DAS LEBEN HATTE ICH MIR ANDERS VORGESTELLT - Das glückliche Drama einer Trennung - Eva Adam - E-Book

DAS LEBEN HATTE ICH MIR ANDERS VORGESTELLT - Das glückliche Drama einer Trennung E-Book

Eva Adam

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Beschreibung

Lina lebt ein vermeintlich normales, glückliches Leben als verheiratete Mutter, bis ihr Mann sie eines Tages Hals über Kopf für eine jüngere Frau verlässt und mit Schulden sitzen lässt. Plötzlich ist sie gezwungen, ihr privilegiertes Leben aufzugeben, sich als alleinerziehende, berufstätige Mutter durchzukämpfen und in ihr Elternhaus zurückzukehren, wo der alte Konflikt mit ihrer gefühlskalten Mutter Hilde wieder aufflammt. Und auch ihr ungeliebter Beruf als Krankenschwester bringt einige Probleme mit sich. Immer tiefer fällt Lina in ein Loch aus Selbstzweifeln, Zorn auf ihren untreuen Ehemann, Existenzängsten und Einsamkeit. Wie kann ein Neuanfang nach einer persönlichen Katastrophe gelingen? Wer oder was muss sich ändern, um ein solches Tief wieder zu überwinden? Eine Geschichte über Tiefschläge, Veränderungen, neue Wege, Glück, den Tod und das Leben.

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Das Leben hatte ich mir anders vorgestellt

– das dramatische Glück einer Trennung

Roman

Eva Adam

Impressum

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-753-2

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Das Leben hatte ich mir anders vorgestellt– das dramatische Glück einer Trennung
Impressum
Kapitel 1 – Ein ganz »normales« Leben
Kapitel 2 – Das Ende
Kapitel 3 – Endstation?
Kapitel 4 – Freiwild
Kapitel 5 – Single!
Kapitel 6 – Grand Filou
Kapitel 7 – Herr Weber
Kapitel 8 – Gibt es einen Sinn im Leben?
Kapitel 9 – Perspektiven
Kapitel 10 – Alleinsein
Kapitel 11 – Fassaden
Kapitel 12 – Bass-Box
Kapitel 13 – Ziellinie
Kapitel 14 – Alles fließt
Über die Autorin

Kapitel 1 – Ein ganz »normales« Leben

»You to me are everything, the sweetest song that I can sing … oh Baby …« Aus voller Kehle gröle ich übermütig meinem Spiegelbild entgegen und versaue schon wieder meinen Lidstrich, weil ich ausgelassen tanze. Aber was soll‘s, so bin ich eben, tollpatschig, aber dafür unendlich glücklich.

In einer halben Stunde holen mich meine Mädels ab. Ich bin schon mächtig neugierig. Was sie wohl mit mir vorhaben?

Heute ist mein Junggesellinnen-Abschied und in einer Woche werde ich heiraten. Ja, tatsächlich: ICH werde heiraten!

In Gedanken sehe ich mich, wie so oft in den letzten Tagen, in meinem weißen, wundervollen Brautkleid in der Kirche, wie ich anmutig auf meinen zukünftigen Ehemann Christian zuschreite. Bei meinem Anblick schießen ihm sofort Tränen der Rührung in die Augen, soweit meine Vorstellung. Prompt spüre ich wieder dieses Kribbeln im Bauch. Ach, wie schön doch das Leben ist! Bald werde ich Frau König sein. »Gestatten, Karolina König« – das hört sich verdammt gut an, finde ich. Auch wenn Karolina nicht unbedingt mein Wunschname ist. Aber meiner Mutter Hilde gefiel der Name wohl so gut, dass mein Vater wieder einmal nachgegeben hatte. Eigentlich wollte sie eine Lina haben, aber unsere gewissenhafte bayerische Standesbeamtin im Dorf, hatte mit Mutti Hilde darüber mehrere Stunden lang diskutiert, dass Lina lediglich eine Abkürzung sein kann. Darum heiße ich nun laut Personalausweis Karolina, aber alle nennen mich Lina. Zumindest die, die nicht meinen ungeliebten Spitznamen gebrauchen. Da kann ich eigentlich noch froh sein, ich hätte ja schließlich auch Inga heißen können, bei Mamas großem Faible für alles aus Schweden.

Meine Freunde sagen allerdings sowieso meistens Brandy zu mir, aber damit habe ich mich inzwischen längst arrangiert. Abgewöhnen konnte ich es ihnen bisher leider eh nicht ganz. Wer mich nicht kennt, denkt wahrscheinlich sofort, ich wäre ein großer Fan dieser Spirituose oder ich hätte ein grundsätzliches Alkoholproblem. In Wirklichkeit vertrage ich so gut wie gar nichts Hochprozentiges. Deshalb versuche ich mich eigentlich immer zurückzuhalten. Meistens gelingt mir das auch.

Zu Brandy wurde ich mit 13 Jahren, als meine nigelnagelneue, rote Daunenjacke Feuer fing. Mama ist seit jeher eine leidenschaftliche Schnäppchenjägerin, vor allem wenn es früher um meine Garderobe ging. Mit Graus erinnere ich mich noch an die scheußlichen Kleider meiner Cousine Annette zurück, die ich auftragen musste. Mein Bruder wurde dagegen immer neu eingekleidet. Wahrscheinlich weil wir keinen älteren Cousin in der Familie hatten, der ihm seine abgelegten Hosen weitervererben konnte. Jedenfalls erstand Mama Hilde diesen neuen Anorak am selben Tag seiner Zerstörung, im Winter-Schluss-Verkauf zum Supersonderpreis.

An diesem denkwürdigen Abend wurde im Dorf das jährliche »Schneeverbrennen« veranstaltet, was nichts anderes ist, als ein lockeres Beisammensein der Dorfgemeinschaft zum Ende des Winters. Schnee wird dabei überraschenderweise nicht verbrannt, aber trotzdem gibt es jedes Jahr ein respektables Lagerfeuer, um das sich die Dorfjugend gerne gruppiert, so auch ich.

Allerdings »gruppierte« ich mich damals etwas zu nah an der Feuerstelle und schwups – brannte ich, beziehungsweise meine neue, hochwertige und supergünstige Daunenjacke in Sekundenschnelle lichterloh. Ich glaube heute noch, es war eigentlich chinesische Ausschussware mit was-weiß-ich welchen entzündlichen Inhaltsstoffen, von wegen 1a-Qualität. Aber bei meiner Ausstattung hatte Mama von jeher sehr gerne gespart.

Alle Menschen um mich herum erschraken damals so sehr, dass sie reflexartig all ihre Getränke (sowohl alkoholisch als auch antialkoholisch), die sie gerade in Händen hielten, über mich kippten und mich samt meiner Winterbekleidung löschten. Noch am nächsten Tag verbreitete ich ein ausgesprochen würziges Aroma, das an geräucherten Schinken und lange gereiften Weinbrand erinnerte. Seitdem nennt mich das halbe Dorf Brandy. Zum Glück ist nicht mehr als ein Teil meines Pferdeschwanzes und eben diese blöde Daunenjacke verbrannt. Es hätte ja auch noch viel Schlimmeres passieren können. Aber anstatt froh über die Unversehrtheit ihrer einzigen Tochter zu sein, machte mir meine Mutter noch viele Monate später große Vorwürfe. Dieser absolut hochwertige, aber zusammengeschmolzene »Haufen« Polyester, welchen sie so unglaublich günstig als Einzelstück erworben hatte, lag ihr anscheinend sehr am Herzen.

Irgendwie passieren mir leider des Öfteren derartige Dinge, dagegen bin ich machtlos. Ich rede mir zwar selbst oft gut zu und deklariere meine Tollpatschigkeit als liebenswert. Jedoch kann mein persönliches Lina-Chaos für meine Umwelt teilweise ziemlich anstrengend werden, darüber bin ich mir durchaus bewusst. Mama trieb dies wohl im Laufe meines 26-jährigen Lebens schon etliche Male an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.

Mein großer Bruder Anton ist eher das Gegenteil von tollpatschig. Vielleicht dafür ein wenig langweilig, aber ich liebe ihn trotzdem mit Haut und Haaren. Er war immer der Vorzeigesohn meiner Eltern, besonders der meiner Mutter. Anton hat sogar studiert und besteigt nun als Ingenieur in einem großen Maschinenbauunternehmen eine steile Karriereleiter, aufwärts versteht sich. Ich bin sehr froh, ihn zu haben, denn immer, wenn ich wieder einmal versehentlich und völlig unbeabsichtigt in eine dieser Lina-Bredouillen gerate, hilft er mir meist den Schaden zu begrenzen. Außerdem hat er das herausragende Talent, meine ziemlich hysterische Mutter zu beruhigen wie kein anderer.

Leider hatte mir Anton dafür eine nicht unbedingt sympathische Schwägerin beschert: Beate. Ich weiß bis heute nicht, was er an ihr findet. Alles an ihr ist perfekt, meint zumindest Beate selbst. Mit ihrer rechthaberischen, hochnäsigen Art hat sie mein Herz nicht gerade im Sturm erobert. Bei sämtlichen Familienfeiern erscheint Beate immer perfekt gestylt und lästert öffentlich über all diejenigen, die dies in ihren Augen nicht sind, was in 99 % der Fälle auf mich zutrifft. Aber Anton scheint glücklich mit ihr zu sein und das ist für mich die Hauptsache.

Auch ich werde, oder vielmehr bin bereits, sehr glücklich mit meinem zukünftigen Ehemann. Christian König oder »König Christian der Erste«, wie ihn seine Freunde manchmal nennen, ist einfach perfekt. Er hat nicht einmal einen peinlichen Spitznamen, so wie meine Wenigkeit. Er wird höchstens manchmal als »Fußballgott« bezeichnet, aber das ist ja nicht unbedingt peinlich. Chris ist mein absoluter Traummann. Groß und stattlich, mit vollem dunklem Haar, stahlblauen Augen und einem Körper wie ein griechischer Gott. Man sieht ihm schon von Weitem an, dass er sportlich ist. Seit Jahren ist er der Starstürmer unserer Dorf-Fußballmannschaft. Früher spielte er sogar in einer ziemlich hohen Amateurligaklasse, er war sogar eine Art Halbprofi. Dass er nun in unserem Örtchen, in einer durchschnittlichen Provinz-Mannschaft, in einer mittelmäßigen Kreis-Amateurliga, DER Fußballgott schlechthin ist, ist eigentlich logisch.

Irgendwie kann ich es immer noch nicht fassen, dass er mich gefragt hat, ob ich seine Frau werden will.

Alle himmeln ihn an, Frauen und Männer in allen Alterskategorien, aber er gehört nur MIR – MIR allein!

Früher hatte er durchaus wilde Jahre durchlebt und musste sich austoben. So etwas bekommt man natürlich mit, wenn man in einem kleinen Dorf wohnt. Aber nun hat er mit mir seinen Hafen gefunden, seine Festung, sein Ziel, seine Heimat.

Ach, unser Leben wird so wundervoll werden. Die nächsten Jahre werden wir in vollen Zügen genießen. Wir werden uns die ganze Welt ansehen. Ich träume regelmäßig von romantischen Sonnenuntergängen in der Karibik und abenteuerlichen Expeditionen durch Urwälder und Gebirge, die ich Hand in Hand mit meinem Traummann erleben werde.

Dass ich mir bei einer Alpenüberquerung oder einem Segeltörn wahrscheinlich den Fuß brechen werde oder mich versehentlich selbst mit dem Segel K.O. schlagen könnte, blende ich bei meinen Tagträumen lieber aus.

Mit Chris werde ich mein Leben auskosten und wir werden es uns richtig gut gehen lassen, so hatten wir es besprochen. Schließlich sind wir noch jung. Vor zwei Monaten habe ich meinen 26ten Geburtstag gefeiert und Chris ist auch nur zwei Jahre älter als seine Zukünftige, also ich.

Und irgendwann, wenn wir genug vom Weltenbummeln haben, gründen wir eine kleine, süße Familie. Zwei schnuckelige Kinder, die fröhlich lachend in unserem großen Garten vor unserem modernen, stylischen Haus toben werden … ja, so wird es werden, ich sehe es ganz deutlich vor mir!

Christian möchte zwar nur ein Kind, aber da werde ich ihn sicher mit »schlagkräftigen Argumenten« überzeugen können. Bei diesem Gedanken huscht ein Schmunzeln über mein Gesicht und sogleich erröte ich ganz automatisch.

Ja, ich bin mir sogar sicher, dass ich ihn überzeugen kann. Der Sex mit Chris ist ein Traum. Und! Er kann nicht genug von mir bekommen. Ich muss nur an seinem Ohrläppchen knabbern oder an seinem Hals entlang zarte Küsse auf seine Haut hauchen und sofort wird er zu meinem wilden, leidenschaftlichen Tiger. Ich muss wohl eine wirklich große Wirkung auf seine Libido haben.

Vor Christian hatte ich zwar nur mit einem einzigen Mann geschlafen, aber das war damals eine ausgesprochene Katastrophe. Ein Desaster, das seines Gleichen sucht. Ich war sogar kurz davor, die Sache mit dem Sex vollständig aufzugeben. Wenn ich daran nur denke, stellen sich alle Haare an meinen Armen gleichzeitig auf und die gerade eben aufgekommene erotisierende Hitzewallung kühlt sofort auf Wintermodus herunter.

Michael hieß er, und als ich ihn zum ersten Mal geküsst habe, hätte ich eigentlich schon die Notbremse ziehen sollen. Reflexartig wische ich mir über den Mund und vorsorglich auch noch über das Kinn, bei dem Gedanken an seine feuchte Kusstechnik. Gott sei Dank kam dann Christian vor vier Jahren in mein Leben. Mit ihm habe ich das große Los gezogen. Mein persönlicher Hauptgewinn wird in sieben Tagen aus Fräulein Baumgartner - Frau Karolina/Lina/Brandy König machen.

Eigentlich kennen wir uns schon ewig, Chris und ich. Wir sind im selben Dorf aufgewachsen - da kennt man sich sozusagen von Geburt an. Aber der Faschingsball vor vier Jahren hatte uns schließlich zusammengeführt und seitdem sind wir ein Paar. Vor sechs Wochen haben wir unsere erste gemeinsame Wohnung bezogen, wobei Chris eigentlich sowieso schon lange bei mir in meinen zwei Zimmern im Dachgeschoss meiner Eltern gewohnt hatte. Auch wenn so eine eigene Wohnung schon sehr angenehm ist, manchmal bin ich immer noch gerne bei meinen Eltern zu Hause, so auch heute. So wirklich eingezogen sind wir noch immer nicht. Irgendwie hatte Chris noch nicht die Zeit gefunden, aber ich werde das demnächst selbst in die Hand nehmen. Das wird alles werden, wenn wir erst einmal eine gewisse Zeit zusammenwohnen, davon bin ich überzeugt. Christian hat momentan wirklich viel um die Ohren, mein armer Schatz. Er ist ausgebildeter Versicherungskaufmann. Eigentlich hatte Chris einen guten Job in einer kleinen Stadt, nicht weit entfernt von unserem Dorf. Aber eine Versicherungsagentur im Ort hatte ihm vor ein paar Monaten ein tolles Angebot als Bereichsleiter unterbreitet. Klar, dass er das angenommen hat. Fast alle seine Fußballkumpels haben daraufhin die Versicherung gewechselt. Mein Chris kann eben sehr überzeugend sein, denke ich stolz. Das bedeutet allerdings nun viel Arbeit für ihn, andererseits natürlich auch mehr Geld. Jetzt kann er sich auch bald an unserer Miete beteiligen.

Mein eigener Beruf macht mir leider nicht wahnsinnig großen Spaß, obwohl ich auch nicht todunglücklich bin. Es ist halt ein Job und auch ich muss von etwas leben.

Die Bezahlung als Krankenschwester ist nicht die Basis für ein Luxusleben, aber es gibt durchaus Schlimmeres. Die Patienten sind in den meisten Fällen recht dankbar für meine Arbeit und unser Team ist auch ganz okay. Manchmal gibt es leider auch etwas dunklere Tage, an denen sich von Zeit zu Zeit menschliche Schicksale direkt vor meinen Augen abspielen. Die ganze Sache mit dem Tod und der Endlichkeit des Lebens kann ich noch nicht so ganz akzeptieren, diese Gedanken schiebe ich jedes Mal gleich ganz weit von mir. Aber unterm Strich arbeite ich schon gerne auf Station III in der Klinik an der Donau.

Lina, 7 Jahre:Wenn ich einmal groß bin, dann werde ich Prinzessin! Den ganzen Tag werde ich mit glitzernden Kleidern in meiner goldenen Kutsche durch die Gegend fahren und meine Diener werden mir jeden Wunsch von den Augen ablesen.

Lina, 26 Jahre:Wenn ich nach der dritten Nachtschicht in Folge, frühmorgens auf der Station, die zweite Bettpfanne über die Schuhe gekippt bekommen habe, überlege ich oft, ob ich nicht doch ein bisschen von den leckeren Opiaten aus dem BTM-Schrank in meinen Kaffee kippen sollte.

Eigentlich habe ich meinen Beruf eher nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, denn ich hatte absolut keinen Plan, was ich nach der Schule mit meinem Leben anstellen sollte. Deshalb hatte ich damals einfach eine Reihe von Bewerbungen für die unterschiedlichsten Berufsausbildungen losgeschickt. Ich habe alle meine Klassenkameraden beneidet, die feste Ziele und Vorstellungen für ihr berufliches Leben hatten. Ich weiß bis heute nicht, wo mich meine vermeintliche Karriere hinführen soll.

Beim Vorstellungsgespräch in der Klinik an der Donau fand ich den Personalchef ziemlich schnuckelig, eigentlich war das tatsächlich der ausschlaggebende Grund, warum ich letztendlich zugesagt hatte. Wobei ich das heute natürlich nicht mehr öffentlich zugeben würde, schließlich bin ich jetzt erwachsen.

Die alte Personal-Tussi in der Sparkasse, war schrecklich arrogant und im Kindergarten herrschte während meines Schnuppertages ein dermaßen großer Lärmpegel, dass ich mir damals nicht vorstellen konnte, auch nur einen einzigen Tag länger bei den schreienden Bälgern durchzustehen.

Jedenfalls hatte mich damals der Krankenhaus-Personalleiter Heinzmann förmlich mit Komplimenten überschüttet und als 16-jähriges Mädchen war das schon etwas Besonderes, von einem knapp 40-jährigen attraktiven Mann umworben zu werden. Inzwischen weiß ich allerdings, dass der Heinzmann schlichtweg jedes weibliche Wesen anbaggert und Schwesternschülerinnen unter 20 im Besonderen. Nicht umsonst trägt er den aussagekräftigen Spitznamen »Bumsmann«.

Wobei ich damals schon sehr stolz war, einen der rar gesäten Ausbildungsplätze in der Klinik ergattert zu haben. Heutzutage ist die Suche nach Auszubildenden eher eine Art »Wer bietet mehr«-Spiel geworden, da wird um jeden Azubi richtiggehend gefightet. Deshalb wird bei uns alles eingestellt, was seinen Namen richtig schreiben kann. Wir haben manchmal richtige Knalltüten als Auszubildende auf unserer Station, da frag ich mich schon manchmal, ob diese Damen und Herren wirklich so dumm sind oder einfach nur Pech beim Denken haben.

Blitzartig erinnere ich mich an meine eigene Lehrzeit. Leider tauchen in meiner Erinnerung spontan ein paar »glorreiche« Momente meines Tuns auf. Eigentlich sollte ich mir einen Doppelnamen zulegen. Karolina König-Fettnäpfchen. Oh Gott, jetzt werde ich wirklich alt, ich denke schon »Früher-war-alles-besser«-Gedanken.

Ich weiß einfach nicht so recht, was ich sonst arbeiten könnte. Zum Aufhören ist die Arbeit als Schwester Lina doch zu gut und zu einer Umschulung habe ich weder Lust noch einen motivierenden Plan B.

Langsam sollte ich mich aber nun beeilen, in zehn Minuten kommt meine Mädels-Clique.

Was zieh ich eigentlich an? Muss die Garderobe für einen Junggesellinnenabschied eigentlich sexy sein? Das kurze schwarze Kleid? Oder doch lieber eine Jeans mit weit ausgeschnittener Bluse?

Sicher wird Steffi irgendein peinliches, auffälliges T-Shirt dabeihaben, was ich dann drüberziehen muss. Dann sieht man sowieso nicht, was ich anhabe, grüble ich kurz vor mich hin. Also schnappe ich nur schnell meine Lieblingsjeans und ein Shirt.

Meine Mädels sind die besten. »Lass dich einfach überraschen, Brandy!«, haben sie gesagt. »Wir holen dich um 19.00 Uhr ab und dann wirst du die letzte, aufregende Nacht als ledige Frau erleben.«

Stefanie – oder Steffi, wie sie jeder nennt – und ich sind schon seit der Schule unzertrennlich. Unsere gesamte Pubertät haben wir gemeinsam durchgestanden. Wir sind wirklich Freunde fürs Leben. Bianca und Tamara sind auch »Fußballerfrauen« so wie ich, und beide jeweils mit einem von Chris‘ Mannschaftskollegen liiert. Unsere lustigen Sonntagnachmittage am Fußballplatz mit Prosecco und Kuchen möchte ich nicht mehr missen.

»Was die Jungs können, können wir schon lange«, meinten sie. Und genauso sehe ich das auch.

Uli und Sonja sind meine zwei allerliebsten Arbeitskolleginnen, natürlich lassen sie es sich nicht nehmen meine letzte Sause in »Freiheit« mit mir zu feiern. Es wird bestimmt ein sehr lustiger Abend. It‘s Partytime!

Pünktlich um 19.00 Uhr fährt laut hupend eine weiße Limousine in unsere Einfahrt. Meine Mutter steht kopfschüttelnd an der Haustür, als die aufgekratzte Truppe in unser beschauliches Einfamilienhaus aus den frühen 80er-Jahren stürmt.

Ich wusste es! Alle tragen sie rosarote, glitzernde Shirts mit dem Aufdruck: FRAUschaft der Braut.

»Hi Süße! Na, bist du fertig?«, begrüßt mich Steffi und drückt mir einen dicken Schmatzer auf die Wange.

Sie hält einen weißen Zylinder mit voluminösem Tüllschleier in der Hand, den sie mir sogleich auf meine gerade eben mühevoll gebändigte dunkelblonde Haarmähne drückt.

»Für dich haben wir auch ein T-Shirt. Schau mal! Ist das nicht scharf?«

ICH HEIRATE – DIE ANDEREN SIND NUR ZUM SAUFEN DABEI!, steht auf einem silberglänzenden Pailletten-Shirt gestickt.

Oje, denke ich. Gleichzeitig bin ich gerührt, welche Mühe sich meine Freundinnen für mich geben.

»Bringt mir mein Mädchen wieder heil nach Hause!«, ruft mein Vater lachend, als er meiner Junggesellinnen-Truppe galant die Tür öffnet. Steffis Antwort folgt wie aus der Pistole geschossen: »Logisch, Richard, versprochen! Du kennst mich doch.«

»Eben!«, lacht mein Vater und blinzelt Steffi dabei zu.

»Trinkt nicht so viel! Es gibt nichts Peinlicheres als betrunkene Frauen. So ein Tamtam haben wir früher nicht veranstaltet«, raunzt uns meine Mutter mahnend hinterher, während wir schon in die weiße Stretch-Limousine einsteigen. Die Mädels antworten nur mit quiekendem Lachen.

Der Alkohol fließt bereits im Auto in Strömen und langsam erreiche auch ich das Promille-Niveau der Party-Truppe. Ich für meinen Teil brauche dazu allerdings bei Weitem nicht so viel Alkohol wie eine normalsterbliche Frau.

»Was habt ihr jetzt mit mir vor?«, frage ich und weiß eigentlich schon vorher, dass ich darauf keine Antwort erhalten werde.

In der nächstgelegenen Stadt machen wir Halt und ich muss, wie vermutet, die obligatorisch peinlichen Aufgaben dem Anlass entsprechend absolvieren. Programmpunkt Nummer eins: Küsse und Spirituosen mit anrüchigem Namen in der Fußgängerzone verkaufen.

Ein Haufen kichernder, junger, singender und übermütiger Frauen haben natürlich dieselbe Wirkung auf Männer mit angeborenem Balzverhalten, wie ein industrieller Schwerlasten-Magnet. Deshalb sind wir stets umringt von einer größeren männlichen Interessengemeinschaft. Wir flirten, was das Zeug hält, und ich habe durchaus Spaß beim Verkauf von Küsschen und »Sperma-Schnaps«. Zum Glück sind es meistens halbwegs attraktive »Kuss-Kunden«, die ich versorgen darf. Bis tatsächlich Michael, mein Ex, mit dem mich meine ersten sexuellen Erfahrungen auf ewig traumatisch verbinden werden, um die Ecke gebogen kommt.

Kurz überlege ich, wie ich in Deckung gehen könnte. Dabei bete ich innerlich, er möge mich nicht bemerken, was aber in unserem Aufzug und dem dazugehörigen, veranstalteten Tohuwabohu sogar für einen tauben Blinden schwer wäre. Als mich Michael entdeckt, steuert er sofort im Stechschritt auf mich zu.

»Hallo Lina, ich habe ja ewig nichts mehr von dir gehört. Das ist aber schön, dass wir uns treffen«, ruft er mir schon aus der Ferne zu. Oh Gott, denke ich und erinnere mich an seine unglaubliche Hartnäckigkeit, als ich damals mit ihm Schluss gemacht hatte.

»Hi Michael. Ähm, ja wirklich, wie doch die Zeit vergeht …«

Verlegen krame ich in meinem Bauchladen und versuche ihn dezent zu übersehen. Ich überrasche mich direkt selbst, als ich plötzlich: »SPERMA-SCHNAPS, ORGASMUS-WASSER ZU VERKAUFEN!«, durch die Fußgängerzone gröle.

Mein kleiner, unbeholfener und spontaner Abwehrversuch geht allerdings grandios nach hinten los, denn nun wird Michael erst so richtig auf das ganze Spektakel aufmerksam und somit auch auf meinen »Kuss-Verkauf«. Etwas schockiert mustert er unsere Preisliste, die Steffi direkt vor mir auf dem Kopfsteinpflaster platziert hat.

»Oh, Lina! Heißt das etwa … du heiratest?«, stottert er mit trauriger Stimme.

»Ja, heute in einer Woche ist es so weit«, strahle ich ihn an.

Mit gesenktem Kopf liest mein Gott-sei-Dank-Ex-Freund aufmerksam die Auflistung unseres Warensortiments.

»Sehr schade. Ich finde immer noch, wir hätten gut zusammengepasst«, spricht er zu mir, ohne den Kopf zu heben.

Gleich ist er an der letzten Zeile angelangt, an der meine Küsse angepriesen werden, denke ich nervös.

Mir wird etwas heiß, allerdings keineswegs im erotischen Sinne, sondern eher panisch.

»GEILER GEIST! DIREKT HIER ERHÄLTLICH. ZUGREIFEN JUNGS!«, rufe ich mit leicht verzweifelter Kreischstimme.

»Ach, schau, das ist ja nett. Du verkaufst Küsse? Tja, dann gönn ich mir doch noch einmal vier davon, zum Abschied sozusagen. Auch wenn ich früher nicht dafür bezahlen musste«, spricht Michael-mit-der-unkontrollierbaren-Speichelproduktion und steckt gleichzeitig einen 20-Euro-Schein in unsere Blechbüchse, dabei blinzelt er mir vermeintlich verführerisch zu.

Steffi kennt selbstverständlich alle meine Verflossenen sowie Angeschmachteten und ist bestens über sämtliche Erfahrungen mit diesem speziellen Personenkreis informiert. Alle Vorkommnisse auf dem zwischenmenschlichen Gebiet besprechen wir seit der ersten Klasse bis ins kleinste Detail ausführlich miteinander.

Natürlich erinnert sie sich noch sehr gut an Michael, oder Speichel-Meikel, wie wir ihn immer nannten. Sie versucht angestrengt, nicht loszuprusten, als sie sich neben mir postiert, um auch ja nichts zu verpassen.

»Ja … ähm Michael, das ist deine allerletzte Chance. Nächsten Samstag ist unsere gute Brandy für immer weg vom Markt«, befeuert sie nun auch noch diese unangenehme Situation.

Ich liebe sie wirklich heiß und innig, aber gerade in diesem Moment könnte ich meiner besten Freundin den Hals umdrehen.

»Wer ist denn der Glückliche?«, fragt Speichel-Meikel neugierig.

»Christian König, ist der Glückliche, der mich übrigens auch glücklich macht«, gebe ich leicht trotzig zur Antwort.

»Hm, der Fußballgott aus deinem Dorf? Na, ob du dir das nicht nochmal überlegen solltest?«

»Ich denke nicht Michael. Das passt gut mit uns zwei.«

»Du musst wissen, mit wem du dich ins Unglück stürzt. Aber meine Küsse möchte ich trotzdem haben. Komm, Lina, vier habe ich bezahlt.«

Glücklicherweise habe ich schon leicht »einen sitzen« und so halte ich dem sabbernden Meikel auffordernd meine rechte Wange unter die Nase.

Überrascht stelle ich fest, dass er den unkontrollierbaren Speichelfluss in den letzten Jahren tatsächlich unter Kontrolle gebracht haben muss. Seine Lippen fühlen sich weich und zärtlich an. Meine Erinnerung scheint wohl etwas getrübt gewesen zu sein.

Nachdem er mich viermal in Zeitlupe auf die Wange geküsst hat, nimmt er mich zum Abschied noch in den Arm. Darauf war ich nicht gefasst, bin aber zu perplex, um mich zu wehren.

»Ich wünsche dir wirklich von Herzen alles Gute, Lina. Pass auf dich auf, manches ist nicht so wie es scheint«, flüstert er mir dabei leise ins Ohr.

Was soll denn jetzt dieser Orakel-Spruch? Ich beschließe, diesen Satz unter verletztem Stolz zu verbuchen.

»Danke, Michael, aber ich bin schon groß. Ich komme gut klar. Mach‘s gut«, antworte ich gelassen und wende mich der Kundenschlange vor meinem Bauchladen zu.

Nachdem mein Schnapsladen ausverkauft ist, wandern wir weiter zur nächsten Station: die angesagte Cocktailbar Roxy.

»Hey Brandy, wir haben echt viel Geld eingenommen, also eigentlich eher du mit deiner Knutscherei. Du bist aber auch eine Granate, das wollte ich dir schon lange mal sagen. Kein Wunder, dass die Männer Schlange stehen. Komm, wir hauen jetzt alles auf den Putz und lassen die Sau raus«, lallt mir Tamara entgegen, als wir das Etablissement mit den alkoholischen Mixgetränken betreten.

»Weißt du, ich freu mich so für dich. Es ist wirklich wunderbar, wenn man sich sicher ist, dass man den Mann fürs Leben gefunden hat. Ihr zwei seid so süß zusammen. Und Chris macht ja auch was her, ich meine, er ist schon ein richtig heißer Typ. So soll es schon sein, bei einem Ehemann. Ihr scheint wirklich eine gute Basis für eine unkomplizierte Beziehung gefunden zu haben. So etwas wünsche ich mir auch. Bei mir und Jochen wird es bestimmt auch bald so weit sein. Ich bin mir bei ihm auch sicher. Von ihm will ich geheiratet werden.«

So gefühlsduselig kenne ich Tamara gar nicht. Muss wohl am Alkohol liegen, denke ich. Aber ich freue mich für sie. Denn mit Jochen hat sie sich schon einen recht wilden Typen geangelt. Man tuschelte schon etliche Male in der dörflichen Fußballerszene über gewisse »Auswärts-Spiele« seinerseits. Aber bis zu Tamara sind diese Gerüchte wohl noch nicht vorgedrungen. Es scheint wohl so, als hätten sie ihre Beziehung in den Griff bekommen.

Nach dem zweiten Caipirinha im Roxy bin ich superentspannt und könnte die ganze Welt umarmen. Glücklich bin ich sowieso schon grundsätzlich, aber Alkohol macht mich anscheinend noch glücklicher. So habe ich mir meinen Junggesellinnen-Abschied vorgestellt, genau so! Nichts als gute Laune um mich herum und nach dem großen Andrang an meinem »Kuss-Stand«, fühle ich mich unglaublich attraktiv und strotze nur so vor Selbstbewusstsein.

»Mädels! Aufgepasst, gleich geht’s los?«, kündigt Steffi plötzlich vielsagend an. »Ich habe noch eine Überraschung für unsere Braut.«

Bei diesen Worten wird das ohnehin schummrige Licht in der Bar noch weiter gedimmt. Auf der kleinen Bühne erstrahlt ein greller Deckenscheinwerfer, der einen Lichtkreis auf den schwarzen, glänzenden Boden wirft. Die Musik wird lauter und ich höre Joe Cocker und seine Reibeisenstimme, mit der er singt: »You can leave your hat on …«

Oje, was kann das Lied schon bedeuten? Natürlich! Ich wusste es …

Ein gut gebauter, muskelbepackter »Polizist« springt auf die Bühne und schwingt lasziv seine Hüften.

Sein erotisierender Blick schweift durch die Menge und stoppt bei der Braut, für die er gebucht wurde, also mir. Allerdings wird diese Tatsache anhand meines auffälligen Schleier-Zylinders gleich offensichtlich. Während er mit seinem Finger auf mich zeigt und seinen Blick nicht mehr von mir wendet, kommt er in unsere Richtung getänzelt, was meine Freundinnen mit so lautem Grölen untermalen, dass selbst Joe Cocker und die Roxy-Musikanlage nicht dagegen ankommen. Das Spotlight folgt ihm.

Ich sitze wie angewurzelt und leicht schwitzend auf meinem Stuhl. Langsam kämpfe ich mit beginnender Schnappatmung, als mich sowohl der heiße Polizist als auch der Lichtstrahl und ungefähr 150 Augenpaare erreichen.

Sehr langsam und im Takt des verführerischen Liedes, drückt er seinen wohlgeformten Apfel-Po, der momentan noch in einer unglaublich engen Hose verpackt ist, an meine Schulter und meinen Oberarm. Er reibt seinen nackten, eingeölten Oberkörper an meinem Glitzer-Shirt, das über und über mit Pailletten bestickt ist und bestimmt auf nackter Haut unglaublich kratzen muss. Er beugt sich über mich und ich spüre seinen Atem, als er an meinem Ohr knabbert. Aus den Augenwinkeln bemerke ich nebenbei, dass das Shirt wohl nicht die allerbeste Qualität sein muss, denn die Pailletten kleben nun in großer Stückzahl an seinem durchtrainierten Oberkörper. Kurz überlege ich, mit was er sich denn seinen Astralkörper wohl eingerieben haben mag, eventuell hat er das Body-Öl mit etwas anderem verwechselt?

Aber ich schiebe meine unpassenden Gedanken beiseite und versuche mich wieder auf das laszive Hier und Jetzt zu konzentrieren. Um wieder in die richtige Stimmung zu kommen, inhaliere ich sein großzügig aufgetragenes Aftershave, während er mir nun tatsächlich an meinem Ohr leckt. Gut, dass Chris das nicht sieht, denke ich und habe beinahe ein schlechtes Gewissen. Meine Schnappatmung, die ich partout nicht unter Kontrolle bekomme, sorgt leider dafür, dass das Parfüm des erotischen Tänzers noch tiefer in meine Lungen dringt.

Wer auch immer ihm diesen Duft ausgesucht haben mag, derjenige hatte sicher keine feine Nase oder wohl zu diesem Zeitpunkt gerade einen mächtigen Schnupfen. Sollte dieses Aroma nicht eigentlich das Ziel haben, die Damen zu betören?

Mit einem osteuropäischen Akzent und einer unglaublich hohen Stimme haucht mir der wirklich schöne, aber sehr ölig-glitschige Mann plötzlich ins Ohr:

»Ich nehme dich auf Bühne und dann ich mich ausziehen, du so tun, als ob du heiß. Okay?«

Wenn ich gerade noch einen Funken Erregung in mir hatte, wurde er in diesem Moment mit Sicherheit brutal abgetötet.

Wo hat Steffi denn diesen Typen aufgegabelt? – denke ich noch, während mich der piepsige Strip-Polizist mit einem schwungvollen Ruck, samt meinem Stuhl in die Luft schwingt, und zur Bühne trägt, als wäre ich eine Feder. Zumindest sind seine Muskeln echt.

Mein Stuhlträger stellt mich auf dem Bühnenpodest ab und positioniert sich tanzend vor mir. Seine Krawatte, die er als einziges Kleidungsstück noch an seinem Oberkörper trägt (von circa einer Million silberner Pailletten einmal abgesehen), reißt er sich schwungvoll vom Körper, bevor er ganz langsam den Reißverschluss seiner Hose aufzieht. Immer wieder geht er dabei in die Knie und presst seinen Körper an meinen. Leider fällt mir die geforderte Begierde immer schwerer, je länger dieses Spektakel dauert, denn der Duft, den er verströmt, löst in mir ein Gefühl der Übelkeit aus.

Meine Mädels riechen unseren Miet-Tänzer wahrscheinlich aus dieser Entfernung nicht, denn ich sehe und vor allem höre ich sie förmlich ausflippen. Sie quieken und johlen, als hätte jede von ihnen ihr eigenes Megafon in den Stimmbändern eingebaut. Welch beachtlich hohe Töne meine Lieblingsdamen doch aus ihren Kehlen hervorbringen. Kurz bin ich beeindruckt.

Leider kann ich mich absolut nicht auf die Performance vor mir konzentrieren. Zu gerne lasse ich mich von allem ringsum ablenken, nur um mich nicht meinem Unwohlsein hinzugeben. Wahrscheinlich ist das eine reine Schutzreaktion meines Magens im Komplott mit meinem Gehirn. Wie lange es doch dauern kann, bis ein Mann sich eine Hose ausgezogen hat, denke ich, und versuche verkrampft ein unaufhaltsam aufsteigendes Übelkeitsgefühl zu unterdrücken. Als er sein Beinkleid, a la wilder New York–Cop, endlich mit einem Fuß von sich geschleudert hat, setzt er sich beherzt auf meinen Schoß. Die ganze Aktion scheint ihn ziemlich anzustrengen, denn inzwischen nimmt mein feines Näschen nicht nur diesen scheußlichen Duft, was aus nicht ersichtlichen Gründen einmal als Parfüm deklariert wurde, wahr, sondern auch noch ein wirklich unangenehmes Aroma einer sehr penetranten Nuance von beißendem Männerschweiß. Leider finde ich dieses besondere Odeur ganz und gar nicht anregend, so wie mir das manchmal bei Chris‘ Eigenduft nach dem Fußballtraining passiert.

Nein!! Ich denke wirklich, ich sollte hier nun abbrechen oder besser gesagt … erbrechen.

Wie vom Blitz getroffen schubse ich Mr. Schweißdrüsen-Cop von meinem Schoß und renne, als ginge es um mein Leben Richtung Ausgang.

Alle Anwesenden in der Bar wissen natürlich nicht, was mich zu dieser dringend nötigen Handlung getrieben hat und sehen mir nur ungläubig nach. Der nackte Fake-Polizist auf der Bühne tut es ihnen gleich, nachdem er mit seinem Apfelarsch auf den harten Bühnenboden geknallt ist.

Gott sei Dank finde ich draußen gleich eine kleine Grünfläche hinter dem Haus, in die ich mich kraftvoll übergeben kann. Die Tränen laufen mir vor Anstrengung über das Gesicht, ich kann gar nichts dagegen tun. Die Aufregung, der viele Sperma-Schnaps und die Caipirinhas hätte ich gerade noch so gepackt, aber dieses Stripper-Eau de Toilette, in Kombination mit den Drüsen-Absonderungen des nackten Mannes auf meinem Schoß waren einfach zu viel.

Nachdem der Würgereiz endlich nachgelassen hat, sehe ich, dass der Schleier an meinem Zylinder eine gehörige Portion meines Mageninhalts abbekommen hat. Verdammter Mist! So habe ich mir den heutigen Tag nicht vorgestellt.

Nun spüre ich, wie mir jemand fürsorglich über den Rücken streicht, während ich noch immer vornübergebeugt mit dem Gesicht in diesem bemitleidenswerten Flieder-Busch versuche, meinen Atem zu normalisieren.

»Brandy, du hast deinem Namen wieder alle Ehre gemacht«, höre ich hinter mir jemand lachen. Es ist Steffi.

»Was war denn los? Hat dir Pavel nicht gefallen? Also, ich find ihn heiß.«

»Oh Gott, Steffi! Mir ist speiübel. Pavel? Das ist dann wohl dieser Chippendale für Arme da drinnen. Hast du mal an Pavel gerochen? Wo hast du denn den aufgegabelt?«, antworte ich verständnislos.

Noch immer ist meine Kommunikation etwas eingeschränkt, denn ich kann nur hecheln: »Also, wenn er weiterhin diese Karriere verfolgen will, dann würde ich ihm raten, sein Parfum zu wechseln und sich seinen Schweißdrüsen veröden zu lassen.«

»Oh! So nah wie du bin ich ihm natürlich nicht gekommen. Aber meine Arbeitskollegin Ivana meinte, Pavel ist der Star der tschechischen Stripp-Szene.«

Plötzlich, wie aus dem Nichts, überkommt mich ein Anflug von Selbstmitleid.

»Ach Steffi, ich wollte heute einen schönen aufregenden Abend erleben. Unvergesslich sollte es werden. Ich heirate nächste Woche, das gehört eigentlich schon zu den Feierlichkeiten. Außerdem habt ihr euch so viel Mühe gegeben. Schau dir die Sauerei an«, schluchze ich und halte ihr meinen vollgekotzten Schleier unter die Nase.

»Wenn das jetzt schon so eine Katastrophe ist, wie soll dann erst die Hochzeit werden. Aber da werde ich ganz bestimmt keinen Tropfen Alkohol trinken, das kann ich dir jetzt schon garantieren.«

»Lina, mach dir doch nicht immer so einen Kopf. Man sagt doch, wenn die Generalprobe schiefgegangen ist, dann wird die Premiere erst richtig gut! Zumindest weißt du ja jetzt endlich wieder, dass du nicht so viel verträgst.«

Beim letzten Satz müssen wir beide losprusten, denn es ist schon lange kein Geheimnis, dass Lina Baumgartner – bald König – und Alkohol nicht zusammenpassen.

Nachdem ich mich wieder beruhigt habe, lassen wir den Abend noch gemütlich im Roxy ausklingen. Wobei ich vorsorglich nur noch Cola zu mir nehme. Sicher ist sicher.

Leider kann ich mich bei der osteuropäischen Strip-Ikone nicht mehr entschuldigen, denn er ist nirgends mehr zu finden. Wahrscheinlich schämt er sich wegen mir. Ich kann es ihm nicht einmal verübeln, denn ich schäme mich auch wegen mir.

Ein furchtbar schlechtes Gewissen breitet sich in mir aus, was ich jedoch irgendwann ziemlich gut verdrängen kann. Vielleicht ist es auch besser so, denn wer weiß, ob meine Übelkeit nicht zurückgekehrt wäre, wenn ich ihm nochmal gegenüberstehen müsste. Eventuell würde das für sein Selbstbewusstsein einen noch größeren Knacks bedeuten, denn ich bin mir relativ sicher, dass sich bisher nicht allzu viele seiner »Kundinnen« übergeben mussten, wenn er sich lüstern an ihnen gerieben hat.

Als wir beschließen, mit unserer Stretch-Limo wieder in Richtung Heimat zu fahren, ist Tamara nicht mehr zu finden.

»Sie war schon gut angetrunken, aber sie hätte sich sicher verabschiedet, wenn sie schon heimgefahren wäre«, sagt Uli mit sorgenvoller Stimme.

Steffi versucht sie mehrmals am Handy zu erreichen, aber es spricht lediglich die Mailbox-Tamara mit ihr.

Nach einer ganzen Stunde Abwesenheit beschließen wir, ohne sie zu fahren. Zwar ging diesem Entschluss noch eine hitzige Diskussion über verschiedene Themen wie weibliche Solidarität, Sexualverbrechen, Kidnapping und Egoismus voraus, aber letztendlich waren wir alle so hundemüde, dass wir unsere Ehrenkodexe der Frauenfreundschaft kurzerhand über Bord geworfen haben.

Sicher wird sie auch allein nach Hause finden, sie ist nicht unbedingt der Typ »hilfloses Mauerblümchen«, denke ich, um mein Gewissen zu beruhigen.

Unsere Stretch-Limo, die sich auf sage und schreibe drei Parkplätzen breit gemacht hat, wartet schon auf uns. Der dazu gemietete Chauffeur sieht allerdings ziemlich genervt aus, als er vor dem Wagen ungefähr seine zwanzigste Zigarette raucht, dem großen Haufen Stummeln auf dem Asphaltboden nach zu urteilen.

Als Steffi den Griff der Tür bereits in der Hand hält, mahnt er uns in scharfem Ton: »Ich würde das jetzt nicht tun!«

»Wie bitte? Wir wollen aber jetzt heim«, spricht meine beste Freundin und reißt die Tür auf.

Ich weiß gar nicht, ob ich aus Schock lachen muss oder weil es einfach eine so große, unerwartete Überraschung ist, die wir im Inneren des Wagens entdecken.

Auf der Rücksitzbank der Limo sind tatsächlich Pavel und Tamara mitten im zwischenmenschlichen Liebesspiel. Mit weit aufgerissenen Augen starren wir die beiden an.

»Tamara!«, ruft Steffi und kann sich ebenfalls nicht mehr halten vor Lachen. Leider kann unsere Freundin nicht antworten, denn sie hatte gerade den Mund voll.

Die letzten Tage vor dem großen Ereignis sind natürlich genauso stressig, wie ich mir das vorgestellt habe. Leider ist Christian stark in seiner Agentur gefordert, sodass ich die meisten Termine alleine erledige. Andererseits ist mir das ohnehin lieber, denn mein Zukünftiger kann mit Blumenschmuck oder Menüauswahl eher weniger anfangen und überlässt die meisten Entscheidungen mir, was mir durchaus entgegenkommt.

Über den teilweise missglückten Junggesellinnen-Abschied versuche ich mir nicht mehr viele Gedanken zu machen. Die Bedenken über das schlechte Omen, welches das ganze Desaster vielleicht bedeuten könnte, schiebe ich weit von mir.

Warum Tamara, die mir keine zwei Stunden vor ihrem Limo-Tête-à-Tête noch die große Liebe zu ihrem Jochen gestanden hat und dann trotzdem Pavel (»die Schweißdrüse«) auf der Rücksitzbank »Französisch-Unterricht« gegeben hat, weiß ich zwar bis heute nicht, aber ich habe momentan auch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

Die letzte Amtshandlung vor dem morgigen Hochzeitstag war dann schließlich die Anprobe meines Hochzeitskleides. Ich hatte schon befürchtet, dass es kneifen wird, denn in Stresssituationen neige ich gerne zu Fress-Attacken. Aber zum Glück sitzt alles wie angegossen und ich muss wirklich selbst ein paar Tränen verdrücken, als ich mich in voller Pracht im Spiegel betrachte.

Nachts kann ich vor Aufregung fast kein Auge zumachen, als ich mich zum letzten Mal als unverheiratete Frau in meinem Kinderzimmer in mein Bett kuschle. In den schönsten Farben male ich mir meine rosige Zukunft aus. Ich werde ein wunderbares Leben haben, das steht auf jeden Fall fest.

Ich habe den besten und schönsten Mann, den ich mir vorstellen kann und gemeinsam werden wir alle Abenteuer des Lebens meistern. In guten wie in schlechten Zeiten!

Ein wenig grüble ich noch über die Hochzeit, aber dabei wird nichts schiefgehen, bin ich mir sicher. Ich habe alles bis ins kleinste Detail geplant. Es wird ein perfekter Tag werden – ist mein letzter Gedanke, bevor ich die Augen zumache.

Petra ist zwar ein Profi in ihrem Fach, aber gerade in diesem Moment könnte ich ihr das Gesicht zerkratzen. Auch wenn meine Haare noch nie so wunderbar in Form gesteckt waren und ich mein perfekt geschminktes Gesicht fast gar nicht erkenne, habe ich nun nur noch den halben Rock am Kleid. Der Trampel von einer Visagistin ist doch tatsächlich mit ihren Turnschuhen auf meinem Brautkleid stehen geblieben, als ich mich gedreht habe und nun ist die Naht an meiner Taille aufgerissen.

Mein verzweifelter Anruf in der Brautboutique verläuft im Sande, denn heute ist geschlossen. Mama weiß zum Glück Rat, auch wenn sie diesen nur mit ihrem typischen Ich-habs-dir-doch-gleich-gesagt-Tonfall preisgibt. In relativ kurzer Zeit bin ich samt Kleid in Mamas Kleinwagen verstaut und wir stehen bei Margit im Wohnzimmer. Margit ist eine gute Freundin meiner Mutter und kürzt dem ganzen Dorf die zu langen Hosenbeine, flickt Löcher in Jeans oder tauscht auch mal einen Reißverschluss aus. Ein wenig skeptisch bin ich dennoch, ob Margit mit meinem Designer-Brautkleid umgehen kann.

Allen Zweifeln zum Trotz bekommt sie es dann doch noch ganz gut hin, vor allem in Anbetracht der Hektik, die meine Mutter und ich gleichzeitig verbreiten. Erst jetzt fällt mir auf, dass die ganze Zeit schon Mimi und Muschi, die zwei übergewichtigen Hauskatzen der Schneider-Margit um mich herumscharwenzeln. Es dauert sicher 10 Minuten, bis mir meine Katzenallergie mit einem permanenten Niesanfall ins Gedächtnis gerufen wird. Da sich die Katzenhaare wirklich ganz prima in meiner Boho-Spitze festsetzten, wird der Niesanfall auch noch die nächsten 10 Stunden andauern. Daran können auch drei Allergietabletten nichts mehr ändern.

Meine Hochzeit war dann im Großen und Ganzen ganz okay. Abgesehen von meinem verschmierten Make-up, meinen aufgequollenen Augen a la Rocky Balboa und meiner leichten Aggression gegen Mama und Margit.

Aber ich bin nun Frau Lina König und mir steht ein glückliches und wunderbares Leben an der Seite meines Mannes bevor, das ist jedenfalls klar!

Lina, 26 Jahre:Unsere Liebe wird ewig andauern. Christian wird mich auf Händen tragen und auch wenn wir Krisen zu bewältigen haben, wir verstehen uns blind. Alles wird gut werden!

Lina, 38 Jahre:FUCK!!!!!!!

Kapitel 2 – Das Ende

Da sitze ich nun vor meinem wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum und fühle mich leer. Bleierne Schwere liegt auf meinem gesamten Körper.

Atme ich eigentlich? Schlägt mein Herz noch? Das einzige Gefühl, das ich wahrnehme, ist eine eisige Kälte, die sich tief in mir ausbreitet. Kann man innerlich erfrieren? Ich zittere wie Espenlaub und kann meine Gliedmaßen kaum unter Kontrolle halten.

Morgen ist Heiligabend – das Fest der Liebe und der Familie. Was habe ich heute Morgen noch hektisch gegrübelt, ob ich alles Nötige eingekauft habe und ob ich genügend Geschenkpapier zu Hause habe.

Ich wollte unbedingt die Erste beim Metzger sein, um die frischesten Würste für den morgigen Abend mit meiner geliebten Familie zu ergattern. Kartoffelsalat wollte ich machen, wie die letzten Jahre auch, wenn meine Eltern, Chris, Ida und ich zusammen Weihnachten feiern. Ich habe die kleinen Rituale im Laufe der Zeit sehr liebgewonnen. Nach der Kinderandacht in der Dorfkirche, in der Ida auch die letzten zwei Jahre eine Rolle im Krippenspiel ergattern konnte, hätten wir es uns in unserem Haus gemütlich gemacht. Die Holzscheite im Schwedenofen hätten gebrannt, die Kerzen am Christbaum ihr wohliges Licht verteilt. Idas Augen haben immer geleuchtet, wenn sie die bunten Päckchen ausgepackt hat. Der selbstgemachte Eierlikör wäre mir wie immer in den Kopf gestiegen, genauso wie meinem Vater.

Kurz muss ich schmunzeln, so bizarr ist diese Situation im Vergleich zur jetzigen. Vor 14 Stunden waren mir noch Käsewürste und Schleifenband wichtig.

Christians Worte waren wie eine Explosion. Ich konnte nicht einmal in Deckung gehen, denn ich war nicht darauf vorbereitet. Wie schwere, scharfkantige Trümmer flogen mir die wenigen Sätze um die Ohren, die er sachlich und aus kurzer Distanz auf mich abgefeuert hatte.

Meine kleine, heile Welt ist innerhalb weniger Minuten völlig in sich zusammengebrochen. Unter diesem »Schutt« liegt nun mein Herz und weiß im Moment nicht, wie es wieder darunter hervorkommen soll. Ich habe das Gefühl, unter all den Bruchstücken meines eben zerstörten Lebens zu ersticken.

Habe ich es wirklich nicht bemerkt? Wollte ich nichts bemerken? Kann man das Offensichtliche verdrängen, nur um nicht hinsehen zu müssen?

»Lina, wahrscheinlich hast du es sowieso auch selber längst gemerkt. Mit uns, das ist schon lange nicht mehr das, was es einmal war«, sagte Christian und machte sich gleichzeitig eine Flasche Bier auf, als wenn es das Normalste der Welt wäre sich von mir zu trennen.

Einfach so kamen die Worte über seine Lippen. Es war kein Zögern in seiner Stimme, keine Überwindung, kein Bedauern. Sachlich und trocken erklärte er mir das Ende unserer Ehe in wenigen Sätzen. Seine Tonlage hatte dieselbe, mit der er seinen Kunden früher offenbarte, dass sich der Beitrag zur Haftpflichtversicherung erhöhen würde.

»Deshalb ist es nur logisch, dass ich mich neu verliebt habe. Dieses Schauspiel der heilen Familie müssen wir jetzt für keinen mehr aufrechterhalten. Ich ziehe zu Jasmin. Lass uns Freunde bleiben«, sprach er emotionslos und blickte dabei auf das Etikett seiner Bierflasche.

Jasmin? Welche Jasmin? Als dieser Name in meine Ohren, und erst ein paar Sekunden später in mein Gehirn drang, war es, als ob jemand mit einer langen Nadel in meine Lungenflügel bohrte. Ich bekam keine Luft mehr. Panisch schnappte ich nach Sauerstoff und das Einzige, was mein Ehemann dagegen unternahm, war, mir eine Tüte unter die Nase zu halten.

»Ja, ich weiß. Das ist jetzt vielleicht eine blöde Situation für dich … Hier, atme in die Tüte. Du hyperventilierst nur. Das geht wieder vorbei.«

Wer war dieser Mensch, der da vor mir stand? War es wirklich derselbe, den ich vor zwölf Jahren geheiratet hatte?

Was ist mit ihm passiert?

Ich blöde Kuh hatte noch nicht einmal den Hauch eines Verdachts, als er vorhin aus dem Büro nach Hause kam. Er war schon seit längerem sehr in sich gekehrt, intensive Gespräche – so wie früher – hatten wir schon lange keine mehr geführt. Ich habe, für mich, den Stress und den Druck in der Firma dafür verantwortlich gemacht und wollte ihm seine Ruhe lassen, wie es eine gute Ehefrau eben macht.

»Wann bringst du denn die Kleine ins Bett?«, war alles, was er fragte, als er vorhin in die Küche kam.

»Um halb neun, wie jeden Tag. Warum fragst du?«, hatte ich geantwortet und mich nur eine Millisekunde gewundert.

Ida und ich löffelten unsere Kürbissuppe und eigentlich war alles wie gewohnt. Gemeinsam als Familie hatten wir schon lange nicht mehr zu Abend gegessen. Seit Christian vor gut einem Jahr bei dieser Zeitarbeitsfirma als Partner eingestiegen war, verbrachte er mehr Zeit im Büro als zu Hause, Wochenende inklusive.

»Lina, Selbstständigkeit ist kein Halbtagsjob. Ich muss schon arbeiten für unsere Firma. So eine Chance bekomme ich nicht noch einmal. Patrick erwartet vollen Einsatz von mir«, bekam ich immer wieder zu hören, wenn ich um mehr Zeit für uns als Familie gebeten hatte. Irgendwann hatte ich aufgehört, zu bitten.

Eine Zeitarbeitsfirma? Ernsthaft?

Als er mir seine beruflichen Zukunftspläne offenbarte, war ich regelrecht schockiert. Ist eine Zeitarbeitsfirma denn nicht einfach eine Art moderner Sklavenhandel? Und dann sein Partner! Dieser großkotzige Patrick Lehner mit seinen Maßanzügen, seinen italienischen Designer-Schuhen und seinem fetten Bonzen-Schlitten. Das Sinnbild eines Sklavenhändlers der Neuzeit.

Aber dieser schmierige Typ hatte sich wohl zu Christians Vorbild entwickelt. Inzwischen trug auch mein Mann dieselben gutsitzenden, teuren Anzüge und sein Dienstwagen war auch nicht gerade bescheiden.

Als mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, wird mir plötzlich bewusst, dass er sich sehr wohl verändert hatte. Warum habe ich das nicht bemerkt?

Plötzlich ist alles vollkommen anders als noch heute Morgen. Ich sitze auf dem Fußboden und bin nicht fähig, mich zu bewegen. Mein Blick geht am Weihnachtsbaum vorbei ins Leere.

Er ist einfach gegangen. Ohne mir die Fragen zu beantworten, die mir jetzt erst langsam in den Kopf kommen. Er hatte mir eigentlich gar nichts erklärt. Keine Träne habe ich bisher geweint. Ich habe definitiv einen Schock.

Das Einzige, was ich denken kann, ist: WARUM?

Ich erschrecke, als ich eine kleine Hand auf meiner Schulter spüre. Ida steht vor mir, in ihrem hellblauen Flanell-Nachthemd, mit ihrer Stoffpuppe in der Hand. Verschlafen wischt sie sich über die Augen.

»Wo ist denn Papa?«, fragt sie.

»Mäuschen, warum bist du denn nicht im Bett?«

»Ich kann nicht mehr schlafen. Kann ich zu euch kommen?«

Mein Herz fängt an zu rasen. Was soll ich ihr denn um Himmels willen nur sagen? Ich beschließe kurzfristig, erst einmal gar nichts zu sagen, einfach, weil ich nicht weiß, wie ich gerade einen klaren und vernünftigen Mutter-Gedanken denken soll.

»Aber klar, mein Hasenpups, komm, wir gehen ins Bett.«

Ida ist seit acht Jahren mein Sonnenschein. Mein blondgelockter Engel. Als sie geboren wurde, hat ein neues Zeitalter begonnen. Eine Liebe zu einem Kind kann man nicht erklären, sie war plötzlich da wie eine Urgewalt. Dieses Gefühl war von Anfang an unendlich und übermächtig. Wenn ich Ida einfach nur ansehe, wird mir wohlig warm ums Herz. Wenn sie stürzt, fühle ich ihren Schmerz doppelt und dreifach.

Meine Kleine ist ein aufgewecktes und cleveres Mädchen, natürlich bemerkt sie, dass etwas im großen Ehebett in unserem Schlafzimmer fehlt.

»Wo ist denn nun Papa?«, fragt sie unerbittlich, als sie mich mit ihren stahlblauen großen Augen anblickt, die sie eindeutig von ihrem Vater geerbt hat.

»Weißt du, der hatte noch einen wichtigen Termin. Er musste kurz zu einer Geschäftsreise aufbrechen. Aber morgen kommt er wieder. Versprochen«, plappere ich drauflos und bereue es im selben Moment wieder.

Was ist, wenn er morgen nicht wiederkommt? Sie wird es merken, garantiert. Vielleicht kommt er wieder, denke ich mit krampfhaftem Optimismus. Sicher war alles nur eine Kurzschlussreaktion.

Es kann doch nicht sein, dass er ernsthaft alles aufgeben will. Unser gesamtes Leben! 12 Jahre Ehe und die waren meiner Meinung nach durchaus glücklich. Es war doch schön, so wie es war. Oder?

Nein, ganz sicher kommt er wieder, es ist bestimmt nur eine Phase, beruhige ich mich selber und versuche verzweifelt alle Gedanken wegzuschieben.

Ida schläft innerhalb zehn Minuten tief und fest. Ganz eng hat sie sich an mich gedrückt, ihre Locken kitzeln in meiner Nase. Sie atmet ruhig und ich kann ihr kleines Herz fühlen, wie es schlägt. Mein Gott! Wie soll ich ihr denn erklären, dass ihr Vater nicht mehr bei uns wohnen wird?

Wieder spüre ich einen Stich tief in mir, als wenn jemand meinen Brustkorb aufschlitzt und mir alle Organe einzeln herausreißt.

Ich drücke mich noch enger an Ida, als ob ich mit meinen 38 Jahren bei einer Achtjährigen Halt finden könnte.

Je angestrengter ich versuche zu schlafen, umso schneller fahren meine Gedanken Achterbahn. Ich schwanke im Sekundentakt zwischen hoffnungslos verzweifelt und verzweifelt hoffnungslos. Alles dreht sich im Kreis und ich habe das Gefühl, mein Gehirn schmerzt davon. Verschwunden sind die Leere und die Gefühllosigkeit von vorhin. Wut, Verzweiflung und unendliche Trauer steigt in mir hoch. Ich werde verrückt.

Irgendwann muss ich wohl doch eingeschlafen sein, denn ich schrecke auf, als der Wecker lautstark schrillt.

Gott sei Dank! Es war nur ein böser Traum, denke ich und fühle mich eine Sekunde später, als ob mir Wladimir Klitschko persönlich einen seiner härtesten Kinnhaken verpasst hätte. Wieder trifft es mich absolut unvorbereitet. Kraftlos sacke ich mit meinem Oberkörper in mein Kissen zurück und fühle wieder die schwere unsichtbare Bleiweste, die mir die Luft zum Atmen nimmt.

NEIN, es war kein Traum! Es ist alles wirklich passiert.

Was mache ich jetzt? Wie soll das alles weitergehen?

Lange sehe ich meinen kleinen Engel neben mir an, wie sie friedlich schlummert. Ida hat der schrille Ton meines Weckers nicht gestört.

Sanft streiche ich über ihre Stirn und ihre wilde Lockenmähne.

Jetzt ist ihre Welt noch heil. Bisher fühlt sie noch keinen Schmerz, keinen Verlust, aber bald werde ich ihr sehr wehtun müssen.

Aber warum muss ICH ihr wehtun? Die Wut kommt wieder in mir hoch und jedes Mal wird dieses Gefühl größer und mächtiger.

Dieses verdammte Arschloch! Platzt mit seinem alleinigen Entschluss einfach in unsere heile Welt, hinterlässt einen Scherbenhaufen und ist zu feige es mir, und vor allem seiner Tochter vollumfänglich zu erklären.

Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, packe ich Ida ein und fahre kurzentschlossen zu meinen Eltern. Im Auto überlege ich mit gemischten Gefühlen, wie ich Mama und Papa alles erklären soll. Absurderweise schäme ich mich.

Aber warum eigentlich? Ist es dieses Gefühl des Versagens, das ich mir eingestehen muss? Hat es Christian mit MIR nicht ausgehalten? Bin ich schuld?

Alle Versuche, diese Scham auf der kurzen Fahrt zu meinem Elternhaus zu verdrängen, scheitern kläglich.

Ganz sicher werden sie enttäuscht sein. Hoffentlich macht mir Mama keine Vorwürfe, das ertrage ich nicht. Egal, sie sind meine Eltern und sie müssen mir jetzt helfen. In der Not haben sie noch immer zu mir gehalten. Papa war immer mein Fels in der Brandung.

Während ich den Klingelknopf drücke, fühle ich, wie mir mein Herz fast aus dem Hals springt.

Mit einem verwunderten, aber durchaus freudigem Lächeln werden wir von meiner Mutter begrüßt. »Lina, das ist aber jetzt eine Überraschung. Kommt doch rein.«

Noch im Flur schwenkt sie plötzlich vom entzückten Begrüßungsmodus in Besorgnis um. Fürsorge ist eigentlich nicht Mamas Stärke, zumindest wenn es um mich geht.

»Lina König! Was ist passiert? Du siehst furchtbar aus.« Ich höre tatsächlich Betroffenheit in ihrer Stimme.

»Ist Papa auch da? Vielleicht könnte er mit Ida ein wenig nach draußen gehen, einen Schneemann bauen oder so was?«

»Richard! Komm runter, Lina und Ida sind da. Ida möchte unbedingt mit ihrem Opa einen Schneemann bauen!«, schreit Mama mit durchdringender Stimme in das erste Obergeschoss hinauf.

Schon kurze Zeit später stapft mein Vater mit seinen Filzpantoffeln über die Treppe zu uns herunter. Freundlich lächelt er mich an und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

Noch nie hat mir diese Geste so gutgetan wie heute. Tief atme ich den typischen Duft meines Vaters ein und fühle mich um 30 Jahre zurückversetzt. Damals war mein Papa derjenige, der all meine Probleme lösen konnte, er war mein Held. Enttäuscht muss ich mir eingestehen, dass dies heute leider nicht mehr so ist.

»Na, Idalein, was meinst du? Sollen wir den oberaffengeilsten Schneemann im ganzen Dorf bauen?«, flötet mein Held aus Kindertagen und setzt sich seine gestrickte Wollmütze auf sein schütteres Haar.

»Na logo, Opa«, strahlt meine Tochter über beide Ohren und hält meinem Vater ihre gespreizte Hand entgegen, in die er auch gerne sofort zum »High-Five« einschlägt.

»Richard! Oberaffengeil? Was soll denn das für ein Wort sein? Wie alt bist du? 15?«

Nach diesem Satz fällt mir schlagartig wieder ein, wie spießig meine Mutter sein kann, und die Angst vor der bevorstehenden Offenbarung meiner Trennung wird plötzlich riesengroß.

In der Küche setzt mir Mama ungefragt eine Tasse Kaffee vor die Nase.

»So, jetzt erzähl! Was ist los?«

Gespannt und mit aufgerissenen Augen starrt sie mich an.

Kurz überlege ich, ob ich einfach nichts sagen soll. Vielleicht ist Christian ja schon wieder daheim und bereut das gestrige Gespräch. Ja, ganz sicher sogar. Dann wäre es ja jetzt blöd, wenn ich hier schon voreilig alle möglichen Menschen informiere. Das würde nur unnötig Staub aufwirbeln …

Lina! Das ist deine Mutter! Wenn du es ihr nicht erzählen kannst, wem dann? Sie muss dir beistehen!

Während ich mit mir selber diskutiere, scheint Mama ihre Neugier kaum noch zügeln zu können. Nervös rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her.

»Jetzt sag schon! Bist du krank? Ist etwas mit Ida?«

Sie scheint wirklich besorgt zu sein, zumindest auf ihre ganz eigene Weise. Also hilft es wohl nichts, es muss nun raus. Einen tiefen Atemzug gönne ich mir noch, bevor ich versuche, die Worte auszusprechen.

»Okay, also … gestern, als Christian nach Hause kam … da hat er … und vielleicht ist es auch nur … er hat sich von mir getrennt.«

Puh! Es ist raus. Nun weiß es also auch noch eine weitere Person außerhalb meiner Ehe, somit ist es jetzt offiziell.

Eigentlich habe ich mit einem kleinen hysterischen Anfall gerechnet, aber meine Mutter sitzt nur regungslos auf ihrem Stuhl und wird kreidebleich im Gesicht. Ihre Reaktion erschüttert mich sehr. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird mir dadurch erst recht bewusst.

»Oh mein Gott! Was ist denn passiert? Hat er eine andere? Oder hast du einen anderen?«, spricht sie mit leiser Stimme nach einer gefühlten Ewigkeit der Stille.

»Ich glaube schon. Er hat gesagt, er zieht zu einer Jasmin.« Während ich diese Sätze, mit wachsendem Kloß in meinem Hals, aus mir herausquetsche, laufen die ersten Tränen über meine Wangen. Erst jetzt kann ich weinen.

Ohne ein Wort zu sagen, nimmt meine Mutter meine Hand, zu mehr Körperkontakt ist sie nicht fähig, das war schon immer so. Hemmungslos beginne ich nun zu heulen. Wie gerne wäre ich wieder das 10-jährige Mädchen, dass soeben vom Kirschbaum geplumpst ist und sich den Arm gebrochen hat. Der Arm ist wieder geheilt, aber ob meine Seele und mein Herz jemals wieder kurieren, bezweifle ich gerade absolut.

Lina, 6 Jahre:Mein Papa kann alles reparieren. Sogar mein Fahrrad ist wieder heil. Immer wenn ich ein Problem habe, gehe ich zu ihm und er wird alles wieder in Ordnung bringen.

Lina, 38 Jahre:Mein Vater ist nur ein ganz normaler Mensch, wie jeder andere, kein übermächtiger Mann mit Superkräften. Und langsam wird auch er alt. Ich sehe seine Kräfte schwinden. Bald wird er MICH brauchen. Aber ich liebe ihn trotzdem.

»Wie soll es denn nun weitergehen? Will er sich scheiden lassen? Wie sollst du denn das Haus abbezahlen? Du hast ja nicht mal einen richtigen Job«, redet meine Mutter panisch auf mich ein.

Das ist typisch Hildegard Baumgartner. Immer einen Schritt weitergedacht. Auch wenn sie sicher recht hat, irgendwann muss ich mir wohl oder übel über all diese Dinge Gedanken machen, aber im Moment bin ich dazu absolut nicht fähig. Ich kann ihre Fragen, die sie wie aus einem Maschinengewehr abfeuert, gar nicht richtig verstehen, so überfordert bin ich mit der Situation.

Da ist sie wieder, diese unendliche Leere und Bedrücktheit. Ich befinde mich noch immer in der Abwärtsspirale. So muss man sich fühlen, wenn man verprügelt worden ist, alles um mich herum höre und sehe ich wie durch einen Schleier.

Vielleicht drehe ich wirklich durch? Mein Gehirn hat definitiv schon großen Schaden genommen, denke ich.

»Mama! Woher soll ich das wissen? Ich weiß im Moment gar nichts.«

»Wo wir dir helfen können, helfen wir dir natürlich. Aber so schön wie jetzt wirst du es nicht mehr haben. Es werden andere, harte Zeiten auf dich zukommen.«

Was soll das denn heißen bitte? Hatte ich ein ZU schönes Leben? Ich empfinde diesen Satz meiner Mutter als sehr verletzend.

Gut, ich habe zwar Ida, die ich erziehe. Aber seit sie damals in den Kindergarten und jetzt in die Schule geht, habe ich tatsächlich drei Vormittage die Woche frei.

An zwei Tagen arbeite ich stundenweise in einem Reisebüro. Das ist zwar nicht unbedingt meine Erfüllung, aber meinen eigentlichen Beruf als Krankenschwester hatte ich nach Idas Geburt an den Nagel gehängt. Stundenweise im Krankenhaus ist einfach nicht möglich. Außerdem war ich damals gar nicht so traurig, als ich mich von Bettpfannen, Inkontinenzeinlagen und wechselnden Tages- und Nachtschichten verabschiedet hatte.

Weil Christian früher in einem Versicherungsbüro einen guten Job hatte, war eigentlich immer klar, wer sich um unsere Kleine kümmern würde. Außerdem war ich einfach viel zu gerne Mutter und viel weniger Karrierefrau.

Ich muss mir eingestehen, dass ich mir um unsere Finanzen nie wirklich Sorgen machen musste. Christian hat nicht schlecht verdient … glaube ich.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir auf, dass ich im Prinzip überhaupt keinen Überblick über unser Vermögen, Schulden und allen sonstigen Absicherungen habe. Ich habe Christian blind vertraut. Er hat nach unserer Hochzeit alles Bürokratische übernommen. Manchmal hat er mir Formulare zum Unterzeichnen unter die Nase gehalten und eigentlich war ich ganz froh, dass ich mich damit nicht herumschlagen musste. Die Tatsache, dass ich mich nun sehr bald mit diesem ganzen Papierkram beschäftigen muss, drückt mich noch tiefer in meinen Stuhl. Ich fühle nochmals ein zusätzliches Zweizentnergewicht auf mir liegen.

Schweigend sitzen meine Mutter und ich in der Küche und jede von uns hängt ihren eigenen Gedanken nach. Ich bin unendlich froh, dass ich nicht alleine bin und sie da ist, auch wenn ich gerade nicht wirklich weiß, wie sie mir helfen könnte.

Sollte sie mit Christian reden? Würde er dann wieder zur Vernunft kommen? Ein Hauch schlechtes Gewissen kommt in mir auf, vielleicht habe ich ihr Unrecht getan und sie zeigt nun endlich mütterliche Instinkte.