Das Leben der Stoiker - Ryan Holiday - E-Book

Das Leben der Stoiker E-Book

Ryan Holiday

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Beschreibung

Von Epiktet bis Mark Aurel, von Sklaven bis zu Kaisern – Ryan Holiday, dessen Bestseller und die darin enthalten Lebensweisheiten längst Kult sind, zeigt, warum auch 2300 Jahre nach der Entstehung der Stoa ihre Lehren noch immer von universeller Gültigkeit sind: Ihre Lektionen zu Selbstbeherrschung, Tugend und Gleichgültigkeit gegenüber dem, was wir nicht kontrollieren können, sind heute genauso essenziell wie in den stürmischen Zeiten des Römischen Reiches. Holiday enthüllt die zentralen Ideen der Stoa, die Seneca, Cato oder Cicero über die Jahrhunderte hinweg verbinden. Dabei werden die Philosophen stets im Licht ihrer besonderen Bedeutung in der Geschichte der Stoa betrachtet. Mit kurzen, leicht zu lesenden Biografien aller bekannten – und weniger bekannten – Stoiker hilft der Autor dem Leser, die Philosophie im eigenen Leben anzuwenden.

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Seitenzahl: 470

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RYAN HOLIDAY

DAS LEBEN DER STOIKER

Lektionen über die Kunst des Lebens, von Mark Aurel bis Zenon

DAS LEBEN DER STOIKER

Lektionen über die Kunst des Lebens, von Mark Aurel bis Zenon

New York Times-BESTSELLERAUTOR

RYAN HOLIDAY

STEPHEN HANSELMAN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

2. Auflage 2024

© 2020 by FinanzBuch Verlag,

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Copyright der Originalausgabe © 2020 by Ryan Holiday und Stephen Hanselman. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel Lives of the Stoics. The Art of Living from Zeno to Marcus Aurelius.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Kerstin Brömer

Redaktion: Anne Büntig-Blietzsch

Korrektorat: Silvia Kinkel

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer, in Anlehnung an die Originalausgabe

Umschlagabbildung: shutterstock.com/ Stephen Chung

Illustrationen im Innenteil: © Rebecca DeField.

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-377-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-701-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-702-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

INHALT

Einleitung

DAS LEBEN DER STOIKER

Zenon der Prophet

Kleanthes der Apostel

Ariston der Herausforderer

Chrysipp der Kämpfer

Zenon der Erhalter

Diogenes der Diplomat

Antipatros der Ethiker

Panaitios der Verbindungsmann

Publius Rutilius Rufus, der letzte ehrliche Mann

Poseidonios das Genie

Diotimos der Böse

Cicero der Mitläufer

Cato der Jüngere, Roms eiserner Mann

Porcia Catonis, die eiserne Frau

Athenodoros Kananites der Königsmacher

Areios Didymos der Königsmacher II.

Agrippinus der Andere

Seneca der Fleißige

Cornutus der Gewöhnliche

Rubellius Plautus, der Mann, der kein Herrscher sein wollte

Thrasea der Furchtlose

Helvidius Priscus der Senator

Musonius Rufus der Unzerstörbare

Epiktet der Freie

Junius Rusticus der Pflichtbewusste

Marcus Aurelius der Philosophenkönig

Fazit

Zeitleiste der Stoiker und der griechisch-römischen Welt

Verwendete Quellen und weiterführende Literatur

EINLEITUNG

Der einzige Grund, sich mit Philosophie auseinanderzusetzen, ist der, ein besserer Mensch zu werden. Alles andere ist, wie Nietzsche einmal sagte, lediglich eine »Kritik der Worte über Worte«.

Keine andere Denkschule hat so sehr daran geglaubt, dass Taten mächtiger sind als Absichten, wie der Stoizismus, eine antike Philosophie, die aus Griechenland stammt und auf das dritte Jahrhundert vor Christus zurückgeht. Seneca, ein stoischer Philosoph der römischen Ära – und damit weit weg von der Akademie Platons –, sagte einmal ganz unverblümt, dass es keinen anderen Zweck für das Lesen und das Studieren gebe als den, ein glückliches Leben zu führen.

Doch in der modernen Welt spielt die Philosophie eine andere Rolle. Heutzutage dreht sich alles darum, was kluge Menschen sagen, welche großspurigen Worte sie benutzen, mit welchen Paradoxa und Rätseln sie uns verblüffen können. Kein Wunder, dass wir das als unnütz abtun. Das ist es ja auch!

In diesem Buch wird es um eine andere und weitaus zugänglichere Art von Weisheit gehen, nämlich um die, wie sie von Menschen wie Seneca praktiziert wurde, einem Mann, der seinem Land auf höchster Ebene diente, Exil und Verlust ertragen musste, mit Ehrgeiz und persönlichen Fehlern zu kämpfen hatte und schließlich tragisch und heldenhaft starb, als er versuchte, seine Theorien zu verwirklichen.

Anders als den »Schreibtischphilosophen«, wie diese sogar schon vor zweitausend Jahren spöttisch genannt wurden, ging es den Stoikern vor allem darum, wie man lebte – die Entscheidungen, die man traf, die Anliegen, denen man sich widmete, die Prinzipien, an die man sich in Zeiten der Not hielt. Ihnen war wichtig, was man tat, und nicht das, was man sagte. Ihre Philosophie, die wir heute mehr denn je brauchen, war keine Philosophie der flüchtigen Gedanken, sondern des Handelns. Deren vier Tugenden sind ebenso einfach wie geradlinig: Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Weisheit.

Daher ist es nicht überraschend, dass wir aus den gelebten Erfahrungen der Stoiker (ihrem Wirken) ebenso viel lernen können wie aus ihren philosophischen Schriften (ihren Worten). Die Weisheit, die die veröffentlichten Werke von Cato dem Jüngeren bieten, ist dürftig – ein Leben im Staatsdienst als Senator und Truppenbefehlshaber bedeutete, dass er zu beschäftigt war, um mehr als ein paar Sätze aufzuschreiben. Aber wie er sich während des Niedergangs und Falls der Republik verhielt – nämlich indem er absolute Integrität und Selbstlosigkeit zeigte –, lehrt mehr über Philosophie als jeder Aufsatz. Von den Theorien des Diotimos, eines Stoikers zu Beginn des ersten Jahrhunderts vor Christus, ist uns nur wenig erhalten geblieben, aber die Legende von seinem literarischen Betrug zeigt uns, wie leicht selbst rechtschaffene Menschen auf Abwege geraten können. Das Gleiche gilt für das Leben von Seneca, dessen sprachgewandte Briefe und Bücher uns in großem Umfang erhalten geblieben sind, und doch muss man sie den Kompromissen gegenüberstellen, die seine Arbeit in Neros Regierung erforderte.

Und nicht nur das Leben der Stoiker kann uns vieles lehren, sondern auch ihr Tod. Jedem Stoiker war stets bewusst, dass er irgendwann sterben musste, sei es durch ein Attentat, durch Selbstmord oder – höchst einzigartig – durch Lachen, wie es bei Chrysipp der Fall war. Cicero sagte einmal, Philosophieren heißt sterben lernen. Die Stoiker lehren uns also in ihrer weisen Art nicht nur, wie man leben sollte, sondern auch, wie man sich dem angsteinflößendsten Teil des Lebens stellen sollte: dem Ende. Sie zeigen uns anhand ihrer eigenen Beispiele die Kunst, gut aus dem Leben zu scheiden.

Die hier porträtierten Stoiker sind überwiegend Männer, denn die Antike war eine Männerwelt. Dennoch waren sie vielfältig. Die Philosophen in diesem Buch stammten aus den entlegensten Winkeln der bekannten Welt, aus Zypern, der Türkei, Ägypten, Libyen, Syrien und dem Irak. Und obwohl ihre Philosophie in Athen Wurzeln schlagen sollte, sahen die Stoiker die gesamte Erde als ihr Land an. Der Begründer des Stoizismus, Zenon von Kition, ein Phönizier, lehnte die athenische Staatsbürgerschaft bekanntlich ab, weil sie im Widerspruch zu seinem aufrichtigen Glauben an den Kosmopolitismus stand. Der Stoizismus fand schließlich seinen Weg nach Rom, wo er im öffentlichen Leben eine große Rolle spielte und den Kurs eines der größten und multikulturellsten Imperien der Geschichte lenkte.

In den ersten fünfhundert Jahren der stoischen Geschichte bilden seine Anhänger ein erstaunliches Spektrum von Lebensstationen ab. Es reicht von Marcus Aurelius, dem allmächtigen Kaiser, bis zu Epiktet, einem niederen Sklaven, der in Gefangenschaft verkrüppelt wurde, dessen Schriften und Leben aber viele, darunter auch Marcus Aurelius, inspirierten. Einige ihrer Namen sind Ihnen vielleicht bereits bekannt, andere (Ariston, Diogenes von Babylon, Porcia, Antipatros, Panaitios, Poseidonios, Areios und Musonius Rufus) wahrscheinlich nicht. Aber es lohnt sich bei ihnen allen, mehr über sie zu erfahren, ob sie nun Kaufleute oder Generäle, Schriftsteller oder Sportler, Eltern oder Professoren, Töchter oder Diplomaten waren. Jeder von ihnen kann uns etwas Wichtiges beibringen. Jeder ist den Weg der Tugend auf eine Weise gegangen, von der wir lernen können.

Das Wort »stoisch« bedeutet im Deutschen gleichmütig, gelassen, und wird oft verwendet, wenn es darum geht, Unangenehmes ohne große Emotionen zu ertragen. Doch selbst ein flüchtiger Blick auf die Geschichten dieser Menschen beweist einen enormen Unterschied zwischen den Erwartungen, die mit diesem Adjektiv einhergehen, und den Realitäten der Philosophie namens Stoizismus. Der Stoizismus ist eine lebendige, umfangreiche Philosophie, voller Menschen, die liebten, die trauerten, die sich mühten, die in den großen Schlachten der Geschichte tapfer kämpften, die Kinder aufzogen, die wichtige Werke schrieben, die selbstbewusst auftraten, die glaubten und die lebten. Zu ihrer Zeit widersetzten sich diese Philosophen dem Klischee eines Stoizismus, laut dem sie gefühllose Lasttiere seien, die das Leben durchlitten und in sich gekehrt waren.

Die Stoiker haben sich nie einfach mit dem Status quo abgefunden und die Ungerechtigkeiten in der Welt widerspruchslos hingenommen. Vielmehr bildeten sie den glühendsten »Widerstand« gegen die Tyrannei von Julius Caesar, Nero und anderen in der Antike und beeinflussten sogar demokratische Volksreformen. So, wie der Stoizismus das »strenge Kindermädchen der Helden im ersten Jahrhundert des Reiches« war, um den Ausdruck des Historikers Richard Gummere zu entlehnen, sollte er noch viele Jahrhunderte danach eine ähnliche Rolle spielen, einschließlich der Inspiration der Führer der Amerikanischen Revolution sowie von Patrioten wie Thomas Wentworth Higginson, der im Bürgerkrieg ein Schwarzen-Regiment für die Sache der Union führte (und ein Übersetzer von Epiktet war). Die Stoiker sind immer Menschen gewesen, die für Veränderungen geblutet haben und für sie gestorben sind, ob dieser Einsatz nun geschätzt wurde oder erfolgreich war oder nicht.

»Ich weiß«, schrieb Seneca 55 nach Christus in einem Buch über die Barmherzigkeit, das für den jungen Kaiser Nero geschrieben wurde, »dass die Stoiker unter den Uninformierten den schlechten Ruf haben, zu gefühllos zu sein und deshalb Königen und Fürsten wohl kaum gute Ratschläge geben zu können: Man wirft ihnen vor, zu behaupten, der Weise empfinde kein Mitleid und vergebe nicht … Tatsächlich ist keine philosophische Schule gütiger und sanftmütiger, keine andere ist menschenfreundlicher und mehr auf das Gemeinwohl bedacht, in dem Maße, dass ihr eigentlicher Zweck darin besteht, nützlich zu sein, Hilfe zu leisten und nicht nur die eigenen Interessen als Schule, sondern die aller Menschen, ob als Individuen oder als Gemeinschaft, zu berücksichtigen«.

Struktur und Stil des vorliegenden Buches sind von Plutarch inspiriert, einem der großen Biografen der Geschichte, der zufälligerweise sowohl Chronist als auch Kritiker des Stoizismus war.[1] Wir werden Ihnen einander überlappende, aber unabhängige Biografien aller stoischen Persönlichkeiten vorstellen, mit dem Ziel, Ihnen eine reichhaltige Quelle zu bieten, die Sie sich immer wieder vornehmen können – so, wie es Millionen von Lesern von Der tägliche Stoiker und Dein Hindernis ist Dein Weg seit Jahren tun.

Wir haben jeden der Stoiker durch die Linse eines bestimmten Merkmals oder einer bestimmten Rolle betrachtet, die sie in der Geschichte ihrer Philosophie gespielt haben. Sie treffen auf Porcia, die stoische eiserne Frau, auf Diogenes den Diplomaten, Antipatros den Ethiker, und Zenon den Propheten. Wir möchten Ihnen nicht nur einige Fakten über diese Menschen vermitteln, sondern auch ein tieferes Verständnis für ihr Wesen und die Teile ihres Lebens, die uns das meiste über die Kunst des Lebens lehren.

Mit diesem Werk versuchen wir keine streng wissenschaftliche Genauigkeit zu erreichen – was nach so vielen Jahrhunderten sowieso unmöglich wäre –, sondern die moralischen Lehren zu erläutern, die man aus dem Leben dieser komplizierten Menschen ziehen kann. Als Beispiel für viele der frühen Stoiker wenden wir uns Diogenes Laertios zu, dem sogenannten »Nachtwächter der Geschichte der griechischen Philosophie«. Sein klassisches Werk Leben und Lehre der Philosophen aus dem dritten Jahrhundert nach Christus ist bisweilen widersprüchlich und eindeutig eine Mischung aus gesammelten Fakten und Fiktion. Es ist aber auch voller schöner Einsichten und Geschichten. Diogenes war das Persönliche ebenso wichtig wie die Philosophie, und deshalb klingen seine Beobachtungen in einer Weise nach, wie es die anderer antiker Schriftgelehrter und Kritiker nicht tun.

Wegen der Nähe der späteren Stoiker zur politischen Macht in der römischen Epoche tauchen ihre Namen in den klassischen Geschichten von Tacitus, Sueton und Cassius Dio auf, oft mit Bewunderung, wenn sie ihren Idealen gerecht wurden (wie Tacitus’ Berichte über den Tod von Thrasea und Seneca), oder mit Hohn, wenn sie an ihnen scheiterten (wie Cassius Dios Bericht über Senecas fragwürdig angehäuften Reichtum). Plinius, Strabon, Athenaios, Aulus Gellius und andere werfen ein zusätzliches Licht auf das Leben und die Lehren der Stoiker. Später helfen auch christliche Schriftsteller wie Justin der Märtyrer, Clemens, Origenes, Tertullian, Eusebius, Hieronymus und der heilige Augustinus, die allesamt viel von zahlreichen Stoikern gelernt haben, deren Leben in den Blickpunkt zu rücken.

In anderen Fällen stützen wir uns auf die Schilderungen von Schriftstellern wie Cicero oder auf die Stoiker selbst. Cicero, der sich als Mitglied der skeptischen Akademie ansah und damit beschäftigt war, an die Spitze der römischen Politik aufzusteigen, widmete dennoch einen großen Teil seines Lebens dem tiefen Eintauchen in die Geschichte und in die Lehren der Stoiker, die ihm vorausgegangen waren. Durch seine Bemühungen haben wir Zugang zu vielen Quellen, die längst verloren gegangen sind. Seneca ist eine weitere ebenso wertvolle Quelle, da er nicht nur neue Schriften über den Stoizismus verfasste, sondern sie auch mit einer Fülle von Zitaten und Anekdoten über seine stoischen Vorgänger anreicherte, die wir sonst nicht hätten. Diese Schnittmengen sind am interessantesten, auch wenn wir nicht immer weitere Dokumente zur Bestätigung haben, denn sie zeigen uns, wie die Stoiker sich gegenseitig beeinflusst haben und wie moralische Erzählungen – wie die, die Generationen von Amerikanern ihren Kindern über George Washington und den Kirschbaum beibrachten – unabhängig von ihrer Wahrhaftigkeit wichtige Lektionen aufzeigen können.

Den Stoikern ging es um Lichter, die den Lebensweg erhellen sollten – etwas, woran wir bis heute interessiert sind. Sie wollten wissen, wie auch wir wissen wollen, wie man Ruhe, Sinn, Selbstbeherrschung und Glück findet. Diese Reise, ob sie nun im antiken Griechenland oder in der Welt von heute beginnt, ist zeitlos. Sie ist notwendig. Sie ist schwierig. Deshalb fragen wir, wie schon die Stoiker fragten: Wer kann mir helfen? Was ist richtig? Woran orientiere ich mich?

»Du hast so manches versucht«, schrieb Marcus Aurelius in Selbstbetrachtungen an sich selbst, »und musstest schließlich erkennen, dass du doch nie das Glück des Lebens gefunden hast. Weder in logischen Schlussfolgerungen noch in Reichtum, Ruhm oder Maßlosigkeit. Nirgends.«

Philosophie ist zuallererst eine Antwort auf die Frage, wie man leben soll. Sie ist das, wonach wir gesucht haben. »Möchten Sie wirklich wissen, was die Philosophie der Menschheit bietet?«, fragt Seneca in Moralische Briefe. »Die Philosophie bietet Ratschläge.«

Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, wird es Ihre Aufgabe sein, diesen Rat zu beherzigen und sich mit dem auseinanderzusetzen, was Seneca als die wichtigste Aufgabe eines Lesers von philosophischen Schriften bezeichnete: Worte in Taten zu verwandeln, die Lehren aus dem Leben und Sterben, dem Erfolg und dem Scheitern der Männer und Frauen, die vor uns kamen, in der realen Welt in Taten umzusetzen. Denn dies und nichts anderes verleiht einem den Titel: Philosoph.

DAS LEBEN DER STOIKER

ZENON DER PROPHET

* 334 v. Chr.

† 262 v. Chr.

aus Kition, Zypern

 

Die Geschichte des Stoizismus beginnt passenderweise mit einem Unglück.

An einem schicksalhaften Tag am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus setzte der phönizische Kaufmann Zenon auf dem Mittelmeer die Segel, an Bord eine volle Ladung purpurroten Farbstoffs aus Tyria. Der seltene Farbstoff, äußerst geschätzt von den Reichen und Königen, die sich in damit gefärbte Gewänder kleideten, wurde von Sklaven mühsam aus dem Blut von Meeresschnecken gewonnen und in der Sonne getrocknet, bis er, wie ein antiker Historiker sagte, »sein Gewicht in Silber wert« war. Zenons Familie handelte mit einer der wertvollsten Waren der Antike und ihr Geschäft stand – ebenso wie das vieler anderer Unternehmer – täglich auf dem Spiel.

Niemand weiß, was den Schiffbruch verursacht hat. War es ein Sturm? Piraten? Menschliches Versagen? Ist das überhaupt wichtig? Jedenfalls verlor Zenon alles – Schiff und Ladung – in einer Zeit, bevor es Versicherungen und Kapitalbeteiligungen gab. Es war ein unersetzliches Vermögen. Doch der unglückliche Kaufmann freute sich später über seinen Verlust und behauptete: »Die Reise, bei der ich Schiffbruch erlitt, war eine gewinnbringende Reise.« Denn eben dieser Schiffbruch schickte Zenon nach Athen, auf den Pfad, das zu erschaffen, was die stoische Philosophie werden sollte.

Es gibt, wie bei den Ursprungsgeschichten aller Propheten, einige widersprüchliche Berichte über Zenons frühes Leben, und sein Schiffbruch bildet darin keine Ausnahme. In einem Bericht wird behauptet, dass Zenon bereits in Athen war, als er vom Untergang seiner Fracht erfuhr, und sagte: »Gut gemacht, Schicksal, mich so zur Philosophie zu treiben!« Wieder andere behaupten, dass er die Fracht bereits in Athen verkauft hatte, als er sich der Philosophie zuwandte. Es ist auch gut möglich, dass er von seinen Eltern in die Stadt geschickt worden war, um ihn vor dem schrecklichen Krieg zwischen den Nachfolgern Alexanders des Großen zu schützen, die sein Heimatland verwüsteten. Tatsächlich berichten einige antike Quellen, dass er zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Athen ein Anwesen und weitere Investitionen am Mittelmeer im Wert von vielen Millionen besaß. Eine weitere Quelle berichtet, dass Zenon 312 vor Christus im Alter von zweiundzwanzig Jahren ankam, genau in dem Jahr, in dem sein Geburtsort dem Erdboden gleichgemacht wurde und sein König von einem Eindringling getötet wurde.

Als möglicher Auslöser für eine Philosophie, bei der es um Belastbarkeit und Selbstdisziplin sowie um Gleichmut gegenüber Leid und Unglück geht, erscheint eine unerwartete Katastrophe als das wahrscheinlichste Szenario – ob sie Zenon und seine Familie nun in den völligen finanziellen Ruin stürzte oder nicht. Ein Schiffbruch hätte Zenon genauso gut in ein gewöhnliches Leben als Kaufmann mit festem Geschäftssitz oder, indem er ihn seiner Familie beraubt hätte, ihn in die Trunksucht oder in die Armut treiben können. Stattdessen nutzte er ihn – er entschied sich, diesem Ruf zu folgen, der ihn zu einem neuen Leben und Selbstverständnis beflügelte.

Diese Anpassungsfähigkeit war ein Überlebensmerkmal, das zu jener Zeit gute Dienste leisten konnte. Zenon wuchs in einer Welt des Chaos auf. Im Jahr 333 vor Christus, ein Jahr nach seiner Geburt in Kition, einer griechischen Stadt auf der Insel Zypern, befreite Alexander der Große das Land von zwei Jahrhunderten persischer Herrschaft. Von da an war Zenons Heimat eine wertvolle Schachfigur auf diesem unsicheren Spielbrett der zerfallenen Reiche, eine, die viele Male den Besitzer wechselte.

Sein Vater, Mnaseas, war gezwungen, buchstäblich durch dieses Chaos zu navigieren, da er für das Handelsunternehmen seiner Familie die Meere bereiste. Vermutlich musste er Blockaden durchbrechen, Bestechungsgelder zahlen und feindliche Linien umgehen, wenn er von Zypern nach Sidon, von Sidon nach Tyrus, von Tyrus nach Piräus, der großen Hafenstadt außerhalb Athens, und wieder zurück segelte. Dennoch scheint er ein liebevoller Vater gewesen zu sein, der seinem Sohn viele Bücher mit nach Hause brachte, darunter auch welche über Sokrates.

Es war wahrscheinlich nie die Frage, ob Zenon in den Familienhandel einsteigen und seinem Vater aufs Meer folgen würde, um mit phönizischer Farbe zu handeln und von Abenteuern und Reichtum zu träumen. Man sagt, er sei groß und schlank gewesen und sein dunkler Teint sowie sein Habitus hätten ihm den Beinamen »ägyptische Rebe« eingebracht. In seinen späteren Jahren habe man ihn als dickbeinig, schwabbelig und schwach beschrieben – Eigenschaften, die ihn unbeholfen werden ließen und bei ihm eine soziale Scheu verursachten, während er älter wurde und sich an das Leben an Land anpasste.

Zwar sind die genauen Umstände von Zenons Ankunft in Athen ungewiss, doch wir wissen, wie die Stadt damals aussah. Athen war ein geschäftiges Handelszentrum mit einundzwanzigtausend Bürgern, halb so vielen Menschen aus dem Ausland und einer erschreckend großen Sklavenbevölkerung, die in die Hunderttausende ging. Die ganze Stadt war auf das Geschäft ausgerichtet und wurde von belesenen Eliten regiert, deren Erfolg und Bildung ihnen die Zeit verschafften, Ideen zu erforschen und zu diskutieren, über die wir noch heute sprechen. Es war ein fruchtbarer Boden für das Erwachen, das Zenon erwartete. Tatsächlich wissen wir sogar genau, wo dieses Erwachen stattfand – an einem überraschend modernen Ort: in einer Buchhandlung.

Eines Tages machte Zenon eine Pause vom Geschäftsleben, stöberte in einer Buchhandlung und suchte nach etwas zum Lesen, als er erfuhr, dass für diesen Tag ein Vortrag geplant war. Er nahm Platz und hörte dem Buchhändler zu, der aus mehreren Werken las, die sich mit Sokrates beschäftigten, dem Philosophen, der ein Jahrhundert zuvor in Athen hingerichtet worden war und dessen Ideen Zenon von seinem Vater vorgestellt wurden, als er noch ein Junge gewesen war.

Auf einer seiner Reisen vor seinem Schiffbruch, vielleicht inspiriert von einer ganz ähnlichen Reise, die Sokrates unternommen hatte, befragte Zenon ein Orakel, was er tun solle, um ein bestmögliches Leben zu führen. Die Antwort des Orakels: »Um das bestmögliche Leben zu leben, solltest du dich mit den Toten unterhalten.« In dieser Buchhandlung, die möglicherweise dieselbe war, in der sein Vater Jahre zuvor eingekauft hatte, muss ihm, während er den Worten des Sokrates zuhörte, die laut vorgelesen und auf diese Weise mit Leben erfüllt wurden, aufgefallen sein, dass er genau das tat, was ihm das Orakel geraten hatte. Denn sind Bücher nicht genau das? Ein Weg, Weisheit von denen zu erlangen, die nicht mehr unter uns weilen?

Als der Buchhändler aus dem zweiten Buch von Xenophons Memorabilien las, hörte Zenon die Lehren des Sokrates, wie sie wenige Generationen zuvor in eben diesen Straßen ausgeübt worden waren. Die Passage, die ihn am meisten beeindruckte, war »Die Wahl des Herakles«, eine Geschichte über einen Helden am Scheideweg. In diesem Mythos ist Herakles gezwungen, zwischen zwei Jungfrauen zu wählen, von denen die eine Tugend und die andere Lasterhaftigkeit repräsentiert – die eine ein Leben voller tugendhafter harter Arbeit und die andere eines in Faulheit. »Du musst«, hörte Zenon die Figur der Tugend sagen, »deinen Körper daran gewöhnen, der Diener deines Geistes zu sein, und ihn mit Mühsal und Schweiß trainieren.« Und dann bot die Lasterhaftigkeit eine völlig andere Alternative an. »Moment mal!«, rief sie. »Siehst du nicht, wie lang und hart der Weg zur Freude ist, den sie beschreibt? Komm mit mir und nimm den einfachen Weg!«

Im Wald, oder besser gesagt, in einer Buchhandlung in Athen, teilt sich der Weg. Der Stoiker wählt den schweren.

Zenon ging zum Buchhändler und stellte ihm die Frage, die sein Leben verändern sollte: »Wo finde ich einen solchen Mann?« Das heißt: Wo kann ich meinen eigenen Sokrates finden? Wo kann ich jemanden finden, bei dem ich studieren kann, so wie Xenophon bei diesem weisen Philosophen? Wer kann mir bei meiner Wahl helfen?

Sollte Zenon das Pech gehabt haben, diesen schrecklichen Schiffbruch zu erleiden, so wäre es mehr als wettgemacht worden, indem er in diese Buchhandlung ging, und es wäre sogar doppelt wettgemacht worden, weil in diesem Moment zufälligerweise Krates, ein bekannter Athener Philosoph, vorbeikam. Der Buchhändler streckte einfach seine Hand aus und deutete auf ihn.

Man könnte sagen, es sei Schicksal gewesen. Die Stoiker späterer Jahre hätten es sicher so bezeichnet. Der Held hatte einen großen Verlust erlitten und überschritt deshalb eine Schwelle, um seinen wahren Lehrer zu finden. Gleichzeitig war es die Entscheidung, die Zenon traf – nach seinem schrecklichen Verlust in die Buchhandlung zu gehen, dem Buchhändler zuzuhören und, was am wichtigsten war, sich nicht nur mit den Worten, die er dort gehört hatte, zufrieden zu geben. Nein, er wollte mehr. Er verlangte nach mehr Antworten und nach einem Lehrer, und aus diesem Impuls heraus sollte sich der Stoizismus bilden.

Krates von Theben war, wie Zenon, der Sohn einer wohlhabenden Familie und Erbe eines großen Vermögens. Von Diogenes Laertios erfahren wir, dass Krates, nachdem er eine Aufführung der Tragödie des Telephos – der Geschichte des Königs Telephos, Sohn des Herakles, der von Achilles verwundet wurde – gesehen hatte, sein Geld verschenkte und nach Athen zog, um Philosophie zu studieren. Dort wurde er bekannt als der »Türöffner«, schrieb Diogenes, »der Ausrufer, dem alle Türen offen stehen« von denen, die von dem großen Philosophen lernen wollten.

Wenn der Schüler bereit ist, so sagt ein altes Zen-Sprichwort, erscheint der Lehrer. Krates war genau das, was Zenon brauchte.

Eine der ersten Lektionen von Krates zielte darauf ab, Zenon von seiner Befangenheit aufgrund seines Ansehens zu heilen. Da er spürte, dass sich sein neuer Schüler zu sehr um seinen sozialen Status sorgte, übertrug Krates ihm die Aufgabe, einen schweren Topf Linsensuppe durch die Stadt zu tragen. Zenon versuchte, den Topf durch die Stadt zu schmuggeln, indem er ruhige Nebengassen nahm, um bei dieser demütigenden Aufgabe[2] nicht gesehen zu werden. Krates erwischte ihn dabei, zerbrach den Topf mit seinem Stab und die Suppe ergoss sich über Zenon. Zenon war das so peinlich, dass er zitterte und zu fliehen versuchte. »Warum davonlaufen, mein kleiner Phönizier?«, fragte ihn Krates lachend. »Dir ist nichts Schreckliches widerfahren.«

Nur, weil jemand Ängste oder Selbstzweifel hat oder ihm schon früh im Leben die falschen Dinge beigebracht wurden, heißt das nicht, dass er nicht zu jemand Großartigem werden kann, vorausgesetzt, er hat den nötigen Mut (und die Mentoren) zur Veränderung. Mit der unverblümten, aber herzlichen Hilfe von Krates überwand Zenon seine Befangenheit, um zu dem Menschen zu werden, zu dem er berufen war.

Als Zenon sein Geschäftsleben hinter sich ließ, wählte er eine neue Lebensweise, die Studium und Denken mit den Bedürfnissen einer von Handel, Eroberung und Technologie getriebenen Welt in Einklang brachte. Für Zenon bestand der Zweck der Philosophie, der Tugend, darin, »einen schönen Lauf des Lebens« zu erreichen, um dahin zu gelangen, dass alles, was wir tun, »in harmonischem Einklang mit dem lenkenden Geist eines jeden Menschen und dem Willen desjenigen, der das Universum regiert« ist. Die Griechen glaubten, jeder von uns habe einen Dämon, ein inneres Genie oder einen lenkenden Zweck, der mit der universellen Natur verbunden ist. Wer so lebe, dass die individuelle und die universelle Natur in Einklang miteinander stehen, sei glücklich, sagte Zenon, und diejenigen, bei denen das nicht der Fall sei, seien es nicht.

In dem Bemühen, diese Harmonie zu erreichen, führte Zenon ein einfaches Leben, das sich gar nicht so sehr von dem seines Rivalen Epikur unterschied, der nur wenige Jahre, bevor Zenon eigene Wege ging, seine Schule gründete. Zenons Ernährung bestand hauptsächlich aus Brot und Honig und gelegentlich einem Glas Wein. Er teilte seinen Wohnraum mit anderen und stellte nur selten Bedienstete ein. Selbst, als er krank war, lehnte er alle Versuche ab, ihn zu verwöhnen oder seine magere Ernährung umzustellen. »Er glaubte«, so sagte ein späterer Stoiker, »dass jemand, der einmal die Gourmetküche gekostet hat, sie ständig wollen würde, da der mit dem Trinken und Essen verbundene Genuss in uns den Wunsch nach mehr Essen und Trinken weckt.«

Als Teil des einfachen Lebens verbrachte Zenon viel Zeit allein, zog einen engen Freundeskreis großen gesellschaftlichen Zusammenkünften vor und stahl sich später bekanntlich von einer von König Antigonos veranstalteten Party davon (und wies Einladungen zum Besuch des königlichen Hofes zurück). Er brachte seine Argumente schnell vor und schüttelte den Kopf über unnötige rhetorische Schnörkel. Er war auch klug und witzig und machte es sich zur Gewohnheit, Fremde um Geld zu bitten, um andere davon abzuhalten, dieselbe Bitte an ihn zu richten. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sein frühes Leben voller Leichtigkeit und Reichtum ihn in irgendeiner Weise verdorben oder seinen Anspruch an Komfort aufgeblasen hätte. Wenn überhaupt, dann hat ihm der Verlust all dessen bewiesen, dass Geld ihm nur wenig bedeutete. In Athen wurde es fast zu einem geflügelten Wort, einen nüchternen, anspruchslosen und disziplinierten Menschen mit den Worten zu beschreiben: »Er ist noch genügsamer als Zenon der Philosoph!«

Nach seinen Studien bei Krates und dem der megarischen Schule angehörenden Philosophen Stilpon begann Zenon, selbst zu unterrichten – für einen ehemaligen Kaufmann passenderweise in der Agora selbst. Dort, inmitten der Läden, in denen die Menschen Waren kauften und verkauften, diskutierte Zenon mit ihnen über den wahren Wert der Dinge. Auf diesem buchstäblichen Marktplatz der Ideen bot er ihnen etwas an, das er für unverzichtbar hielt – eine engagierte Lebensphilosophie, die den Menschen helfen konnte, in einer oft turbulenten Welt Frieden zu finden. »Von den drei Arten des Lebens, dem kontemplativen, dem aktiven und dem rationalen«, schrieb Diogenes, »erklären die Stoiker, dass wir uns für Letzteres entscheiden sollten, weil ein rationales Dasein naturgemäß Kontemplation und Aktion hervorbringt.«

Zenon lernte, ein kreativer Lehrer zu sein, da er seine »Waren«, wie die Dinge nun mal lagen, inmitten so vieler anderer Händler anpries. Bei einem Abendessen mit einem Mann, der dafür bekannt war, so schnell so viel zu essen, dass nur noch wenig für seine Gäste übrigblieb, schnappte Zenon sich ein ganzes Tablett mit Fisch und tat so, als wolle er alles selbst essen. Als er den überraschten Blick seines Gastgebers bemerkte, fragte er: »Was müssen dann die, die bei Euch leben, leiden, wenn Ihr meine Völlerei nicht einen einzigen Tag lang ertragen könnt?«

Als ein junger Student zu viele Bewunderer anzog, befahl Zenon ihm, sich den Kopf zu rasieren, um sie fernzuhalten. Als ein anderer reicher und gutaussehender Student aus Rhodos Zenon um Unterricht bat – der ihn zweifellos an sich selbst in diesem Alter erinnerte –, wies er ihm einen Platz auf einer staubigen Bank zu, da er wusste, dass dadurch die Kleidung des Jungen beschmutzt werden würde. Später schickte er ihn zu den Bettlern, so, wie Krates ihn mit Suppe durch die Stadt geschickt hatte. Aber im Gegensatz zu Zenon, der seine Demütigungen ertragen und aus ihnen gelernt hatte, lief dieser Student einfach davon. Zenon glaubte, dass Selbstgefälligkeit das Haupthindernis für das Lernen sei, und in diesem Fall hatte er recht.

Zenon sollte schließlich in die sogenannte Stoa Poikile, wörtlich »bemalte Säulenhalle«, umziehen. Im fünften Jahrhundert vor Christus errichtet (die Ruinen sind noch heute sichtbar, etwa zweitausendfünfhundert Jahre später), war die bemalte Säulenhalle der Ort, an dem sich Zenon und seine Schüler zu Gesprächen trafen. Während seine Anhänger kurz Zenonianer genannt wurden, ist es Zenons Bescheidenheit und der Universalität seiner Lehren anzurechnen, dass die von ihm gegründete philosophische Schule letztendlich nicht seinen Namen trug. Stattdessen kennen wir sie heute als Stoizismus, eine Hommage an ihre einzigartigen Ursprünge.

Ist es nicht auch passend, dass die alten Stoiker eine Säulenhalle als ihren Namensgeber und ihr Zuhause wählten? Es war weder ein Glockenturm noch eine Bühne noch ein fensterloser Hörsaal. Es war ein einladendes, zugängliches Bauwerk, ein Ort der Kontemplation, der Besinnung und vor allem der Freundschaft und der Diskussion.

Es hieß, Zenon habe wenig Geduld für Müßiggänger oder große Egos in seiner Säulenhalle. Er wollte, dass seine Schüler aufmerksam und wissbegierig waren. Und diejenigen, die mit einem aufgeblasenen Selbstwertgefühl zu ihm kamen, verloren es entweder schnell oder wurden weggeschickt. Aber für diejenigen, die bereit und willens waren, war die Säulenhalle ein Ort, an dem sie lernen und unterrichtet werden konnten.

Leider ist uns keines seiner Werke erhalten geblieben, nicht einmal sein wichtigstes Werk, Der Staat, das die Ausführungen in Platons gleichnamigem Buch meisterhaft widerlegt hat. Was wir darüber wissen, stammt aus Zusammenfassungen von Menschen, die es gelesen haben. Von ihnen erfahren wir, dass die frühen Stoiker bemerkenswert utopisch waren. Vieles davon würde von späteren, pragmatischeren Stoikern verworfen werden, dennoch gaben Zenons frühe Ansichten einen Ton an, der auch heute noch zutreffend klingt, nämlich dass wir »alle Menschen als Teil einer Gemeinschaft und eines Gemeinwesens betrachten sollten, und dass wir ein gemeinsames Leben und gemeinsame Regeln haben sollten, selbst als eine Herde, die gemeinsam weidet und sich ein gemeinsames Weideland teilt.«

Zenon schrieb auch bekannte Essays über Erziehung, über die menschliche Natur, über Pflicht, Gefühle, das Rechtswesen, über den Logos und sogar einen Essay mit dem verlockenden Titel Homerische Probleme. Wovon könnte Von der ganzen Welt handeln? Wie wunderbar wäre es, Zenons Erinnerungen an Krates zu lesen? Leider haben wir von diesen Schriften nur das ein oder andere Fragment oder Zitat.

Selbst diese Fetzen reichen aus, um uns viel zu lehren. »Das Ziel des Lebens ist es, in Harmonie mit der Natur zu leben«, heißt es in Über die menschliche Natur, »was bedeutet, tugendhaft zu leben, denn die Natur führt uns zur Tugend.« Zenon wird auch die Urheberschaft des Ausdrucks zugeschrieben, dass der Mensch aus einem bestimmten Grund zwei Ohren und nur einen Mund bekommen habe. Er soll gesagt haben, dass es für einen Menschen kein unwürdigeres Verhalten gebe, als sich aufzuspielen, und dass dies für die Jugend in noch stärkerem Maße gelte. »Besser mit den Füßen zu stolpern«, sagte er einmal, »als mit der Zunge.«

Er war auch der erste, der die vier Tugenden des Stoizismus zum Ausdruck brachte: Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Weisheit. Er vertrat die Ansicht, dass diese Eigenschaften »untrennbar, aber doch eigenständig und verschieden voneinander sind«. Wir wissen nicht, wo oder wann Zenon diese vier Kardinaltugenden zum ersten Mal schriftlich festgehalten hat, aber wir können ihre Wirkung spüren – sie tauchen in den Werken und Entscheidungen fast aller Stoiker auf, die nach ihm kamen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Propheten wurde Zenon zu seiner Zeit respektiert und bewundert. Er wurde nicht verfolgt. Die Behörden hegten keine Ressentiments gegen ihn. Er erhielt die Schlüssel zur Stadtmauer von Athen und wurde noch zu Lebzeiten mit einer goldenen Krone und einer Bronzestatue bedacht.

Doch bei all der Verehrung, die Athen ihm entgegenbrachte und die er erwiderte, wusste Zenon, dass Heimat wichtig war. Nachdem er Geld für die Restaurierung einiger wichtiger Bäder in Athen gespendet hatte, bat er ausdrücklich darum, dass »von Kition« neben seinem Namen auf dem Gebäude eingemeißelt werden sollte. Er mag ein Weltbürger gewesen sein, ein Auswanderer, der sein Wahlzuhause Athen liebte, wo er ein halbes Jahrhundert lang lebte, aber er wollte nicht, dass vergessen wurde, woher er stammte.

Bei all seinen geistreichen Aussagen war das Einzige, was Zenon wirklich interessierte und was er zu lehren versuchte, die Wahrheit. »Die Wahrnehmung«, sagte er und streckte die Finger aus, »ist so wie dies« – was heißen sollte, sie sei groß und umfassend. Während er die Finger ein wenig krümmte und damit die Hand ein Stückchen schloss, sagte er: »Zustimmung«, was bedeutet, dass man beginnt, sich eine Vorstellung von etwas zu machen, »ist so wie dies«. Als er nun seine Hand zur Faust schloss, nannte er das »Verstehen«. Und als er schließlich eine Hand um die andere legte, nannte er diese Verbindung »Wissen«. Diese vollständige Verbindung, so sagte er, besitze nur der Weise.

In seinen Studien mit lebenden Lehrern wie Krates und in seinen Gesprächen mit den Toten – diese zufällige Begegnung mit Sokrates’ Lehren, die das Orakel vorhergesagt hatte – tanzte Zenon mit der Weisheit. Er erforschte sie in der Agora mit seinen Schülern. Er hatte auf langen Spaziergängen tief über sie nachgedacht und sie in Debatten erprobt. Sein eigener Weg zur Weisheit war ein langer Weg, etwa fünfzig Jahre vom Schiffbruch bis zu seinem Tod. Sie war nicht durch eine einzige Offenbarung oder Entdeckung gekennzeichnet, sondern durch harte Arbeit. Er schob sich langsam näher an sie heran, durch Jahre des Studiums und der Ausbildung, so, wie es uns allen ergeht. »Wohlbefinden wird durch kleine Schritte erreicht«, sollte er rückblickend sagen, »aber es ist wirklich keine kleine Sache.«

Wie bei vielen Philosophen strapazieren die Berichte über Zenons Tod zwar unsere Gutgläubigkeit, dennoch erteilen sie uns eine Lektion. Als er im Alter von zweiundsiebzig Jahren eines Tages die Säulenhalle verließ, stolperte er und brach sich schmerzhaft den Finger. Auf dem Boden liegend, scheint er beschlossen zu haben, dass der Vorfall ein Zeichen und seine Zeit gekommen sei. Er hieb auf den Boden und rezitierte eine Zeile von Timotheus, einem Musiker und Dichter aus dem vorangegangenen Jahrhundert:

Ich komme aus eigenem Antrieb; warum rufst du mich dann?

Anschließend hielt Zenon den Atem an, bis er aus diesem Leben schied.

KLEANTHES DER APOSTEL

* 330 v. Chr.

† 230 v. Chr.

aus Assos

 

Kleanthes mag unter Umständen nach Athen gekommen sein, die ebenso verzweifelt waren wie die von Zenon, dem Begründer der Philosophie, der Kleanthes sich schließlich widmen sollte, aber ihr beider Leben davor hätte nicht unterschiedlicher sein können. Während Zenon in Wohlstand hineingeboren wurde, auf das Leben eines Händlers vorbereitet war und zudem von klein auf Konflikte kannte, stammte Kleanthes aus einer kleinen Stadt an der ägäischen Küste – dem heutigen Nordwesten der Türkei –, die mit nichts aufwarten konnte als einer aufkeimenden wissenschaftlichen Lehre. Diese hatte sie Aristoteles’ Entscheidung zu verdanken, dort weniger als zwanzig Jahre vor Kleanthes’ Geburt seine erste Schule zu gründen.

Kleanthes erlebte keine plötzliche Katastrophe, keine Umkehrung des Schicksals wie jene, die Zenon zur Philosophie brachte. Stattdessen kam er völlig pleite in Athen an, nur sein Ruf als Boxer war ihm vorausgeeilt. Was ihn dorthin brachte, können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber man vermutet, dass es das war, was schon immer arme, aber aufgeweckte Jungen in die große Stadt gelockt hat: Chancen.

Mit nur wenigen Tageslöhnen in der Tasche begann Kleanthes, in Athen zu studieren und zu arbeiten. Aber am Anfang, so scheint es, arbeitete er hauptsächlich. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, schuftete er in einer Reihe von Gelegenheitsjobs, unter anderem als Wasserträger für die vielen Gärten der Stadt, die von Hand bewässert werden mussten. Man sah ihn nachts so häufig mit großen Wasserkrügen, dass er den Spitznamen »Wasserträger« oder »Phreantles« bekam. Im Griechischen bedeutet das »einer, der aus dem Brunnen schöpft« und ist zufällig auch ein Wortspiel mit dem Namen Kleanthes.

Wir wissen nicht, wie oder wann er Zenon traf, aber es erscheint wahrscheinlich, dass es durch Krates geschah, bei dem auch Kleanthes studierte. Interessant ist, dass Kleanthes, lange nachdem er sich einen Namen als aufstrebender Philosoph gemacht hatte, bei seiner physischen Arbeit blieb. Tagsüber studierte er hart und nachts arbeitete er noch härter.

Als misstrauische Bürger Athens meinten, Kleanthes – nun im mittleren Alter – sei in zu guter Verfassung für jemanden, der angeblich Tag und Nacht arbeitete, zerrten sie ihn vor Gericht, wo er Rechenschaft darüber ablegen sollte, wie er seinen Lebensunterhalt verdiene. Nur zu gern brachte er einen Gärtner, für den er Wasser holte, und eine Frau, deren Korn er mahlte, als Zeugen zu seiner Verteidigung vor Gericht. Der findige Kleanthes wurde nicht nur freigesprochen, er erhielt zudem hundert Drachmen – ein Vielfaches dessen, was er in seiner Tasche gehabt hatte, als er nach Athen gekommen war.

Die große Abfindung war eine Botschaft der Stadtältesten: Wir könnten mehr Leute wie diese gebrauchen. Jahrhunderte später haben wir immer noch nicht genug Leute wie ihn.

Die Arbeitsethik von Kleanthes war von einer unverkennbaren Ernsthaftigkeit geprägt. Und warum auch nicht? Ebenso wie das Leben erfordert Philosophie Arbeit – und das Büßen für ehrgeizige Ziele.

Dieses Ereignis sagt auch etwas über die übergroße Rolle aus, die die Philosophie in Athen zu spielen begonnen hatte. Heutzutage machen sich nur wenige Gedanken darüber, wie Harvard-Professoren sich das Auto, das sie fahren, leisten können oder wie ihr Privatleben aussieht. Aber in Athen im dritten Jahrhundert vor Christus waren diese radikalen Denker mehr als nur öffentliche Intellektuelle. Sie waren Stars. Alles, was sie taten, wurde mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtet. Ihre geistreichen Äußerungen wurden von Mensch zu Mensch weitergegeben, so wie heutzutage viele von uns Meme weiterreichen.

Trotz dieser Berühmtheit setzte Kleanthes nicht nur seine Arbeit fort, sondern lehnte sogar große finanzielle Zuwendungen von Gönnern ab, darunter vom mazedonischen König Antigonos II. Gonatas, der ihm helfen wollte, sich ganz seinen Studien widmen zu können.

Für Kleanthes rivalisierten Arbeit und Philosophie nicht miteinander. Sie waren zwei Seiten derselben Medaille, Bestrebungen, die sich gegenseitig förderten und befähigten. In John Steinbecks East of Eden (auf Deutsch erschienen unter dem Titel Jenseits von Eden) wird Lee, ein brillanter, in stoischer Philosophie bewanderter Geist gefragt, warum er sich mit dem niederen Beruf des Dieners selbst herabsetze. Er erwidert, dass der Beruf des Dieners eigentlich der perfekte Beruf für einen Philosophen sei: Er sei ruhig. Er sei einfach. Er lasse ihn Menschen studieren. Er gebe ihm Zeit zum Nachdenken. Er biete die Gelegenheit, wie jeder andere Beruf auch, Exzellenz und herausragendes Können zu erlangen.

In den vergangenen Jahrhunderten hat dieser Gedanke an Popularität eingebüßt, aber er bleibt eine gute Idee. Alles, was man gut macht, ist edel, egal, wie bescheiden es ist. Und vielleicht ist es sogar noch bewundernswerter, wenn man bei der Verfolgung dessen, was man wirklich liebt, bewusst auf seinen Status verzichtet.

So war es bei Kleanthes. Ein König fragte ihn einmal, weshalb er noch immer Wasser schöpfe. Seine Antwort ging in die gleiche Richtung:

Ist Wasser schöpfen alles, was ich tue? Grabe ich denn nicht? Gieße ich denn den Garten nicht? Oder unternehme aus Liebe zur Philosophie jede erdenkliche andere Arbeit?

Kleanthes liebte Arbeit und Philosophie gleichermaßen. Tatsächlich beschrieben die Menschen in der Antike seinen Fleiß genau mit diesem Wort: philoponia – die Liebe zur Arbeit. Wörtlich: eine bis ins Mark reichende Hingabe an ehrliche Arbeit. Natürlich nicht nur wegen des Geldes, sondern auch, um ein besserer Mensch zu werden.

Areios Didymos, der zur Zeit von Augustus, dem ersten römischen Kaiser, schrieb, erklärte, was nach Ansicht von Kleanthes bei unseren Bemühungen um Selbstvervollkommnung auf dem Spiel stand: »Alle Menschen haben von Natur aus zunächst Impulse für tugendhaftes Verhalten, sie sind laut Kleanthes wie ein halb fertiger jambischer Vers – wertlos, solange er nur halb vollendet ist, aber wertvoll, sobald er vollendet ist.«

Was hat diesen hart arbeitenden Mann überhaupt erst zur Philosophie gebracht? Wir sind uns nicht sicher. Hat er sie von Kindesbeinen an gekannt, da er unweit von Aristoteles aufwuchs? Hat ihm einer seiner wohlhabenden Kunden ein Buch darüber geschenkt? Begann er, als er älter wurde, etwas mehr vom Leben zu wollen? Lag dem eine zufällige Begegnung auf der Straße oder in derselben Buchhandlung wie bei Zenon zugrunde?

Der Ruf, einen tieferen Sinn im Leben zu suchen, herauszufinden, wie man am besten leben sollte, kann jeden jederzeit ereilen. Der Heilige Paulus hatte sein Erweckungserlebnis auf der Straße nach Damaskus; was es bei Kleanthes war, können wir nicht sagen. Es kommt vor allem darauf an, ob wir überhaupt auf den Ruf antworten – ob wir dieser Frage nachgehen, bis wir die Antwort finden oder zumindest bis wir unsere Antwort finden.

Doch was auch immer die Initialzündung gewesen sein mag, wir wissen, dass Kleanthes, nachdem er Zenon getroffen hatte, dessen Schüler wurde und es für neunzehn Jahre blieb. Wenn er bis zum Tod Zenons im Jahre 262 vor Christus dessen Schüler war, würde das bedeuten, dass Kleanthes seine philosophischen Studien erst mit fast fünfzig Jahren begann. Das ist ein langes, hartes Leben als Wasserträger, eine lange Zeit, in der er sich im Dunkel abmühen musste, bevor er den Weg zu spiritueller und geistiger Größe einschlug.

Vielleicht begann Kleanthes mit seinen Studien jedoch schon, als er noch jünger war, »graduierte« nach neunzehn Jahren und wechselte dann zu einer anderen Rolle innerhalb der boomenden Schule, die Zenon aufbaute. Jedenfalls begann er vermutlich in einem späteren Alter als Zenon (der nur vier Jahre älter war) mit der Philosophie.

Später definierte Kierkegaard die Unterscheidung zwischen einem Genie und einem Apostel. Das Genie bringt neues Licht und neue Werke in die Welt. Das Genie ist der Prophet, der Schöpfer. Als Nächstes kommt der Apostel – ein einfacher Mann (oder eine einfache Frau), der diese Botschaft vermittelt und verbreitet. Angesichts der Hingabe von Kleanthes an Zenon scheint es wahrscheinlich, dass die beiden nie auf Augenhöhe, niemals Ebenbürtige waren, sondern immer Lehrmeister und Schüler. Zenon, der Prophet. Kleanthes, der Apostel des Stoizismus.

Sicherlich war Kleanthes die Art von Schüler, die das Herz eines Lehrers erfreut. Die Art von Schüler, die sich hinsetzt und zuhört. Die sich nicht davor scheut, »dumme« Fragen zu stellen. Die Zeit und Mühe investiert. Die sich nie entmutigen lässt, auch wenn sie manches langsamer begreift als andere Schüler.

Im Laufe von fast zwanzig Jahren muss Kleanthes Tausende von Stunden in der Stoa Poikile gesessen haben, nicht nur, um sich Debatten und Diskussionen anzuhören, sondern auch mit einem Platz in der ersten Reihe, als die frühen Prinzipien des Stoizismus festgelegt wurden. Er war dabei, als Zenon den Lehrplan des Stoizismus in drei Teile teilte: Physik, Ethik und Logik. Er dürfte Zenon über die von Herakles getroffene Wahl zwischen einem Leben, das dem Vergnügen gewidmet war, und einem tugendhaften Leben lästern gehört haben – die Passage in Xenophons Memorabilien, die Zenon zum ersten Mal in der Buchhandlung gehört hatte und die ihn so verändert hatte. Kleanthes war wie ein Schwamm, der all das in sich aufsog. Ganz eindeutig glaubte er die ganze Zeit über, dass er noch viel zu lernen habe, denn niemand mit einem großen Ego könnte zwei Jahrzehnte lang Schüler bleiben.

Aufgrund seines Alters und seiner methodischen, einem Arbeiter entsprechenden Herangehensweise wurde Kleanthes manchmal als langsamer Lerner verspottet und von anderen Schülern als »der Esel« bezeichnet. Wenn er so beleidigt wurde, antwortete er gern, dass es ihm nichts ausmache, mit einem Esel verglichen zu werden, weil er, wie das Lasttier, stark genug sei, die intellektuelle Last zu tragen, die Zenon seinen Schülern aufbürde. Zenon hingegen wählte eine großzügigere Analogie: Kleanthes sei wie eine harte Wachstafel, die zwar schwierig zu beschreiben sei, aber das, was darauf aufgezeichnet sei, gut bewahre.

Langsam begann Kleanthes, sich einen eigenen Namen zu machen – obwohl es unmöglich ist, zu wissen, wann er anfing, selbst zu schreiben und zu publizieren. Einige der ersten Reaktionen, die er erhielt, waren nicht positiv. Der satirische Dichter Timon von Phleius parodierte ihn als einen Einfaltspinsel, der über geschriebenen Textzeilen brüte wie ein General, der seine Soldaten begutachte:

Wer ist das, der wie ein Schafsbock über die Reihen der Krieger reicht? Ein Mastikator des Wortes, der Stein von Assos, eine träge Platte.

Tatsächlich war Assos berühmt für seine Steinbrüche und seinen harten weißen Stein, aus dem antike Särge hergestellt wurden. Wenn ein Satiriker jemanden ins Visier nimmt und nur die Liebe zur Sprache zu kritisieren findet, dürfte das eher etwas Positives über den Charakter desjenigen aussagen.

Das traf auf Kleanthes zu. Er war ruhig. Besonnen. Fleißig. Eins mit seiner Philosophie. Und seinem Geld.

Geld, das mit harter Arbeit verdient wird, sollte man nicht leichtfertig ausgeben, und Kleanthes trennte sich nicht ohne Weiteres von seinem Lohn oder der damit verbundenen Sicherheit. Plutarch bewunderte die Sparsamkeit von Kleanthes und seinen Wunsch, seine finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren. Ich trage weiterhin Wasser, lässt er Kleanthes sagen, um nicht die Lehre Zenons und auch nicht die Philosophie zu enttäuschen. Es hieß, dass Kleanthes seinen Lehrer unterstützte und dass Zenon einen Teil von dessen Lohn an sich nahm, wie es das Athener Gesetz für Herren und ihre Sklaven vorschrieb. Und obwohl Kleanthes diese Abgaben leistete, scherzte Zenon, er sei so diszipliniert, dass ihm genug übrigbliebe, »um einen zweiten Kleanthes durchzubringen, wenn er wollte«.

Es ist klar, dass Kleanthes Schulden und Luxus verabscheute und die Freiheit eines bescheidenen Lebens der Sklaverei der Extravaganz vorzog. In Athen hieß es, niemand sei genügsamer als Zenon, aber Kleanthes trug mehr dazu bei, das stoische Bild des Gleichmuts gegenüber Schmerz oder mangelndem Komfort sowie der Abneigung gegen Luxus zu etablieren. Einmal wehte der kalte Wind seinen Umhang so weit auf, dass man sehen konnte, dass er nicht einmal ein Hemd darunter trug, eine Meisterleistung der Askese, der die Passanten spontan applaudierten. Kleanthes galt als so genügsam, dass er Zenons Lehren angeblich auf Austernschalen und den Schulterblattknochen von Ochsen aufzeichnete, um die Kosten für Papyrus einzusparen. Diese Behauptung ist zweifellos eine Übertreibung, denn Diogenes hat festgehalten, dass Kleanthes fünfzig Bücher geschrieben hat, viele davon in mehreren Bänden, und sieben weitere sind uns von anderen Autoren bekannt. Man könnte allerdings spekulieren, dass er beim Kauf von Papyrus gespart hat, bis er es für den bestmöglichen Zweck verwenden konnte – um Weisheit für ganze Generationen festzuhalten.

Ein junger Spartaner, der mit Entbehrungen und in einer Kultur des Soldatentums aufgewachsen war, fragte Kleanthes einmal, ob Schmerz etwas sei, das man vermeiden könne, oder ob er mit der richtigen Ausbildung und unter den richtigen Umständen als gut angesehen werden könne. Das war Musik in Kleanthes’ Ohren. Er zitierte die Odyssee und antwortete:

Du bist von gutem Blut, liebes Kind, so freundlich wie du redest.

Für Kleanthes war das Leiden – wenn es jemanden traf, der nach Tugendhaftigkeit strebte – etwas Gutes und kein Übel. Und er lebte danach. Er drückte sich weder vor Mühsal noch vor Unannehmlichkeiten. Tatsächlich scheint er sie fast gesucht zu haben, zur Bewunderung, aber auch zur Verblüffung seiner Mitbürger. Es kam natürlich darauf an, wohin diese Willensstärke gelenkt wurde. Aus Kleanthes’ Sicht sollten wir danach streben, diese vier Tugenden, von denen Zenon gesprochen hatte, zu meistern:

Diese Kraft und Stärke ist die Weisheit, wenn sie in offensichtlichen Dingen liegt, an denen man festhalten sollte; wenn sie in zu erleidenden Dingen liegt, ist sie Tapferkeit; wenn es um Würdigkeit geht, ist es Gerechtigkeit; und wenn es um Wählen oder Ablehnen geht, ist es Besonnenheit.

Kurz gesagt: Tapferkeit. Gerechtigkeit. Besonnenheit. Weisheit.

Kleanthes, der »Wasserjunge« mittleren Alters, »der Esel«, die Felsplatte von Assos, de facto ein Sklave seines Meisters Zenon, erlangte bei seinen Mitbürgern langsam den Ruf, ein neuer Herakles zu sein. Doch wie der Dichter Timon nur als Erster veranschaulichte, wird das Schicksal jeder vorbildlichen Persönlichkeit von Parasiten verspottet, so, wie der große Stier von Fliegen heimgesucht wird.

Mit diesem neu gewonnenen Respekt kam auch mehr Kritik, zumal die Philosophie populärer wurde. Zenon und Kleanthes und ihre Schüler lebten anders, dachten anders und hielten sich nicht nur im Vergleich zur Bevölkerung von Athen, sondern auch im Vergleich zu ihren Mitmenschen, die nach Weisheit suchten, an ganz andere Maßstäbe. Während andere Schulen hinter geschlossenen Mauern oder Türen debattierten, hatten die Stoiker die Philosophie auf die Straße gebracht. Das gab ihnen eine größere Wirkung und machte sie zur Zielscheibe.

Kleanthes ging mit seinen Kritikern um, wie er mit allen Widrigkeiten umging – er sah sie als Gelegenheit, das zu praktizieren, was er predigte. Einmal, als er in einem Theater saß, griff ihn der Dramatiker Sositheus von der Bühne aus an, indem er sich über diejenigen ereiferte, die »von Kleanthes’ Torheit getrieben wie dumme Herden« seien. Kleanthes saß mit versteinerter Miene da, und das Publikum war so erstaunt über seine Ruhe, dass es seine Selbstdisziplin mit Applaus bedachte und den Dramatiker damit von der Bühne vertrieb. Als Sositheus nach der Vorstellung um Verzeihung bat, akzeptierte Kleanthes die Entschuldigung bereitwillig und sagte, dass größere Persönlichkeiten als er schon schlimmere Beschimpfungen durch Dichter erlitten hätten und dass es verrückt wäre, wenn er sich aufgrund einer so geringfügigen Kränkung beleidigt fühlen würde.

Dies überraschte diejenigen, die Kleanthes kannten, überhaupt nicht, da er sich selbst die höchsten Standards auferlegte. Was einige als Feigheit oder Übervorsicht bezeichneten, definierte er besser, nämlich als Gewissenhaftigkeit, und er glaubte, sie sei der Grund dafür, dass er so wenige Fehler machte. Es war nicht ungewöhnlich, dass er die geringsten Fehler seiner selbst unter die Lupe nahm oder lautstark mit sich schimpfte, wenn er durch die Straßen von Athen ging. Als ein anderer von Zenons Schülern, Ariston von Chios (siehe »Ariston der Herausforderer«), ihn dabei hörte, fragte er, mit wem er spreche, und Kleanthes lachte und sagte: »Mit einem alten Mann mit grauem Haar und ohne Verstand.«

Diese Art des Selbstgesprächs war eine Kernpraxis der Stoiker und nicht immer negativer Natur. Einmal hörte Kleanthes einen einsamen Mann, der mit sich selbst sprach, und sagte freundlich zu ihm: »Du sprichst nicht mit einem schlechten Mann.« Das heißt, das Selbstgespräch muss streng, darf aber niemals verletzend sein. Es scheint, dass seine Genügsamkeit und seine Arbeitsethik in eine ähnliche Richtung gingen. Er war knallhart. Er war streng. Aber er fand keinen Gefallen an Selbstbestrafung.

Der Humor der Stoiker wird unterschätzt. Für Kleanthes war er zweifellos ein unabdingbares Werkzeug, sowohl bei der Reaktion auf Kritik als auch bei der Entwaffnung derer, die er kritisieren musste. Im Gespräch mit einem jungen Mann, der seinen Standpunkt nicht zu begreifen schien, fragte er: »Verstehst du es?« Ja, natürlich, antwortete dieser. »Warum«, so fragte Kleanthes, »verstehst du dann nicht, dass du es verstehst?« Als Kleanthes hörte, wie sich seine Stoiker-Kollegen über einen prominenten Kritiker des Stoizismus, Arkesilaos, beschwerten, der mit ihren Lehren über die Rolle der Pflicht (kathekon) nicht einverstanden war, sprang Kleanthes ihm zur Verteidigung bei und sagte, dass Arkesilaos allem Anschein nach ein pflichtbewusstes Leben führe. Als Arkesilaos hörte, dass Kleanthes ihn verteidigte, sagte er: »Ich bin nicht leicht durch Schmeicheleien zu gewinnen.« Woraufhin Kleanthes scherzte: »Stimmt, aber meine Schmeicheleien bestehen darin, zu behaupten, dass deine Theorie mit deiner Praxis unvereinbar ist.«

In ihrer gesamten Geschichte nutzten Stoiker diese Art von Humor, um Klagen oder Schuldzuweisungen zu vermeiden und um ein Beispiel dafür zu geben, wie unser alltägliches Handeln mit unseren Worten in Einklang gebracht werden sollte. Plutarch erzählt uns in seinem Aufsatz Wie man den Schmeichler vom Freund unterschiedet, dass Arkesilaos den Respekt, den Kleanthes ihm entgegenbrachte, dadurch erwiderte, dass er einen Schüler namens Baton aus seinem Klassenzimmer verbannte, weil er einen herabsetzenden Reim über Kleanthes verfasst hatte, und Baton erst wieder in seine Schule ließ, nachdem der sich bei seinem Opfer entschuldigt hatte. Wir können uns vorstellen, dass Kleanthes das Verzeihen leichtfiel und dass er das Gedicht vermutlich mit einem gewissen Vergnügen las.

Wie sein Lehrmeister Zenon war auch Kleanthes ein Mann, der es vorzog, zuzuhören statt zu reden, und der von seinen Schülern das Gleiche erwartete. Während Zenon sagte, dass wir aus einem bestimmten Grund zwei Ohren und einen Mund bekommen hätten, zog Kleanthes es vor, aus Elektra zu zitieren:

Schweig, schweig und tanze.

Tatsächlich lautete seine Kritik an den Peripatetikern (den Anhängern des Aristoteles), dass sie sich nicht von einem Musikinstrument wie der Leier unterschieden, da sie zwar schöne Klänge erzeugten, aber niemals in der Lage waren, mit eigenen Ohren zu hören.

Auch wenn Kleanthes ein guter Zuhörer und in seinem Denken oft langsam und vorsichtig war, bedeutet das nicht, dass er nicht auch ein Kommunikator war. Zenon verließ sich mehr und mehr auf seinen fleißigen Apostel, zumal die Stoiker unter Angriffen von rivalisierenden Schulen litten. Wie schwierig es für diesen Pfennigfuchser auch gewesen sein mag, Geld für Schreibmaterial zu verprassen, so wissen wir doch, dass in mehreren der über fünfzig Bücher von Kleanthes die stoische Herangehensweise an alle möglichen Themen besprochen und erklärt wurde. Diogenes listet viele seiner Bücher auf, aber einige wenige stechen heraus:

Von der Zeit

Von der Naturphilosophie Zenons (zwei Bände)

Auslegungen der Philosophie des Heraklit (vier Bände)

Vom Gefühl

Über die Lebensgemeinschaft mit der Frau

Von der Dankbarkeit

Von der Freundschaft

Von der These, dass die Tugend beim Mann und beim Weibe dieselbe sei

Vom Vergnügen

Vom Eigenen

Es ist eine Tragödie der Geschichte, dass all diese Bücher verloren gegangen sind. Allein schon an den Titeln lässt sich erkennen, dass dieser Mann kein störrischer Esel war, dass seine Interessen vielfältig waren und dass er einen Verstand hatte, der Herausforderungen liebte. Wenn er ein Thema fand, das ihm gefiel, nahm er es mit Tatkraft in Angriff. So schrieb er mehrere Bände über Physik, Heraklit, Impulskontrolle, Pflicht und Logik. Nichts interessierte Kleanthes mehr als Ethik – diesen Mann, der Geschenke von Königen ablehnte –, daher sollte es uns nicht überraschen, dass sich etwa die Hälfte seiner bekannten Werke speziell damit befasst, wie wir uns verhalten sollten.

Merkwürdigerweise befinden sich unter Kleanthes’ Schriften, die unmittelbar von ihm erhalten geblieben sind, hauptsächlich seine poetischen Fragmente.[3] Sie sind voller schöner Zeilen, die uns Einblicke in seine einzigartige Kombination aus Entschlossenheit und Akzeptanz geben. »Das Schicksal leitet denjenigen, der willens ist«, schreibt er in einem kurzen Fragment, »und schleift den Unwilligen hinter sich her.«

In einem anderen Gedicht, das mehr als drei Jahrhunderte später von Epiktet (und davor von Seneca) wiedergegeben wurde, heißt es:

Führet mich weiterhin, Gott und Schicksal,

zu diesem Ziel, das schon so lange für mich feststeht.

Ich werde folgen und nicht wanken; auch wenn mein Wille

schwach ist, werde ich unermüdlich weiterkämpfen.

Kleanthes liebte die Herausforderung der Poesie und glaubte, dass die »einengenden Regeln« des Mediums es ihm erlaubten, die Menschen auf eine tiefgreifende und bewegende Weise zu erreichen. Er zog dazu die Analogie zu der Art und Weise, wie eine Trompete unseren Atem zu einem brillanten Klang bündelt. Auch dies wäre eine metaphorische Einsicht, die für den Stoizismus zentral bleibt: dass Hindernisse und Einschränkungen – wenn man richtig auf sie reagiert – Möglichkeiten für Schönheit und Vortrefflichkeit schaffen.

In einem kurzen Gedicht gibt er uns eine aussagekräftige Definition dessen, was »gut« ist und wie es aussehen sollte:

Wenn du fragst, was die Natur des Guten ist, so höre zu:

Sie ist gesetzmäßig, gerecht, heilig, gottesfürchtig,

Eigenverantwortlich, nützlich, anständig, passend,

Bedeutungsvoll, unabhängig, immer dienlich,

Sie spürt weder Angst noch Trauer, ist gewinnbringend, schmerzlos,

Hilfreich, wohltuend, sicher, freundlich,

Hochgeachtet, in Übereinstimmung mit sich selbst: ehrenhaft,

Bescheiden, vorsichtig, sanftmütig, pflichteifrig,

beständig, tadellos, immerwährend.

So schön die Sprache auch ist, noch wichtiger ist, dass diese Worte ein perfektes Selbstporträt des Mannes waren. Es waren Worte, nach denen er lebte – und nach denen auch wir uns richten sollten.

Seneca sagte einmal, dass zwar jeder von uns die Macht habe, zu leben, dass aber niemand die Macht habe, lange zu leben. Kleanthes, der zweithöchste Kopf der stoischen Schule, muss dementsprechend vom Glück gesegnet gewesen sein. Denn er lebte nicht nur gut, sondern wurde genau einhundert Jahre alt und damit wahrscheinlich der Älteste aller Stoiker.

Bis zum Schluss behielt er seinen Humor bei. Wenn man ihn als alten Mann verspottete, scherzte er, dass er jederzeit bereit sei, abzutreten, aber angesichts seiner guten Gesundheit und der Tatsache, dass er noch schreiben und lesen könne, könne er genauso gut abwarten. Als er sich seinem hundertsten Geburtstag näherte, begann sein Körper jedoch, ihn im Stich zu lassen. Auf Anraten von Ärzten, die versuchten, sein stark entzündetes Zahnfleisch zu behandeln, fastete Kleanthes zwei Tage lang.