Dortmund und dem Ruhrgebiet. Was machen Sie in Berlin, Herr Koslowski?“

Ich wollte keinen weiteren Schmerzstoß riskieren und sah ihn deshalb einfach nur so an.

„Sie können sich mit einem großen, rohen Kotelett bei dem Hund eines Spaziergängers am See bedanken. Der hat bei dem Fahrzeug auf dem Seegrundstück angeschlagen und ließ sich nicht wegziehen. Der Spaziergänger fand das komisch und hat eine Polizeistreife gerufen. Die haben dann Sie im Kofferraum gefunden, gerade noch rechtzeitig, sonst wären Sie verblutet.“

Er tauschte mit seinem Kollegen einen Blick und drehte dabei sein Handy in der Hand.

„Erinnern Sie sich?“ Er hob fragend die linke Augenbraue. Dann fügte er an: „Der Eigentümer des Autos wurde tot in seiner Villa in Zehlendorf gefunden.“

Jetzt war es an mir, eine Augenbraue fragend hochzuziehen, was mir auch ganz gut und schmerzfrei gelang.

„Halten Sie uns nicht für blöd. Erzählen Sie mal, wie Sie in den Kofferraum gekommen sind!“

Da ich ihn immer noch still ansah, meinte er, die Schlagzahl erhöhen zu müssen. „Wir haben auch ihr Auto gefunden. Es ist explodiert. Wegen einer Bombe im Kofferraum.“

Ich hatte einen faden Geschmack im Mund.

Meyerdrol stützte sich mit beiden Händen auf den Stahlrahmen meines Bettes, Kasulke sagte scharf: „Als das passierte saß darin ein Mann.“

Er schürzte die Lippen. „Es hat eine ganze Reihe an Toten gegeben. Erinnern Sie sich?“

Da ich nicht reagierte, legte Kasulke nach: „Sie haben eine richtig große Ähnlichkeit mit dem Phantombild eines mutmaßlichen Täters eines Giftmordes in einem Café. Sie sollten reden, Koslowski, ansonsten machen Sie sich nur noch mehr verdächtig!“

Ich versuchte die Dürre wegzuschlucken und schloss dafür kurz meine Augen. Dann ließ ich meinen Blick wieder zu seinem Gesicht zurückkehren.

„Wir können anhand Ihrer Handydaten nachweisen, dass sie mit einigen der Toten jeweils wenige Stunden vor deren Tod telefoniert haben. Packen Sie aus, Koslowski, ist besser, glauben Sie mir. Sie bekommen sonst Schwierigkeiten.“

Der Pudding in meinem Kopf begann zu rasen, aber ich zwang mich, ihn ausdruckslos anzublicken, meine Pupillen starr auf seine Nase gerichtet.

Unschlüssig sah Kasulke zu Kommissar Meyerdrol, dieser trat neben mein Bett und meinte achselzuckend: „Seine Erinnerung kommt schon wieder, wenn er sich alles gut überlegt.“

Ich sah jetzt von einem zum anderen und versuchte mir dabei zusätzlich einen unbedarften Ausdruck zu geben.

Offensichtlich gelang mir das ganz gut, denn Kasulke sagte: „Ruhen Sie sich etwas aus. Wir kommen morgen wieder, vielleicht ist Ihnen dann etwas eingefallen.“

Er verließ mit dem Jüngeren den Raum, nicht ohne, dass dieser mir noch mit seinem Zeigefinger beim Hinausgehen abgehoben auf die Brust gedeutet hatte.

Ich versuchte, die Popkörner an der Decke zu zählen.

So kam eins zum anderen.

2

Es begann alles damit, dass ich zu diesem Bürohaus im Gewerbegebiet am Dortmunder Hafen rausfuhr. Jemand, der mein Klient werden wollte, hatte mich gebeten zu ihm zu kommen, um alles zu besprechen. Er hieß Dr. Hans-Dieter Pörtner, war Rechtsanwalt, hatte mich auf meinem Handy angerufen und wir hatten einen Termin in seinem Büro vereinbart.

Die Anwaltsgehilfin war fett, mit halblangen Haaren und einem aufgesetzten, unechten Lächeln. Sichtbar abgeneigt erhob sie sich von ihrem Schreibtisch, überstieg einen auf dem Boden liegenden, etwa 30 cm hohen aus gewellten Blättern bestehendem Stapel und führte mich in einen Raum mit rustikalen Eichenmöbeln aus dem letzten Jahrhundert.

Die gerahmten Drucke an der Wand waren vom Staub matt geworden, die Topfpflanze auf dem Fensterbrett konnte sich nicht entscheiden, endgültig zu verdursten und der beige-melierte Teppich hatte schon viel mitgemacht. An der Türschwelle ribbelte sich ein Faden aus ihm und zeigte diagonal wie ein Korkenzieher in die Luft.

Ich musste nicht lange warten, bis ein älterer Mann in einem grün-gelblichen Anzug hereinkam. Unter einem ausgeprägten Stirnbein lagen eine platte Nase und frisch und rosa schwelende Wangen. Seine offenen Augen leuchteten wachsam und kontrastierten mit ihrem schnellen Hin und Her zu seinem leicht wiegenden Gang.

Er begrüßte mich mit: „Ich bin Dr. Pörtner. Ich hätte gerne einen Termin mit Ihrer Sekretärin gemacht, aber wir konnten ihr Büro telefonisch nicht erreichen. Gut, dass ich ihre Mobilnummer hatte und Sie direkt anrufen konnte.“

„Ja, das ist genau richtig gewesen, Herr Dr. Pörtner“, sagte ich.

Es erschien mir nicht zielführend ihn zu informieren, dass zwar in der letzten Zeit die Nachfrage nach Leistungen der Detektei ‚Josef Koslowski – private Ermittlungen – schnell, sicher, seriös‘ ganz akzeptabel gewesen und ich so ganz gut über die Runden gekommen war, ich aber über eine Nachbesetzung der Sekretärinnen-Stelle nach überstandener Durststrecke noch nicht nachgedacht hatte.

Er setzte sich ganz vorsichtig auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Besprechungstisches und kam gleich zur Sache: „Gut, dass Sie da sind. Ich vertrete Wolfgang Seggenberg. Es geht um Geschäftsanteile an der ‚Dortmunder Lufttransport – DLT‘, die er vor etwa 6 Monaten nach dem Tod seines Vaters Heinz geerbt hat.“

„Lufttransport – eine Spedition?“

„Äh, nein, eine Fluggesellschaft! Alternative zur Lufthansa und so. Aber da kann Ihnen Herr Seggenberg, also Herr Wolfgang Seggenberg, der Erbe, ein wenig mehr sagen.“

Fluggesellschaft. Alternative zur Lufthansa. Hörte sich ungewöhnlich an. Und interessant.

Über die Umstände des Erbfalles wollte ich mehr erfahren: „Natürlicher Tod?“

Er sah mich belustigt an. „Immer auf der Suche nach dem Kapitalverbrechen, hm?

Nein, nein, darum geht es nicht. Das war ein natürlicher Tod, ja.“

„Dann geht es um Geld.“

„Ja, genau.“ Er strich über die Tischkante. „Mein Mandant soll aus dem Unternehmen ausgeschlossen werden. Der Gesellschaftervertrag sieht vor, dass beim Tod eines der Gesellschafter dessen Gesellschafteranteil eingezogen wird.

Mein Mandant ist mit der Höhe der Entschädigung nicht einverstanden und behauptet, dass der viel zu niedrig sei. Dabei behauptet die Gegenseite, dass die Entschädigung sogar vorteilhaft für meinen Mandanten ist, da der Betrag größer sei als der aktuelle Wert der Geschäftsanteile. Durch die ‚Anfangsverluste‘ sei ein Großteil des eingezahlten Kapitals bereits verbraucht. Mein Mandant will mindestens das Kapital zurück, dass sein Vater eingezahlt hat.“

Ich hatte schon von Regelungen im Gesellschaftsvertrag zur Einziehung von Geschäftsanteilen bei Tod eines Gesellschafters gegen eine Entschädigung gehört und wusste daher, dass das nicht ungewöhnlich war. Soweit ich verstand, hatten in solchen Fällen oftmals die Gesellschaft oder die anderen Gesellschafter auf das besondere Know-how oder den besonderen Einsatz eines Gesellschafters gesetzt. Nach Wegfall dieses besonderen Grundes aufgrund des Todes wollte man die Möglichkeit haben, die Erben aus der Gesellschaft ausschließen zu können.

„Wieviel hat der Vater eingezahlt?“, wollte ich wissen.

Dr. Pörtners Augen huschten durch den Raum. „Es waren 2 Millionen Euro. Er hat einen Anteil von 10% gezeichnet.“

Ich beherrschte es sehr gut, nicht durch die Zähne zu pfeifen, auch wenn ich überrascht war. Das hatte ich intensiv trainiert, konnte aber nicht verhindern, dass sich die kleinen Muskeln in meinen Nasenflügeln und meinen Ohren strafften und atmete tief durch die Nase aus.

Ja, es ging wirklich um Geld, das war eine ansehnliche Summe.

„Es ist notwendig, einen Detektiv hinzuzuziehen. So können wir Schadensersatz fordern, wenn die Gesellschaft, einzelne Gesellschafter, besonders der Mehrheitsgesellschafter oder der Geschäftsführer, der auch Gesellschafter ist, sich rechtswidrig zu Lasten der Gesellschaft oder der anderen Gesellschafter verhalten haben und dadurch ein Schaden entstanden ist.“

Mir ging das alles zu schnell: „Die Entschädigungshöhe zum Einzug der Geschäftsanteile ist also angemessen?“

„Naja, soweit die Bilanzen stimmen, beträgt der Anteil am Eigenkapital nur noch knapp hunderttausend Euro. In diesem Fall der Einziehung des Geschäftsanteiles wegen Todes eines Gesellschafters würde darauf ein Aufschlag von 15% gezahlt.“

Träge flog eine Taube vor dem Fenster vorbei.

„Und es gibt keine erfolgversprechende Möglichkeit, juristisch gegen die Einziehung vorzugehen, Herr Dr. Pörtner?“

„Ich habe mir das genau angesehen: Der Gesellschaftsvertrag, in dem die Einziehung des Geschäftsanteiles und die Berechnung der Entschädigung geregelt sind, ist aus meiner Sicht wasserdicht. Auch die entsprechenden Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zur Einziehung sind aus meiner Sicht wirksam.“

Er räusperte sich und es klang, als klackerten Schraubenmuttern gegeneinander. „Natürlich kann man alles anfechten: Wir könnten behaupten, die Einziehungsbeschlüsse der Gesellschafter seien nichtig, zum Beispiel sei der Einziehungsbeschluss wegen Verfahrensfehlern in der Gesellschafterversammlung nicht ordnungsgemäß festgestellt worden, wir könnten die Regelung an sich anfechten, zum Beispiel, dass sie gegen irgendwelche Grundsätze verstoße, wir könnten die Buchhaltung bezweifeln, zum Beispiel, dass der Wert des verbliebenden Eigenkapitals höher sei und so weiter und so weiter.“

Seine lebhaften Augen huschten über mein Gesicht und er sagte mit einem Lächeln: „Das ist ein gefundenes Fressen für Anwälte, da kommen richtig hohe Gebühren zusammen, glauben Sie mir. Aber die ausgepumpten Klienten haben da am Ende nichts davon. Im Übrigen müsste Herr Seggenberg aus seinem Privatvermögen die Kosten bestreiten und auch bei Gericht für die Prozesskosten Vorauszahlungen leisten. Das geht auch ins Geld und ich bin nicht sicher, ob Herr Seggenberg das leisten kann.“

Ich versuchte, in seine Augen zu blicken, aber das gelang mir nicht.

Er hörte sich aber ehrlich an. Um das zu überprüfen, fragte ich: „Die anderen Anwälte, was ist das für eine Kanzlei?“

Für einen Moment fixierten mich seine Augen, dann huschten sie wieder rastlos umher: „Die Kanzlei Brown, Braun und Brahun ist auf Gesellschafts- und Finanzrecht, sozusagen von der Geburt bis zum Tod spezialisiert. Man hilft bei der Gründung, betreut während der Geschäftstätigkeit und übernimmt auch als Sanierungsberater oder Insolvenzverwalter, wenn es dazu kommt. Insofern vertritt die Kanzlei in diesem Gebiet ausschließlich Unternehmen und deren Gesellschafter, auch in kniffeligen Fragen, die in der Öffentlichkeit ‚ein Geschmäckle‘ haben, achtet aber peinlich genau darauf, ausschließlich im Rahmen der Gesetze vorzugehen.“

Er kratzte sich die Stirn. „Die DLT GmbH ist aus einer von den Kollegen gegründeten Vorratsgesellschaft hervorgegangen und wird auch jetzt noch von der Kanzlei betreut. Ich kenne den Kollegen Dr. Brahun ganz gut, guter Jurist und ausschließlich dem Interesse seiner Klienten verpflichtet. Er ist federführend auf der Gegenseite, vertritt die DLT GmbH und agiert mit Sicherheit absolut seriös.“

„Sagen Sie mir etwas zu seinen Mitgesellschaftern, bitte.“

„Verschiedene Geschäftsleute und eine Beteiligungsgesellschaft. Zu den Personen fragen Sie am besten Herrn Seggenberg direkt. Das sind wohl zum Teil ganz alte Geschäftsfreunde von seinem Vater. Sicher kann er Ihnen da einiges zu den Herren erzählen. Wir schicken Ihnen aber auch, was wir haben, natürlich.“

Ich war noch nicht von der Motivation von Dr. Pörtner überzeugt, dass ein Schadensersatzprozess kassenschonender für die Klienten sein würde: „Und Sie sehen Möglichkeiten, mit einem angemessenen Budget gegen Braun, Brown und Brahun Schadensersatz einzuklagen?“

„Klagen? Nein, es geht darum, gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Das Ziel ist eine außergerichtliche Einigung mit einer entsprechend höheren Zahlung als dem festgelegten Rückkaufwert der Kapitaleinlage zu erreichen. Das hängt natürlich von der Qualität der Erkenntnisse über ein mögliches Hintergehen unseres Mandanten ab.

Da kommen Sie ins Spiel. Finden Sie nur Anscheine, kann ich vermutlich nicht viel mehr herausholen, finden Sie handfeste Beweise, habe ich gute Chancen, für unseren Klienten eine gute Lösung zu erreichen.

Wie gesagt, ist Dr. Brahun sehr professionell und wird seinen Mandanten gut beraten. Wir müssen einfach sehen, was wir erreichen können.

Vom Budget her ist das überschaubar: Sie rechnen ein paar Tage Recherche ab, ich ein paar Tage juristische Kärrnerarbeit. Das kann sich Herr Seggenberg leisten.“

Das hörte sich plausibel an und ich hatte keine Zweifel mehr an seiner Motivation, war aber von den Erfolgsaussichten nicht überzeugt: „Wie kommen Sie darauf, dass Ihr Mandant hintergangen wird.“

Ich legte Wert darauf, klarzumachen, dass ich frei in meiner Entscheidung über einen Klienten war und diese Entscheidung noch offen war. Deshalb betonte ich ‚Ihr Mandant‘ besonders.

„Ich weiß auch nicht, ist nur so ein Gefühl natürlich. Dieser Geschäftsführer, Werner Jockenpohl, so wie der redet, hat der bestimmt Dreck am Stecken“, sagte er wässrig.

Das war wenig, um daran etwas Ungewöhnliches zu finden.

Sehr wenig.

Aber ich musste zugeben, dass mich nach allem, was ich gehört hatte irgendwie die Geschichte der Gründung einer Fluggesellschaft und all das Drumherum interessierten. Es konnte jedenfalls nichts schaden, sich mit dem Fall etwas zu beschäftigen. Und obwohl in meinem Ohr Milana ‚Lass es‘ flüsterte, griff ich in meine Innentasche, zog mit den Worten: „Meine Gebührenordnung“ das zusammengefaltete Dokument heraus und reichte es über den Tisch.

„Danke, dass Sie helfen“, sagte er, während er die Gebührenordnung in seiner Hemdtasche verstaute und zum ersten Mal in diesem Gespräch waren seine Augen ruhig auf mein Gesicht gerichtet. „Meine Assistentin schickt Ihnen die Beauftragung per Post und heftet die Gebührenordnung an das Schreiben.“

Er sah mich zufrieden an. „Wir schicken Ihnen auch Informationen über die Gesellschaft und so. Per Mail?“

„Ja, bitte an diese Adresse.“ Dazu reichte ich ihm eine meiner Karten.

„Wahrscheinlich wollen Sie als erstes mit meinem Mandanten sprechen. Ich melde Sie an.“

Als ich nickte, sagte er mir die Adresse, wo sein Mandant zu finden sei, stand auf und sagte zum Abschluss: „Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie an.“ Dann reichte mir seine Hand über den Tisch, die ich aufstehend ergriff, während er sich schon abwandte.

Er murmelte noch: „Auf Wiedersehen“.

Dann verschwand er mit seinem wiegenden Gang.

Da ich etwas verloren in dem Raum stand, machte ich mich auf den Weg nach draußen.

3

Ich parkte mein Auto gegenüber einem grünen Rolltor. Dahinter war ein gepflasterter Platz.

Die Industriehalle war aus mattgrünem Trapezblech und zeigte dem Rolltor ihre Giebelseite. An der Giebelseite befand sich rechts ein grau verputzter einstöckiger Anbau mit anthrazitfarbenen Fenstern, links davon hatte die Halle ein hellgraues Industrierolltor mit einem Lichtband oben und unten.

Auf der Pflasterfläche umkreisten sich zwei Männer, der eine gebückt, der andere muskelbepackt und mit einem stacheligen Werkzeug an einem Stiel, das er immer wieder in Richtung des Anderen stieß.

Der Muskelmann trug eine blaue Latzhose, ein helles T-Shirt und seine Füße steckten in Arbeitsschuhen mit einer gelb hervorgehobenen Stahlkappe. Zwischen den Angriffen mit dem Stachelwerkzeug wiederholte er jedes Mal aggressiv: „Dich mache ich fertig. Warte nur, ich mache Dich fertig.“

Der andere Mann war schon deutlich über sechzig, mit einer undefinierbaren Haarfarbe, scharfen Gesichtszügen, einer Narbe auf der linken Wange und einem gedrungenen Körperbau. Seine blaue Hose und die Jacke waren vom vielen Waschen hellblau geworden, in einer Tasche am Oberschenkel steckten eine Blechschere und ein Zollstock. Er schwieg und konzentrierte sich auf das Umkreisen. Trotz seiner offensichtlichen körperlichen Unterlegenheit strahlte er Stärke aus. Leichtfüßig wich er den Angriffen immer wieder geschickt aus.

Um die Kämpfer standen in kleinen Gruppen mit gehörigem Abstand einige Zuschauer.

Ein kleiner, schmächtiger Junge mit pickeligem Gesicht trat unruhig immer wieder von einem Bein auf das andere und quengelte: „Hassan, komm doch, lass ihn. Das bringt doch nichts.“

Hassan reagierte mit einem weiteren Stoß mit seinem Stichgerät in Richtung auf den Alten.

Ich weiß nicht warum, denn obwohl es mich nichts anging, sah ich mich genötigt, etwas zu unternehmen. „Hören Sie, Ihr Freund hat recht. So bringt das nichts. Und es sind so viele Zuschauer hier, wenn etwas passiert und sie den Mann verletzen, haben Sie ein echtes Problem“, rief ich in den Ring.

„Halts Maul, sonst bist Du der nächste“, brüllte der Angesprochene, machte einen Schritt nach vorne und stieß erneut mit der ‚Lanze‘ auf sein Gegenüber ein. Dieser tänzelte zur Seite und trat dem Angreifer das Bein weg. Hassan war aber gewandt genug, stürzte nicht, sondern ging nur auf das rechte Knie. Sofort kam er wieder auf die Füße und zischte: „Du Sau.“

Aus der Tür des Anbaus kam nun mit schnellen Schritten ein Mann angerannt und rief dabei: „Was soll denn das? Seid ihr bekloppt?“

Die umstehenden Männer duckten sich unwillkürlich. „Hassan, hör` sofort auf, sonst schmeiße ich Dich raus. Ihr müsst noch an die Baustelle in Waltrop, um dort abzuräumen, oder seid ihr damit schon fertig?“

„Das Arschloch hat …,“ wollte Hassan vorbringen, aber der Mann unterbrach ihn: „Sei still! So redet keiner auf meinem Hof.“ Er schien äußerlich ganz ruhig, atmete aber nach dem Lauf schwer.

Der Muskelmann blitzte seinen Boss an, seine Augen glühten vor Hass. Auf seinem T-Shirt hatten sich Schweißflecken gebildet, das Stachelwerkzeug hielt er immer noch festumklammert.

Der Gedrungene beobachtete aufmerksam Hassan, bereit einzugreifen.

Die Wolken hatten jetzt die Sonne freigegeben, so dass alles in hellem Sonnenlicht lag und die Männer rechts von uns die Augen zusammenkneifen mussten.

„Tu was ich gesagt habe!“ Die Stimme des Vorgesetzten zitterte ein wenig, aber er zeigte ansonsten keinerlei Angst. Langsam hob er den Arm und deutete auf etwas außerhalb der Pflasterfläche.

Eindringlich sagte der Pickelige: „Hassan, lass doch. Komm. Das lohnt doch nicht.“

Hassan stieß die Luft durch die Nase aus, wandte den Kopf dem Angegriffenen zu und stieß hervor: „Dich kriege ich noch.“

Dann ging er in Richtung eines neben dem Rolltor geparkten weißen Lieferwagens mit einem grünen Schriftzug ‚Industrieboden Dortmund‘, öffnete die Seitentür und warf das Stachelwerkzeug in das Fahrzeug, was ein unangenehmes, lautes Scheppern zur Folge hatte.

Der Pickelige trottete heimtückisch hinterher und nachdem beide eingestiegen waren, fuhr der Lieferwagen schnell beschleunigend davon.

„Worauf wartet ihr noch?“, wandte sich der Boss an die herumstehenden Männer, die daraufhin ebenfalls in Fahrzeuge stiegen und davonfuhren.

Der Gedrungene rieb sich seine Narbe.

„Und Du Hans-Jürgen, hast Du nichts zu tun? Das Lager kann mal gefegt werden!“

In den Augen des Gedrungenen trat eine Art Trauer. „Ich habe Deinem Vater versprochen auf Dich aufzupassen und ich werde mein Wort halten, aber übertreibe es nicht.“ Er nickte mir kurz zu. Damit ließ er seinen Vorgesetzten stehen und ging an der Halle vorbei nach hinten.

„Und Sie? Wer sind Sie?“

Der Boss hatte ein ovales unförmiges Gesicht mit einer gelblichen Haut, die ihn krank aussehen ließ. Auf seiner knolligen, geröteten Nase zeichneten blaue Adern ein kompliziertes Muster und seine dunkelbraunen Haare wären kürzer vorteilhafter für ihn gewesen. Sein weicher Hals schwamm auf seinem Hemdkragen, seine Hände waren rau und schuppig und an seinen Fingern waren die Narben eines arbeitsreichen Lebens.

„Herr Dr. Pörtner wollte mich anmelden. Ich bin Josef Koslowski, der Privatdetektiv.“

„Ah, okay, kommen Sie.“

Ohne weitere Erklärung ging er zu dem Anbau zurück und führte mich in ein Büro, in dem sich zwei Schreibtische jeweils mit einem durchgesessenen Chefsessel befanden. Die Tischplatte des einen war leer, auf dem anderen stand ein altmodischer Computer. An der Längswand stand ein großes Aktenregal und vor dem Schreibtisch mit dem Computer stand ein einfacher Stuhl.

Er zeigte auf den einfachen Stuhl und ich setzte mich darauf. Das Polster fühlte sich grob und hart an.

Sein Hemd war sorgfältig gebügelt, die blaue Krawatte mit einem diffizilen Blumenmuster etwas außer Mode, aber aus erstklassiger Seide und sein Anzug aus leichtem, blauem, feinem Wollstoff zeigte, er wusste, was sich gehörte.

Er sah mich vertrauensvoll an und befeuchtete seine Lippen, bevor er mir scheu eröffnete: „Diese Kerle. Wie die Kinder. Und dann streiten sie sich und vergessen alles andere.“

Ich nickte unbestimmt.

„Herr Todenfreund ist schon lange bei mir.“ Er sprach offensichtlich über den Gedrungenen, den er draußen mit Hans-Jürgen angesprochen hatte. „Er ist ein Freund meines Vaters, deshalb beschäftige ich ihn, obwohl ich ihn nicht auf Baustellen einsetzen kann. Für Lagerarbeiten, Kurierdienste und so.

Hassan ist ein Hitzkopf, wie halt diese Orientalen sind. Aber er arbeitet schnell und hat seine Baustellentermine im Griff. Solche Leute sind nicht leicht zu finden.“

Es klang wie eine Entschuldigung.

Aus dem Regal hinter sich nahm er zwei Gläser, fand eine Wasserflasche in dem rechts unter dem Fenster stehenden Kasten und fragte: „Wasser?“

Auf mein Nicken schüttete er beide Gläser voll.

„Was kann ich denn für Sie tun?“, fragte er dann, als er sich in den Chefsessel hinter dem Computerschreibtisch hatte fallen lassen.

Es war drückend und die Luft stand. Er steckte einen Finger in den Kragen, um ihn etwas zu weiten und bewegte den Kopf langsam von rechts nach links, dabei seine Mundwinkel zur Seite ziehend.

Um ihm zu helfen, beugte ich mich etwas vor und versuchte mein aufmunterndstes Lächeln bei ihm. „Herr Dr. Pörtner hat mich schon grundsätzlich informiert. Wie sehen Sie denn die ganze Sache?“

Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. „Ich werde betrogen“, sagte er daraufhin mit fester Stimme. „Ich werde von ehemaligen Geschäftspartnern meines Vaters betrogen.“

Er sah mich etwas ratlos an, steckte noch einmal den Finger in den Kragen und sagte: „Ja, ich werde betrogen, das brauchen Sie nicht herauszufinden. Es geht um den Nachweis eines Betruges und das Sammeln von Beweisen dafür.“

Dann blickte er aus dem Fenster, sah dort aber nichts Interessantes und wandte sich wieder mit einem bittenden Gesichtsausdruck mir zu: „Da müssen Sie mir helfen!“

Ich machte eine unbestimmte Kopfbewegung: „Wie sind Sie darauf gekommen, dass Sie betrogen werden?“

Er nahm meine Kopfbewegung wohl als positives Zeichen und lehnte sich zurück. „Vor etwa sechs Monaten ist mein Vater gestorben. Es war ein Herzinfarkt.“

Als ihm der Gedanke kam, ich dachte, dass ihn das bekümmern könnte, fügte er an: „Er hatte Lungenkrebs, so wie es jetzt ist, hat er nicht lange gelitten.“

Dann beugte er seinen Oberkörper in meine Richtung: „Er war Geschäftsmann und hatte immer allerlei Aktivitäten. So hat er mir auch mit meinem Geschäft geholfen, IBD, Industrieboden Dortmund. Das hat er gegründet und mir dann recht schnell übergeben.

Aus seinem umfangreichen Netzwerk sind dann von seinen Geschäftsfreunden anfangs viele, sehr lukrative Aufträge gekommen. Jetzt läuft das Geschäft weitestgehend über neue Kontakte.“ Es sah sich im Büro um.

„Wir sind im Objektgeschäft bei allen wichtigen Bauvorhaben mit in der Submission für die Ausführung von Kunstharzbodenbeschichtungen“, fügte er nicht ohne Stolz an. „Allerdings sind die Zeiten schwer und wir verdienen leider kein Geld.“

Erschrecken trat in sein Gesicht. „Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie bekommen ihr Geld. Sie wickeln das alles mit meinem Anwalt ab, der Sie auch beauftragt hat. Hat Steuergründe, Sie verstehen schon.“

Ich verstand es zwar nicht, aber es ging mich auch nichts an.

Ich wollte zum Kern der Angelegenheit kommen. „Und nach dem Tod Ihres Vaters haben Sie Anteile an der Dortmunder Lufttransport geerbt.“

„Ja, leider ist von den Aktivitäten meines Vaters nur dieses eine Geschäft - die DLT - übriggeblieben. Ich dachte eigentlich, er habe mehr unternehmerische Beteiligungen, aber es stellte sich heraus, dass er sich aus allen anderen Geschäften zurückgezogen hatte oder diese schon liquidiert worden waren.“

Er sah jetzt müde aus. „Deshalb sind Sie hier. Mein Anwalt sagt, ich könne nur dann mehr Geld bekommen, wenn ich nachweisen könne, dass die Gesellschaft mich betrogen hat.“

Seine Stimme war immer leiser geworden, während er das sagte, und mit wenig Hoffnung endete er: „Wenn Sie Beweise finden und ich mehr Geld bekomme, kann ich aufhören zu arbeiten. Dazu brauche ich das Geld.“

Seine gelbliche Haut war noch verbrauchter als er sagte: „Ich bin vom Epoxidharz krank geworden und darf eigentlich nicht mehr in der Industriebodenbeschichtung arbeiten. Aber ich bin als Selbständiger aus der Rentenversicherung ausgetreten, weil ich gedacht hatte, von meinen Kapitalerträgen leben zu können. So wie mein Vater.

Die Berufsgenossenschaft hat es abgelehnt, meine Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen. Ohne das Geld aus dem Erbe meines Vaters muss ich weitermachen, bis ich tot umfalle.“

Ich wollte ihn von dem deprimierenden Gedanken abbringen. „Wohin fliegt die DLT?“

„Die Gesellschaft ist noch im Aufbau, hat den Flugbetrieb noch nicht aufgenommen. Es soll aber bald losgehen.“

„Die Gründung einer Fluggesellschaft ist ungewöhnlich.“

„Ich habe das auch komisch gefunden, als mein Vater mir das damals erzählte, aber er sagte, dass es im Hintergrund Unterstützung gebe und das deshalb klappen werde.“

Es war klar, er hatte sich auch schon den Kopf zermartert, wie das alles zustande gekommen war, aber ich konnte ihm die Frage nicht ersparen: „Wie hat ihr Vater denn …“ Ich stockte etwas auf der Suche nach den richtigen Worten „… die Möglichkeit sich an der Gesellschaft zu beteiligen bekommen? Kannte er die Mitgesellschafter?“

Er seufzte bange und sagte dann mit gepresster Stimme: „Mein Vater war immer sehr verschlossen, was seine Geschäfte anging. Er hatte damit während der Wende angefangen und wollte nicht über seine Partner sprechen.“

Er blickte versonnen auf seine schuppigen Finger, während ich mein Wasserglas in einem Zug austrank. „Wie ich verstanden habe, waren auch die jetzigen Mitgesellschafter in der Vergangenheit immer mal wieder Geschäftspartner von ihm.

Insgesamt sind es – außer meinem Vater bzw. mir? – noch vier weitere Gesellschafter, einer davon ist der Geschäftsführer der Gesellschaft, Herr Werner Jockenpohl. Der hat mir auch erzählt, dass es bald losgeht mit dem Fliegen.

Jedenfalls suchte mein Vater oft die Gesellschaft in dem Büro im Dortmunder Flughafen auf und wenn ich ihn fragte, was er da machte, sagte er immer ‚Über alte Zeiten quatschen‘.“

Seine Tatkraft entwich mit der Geschwindigkeit, mit der sich bei einem Wasserrohrbruch das Erdgeschoss füllte und die blauen Adern auf seiner Nase wurden blass-lila.

Vielleicht gab es irgendeinen Grund für die Regelungen zum Einzug der Geschäftsanteile: „Hatte ihr Vater besondere Kenntnisse in der Luftfahrtbranche? Oder besondere Verbindungen, die für den Erfolg der Gesellschaft als Fluglinie besonders wichtig waren?“

Er sah mich entkräftet an: „Ich denke nicht. Jedenfalls ist mir nichts darüber bekannt.

Mein Vater war früher in der Verwaltung tätig, Dokumentation und Registratur. Aber er sagte mal, dass er immer noch das ein oder andere dokumentiere und die zugehörigen Dokumente archiviere, auch für die DLT. Aber das war wohl nichts Spezielles über Luftfahrt. Eher so etwas wie Gesellschaftsunterlagen, Steuererklärungen und so.“

Irgendwie hörte sich alles richtig an: Der Aufbau einer Fluggesellschaft war sicher mit Anfangsverlusten verbunden, ein Gesellschaftsvertrag mit Regelungen zum Ausscheiden von Erben aus der Gesellschaft war nicht ungewöhnlich, selbst wenn Herr Seggenberg Senior keinerlei Erfahrungen im Luftverkehrsgeschäft hatte. Ein Besuch im Büro, um über alte Zeiten zu reden, war für ältere Herren eine beliebte Freizeitbeschäftigung und bewies eigentlich nur, dass er sich mit den Partnern gut verstanden hatte.

„Hatte er solche archivierten Dokumente zu Hause. Oder etwas anderes?“

„Seine Wohnung ist bereits aufgelöst.“ Er hob entschuldigend die Hände. „Aber zuhause war nichts, gar nichts.“

Dann deutete er auf den anderen Schreibtisch. „Er hat manchmal hier gearbeitet, aber ich habe das alles schon durchgesehen, da ist nichts, was uns weiterbringt.“

Man konnte nie wissen. „Darf ich?“

Auf sein Nicken hin stand ich auf und ging zu dem Schreibtisch. Links und rechts waren Schubladen, die ich eine nach der anderen aufzog.

Das Papier darin war ganz unterschiedlicher Art, von Werbeprospekten über Briefe von verschiedenen Unternehmen und öffentlichen Stellen und Schreiben an verschiedenste Empfänger bis hin zu Visitenkarten. Einige der Dokumente hatten den Briefkopf der DLT, zwei waren Kopien von an die DLT gerichteten Schreiben.

Ich fragte: „Kann ich die mitnehmen?“ Ich wollte mir das später noch genauer ansehen, vielleicht ergab sich auch irgendwann noch in der Zukunft etwas wegen oder mit den Dokumenten.

„Ja, ja, natürlich.“

Ich rollte die Papiere zu einer Rolle zusammen und steckte sie in meine Anzugtasche.

Es befand sich auch allerlei üblicher Krimskrams in den Schubladen: Münzen, Büroklammern, unzählige Stifte, mehrere Locher, ein Taschenrechner und solche Sachen. Ein Ding erregte meine Aufmerksamkeit: Ein Schlüssel, der aussah wie ein Safe- oder Schließfachschlüssel, kurz, mit zwei Bärten mit komplizierten Aussparungen.

Ich legte den Schlüssel auf den Tisch. „Und in dem Safe- oder Schließfach, was ist darin?“, fragte ich.

Müde Augen sahen mich an. „Safe? Wir haben keinen Safe.“

„Vielleicht irgendwo anders, im Keller, im Wochenendhaus, zuhause?“

Er schüttelte den Kopf. „Vielleicht ist er einfach irgendwann mal übriggeblieben und mein Vater hat ihn immer mitgeschleppt, obwohl er schon lange nirgendwo mehr passte.

Aber nehmen Sie ihn mit. Sie können ihn ja wieder zurückgeben, falls er sich als nutzlos erweist.“

Ich zögerte, dann griff ich danach, holte meinen Schlüsselbund aus der Tasche und befestigte den Schlüssel daran.

Mein Gegenüber hatte sichtbar abgebaut und seine Energie verbraucht.

Es war klar, mit weiteren Fragen würde ich ihn nur quälen, aber das würde nichts einbringen. „Sie haben mir wirklich sehr weitergeholfen. Ich mache mich dann mal an meine Arbeit und suche nach Hinweisen, die weiterhelfen können.“

„Es ist gut, dass Sie mir helfen wollen.“ Er sah mich dankbar an. Danach holte er tief Luft und zwang sich aufzustehen.

Es kostete ihn viel Mühe, aber dann stand er. „Fragen Sie mich einfach, wenn etwas ist, ich helfe Ihnen natürlich so gut ich kann“, sagte er mit erlöschender Stimme.

Ich schüttelte ihm vorsichtig die Hand und verließ sein Büro.

4

Schwüle Luft sprang mich an, als ich das Gebäude verließ. Ich zog mein Jackett aus, den Knoten der Krawatte öffnete ich etwas. Obwohl es nicht heiß war, bildete sich in meinem Rücken ein Schweißfleck und verfärbte mein weißes Hemd dunkel. Während ich zu meinem Fahrzeug ging, ließ ich mir die Geschichte durch den Kopf gehen.

Es bot sich an, sich mit einer bewährten Methode an die Arbeit zu machen und einfach überall hineinzustechen. Ich beschloss deshalb, zu den Büros der DLT zu fahren und mit dem Geschäftsführer Werner Jockenpohl zu sprechen. Später wären die anderen Gesellschafter mit einer Inspektion dran und ich musste mir einen eigenen Eindruck von diesem Dr. Brahun von der gegnerischen Kanzlei Braun, Brown und Brahun verschaffen.

Danach würde ich wissen, ob es den Anschein von Betrug gab. Im Moment allerdings hatte ich nur das Gefühl, dass alles sauber und glatt und richtig war – zwar ungewöhnlich, aber richtig.

Nachdem ich das Auto erreicht hatte, öffnete ich die Tür, wartete aber noch einige Momente, bevor ich mich setzte, um die stickige, aufgehetzte Luft aus dem Fahrzeug zu lassen. Während ich wartete, beobachtete mich ein gutaussehender Teenager mit gewellten dunkelblonden Haaren, der an einem Eis lutschte. Ich verlor aber sein Interesse, als ein längsgestreiftes Kleid mit in die dunklen Haare gesteckten Sonnenbrille an uns vorbei stöckelte.

Ich holte mein Handy hervor, suchte auf Google die Adresse der DLT und übertrug diese in mein Navi: Sie hatten ihre Büros in dem Gewerbegebiet direkt am Dortmunder Flughafen.

Dann suchte ich die Telefonnummer der Kanzlei Braun, Brown und Brahun, die ich in den Handyspeicher übernahm, machte mich auf den Weg und drückte auf den Wählbutton für die zuvor eingespeicherte Nummer.

Die Stimme klang sehr professionell: „Kanzlei Braun, Brown und Brahun, mein Name ist Melanie Schwarz, was kann ich für Sie tun?“

„Josef Koslowski, ich bin Privatdetektiv und hätte gerne einen Gesprächstermin mit Herrn Dr. Brahun wegen eines seiner Klienten.“

„Einen Moment, ich verbinde in sein Sekretariat.“

Mit der Dame dort ging es etwas hin und her. Sie hatte eine gereifte Stimme, war schon durch unzählige Anrufer mit allen möglichen Geschichten gestählt und bewachte den Terminkalender ihres Chefs recht effektiv.

Sie konnte sich dann aber dem Hinweis nicht entziehen, dass ich gemeinsam mit Herrn RA Dr. Pörtner an dem Fall Dortmunder Lufttransport arbeitete und es da die Notwendigkeit der persönlichen Abstimmung bzgl. einiger Aspekte auch im Interesse der Mandantschaft des Dr. Brahun gebe. Weil ich als Privatdetektiv im Falle von Kapitalverbrechen ohne direkte Zusammenarbeit mit dem ‚gegnerischen‘ Anwalt den Strafverfolgungsbehörden gegenüber kein Auskunftsverweigerungsrecht habe, sei es unumgänglich, persönlich mit Dr. Brahun zu sprechen.

Es gelang ihr, für morgen nachmittags um 14:30 Uhr einen Termin freizuschaufeln, ‚aber nur eine halbe Stunde, hören Sie‘. Mir war das recht, denn ich hatte die Erfahrung gemacht, ein Termin dauerte so lange, wie er dauerte.

Damit endete unser Gespräch.

Ich freute mich über meinen erfolgreichen Trick.

Danach wählte ich die Nummer des ‚Ruhrmorgens‘ und verlangte, mit Severin Graf verbunden zu werden. Er hob gleich ab.

„Hallo Severin, geht?“ Trotz unserer langen Bekanntschaft hatten wir uns ein Mindestmaß an Höflichkeit bewahrt und so war es angemessen zu fragen, ob er ungestört sprechen konnte.

„Geht.“

Wegen unserer langen Bekanntschaft mussten wir uns nicht mit Smalltalk aufhalten, sondern konnten gleich zur Sache kommen. „Was wisst ihr über die DLT – Dortmunder Lufttransport. Ist sicher nicht so ganz alltäglich, dass in Dortmund eine Fluggesellschaft entsteht. Da habt ihr bestimmt berichtet, ein Interview oder einen Hintergrundbericht. Oder irgendwas.“

Severin Graf war schon lange im Zeitungsgeschäft und der wohl erfolgreichste ‚Investigativ Journalist‘ bei der Zeitungsgruppe, zu der der Ruhrmorgen gehörte. Deshalb hatte er Zugang zu allen Archiven und allerlei Datenbanken. Ich redete mir ein, dass er deshalb so ungemein wissend war, spürte aber, dass es mehr war. Während ich mich am Anfang unserer Bekanntschaft immer über seine Kenntnisse über alles Mögliche gewundert hatte, hatte ich es mittlerweile aufgegeben nach der Quelle seines Wissens zu fahnden, sondern nahm seinen Input als eine Art wandelndes Lexikon sehr gerne an. Er war auch nie ungehalten über meine Fragen, sondern teilte immer ausgiebig und freimütig sein Wissen mit mir.

„Tja, mal sehen“, sagte Severin und es klickerte etwas wie die Tasten eines Computers. „Die Gesellschaft ist im Handelsregister eingetragen seit 2013. Geschäftsführer ist ein Werner Jockenpohl. Jahresabschlüsse gibt es noch nicht, jedenfalls nicht veröffentlicht. Der Crefoindex ist 213.“

„Das ist gar nicht schlecht“, stellte ich fest.

Ich war zwar nicht so bewandert in solchen Dingen, aber dass die Creditreform anhand der Daten und Rückmeldungen über das Zahlungsverhalten einen Index über die Bonität eines Unternehmens zwischen 100 und 600 vergab, war mir bekannt. Ein Index in den niedrigen 200ern war sogar ziemlich gut.

Während er weiterklimperte, sagte Severin: „Peter Prall kann Dir zu der DLT sicher einiges sagen. Er ist der Mitarbeiter bei der Dortmunder Wirtschaftsförderung.“

Der Job der Wirtschaftsförderer ist es, ein offenes Ohr für Unternehmen zu haben und insbesondere Neuansiedlungen und Unternehmenswachstum zu unterstützen. Sie schaffen Kontakte innerhalb der Ämter, Beraten zu Standort und Förderprogrammen sowie rund um das Thema Gewerbeimmobilie. Als Neugründung kann es gut sein, dass die Wirtschaftsförderung eng mit der DLT gearbeitet hat und damit auch einiges an Kenntnissen hat. Das mit der Wirtschaftsförderung war eine gute Idee von Severin.

„Okay, hat die Wirtschaftsförderung ihre Büros im Rathaus? Da kann ich morgen vorbei fahren.“

„Ich rufe ihn an und frage, wann und wo Du ihn treffen kannst.“

Severin war jetzt fertig mit klimpern.

„Hast Du noch was über die DLT?“

„Tja, hier ist noch ein Gesprächsvermerk.“

Ich klappte die Sonnenblende herunter. „Gesprächsvermerk?“

„Ja, von einem Gespräch mit einem Anrufer hier in der Redaktion. Der Kollege hat darin vermerkt, dass der Anrufer vermutet, die Dortmunder Lufttransport sei eigentlich mit dem Zweck gegründet worden, Geldwäsche zu betreiben. Es gehe um Legalisierung von unversteuerten Einnahmen von georgischen Restaurants, Geschäften und Handwerksbetrieben.“

„Steht da, wer der Anrufer war? Ich müsste mit ihm sprechen. Dringend.“