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Weite Wiesen, kleine Häuschen und blühende Bäume, so weit das Auge reicht. Maddie freut sich über einen Neustart auf dem Land. Gäbe es da nicht ein kleines Problem ...
Nach einem Skandal verliert Maddie Porter ihren Job in einer PR-Agentur. Da kommt ihr das Angebot gerade recht, ein luxuriöses Anwesen auf dem Land als exklusiven Urlaubsort zu vermarkten. Und sie verlässt London, um ein neues Leben zu beginnen.
Doch als Maddie vor Ort eintrifft, ist sie entsetzt: Das sogenannte Anwesen ist eine Ansammlung alter Cottages, die stark renovierungsbedürftig sind. Und Seth, der missgelaunte Besitzer, hat kein Geld. Sein ganzes Kapital hat er in den Kauf der Häuser investiert. Aber Maddie braucht den Job. Egal, wie wenig Seth von ihren Plänen hält.
Dann stößt Maddie auf ein Geheimnis. Und nach und nach entdeckt sie, dass dieser Hof mehr für sie ist als nur ein Auftrag. Und ihr wird bewusst, dass sie kämpfen muss, wenn dieser ganz besondere Ort eine Überlebenschance haben soll.
Als das ungleiche Paar dann endlich anfängt, sich zusammenzuraufen, ist die atemberaubende Aussicht von der Spitze des Hügels nicht das Einzige, was die beiden sprachlos macht ...
Ein herzergreifender Roman für Leserinnen, die sich gerne von bezaubernden Menschen und zu Tränen rührenden Liebesgeschichten aus ihrem Alltag entführen lassen.
LESER-STIMMEN
"Dies ist ein Roman für Jung und Alt, für sonnige Sommertage und kalte Winterstunden, er lässt einen mitzittern und wärmt jederzeit das Herz." (Shokananda, Lesejury)
"Eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, überraschenden Wendungen und vielen bewegenden Momenten. Es gibt viel zum Schmunzeln, vieles das zu Tränen rührt, aber auch zum Nachdenken anregt." (LeseratteBea, Lesejury)
"Ein bezaubernder Feelgood-Roman für gemütliche Abendstunden." (Bluecat13, Lesejury)
"Eine Prise Drama, viele Prisen Zwischenmenschlichkeit, eine Prise Achtsamkeit, eine Prise Liebe und fertig ist ein wirklich einnehmendes Buch." (Petraf, Lesejury)
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 397
Veröffentlichungsjahr: 2019
Nach einem Skandal verliert Maddie Porter ihren Job in einer PR-Agentur. Da kommt ihr das Angebot gerade recht, ein luxuriöses Anwesen auf dem Land als exklusiven Urlaubsort zu vermarkten. Und sie verlässt London, um ein neues Leben zu beginnen.
Doch als Maddie vor Ort eintrifft, ist sie entsetzt: Das sogenannte Anwesen ist eine Ansammlung alter Cottages, die stark renovierungsbedürftig sind. Und Seth, der missgelaunte Besitzer, hat kein Geld. Sein ganzes Kapital hat er in den Kauf der Häuser investiert. Aber Maddie braucht den Job. Egal, wie wenig Seth von ihren Plänen hält.
Dann stößt Maddie auf ein Geheimnis. Und nach und nach entdeckt sie, dass dieser Hof mehr für sie ist als nur ein Auftrag. Und ihr wird bewusst, dass sie kämpfen muss, wenn dieser ganz besondere Ort eine Überlebenschance haben soll.
Als das ungleiche Paar dann endlich anfängt, sich zusammenzuraufen, ist die atemberaubende Aussicht von der Spitze des Hügels nicht das Einzige, was die beiden sprachlos macht …
Emma Davies arbeitete einmal für ein Designstudio, wo sie gebeten wurde, eine lustige und humorvolle (und nicht unbedingt wahre) Geschichte für deren Website zu schreiben. Sie schrieb folgendes: »Ich bin ein Bestseller-Autor, der sich derzeit als dreifache Mutter in den Dreißigern ausgibt.« Im Designstudio arbeitet sie nicht mehr, aber sie ist jetzt dreifache Mutter in den Vierzigern und freut sich, berichten zu können, dass ihr Traums wahr geworden ist.
Nach vielen Jahren als Finanzmanagerin schreibt sie heute Vollzeit und ist sehr glücklich, jetzt mit Worten statt mit Zahlen spielen zu können. Sie lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und zwei Meerschweinchen im ländlichen Shropshire, wo sie in jeder freien Minute schreibt. Shropshire, seine wunderbaren Menschen und zauberhaften Landschaften bieten ihr eine endlose Inspiration für ihre Bücher.
Besuchen Sie ihre Website www.emmadaviesauthor.com, wo Sie unter anderem über ihre Leidenschaft für Pringles und lautes Singen im Auto lesen können. Sie können ihr auch auf Twitter unter @EmDaviesAuthor folgen oder sie auf Facebook finden (ein wenig zu oft, als es gut für sie ist).
EMMA DAVIS
DAS KLEINE COTTAGE AUF DEM HÜGEL
Ein bezaubernder Feelgood-Roman
Aus dem Englischen von Michael Krug
beHEARTBEAT
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2018 by Emma Davies
Titel der britischen Originalausgabe: »The Little Cottage on the Hill«
First published in Great Britain in 2018 by Storyfire Ltd trading as Bookouture.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anita Hirtreiter
Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.deunter Verwendung von Motiven © KostanPROFF / shutterstock
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-7718-7
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Ein verlagsneues Buch kostet in Deutschland und Österreich jeweils überall dasselbe.
Damit die kulturelle Vielfalt erhalten und für die Leser bezahlbar bleibt, gibt es die gesetzliche Buchpreisbindung. Ob im Internet, in der Großbuchhandlung, beim lokalen Buchhändler, im Dorf oder in der Großstadt – überall bekommen Sie Ihre verlagsneuen Bücher zum selben Preis.
Für die wundervollen Menschen und wunderschönen Orte von Shropshire. Eine bessere Inspiration könnte es nicht geben.
Madeline spähte durch die Windschutzscheibe auf die Straße vor ihr, konnte jedoch nur hohe Hecken sehen, die zu beiden Seiten aufragten und einen langen, dunklen Tunnel den Hügel hinauf bildeten – und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wohin er führte.
Während sie im Schneckentempo vor sich hin fuhr, blickte sie nervös auf ihre Armbanduhr. Sie hatte sich penibel an die Wegbeschreibung des Bauern gehalten. Allerdings erforderte sie scheinbar Ortskenntnisse, über die Madeline nicht verfügte. Trotz seiner Beteuerungen, es sei ganz einfach, entdeckte sie keinen einzigen Weg, der von dieser Straße abzweigte. Offenbar hatte sie das große blaue Schild verpasst, von dem er gemeint hatte, sie könne es gar nicht übersehen.
Mittlerweile befand sie sich auf halbem Weg den Hügel hinauf und wurde mit jeder Minute, die verging, nervöser. Was, wenn ein großer Traktor oben an der schmalen Fahrbahn auftauchte und sie sich mit ihrem wunderschönen Sportwagen an die stacheligen Zweige der Hecken neben ihr quetschen müsste? Bisher hatte das Schmuckstück keinen einzigen Kratzer abbekommen.
Es half alles nichts, sie würde aussteigen müssen. Der Bauer hatte ihr versichert, die Zufahrt würde gleich nach dem Briefkasten folgen, und Madeline befand sich genau dort, wo sie sein sollte. Sie hielt an einer Lücke in der Hecke, die kaum eine Autobreite maß, und öffnete die Tür, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Behutsam stellte sie die Schuhe auf den Boden. Wenigstens regnete es nicht. Schlamm wäre so viel schlimmer als Staub. Auf ihren neuen cremefarbenen Pumps aus Veloursleder, die perfekt zu ihrem ebenfalls neuen Kleid passten, würden selbst die kleinsten Spritzer zu sehen sein.
Sie stöckelte zu der Lücke in der Hecke und spähte durch die Öffnung. Fuhren wirklich Leute mit ihren Autos da durch? Zähneknirschend drehte sie sich wieder um zu ihrem ganzen Stolz. Allmählich war sie ein wenig irritiert.
Als sie schon wieder in ihren Wagen steigen wollte, stach ihr etwas Blaues tief in der Hecke ins Auge. Madeline hielt inne, dann ging sie näher hin. Sie tastete durch das wild wuchernde Grün und verzog mürrisch das Gesicht, als sie Moos und Dreck unter ihre tadellos manikürten Fingernägel bekam. In dem Gestrüpp verbarg sich eindeutig etwas. Sie zog, bis sich eine lange Ranke in ihren Händen löste und der Rand von etwas Blauem mit weißer Schrift zum Vorschein kam. Madeline beugte sich ein wenig näher hin und spähte mit zusammengekniffenen Augen auf das Schild. Mit Mühe und Not konnte sie die Worte entziffern: Joy’s Acre.
Erleichtert machte sie kehrt, um den Rückweg zum Wagen anzutreten, rutschte dabei jedoch mit einem Fuß in einer Furche am Straßenrand aus. Sie stolperte leicht, streckte instinktiv eine Hand aus und spürte den scharfen Schmerz von Brennnesseln. Prompt bildeten sich dicke weiße Striemen an ihrem Handgelenk und sie taumelte rückwärts in einen tief hängenden Ast, der sich natürlich in ihrem Haar verhedderte und ihren eleganten Chignon auflöste, als sie sich davon losriss. Ein ganzer Schwall ihrer glatten dunklen Haare rutschte heraus und klatschte gegen ihre Wange.
Madeline starrte auf die schmale Fahrbahn vor ihr. Warum musste sie auch immer so viel Pech haben! Nach allem, was sie durchgemacht hatte, um es so weit zu schaffen – sie hatte einen neuen Job und konnte endlich einen Neubeginn wagen –, kam sie jetzt nicht nur zu spät, sondern sah auch noch völlig zerzaust aus. Sie konnte sich wohl abschminken, einen guten ersten Eindruck zu machen. Genervt stapfte sie zurück zum Auto, stieg ein und knallte die Tür zu. Verzweifelt hantierte sie an ihrem Haar und versuchte, den Schaden zu beheben, doch ohne Spangen erwies sich das als hoffnungslos. Das Beste, was sie tun konnte, war, die Enden unterzustecken und sich zu bemühen, den Kopf nicht zu sehr zu bewegen. Sie biss sich auf die Unterlippe, um ja nicht in Tränen auszubrechen.
Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, startete sie den Motor und lenkte den Wagen zu der Abzweigung. Das entsprach überhaupt nicht dem, was sie erwartet hatte, und es kam der Beschreibung vom Bewerbungsgespräch nicht einmal nah. Zum Glück wurde die Fahrbahn breiter, sobald sie die Lücke in der Hecke überwunden hatte, und die folgenden Hecken, durch die sie immer wieder etwas Grünes sah, waren niedriger, so dass sie erkennen konnte, dass sie am Rand eines Feldes entlangfuhr. Nach einer engen Rechtskurve gelangte sie zu einer breiten Lichtung. Dort parkten andere Fahrzeuge vor einer Zaunreihe. Dahinter sah sie einen staubigen Hof, ein großes Haus aus rotem Ziegelstein, zahlreiche Hühner und zwei Hirtenhunde, die bellend im Kreis rannten. Ihr Mut sank.
Es sind bloß Hunde, sagte sie sich, und ihre Angst vor ihnen war völlig unbegründet. In ihrer Vergangenheit gab es keinen Zwischenfall, der rechtfertigen würde, sich vor ihnen zu fürchten, und auch diese beiden würden ihr nichts tun. Offensichtlich erfüllten sie nur ihre Aufgabe. Trotzdem war es das Letzte, was sie an diesem Tag gebrauchen konnte, denn sie war auch so schon aufgeregt genug.
Madeline holte tief Luft und versuchte dadurch, ihre Anspannung zu lindern. Sie erinnerte sich daran, dass Nervosität am ersten Arbeitstag völlig normal war. Nun konnte sie die Vergangenheit hinter sich lassen, hier wusste niemand, was passiert war. Sie konnte noch einmal von vorn beginnen. Für den Job hatte sie die idealen Voraussetzungen, jetzt musste sie nur noch selbstsicher und professionell auftreten, genau wie beim Bewerbungsgespräch. Sie legte die Hand auf die Hupe, drückte kräftig darauf und zuckte bei dem plärrenden Ton zusammen.
Nach etwa zwanzig Sekunden öffnete sich die Eingangstür des Hauses, und ein dunkelhaariger Mann erschien. Er sah sich um, dann steckte er zwei Finger in den Mund und pfiff durchdringend, um die Hunde an seine Seite zu rufen. Mit mürrischer Miene schaute er in Madelines Richtung und durchquerte den Hof. Am Tor blieb er stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
Madeline starrte ihn durch die Windschutzscheibe an. Sie hatte gehofft, er würde durch das Tor herauskommen und sie begrüßen. Da er das aber offensichtlich nicht vorhatte, wusste sie nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Die Pattstellung wurde allmählich unangenehm, und Madeline hatte überhaupt nicht mehr das Gefühl, alles im Griff zu haben, sondern kam sich eher ziemlich dumm vor.
Zu ihrer Erleichterung setzte sich der Mann letztlich in Bewegung, öffnete das Tor und erteilte den Hunden streng den Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren. Madeline nahm das als Stichwort, um ihren Charme spielen zu lassen. Sie stieg aus dem Auto und achtete darauf, ihre langen Beine dabei hinlänglich zu präsentieren. Als sie sich aufrichtete, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf.
»Ich möchte zu Seth Thomas«, erklärte sie. Ihr Blick wanderte zu den Hunden. »Mein Name ist Madeline Porter. Ich habe um vierzehn Uhr einen Termin.«
Der Mann sah mit gerunzelter Stirn auf seine Armbanduhr. »Tja, ich bin Seth Thomas, aber wer immer Sie sind, Sie sind spät dran.«
»Ja, ich weiß, es tut mir leid. Ich konnte Sie nicht finden. Immerhin gibt es keine vernünftige Beschilderung, oder?« Die Hunde blieben in Lauerstellung und warteten auf ein Zeichen, um sich in Bewegung zu setzen. Madeline hielt beide Hände in Hüfthöhe. »Das sollten wir wahrscheinlich gleich als Erstes in Ordnung bringen. Wäre ja ziemlich einfach. Ich denke, die Hecke müsste bloß ein wenig gestutzt werden, obwohl ein größeres Schild vielleicht mehr Wirkung erzielen würde und …« Abrupt verstummte sie. »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich erneut. »Ich greife vor. Also haben wir einen Termin jetzt?«
Seth musterte sie von oben bis unten. »Wird wohl so sein«, erwiderte er. »Nur kann ich mich nicht erinnern, je einen Termin mit Ihnen vereinbart zu haben.«
»Stimmt, es war Natalie, die ihn für heute bestätigt hat. Ich glaube, Sie haben die E-Mail in Kopie bekommen.«
Sein Mund bildete eine verkniffene Linie. »Na ja, ich lese ihre E-Mails aus Prinzip nicht, das dürfte es erklären.«
Er trat zurück, um Madeline vor sich durch das Tor zu lassen.
Sie zögerte und wünschte, er würde vorausgehen.
»Sagen Sie bloß, Sie haben Angst vor den Hunden.«
»Ich habe keine Angst vor ihnen. Ich bin nur nicht besonders scharf darauf, dass sie angerannt kommen und an mir hochspringen.«
Seth schaute zu den zwei Hunden, die ganz ruhig in der Nähe des Tors standen, dann zurück zu ihr. Er zog die Augenbrauen hoch.
Madeline ignorierte seinen unausgesprochenen Hohn.
»Dann kommen Sie mal besser mit ins Haus«, meinte er und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie vorausgehen sollte. »Das heißt, sofern Sie sich nicht auch vor den Hühnern fürchten.«
Seth stemmte seine Hände in seine Hüften, während er Madeline mit einem belustigten Lächeln musterte.
Sie wirbelte zu ihm herum. Eine Strähne löste sich aus ihrer provisorisch reparierten Frisur und wippte um ihre Wange. Zornig klemmte Madeline sie hinters Ohr.
»Das halten Sie wohl für besonders lustig, was?«, sagte sie. »Tja, Sie müssen schon entschuldigen, aber vorhin sind Ihre Hunde völlig außer Rand und Band herumgetollt. Darüber sollten Sie sich in Zukunft vielleicht Gedanken machen. Nicht jeder fühlt sich in der Gegenwart von tollwütigen Hunden wohl.«
Seth neigte leicht den Kopf. »Verstanden«, entgegnete er. »Obwohl die beiden sehr gut darin sind, unerwünschte Besucher fernzuhalten.« Er lächelte sie verhalten an. Sein Blick heftete sich auf ihr Haar. »Und Sie sollten in Zukunft vielleicht darüber nachdenken, nicht zu hupen, das stachelt sie nämlich nur zusätzlich an.«
Madelines Wangen brannten während des gesamten Wegs zur Eingangstür, als sie hastig versuchte, ihre Frisur wieder notdürftig in Ordnung zu bringen.
Wenige Minuten später saß sie an einem sauber gewischten Küchentisch und beobachtete Seths Rücken, während er mit einem Teekessel hantierte. Die beiden Hunde waren hinter der fest verschlossenen Tür in einen anderen Teil des Hauses verbannt, doch Madeline konnte hören, wie die Krallen ihrer Pfoten gelegentlich über das Holz schrammten.
»Wissen Sie was, ich nehme bitte einfach ein Mineralwasser«, sagte sie.
Mitten in der Bewegung hielt Seth inne. Sein Rücken versteifte sich leicht, bevor er nach oben zu einem Schrank griff, ein Glas herausholte und damit zum Spülbecken ging.
»Leitungswasser«, sagte er, als er das Glas vor ihr abstellte. »Obwohl es streng genommen trotzdem Mineralwasser ist, zumal es aus einem Bohrloch stammt.«
Madeline erwiderte nichts. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie sich unter einem Bohrloch vorstellen sollte, aber es klang nicht gut. Sie ergriff das Glas und nippte zurückhaltend an dem Wasser, weil sie damit rechnete, dass es warm war und widerlich schmecken würde. Zu ihrer Überraschung erwies es sich jedoch als kühl und beinah süß.
Der Kessel brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis er kochte, und Seth stand während der gesamten Zeit mit dem Rücken zu ihr. Der Mann war weder besonders groß noch sonderlich breit. Er trug einen zerschlissenen roten Pullover mit ausgefranstem Saum und einem Loch knapp vor der rechten Achselhöhle. Madeline nippte an ihrem Wasser und wartete. Sie rutschte auf dem Sitz hin und her, ihr wurde heiß, sie schlug die Beine übereinander und löste sie wieder – und immer noch zeichnete sich nicht ab, dass der Tee endlich fertig wurde.
Schließlich räusperte Seth sich und stellte eine Tasse ihr gegenüber auf dem Tisch ab. Doch statt sich hinzusetzen, steuerte er zu Madelines Überraschung auf die Tür zu.
»Also gut, bringen wir’s hinter uns«, meinte er. »Zeit für eine ordentliche Vorstellung.«
Damit riss er die Tür weit auf. Es folgte ein lauter Tumult, als acht Beine auf dem Fliesenboden Halt zu finden versuchten, bevor die zwei Hunde in den Raum stürmten.
»Die wollen nur Hallo sagen«, fügte Seth hinzu, »was unter den gegebenen Umständen durch und durch vernünftig ist. Immerhin werden Sie sich das Haus mit ihnen teilen, also können Sie auch gleich damit anfangen, wenn es Ihnen ernst ist.«
Ehe Madeline protestieren konnte, schob sich ein großer Kopf mit heraushängender Zunge auf ihren Schoß und verschmierte Sabber auf dem makellosen Stoff ihres Kleids. Sie streckte die Hände hoch, als würde sie mit einer Schusswaffe bedroht.
Seth ging neben ihr in die Hocke, legte dem Hund die Hand auf den Kopf und zerzauste ihm liebevoll das Fell, wodurch er die schnuppernde Schnauze noch weiter auf Madelines Schoß drückte. »Das ist Bonnie, eine totale Schmusekatze. Sie kann gar nicht genug davon bekommen, gekrault zu werden, nicht wahr, meine Süße?« Er zerzauste das Fell noch kräftiger.
Gekrault?
Seth streckte eine Hand aus. »Und das ist Bonnies Bruder Clyde, anfangs ein bisschen zurückhaltender, aber letztlich bringt er trotzdem jedes Herz zum Schmelzen. Er ist bloß ein bisschen schüchtern.«
Wie aufs Stichwort ließ sich Clyde auf die Seite fallen, schmiegte sich verzückt an Seth und rollte den Kopf zurück, als er versuchte, ihm die Hand zu lecken. Madeline schauderte beinah. Sie hatte nicht die Absicht, irgendjemanden oder irgendetwas ihr Herz schmelzen zu lassen, am allerwenigsten einen räudigen Köter. Sie starrte Seths Pullover an, den auf einmal eine frische Schicht feiner weißer Härchen bedeckte. Nein danke.
»Nur zu«, drängte Seth. »Streicheln Sie die Hunde, dann lassen die beiden Sie in Ruhe.«
Zögerlich legte Madeline eine Hand auf Bonnies Kopf und behielt dabei wachsam Clyde im Auge. Für ihr Empfinden wirkten die blauen Augen des Hundes entschieden zu wild.
Nach ein, zwei Herzschlägen richtete sich Seth mühelos auf.
»Kommt jetzt, raus mit euch.«
Er ging in den Flur und öffnete die Tür hinaus zum Hof. Beide Tiere sprangen auf und rannten nach draußen.
»Sehen Sie?«, sagte Seth, als er in die Küche zurückkehrte.
Madeline, die nicht wirklich verstand, was er meinte, starrte ihn nur an. Sie räusperte sich. »Vielleicht sollten wir dann anfangen«, schlug sie steif vor und tupfte mit einem Taschentuch aus ihrer Handtasche an dem peinlichen nassen Fleck auf ihrem Rock.
Endlich nahm Seth Platz, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und musterte sie eine Weile schweigend. Sie wurde unter seinem Blick nervös, als ihr plötzlich unangenehm bewusst wurde, wie schlecht dieser Start verlief. Er hob die Hand und rieb sich langsam die rauen Bartstoppeln am Kinn.
»Womit genau sollen wir anfangen?«, fragte er schließlich.
Madeline schluckte. Allmählich breitete sich die nervöse Anspannung in ihren Magen aus.
»War das vorhin ein Scherz, oder haben Sie die E-Mail von Natalie wirklich nicht gelesen?«
»Nein, das war kein Scherz, ich habe sie nicht gelesen. Sehr wohl hingegen habe ich ihre früheren E-Mails gelesen, in denen ich lang und breit über meine Unzulänglichkeiten aufgeklärt und darüber informiert worden bin, dass man keine andere Wahl mehr hätte, als eine Expertinals Unterstützung für mich zu engagieren.« Beim Wort »Expertin« zeichnete er mit den Fingern Anführungsstriche in die Luft. »Sie müssen schon verzeihen, aber an der Stelle habe ich das Interesse ziemlich verloren. Ich wusste zwar, dass jemand kommen würde, hatte aber offen gestanden nicht so bald mit Ihnen gerechnet.«
Allmählich fing seine Haltung an, sie zu zermürben.
»Hören Sie, ich weiß nur, dass ich heute um zwei Uhr hier sein und nach Ihnen fragen sollte. Ich bin durch das halbe Land gefahren und …«
»Das ist nicht ganz das, was Sie erwartet haben?«, fiel er ihr ins Wort. »Richtig. Ist es nicht.«
Sie ignorierte den Sarkasmus in seiner Stimme. »Sind Sie jetzt der Verwalter oder nicht?«, fragte sie und unterzog sein Äußeres einer weiteren kritischen Musterung, während sie gleichzeitig versuchte, den Blickkontakt zu halten.
Jäh schaute er auf. »Hat man Ihnen das gesagt?« Dann murmelte er noch etwas anderes, das Madeline nicht mitbekam, in seinen Bart. So würden sie nicht weiterkommen.
»Mr Thomas«, ergriff Madeline mit fester Stimme das Wort, »mein Bewerbungsgespräch in London war recht eindeutig. Ich besitze jahrelange Erfahrung und habe für zwei Londoner Top-Agenturen gearbeitet. Deshalb wurde ich für die geeignetste Kandidatin von sechs anderen Bewerbern befunden, und man hat mir in weiterer Folge die Stelle der Entwicklungs- und Marketingleiterin für Joy’s Acre angeboten. Nachdem alle Formalitäten bezüglich meiner Einstellung geklärt waren, habe ich meinen Vertrag zusammen mit der Anweisung erhalten, bei meiner Ankunft nach Ihnen zu fragen. Meinem Verständnis nach sollen Sie mir alles zeigen und mir beim Einzug in meine Unterkunft behilflich sein. Ich fange morgen mit der Arbeit an, Mr Thomas, und ich wüsste nicht, was daran nicht klar sein sollte.«
Seth wandte den Kopf ab, nicht jedoch, bevor Madeline einen Ausdruck verbitterter Wut über seine Züge huschen gesehen hatte. Seine Frustration äußerte sich in einem zornigen Zischen, dann setzte er sich ohne Vorwarnung aufrechter hin und trank den Tee in drei Schlucken aus.
»Nein, Sie haben schon recht, Miss Porter, das alles ist vollkommen klar. Wenn Sie bereit sind, führe ich Sie herum. Entschuldigen Sie mich nur für einen Moment, ja?«
Damit sprang er vom Stuhl auf und erreichte mit einem Schritt die Küchentür.
»Trinken Sie nur in Ruhe aus, ich brauche nicht lange.«
Und damit ging er.
Madeline sah sich um und hatte endlich das Gefühl, ein wenig mehr Kontrolle zu haben. Endlich schien sie voranzukommen. Es war nicht ihre Schuld, wenn dieser Mann so unorganisiert war, dass er sie nicht einmal erwartet hatte. Allmählich begann sie zu verstehen, weshalb das Einstellungsverfahren in London abgewickelt worden war. Wer immer dieser Seth auch sein mochte, er gehörte eindeutig mit zu dem Problem, das sie beheben sollte.
Auf den ersten Blick traf die Küche nicht ihren Geschmack – zu abgelebt und mit einem Hauch dieses scheußlichen Shabby-Chic-Stils, der im Moment auf dem Land als der letzte Schrei galt. Aber hinter all dem Farmhaus-Kram entdeckte sie auch das eine oder andere Schmuckstück. Ganz zu schweigen von der topmodernen Kaffeemaschine in einer Ecke.
Madeline stand auf und durchquerte den Raum zum Fenster, das hinaus auf den Hof wies, über den sie vorhin gekommen war. Der Anblick erinnerte sie an ein altes, staubiges Gemälde in Sepiatönen – ein träges ländliches Idyll aus längst vergangenen Zeiten.
Sie reckte den Hals und versuchte, am Ende des Gebäudes vorbeizuspähen. Vor ihr erstreckten sich nur der Hof und der Bereich, wo die Autos parkten. Dahinter folgte die Zufahrt, über die sie sich den Weg gebahnt hatte, mit Andeutungen von Feldern auf der linken Seite. Ihrer Schätzung nach musste sie sich ganz in der Nähe der Kuppe des Hügels befinden, also bot die andere Seite des Hauses wahrscheinlich eine beeindruckende Aussicht.
Da Seth außer Sichtweite war, musste es einen Weg geben, der um die Seite des Gebäudes führte, und vermutlich lag dort der Hauptkomplex der Anlage. Sie konnte sich nicht vorstellen, wo er sich sonst befinden könnte. Ihre Gedanken wurden vom Geräusch zersplitternden Glases unterbrochen.
Ungefähr eine Minute später hörte sie, wie sich die Vordertür wieder öffnete, und Seths Kopf tauchte am Eingang zur Küche auf.
»Bereit?«, erkundigte er sich und lächelte dabei leicht sarkastisch.
Madeline nickte, hob ihr Glas an und trank rasch das restliche Wasser aus. Etwas sorgte sie sich schon, was sie da wohl alles erwarten würde.
* * *
Bei ihrer Ankunft war es ihr nicht aufgefallen, aber hinter dem Haupthaus befanden sich zwei Nebengebäude. Ein breiter Bogen dazwischen bot einen Durchgang nach hinten. Unmittelbar hinter einem der Nebengebäude lag ein uraltes Gewächshaus, das sich an die Ziegelsteinmauer schmiegte, die sich in warmen Farbtönen präsentierte. Auf dem Boden lagen drei zu riesigen gezackten Scherben zerbrochene Fensterscheiben vom Dach des Treibhauses. Madeline blieb hinter Seth stehen, unschlüssig, ob sie ihn bremsen und darauf hinweisen sollte oder nicht.
Er schien zu spüren, dass sie zurückfiel, und drehte sich zu ihr zurück. »Ich hab nur das Fenster aufgemacht«, gab er mit einem Schulterzucken als Erklärung ab.
Sie spähte in das Gewächshaus und zu den Reihen der Setzlinge auf dem Tisch an der entfernten Seite. Pflanzen, die vermutlich von etwas Frischluft genauso profitieren würden wie von der Wärme der Frühlingssonne.
»Sie waren nicht drin?«
Kurz blieb er stehen und sah sie an, als wäre sie verrückt.
»Wäre ich drin gewesen, würde ich jetzt nicht mit Ihnen reden. Das war dank unseren Freunden, den Viktorianern, nicht nötig. Warten Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Seth ging zurück und legte die Hand auf den großen Griff eines Rads am äußeren Rand des Gewächshauses, knapp über Kopfhöhe. Die grüne Lackierung des Rads blätterte an mehreren Stellen ab und gab darunter mehrere Schichten anderer Farben preis.
»Wissen Sie, die Antriebswelle verläuft durch die gesamte Länge des Gewächshauses. Wenn man am Rad dreht, dann dreht sich auch die Welle und betätigt den Mechanismus, der die einzelnen Fenster öffnet. Man muss es nicht von Hand tun und kann alles von außen erledigen. Ganz schön pfiffig, finden Sie nicht?«
Madeline betrachtete das rostende Metall. »Nur ist dadurch das Glas kaputtgegangen.«
Seth blickte zu seinen Füßen. »Na ja, genau genommen nicht. Das Glas ist aus dem Rahmen gerutscht, das ist alles. Jedenfalls muss es repariert werden. Alles.« Wieder zuckte er mit den Schultern und deutete mit einer Hand auf die baufällige Konstruktion. »Kommen Sie weiter.«
Madeline betrachtete erst das Gewächshaus, dann wieder Seth. Die Frage, die sie am dringendsten stellen wollte, behielt sie lieber für sich. Immerhin hatte sie keinen wirklichen Beweis dafür, dass die Scheiben etwas anderem als brüchigen Verbindungen und der Schwerkraft zum Opfer gefallen waren … obwohl der große Ziegelstein, der unübersehbar mitten auf dem Boden lag, eine etwas andere Geschichte andeutete.
Nachdem sie die Nebengebäude passiert hatten, eröffnete sich vor ihnen ein weites Gelände, und als Madeline darauf zuging, spürte sie, wie ihr Herz ein wenig schneller schlug. Bestimmt würde sich hier irgendwo die Anlage befinden. Ihr professioneller Enthusiasmus äußerte sich im leichten Ziehen eines Lächelns an ihren Mundwinkeln.
Zwanzig Sekunden später verflüchtigten sich sowohl ihr Lächeln als auch jeder Anschein von Professionalität, als sie mit offenem Mund auf die Szene vor ihr starrte.
Ihr Blick schwenkte von links nach rechts und wieder zurück, erfasste die gesamte Breite der Gärten, die sich überraschend gepflegt und geordnet präsentierten. Damit blieben sie jedoch das Einzige, worauf das zutraf.
Auf einer Seite stand eine kleine strohgedeckte Hütte inmitten eines wild wuchernden Gewirrs von Unkraut und Büschen. Auf dem Zugangsweg stapelte sich rostiges Metall, das vielleicht einst als Gartenzaun gedient hatte, und schon aus der Ferne ließ sich nicht übersehen, dass der Zustand des Daches genauso erbärmlich war wie jener der Fenster und der Eingangstür, die schief in den Angeln hing.
Links davon folgten drei weitere Hütten, alle etwas größer als die erste und ebenfalls mit Strohdächern, aber mit geweißelten Wänden statt unverputztem Ziegelstein. Allerdings hatte sich von der Farbe so viel abgeschält, dass Madeline nicht zu sagen vermochte, ob man sie bewusst als Vorbereitung für Renovierungsarbeiten entfernt hatte oder ob sie sich einfach abgelöst hatte. Dahinter stand verlassen ein einsames Nebengebäude. Die gesamte Anlage wirkte verwahrlost, und wenn man nach dem äußeren Zustand der Hütten ging, graute Madeline beim Gedanken daran, was sie vielleicht im Inneren vorfinden würde …
»Sie würden es wahrscheinlich als laufendes Projekt bezeichnen«, meinte Seth und zeigte auf das erste Häuschen.
»Sind sie überhaupt bewohnbar?«, Madeline fauchte beinah.
»Tja, kommt drauf an«, erwiderte Seth. »Für mich schon. Für Sie allerdings wahrscheinlich weniger.« Mehr brauchte er wirklich nicht hinzuzufügen. »Wollen Sie weitermachen, oder haben Sie genug gesehen?«, erkundigte er sich.
Madeline war nicht sicher, ob er die Worte gehässig meinte oder nicht, doch in dem Augenblick fühlten sie sich wie der Tropfen an, der das Fass zum Überlaufen brachte.
»Ja, ich will weitermachen«, gab sie zurück. »Zeigen Sie mir wenigstens die Hütten, die schon fertiggestellt sind.«
Seth starrte sie an. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus, als er nichts erwiderte, sondern nur wie angewurzelt vor ihr stand.
»Das war’s?« Wütend stapfte sie näher zu ihm. »Wollen Sie mir allen Ernstes weismachen, dass vier halb verfallene Hütten und eine alte klapprige Scheune alles sind, was Joy’s Acre zu bieten hat? Mir wurde gesagt, hier würde es verschiedenste luxuriöse Ferienunterkünfte sowie Konferenzeinrichtungen für Geschäftskunden geben. Wo wollen Sie die unterbringen? In einem Zelt auf dem Rasen?« Sie atmete tief durch. »Bestimmt gibt es ein Gesetz gegen das Einstellen von Personal unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Ich bin den weiten Weg hierher in der Erwartung gekommen, etwas ganz Besonderes vorzufinden. Und in Wirklichkeit finde ich hier – mitten im Nirgendwo, wie ich hinzufügen möchte – bloß vier bescheuerte kleine Hütten und ungefähr so viel Luxus wie in einem Schweinestall …«
Madeline verstummte, als ihr unverhofft ein Anflug einer unerwünschten Emotion die Kehle zuschnürte. Sie schluckte schwer. Es widerstrebte ihr zutiefst, Seth merken zu lassen, wie aufgebracht sie war, doch die ganze Situation war vollkommen unzumutbar. Sie drängte die Gefühle in ihr zurück und sah ihn wütend an.
»Ich finde das auch nicht besonders unterhaltsam«, gab er mit angespannter Kieferpartie zurück. »Vor allem, da diese … bescheuerten Hütten, wie Sie es nennen, ein Teil meines Zuhauses sind.« Finster funkelte er sie an. »Mir gehört Joy’s Acre, und alles andere hier auch. Und das Letzte, was ich brauche, ist eine aufgeblasene Besserwisserin aus London, die hier antrabt, mich beleidigt und, schlimmer noch, der Meinung ist, sie könnte mir Vorschriften machen.«
In seinen Augen blitzte Zorn auf, aber Madeline war im Moment zu beschäftigt mit ihrer eigenen Lage, um sich groß um seine Gefühle zu scheren. Was um alles in der Welt sollte sie nur tun? Seth drängte sich an ihr vorbei, stapfte mit schnellen Schritten davon und ließ ihr keine andere Wahl, als ihm zu folgen.
Als er um die Ecke zurück zum Hauptgebäude bog, fingen die Hunde wieder wild zu bellen an. Sie stürmten auf eine große Gestalt zu, die an der Eingangstür des Farmhauses stand.
»Herrgott noch mal, Seth, ruf gefälligst die Hunde zurück, das hab ich dir schon mal gesagt!«
Seth stemmte die Hände in die Hüften. »Weißt du, Agatha, wenn du mich vorwarnen würdest, dass du zu Besuch kommst, könnte ich dafür sorgen, dass die Hunde drinnen sind, wenn sie dich so sehr stören.« Er stieß einen schrillen Pfiff aus. »Bonnie! Clyde!«
Die zwei Hunde schlichen zu ihm und kauerten sich neben seine Füße. Madeline fiel auf, dass er keine Anstalten machte, sie ins Haus zu verbannen.
»Was willst du?«, fragte Seth.
»Heute trifft eine Frau ein. Meine Nichte hat mich gestern Abend telefonisch darüber informiert, und du sollst höflich zu ihr sein und ihr das Gefühl geben, willkommen zu sein, ist das klar? Sie soll dich auf Vordermann bringen, und ich erwarte, dass du mich regelmäßig über den Stand der Dinge informierst.«
Die Luft zwischen den beiden schien zu knistern, und Madeline versuchte, ein paar Schritte hinter Seth unsichtbar zu werden. Es musste sich um Natalies Tante handeln. Man hatte ihr gesagt, dass sie die Dinge vor Ort im Auge behalten würde. Allerdings hatte sich Madeline den Verlauf ihrer ersten Begegnung anders vorgestellt. Sie wich noch weiter hinter Seth zurück, jedoch zu spät, denn er trat einen Schritt zur Seite und lenkte so die Aufmerksamkeit auf sie.
»Ah, wie ich sehe, sind Sie schon eingetroffen.«
Madeline bemühte sich um ein strahlendes, professionelles Lächeln und streckte die Hand aus. »Oh ja, das bin ich«, sagte sie. »Madeline Porter. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Ihre Hand wartete in der Luft darauf, geschüttelt zu werden. Agatha ignorierte sie, musterte Madeline stattdessen von Kopf bis Fuß, schnaubte abschätzig und richtete ihre Aufmerksamkeit mit finsterer Miene wieder auf Seth.
»Und ich warte seit drei darauf, dass meine Hecke gestutzt wird. Vielleicht könntest du dich so bald wie möglich darum kümmern.«
Anschließend bedachte sie Madeline mit einem letzten, äußerst gründlichen Blick, bevor sie sich abwandte.
Madeline blieb der Mund offen stehen. War das gerade wirklich passiert? Was stimmte nicht mit diesen Leuten? Madeline hatte nicht übel Lust, hinter Agatha herzulaufen, um ihr all die Fragen zu stellen, über die sie sich das Hirn zermarterte, und um sich ein wenig Beruhigung zu verschaffen. Allerdings verriet ihr etwas an der steifen Haltung des Rückens, dass Agatha nicht zu der Sorte Frau gehörte, hinter der man herlief. Daher sah Madeline keine andere Wahl, als ihr nur nachzuschauen, während die Anspannung in ihr wieder stieg.
Seth stand mit hängendem Kopf neben ihr und schwieg. Seinem Gesichtsausdruck entnahm sie, dass auch er sich den Verlauf dieses Tages anders vorgestellt hatte.
»Das ist also Agatha«, meinte sie.
Seth bedachte sie mit einem Seitenblick, ehe er ihr bedeutete, zurück ins Haus zu gehen.
»Gewöhnen Sie sich besser schon mal dran«, riet er ihr mit einem verkniffenen Lächeln.
In der Küche setzte sich Seth an den Tisch und lümmelte mit ausgestreckten Beinen auf dem Stuhl. Madeline rutschte neben ihm nervös auf ihrem Sitz hin und her, während sie geradezu verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen. Die Stille weitete sich aus.
Plötzlich zog Seth die Beine an und stand abrupt auf. »Oh Mann, schier unfassbar, dass sich der heutige Tag so wahnsinnig toll entwickelt.« Er verstummte und sah sie an. »Kaffee?«
Madeline nickte nur, weil sie ihrer Stimme im Moment nicht recht traute, und zum zweiten Mal an diesem Tag war sie gezwungen, Seths Rücken zu beobachten, während er ihre Getränke zubereitete.
»Also, was genau hat Natalie zu Ihnen gesagt?«, erkundigte sich Seth, sobald sie beide eine Tasse sengend heißen Kaffee vor sich stehen hatten. »Gehe ich recht in der Annahme, dass man Ihnen einen völlig anderen Eindruck von diesem Ort hier vermittelt hat?«
Madeline dachte einige Herzschläge lang über seine Frage nach. Es war verlockend, Klartext mit ihm zu reden, doch so verärgert sie auch sein mochte, zeichnete es sich ab, dass nichts von alldem zwingend Seths Schuld sein musste.
»Mich überrascht, dass Sie das nicht wissen. Sie haben gesagt, alles hier würde Ihnen gehören, und Sie haben ziemlich deutlich gemacht, dass Sie mich hier nicht haben wollen. Warum also bin ich dann eigentlich hier? Wenn Sie das nicht wollten, warum dann das ganze Theater mit den Bewerbungsgesprächen, den Referenzen und so weiter? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Hätten Sie nicht schlicht und ergreifend ablehnen können?«
»So einfach ist das eben nicht.« Er seufzte in seinen Kaffee.
»Nein?« Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Nein«, bestätigte er. Sein Mund bildete dabei eine verkniffene Linie. »Agatha und ich haben … haben eine familiäre Verbindung, und daher haben sie und ich ein persönliches Interesse an diesem Ort. Wir haben eine Vereinbarung. Es tut nichts weiter zur Sache, worum es sich dabei handelt.«
Madeline hielt seinem Blick stand. »Na schön … Aber ich bin in gutem Glauben hierhergekommen. Ich habe meine Bleibe in London aufgegeben, alles zurückgelassen, was ich hatte … Finden Sie nicht, dass ich zumindest eine Art Erklärung verdiene? Natalie hat von einer Anlage gesprochen, einer ziemlich gehobenen Anlage. Sie meinte, es wäre eine Reihe von luxuriösen Ferienunterkünften mit Freizeitangebot und Konferenzeinrichtungen für Geschäftsleute. Ich war der Meinung, es wäre alles fertig, und Sie bräuchten jetzt Unterstützung bei der Markteinführung und beim laufenden Marketing …«
Seth ließ ein verbittertes Lachen vernehmen.
»Aber wenn wir nun mal beiseitelassen, dass es auch Ihr Zuhause ist, müssen Sie zugeben, dass nichts von alldem auf diesen Ort zutrifft.«
Seth nippte erst an seinem Kaffee, dann trank er einen größeren Schluck davon und beobachtete Madeline dabei über den Rand des Bechers. »Es dürfte Sie interessieren, dass Natalie nur zweimal persönlich hier gewesen ist, und das war vor Jahren. Sie hält sich gern für ziemlich wichtig, und in der Regel lässt sie sich bestenfalls dazu herab, per E-Mail mit mir zu kommunizieren.« Er verstummte, um einen weiteren Schluck zu trinken. »Es mag zwar zynisch klingen, aber ich vermute, die ganze Sache mit dem Bewerbungsverfahren hat dazu gedient, Ihnen den Eindruck zu vermitteln, Joy’s Acre wäre … gehobener, als es offensichtlich ist.«
»Aber warum? Was könnte sie sich davon erhoffen?«
Seth legte den Kopf schief. »Tja, lassen Sie es mich so ausdrücken: Wenn Sie den Ort hier zuerst gesehen oder zumindest eine ungeschönte Beschreibung davon erhalten hätten, wären Sie dann auch so scharf drauf gewesen, alles aufzugeben und herzukommen?«
Kurz ließ er ihr Mienenspiel auf sich wirken.
»Genau, hätte ich auch nicht gedacht. Man hat Ihnen von Joy’s Acre die Vision vermittelt, die sowohl Natalie als auch Agatha dafür haben. Bedauerlicherweise deckt sie sich nicht damit, wie ich die Dinge sehe. Das Unterfangen hier wirderfolgreich sein, und auch einzigartig – aber nicht zu ihren Bedingungen. Ich bin mir also nicht wirklich sicher, wo wir somit stehen.« Er fingerte am Rand eines Umschlags, der auf dem Tisch lag.
Madeline kratzte eine Weile an einem Fleck auf ihrem Kleid, als ihr schließlich dämmerte, wie sehr man sie getäuscht hatte. Den Zweck dahinter durchschaute sie immer noch nicht, doch es war Tatsache, dass man von ihr verlangte, das Schweinchen in der Mitte bei einem lächerlichen Spiel zu mimen, bei dem jemand seinen Standpunkt beweisen wollte. Bei dem Gedanken beschleunigte sich ihre Atmung ein wenig. Nicht schon wieder.
Sie betrachtete Seths müdes Gesicht. In dieser Unterhaltung steckte noch wesentlich mehr, über das weder er noch sie bereit waren zu diskutieren. Unter dem Strich jedoch blieb, dass Madeline nun hier war, ihre Wohnung in London vermietet hatte und daher nirgendwohin konnte. Und selbst wenn sie alles rückgängig machen könnte, empfand sie London nicht mehr als so einladend, wie es einmal gewesen war. Nein, sie würde nicht zurückkehren, jedenfalls nicht, bis sie es erhobenen Hauptes tun könnte.
Madeline ging in Gedanken ihre Möglichkeiten durch. Es mochten unerwartete und unerwünschte Umstände sein, aber zumindest hatte sie vorläufig einen Platz zum Wohnen. Außerdem hatte sie ein Gehalt, und ob ihr Job jetzt das war, was man ihr versprochen hatte, oder nicht, Arbeit gab es auf jeden Fall reichlich.
Sie hätte ahnen müssen, dass es nicht der Rettungsanker sein würde, nach dem sie sich so verzweifelt gesehnt hatte. Die letzten Monate waren hart gewesen, und dieser erste Schritt zu einem Leben der Art, wie sie es früher gehabt hatte, war ihr mehr oder weniger in den Schoß gefallen. Sie hatte es als Wink des Schicksals betrachtet – wie hatte sie damit so falschliegen können?
Es war beinah zu viel, um es zu ertragen. Madeline spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte, und sie kämpfte gegen den Drang an zu weinen. Sie musste bewusst darauf achten, langsam und flach zu atmen. Kontrolliert. Ihre Finger pressten gegen den Becher. Was immer auch geschah, sie durfte nicht vor Selbstmitleid kapitulieren – diese Vereinbarung hatte sie mit sich getroffen.
Also hob sie das Kinn, räusperte sich und kratzte die letzten Reste ihres Selbstvertrauens zusammen.
»Ich sollte wohl ein paar Anrufe tätigen«, sagte sie. »Kann ich irgendwo ungestört sein? Vielleicht in meiner Unterkunft, da ich ja jetzt schon einmal hier bin.«
Seth schaute ziemlich verkniffen drein, und da fiel bei ihr der Groschen.
»Ich bleibe hier, nicht wahr?« Sie seufzte. »Hier im Haus, richtig? Hätte ich mir denken können.«
Langsam erhob sich Seth, streckte die Hand aus und wackelte mit den Fingern.
»Autoschlüssel?«, sagte er. »Ich gehe Ihr Gepäck holen. Und es ist nicht alles schlecht«, fügte er hinzu. »Sie haben wenigstens Ihr eigenes Zimmer.«
* * *
Der Fairness halber musste Madeline zugeben, dass sich das Zimmer als bezaubernd erwies – groß, geräumig und überraschend ansprechend eingerichtet. Vor dem Fenster wogten riesige Voile-Vorhänge in einer sanften Brise, die aus dem Garten hereinwehte.
Und dennoch: Nach einer Viertelstunde saß Madeline zusammengesackt auf dem Bett und rührte sich nicht. Ihre Fingernägel bohrten sich fest in die Handflächen, doch nicht einmal das konnte den drohenden Ausbruch bitterer Tränen abwenden. Sie blinzelte heftig und versuchte, ihre Atmung zu verlangsamen, bevor eine vollwertige Panikattacke folgen konnte. Madeline hielt sich vor Augen, dass sie dafür zu stark war. Daran musste sie glauben.
Seth hatte ihr Gepäck mühelos die Treppe heraufgetragen und ihr gezeigt, wo sich sein Zimmer, das Bad und noch einige andere Räume befanden. Danach war er gegangen, damit sie sich in Ruhe einrichten konnte. Das Festnetztelefon würde sie im Wohnzimmer finden, falls sie es brauchte, hatte er noch hinzugefügt. Ihr Handy lag neben ihr auf dem Bett. Es hatte keinen Empfang und war somit völlig nutzlos.
Madeline überlegte, was ihr Ansprechpartner bei der Personalvermittlungsagentur überhaupt ausrichten könnte. Immerhin war keine Straftat begangen worden – eine eklatante Übertreibung vielleicht, aber nichts, worauf man eine Klage wegen Vertragsbruchs begründen könnte. Und sie war mit Sicherheit nicht der erste Mensch auf der Welt, der feststellte, dass sein neuer Job nicht ganz seinen Vorstellungen entsprach.
Aus Madelines Sicht gab es nur zwei Möglichkeiten: Sie konnte entweder gehen oder bleiben. So einfach war das. In diesem Augenblick hatte sie ein Einkommen und ein Dach über dem Kopf. Beides brauchte sie dringend.
Erschöpft rappelte sie sich auf und öffnete den Reißverschluss einer ihrer Reisetaschen. Sie konnte ruhig auspacken. In einer Ecke des Zimmers stand ein Eichenholzschrank. Madeline schüttelte ihre Kleider und Anzüge nacheinander aus und schob die Lavendelsäckchen im Schrank beiseite, um ihn mit ihrer Garderobe zu füllen.
Danach brachte sie ihre Toilettenartikel ins angrenzende Badezimmer. Ganze zehn Minuten waren auf diese Weise vergangen, und sonst gab es nichts zu tun. Offiziell würde sie erst am nächsten Morgen zum Dienst antreten, wenngleich sie bezweifelte, dass sie eine förmliche Einführung in ihre neue Tätigkeit erhalten würde. Sie hatte keine Ahnung, was von ihr verlangt wurde oder ob ihr überhaupt gestattet sein würde, irgendetwas zu tun. Aber wenn sie sich nicht den ganzen Tag in ihrem Zimmer verkriechen und in ein Kissen weinen wollte, konnte sie genauso gut losgehen und sich mal umsehen. Sie ergriff ihre Tasche, verstaute einen Notizblock und einen Stift darin, zog die Tür auf und trat den Weg nach unten an.
Madeline folgte derselben Route wie zuvor. Sie ging durch den Garten und begutachtete die Szenerie. Dabei versuchte sie, nicht auf die Verwahrlosung zu achten und sich stattdessen einen Gesamteindruck von dem Ort zu verschaffen. Abgesehen von den Gärten selbst, die ordentlich und gepflegt aussahen, wirkte die gesamte Anlage ziemlich erbärmlich. Und trotzdem … Madeline drehte den Kopf von links nach rechts und versuchte, sich zu orientieren. Wenn sie sich nicht irrte, sollte die Lage in der Nähe der Hügelkuppe sein.
Sie bewegte sich in die Richtung der ersten Hütte, blieb davor stehen und betrachtete das Äußere mit kritischem Blick. Madeline bemühte sich um Unvoreingenommenheit. Ihrem Geschmack entsprach es dennoch nicht. Dem kam ihre ultramoderne Dachgeschosswohnung in London wesentlich näher. Allerdings konnte sie sehr wohl nachvollziehen, dass man diesen Ort hier als reizvoll empfinden könnte – das hieß, nach einer umfangreichen Renovierung.
Sie folgte einem Weg zu ihrer Rechten, der hinten um die Hütte herumführte. Es verschlug ihr beinah den Atem, als sie erkannte, dass er nicht bloß zur anderen Seite des Häuschens verlief, sondern sich verbreiterte und bei einem großen Holztor im Begrenzungszaun mündete. Der Blick darauf war durch den Winkel der Hütte versteckt gewesen. Vielleicht hatte sie doch noch nicht das volle Ausmaß von Joy’s Acre gesehen. Ihr professionelles Interesse regte sich.
Hier fühlte man sich wie in einer völlig anderen Welt. Während das Haupthaus, dem man sich von der Straße über diese winzige Zufahrt näherte, geradezu abgekapselt wirkte, präsentierte sich die Aussicht hinter dem Tor als weitläufiges Panorama von Feldern und Bäumen, ein Flickenwerk bunter Farben und Texturen, das vor allem Madelines von der Stadt abgestumpften Augen wie ein kleines Wunder vorkam. Den Großteil ihres Lebens hatte sie umgeben von Gebäuden, geschäftigem Treiben, Straßen und Lärm verbracht, und Madeline wäre nie in den Sinn gekommen, dass es eine Alternative dazu geben könnte. Wie es wohl wäre, jeden Morgen so aufzuwachen … Und sei es nur für einen Urlaub.
Während sie hinsah, brach die Sonne hinter einer Wolkengruppe hervor und erhellte die Felder. Licht und Schatten wechselten sich ab, als der Wind die Wolken erneut vor die Sonne schob. Eine Minute lang verharrte sie, bevor sie sich umdrehte und den jämmerlichen Zustand der Gebäude hinter ihr betrachtete. Joy’s Acre mochte insgesamt ein idyllisches Schmuckstück sein, aber die Anlage war weit davon entfernt, vorzeigbar zu sein.
Gedankenverloren starrte sie noch eine Weile hin, dann setzte sie sich in Bewegung und ließ sich auf einer Bank nieder, die ihr in der Mitte des Gartens aufgefallen war. Auch die Bank hatte schon bessere Tage erlebt, und Madeline senkte sich behutsam auf den Rand der Holzlatten. Angewidert fiel ihr Blick auf den Vogelkot, der eine Hälfte davon bedeckte. Ihr Kleid war bereits fleckig vom Speichel der Hunde und anderem Dreck. Eine schöne Aussicht war eine Sache, doch bisher hatte sich ihre Anwesenheit auf dem Land nur als schmutzige Unannehmlichkeit erwiesen.
In Gedanken spulte sie noch einmal die Einzelheiten ihrer Ankunft in Joy’s Acre ab und versuchte, die Umgebung aus der Sicht eines möglichen Gastes zu sehen. Für sie war offensichtlich, wo der Hund begraben lag, und als sie ihren Notizblock aus der Tasche hervorkramte, fühlte sie sich etwas entschlossener. Damit kannte sie sich aus, darin war sie gut. Im Nu hatte sie eine Seite gefüllt.
Sie verlor sich dermaßen in ihren Gedanken, dass es eine Weile dauerte, bis sie bemerkte, dass sich ihr eine riesige rotbraune Katze genähert hatte und sich nun um ihre Beine schmiegte, sich an ihren Fußgelenken rieb und dabei wohlig schnurrte. Es schien sich um einen Kater zu handeln. Madeline fasste mit einer Hand nach unten, um ihn wegzuschieben, und zog die Beine unter die Bank. Der Kater zeigte sich unbeirrt, wechselte lediglich die Position und rieb stattdessen den Kopf an Madelines Knie, streckte den Hals und sabberte ein wenig, als er ihr das Maul entgegenschob. Verärgert stand Madeline auf. Was war das bloß mit den Tieren hier und ihrem ständigen Verlangen, Körperflüssigkeiten zu verteilen?
Sie betrachtete diese Begegnung als Wink dafür, sich den anderen drei Hütten auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens zuzuwenden, wo sie zusammen einen Halbkreis bildeten. Eine Reihe von Wegen verband sie miteinander und mit dem Hauptbereich des Gartens davor. Eine lange, niedrige Scheune und mehrere kleine Schuppen ergänzten die Anordnung.
Am interessantesten fand Madeline die Scheune. Sie brauchte eine Besonderheit, etwas Aufsehenerregendes, das die Flächennutzung einte und einen Blickfang bildete, der alles zusammenführte. Im Moment bot die Scheune einen verwahrlosten Anblick, aber wenn man die Holzfassade durch Glas ersetzte, könnte man daran einen überdachten Fußweg anbauen, der vor den einzelnen Hütten entlangführte. Die Kombination von Alt und Neu könnte umwerfend aussehen. Sie blätterte in ihrem Notizblock um und skizzierte schnell einen Entwurf. Der Garten würde umgestaltet werden müssen. Derzeit war er entschieden zu kitschig, strotzte vor Blumen und Gemüse. Er musste elegant und plastisch werden, nicht süß und überbordend.
Von Seth fehlte jede Spur. Madeline vermutete, dass er sich absichtlich rargemacht hatte. Aber der Auftrag, den sie von ihrer Arbeitgeberin erhalten hatte, schien recht klar zu sein. Joy’s Acre sollte ein Urlaubs- und Freizeitziel der Luxusklasse werden, und auch, wenn es das noch nicht war, sprach nichts dagegen, es dazu zu machen. Dafür bedurfte es nur Vorstellungskraft und Geld, und von Letzterem hatte man ihr so viel zugesagt, wie sie brauchte. Da Seth nicht greifbar war, blieb Madeline keine andere Wahl, als allein weiterzumachen. Entschlossen ging sie den Weg entlang zur ersten Hütte und rüttelte am Türgriff.
Die Tür knarrte zwar, schwang aber auf, und wieder gab Madeline einen missbilligenden Laut von sich. Sie fand es geradezu unverantwortlich, das Häuschen nicht abzusperren – jeder konnte hinein. Leider erwies sich das Innere als so, wie sie es vorhergesehen hatte: deprimierend. Es fehlte sogar an den grundlegendsten Einrichtungen.
Aus einer Eingebung heraus holte sie ihr Handy aus der Handtasche und überprüfte das Display. Auch mit dieser Vermutung lag sie richtig – kaum ein Mobilfunksignal, und kein WLAN, mit dem man sich verbinden konnte. Eine Weile blieb sie noch stehen und sortierte ihre Gedanken, bevor sie zum Haupthaus zurückkehrte. Ihr stand eine Menge Arbeit bevor.
* * *
Es ging auf sieben Uhr zu, als sie das nächste Mal einen Blick auf ihre Armbanduhr warf, und immer noch keine Spur von Seth. Die letzten drei Stunden hatte sie am Küchentisch verbracht und stetig auf ihrem Laptop getippt. Mittlerweile hatte sie ihren Erstbericht praktisch fertig, und allmählich beklagte sich ihr Magen, der bisher an diesem Tag nur mit einem äußerst unbefriedigenden Sandwich von einer Raststation abgespeist worden war.
Madeline stand auf, streckte den Nacken und den Rücken, dann füllte sie am Wasserhahn ein Glas. Bisher war kein Wort darüber gefallen, wie das häusliche Arrangement in Joy’s Acre aussah, doch es wäre sinnvoll, wenn Seth und sie ihre Mahlzeiten zusammen einnähmen, so abschreckend der Gedanke auch sein mochte. Madeline wollte sich bei der erstbesten Gelegenheit danach erkundigen, denn es wäre hilfreich zu wissen, was von ihr erwartet wurde.
Verstohlen spähte sie über die Schulter, bevor sie vor lauter Hunger einen flüchtigen Blick in den Kühlschrank warf. Sie hoffte, etwas zu finden, wofür ihre spärlichen Kochkenntnisse ausreichen würden. Bis vor Kurzem hatte sie sich überwiegend von Salaten oder gekauftem Essen von den noblen Feinkostläden in der Nähe ihres Arbeitsplatzes und ihrer Wohnung ernährt. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es hier völlig anders ablaufen würde.