Das Leben leuchtet sonnengelb - Pauline Mai - E-Book
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Das Leben leuchtet sonnengelb E-Book

Pauline Mai

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Beschreibung

Der Duft italienischer Kräuter in der Luft, warmer Toskanawind auf der Haut und der Geschmack von Limoncello auf den Lippen …

Die dreißigjährige Carli weiß nicht weiter: Das Architekturstudium ist nichts für sie, ihr Zimmer in einer Marburger Zweck-WG ebenso wenig, und ihr Job im Café erfüllt sie nicht. Einziger Lichtblick: ihre beste Freundin Fritzi. Und dann ist da noch Stammgast Fabrizio. Der italienische Herr erinnert Carli an ihre eigene mediterrane Herkunft, zu der sie jedoch kaum noch Bezug hat. Als Fabrizio eines Tages nicht mehr auftaucht, und Carli kurz darauf zu seiner Testamentseröffnung geladen wird, ändert sich schlagartig alles für sie: Denn Fabrizio hat ihr eine kleine Spielzeugwerkstatt in Florenz vermacht. Völlig überrumpelt reist Carli ins Herz der Toskana und entdeckt dort – inmitten verwinkelter Gässchen und italienischer Köstlichkeiten – nicht nur ihre Liebe für das Land neu, sondern stößt dabei auch auf einen alten Brief …

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Buch

Die dreißigjährige Carli weiß nicht weiter. Das Architekturstudium ist nichts für sie, ihr Zimmer in einer Marburger Zweck-WG ebenso wenig, und ihr Job im Café erfüllt sie nicht. Einziger Lichtblick: ihre beste Freundin Fritzi. Und dann ist da noch Stammgast Fabrizio. Der italienische Herr erinnert Carli an ihre eigene mediterrane Herkunft, zu der sie jedoch kaum noch Bezug hat. Als Fabrizio eines Tages nicht mehr auftaucht und Carli kurz darauf zu seiner Testamentseröffnung geladen wird, ändert sich schlagartig alles für sie. Denn Fabrizio hat ihr eine kleine Spielzeugwerkstatt in Florenz vermacht. Völlig überrumpelt reist Carli ins Herz der Toskana und entdeckt dort – inmitten verwinkelter Gässchen und italienischer Köstlichkeiten – nicht nur ihre Liebe für das Land neu, sondern stößt dabei auch auf einen alten Brief …

Autorin

Pauline Mai, 1987 geboren, wuchs am Tegeler See in Berlin auf. Sie studierte Literaturwissenschaft und lernte auf Reisen durch Südfrankreich und Italien die herzliche Lebensart der Menschen, die malerischen Landschaften sowie das köstliche mediterrane Essen lieben. Heute lebt die Autorin zwar wieder in Berlin, das Fernweh ist ihr aber immer noch geblieben – wie auch der Wunsch, die besondere Atmosphäre dieser Sehnsuchtsorte mit ihren Lesern zu teilen.

Weitere Informationen unter: www.paulinemai.de

Von Pauline Mai bereits erschienen

Das Glück ist lavendelblau

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Pauline Mai

Das Leben leuchtet sonnengelb

Roman

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Originalausgabe 2021 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2021 by Pauline Mai

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Michael Gaeb

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

DN · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-24362-3V001

www.blanvalet.de

Für Lieselotte

1

Ich hätte die Espressomaschine im Schlaf bedienen können. Wirklich, würde mein Mitbewohner mich nachts wecken und rufen: »Carli, ein Notfall, Angela Merkel steht im Café und braucht sofort einen Cappuccino, sonst bricht der nächste Weltkrieg aus!«, ich wäre, noch träumend, zur Kaffeemaschine gewankt, hätte nach dem Kännchen gegriffen und die kühle Milch perfekt aufgeschäumt, das Kaffeesieb gefüllt, es eingedreht und den richtigen Knopf gedrückt. Und mit Sicherheit hätte ich auch noch ein hübsches Blättchen in die Milchhaube gezaubert – oder ein Herz, was bei einem drohenden Krieg vielleicht die passendere Botschaft senden würde.

Wenn man in einem Café groß geworden war, dort unzählige Nachmittage verbracht und die Großeltern genau im Blick gehabt hatte, mit ihren an der Kaffeemaschine werkelnden Händen, wie sie einen perfekt geschichteten Latte macchiato zauberten oder einen sahneliebenden Gast mit ihrem samtigen Milchschaum zum Milchcappuccino-Trinker konvertierten, wenn man schon mit fünf seine erste Sucht entwickelt hatte nach der wohl besten heißen Schokolade der Welt – dann hatte man vermutlich keine andere Chance, als irgendwann selbst das Jucken in den Fingern zu verspüren und sich an die silbern glänzende Maschine zu wagen. Mit zwölf durfte ich es zum ersten Mal versuchen, mit sechzehn hatte ich einen Schülerjob im Café. Vierzehn Jahre und ein abgebrochenes Studium später stand ich nun wieder hier. Was sich seither an mir verändert hatte, mal abgesehen von der Verschiebung meiner Sucht von heißer Schokolade hin zu Caffè Latte? Das war genau die Frage, die mir tagtäglich beim Aufwachen wie eine nervige Motte durch den Kopf flirrte und schleunigst von mir weggepustet wurde, mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Fritzi, mit der ich mir die Schicht teilte, kam hinter die Theke gelaufen und stieß mich mit dem Ellbogen an, wobei sie beinahe meinen kostbaren ersten Kaffee des Tages verschüttete.

»Carli, dein Freund ist da.«

Ich verzog den Mund, sodass nur Fritzi es sehen konnte, als die vertraute Gestalt langsam durch die Tür des Cafés hereinschlurfte.

»Johan, machst du mir ein Croissant mit Marmelade fertig?«, rief ich durch die Öffnung der Durchreiche in die Küche und erhielt ein Grunzen zur Antwort. Auch in der Küche war wohl dringender Kaffeenachschub gefragt. Johan kochte besser als jeder andere, den ich kannte, selbst besser als Nonna, meine italienische Großmutter, und das hieß einiges. Allerdings litt er unter andauernder Grummeligkeit, die nur durch eine ausgewogene Kaffeeinfusion gemäßigt werden konnte.

Ich ließ also gleich zwei Espressi durch die Maschine laufen. Während sie ihren Dienst tat, drehte ich mich zum Gastraum um und ließ den Blick von Tisch zu Tisch wandern. Alles hier war in gedeckte Farben getaucht und hob sich darin von den luftigen, hellen Hipstercafés ab, die neuerdings überall aus dem Boden schossen. Doch auch wenn unser Café damit eher die ältere Schicht von Marburg anziehen mochte, verströmten die Wände mit ihren dunkelgrün geblümten Tapeten, die Möbel in tiefem Eichenbraun und das glänzende, wenn auch schon mitgenommen ächzende Holzparkett die Gemütlichkeit eines eingelebten Wohnzimmers. Die Deckenlampen aus Messing unter den grünen Schirmen waren eingeschaltet, sie tauchten die dunklen Möbel in warmes Licht und ließen dem Grau von draußen keinen Schlupfwinkel. Unterstützt wurden sie von den weißen Kerzen, die auf jedem der Tische in bronzenen Haltern brannten. Hinter den Fenstern zeigte sich das Marburger Wetter über dem Marktplatz wieder einmal von seiner unschönen Seite, was die Behaglichkeit hier drin jedoch nur verstärkte. Der Regen prasselte im regelmäßigen Rhythmus gegen die Scheiben, das Wasser lief in kleinen Bächen daran herab. Heute brauchte man eigentlich kein Buch und keine Zeitung, wenn man zu einem Kaffee und einem Stück Kuchen ins Café kam: Allein dieses kleine Naturschauspiel ließe sich ewig beobachten, ohne dass man sich langweilte.

Zwischen den Tischen wuselte Fritzi mit ihren langen blonden Haaren, die in einen Pferdeschwanz zurückgebunden waren, und der etwas zu eng sitzenden Schürze umher, nahm da einen Teller vom Tisch und dort eine neue Bestellung auf. Seitdem ich sie vor einem Jahr bei der Arbeit hier im Café kennengelernt hatte, waren wir zu besten Freundinnen geworden. Fritzi war ein paar Jahre jünger als ich und studierte Kulturwissenschaften, allerdings mit wenig Leidenschaft. Lieber verbrachte sie ihre Zeit mit dem Marburger Nachtleben und Dating-Apps. Wir waren uns nicht wirklich ähnlich, und vielleicht war es gerade das, was uns miteinander verband. In Gesprächen balancierten wir uns aus: Sie brachte die Leichtigkeit ein, die mir manchmal fehlte, während ich hin und wieder für die nötige Portion Realismus sorgte.

Das zischende Geräusch hinter mir versiegte, und ein intensives Kaffee-Aroma breitete sich aus, vermischte sich mit dem Duft nach frischen Croissants und dem ewig währenden Geruch nach altem Holz. Ich nahm die beiden dampfenden Tässchen und stellte Johan eines davon auf die Theke der Durchreiche. Ich suchte seinen Blick und fuchtelte wortlos mit beiden Zeigefingern zwischen ihm und der Tasse hin und her. Das entlockte ihm ein winziges Zucken der Mundwinkel, und mehr erhoffte ich mir ja gar nicht. Schon hatte ich mir die zweite Tasse und den Teller mit dem Croissant geschnappt und war auf dem Weg zu dem kleinen runden Tisch in der Ecke neben dem Zeitungsständer.

»Buongiorno«, sagte ich fröhlich, ohne eine Antwort zu erwarten, und stellte beides vor dem älteren Mann ab, der zum Dank nur nickte. Ganz, ganz selten, an wirklich guten Tagen, war ihm vielleicht mal ein gemurmelter Gruß auf Italienisch oder Deutsch zu entlocken, aber heute war wohl wieder mal keiner dieser Tage. Er war in etwa so alt, wie mein Großvater es wäre, lebte er noch. Und auch sonst erinnerten mich die Züge des Mannes ein wenig an ihn, nur dass mein Nonno so viel öfter gelächelt hatte. Seine trüben, rot geränderten Augen, die meist etwas verloren aus dem faltigen Gesicht hervorblickten, schafften nicht einmal einen Blick zu mir empor. Zu schwer schienen die einst schwarzen, nun grau melierten Augenbrauen zu wiegen. Er griff stattdessen nach der regionalen Zeitung, die Fritzi heute Morgen frisch auf den Bügel gezogen hatte, und vergrub das Gesicht dahinter. Nur die wenigen letzten Haarzipfel, die von seinem immer kahler werdenden Kopf abstanden, waren noch zu sehen. Ein wenig mitleidig betrachtete ich ihn noch einige Sekunden und biss mir auf die Lippe. Vielleicht war es Unsinn, aber ich meinte mittlerweile die Abstufungen seiner Traurigkeit unterscheiden zu können, schließlich hatte ich ihn an beinahe jedem Tag des letzten Jahres gesehen – und bedient, denn Fritzi schickte mich gern zu ihm, indem sie auf unsere »Gemeinsamkeit«, unsere italienischen Wurzeln, verwies. Jedoch schien nur sie das so zu sehen, denn der Mann war nicht erpicht auf Kontakt, weder zu mir noch zu sonst jemandem. Heute schien mir ein besonders übler Tag zu sein. Doch bevor ich weiter darüber nachsinnen oder ihn gar ansprechen konnte, wurde ich von zwei älteren Damen abgelenkt, die mich zu sich winkten.

Auf dem Weg zu ihrem Tisch streifte mein Blick das eingerahmte Foto über der Theke. Es zeigte ebendiese Theke, als sie noch den Glanz von frisch bearbeitetem, glänzendem Holz besessen hatte, und dahinter standen meine Großeltern. Sie waren jung, vielleicht Ende dreißig, ihr Haar hatte noch die stolze schwarze Farbe, ihr Teint war glatt und ihr Lächeln strahlend. Das Foto musste bei der Eröffnung des Cafés geschossen worden sein. Gut zehn Jahre zuvor waren sie als italienische Gastarbeiter nach Hessen gekommen, um in einer Pralinenfabrik zu arbeiten. Sie waren in Deutschland geblieben, hatten hier ihren Sohn – meinen Vater – großgezogen und schließlich ein eigenes Café eröffnet. Warum der neue Besitzer das Foto nicht abgenommen hatte, fragte ich mich immer wieder, ohne bei seiner ständigen Abwesenheit die Chance zu bekommen, ihm diese Frage zu stellen. Vielleicht meinte er ja, es trüge dazu bei, den nostalgischen Charme des Cafés und ein Gefühl von Authentizität zu erhalten. Ich mochte das Bild und fand es schön, es jeden Tag zu sehen, es erinnerte mich an die Nachmittage, an denen ich als Kind oft nach der Schule hier am Tisch gesessen hatte, während meine Eltern noch gearbeitet hatten. Dort hatte ich Stunden verbracht, in meine Hausaufgaben vertieft, puzzelnd oder lesend. Ich blickte mich um, das Café schien noch immer ein aus der Zeit gefallener Ort zu sein. Und doch hatte es an Leben eingebüßt, als meine Großeltern aus seinen Räumen verschwunden waren. Sie waren das Herz des Cafés gewesen, hatten die Stammgäste wohl mehr noch durch sich selbst als nur durch ihren guten Espresso und die sündigen Torten angezogen. Ihr Tod und der Verkauf an den neuen Eigentümer vor zwei Jahren hatte nicht das äußere Erscheinungsbild verändert, wohl aber die Seele des Cafés angekratzt. Von den damaligen Stammgästen kamen wenige noch so regelmäßig wie einst. Den neuen Besitzer sah man so gut wie nie in diesen Räumen. Und dass ich als Nachfahrin der Gründer nun hier arbeitete, war wohl kaum eine günstige Fügung, sondern mehr ein ironisch düsterer Schlag des Schicksals, den Alanis Morissette besingen könnte.

»Hallo, junge Frau!«

Ich sammelte mich und blickte auf zwei ungeduldige Augenpaare.

»Ähm, wie war das, bitte?« Schnell blätterte ich eine Seite des Blocks um. Die beiden Damen wechselten einen vielsagenden Blick.

»Wir nehmen einmal das große Frühstück für zwei, zwei Latte macchiato und einen Orangensaft. Bitte.« Das letzte Wort wurde giftig gezischt.

»Frisch gepresst?«, fragte ich so höflich wie zuvor.

»Nein, der ist eindeutig zu teuer.«

Ich nickte verständnisvoll und entfernte mich, während die beiden nahtlos in einen Disput über Orangenpreise verfielen.

An der Theke stand Fritzi und bereitete gerade einige Teekännchen für die japanische Touristengruppe am großen Fenstertisch vor. Während ich die Bestellung in die Kasse eintippte, warf sie mir einen Blick zu und ließ ihn dann zu dem Zeitungsleser wandern.

»Ist schon komisch, dass der jeden Tag hierherkommt, oder?«

»Hm? Ach, ich hab mich schon so an ihn gewöhnt, irgendwie gehört er mittlerweile einfach zum Inventar, findest du nicht?«

»Ja, schon. Ich arbeite jetzt drei Jahre hier, und jeden Tag sitzt er am selben Platz, trinkt seine Espressi und liest die Zeitung. Komisch ist das schon. Irgendwas hat man doch immer zu tun. Und hast du nicht erzählt, dass er sogar früher schon hier war, als das Café noch deinen Großeltern gehörte?«

»Ich glaube, ja. Nicht so regelmäßig wie jetzt, aber ich meine, ihn damals manchmal bedient zu haben. Er war halt ein Stammgast und hat sich gut mit meinen Großeltern verstanden, glaube ich.«

»Aber er muss doch mal irgendetwas anderes machen, als immer nur herumzusitzen und Zeitung zu lesen!«

Ich wartete, bis Fritzi alle Teekannen mit heißem Wasser aus der Kaffeemaschine gefüllt hatte, dann schnappte ich mir die Milchkanne und hielt sie unter den Aufschäumer, der geräuschvoll seine Arbeit tat.

»Wahrscheinlich ist er Rentner. Und Millionär«, sprudelte es aus mir heraus, als ich den Hahn wieder abgedreht hatte und in leisem Ton weiterreden konnte. »Zu Hause kümmern sich seine Angestellten um alles, putzen für ihn, verwalten sein Vermögen, gehen einkaufen. Und er kann hier sitzen und Zeitung lesen. Ein Traumleben!«

Fritzi lachte heiter auf. »Dafür guckt er aber immer ziemlich verdrießlich aus der Wäsche, wenn du mich fragst.«

»Na ja, wahrscheinlich ist es wahnsinnig langweilig, überhaupt nichts zu tun zu haben.«

Es war nicht das erste Mal, dass wir dieses Gespräch führten. In unserer Fantasie war der Zeitungsleser nicht nur schon Millionär gewesen, sondern auch ein Liebender, der hier Tag für Tag auf seine Angebetete wartete, die ihm vor fünfzig Jahren versprochen hatte, ihn irgendwann in diesem Café wiederzutreffen. Oder er war ein exzentrischer Schriftsteller, der die Nächte hindurch schrieb und die Tage über in den Zeitungen und bei den Cafébesuchern nach Inspiration suchte. Wann er schlief? Vielleicht mit offenen Augen hinter seiner Zeitung.

»Also, wenn ich nicht mehr hier arbeiten müsste, wüsste ich sehr wohl, was ich mit meiner Zeit anfangen würde!«, rief Fritzi, stemmte das Tablett mit den vielen gefüllten Kännchen auf den Arm und wandte sich mit einem letzten Schwung des Kopfes vom Tresen ab. Die grauen Ringe unter ihren Augen hatten mir schon längst verraten, dass sie die Nacht wohl wieder nicht in ihrem Bett verbracht hatte. Was Fritzi anstellen würde, wenn sie mehr freie Zeit hätte, wollte ich mir eigentlich gar nicht so genau ausmalen.

Ich platzierte die Kaffeetassen und Saftgläser auf mein Tablett und brachte sie den kritisch äugenden Damen, nur um ja schnell wieder von ihnen wegzufegen.

»Und zwar?«, fragte ich dann doch nach, als wir uns wieder am Tresen trafen und auf die von Johan zubereiteten Speisen für die Gäste warteten. Wie jede gute Bardame es in einer solchen Situation tun würde, schnappte Fritzi sich einen Lappen und wischte hierüber und darüber, während ich mich den ersten schmutzigen Gläsern zuwandte, damit bloß niemand auf die Idee käme, wir hätten nichts zu tun.

»Ich würde irgendwo in einer Hängematte in der Sonne liegen und Cocktails schlürfen, die mir von sexy Barkeepern gebracht werden.« Schon bei dem Gedanken daran brach sie in ein aufgedrehtes Kichern aus.

»In welcher Sonne? In Marburg gibt es ungefähr zwei Sonnenstunden im Jahr.«

»Quatsch, doch nicht in Marburg. Irgendwo in der Südsee würde ich liegen und mich knackig braun brennen lassen. Was würdest denn du machen, wenn du so viel Geld hättest, dass du nicht mehr arbeiten müsstest?«

Ich überlegte, die Hände im Spülwasser versenkt, der Blick gewohnheitsmäßig über die Tische wandernd und Ausschau haltend nach einer emporgereckten Hand. »Als Allererstes würde ich mir eine andere Wohnung suchen.«

»Oh, ja«, geriet Fritzi sofort ins Schwärmen, »du kommst mit mir in die Südsee, wo niemand so eine griesgrämige Miene zieht wie die da.« Sie deutete mit dem Kinn in Richtung der zwei älteren Frauen. Doch ich zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht auch hier in Marburg, Hauptsache aus dieser Schreckens-WG raus. Wo sollte ich denn sonst hin?«

»Hallo?« Fritzi hatte sich mir zugewandt und die Fäuste in die Seiten gestemmt, der Lappen hing schlaff herunter. »Wenn du schon nicht in die Südsee willst – deine Eltern haben doch ein Haus in der Toskana! Du sprichst perfekt Italienisch. Ich verstehe sowieso nicht, was du noch hier machst.«

»Du meinst also, ich sollte zu meinen Eltern ziehen und mich einfach voll und ganz von ihnen durchfüttern lassen?«, fragte ich sie lachend. Es stimmte, mein Vater hatte das Café nach dem Tod seiner Eltern verkauft, hatte mit meiner Mutter Deutschland den Rücken gekehrt und war in die Toskana gezogen, wo sie das alte Haus eines Onkels oder Großonkels, das lange leer gestanden hatte, aufgemöbelt hatten. Seither lebten sie zwischen Wein- und Olivenhängen mit eigenem ausladendem Gemüsegarten ihren Traum vom italienischen Landleben.

»Warum eigentlich nicht?« Auch Fritzi lachte nun, sie wusste ganz genau, dass so etwas für mich niemals infrage käme, zumal es klare Gründe gegeben hatte, warum ich früh von zu Hause ausgezogen war. Ein Hitzkopf in der Familie war schwierig genug, gleich drei waren eine Katastrophe. Außerdem gab es da noch diese riesengroße Lüge, die mir tagtäglich das Gewissen trübte und wie ein Elefant zwischen meinen Eltern und mir stand, wenn ich mit ihnen sprach.

»Da müsste erst einiges passieren, oder ich müsste um einiges verzweifelter sein, als ich es gerade bin, bevor es dazu käme«, wandte ich ein.

»Ich weiß, ich weiß. Auch wenn ich finde, du solltest endlich mit ihnen reden und Klarheit schaffen. Denn: Es ist Italien! Sonne, Meer, Pasta, Wein!«, schwärmte Fritzi. »Welche Gründe könnten besser geeignet sein, um endlich über den eigenen Schatten zu springen?« Mit einem Blick auf mich hielt sie inne. »Entschuldige, ich weiß, du redest nicht gern darüber.«

Während Fritzi zu einem Gast eilte, ließ ich erneut den Blick prüfend durch das Café gleiten und blieb an den Augen des Zeitungslesers hängen, die auf mich gerichtet schienen. Nein, ich irrte mich, er sah zwar in Richtung der Theke, doch sein Blick traf mich nicht ganz. Ich zuckte innerlich zusammen. Hatte er etwa gehört, wie wir über ihn geredet hatten? Aber das konnte eigentlich nicht sein, wir hatten ganz leise gesprochen, als es um ihn gegangen war. Erst beim Thema Italien hatte Fritzi die Stimme gehoben. Als ich ihn so beobachtete, während er sich erneut in die Zeitung vergrub, fiel mir wieder auf, wie mitgenommen er heute wirkte. Nicht nur griesgrämig und traurig wie sonst, sondern irgendwie fahl, das Gesicht eingefallen. Er schien körperlich angegriffen.

Doch da unterbrach mich die Küchenklingel in meinen Gedanken, und ich spurtete los, um den Gästen ihr Frühstück zu bringen. Die beiden Damen hielten mich noch einige Minuten auf Trab, schickten mich mit dem zu hart gekochten Frühstücksei zurück in die Küche, dabei war es auf die Sekunde perfekt zubereitet, ließen mich den Salzstreuer auswechseln, weil ihrer angeblich verstopft sei, und baten um mehr Brot, um es letztlich doch im Korb liegen zu lassen. Ich biss mir auf die Unterlippe, kniff mir selbst in den Arm und versuchte mir zwanghaft vorzustellen, wie ich die beiden später in einer bösen Karikatur festhalten würde, wenn ich endlich wieder an meinen Zeichenblock kam. Das Zeichnen war neben dem Kaffeemachen wohl mein einziges anderes Talent.

Als ich mich endlich der Getränkebestellung einiger anderer Gäste zuwenden konnte, kam mir Fritzi entgegen und unterdrückte ein Prusten.

»Ich übernehme die beiden«, sagte sie und drückte meinen Arm. »Du hast schon wieder deinen knallroten Kopf.«

Ich warf einen Blick in den Spiegel hinter der Theke, und wirklich: Meine Gesichtsfarbe ähnelte eindeutig der Himbeermarmelade auf dem Frühstücksteller, den Fritzi gerade an einen Tisch bringen wollte. Das ging mir leider immer so. Sobald ich mich über etwas oder jemanden aufregte, lief mein Kopf rot an, und woher das kam, ließ sich leicht feststellen. Man musste nur mal meinem Vater etwas Tabasco in den Kaffee geben, so wie ich es als Sechsjährige ausprobiert hatte, und sofort war das Experiment abgeschlossen. Ergebnis: Es vererbten sich nicht nur die dicken schwarzen Haare eines Vaters an die Tochter, sondern ebenso der Hitzkopf. Dass meine Mutter ihm in dieser Hinsicht in kaum etwas nachstand – oh, ja, das Gerücht von tellerschmeißenden Paaren? Kein Gerücht! –, hatte mir wohl keinerlei Chance gelassen, um den himbeerroten Kopf herumzukommen.

Während Fritzi sich den beiden Frauen widmete, bedeutete mir der Zeitungsleser mit einer Geste, ihm einen neuen Kaffee zu bringen. Ich bereitete einen Espresso zu, stellte ihn vorsichtig auf dem Tisch ab und wollte mich gerade wieder abwenden, als ich eine raue Stimme hörte.

»Du willst nach Italien gehen?«

Perplex starrte ich den Mann an, von dem ich, soweit ich mich erinnern konnte, noch nie mehr als zwei Worte am Stück gehört hatte. Seine Stimme klang nicht nur rau, sondern auch brüchig … eine Stimme, die nur selten benutzt wurde. Wie bei den kurzen Bestellungen, die ich bisher von ihm gehört hatte, drang auch jetzt ein südländischer Akzent durch, der mich an das italienisch gefärbte Deutsch meiner Großeltern erinnerte. Die kleinen dunklen Augen des Mannes waren auf mich gerichtet. Müde sahen sie aus, das wenige Weiß, das zu sehen war, wirkte verwässert.

»Nach Italien? Ich? Aber nein, nein, das haben Sie missverstanden.« Ich schluckte meine Überraschung herunter. »Meine Freundin und ich haben nur herumgeblödelt.«

»Aber deine Familie, sie ist in Italien?«

»Meine Eltern, ja. In der Toskana. Doch ich gehöre nicht dorthin. Mein Platz ist hier in Marburg.« Höflich lächelte ich und überlegte, wie ich das Gespräch am Laufen halten konnte. Schließlich warteten Fritzi und ich schon so lange darauf, mehr über das Leben dieses Mannes zu erfahren. Gerade wollte ich ihm eine Frage stellen, da veränderte sich etwas in seinen Augen: Der übliche abwesende, ja, abwehrende Blick wechselte zu einer Art Gutmütigkeit. Einen Augenblick lang war ich gefangen von der Wärme, die ich zum ersten Mal von ihm ausgehen spürte. Ob er mit angehört hatte, dass die Situation zwischen meinen Eltern und mir schwierig war? Anders konnte ich mir diesen Wechsel nicht erklären. Es schien mir, als ob er mich trösten wollte. Ein kleines, dankbares Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus, da wandte er den Blick schnell wieder von mir ab und seinem Kaffee zu. Der Moment war vorbei und damit auch die Chance, ihn nach seinem Leben zu fragen.

Erstaunt von der Begegnung, hatte ich den restlichen Tag ein wenig nachdenklich, aber ohne Zwischenfälle durchwandelt. Immer wieder hatte ich zu dem alten Mann sehen müssen, doch seine Augen blieben auf die Zeitung geheftet, bis er irgendwann am späten Nachmittag einige Münzen aus seiner Hosentasche zog und sie klimpernd auf den Tisch fallen ließ, um dann mit einem kurzen Nicken in meine Richtung aus dem Café zu schlurfen. Bildete ich es mir ein, oder ging er noch gebückter als sonst? Ich räumte die letzte Tasse auf das Tablett, zückte einen Lappen und wischte über den Tisch.

»Nach diesem Tag brauche ich unbedingt einen Drink!«, rief Fritzi quer durch den Gastraum. Ich blickte mich um, tatsächlich waren alle Gäste mittlerweile gegangen, die Tische standen unbelebt da und konnten nun endlich wieder in ihren Abendschlummer fallen. »Seid ihr dabei?«

Johans »Ohne mich« kam so schnell, da war Fritzis Frage noch nicht einmal komplett verklungen. Aber dass Johan seine Abende lieber mit seiner Familie verbrachte, wussten und verstanden wir. Fritzi richtete ihr strahlendes Lächeln auf mich. Doch ich schüttelte den Kopf.

»Sorry, aber ich will nur noch nach Hause und zeichnen, ich bin völlig kaputt.«

»Das kann nicht dein Ernst sein. Komm schon, bloß auf einen Drink.« Sie verfiel in diesen Ton, der irgendwo zwischen Betteln und Bestimmen lag und mich normalerweise sofort einfangen konnte – normalerweise, aber nicht heute. Ich winkte ab, und Fritzi schien zu merken, dass weitere Überredungsversuche sinnlos wären, also ließ sie davon ab und berichtete stattdessen endlich von ihrem Date am vergangenen Abend, während wir die Tische abwischten, die Gläser spülten und die Theke putzten. Johans Schnauben war hin und wieder bei den besonders schlüpfrigen Szenen aus der Küche zu hören, was mich nur noch mehr zum Lachen brachte. Und wieder einmal bewies Fritzi ihr Talent zur perfekten Choreografie des Erzählens, als sie mit einem »Also war es doch zu etwas gut, dass er weder meine Nummer hat noch weiß, wo ich wohne« die Cafétür hinter uns dreien mit zwei forschen Schlüsselumdrehungen abschloss. Dass wir in einer Stadt wohnten, in der man sich zwangsläufig mindestens zwanzigmal im Leben wiedertraf, ließ ich unerwähnt und drückte stattdessen Fritzi und Johan zum Abschied fest an mich, um mich auf den Heimweg zu machen.

2

Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, und so zog ich nur die Kapuze meines Parkas tiefer ins Gesicht und ließ den Schirm in meiner Tasche.

Dass Marburg zu einer Zeit entstanden war, als an so etwas wie Pfennigabsätze noch nicht zu denken gewesen war, dürfte jede Frau spätestens dann spüren, wenn sie für einen besonderen Anlass die High Heels aus dem Schrank kramte. Das Kopfsteinpflaster war krumm und schief und so glatt gelaufen, dass man ins Schlittern geriet. Die Absätze blieben erbarmungslos alle paar Meter in den Zwischenräumen hängen, und die hügeligen Straßenverläufe taten ihr Übriges, um einen völlig zum Clown zu machen – vor dem gesamten Publikum der Marburger Oberstadt. Der Abstieg, den ich nun vorsichtig hinunterging, war so steil, dass ich dem Turnschuhgott für die Erfindung der Antirutschsohle dankte. Ich wollte nicht den Aufzug nehmen, der die mittelalterliche Oberstadt mit ihren weiß getünchten Fassaden und gekreuzten dunklen Balken mit der Unterstadt verband. Meist drängten sich in dem Gang zu den zwei Fahrstühlen die Touristengruppen und die Jugendlichen, die sich auf nächtliche Abenteuer begaben, sodass man minutenlang anstehen musste, um sich dann in einen überfüllten Aufzug zu klemmen, der außerdem schon so alt aussah, dass man fürchten musste, inmitten von schwitzenden, rot angelaufenen Japanern und Amerikanern in den Abgrund zu stürzen. Und selbst wenn er nicht abstürzen sollte, stand einem dennoch eine gute halbe Minute genierten An-die-Decke-Starrens oder wahlweise auch Auf-die-Fußspitzen-Gaffens bevor. Die fehlende Gute-Laune-Kaufhaus-Musik machte einem die unangenehme Nähe zu den anderen Fremden so bewusst, dass reihum ein peinliches Räusperkonzert einsetzte. Nein, ich bevorzugte lieber einen der engen und steilen Wege, der sich um die alte Universität schlängelte, einem wuchtigen, dunkel verfärbten Riesen mit spitz zulaufenden, verspielten Zinnen und schmalen, langen Fenstern, der auf dem Fundament eines einstigen Klosters entstanden war. Ich liebte diese Zeugen der Marburger Geschichte, die hier thronten und über uns zu wachen schienen, liebte es, in einer Stadt zu wohnen, die die Spuren ihrer mittelalterlichen Vergangenheit noch so stolz trug. Auch wenn es in anderen Teilen der Stadt, wo die Sechzigerjahre ihren Fußabdruck in Form von grausig grauen Blockriesen hinterlassen hatten, nicht so malerisch aussah wie in der Oberstadt, gab es überall noch diese Erinnerungsstätten, die die Vergangenheit in sich trugen: das alte Stadtschloss hoch über der Stadt, in dem mittlerweile Studentenwohnungen eingerichtet waren, die Elisabethkirche, der Bettinaturm, das Rathaus in rotem Klinkerstein mit dem mechanischen Gockel, der jede volle Stunde mit seinem Flügelschlag begrüßte, und natürlich die alte Universität, die ich nun hinter mir ließ. Es waren diese Gebäude gewesen, die mich gereizt hatten, mehr über ihre Bauweise wissen zu wollen, weshalb ich unbedingt Architektur hatte studieren wollen. Sie und natürlich meine Leidenschaft für das Zeichnen. Auch wenn es nicht unbedingt nur Gebäude waren, die ich gern aufs Papier brachte, hatte ich es mir traumhaft vorgestellt, eines Tages mit Bleistift und Papier mein Geld zu verdienen.

Ich kam an der Eingangstür meines Wohnhauses an. Es war eines der neueren Häuser in der Stadt, schmucklos bis auf ein paar Balkone, deren blendendes Blau sich auf lächerliche Weise von dem Grau des Gebäudes abhob. Ich schloss die Tür auf, schlurfte lustlos zum Aufzug und fuhr in den vierten Stock hoch. Der Tag hatte eine seltsame Mischung aus unangenehmen Gefühlen hinterlassen, die sich nun in mir breitmachten: die Sorge um den Zeitungsleser, der auf mich einen so gebrechlichen Eindruck gemacht hatte, der kurze Austausch mit Fritzi über meine Eltern, der das übliche Gefühl des Versagens ausgelöst hatte, das mir sowieso jeden Tag vor den Kopf gehämmert wurde, wenn ich statt in ein schickes Architekturbüro ins Café ging, um mir die Schürze umzubinden und Gläser zu polieren. Es war nicht der Job an sich, der dieses Gefühl in mir auslöste, als eher das Zerplatzen des lang gehegten Traums, das ich selbst herbeigeführt hatte. Meinen Eltern hatte ich von dieser Entwicklung, die nun schon ein Jahr zurücklag, nichts erzählt. Es war diese Lüge, die einen normalen Austausch mit ihnen so schwierig gestaltete. Ich hatte es nicht über mich gebracht, sie einzuweihen – nicht nach all dem Drama, das meinem Studium vorausgegangen war. Für sie saß ich immer noch über Zeichenpapier und Lineal gebeugt in Frankfurt, und ich hoffte, dass sie so schnell nichts von der Wahrheit erfahren würden. Ihre Anklagen könnte ich nicht ertragen.

Und dann war da noch die tägliche Rückkehr in eine Wohnung, in der ich nicht leben wollte. Die WG war eine Notlösung gewesen, um mit einem Berg aus Bafög-Schulden und auf dem schwierigen Wohnungsmarkt in Marburg überhaupt eine Bleibe zu finden, als ich Hals über Kopf aus Frankfurt geflohen war. Und da dieser Schuldenberg leider viel zu langsam schrumpfte, war ich an die Wohnung gefesselt – und an zwei Mitbewohner, die anfangs noch in Ordnung gewirkt hatten, aber mit jedem Tag schwerer zu ertragen waren. Der Spiegel in der engen Fahrstuhlkabine, in die höchstens zwei Personen passten, auch wenn sie für vier ausgeschrieben war, war über und über mit Gekritzel und Bildchen vollgeschmiert, sodass ich gerade noch so meine linke Wange darin erkennen konnte. Ich war nicht traurig darüber. Nach diesem Tag gab ich wahrscheinlich nicht das strahlende Bild einer freien und unabhängigen Jungdreißigerin ab.

Ein leises Piepen, und ich war oben angekommen. Ich schloss die Wohnungstür auf, vor der eine Fußmatte verkündete: »Nice Underwear!« Wie immer rollte ich mit den Augen, als ich den Satz las, und nahm mir vor, noch seltener auszugehen und mehr Geld beiseitezulegen, um mir endlich eine eigene Wohnung leisten zu können. Es schlug mir süße Stille entgegen, als ich in den Flur trat, doch die war leider trügerisch. Kaum dass ich die Wohnungstür leise hinter mir geschlossen hatte, öffnete sich die Tür vom Zimmer am anderen Ende des Gangs.

»Hey, Carli!« Verwuschelte hellblonde Haare, ein breites Kreuz und Adiletten – ein Sportstudent, wie er im Buche stand, so gut aussehend, dass er keinerlei Wert auf geschmackvolle Kleidung legen musste. Boris kam mir mit schwingendem Schritt entgegen, blieb auf halber Strecke, sprich kurz vor meiner Zimmertür, stehen und lehnte sich betont lässig gegen die Wand. »Wie geht’s?«

Ich seufzte innerlich auf. Wenn mir heute noch eines gefehlt hatte, dann eine Flirtattacke von meinem überpotenten Mitbewohner. Mit gezielten Schritten ging ich auf meine Tür zu und gab dabei ein unmotiviertes »Heeey« von mir. Ich wollte gerade nach der Klinke greifen, wobei ich ungewollt nah an Boris heranrücken musste, als ich die Tür in meinem Rücken sich öffnen hörte. Ich seufzte leise und sah mich um.

»Ach, Carlotta, gut, dass ich dich sehe. Oh, hallo, Boris.« Thorstens Stimme verlor an Kraft, als unser Vermieter und Mitbewohner den Sportstudenten neben mir erblickte. Er fuhr sich nervös durch den schmutzig braunen Bürstenschnitt. Boris mochte mit seinem Flirtgehabe nervig sein, war aber an sich ein netter Kerl, solange er keinen Frauenbesuch hatte und uns lautstark daran teilhaben ließ. Thorsten hingegen war eine ganz andere Nummer. Er mochte auf den ersten Blick ungefährlich wirken, hatte sich aber im Laufe des letzten Jahres als absoluter Kontrollfreak entpuppt. Der zwar großgewachsene, aber schmächtige Dreißigjährige mit den abgewetzten Klamotten hatte sichtbaren Respekt vor Boris, der Schultern und Bizeps täglich beim Rudern oder Schwimmen stärkte, und akzeptierte ihn ohne Zögern als das Alpha-Tier in unserem Haushalt. Wer am Ende dieser fraglichen Nahrungskette stand, war in seinen Augen klar.

»Ich wollte mit dir sprechen. Wir hatten doch verabredet, dass nicht mehr so viel Klopapier verschwendet wird. Das ist schon wichtig. Nicht nur für unseren Geldbeutel, auch für die Umwelt.« Thorsten warf Boris einen fragenden Blick zu. Als der ihn nur mit versteinerter Miene anstarrte, fuhr er stotternd fort: »Also könntest du … ähm, also, deinen Verbrauch bitte weiter kontrollieren? Mehr als zwei Blätter sollten für einen, ähm, kleinen Toilettenbesuch wohl nicht nötig sein. Wir sparen dann eine ganze Stange Geld.« Er hüstelte gekünstelt. »Ich habe das mal beobachtet, und ich glaube, nach deinen Gängen ist deutlich weniger …«

»Thorsten!«, rief ich und hörte Boris neben mir leise lachen. »Du hast nachgezählt, wie viel Klopapier ich verbrauche?!«

»Ich wollte ja nur …« Thorstens Blick sprang zwischen Boris und mir hin und her. »Nur überprüfen, ob …«

»Das ist nicht dein Ernst!«

»Oh, oh«, gab Boris mit einem Blick auf meine knallroten Wangen grinsend von sich. Er wusste aus Erfahrung, was geschah, wenn Thorsten oder irgendwer sonst sich in meine Angelegenheiten einmischte. Am schlimmsten war es, wenn sich Herablassung dazugesellte, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Da ging alles in mir durch, und mein geerbter Hang zum Wutausbruch trat mit voller Wucht zutage.

Ich baute mich vor Thorsten auf und blitzte ihn wütend an. Und schon brach es aus mir heraus: »Ich fasse es nicht! Was fällt dir ein, dich so in meine Angelegenheiten einzumischen? Wir reden hier von meinem Klopapierverbrauch – Klopapier! Das muss man sich mal vorstellen! Wenn das noch einmal passiert, dann kann ich wirklich für nichts mehr garantieren!«

Ich warf erst ihm und dann Boris den bösesten Blick zu, zu dem ich fähig war, schloss die Hand um die Klinke, öffnete die Tür, und ein »Ich muss hier raus« zischend, trat ich in mein Zimmer. Schnell schloss ich die Tür hinter mir und ließ mich auf mein schmales Bett fallen, das ein Drittel des Zimmerchens ausmachte. Sonst standen hier drin nur noch ein kleiner Computertisch samt Stuhl, der an die Einzeltische in Internatsfilmen erinnerte und unter all den Skizzen und Stiften kaum noch zu sehen war, sowie ein schmales Regal, in dem ich meine Kleidung einsortiert hatte. Kahle Wände, ein abgelebter grauer Teppich mit dunklen Flecken. Unter dem Bett befanden sich zwei Koffer mit meinen restlichen Besitztümern, mit meinen Büchern, Kerzenständern, meinen Bildern und weiteren Klamotten, die ich in dem Jahr, das ich nun hier lebte, nicht ein einziges Mal herausgeholt hatte. Nicht nur gab es keinen Platz, um sie unterzubringen, ich wollte mich hier gar nicht erst richtig einrichten, weil das heißen würde, dass ich diese WG als mein Zuhause akzeptierte. Und das war sie nicht, ganz eindeutig nicht.

Ich rollte mich zur Seite und starrte die gräuliche Wand an, die früher sicher einmal weiß gewesen war. Tief atmete ich ein und aus. Zwei Minuten später, als sich meine Wangen etwas abgekühlt hatten, taten mir mein Ausbruch und der böse Blick schon wieder leid. Nicht Boris gegenüber, der konnte damit umgehen und war von seinen Mädels ganz andere Auftritte gewohnt. Aber Thorsten … er war zwar ein absoluter Pedant und Kontrolleur und der wohl unangenehmste Vermieter überhaupt, aber er war auch sehr empfindlich und ließ sich schnell beeindrucken. Obwohl er meinte, mich als Frau übertrumpfen zu können, zog er in unseren Konfrontationen immer wieder den Kürzeren, sodass ich ihm deswegen nie ganz böse sein konnte. Eher tat er mir leid. Aber die verbrauchten Klopapierblättchen zählen – wirklich?

Ich schloss die Augen. Vielleicht sollte ich diesen Tag einfach hinter mir lassen und schlafen. Doch war das Versagensgefühl einmal wachgerufen, ließ es sich so schnell nicht wieder abstellen. Es ließ sich daran ja auch nichts herumreden: Ich hatte auf voller Linie versagt, selbst noch darin, dieses Versagen wenigstens offen zuzugeben.

Alles hatte begonnen, als ich siebzehn gewesen war. Meine Eltern waren nicht gerade begeistert gewesen, als ich ihnen verkündet hatte, ich würde trotz meiner einstmaligen Schulphobie nun doch gern mein Abitur machen und studieren.

»Du willst studieren? Du?!« Ich sah noch genau vor mir, wie die Hände meines Vaters durch sein dichtes schwarzes Haar fuhren, sich darin verhakten. Er war sofort ins Italienische gefallen, wie immer, wenn er aufgeregt war. Er war zwar in Marburg geboren, doch bei ihm zu Hause war stets Italienisch gesprochen worden, und während er sich im Alltag im Deutschen pudelwohl fühlte und in Marburg studiert hatte, war es in den erregteren Situationen eben das Italienische, das herhalten musste. Meine Mutter war Italienischlehrerin und konnte ganz gut mit ihm mithalten. Wir saßen im Wohnzimmer unserer Dreizimmerwohnung, verteilt auf der Sitzgarnitur mit dem einst flauschigen, mittlerweile eher borstig gesessenen Bezug in verwaschenen Grau- und Braunmustern, und ich hatte eben eine kleine Rede über Fachabitur und den zweiten Bildungsweg gehalten.

»Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?«, setzte meine Mutter ruhig, aber bestimmt nach. Sie gefiel sich darin, die Rolle der sanften Frau an der Seite meines hitzköpfigen Vaters zu spielen. Dabei wusste ich genau, dass sie ihn schnell übertönte, wenn sie in Wallung geriet.

»Klar«, konterte ich gelassen. »Ich hänge mein Abitur noch dran, und dann bewerbe ich mich an der Uni in Frankfurt. Ich habe mich schon eingelesen. Meine Chancen stehen nicht allzu schlecht, wenn ich einen guten Abschluss mache. Ich muss einfach Architektin werden, es ist das Einzige, was ich mir als Beruf vorstellen kann! Ihr wisst doch, wie spannend ich die Stadtgeschichte mit ihren alten Gebäuden finde. Ich würde so gern mehr darüber wissen, wie sie entstanden sind und warum sie so gebaut wurden, wie sie aussehen.«

Die Augen meines Vaters ploppten fast aus den Höhlen. Er stand auf, wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab, deutete auf mich, wandte sich ab und schüttelte den Kopf.

»Stadtgeschichte«, wiederholte er in ungläubigem Ton. »Was ist mit den neuen Häusern? Du wirst nämlich neue bauen müssen, nicht nur alte angucken!«

»Das weiß ich doch. Aber wäre es nicht fantastisch, wenn wir zusammen irgendwo entlanggingen und ich sagen könnte: ›Das Haus habe ich entworfen?‹ Wärt ihr da nicht stolz auf mich?«

»Dazu musst du erst einmal ein Studium abschließen und ein Haus entwerfen! Das bisschen Zeichnen, das du in deiner Freizeit machst, wird dafür bestimmt nicht reichen. Wir wissen doch genau, wie das bei dir läuft: Du bringst nie etwas zu Ende! Erst immer große Töne spucken und dann bei der kleinsten Schwierigkeit aufgeben!« Mein Vater hatte den Punkt seines Wutanfalls erreicht, an dem er wirklich fies wurde. Ich kannte das und wusste, dass ihm diese Aussagen später leidtun würden, und doch schmerzte es mich, dass er mir meine Schwächen vorwarf.

»Carlotta, dein Schulabschluss war nicht gerade der beste. Du hast die Schule gehasst!« Auch die Stimme meiner Mutter klang langsam kehliger, und sie weckte die Erinnerung an all die Diskussionen, die wir während meiner Schulzeit geführt hatten. Meine Eltern hatten beide studiert. Dass ihre Tochter keine Spitzennoten nach Hause gebracht hatte, sondern sogar einmal sitzengeblieben war, war für sie eine so große Enttäuschung gewesen, dass ich bald schon als das schwarze Schaf der Familie galt, ein wenig einfältig und auf jeden Fall nicht in der Lage, eigene gute Entscheidungen zu treffen. Meine Eltern hatten damit abgeschlossen, mir eine Unikarriere weiszusagen. Dass ich nun selbst damit ankam, weckte wohl alte Enttäuschungen und Frustrationen. Jedenfalls waren sie überzeugt, dass ich wieder einmal eine schlechte Entscheidung traf für etwas, das ich eh nicht schaffen würde.

»Das mit der Uni ist etwas ganz anderes als Schule. Ich konnte es mir ja nicht aussuchen, ob ich hingehe oder nicht. Aber jetzt ist es meine eigene freie Entscheidung! Ich will das machen!«

»Sie will das machen, sie will das machen! Und nach zwei Wochen ist wieder alles wie vorher, und sie jammert und meckert und zetert und liegt uns auf der Tasche!« Mein Vater drehte kleine Kreise auf dem Teppich, und es war unklar, ob er seine Worte direkt an mich oder eher an eine höhere Instanz richtete.

»Nein!«, sagte ich jetzt auch lauter. Ich spürte, dass meine Wangen dasselbe dunkle Rot wie die meiner Eltern angenommen hatten. Ich versuchte, tief durchzuatmen. Dieses Gespräch durfte mir nicht entgleiten. Ich wusste, wenn wir im Streit endeten, könnte ich das Studium oder zumindest die Unterstützung meiner Eltern vergessen. »Nein«, sagte ich in erzwungen ruhigerem Ton. »Ich beiße mich da durch, ich verspreche es. Das ist, was ich wirklich machen will.«

Meine Mutter atmete zischend aus. Mein Vater drehte weiter seine Kreise.

»Bitte«, setzte ich nach.

Mein Vater war stehen geblieben und blickte mich direkt an. »Du schaffst das eh nicht. Du wirfst nur unser Geld zum Fenster raus.« Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging aus dem Zimmer.

»Mama!«, wandte ich mich hilfesuchend an meine Mutter.

»Du hast deinen Vater gehört«, sagte sie nur, ohne meinen Blick zu erwidern. »Hör auf ihn, mach eine Ausbildung wie besprochen. Alles andere ist nicht gut für dich.«

Ich sprang auf. »Das kann nicht euer Ernst sein!«, schrie ich. »Da will ich mal eine Sache, eine! Und ihr … ihr hört mich nicht mal richtig an!« Ich stürmte aus dem Wohnzimmer und ließ meine Zimmertür knallen.

Waren meine Eltern die uneinsichtigsten Menschen, die ich kannte, so waren meine Großeltern die sanftmütigsten. Auch wenn meine Großmutter mir von anderen Zeiten erzählt hatte, in denen mein Großvater so manche Wuttirade hingelegt hatte, war er durch das Alter und, wie sie betonte, den Einfluss seiner Frau gemäßigt worden. Und das rettete letztlich das Verhältnis zwischen meinen Eltern und mir. Über einige Tage, die ich bei meinen Nonni im Café schuftete, um auf neue Zeichenstifte zu sparen, schafften sie es, mir die Ausbildung als Bauzeichnerin schmackhaft zu machen – als Vorstufe zum Studium. Denn mit einer abgeschlossenen Ausbildung in einem verwandten Fach vergrößerten sich die Chancen, den gewünschten Studienplatz zu bekommen. Meine Eltern waren so erleichtert, als sie von meiner Entscheidung hörten, dass sie einwilligten, mich im Anschluss bei meinen weiteren Plänen zu unterstützen, auch wenn ich dann immer noch das Abitur machen und ein Studium absolvieren wollte.

In den darauffolgenden Monaten quälte ich mich durch die öden Theoriestunden und Prüfungen der Ausbildung. Heute noch hatte ich auf dem Computer unzählige Selfies – damals mit der Digitalkamera aufgenommen – von mir und den Arbeitern auf der Baustelle mit unseren behämmerten Bauhelmen auf den Köpfen. Ich begann mit meinem Fachabitur sogar noch während meiner Ausbildung und stand schließlich, mit zweiundzwanzig und klopfendem Herzen, vor dem Tor der Frankfurter Fachhochschule, wo ich für das Bachelorstudium der Architektur angenommen worden war.

Und dann hatten meine Eltern doch recht gehabt. Den Bachelor immerhin hatte ich noch geschafft, aber was war der schon wert in den Augen meiner Eltern? Für sie gab es nur den vollen Erfolg oder das Scheitern. Also war alles umsonst gewesen. All die Jahre hätte ich mir getrost sparen können, hätte ich nur auf sie gehört.

Fritzi meinte zwar, dass es Mut brauche, ein Studium kurz vor dem Masterabschluss abzubrechen – vor allem, wenn man schon um die dreißig war –, doch wie so oft meldete sich diese kleine fiese Stimme in meinem Kopf, die mir einflüsterte, dass es reine Schwäche gewesen sei. Und ein Fehler. Ich seufzte. Er ließe sich geradebiegen, ich könnte einfach an die Uni zurückkehren und das Studium doch noch beenden. Aber bei der Erinnerung an die letzten Semester zog sich mein Magen zusammen. All die Monate erschienen mir wie in schwarzes Pech getaucht, zehrend und zäh. Der Tod meiner Großeltern war genau in die ersten Wochen des Studienbeginns für den Master gefallen: Zuerst starb meine Großmutter an den Folgen eines Schlaganfalls und kurz darauf mein Großvater an einem unglücklichen Sturz beim Einsteigen in einen Bus. Offenbar hatte ihn der Tod seiner Frau geistig so mitgenommen, dass er die einfachsten Dinge verlernt hatte, was ihm in Kombination mit der körperlichen Schwäche zum Verhängnis geworden war. Danach fiel es mir schwer, mich noch auf die Kurse zu konzentrieren. Lineal und Zirkel wirkten mit einem Mal wie Fremdkörper in meiner Hand. Die Gespräche der Kommilitoninnen um mich herum erschienen mir oberflächlich und fern. Tag für Tag wartete ich darauf, dass es besser werden, dass der Schmerz abklingen würde, bis ich eines Tages in den Ferien im ehemaligen Café meiner Großeltern saß, ihr Foto über der Theke betrachtete und mich ihnen plötzlich wieder so ungewohnt nahe fühlte. Mein wirklicher Trauerprozess begann erst an diesem Tag, mit meiner Entscheidung, nach Marburg und in das Café zurückzukehren. Vorübergehend natürlich, dachte ich, nur bis es mir besserginge. Inzwischen hatte ich die Trauer um meine Großeltern einigermaßen verarbeitet, doch ich wusste, dass ich nicht wieder nach Frankfurt ziehen würde. Es gab kein Zurück. Wie es von hier aus vorangehen sollte, war mir allerdings genauso unklar. Ich war in einer Sackgasse gelandet.

Da klopfte es an die Tür. Ich fuhr hoch.

»Mann, Thorsten, bitte lass mich mit deinem Klopapierquatsch in Ruhe!«, rief ich ungeduldig. Die Tür öffnete sich, und ein ziemlich muskulöser Arm mit einer Flasche in der Hand wurde durch den Spalt gehalten.

»Darf ich?«, hörte ich es dumpf von der anderen Seite.

Ich seufzte. Eigentlich wollte ich niemanden mehr sehen, aber wenn ich ehrlich war, würde ich jetzt sowieso noch nicht schlafen können, und die Gedankenspirale, der ich ausgesetzt war, wenn ich allein hier lag, verfinsterte meine Stimmung nur noch weiter.

»Komm schon rein.«

Die Flasche Weißwein lockte mich, und wer weiß, vielleicht war Boris eh gleich mit der nächsten hoffnungsfrohen Kandidatin verabredet und würde mich selig angesäuselt mit dem Wein allein lassen. Ich setzte mich auf und ließ die Beine an der Bettkante hinunterbaumeln. Boris trat vorsichtig, aber mit einem Lächeln auf den Lippen ein. Mit der Hüfte gab er der Tür einen Stoß, sodass sie hinter ihm ins Schloss fiel. Jede seiner Bewegungen schien absolut sicher und darauf getrimmt, Mädchen zu beeindrucken.

»Ich hatte das Gefühl, du könntest ein Schlückchen gebrauchen.« Er hielt mir die Weinflasche und in der anderen Hand zwei Gläser entgegen. »Scheinst einen schlechten Tag gehabt zu haben.«

»Oh, ja«, gab ich von mir. Ich war nicht besonders überrascht davon, dass er noch mal bei mir vorbeischaute. Oft genug war er schon uneingeladen hereingekommen, um einen seiner unnötigen und, wie ich fand, eher halbherzigen Verführungsversuche zu starten oder mir von einer seiner Eroberungen zu erzählen, ohne dass ich davon hören wollte. Manchmal, wenn er kapiert hatte, dass ich weder mit ihm in die Kiste springen noch von seinen Geschichten hören wollte, hatte sich tatsächlich das eine oder andere ganz gute Gespräch ergeben. Heute schien sein Besuch einen anderen Hintergrund zu haben. Hatte er etwa Mitgefühl mit mir? Er ließ sich mir gegenüber auf dem Stuhl nieder, stellte die Gläser auf dem Tischchen ab und goss aus der bereits geöffneten Flasche ein. Mit den zwei Gläsern in der Hand ruckelte er vorsichtig samt Stuhl nach vorne, näher an mich heran, bis er mir ein Glas reichen konnte, ohne aufstehen zu müssen. Dankend nahm ich es entgegen. Die Kühle des Weins, die ich durch das Glas spürte, schien auf mich überzugehen und mich zu beruhigen.

»Auf bessere Tage!«, sagte Boris grinsend und hielt mir sein Glas entgegen. Wir stießen an. Er fragte nicht nach, was meine schlechte Laune verursacht hatte, und dafür war ich ihm dankbar.

»Den armen Thorsten hast du ja gerade wieder mal ordentlich verunsichert. Der hat nur noch vor sich hin gestammelt und sich dann in seine Höhle zurückgezogen.«

Ich blickte auf den schmutzigen Teppichboden. »Ich rede später mit ihm.«

»Ach, mach dir keinen Kopf. Bei der Aktion hat er es verdient.«

Ich sah zu Boris auf. Wie immer lag ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht.

»Du hast gut reden«, erwiderte ich. »Du bist ja daran gewöhnt, andere zu kränken.« Ich zuckte innerlich zusammen, das klang viel gemeiner als beabsichtigt. Mit amüsiert nach oben gekräuselten Lippen und hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an. Schnell setzte ich erneut an: »Entschuldige, das habe ich nicht so gemeint.«

»Nein, nein, ist schon gut«, sagte er lässig und lehnte sich zurück. »Du hast ja recht. Schließlich musstest du oft genug mit anhören, wie ich eine Frau abserviert habe. Aber weißt du, ich tue das nicht zum Spaß, echt nicht. Ich mag diese Frauen im ersten Augenblick wirklich gern, aber dann merke ich einfach schnell, dass sie nicht die Richtigen sind. Und ist es da nicht ehrlicher, gleich Schluss zu machen, statt noch ewig falsche Hoffnung vorzugaukeln?«

»Na ja, wenn du es so formulierst …« Ich nahm endlich einen tiefen Schluck von dem Weißwein, um über seine Worte nachzudenken. Die kühle Flüssigkeit rann meine Kehle hinunter, und ich spürte ihr bis in den Bauch nach. Das tat gut.

»Ich kann ja nichts dafür, dass sie sich so schnell in mich verlieben«, fuhr er fort.

Ich sah ihn an und zog eine Augenbraue hoch. »Als würdest du nicht aufs Eifrigste daran arbeiten, dass gerade das passiert.«

»Wieso? Was meinst du?« Er beugte sich in seinem Stuhl vor und sah mich gebannt an. Ich nahm einen weiteren großen Schluck Wein. So langsam genoss ich das Gespräch mit ihm. Wenn man sich mit Boris unterhielt, wirkte alles so leicht und unbedeutend. Er schien dabei fast so etwas wie ein guter Freund. Der Wein tat das Übrige.

»Du weißt schon, dass ich von hier weit mehr mitbekomme als nur eure Schlussmachdramen, oder?«

»Ich weiß.« Er wackelte mit den Augenbrauen.

»Ich meine nicht das.« Genervt schüttelte ich den Kopf. »Ich denke da eher an die romantischen Dinners, die du kochst und bei Kerzenschein servierst, an die Worte, die du den Mädels dabei ins Ohr säuselst, die Liebesschwüre und Versprechen, die zärtlichen Beteuerungen, dass sie unbedingt über Nacht bei dir bleiben sollen, weil du mit ihnen im Arm einschlafen willst, das Frühstück am nächsten Morgen …«

»Ach komm, das gehört doch dazu. Sonst beschwert ihr euch immer, dass man sich zu wenig um euch bemüht, nur Sex und fertig. Bei mir läuft das anders.«

»Wir beschweren uns erst mal gar nicht, denn ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun.«

»Stimmt. Einen Mann habe ich hier bei dir noch nie gesehen.«

Ich richtete mich auf, schnappte nach Luft. Ich wollte etwas Geniales erwidern, etwas, das ihn in die Schranken wies – aber von Überlegenheit keine Spur! Ich setzte mehrmals an, ohne die passenden Worte zu finden, dann verzog ich den Mund zu einer Schnute und trank das Glas in einem Rutsch leer, als würde ich damit irgendetwas beweisen können.

»Ich brauche das eben nicht«, sagte ich mit gekränktem Stolz, »all den Kitsch und die vorgegaukelte Nähe, wenn am Ende doch wieder nur gegenseitige Verletzungen stehen.«

»So siehst du das?« Boris’ Lächeln war tatsächlich fast verschwunden. Eine Falte zeichnete sich auf seiner Stirn ab, seine Brauen waren zusammengezogen. Er beugte sich nach hinten und griff nach der Weinflasche auf dem Computertisch. Ohne mich zu fragen, schenkte er mir nach und stellte sie dann neben seinen Füßen ab. »Das ist traurig. Du verpasst echt viel.«

»Ach ja?«, fragte ich und trank wieder. Der Wein war so schön kühl, ich wollte mehr davon in mir spüren. Und zugleich breitete sich langsam eine angenehme Ruhe in mir aus. »Was denn?«

»Na ja«, begann Boris und lehnte sich zurück, als wollte er zur großen Rede ansetzen. »Zum Beispiel diese Momente, wo du mit jemandem redest und merkst, dass es völlig egal ist, was man sagt, solange du dich nur weiter mit dieser Person unterhalten kannst. Oder den Moment, wo du einen wirklich schlechten Witz erzählst, und sie lacht, einfach, weil sie dich so mag. Oder dieses Kribbeln, wenn du jemandem zum ersten Mal tief in die Augen siehst und merkst, du willst sie. Oder ihn.«

Ertappt merkte ich, dass seine Worte etwas in mir ansprachen.

»Hm«, sagte ich gepresst und schielte in seine Richtung, »das klingt wirklich … nett.«

»Nett«, wiederholte Boris und prustete. »Du hast echt keine Ahnung. Wann hattest du zuletzt was mit jemandem?«

»Das werde ich dir bestimmt nicht erzählen.« Ich wich seinem Blick aus und nahm zwei tiefe Schlucke von dem Wein, der nach dem Nachschenken noch besser schmeckte.

»Ach, komm schon. Erzähl’s mir. Ich sag’s keinem, ich verspreche es dir hoch und heilig.« Seine Stimme hatte einen spielerischen Unterton angenommen.

Ich wollte mich erheben, sackte aber zurück aufs Bett, als mich das leichte Flattern in meinem Kopf zum Schwanken brachte. Ich vertrug nicht viel Alkohol, und zu Abend gegessen hatte ich auch noch nicht.

»Bist du nicht noch verabredet, oder so?«, fragte ich.

Ein herausforderndes Funkeln schlich sich in Boris’ Augen.

»Ey, Carli, sei nicht schnippisch. Schon okay, du musst es mir nicht erzählen. Du kannst eben keine Nähe ab. Das war mir schon von Anfang an klar.«

Ich runzelte die Stirn. »Klar kann ich die ab, nur eben nicht mit jedem.«

»Ich glaube ja«, gab er in einem Ton von sich, der scherzend daherkam, mir aber doch zu selbstgefällig klang, »du wirst immer Probleme damit haben, selbst wenn dir dein treuherziger Märchenprinz begegnet.«

»Ach ja?«

»Du hast Angst, das riecht man meilenweit. Dazu muss man dich nicht kennen. Ich sehe das in deinen Augen.« Nachdem sein Blick bei seiner Rede im Zimmer umhergewandert war, legte er sich bei diesen Worten wieder auf mich, und seine Augen verengten sich leicht, als sie meinen Blick auffingen.

Kein Wort kam mir über die Lippen. Die Entspanntheit, die der Wein mir eingeflößt hatte, war erstarrt. Stocksteif saß ich da und hielt Boris’ Blick stand. Ob er es wollte oder nicht, seine Worte hatten mich getroffen. Doch anders als sonst übernahm nicht sofort der Ärger das Ruder, sondern kämpfte noch gegen ein anderes Gefühl an, das ich nicht zuordnen konnte oder vielleicht auch nicht zuordnen wollte.

Boris’ Züge wurden mit einem Mal wieder weicher. Er streckte den Arm leicht in meine Richtung, als wollte er einen bissigen Hund besänftigen.

»Das wollte ich so nicht sagen, ist mir so herausgerutscht. Ich meinte das nicht ernst, nicht wirklich«, beeilte er sich zu erklären, doch ich brachte ihn mit einer kurzen, undefinierten Kopfbewegung zum Schweigen.

»Schon gut«, sagte ich und versuchte mich an einem spöttischen Lächeln. »Ich habe dich eben einen gefühlskalten Hund genannt.«

»Hund hast du nicht gesagt!«

Ein kleines Lachen entfuhr mir. Es war nicht stark genug, um die Zweifel und Gedanken, die eben in mir aufgekocht waren, zu vertreiben, aber trotzdem tat es gut.

»Du, Boris, ich glaube, ich haue mich langsam ins Bett. Das war ein langer, langer Tag.«

Sofort erhob Boris sich und verwuschelte mir das Haar.

»Klar, es war aber schön, mit dir zu plaudern. Sollten wir öfter machen.«

»Dann aber vielleicht mit einem Schlag weniger Wahrheit«, schlug ich halb scherzend vor.

Als sich die Tür hinter ihm leise schloss, ließ ich mich auf dem Bett nach hinten fallen. Schlaglichtartig wechselten meine Gedanken zwischen dem mitfühlenden Blick des Zeitungslesers und Boris’ funkelnden Augen hin und her, ich hörte die knarzende Stimme mit dem italienischen Akzent oder Worte von Boris, die er nicht böse gemeint hatte, die mich aber trotzdem nicht losließen. Sie trafen mich so hart, weil ich in dem Moment, in dem er sie ausgesprochen hatte, bereits gewusst hatte, dass er damit recht hatte. Mir war schummerig zumute, der Wein in meinem Blut ließ die beiden Gesichter von Boris und dem Zeitungsleser immer mehr verschmelzen, bis sie in einem wirren Traum, aus dem es kein Entkommen zu geben schien, eins wurden.

3

Völlig verschlafen und gehetzt traf ich am nächsten Morgen eine halbe Stunde zu spät im Café ein. Ich hatte vergessen, einen Wecker zu stellen, als ich am Abend zuvor voll bekleidet, ohne Decke – und ja, leider auch mit ungeputzten Zähnen – eingeschlafen war.

»Hui, wow, Carli, guten Morgen!«, rief Fritzi lachend, als ich sie beim Aufstoßen der Tür beinahe umwarf. »Was hast denn du heute gefrühstückt?«

»Frag lieber nicht.« Die Erinnerung an den leeren WG-Kühlschrank ließ meinen Magen aufheulen. Ich hatte mich mit ein paar pappigen Chips zum Frühstück begnügen müssen. Und als ich dann im Bad auch noch den leeren Toilettenpapierhalter und die zwei einzelnen Blättchen erblickt hatte, die Thorsten mir dort offenbar zurechtgelegt hatte, war das nur das letzte Zünglein an der Waage gewesen, um meine Laune endgültig in den Keller zu bugsieren. Es war höchste Zeit, dass ich die Suche nach einer anderen Wohnung intensivierte.

Entnervt band ich mir die Schürze um, warf einen Blick in den noch recht leeren Caféraum und wandte mich dann erleichtert der Kaffeemaschine zu, um zumindest meinen Koffeinhaushalt in Ordnung zu bringen. Doch kaum hatte ich einen ersten kleinen Schluck von dem Cappuccino genommen, hörte ich, wie sich hinter mir die Tür öffnete und das Schnattern und Raunen einer größeren Menschengruppe hereinströmte. Zwei Minuten Ruhe wären aber auch zu schön gewesen! Mit einem Seufzen stellte ich die Tasse wieder ab, drehte mich um und lächelte der gut fünfzehnköpfigen Reisegruppe entgegen.

»Wo bleibt denn eigentlich unser italienischer Freund heute?«, fragte Fritzi über das Brausen des Milchaufschäumers hinweg. Sie hielt eine gefüllte Metallkanne unter den Hahn. »Ganz schön spät für ihn.«

Ich sah von dem Besteck auf, das ich gerade polierte, und zu dem Tisch hinüber, an dem der Zeitungsleser sonst immer saß. Es stimmte, der Platz war leer. Sein Fehlen war mir über all dem Trubel mit der Reisegruppe und dem Bemühen, meine Laune in den Griff zu bekommen, gar nicht aufgefallen. Ich sah zu der Uhr an der Wand hinter uns. Inzwischen war es schon nach vierzehn Uhr.

»Seltsam«, sagte ich. »Ich habe noch nie erlebt, dass er nicht gekommen wäre.«

»Ich auch nicht«, sagte Fritzi. »Aber vielleicht hat er einfach nur einen Schnupfen«, tat sie das Thema ab.

Doch der Zeitungsleser tauchte nicht mehr auf. Auch nach einer Woche nicht. Ich machte mir Sorgen um ihn. Fritzis Beschwichtigungen, er sei sicherlich verreist, beruhigten mich nicht. In dem einen Jahr, das ich nun hier arbeitete, war er täglich hergekommen, hatte Stunden an diesem Tisch verbracht, und nun sollte er verreist sein? Das passte nicht zusammen. Nein, ich befürchtete etwas anderes. Er war alt, etwa der Jahrgang meines Großvaters. Und beim letzten Mal, da ich ihn gesehen hatte, hatte er mitgenommen gewirkt. Hatte ich mir an dem Tag nicht schon Sorgen um ihn gemacht? Immer wieder wanderte mein Blick zu dem kleinen Tisch, der nun meistens leer stand oder von Menschen besetzt wurde, die nicht dorthin zu passen schienen. Meine Hoffnung, dass ich mich irrte, dass eines Tages sich die Tür öffnete und er einfach wieder hereinschlurfte, erfüllte sich nicht. Doch bevor ich darüber nachdenken konnte, ob wir irgendwelche Schritte einleiten sollten, um etwas über seinen Verbleib zu erfahren, wurde ich meistens von Gästen oder Fritzi abgelenkt. Und dann waren da noch meine eigenen Sorgen, die mittlerweile bei jeder Kleinigkeit hochkochten.

»Ich brauche einen anderen Job«, sagte ich zu Fritzi, die sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen ließ. Das Schild an der Cafétür war bereits auf »Geschlossen« gedreht, die Lampen gaben nur noch ein dämmrig-grünes Licht ab, das auf den dunkel glänzenden Tisch vor uns fiel. Noch immer lagen die Gerüche des Tages in der Luft: der würzige Duft nach Johans Pilzsuppe, der mit dem schweren Kaffeegeruch eine überraschend angenehme und heimelige Kombination einging. Fritzi hatte sich ein Stück von der übrig gebliebenen Amarenatorte geholt und ließ die Gabel in die Creme fahren, die das sahnige Geräusch nach winzigen zerplatzenden Luftbläschen von sich gab. Ich hörte das beruhigende Surren des Geschirrspülers in der Küche und Johans Schritte, die sich unserem Tisch näherten. Er zog den dritten Stuhl zurück und setzte sich.

»Carli will uns verlassen«, nuschelte Fritzi mit vollem Mund in seine Richtung.

»Ach ja?«, brummte Johan und sah mich fragend an. Wie so oft hob sich seine Stimmung zum Feierabend hin, wenn die Rückkehr zu seiner Frau und den drei kleinen Kindern kurz bevorstand.

»Ich brauche Geld«, sagte ich bestimmt. »Ich muss endlich aus der WG ausziehen. Außerdem belüge ich meine Eltern seit über einem Jahr und erzähle ihnen, dass ich noch immer studieren würde«, fügte ich trocken hinzu.

»Warum sagst du ihnen nicht endlich die Wahrheit? Ich weiß, ich weiß, sie werden dir vorhalten, dass sie schon immer gewusst hätten, das mit der Architektur wäre nichts für dich. Aber vielleicht freuen sie sich ja, dass du in dem Café deiner Großeltern arbeitest.«

»Du führst die Familientradition fort«, gab auch Johan zu überlegen.

»Es ist ja eigentlich keine richtige Familientradition. Meine Eltern haben das Café nicht übernommen, und ich kellnere hier nur, ich leite es nicht. Nein, ich kann das nicht. Ich höre genau, was sie sagen würden: Hättest du mal auf uns gehört und so weiter und so fort. Wenn sie damit anfangen, springe ich lieber gleich aus dem Fenster.«

»Ich habe letztens gelesen, dass sich mal einer in eine Kühltruhe gelegt hat, um darin zu erfrieren, und so Selbstmord begangen hat«, erzählte Johan in trockenem Ton.

»Uh, das ist mies!«, prustete Fritzi. »Du könntest aber auch deinen Mitbewohner zur Weißglut treiben und so viel Klopapier essen, bis du erstickst«, überlegte sie weiter.

»Oder«, meldete sich Johan wieder, »du drehst den Milchaufschäumer voll auf und …«

»Okay, okay, danke, Leute, aber ich will mich nicht umbringen!«

»Schon gut, schon gut. Du brauchst also einen neuen Job«, sagte Fritzi und schob sich eine weitere Gabel Torte in den Mund. »Was kommt infrage?«