Rückkehr zum kleinen Cottage auf dem Hügel - Emma Davies - E-Book

Rückkehr zum kleinen Cottage auf dem Hügel E-Book

Emma Davies

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Beschreibung

Die Kunstschmiedin Megan kehrt in ihr Heimatdorf zurück, um an einem Handwerkswettbewerb teilzunehmen. Als Gewinn winkt ein Job, der ihre Zukunft im Dorf für immer sichern könnte. Und ihre Beziehung zu Liam, die aufgrund der Distanz zuletzt sehr gelitten hat. Doch dann taucht ein konkurrierender Entwurf auf, der mit Megans Zeichnungen fast identisch ist. Megan ist am Boden zerstört. Jemand muss ihre Entwürfe gestohlen und weitergegeben haben. Aber wer? Etwa die gleiche Person, die auch böswillige Gerüchte über Liam verbreitet? Megan legt trotz allem ihr ganzes Herzblut in ihr Finalstück. Aber ist der Sieg überhaupt noch wichtig, wenn die Wahrheit über Liam ans Licht kommt?

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Seitenzahl: 450

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Zitat

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Ein paar Zeilen von Emma

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Die Kunstschmiedin Megan kehrt nach ihrer Ausbildung in ihr Heimatdorf zurück, um an einem Handwerkswettbewerb teilzunehmen. Als Gewinn winkt ein Job, der ihre Zukunft im Dorf für immer sichern könnte. Und ihre Beziehung zu Liam, die aufgrund der Distanz zuletzt sehr gelitten hat. Doch dann taucht ein konkurrierender Entwurf auf, der mit Megans Zeichnungen fast identisch ist. Megan ist am Boden zerstört. Jemand muss ihre Entwürfe gestohlen und weitergegeben haben. Aber wer? Etwa die gleiche Person, die auch böswillige Gerüchte über Liam verbreitet? Megan legt trotz allem ihr ganzes Herzblut in ihr Finalstück. Aber ist der Sieg überhaupt noch wichtig, wenn die Wahrheit über Liam ans Licht kommt?

Anam Cara – aus dem Keltischen, »Seelenfreund«

Emma Davies

Rückkehr zum kleinen Cottage auf dem Hügel

Aus dem Englischen von Michael Krug

Kapitel 1

Clara ließ einen letzten Blick durch das Zimmer wandern. Mit einem zufriedenen Nicken sammelte sie den Staubwedel und die Dose mit Politur vom Couchtisch ein. Das Gardener's Cottage war sauber, einladend und, am wichtigsten, bereit für seine neue Buchung. Ihr erster Gast – Isobel – war sechs Wochen bei ihnen geblieben und erst vor zwei Tagen abgereist. Clara vermisste sie und ihre Musik schon jetzt. Sie hatte sich daran gewöhnt, die süßen Geigenklänge durch die warme Abendluft schweben zu hören. Isobel war den gesamten Sommer über bei ihnen gewesen. Am Ende hatte sie gar nicht mehr wie ein Gast gewirkt, sondern wie ein Teil des Teams von Joy's Acre.

Mittlerweile hatte Tom das Dach des zuletzt renovierten Cottage gedeckt. Es war bezugsfertig, und morgen würde eine Familie für einen zweiwöchigen Aufenthalt anreisen. Clara schaute aus dem Fenster zum strahlend blauen Himmel und fragte sich, welche Geschichten ihre neuen Gäste mitbringen würden.

Es war zwar noch Vormittag, aber es war schon recht warm, als sie nach draußen in den großen Garten ging, der die Cottages umgab. Der Sonnenschein hatte die beißende Kälte der Herbstluft abgemildert, die sie an diesem Morgen beim Aufwachen gespürt hatte, aber am Abend würde es wieder kühl werden. Clara liebte diese Tage. Überhaupt freute sie sich immer auf die Gegebenheiten und Abläufe, die mit jeder neuen Jahreszeit im Garten Einzug hielten. In dem außerordentlich heißen Sommer war es ein Kampf gewesen, alles ausreichend zu bewässern, damit es wuchs und gedieh. Aber als sie sich nun umsah, empfand sie die Blütenpracht in allen Farben des Regenbogens und das üppig sprießende Gemüse als befriedigenden Lohn für ihre Anstrengungen.

Clara schlenderte den Pfad hinunter und ging in Gedanken die zahlreichen Aufgaben durch, die sie heute zu erledigen hatte. Sie würde sich nacheinander darum kümmern, aber zuerst musste sie sich bei Maddie vergewissern, dass für morgen alles vorbereitet war. Es versprach, ein ereignisreicher Tag zu werden ...

Vor etwa einem Monat hatte große Aufregung geherrscht, als ein Dokumentarfilmer namens Adam Brooks auf der Suche nach einem Drehort für eine neue Serie über ländliche Betriebe nach Joy's Acre gekommen war. Damals hatte, so sagte er, auf Anhieb gewusst, dass er den richtigen Ort gefunden hatte. Sein Team hatte mehrere Tage lang Material aufgenommen, das im nächsten Jahr ausgestrahlt werden sollte. Gestern jedoch hatte sich Adam erneut gemeldet. Er würde noch mal herkommen, diesmal mit einem neuen Vorschlag und jemandem, den er ihnen vorstellen wolle. Obwohl sie keine Ahnung hatten, was sie erwartete, galt es, für den Besuch allerlei Vorbereitungen zu treffen.

Die Tür zum Thatcher's Cottage –dem Strohdachdecker-Haus – stand weit offen. Clara hörte das Dröhnen eines Staubsaugers herausdringen. Sie ging durch die Küche ins Wohnzimmer, wo Maddie den bunten Teppich, der den Großteil des Bodens bedeckte, gründlich bearbeitete. Clara wusste, dass Maddie sie nicht hören konnte. Lächelnd pirschte sie sich von hinten an sie heran und tippte ihr heimtückisch auf die Schulter.

Maddie zuckte vor Schreck heftig zusammen, bevor sie herumwirbelte. Gleich darauf breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus, als sie Clara erkannte.

»Du bist so was von fies!«, rief sie und schaltete den Staubsauger aus. »Ich hätte fast einen Herzinfarkt gekriegt – ehrlich, ich sollte dich feuern lassen!«

Clara strich sich ungerührt die lange blonde Mähne hinter die Ohren, grinste zurück und streckte Maddie die Zunge heraus.

»Wir wissen doch beide, dass Seth darüber nur lachen würde. Er würde eher bedauern, dass er nicht da war, um dein Gesicht zu sehen.«

Maddie verdrehte die Augen. »Du kennst ihn zu gut«, meinte sie.

Und das stimmte. Clara und Seth waren seit Jahren befreundet, schon lange, bevor alle anderen nach Joy's Acre gekommen waren. Am Anfang hatte es nur sie beide gegeben. Seth hatte sich der Renovierung des verfallenen Farmhauses und der Cottages gewidmet, die er geerbt hatte, Clara wiederum hatte versucht, den verwilderten Garten auf Vordermann zu bringen. Sie waren auch vorangekommen, aber es hatte alles ziemlich lange gedauert. Erst Maddies Ankunft im Frühling hatte frischen Wind nicht nur in Seths Leben, sondern auch nach Joy's Acre gebracht. Mittlerweile sah die ehemalige Farm besser aus als je zuvor. Und obwohl zwei der Ferienhäuser noch renoviert wurden, erwirtschafteten die beiden anderen allmählich ein dringend benötigtes Einkommen.

»Also raus damit«, sagte Clara. »Was gibt's Neues? Weißt du schon, wann sie kommen?«

Maddie stand die Aufregung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Nein. Ich schaue alle zwei Minuten aufs Handy, aber bisher hab ich noch nichts von Adam gehört.«

»Er muss doch irgendwas gesagt haben.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er war sehr zurückhaltend und wollte mit nichts rausrücken. Außer damit, dass er jemanden namens Declan mitbringt, der uns angeblich alle begeistern wird ...«

Clara schmollte. »Also, das finde ich echt gemein. Passiert ja nicht jeden Tag, dass man Besuch von einem angesagten Fernsehproduzenten kriegt. Du könntest mir wenigstens sagen, wann sie kommen, damit ich Lippenstift auftragen kann ...«

Maddie grinste. Sie wussten beide, wie unwahrscheinlich es war, dass Clara überhaupt einen Lippenstift besaß.

»Tja, ich wette, sie tauchen bestimmt genau im falschen Moment auf«, fügte Clara hinzu. »Aber dagegen können wir wohl nichts machen. Jedenfalls hat Trixie vorhin im Haupthaus wie besessen gekocht, das Gardener's Cottage ist für später bereit, und hier sieht's auch wunderschön aus. Was gibt's also noch zu tun?«

»Tee trinken?«, schlug Maddie vor und sah sich um. »Komm, gehen wir zu Trixie. Ich finde, wir haben uns eine Pause verdient. Und beim Tee können wir eine Liste mit den letzten kleinen Aufgaben machen.« Sie zog das Kabel des Staubsaugers aus der Steckdose an der Wand und wickelte es auf. »Sieht gut aus, oder?«, fügte sie hinzu und richtete sich auf. »Ich bin echt zufrieden.«

»Ich finde, es ist perfekt«, pflichtete Clara ihr nickend bei. »Und der Feinschliff ist inspirierend.«

Alle Cottages auf Joy's Acre wurden in authentischem viktorianischem Stil eingerichtet, aber ein paar Gegenstände, die für ein bestimmtes traditionelles Handwerk typisch waren, verliehen jedem Cottage zusätzlich ein individuelles Flair und gaben ihm seinen Namen. Im Augenblick standen sie im eben erst fertiggestellten Thatcher's Cottage. An der größten, geweißelten Wand vor ihnen hingen eine riesige Garbe aus Salzteig und eine Strohpuppe, beides Abschiedsgeschenke von Isobel, ihrem ersten zahlenden Gast. Weitere Strohfiguren und traditionelles Holzwerkzeug für Strohdächer schmückten den Rest des Ferienhauses. Clara fand, dass es ein einladendes, heimeliges Gefühl vermittelte, ohne dabei bemüht zu wirken. Demnächst würde das Cottage von seinen ersten neuen Gästen – einer jungen Familie – bezogen werden, also würden sie schon bald erfahren, ob sie alles richtig gemacht hatten.

Maddie verstaute den Staubsauger im Schrank unter der Treppe und ließ den Blick ein letztes Mal durch den Raum wandern, bevor sie sich Clara zuwandte.

»Also gut, gehen wir. Mit ein bisschen Glück hat Trixie etwas Schokoladiges gezaubert, das wir zum Tee verputzen können.«

Clara stöhnte. Sie wusste, dass sie Trixies Backkünsten nicht würde widerstehen können, obwohl sie sich später im Garten besonders ins Zeug legen müsste, um die kleine Sünde abzuarbeiten.

Draußen winkte sie Maddie weiter. »Ich komme gleich nach«, sagte sie. »Ich gehe nur eben nachsehen, ob Tom schon eine Pause braucht.«

Er schuftete seit acht Uhr an diesem Morgen. Bestimmt könnte auch er inzwischen dringend ein Tässchen Tee vertragen. Clara schirmte die Augen gegen die Sonne ab und spähte hinauf zum Dach des nächsten Ferienhauses, wo sich Tom im Gegenlicht abzeichnete, das sein hellblondes Haar wie einen Heiligenschein zum Schimmern brachte.

»He!«, rief sie. »Kannst du einen Moment davon absehen, dass du ein außergewöhnlicher Strohdachdeckermeister bist und für ein Tässchen Tee runterkommen?«

Ein attraktives Gesicht grinste sie an. »Clara, meine Liebe«, erwiderte er in gespielt theatralischem Ton. »Natürlich bin ich ein begnadeter Strohdachdecker, und zwar immer. Aber natürlich kann ich mir eine Auszeit von meinem neuesten Meisterwerk nehmen, um ein heißes Getränk zu genießen. Einen Moment ...«

Er steckte das gefährlich aussehende Werkzeug, das er in der Hand hielt, in den neu gedeckten Bereich neben ihm, um es zu verankern. Dann fasste er hinter seine Oberschenkel, um die Lederpolster zu lösen, die seine Knie während der Arbeit schützten. Schließlich rutschte er an der Leiter herunter und stand in Sekundenschnelle neben Clara auf dem Boden.

»Ich dachte schon, du würdest nie fragen. Mein Mund ist wie ausgetrocknet«

Clara lächelte herzlich, als sie sich bei Tom einhängte.

»Ein guter Morgen?«, erkundigte sie sich.

»Ja«, antwortete er. »Obwohl dieses Dach aus mir unerklärlichen Gründen in einem wesentlich schlechteren Zustand ist als die anderen beiden. Es muss viel mehr von den oberen Schichten abgetragen werden. Ich fürchte, deshalb wird's ein bisschen länger dauern.« Er rümpfte die Nase und sah sie an. »Aber sag nichts zu Maddie. Noch nicht. Ich hoffe, genug Zeit aufzuholen, dass sie nichts merkt.«

Sie konnten das Cottage erst vermieten, wenn Tom mit dem Dach fertig wäre, darum stand er immer unter Druck, die ihm gesetzten Fristen einzuhalten. Solange das Wetter schön blieb, war das kein Problem, aber länger anhaltende Regenfälle konnten alles verheerend durcheinanderbringen ...

»Mach ich nicht«, versprach sie. »Abgesehen davon könnte Maddie bald mit den Gedanken ganz woanders sein, je nachdem, was morgen passiert. Mach dir keine Sorgen.«

Den Rest des Wegs zum Haupthaus legten sie schweigend zurück. Kaum waren sie um die Ecke auf den Hof eingebogen, wehte ihnen ein himmlischer Duft entgegen.

»Wenn's das zum zweiten Frühstück gibt, freu ich mich riesig ...«

Clara grinste. »Wenn's das zum zweiten Frühstück gibt, fürchte ich um meine Taille ...« Sie warf Tom einen Seitenblick zu. »Und wie geht's Isobel?« Sie legte den Hauch einer Andeutung in den Satz.

»Gut, danke.« Tom ging weiter, löste sich von ihr, als sie die Tür erreichten, und ließ Clara höflich den Vortritt.

Die Tür war nicht verschlossen. Sie streckte die Hand nach dem Knauf aus, als wollte sie ihn drehen, hielt jedoch im letzten Moment inne.

»Wenn du echt glaubst, ›gut, danke‹ wäre eine angemessene Antwort, kannst du noch lange auf deinen Kuchen warten ...« Clara verdrehte die Augen. »Du kommst an mir nicht eher vorbei, als bis du auspackst. Also los, raus damit.«

Belustigung blitzte in Toms Augen auf. »Schon komisch«, meinte er. »Noch vor ein paar Wochen wolltest du mich jedes Mal zum Schweigen bringen, wenn ich mein Liebesleben auch nur angeschnitten habe. Und auf einmal willst du Einzelheiten? Was ist in dich gefahren?«

»Himmel, der Kuchen riecht wirklich wunderbar, oder? Ich frage mich, welcher es ist. Könnte Zitronenkuchen sein. Oder diese göttliche Kreation mit Schokolade, Kirschen und Mandeln von letzter Woche. Vielleicht sogar dein Lieblingskuchen – Biskuit ...«

Tom stöhnte. »Schon gut, schon gut, du hast gewonnen.« Er grinste. »Isobel ist offiziell das Beste, was mir je passiert ist, und ich bin glücklicher als ein Schwein in der Suhle.«

»Siehst du? War doch gar nicht so schwer, oder?«

»Außerdem ist sie wieder voll in Schwung und komponiert wie eine Besessene wunderbare Musik. Und man hat sie zu weiteren Auftritten mit dem Streichquartett eingeladen, bei dem sie vor ein paar Wochen bei der Hochzeit eingesprungen ist. Deshalb und weil mein Freund Ginger darauf besteht, dass sie auch weiterhin mit der Band spielt, ist sie überglücklich und mehr als zufrieden damit, den Dingen ihren Lauf zu lassen.«

»Wie schön zu hören.« Ein herzliches Lächeln erhellte Claras Züge. »Ich freu mich so für dich, Tom, ehrlich.«

Er errötete. »Ich weiß. Wer hätte gedacht, dass in so kurzer Zeit so viel passieren kann?«

»Vielleicht war es ja vorherbestimmt«, erwiderte sie und drehte schließlich den Knauf. »Und die Geschichte ist noch nicht zu Ende ...«

Der köstliche Duft nahm zu, als sie durch die Tür traten – unverkennbar das Aroma von Zimt.

»Oh mein Gott, sie macht Gebäck ...«

Und tatsächlich beträufelte Trixie gerade einen Stapel Zimtschnecken in der Mitte des großen Kiefernholztisches mit Zuckerguss. Sie sah auf und grinste, als die beiden hereinkamen.

»Guten Morgen!«

Trixie war fleißig gewesen. Neben den Reihen goldenen Gebäcks auf dem Tisch kühlten auch mehrere frisch gebackene Brotlaibe in einer ordentlichen Reihe ab.

»Maddie ruft gerade ihre E-Mails ab ... schon wieder. Aber der Kessel ist schon aufgesetzt. Dauert nur ein Minütchen.«

Sie beendete, was sie tat, drehte ihnen den Rücken zu und stellte die benutzte Schüssel neben dem Spülbecken ab.

»Denk nicht mal dran!«, sagte sie scharf, ohne sich umzudrehen. Tom erstarrte mit ausgestrecktem Arm, die Finger nur Zentimeter von einer der Köstlichkeiten entfernt.

Rasch zog er die Hand zurück und warf Clara einen verlegenen Blick zu. »Wie merkt sie so was?«, flüsterte er. Clara zuckte nur mit den Schultern.

»Ich hab Augen am Hinterkopf und einen ausgeprägten sechsten Sinn für Langfinger.« Trixie drehte sich um und zwinkerte Clara zu. »Außerdem eilt dir dein Ruf voraus.«

Sie goss heißes Wasser aus dem Kessel in die wartende Teekanne und stellte sie auf den Tisch neben mehrere Tassen und einen Tellerstapel.

»Kommt Seth auch?«, fragte Trixie.

Clara wollte gerade antworten, dass sie keine Ahnung hätte, als Maddie die Küche betrat und das Gesicht verzog.

»Noch nicht«, sagte sie. »Er ist bei einer gewissen Gutsbesitzerin namens Agatha ...«

»Oh. Autsch«, kommentierte Clara.

Trixie ergriff einen der vollen Teller und entfernte zwei der Zimtschnecken davon. »Dann heb ich ihm die lieber für später auf«, erklärte sie. »Wird er brauchen.«

Maddie schenkte ihr ein dankbares Lächeln. »Denke ich auch. Danke, Trixie. Seine Laune dürfte nicht die beste sein, wenn er zurückkommt. Wie wir alle wissen, hat Agatha in der Regel diese Wirkung auf ihn.«

»Hat es was mit der Schmiedin zu tun, die später vorbeikommt?«, fragte Clara. »Sie nimmt doch an dem Wettbewerb teil, oder?«

Maddie nickte. »Ja. Sie heißt Megan, und ich glaube, ja. Du und Tom, ihr wisst das wohl schon, aber der Wettbewerb findet alle drei Jahre statt und wird laut Seth immer von Agatha ausgerichtet. Wie ich sie kenne, wird sie dafür eine unvorstellbar lange Liste von Dingen erledigt haben wollen ...« Sie straffte die Schultern. »Aber egal, genug von Agatha. Nach der E-Mail, die ich gerade von Adam bekommen habe, will ich heute wirklich nicht an sie denken!«

Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Aufgeregt grinste sie Clara und die anderen an.

Trixie verteilte rasch die Teller und deutete auf die Zimtschnecken, damit alle wussten, dass sie zugreifen durften. »Dann mal raus mit der Sprache – wann kommt er?«

»Morgen Vormittag um zehn.« Maddie lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Eigentlich ein fürchterlich ungünstiger Zeitpunkt, weil sich für elf die Familie Carter angesagt hat. Aber das müssen wir eben irgendwie hinkriegen.« Bei den nächsten Worten beugte sie sich vor. »Anscheinend freut sich Declan sehr darauf, uns alle kennenzulernen, aber vor allem auf dich und Clara ...«

Trixie schnaubte. »Sicher nicht!«

»Tja, hat der Mann aber gesagt. Ich wiederhole es bloß.«

Clara schmunzelte. »Nur weiter, Maddie. Was hat Adam sonst noch gesagt?«

»Nur, dass er uns mehr darüber erzählen kann, wie weit sie mit der Dokumentation sind.« Sie verstummte kurz. »Mit dem Schneiden geht es gut voran. Obwohl sie vorläufig nichts haben, was sie uns zeigen können, wird's nicht mehr lange dauern. Er hat die Möglichkeit erwähnt, dass sie für ein paar Nachaufnahmen noch mal herkommen müssen, aber morgen dreht sich alles um diesen anderen Burschen, um Declan. Er will Beispiele dafür sehen, welche Köstlichkeiten Trixie beim Kochen aus den Erträgen des Gartens zaubern kann ... aber wir sollen uns keine Umstände machen.«

Clara sah erst Maddie an, dann Trixie, die den Blick bereits auf sie gerichtet hatte.

»Oh, mein Gott«, entfuhr es ihr. »Keine Umstände ... Bist du verrückt?«

Ein lautes Quietschen ertönte, als Stuhlbeine über den Boden schrammten. Trixie sprang auf und schnappte sich ein Notizbuch, das neben dem Wasserkessel lag.

»Verdammt, das geht nicht«, murmelte sie vor sich hin. »Eigentlich wollte ich morgen zu Mittag ja eine Quiche machen, weil ich mir dachte, nach der langen Anreise würde die Familie Carter nichts Schweres wollen. Aber das ist so einfallslos ...« Sie kaute auf der Unterlippe. »Clara, was im Garten gedeiht derzeit uneingeschränkt prächtig?«

Clara ging in Gedanken die Beete durch, an denen sie gearbeitet hatte. »Na ja, die ersten Rotkohlköpfe sehen fast perfekt aus. Wir haben auch wunderbare Kürbisse. Nein, warte.« Sie wedelte mit den Fingern vor Trixie. »Mangold. Den solltest du verwenden. Er sieht gerade so fein aus. Ich hab auch späte Himbeeren, falls dir was Süßes vorschwebt. Daraus lässt sich göttlicher Pudding zubereiten, nicht wahr?«

Trixie verengte nachdenklich die Augen zu Schlitzen, während Clara stöhnte. »Ich hab noch tausend Sachen zu erledigen. Wie um alles in der Welt soll bis morgen alles perfekt aussehen?«

Maddie legte Clara die Hand auf den Arm. »Wer sagt denn, dass es perfekt sein muss? Mach dich nicht fertig«, sagte sie und sah dabei auch Trixie an. »Ihr beide nicht. Wenn irgendwas Dringendes anliegt, können Tom und ich helfen. Oder, Tom? Und Seth kommt ja heute Nachmittag zurück. Für die Carters ist alles bereit, und Megan kommt erst zum Abendessen. Für sie fällt also nur eine Mahlzeit an, Trixie. Wir anderen sind mit allem zufrieden.« Sie griff nach der Teekanne und begann, für alle einzuschenken. »Entspannen wir uns einfach, trinken Tee und erstellen wir eine Liste.«

Clara wechselte einen wissenden Blick mit Tom. Maddies Listen galten als berüchtigt. Andererseits: Wo wären sie alle ohne sie?

Kapitel 2

Megan öffnete ein Auge und sah sich um. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie spät es war, aber leider schien der Morgen angebrochen zu sein. Langsam ließ sie den Kopf zurück auf das weiche Kissen sinken. Nach allem, woran sie sich im letzten Jahr gewöhnen musste, fühlte sich dieses Bett wie ein Stück vom Himmel an. Obwohl sie nach der anstrengenden Fahrt am Vortag auch in einem Pappkarton geschlafen hätte.

Sie tastete auf dem Nachttisch nach ihrer Armbanduhr, hielt sie nah vors Gesicht und konzentrierte sie auf das Zifferblatt. Erst sieben. Warum in aller Welt musste sie ausgerechnet an dem einen Morgen, an dem sie ausschlafen könnte, zur üblichen Zeit aufwachen? Sie legte die Uhr zurück und vergrub den Kopf entschlossen wieder im Kissen. Auf keinen Fall würde sie schon aufstehen.

Drei Minuten später warf sie seufzend die Decke von sich und tat es doch. Es brachte nichts mehr, sie war hellwach. Mit einem Gefühl zunehmender freudiger Erregung sah sie sich in dem luftigen Zimmer um. Es war stockdunkel gewesen, als sie in der vergangenen Nacht hier eingetroffen war. Und obwohl Seth, der Besitzer der Anlage, sie überaus freundlich empfangen hatte, konnte ihr der von Fackeln erhellte Marsch durch den Garten keinen Eindruck von der Umgebung vermitteln. Sogar ihr Schlafzimmer sah bei Tageslicht völlig anders aus.

Sie ging zum Fenster, schob die Vorhänge ein Stück zur Seite und linste durch den Spalt. Dann zog Megan sie mit einem Ruck weit auf, und ließ den Blick darüber schweifen, was dahinter lag. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass man aus diesem Cottage eine solche Aussicht hatte. Schier unglaublich. Sie war in Summersmeade aufgewachsen, dem Dorf, das sie in der Ferne sogar sehen konnte. Aber die Straße hinauf zur Farm war so dicht von Bäumen gesäumt, dass man nicht mitbekam, wie weitläufig Joy's Acre war. Natürlich hatte sie von der Farm gewusst. Jeder aus der Umgebung kannte sie. Und wenn die Bäume im Winter kahl waren, konnte man das Haupthaus von der Dorfstraße aus erkennen. Doch sie hatte noch nie das Tal aus dieser atemberaubenden Perspektive gesehen.

In der Begrenzungsmauer hinter dem Cottage entdeckte Megan ein Tor, das direkt zu den Feldern hinunterführte. Das genügte ihr als Einladung. Sie wandte sich vom Fenster ab und hob ihre Reisetasche auf, die sie in der vergangenen Nacht achtlos auf den Boden geworfen hatte. Den Rest ihrer Sachen würde sie nachher aus dem Auto holen. Vorerst enthielt diese Tasche alles, was sie brauchte. Sie hievte sie aufs Bett, kramte darin herum und holte ein T-Shirt, Leggings und ein Paar Laufschuhe heraus. Wenige Minuten später war sie bereit. Nach einem schnellen halbstündigen Lauf über die Felder würde sie zurückkommen und sich ausgiebig umsehen. Rasch band sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und lief die Treppe hinunter, zur Tür hinaus und in den Morgen hinein.

Als sie das Tor hinter sich ließ, wurde ihr klar, dass sie bisher gar keine Gelegenheit gehabt hatte, wegen des Wettbewerbs nervös zu werden. Noch nicht mal wegen des Wiedersehens mit Liam. Die mühsame Anreise am Vortag hatte kaum Platz für etwas anderes in ihrem Kopf gelassen. Nun jedoch, als sie sich einen Weg vorbei an den Brombeersträuchern am Rand des Feldes bahnte, regte sich erste Anspannung wegen des bevorstehenden Tages in ihr. Allerdings brachte nicht nur Nervosität ihren Magen zum Brodeln, sondern auch Vorfreude. Immerhin hatte sie lange auf diesen Moment gewartet. Megan atmete tief durch und versuchte, die Gedanken aus dem Kopf zu vertreiben, als sie in Laufschritt verfiel. Der Morgen war zu wunderschön, um ihn davon trüben zu lassen, was kommen mochte. Vorerst wollte sie einfach den Augenblick genießen.

Obwohl nach wie vor Kälte in der Luft lag, versprach das Blau des Himmels einen herrlichen Tag. Und auch wenn es noch eine Weile dauern würde, bis sich die Landschaft in voller Herbstpracht zeigte, präsentierten sich die Felder bereits golden von der wochenlangen Sommersonne. Die Blätter in der Umgebung begannen gerade erst, sich zu den leuchtenden Farben der Jahreszeit zu verfärben. Megan verlängerte die Schritte. Sie spürte, wie Energie durch ihre Beine knisterte, als sie ihren Rhythmus fand.

Ihren Fehler bemerkte sie erst, als sie um die hintere Ecke des Feldes bog. Sie war instinktiv den Hang hinunter losgerannt. Doch während sie unten auf ebener Fläche lief, wurde ihr klar, dass die letzte Etappe durchgehend bergauf führen würde. Es lag eine Weile zurück, dass sie zuletzt in den Hügeln der Umgebung gelaufen war. Sie war ziemlich aus der Übung. Dafür erschloss sich ihr eine perfekte Aussicht auf das Cottage, das sie für die nächsten Wochen ihr Zuhause nennen würde, ebenso auf die anderen Ferienhäuser, die sie bisher nur kurz zwischen den Bäumen erspäht hatte. Ihr blieb der gesamte Vormittag, bevor sie in der Schmiede sein müsste. Reichlich Zeit zum Erkunden der Umgebung.

Megan zapfte ihre Kraftreserven an, wendete und trat den Rückweg an. Die Beine beförderten sie den Hang hinauf, der sich als erheblich steiler entpuppte, als er aussah. Nach etwa drei Vierteln des Weges wurde das Brennen in den Beinen entschieden unangenehm. Megan hätte den Rest einfach langsamer laufen oder sogar gehen können, doch obwohl sie schwer atmete, wollte sie nicht aufgeben. Sie saugte sich Luft in die Lunge und beschleunigte wieder. Es war ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen, sich alles abzuverlangen, und sie setzte Vertrauen in ihren Körper. Man konnte nur herausfinden, wozu man fähig war, indem man es versuchte.

Erschöpft, aber überschwänglich erreichte sie wieder ihren Ausgangspunkt auf der Kuppe des Hügels. Sie schnaufte zwar heftig, spürte aber bereits, wie der Sauerstoff in die Muskeln ihrer Beine zurückfloss, nachdem sie angehalten hatte. Sie verweilte kurz und ließ einen letzten Blick über die Aussicht wandern, bevor sie sich umdrehte und zurück durch das Tor ging. Allerdings visierte sie nicht das Cottage an, sondern marschierte weiter in die Gärten, die sie zuvor gesehen hatte. Dort steuerte sie auf eine Bank auf einem gepflegten Rasen zu. Sie ließ sich darauf plumpsen, stützte die Ellbogen auf die Knie und hielt die Hände locker vor sich gefaltet. Mit geschlossenen Augen ließ sie den Kopf hängen und wartete geduldig, dass sich ihr Puls verlangsamte. Schweiß sammelte sich auf ihrer Nasenspitze. Sie pustete den Tropfen weg.

»Guten Morgen ...«

Erschrocken schaute Megan auf.

»Tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken.«

Eine schlanke Frau stand neben ihr, ein freundliches Gesicht lächelte sie an. »Ein wunderschöner Morgen, nicht wahr? Wo sind Sie gewesen? Bei den Feldern?«

Megan wischte sich Schweiß aus dem Gesicht und nickte. »Ich bin erst runter zu den Feldern gerannt, dann wieder hoch – und das war das Problem.« Kurz verstummte sie. »Tut mir leid, ich komme gleich wieder zu Atem.«

»Wenigstens können Sie noch atmen. Mich müsste man nach so einem Lauf an Sauerstoff anschließen. Ich bin übrigens Clara.«

»Megan.« Sie nickte. »Sind Sie auch Gast hier?«

Die Frau lächelte. »Nein, ich arbeite hier. Ich bin die Gärtnerin.« Zum Beweis streckte sie ein in einem Gummistiefel steckendes Bein vor. »Ich versuche, ein bisschen vorzuarbeiten. Wir haben einen ziemlich ausgefüllten Tag vor uns.«

Megan richtete sich weiter auf. Mittlerweile hatte sich ihre Atmung beruhigt, und sie konnte zum ersten Mal richtig auf sich wirken lassen, was sie umgab. Sie blies die Wangen auf.

»Oh, jetzt geht's wieder besser. Ist eine ganze Weile her, dass ich zuletzt über Hügel gelaufen bin. Ich bin ziemlich außer Form. Kaum zu glauben, dass ich ganz in der Nähe aufgewachsen bin und nicht gewusst habe, was für ein wunderschöner Ort das hier ist.« Sie zeigte auf eines der Blumenbeete. »Meine Mutter ist auch eine leidenschaftliche Gärtnerin. Ich wette, sie wäre begeistert von dieser Farbenpracht.«

»Wir haben gerade meine wohl liebste Jahreszeit. Die Chrysanthemen sind solche Angeber, oder? Andererseits sehen sie auch wirklich toll aus.« Clara kniff die Augen gegen die Sonne zusammen. »Wie lange sind Sie schon nicht mehr in der Gegend gewesen?«

»Ein paar Jahre. Ich war in Lancashire, hab dort meine Ausbildung abgeschlossen und ein bisschen Erfahrung gesammelt.«

Clara nickte. Natürlich, Sie sind Schmiedin, nicht wahr? Hat Maddie gesagt.«

»Stimmt. Obwohl ich hoffe, mich eher auf Künstlerisches zu spezialisieren. Ich nehme an dem Wettbewerb in Summersmeade Hall teil.« Sie sah auf die Armbanduhr. »Tatsächlich sollte ich wohl besser in die Gänge kommen. Ich hab versprochen, meine Eltern zu besuchen, bevor es richtig losgeht. Und gestern bin ich so spät eingetroffen, dass keine Zeit mehr dafür war.« Sie verzog das Gesicht. »Stau auf der M6«, fügte sie hinzu. »Den Großteil des Tages hab ich Abgase geschnüffelt und mir in endlosen Kolonnen den Hintern wundgesessen.«

Sie erhielt einen mitfühlenden Blick. »Aber richtig geht die Veranstaltung erst morgen los. Sie haben noch genug Zeit.« Clara trat einen Schritt zurück, als Megan aufstand. »Ich schicke gleich Trixie mit dem Frühstück zu Ihnen. Sie ist unsere Köchin. Wäre es in einer halben Stunde in Ordnung?«

Plötzlich sehnte sich Megan verzweifelt nach etwas zu trinken. »Perfekt«, sagte sie.

***

Es fühlte sich seltsam an, wieder durch das Dorf zu fahren. Nicht weil Megan so lange weg gewesen war, sondern weil bisher jeder Besuch bei ihren Eltern eine Rückkehr in das Haus ihrer Kindheit dargestellt hatte. Mittlerweile jedoch war ihr ältester Bruder mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern wieder eingezogen. Deshalb gab es für Megan kein Zimmer mehr bei ihren Eltern.

Woraus sie ihnen keinen Vorwurf machen konnte. Eigentlich sollte es nur Übergangslösung sein, bis ihr Bruder wieder auf die Beine käme. Aber sein Geschäft war derart spektakulär baden gegangen, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, seine beträchtlichen Schulden abzubezahlen. Bis dahin würde er mit seiner Familie nirgendwohin ziehen können.

Auf dem Beifahrersitz lag ein wunderschöner Blumenstrauß in den Lieblingsfarben ihrer Mutter – satte Rottöne, leuchtendes Orange und schillernd gelbe Blüten. Trixie hatte ihr den Strauß zusammen mit dem Frühstück gebracht. Obwohl Megan lieber zu Hause gewohnt hätte, hatte sie bisher nicht das Geringste an ihrem Aufenthalt in Joy's Acre auszusetzen. Vielleicht war es doch die beste Lösung gewesen.

Aber im Augenblick hatte sie keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie war gerade in die kleine Gasse neben der Kirche eingebogen und folgte der kurvigen Zufahrt zum ehemaligen Pfarrhaus. Wie sie ihre Mutter kannte, zuckte der Vorhang bestimmt schon seit einer halben Stunde regelmäßig in Erwartung ihrer Ankunft.

Wie vermutet kam ihre Mutter zur Tür herausgeeilt, noch bevor Megan den Motor ausgeschaltet hatte. Ungeduldig und mit strahlender Miene wartete sie neben dem Auto darauf, dass ihre Tochter ausstieg.

»Oh, Ma!«, rief Megan, warf die Arme um sie und freute sich, dass ihre Mutter noch genauso aussah und wirkte wie bei ihrer letzten Umarmung. Die Frau war eine im Herzen äußerst junggebliebene Mittsechzigerin. Dennoch sollte sie längst im Ruhestand sein. Megan fürchtete, dass zwei ungestüme Enkelkinder unter ihrem Dach ziemlich anstrengend für sie sein könnten, aber ihre Mutter wirkte energiegeladen wie eh und je. Als Megan sich zurückzog, sah sie über die Schulter ihrer Mutter bereits ihren Vater an der Haustür.

»Wie geht's meiner Lieblingstochter?«, rief er ihr zu, als sie die Blumen aus dem Auto holte. Das war ihr Dauerscherz, denn Megan hatte nur Brüder.

Sie lachte. »Gut! Bin froh, wieder hier zu sein.«

Er bedachte sie mit einem Blick, den sie sonst eher von ihrer Mutter erntete. Darin lag die Frage, ob sie genug aß, genug schlief und glücklich und zufrieden war. Sie marschierte los, um auch ihn innig zu umarmen.

»Und es geht mir wirklich gut. Es gibt also keinen Grund, mich so anzusehen.«

»Bist du sicher, dass du nicht abgenommen hast?« Diesmal kam die Frage von ihrer Mutter.

»Ganz sicher. Ich esse wie ein Scheunendrescher, Ma.«

»Mag sein, aber du verbrennst ja auch Unmengen an Kalorien, wenn du den lieben langen Tag mit großen Eisenteilen hantierst.«

»Und ich stopfe zwischendurch immer wieder Schokolade in mich rein, es besteht also keine Gefahr, dass ich zu einem Strich in der Landschaft werde.«

Ihre Mutter vergrub das Gesicht in den Blumen. »Die müssen gleich in eine Vase. Komm rein, Schatz.«

Im Haus roch es wie immer nach dem Orangenblütenparfüm ihrer Mutter und unterschwellig nach Holzrauch vom Kamin im Arbeitszimmer. Dort zog der Qualm nie vollständig ab, trotzdem ließ es sich ihr Vater nicht nehmen, das Feuer darin immer wieder anzuzünden. Ihre Nerven beruhigten sich allmählich, als sie sich zunehmend entspannte, während sie ihrem Vater durch den Flur ins Wohnzimmer folgte. Ein Haufen Spielzeug lag aufgeräumt in einer Ecke. Abgesehen davon schien sich auf den ersten Blick nichts verändert zu haben, seit Megan zuletzt zu Hause gewesen war.

»Tut mir so leid wegen gestern«, entschuldigte sie sich. »Am Ende war es einfach zu spät.«

»Eine fürchterliche Anreise, aber wenigstens bist du nicht in den Unfall verwickelt gewesen. Hühnerpastete kann ich immer wieder machen, dich nicht.« Ihre Mutter legte die Stirn in Falten. »Also zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Wir können ja auch an einem anderen Abend zusammen essen.«

»Schon klar, Ma. Aber sobald der Wettbewerb angefangen hat, wird es noch schwieriger. Gut möglich, dass ich dann bis spätabends eingespannt bin. Und da mittlerweile bekannt gegeben wurde, dass es zusätzlich um einen riesigen Auftrag geht, muss ich mich noch mehr ins Zeug legen.« Sie verzog das Gesicht. »Vorausgesetzt natürlich, ich qualifiziere mich überhaupt. Wenn nicht, kann ich jeden Abend mit euch essen.«

»Was redest du denn da?«

»Dad, ich bin 1,65 Meter groß und eine Frau.«

»Und?«

»Damit entspreche ich ja wohl eindeutig nicht dem gängigen Bild von einem Schmied. Wenn die Preisrichter die üblichen altmodischen Käuze sind, hab ich keine Chance.«

»Du hast die gleichen Chancen wie alle anderen, Megan. Und vergiss nicht, dass ich weiß, wie gut du bist. Außerdem entscheiden in der Endrunde nicht nur die Preisrichter allein. Da reden auch die Leute vom National Trust ein Wörtchen mit. Den Auftrag zur Gestaltung eines neuen Tores vergeben sie mit Sicherheit nicht leichtfertig. Sie haben einen Ruf zu wahren, und ihre Entscheidung muss eine ganze Reihe von Interessenvertretern zufriedenstellen. Dementsprechend werden sie den Preis allein nach Leistung vergeben müssen. Stell dir nur den Aufruhr vor, wenn nicht.«

Megan schaute verkniffen drein. »Das macht es nur noch schlimmer, Dad. Es steht so viel mehr auf dem Spiel als sonst. Wir haben alle einiges zu verlieren.«

»Oder zu gewinnen, Megan. Oder zu gewinnen«, sagte er.

»Warten wir doch einfach ab, was passiert, ja?«, schlug ihre Mutter vor, die das Gespräch offensichtlich weg von »Unerfreulichem« lenken wollte. »Es bringt schließlich nichts, gleich vom Schlimmsten auszugehen, oder? Also eins nach dem anderen. Erst stelle ich diese wunderschönen Blüten an ein kühles Plätzchen, bevor ich für uns alle was zu trinken hole, und dann will ich sämtliche Neuigkeiten hören.« Sie sah Megan über die Blumen hinweg an. »Und anfangen kannst du mit diesem jungen Mann ...«

»Ma, so ist das nicht«, protestierte Megan wenige Minuten später, nachdem sich ihre Mutter um die Blumen gekümmert hatte. »Liam bricht kein Versprechen, weil wir uns nie wirklich darauf geeinigt haben.«

»Nur hat jeder gewusst, dass du irgendwann bei ihm einziehen würdest. Himmel, ihr seid praktisch seit der Grundschule verlobt gewesen.«

Megan legte den Kopf schief. »Vielleicht liegt es gerade daran. Jeder erwartet es, aber das heißt noch lange nicht, dass es auch das Richtige ist. Zusammenzuziehen wäre ein großer Schritt für uns. Wir müssen uns erst sicher sein, dass wir es beide wollen.«

»Carol ...«, meldete sich ihr Vater in warnendem Ton aus der Ecke des Zimmers zu Wort.

»Ist gut, Bob, ich höre ja schon auf.« Megans Mutter milderte ihren Blick zu ihrer Tochter mit einem Lächeln. »Ich will nur, dass du glücklich bist, Schätzchen, sonst nichts. Und weil du so lange weg warst, dachte ich wohl, dass Liam und du so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen wollt. Dass du für den Wettbewerb zurückkommst, schien mir die perfekte Gelegenheit dafür zu sein.«

»Ich bin glücklich, Ma. Und die Gelegenheit könnte wirklich perfekt sein, aber im Grunde sehe ich es wie Liam. Der Wettbewerb wird anstrengend – körperlich und geistig. Ich werde müde, schmutzig und gestresst sein. Alles keine guten Voraussetzungen, um eine Fernbeziehung zu vertiefen, bei der man sich seit über zwei Monaten nicht mehr gesehen hat. Es könnte sogar verheerend nach hinten losgehen. Liam und ich sehen uns ja weiterhin, aber dass ich zumindest vorläufig in Joy's Acre wohne, verschafft uns ein bisschen Freiraum, um uns einzugewöhnen.«

Ihre Mutter lehnte sich auf dem Stuhl zurück und griff sich eine Tasse Tee vom Tisch neben ihr. »Na schön. Wenn du dir sicher bist ...«

Megan lächelte herzlich und atmete erleichtert durch. Damit hatte sie die erste Hürde erfolgreich bewältigt. Sie hatte gewusst, dass ihre Mutter zum Thema ihres Einzugs bei Liam einiges zu sagen haben würde. Ein Einzug, zu dem es nicht gekommen war, wie sich herausgestellt hatte. Aber zumindest schien es Megan gelungen zu sein, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Nun musste sie nur noch sich selbst überzeugen.

Kapitel 3

Zu viel Aufhebens zu machen wäre das Schlimmste, was sie an diesem Tag tun könnten, darin waren sie sich alle einig. Also würde es keine Begrüßung geben, bei der sie steif aufgereiht am Tor standen und darauf warteten, Hände zu schütteln. Maddie würde im Haus sein, um Adam und Declan in Empfang zu nehmen, wenn sie ankämen. Alle anderen, auch Clara, würden ihren üblichen Aufgaben nachgehen. Je nachdem, wie es sich entwickelte, würden sie dann bei Bedarf gerufen werden.

Also stand Clara mitten in einem Blumenbeet und tat so, als wäre sie unheimlich beschäftigt. Zweifellos verhielt es sich bei Tom auf dem Dach des Ferienhauses hinter ihr genauso. Und Trixie würde sich in der Küche die Füße in den Bauch stehen. Clara wusste nicht recht, was sie anfangen sollte. Zwar konnten die Komposthaufen durchaus etwas Arbeit vertragen, und das zweite Kartoffelbeet musste sogar recht dringend angehäufelt werden. Allerdings wurde man bei beidem schmutzig, und es sähe ihrem Glück ähnlich, wenn sie die Besucher mit einer riesigen Schlammschliere auf der Wange begrüßte.

Außerdem würden je nach Verkehr in Kürze die neuen Gäste eintreffen, diese Familie. Clara war dafür eingeteilt, sie in Joy's Acre zu begrüßen und ihnen ihre Unterkunft zu zeigen. Sie ging zu der Bank hinüber, auf der sie vorhin ihre Gartenschere abgelegt hatte. Dann begann sie, die Wege abzuschreiten, unterwegs welke Blätter abzuschneiden und sie in die Taschen ihres Kittels zu stopfen. Sie sah auf die Armbanduhr und ging weiter.

Als sie wenig später aufschaute, sah sie Trixie in wilder Eile durch den Garten rennen. Offensichtlich bemühte sie sich, dabei unauffällig zu sein – wenn Trixie sonst so schnell rannte, wurde es in der Regel von einem aufgeregten Quieken begleitet. Diesmal beschränkte sie sich auf übertriebenes Gestikulieren, um Claras Aufmerksamkeit zu erregen, doch es vermittelte genauso deutlich Dringlichkeit, als hätte sie lauthals geschrien. Clara beschlichen Zweifel, ob Trixie rechtzeitig anhalten könnte. Sie wappnete sich schon für einen Zusammenstoß, als ihre Freundin schlitternd vor ihr abbremste, bevor sie keuchend und wie eine Verrückte grinsend vor ihr stand.

»Hallo«, sagte Clara lachend. »Liegt irgendwas an, Trixie?«

»Oh, sehr komisch«, stieß ihre Freundin keuchend hervor. »Kann gerade nicht reden.« Sie atmete tief ein und fächelte sich Luft zu. »Du willst vielleicht in die Küche kommen«, sagte sie schließlich.

»Wirklich?«

Trixie streckte ihr die Zunge heraus. »Dann halt nicht ... Nur erfährst du dann nie, wie umwerfend Declan ist ...« Ihre Augen funkelten. »Mein Typ ist er ja nicht wirklich. Zum einen ist er ein Rotschopf. Das würde sich total mit meinem Haar schlagen, solange es knallrosa ist. Aber er hat dieses gewisse ... Etwas. Keine Ahnung, wie ich es nennen soll, aber es ist mächtig beeindruckend.«

Allmählich wurde Clara neugierig. Sie musste zugeben, dass ihr in der Vergangenheit noch nicht viele beeindruckende Männer über den Weg gelaufen waren.

»Und was hat sich getan? Sollten wir nicht alle aus dem Weg bleiben?«

»Ja, schon. Hab ich auch gemacht. Aber wir sind gerufen worden ...«

Clara grinste. Trixies Gesichtsausdruck sprach Bände. »Tja, dann gehe ich mal los und stöbere Tom auf, ja?«

Aber Trixie schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte sie. »Nur wir – du und ich.« Sie zog an Claras Arm. »Komm jetzt, ich kann's kaum erwarten zu hören, worüber sie mit uns reden wollen!« Damit setzte sich Trixie in Bewegung und schleifte sie mit.

»Warte«, protestierte Clara und versuchte, ihre Freundin zu bremsen. »Ich kann nicht so rennen wie du, mach langsam!« Es wäre erheblich einfacher gewesen, wenn sie nicht so heftig hätte lachen müssen. »Außerdem muss ich auf meine Frisur aufpassen, sie ist nicht wirklich ...«

Trixie hielt abrupt an, als sie um die Ecke des Gebäudes bogen und auf einmal Maddie und ihre Besucher vor sich hatten. »Hoppla«, sagte sie.

Clara wäre um ein Haar von hinten mit ihr zusammengestoßen. Mit einer Hand am Kopf versuchte sie, ihren Dutt zu fixieren, der sich bedenklich zur Seite neigte.

Dann nahm sie Adams herzliches Lächeln vor ihr wahr. Er sah aus wie immer: entspannt und freundlich. Das gewellte graue Haar und die schicke Brille verpassten seiner eleganten Arbeitskleidung einen legeren Anstrich, trotzdem wirkte er überaus souverän.

»Clara, wie bezaubernd, dich wiederzusehen.«

Als er auf sie zutrat, um sie zu küssen, ließ sie zögerlich ihr Haar los. Prompt spürte sie, wie sich der Dutt noch weiter zur Seite neigte und als formloses Gewirr über einem Ohr zur Ruhe kam. Sie setzte eine verlegene Miene auf.

»Ist auch schön, dich zu sehen«, erwiderte sie wahrheitsgemäß, beugte sich zu ihm und bot ihm die Wange an. Sie berührten sich schon beinah, als er plötzlich die Richtung änderte. Er schwenkte von der ihm angebotenen Wange weg, um ihr Haar nicht noch mehr durcheinanderzubringen, und wechselte stattdessen zur anderen Seite. Was fast zu einem peinlichen Zusammenstoß in der Mitte geführt hätte. Clara spürte, wie sie vor Verlegenheit errötete. Sie musste aussehen, als wäre sie rückwärts durch eine Hecke geschleift worden.

Nur widerwillig löste sie die Aufmerksamkeit von ihm und richtete sie auf den anderen Besucher.

»Clara, das ist Declan Connolly«, stellte Adam grinsend vor.

Clara hatte mit einem Schopf karottenroten Haars gerechnet. Doch das von Declan wirkte insgesamt ... pastelliger. Alles an ihm vermittelte Sanftmut und Herzlichkeit. Sein Haar schimmerte eher rötlich-blond, und er war groß und schlank. Entspannt stand er in einem marineblauen Leinenanzug da, zerknittert zwar, dennoch eine makellose Aufmachung. Der Mann entsprach so gar nicht dem, was sie sich vorgestellt hatte. Während sie die Eindrücke verarbeitete und zu entscheiden versuchte, ob ihr sein Aussehen gefiel oder nicht, streckte die Haarnadel, die den Dutt noch mühsam einigermaßen zusammenhielt, letztlich die Waffen. Ihr Haar löste sich und wallte um sie herum bis hinunter zur Taille.

Was man unmöglich einfach ignorieren konnte, weil ihr die Haare auch über das gesamte Gesicht hingen. Sie wollte Trixie einen strafenden Blick zuwerfen, der besagte: Das hab ich dir zu verdanken. Doch nicht mal das funktionierte richtig. Also drehte sie stattdessen den Kopf weg, zupfte, stupste, glättete, so gut sie konnte, und versuchte beschämt, aber lächelnd, die widerspenstige Fülle wieder zu bändigen.

»Nein, nicht. Lassen Sie es offen ...«

Unsicher senkte sie die Hände.

»Sie haben wunderschönes Haar ...« Clara sah den Mann an. Er hatte so leise gesprochen, dass sie es beinah überhört hätte. Leichter irischer Akzent. Augen wie Jade. »Hallo, Clara.« Sie ergriff die ihr entgegengestreckte Hand. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«

Geradezu panisch schaute sie zu Maddie.

Zum Glück lächelte die Freundin nur, kam auf sie zu und berührte sie leicht am Arm. »Wir haben uns mit Declan gerade über die Gärten hier unterhalten, Clara. Tatsächlich wollten wir zu dir, als Trixie dich, äh ... bei uns abgeliefert hat.«

Neben ihr bemühte sich Trixie, ein Lachen zu unterdrücken, was ihr nur teilweise gelang.

»Vielleicht sollte ich es erklären«, ergriff Adam das Wort. »Declan leitet die Produktionsfirma, die mich mit der Dokumentarserie beauftragt hat, in der Joy's Acre vorkommt ...«

»Und ich bin neugierig«, fügte Declan hinzu. »Ich habe schon einiges von dem Material gesehen, das Adam gedreht hat. Das hat mein Interesse geweckt, vor allem die Gärten und die Küche. Da dachte ich mir, ich sollte herkommen und es mir mit eigenen Augen ansehen.«

»Und wir dachten uns, vielleicht würdest du Declan gern herumführen«, ergänzte Maddie. Obwohl es nicht wirklich so klang, als hätte Clara eine Wahl.

Declan trat so nah zu ihr, dass er den anderen beinah den Rücken zudrehte. »Ich fürchte, das ist meine Schuld. Weil ich heute nicht viel Zeit habe, möchte ich nach Möglichkeit gleich zur Sache kommen. Wäre das in Ordnung für Sie, Clara?« Er schaute sie an. »Was ich von Adam gesehen habe, war zutiefst beeindruckend. Trotzdem geht nichts darüber, die Gärten mit den Augen der Person zu sehen, die sie geschaffen hat.« Er blickte sie noch einen Moment länger lächelnd an, bevor er auf den Weg vor ihnen zeigte. »Wollen wir?«, fügte er hinzu. »Spazieren wir einfach, und Sie erzählen mir unterwegs von Ihrem Garten, Clara.«

Die ersten zehn Minuten war sie so nervös, dass sie gar nicht richtig mitbekam, was sie von sich gab. Doch allmählich drangen Declans aufrichtig interessierte Fragen und aufschlussreichen Antworten zu ihr durch, und sie begann, sich zu entspannen.

»Als wir ursprünglich hier angefangen haben, hatten wir nicht viel, woran wir uns orientieren konnten«, fuhr sie fort. »Leider hat uns Joy, die Künstlerin, die einst hier gelebt hat, nur wenige ihrer Bilder hinterlassen. Tatsächlich gibt es bloß vier, von denen wir wissen. Trotzdem sind sie die besten verfügbaren Aufzeichnungen darüber, wie die Gärten damals ausgesehen haben.«

»Und die Farm ist nach ihr benannt, richtig?«

»Ja. Ihr Name war Joy Davenport. Ihr Mann hat den Hof gekauft und als Liebeserklärung an sie nach ihr getauft. So waren sie, die Viktorianer.« Sie deutete hinüber zu dem Cottage, in dem Megan wohnte. »Ich habe alles über viktorianische Gartengestaltung gelesen, was ich in die Finger kriegen konnte. Deshalb sind die Gärten um jedes Häuschen herum so authentisch, wie ich sie hinbekommen konnte.«

»Und welches viktorianische Anwesen, das etwas auf sich hält, hatte keinen ummauerten Garten? Mit Gemüseanbau für die Küche natürlich.«

Clara nickte. »Ja, schon richtig. Allerdings habe ich mir dabei ein bisschen künstlerische Freiheit genommen. Zwar habe ich bei der Gestaltung der Anlage viele traditionelle Elemente berücksichtigt, aber ich fürchte, der Anbau orientiert sich eher daran, was alle hier gern essen.«

Declan sah sich um, die Hände nach wie vor lässig in den Hosentaschen. Dann zog er sie heraus, legte die Finger an die Lippen und kniff die Augen zusammen, bevor er sich plötzlich umdrehte.

»Trixie, wo sind Sie?« Er winkte sie zu sich. »Stellen Sie sich doch bitte kurz neben Clara.« Trixie tat, wie ihr geheißen. Dabei stupste sie Clara mit einem belustigten Grinsen sanft in die Rippen.

Stille trat ein, während er sie beide eine Minute lang betrachtete und offensichtlich angestrengt nachdachte. Nur hatte Clara keine Ahnung, worüber, und allmählich wurde ihr sein eindringlicher Blick ein wenig unangenehm. Sie fühlte sich, als würde sie auf einem Markt bewertet. Trixie hatte recht. Er hatte irgendetwas an sich, doch auch sie vermochte nicht, es zu benennen.

Sein Blick schwenkte nach rechts. »Okay, ich wünsche mir Folgendes.« Er ging zum Rand des Gemüsebeets, das sich ihm am nächsten befand. »Wenn ich mich nicht schwer irre, sind das Kartoffeln, richtig?« Er wartete keine Antwort ab. »Also, Clara, ich hätte gern eine Erklärung darüber, was Sie hier anbauen. Über alles, was Sie schon gemacht haben, was Sie demnächst machen und so weiter. Denken Sie nicht zu viel nach, sagen Sie einfach rundheraus, was Ihnen in den Sinn kommt ... Und los.«

Einen Moment lang starrte sie ihn an. Ihr wurde bewusst, dass Adam etwas näher gekommen war. Maddie schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln, obwohl offensichtlich auch sie keine Ahnung hatte, was vor sich ging.

»Was immer Ihnen einfällt, ist in Ordnung.« Declan lächelte sie strahlend an. Und sie wünschte, er hätte es nicht getan.

»Also, das sind meine Kartoffeln. Wir bezeichnen es als Haupternte. So nennen wir sie, weil wir sie essen, nachdem wir uns durch die herrlichen Frühkartoffeln geschmaust haben. Sie sind seit April in der Erde und mittlerweile praktisch erntereif. Wenn ich sie zu lange drin lasse, tun sich die Schnecken daran gütlich. Ich fürchte, sie sind einfach zu köstlich.« Sie schaute zu Declan auf. »Soll ich Ihnen ein paar Kartoffeln zum Anschauen ausgraben?«

Er nickte, schwieg aber.

Sie hatte immer irgendwo in ihren Kartoffelbeeten eine Spatengabel stecken und brauchte nur wenige Sekunden, um sie zu holen. Clara wusste, dass die Erde weich und nachgiebig sein würde. Ein kräftiger Stiefeldruck versenkte die Zinken genau dort, wo sie es wollte. Wenig später lag ein Haufen knolliger, erdverkrusteter Kartoffeln auf dem Boden.

»Wegen des echt sengenden Sommers mussten wir dieses Jahr eimerweise gießen, aber sie haben eine gute Größe und eine wunderschöne Färbung.« Clara hob eine Kartoffel auf, rieb die Erde davon ab und legte die Schale frei. »Sie heißen Rosa Tannenzapfen, eine recht traditionelle Sorte. Aber sie sehen nicht nur hübsch aus, sie schmecken auch fantastisch.« Dann leckte sie sich über die Lippen. Allmählich gingen ihr die Worte aus. »Abgesehen vom Gießen darf man bei diesen Prachtstücken nicht vergessen, dass sie ein bisschen schüchtern sind und sich gern bedeckt halten. Wenn wir nicht aufpassen, holen wir uns leicht einen Sonnenbrand an den Schultern. Aus demselben Grund haben die Kartoffeln gern Erde um sich herum. Nur während wir in zu viel Sonne rötlich werden, verfärben sie sich grün ...«

Bevor sie überlegen konnte, was sie noch sagen sollte, beugte sich Declan plötzlich vor und nahm ihr die Kartoffel aus der Hand.

»Fangen Sie«, sagte er und grinste Trixie an. Nach ein, zwei Sekunden warf er ihr die Knolle zu. »Also, Clara hat sie angebaut und geerntet. Was machen Sie jetzt daraus, Trixie?«

Clara spürte, wie sich Erleichterung in ihr ausbreitete. Damit war sie vorerst aus dem Schneider. Und Trixie stellte sich bei solchen Dingen viel besser an als sie. Als ehemalige Barfrau wusste sie über so ziemlich alles etwas zu sagen ...

Trixie rieb weitere Erdrückstände von der Kartoffel. »An dieser Sorte ist die Färbung so wunderbar. Es stimmt schon, was man sagt: Wir essen wirklich auch mit den Augen. Ich bemühe mich immer, Farbe und Textur so gut wie möglich zu erhalten. Die hier würde ich auf jeden Fall behutsam mit einer Gabel zerdrücken, nachdem ich sie mit der Schale gekocht hätte. Dann würde ich sie einfach mit ein bisschen Olivenöl, Knoblauch und Kräutern anbraten. Auch Zitronensaft und Schalotten passen hervorragend dazu. Und wenn man abenteuerlustig ist, streut man noch ordentlich Parmesan drüber. Knusprig, weich und sämig zugleich – was könnte man daran nicht mögen?«

Declan schaute zu Adam. »Hast du schon Hunger gekriegt?«, fragte er augenzwinkernd. Er drehte sich wieder um, sah erst Clara, dann Trixie an.

»Also gut. Wollen wir uns ein wenig unterhalten? Adam, ich denke, ich habe alles, was ich brauche. Wenn du bereit bist ...«

Adam nickte. »Ist Seth heute hier, Maddie? Oder in der Nähe?«

Sie bedachte ihn mit einem fragenden Blick. »Nein, er ist nebenan. Also, auf dem Nachbargrundstück. Das ist leider nicht ganz so nah, und ich könnte mir vorstellen, dass er gerade ziemlich beschäftigt ist. Müssen Sie mit ihm reden? Ich kann versuchen, ihn ans Telefon zu bekommen.«

Declan und Adam wechselten einen Blick. »Ist im Moment nicht unbedingt nötig«, sagte Declan. »Aber ich glaube, demnächst sollten wir uns schon unterhalten. Können wir uns vielleicht vorerst alle irgendwo hinsetzen?«

Clara suchte Trixies Blick und grinste. Was immer in den letzten Minuten passiert sein mochte, anscheinend würden sie den Hintergrund bald erfahren.

»In der Küche wäre es wohl am besten«, schlug Maddie vor. »Ich weiß, es ist noch nicht ganz Zeit fürs zweite Frühstück, trotzdem wären ein Kaffee und ein Stück von Trixies Karamellapfelkuchen keine schlechte Idee.« Sie warf einen Blick zum Dach des Ferienhauses zu ihrer Linken. »Außerdem treffen jeden Moment Gäste ein. Und ich denke, wir haben einen anderen Empfang für sie im Sinn, als zusammen hier draußen herumzustehen. Bitte entschuldigt mich kurz, ich rede nur eben mit Tom. Bestimmt macht's ihm nichts aus, die Rolle des Empfangskomitees zu übernehmen.«

Auf Maddies Stichwort hin trat Clara vor. »Ich begleite Sie zurück zum Haus«, sagte sie so ruhig wie möglich, obwohl ihr Herz beim Gedanken daran, was folgen mochte, wie wild hämmerte.

»Vielleicht sollte ich es erklären«, begann Adam, sobald sie sich alle niedergelassen hatten.

Auf dem Tisch vor ihnen standen zwar eine Kanne Kaffee und ein ganzer Kuchen auf einem Teller, doch bisher wollte sich niemand als Erster bedienen. Sogar Adam wirkte ein wenig nervös. Nur Declan schien völlig entspannt zu sein.

»Ihr alle wisst, dass ich ursprünglich nach Joy's Acre gekommen bin, weil ich darüber eine Dokumentation im Rahmen einer Reihe drehen wollte, mit der man mich beauftragt hatte. Jetzt wisst ihr auch, dass Declan der Leiter der Produktionsfirma ist, von der die Programme nächstes Jahr ausgestrahlt werden. Tatsächlich gehört sie ihm sogar. Aber ihr wisst vielleicht nicht, dass seine Firma daneben eine ganze Reihe anderer Formate für den Lifestyle-Markt produziert.« Er sah über seine Brille hinweg alle nacheinander an. »Und ich muss wohl nicht extra erklären, was für ein aufstrebender Markt das derzeit ist.« Diesmal grinste er sie der Reihe nach an. »Vielleicht sollte ich an der Stelle an Declan übergeben ...«

Oh, wie aalglatt, dachte Clara. Ein eingespieltes Duo, und beide hatten die Schule des Charmes absolviert. Aber sie mochte Adam. Sie hatten mit ihm beim Drehen der Dokumentation riesigen Spaß gehabt.

Declan saß auf dem Stuhl zurückgelehnt, die langen Beine vor sich ausgestreckt. Mit einem verhaltenen Lächeln hatte er sich kaum gerührt, während Adam gesprochen hatte. Nun setzte er sich aufrechter hin, zog den Stuhl näher an den Tisch und lehnte sich mit verschränkten Armen vor. Sein Blick wirkte dabei sehr direkt.

»Mit Adam arbeite ich mittlerweile seit Jahren zusammen. Ich will ehrlich sein: Ich lerne viele Leute kennen, und in meiner Branche sind bei Weitem nicht alle nett. Die Medienwelt kann hart sein. Man ist immer nur so gut wie die letzten Quoten. Manchmal geht es gnadenlos zu. Mir laufen etliche Leute über den Weg, die geradewegs ganz nach oben wollen, und dafür erzählen sie einem, was immer man hören will. Ich bin froh, sagen zu können, dass Adam nicht so ist. Ich vertraue seinem Urteilsvermögen. Und als er mir erzählt hat, er hätte etwas Besonderes gefunden, habe ich ihm geglaubt.« Plötzlich setzte er ein breites Grinsen auf. »Das ist übrigens ein Kompliment, Sie können also aufhören, so ernst dreinzuschauen!«

Er sah in die Runde.

»Ein Vorschlag. Wir nehmen uns ein Stück Kuchen und unterhalten uns beim Essen. Sonst komme ich mir vor wie in der Schule.« Er schob den Teller mit dem Kuchen zu Trixie. »Teilen Sie ihn auf, und nicht geizig sein. Und Maddie, könnten Sie den Kaffee einschenken?«

Während sich Declan einen Teller und eine Tasse reichen ließ, nutzte Clara die Gelegenheit, ihn verstohlen zu mustern. Er entsprach nicht unbedingt der landläufigen Definition von gut aussehend, aber sein Teint und vor allem die hellen Augenbrauen und Wimpern verliehen seinem Gesicht eine Offenheit, die Clara gefiel. Er lächelte sie an, und sie schaute weg.