Das magische Licht - Irina Possmayer - E-Book

Das magische Licht E-Book

Irina Possmayer

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Beschreibung

Das magische Licht besitzt die Kraft des Lebens und der Wiedergeburt. Sein Wächter gibt es dem, der den Weg der sieben Tode erfolgreich beschreitet und es schafft, seine Gefahren zu bewältigen. Lumina und Luna, die verflucht und in Tierwesen verwandelt wurden, wagen diesen Weg. Es ist die einzige Möglichkeit, ihre menschliche Gestalt zurückzubekommen. Als sie endlich glauben, ihr Ziel erreicht zu haben, taucht ein neues Problem auf. Sie verlieben sich in Menschen, die keinen Zugang zu ihrer entfernten Welt haben. Nur die Brücke der Liebe kann das Tor öffnen, die beide Welten verbindet.

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Seitenzahl: 448

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ich widme dieses Buch meinem lieben Ehemann, der stets an mich geglaubt hat. Obwohl er die magische Grenze nie durchquert hat, gab mir die Freiheit, fantastische Welten zu bereisen und ihre Geschichten niederzuschreiben. Die Brücke der Liebe, die von Lumina und Luna zwischen zwei voneinander getrennten Welten gebaut wurde, verbindet auch uns.

Dafür danke ich.

Inhaltsverzeichnis

Der Fluch der Nimmera

Die Geister der Nacht

Eine Leuchtkäferhochzeit mit Hindernissen

Lumina und Luna

Das Land der Weisen

Herrasus und die todbringende Urriela

Terrasus und Fiorino

Der goldene Schlüssel

Nimmera schlägt zu

Das magische Licht

Das letzte Opfer

Die magische Grenze

Die weise Mutter Creatrix

Die Höhlen des Tartarus

Admiral und die Silbermundwespe

Penseea

Todesgefahr aus der Tiefe

Atalanta

Ein ungewöhnliches Abschiedsgeschenk

Ein letzter Besuch bei Mutter Creatrix

Ananke, die Schicksalgöttin

Endlich zu Hause

Die Hexentafel

Der Urwald und seine Freunde

Die Spinnerinnen der Ananke

Die sieben Weberinnen mit goldenen Händen

Die Brücke der Liebe

1. Der Fluch der Nimmera

Es geschah einmal, vor langer, langer Zeit …

Es geschah in einer Welt, die jenseits unserer menschlichen Vorstellungskraft existierte. Nur uralte Legenden berichteten von ihrem Reichtum und erzählten von ihren mächtigen Magiern, denen Unvorstellbares gelungen war. Die Grenze dieser Welt war so furchterregend, dass nur wenige Menschen versuchten, in ihrer Nähe zu kommen. Sie ähnelte einer unüberwindbaren Wolkenwand, die von feurigen Blitzen durchzogen war, was sie lebensfeindlich und zerstörerisch machte. Dass jenseits dieser Grenze Leben existierte, war kaum vorstellbar. Die seltenen Lichterscheinungen, die sich aus der Wolkenwand emporhoben, wurden Geister der Unterwelt genannt und bewegten die Menschen zu allerlei mystischen Interpretationen. Nur mit der Geisteskraft eines forschenden Wesens war es überhaupt möglich, einen Blick in dieser unbekannten Welt zu riskieren und ihre Geheimnisse zu entschlüsseln. Wir folgen ihm und machen uns auf Begegnungen bereit, die uns in einem unermesslichen Staunen versetzen werden.

Hinter der magischen Grenze begann ein unbekanntes Land, das sich weit ausdehnte, fruchtbar und reich an Naturschätze war. Das Land der drei Monde hatte große Königreiche, die von einer hoch entwickelten Kultur geprägt waren. Dem Forschergeist seiner Bewohner wurde keine Grenze gesetzt. Kein Hindernis stellte sich ihnen in die Wege, als es um die Forschung und Unterwerfung der Materie ging. Nicht wenigen gelang dies, was später zu einer schmerzhaften Spaltung der Gesellschaft führte. Die Gelehrten und Wissenschaftler des Landes schafften es, die Kraft des Geistes zum Kontrollieren und Manipulieren der Materie zu verwenden. Es folgten magische Handlungen, die in Machtkämpfen ausarteten und eine zerstörerische Auswirkung hatten. So nahm das Schicksal seinen Lauf.

Die Wege vieler schieden sich in dieser Zeit und Freundschaften zerbrachen wie Glas. Diejenigen, die ihr Leben unter der Kraft des Lichtes stellten, wurden immer weniger. Die Schwarze Magie übernahm die Herrschaft und unterwarf die Menschen, die einst an das Gute glaubten. Wir tauchen in dieses Landschaftsbild ein, das gleichermaßen schön, unheimlich und geheimnisvoll war.

Das alte Schloss beeindruckte mit seinen dicken, festen Mauern und der idyllischen Landschaft, die es umgab. Der Vollmond beleuchtete es geheimnisvoll und magisch. Er machte unzählige Sterne sichtbar und ließ sie wie Edelsteine leuchten. Die Umarmung der Erde brachte schattenartige Gestalten hervor, die sich sanft im Wind bewegten. Der kleine See widerspiegelte dieses Licht und verlieh dem Bild ein zauberhaftes Aussehen. Eine sanfte Musik drang durch die Fenster nach draußen und ihre Klänge harmonierten mit diesem zauberhaften Bild ganz. Feierliche Stimmung und fröhliches Lachen machten die große Feier kund, die im Schloss gerade stattfand. Tausend Kerzenlichter überfluteten die Schlossinnenräume mit ihrem Licht und ließen es in einer geheimnisvollen Schönheit erstrahlen. Es war ein märchenhaftes Bild! Von einem quietschenden Geräusch unterbrochen, zerbrach die nächtliche Stille und verwandelte sich in einer trügerischen Realität. In der Schlossmauer öffnete sich eine versteckte Tür, die im Dunkeln kaum auszumachen war. Merkwürdige Gestalten schlichen nach draußen, ins Freie, unbekannt und in bodenlangen Umhängen eingehüllt. Unter dem Torbogen blieben sie stehen.

Geschafft! Ein lang unterdrücktes Lachen befreite ihre Herzen, die voller Freude und Unbefangenheit waren.

„Reingelegt, reingelegt …“, sagte eine erste Stimme, die jung und glücklich klang. Des Mondes Zauberlicht ließ sie staunend nach oben schauen. Das lange Haar der jungen Frau schimmerte wie Gold und das nächtliche Licht zeigte unverhüllt ihre ganze Schönheit.

„Wie schön. Schau Luna …“ Die Gerufene kam näher und hob ihren Blick nach oben zu den Sternen.

„Zauberhaft …“ Luna war nicht wenig schöner als ihre Schwester, auch wenn ganz anders. Ihr schwarzes Haar, blau schimmernd, dem nächtlichen Himmel ähnlich, war bewundernswert. Die Gesichtszüge der beiden Frauen waren ähnlich. Alle anderen Eigenschaften, wie Haarfarbe und Temperament, ließ sie keinesfalls als Zwillingsschwestern erkennen. Die märchenhaften Kleider, die sie trugen und die winzigen Kronen auf den Stirnen bezeugten ihre edle, königliche Herkunft. Aus dem Schatten der Mauer löste sich eine weitere Gestalt, die dann neben den beiden Ersten stehen blieb. Nur das kleine Mädchen, das ihnen gefolgt war, schien nicht richtig zu wissen, was sie hier draußen machen sollte. So ganz im Dunkel. Sie war nicht einmal sechs Jahre alt. Es lief hinter den anderen her, auch wenn nicht mit demselben Erfolg.

„Geh nicht weiter, Lumina, warte auf mich!“

„Komm, lauf doch schneller! Fang mich Penseea!“

„Doch nicht jetzt, ich habe unmögliche Schuhe an. Bring deine Schwester zur Vernunft, Luna.“

„Wenn ich das nun könnte.“

„Wo bist du Penseea? Jetzt verschwindest auch du noch.“

Luna war nicht gerade erbost, vielleicht nur ein bisschen verärgert. Eine herrschende Stimme, die tief in die Dunkelheit hinein rief, machte dem kurzen Abenteuer ein Ende:

„Lumina! Luna! Penseea! Wo seid ihr? Du bist auch hier, Atalanta?“ Das kleine Mädchen schmiegte sich an den Beinen des Königs, ohne ein Wort zu sagen.“ König Leonid nahm es in seinen Armen und fragte verschmust:

„Wo sind sie denn? Haben sie dich zurückgelassen?“

„Nein, sie sind da. Schau!“ Die Freundinnen kamen gerade angelaufen.

„Kommt bitte zurück, ihr müsst den Ball eröffnen.“

„Muss das sein Vater? Das ist so langweilig“, versuchte Lumina den mürrischen Königsvater zu beschwichtigen.

„Ja, das muss sein. Es dauert nicht lange. Später könnt ihr euch davonschleichen. Jetzt müsst ihr aber kommen. Einmal, wenn ihr Geburtstag feiert, hält ihr das noch aus.“

„Wenn es sein muss.“ Lumina und Luna folgten dem Vater, wohl wissend, dass sie keine andere Wahl hatten. Penseea schloss sich ihnen an, stillschweigend und gehorsam. Die Pflichten eines königlichen Mitglieds waren ihr vertraut, so widersprach sie nicht. Die versammelten Gäste machten den jungen Prinzessinnen und dem König den Weg frei, und ließen sie passieren. Penseea schupste ihre Freundinnen nach vorn und blieb im Hintergrund stehen, in einem gebührenden und wohlerkannten Abstand, der Königen und ihren Familien gebührte. Die Geburtstagsfeier war voll im Gange. Erst nach dem offiziellen Teil und dem Eröffnungstanz würde sich die Haltung der Gäste lockern, was mit sichtlicher Erleichterung erwartet wurde. Lumina und Luna strahlten voll Freude und Glück, sie waren zauberhaft und wunderschön. Eine glückliche Zukunft stand ihnen bevor, daran zweifelte hier keiner. Die richtigen Tanzpartner zu wählen, fiel nicht leicht, auch wenn sie von allen geliebt und geschätzt wurden. Ihre Wahl war nicht nur für sie selbst wichtig, sondern auch für die politische Zukunft ihres Landes. Die Prinzessinnen waren jung und begehrt, die beste Heiratspartie weit und breit. An Bewunderer mangelte es nicht und das wussten sie zu genau. Ihre Wahl sollte eine Zusage sein, einem Geständnis gleich. Da sie noch sehr jung waren, hofften sie, glimpflich davonzukommen. An Heirat dachten sie keineswegs. Das Königspaar stand auf und das Getümmel verstummte augenblicklich.

Lumina und Luna traten in die Mitte.

„Wir heißen euch willkommen, liebe Freunde. Danke für diesen wunderschönen Abend und für die vielen Geschenke, die ihr mitgebracht habt. Das Lied, das wir jetzt singen, kommt vom Herzen und ist euch allen gewidmet.“ Sie stimmten ein, sangen und gingen langsam durch die Gästereihen, die sie mit lieblichen und bewunderungsvollen Blicken verfolgten.

„Sie sind so schön, nicht wahr meine Liebe?“, murmelte König Leonid leise zu seiner Königin herüber.

„Schön und klug. Und so jung. Sie wurden mit Engelstimmen gesegnet“.

„Es ist ein besonderes Geschenk. Sie wissen nicht einmal, was sie mit ihren Stimmen bewirken können.“

„Vielleicht ist das gut so. Ihre Zauberkraft ist unvorstellbar, schau dir unsere Gäste an. Sie sind in diesem Lied gefangen und werden von ihm auf Himmelsflügeln getragen. Aber alles zu seiner Zeit …“

Das Lied ging zu Ende und die Trompeter setzten an. Die Augen der Prinzessinnen schauten die Reihen der jungen Männer an, konnten sich aber nicht entscheiden. Ein Schritt und noch einen, dann blieben sie abrupt stehen. Das Schloss erzitterte bis in die tiefsten Fundamente und unterbrach schmerzhaft die angedachte Tanzpartie. Ein kalter Lufthauch durchdrang den Raum und ließ die Anwesenden erschaudern. Der Gong vom Eingangstor klang laut und bedrohlich zugleich. Er kündigte neue, uneingeladene, unbekannte und unerwünschte Gäste an. Die fröhliche und feierliche Stimmung brach ab. Ein neues, unangenehmes und erschreckendes Gefühl breitete sich aus, das schicksalshaft und unheimlich war. Die Königin löste sich langsam aus ihrer Starre und befahl mit sicherer Stimme:

„Lasst die Gäste eintreten.“

Der kalte Windhauch verstärkte sich und wurde so heftig, dass die Hälfte der Kerzenlichter ausging. Feste Schritte näherten sich von draußen und die Eingangstür wurde geöffnet. Die erwartungsvollen Augen erblickten drei Gestalten, die aus der Tiefe der Hölle stammen müssten. Sie setzten ihren Gang gleichzeitig fort und näherten sich dem Königspaar, das keinen Schritt entgegengekommen war. Die mittlere Gestalt trug ein langes, seidenes Kleid, das von goldenen Fäden durchzogen war. Ein mit perlenbestickter, bodenlanger Umhang schmückte ihre Schultern und ließ erahnen, wie reich seine Trägerin war. Sie hatte schneeweißes Haar, das sie in einem weiten goldenen Netz gebunden trug. Eine rotleuchtende breite Krone schmückte ihre Stirn, die in Falten gelegt war. Links und rechts neben ihr standen zwei junge Männer, deren Anblick jedem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sie waren sehr groß und unförmig. Einer hatte tiefbraunes Haar, das merkwürdig zu einzelnen schmalen Strängen gedreht wurde. Sie erinnerten an Baumwurzeln, die tief in der Erde zu Hause waren und nie das Sonnenlicht gesehen hatten. Die Nase war knollig und breit, der Mund ähnelte einem Strich, mit einem schwarzen Stift gezogen, dünn und hässlich. Der Zweite hatte graues fades und glattes Haar, wirr und unschön. Es war schulterlang und strähnig. Der silbergraue Umhang sollte das Ganze mildern, obwohl er eher das eiskalte Aussehen des Mannes noch verstärkte. Keine Musterschönheiten, das war allen klar.

„Königliche Hoheit, wir haben ein Anliegen“, sprach die Frau.

„Was kann ich für dich tun, Nimmera? Du bist hier nicht erwünscht“, antwortete die Königin bedacht.

„Das kann ich mir nicht vorstellen, denn einst waren wir beste Freundinnen. Du wolltest bestimmt nicht ohne mich feiern. Meine Söhne gehören zur besten Gesellschaft des Landes und somit auch zu eurer. Sie gehören hierhin.“

„Deine Freundschaft hat mir einst viel bedeutet. Das war damals, bevor du dich der Schwarzen Magie verschrieben hast.“

„Sei nicht undankbar, Liana. Schau dir meine Söhne an. Sie sind schon fast erwachsen, gerade richtig für einen Heiratsantrag. Tiefwohn und Hartem sind die besten Zukunftspartner für deine Töchter, deswegen sind wir hier.“ König Leonid antwortete bestürzt:

„Meine Töchter werden ihre Partner selbst aussuchen. Wenn es so weit ist. Dafür haben sie meine volle Unterstützung.“

„Nicht doch, König Leonid. Nur nicht zu laut werden. Es ist in eurem Interesse, mich anzuhören. Ich kann euch vernichten, wann immer ich es will. Meine Kräfte sind sehr stark geworden, ihr könnt euch nicht widersetzen. Legt euch nicht mit mir an. Das ist ein guter Rat unter Freunde. Habt ihr mich verstanden? Heute bin ich mit friedlichen Absichten gekommen und will das Kriegsbeil begraben. Wir sollten unsere Feindschaft vergessen und Frieden schließen. Nur … der Frieden hat seinen Preis.“

„Ich will nichts mit dir zu tun haben, Nimmera.“ Die Stimme der Königin war leise, aber bestimmt.

„Nicht voreilig sein. Mein Vorschlag würde euch gefallen, wenn ihr mich anhört.“

„Es sei dir gegönnt. Heute ist der Geburtstag unserer Töchter und wir wollen kein Ärgernis. Sag, was du zu sagen hast.“

„Dafür bin ich doch gekommen“, lächelte Nimmera böse.

„Darf ich euch vorstellen? Das sind meine Söhne Tiefwohn und Hartem. Sie sind stämmige und tüchtige Männer. Nur eins fehlt ihnen noch: passende Bräute. Frauen, die ihnen das Leben versüßen und bereit sind, bedingungslos zu gehorchen. Genauso, wie es königlichen Töchtern ziemt.“

Lumina und Luna wurden blass und mussten sich gegenseitig stützen, um nicht zusammenzubrechen. Selbst die Königin fand ihre Worte nicht leicht.

„Und du hast gedacht …“

„Ja, ich will Lumina und Luna mitnehmen, sie werden meine Söhne heiraten. Die Verlobung sollte hier und heute stattfinden. Bis zur Hochzeit bleiben sie in meiner Obhut, da ich ihnen noch bestimmte Sachen beibringen muss. Eure Einwilligung bedeutet Frieden für euch und euer Land. Sie sichert den Wohlstand seiner Bewohner und gibt eurer Töchter eine sichere Zukunft. Ihr könnt doch nichts dagegen haben, zumal mein Reichtum so groß ist, wie ihr euch nicht einmal vorstellen könnt. Meine Paläste sind voller Schätze, die von vielen begehrt sind. Die beiden werden reich sein, viel reicher als ihr mit eurem ganzen Königreich jemals ward. “

„Wir verzichten auf deinen Reichtum Nimmera, wir brauchen ihn nicht. Das, was wir haben, ist uns wichtiger und wertvoller.“

Die große Zauberin ließ sich aber nicht so leicht abwimmeln. Sie machte ihren Söhnen ein Zeichen und diese gehorchten sofort. Tiefwohn packte Lumina an die Hand und Hartem zerrte Luna zur Seite, ohne den Widerstand der beiden Mädchen zu beachten. Das war der Königin zu viel. Sie ging entschlossen hin, zog ihre Töchter zurück und sagte empört:

„Nein Nimmera, das wird niemals geschehen.“

Hartem und Tiefwohn sprachen gleichzeitig mit weinerlicher Stimme: „Das wirst du doch nicht zulassen Mutter. Diese beiden gehören uns. Das hast du versprochen.“ Nimmeras Stimme klang jetzt schneidend und eiskalt.

„Verachte mich nicht, Königin Liana. Die Verbindung mit dem Licht, das ihr in euch trägt, kann auch uns den Frieden bringen und unsere dunklen Tage erhellen. Entscheide dich klug. Wenn du Krieg willst, bekommst du ihn, aber gewinnen, kannst du ihn nicht. Ich frage dich das letzte Mal: Willigst du in dieser Heirat ein oder nicht? Krieg oder Frieden? Was wählst du?“ Im Raum war es so still, dass man eine gefallene Nadel hätte hören können.

„Ich will keinen Krieg, Nimmera, aber Lumina und Luna bekommst du nicht.“ Das Gesicht der mächtigen Zauberin wurde schwarz vor Zorn. Sie warf ihren Umhang zurück und ballte die Fäuste zusammen. Kleine blaue Flammen sprühten aus ihnen heraus und verteilten sich in der Luft, wo sie länger und schmaler wurden.

„Lass das Nimmera. Es hilft dir nicht weiter. Deine Versuche bringen nichts.“ Die blauen Flammen verwandelten sich in gierigen Krallen, die die Körper von Lumina und Luna umklammerten. Die beiden erstarrten vor Schreck und waren nicht mehr imstande, eine einzige Bewegung zu machen. Angst erfüllte den Raum und das höhnische Lachen der bösen Hexe ließ allen einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Die Königin verzweifelte nicht. Sie hob ihre Hände, murmelte etwas und streckte sie aus. Wasserähnliche Ströme, die aus dem Nichts auftauchten, umklammerten die winzigen Flammen und erstickten sie ganz.

„Vergesst nicht, was ihr gelernt habt, meine Töchter. Lasst die gute Kraft in euch zu.“ Lumina und Luna harrten für einen Augenblick, unbewegt und steif. Dann streckten sie sich, durchbrachen die fesselnden Ketten und entkamen mit einer flinken und geschickten Bewegung, die ihnen das Leben rettete.

„Sieh mal einer an. Ihr habt eure Mutter vererbt und die Kraft der Magie kennengelernt. Ha, ha, ha! Glaubt ihr, siegen zu können? Habt ihr meine Macht vergessen? Wisst ihr, wer ich überhaupt bin? Ich bin Nimmera, die größte Zauberin der Welt. Niemand kann mich besiegen, nicht einmal eure Mutter.“

„Und ich bin Liana, im Licht geboren und mit seiner Kraft aufgerüstet. Nichts kann die Liebe und das Licht besiegen, nicht einmal deine Schwarze Magie, Nimmera.“ Das Gesicht der Zauberin wurde rot und die lange unterdrückte Wut, schien jetzt ganz an die Oberfläche zu gelangen. Blitzschnell zog sie ihren Perlenumhang herunter und schneller als man denken kann, warf sie ihn über die beiden Prinzessinnen, die noch vor ihr standen.

„Exsecratus, exsecro, Perpetuum!

In die Dunkelheit verflucht,

Solltet ihr die Zeit durchfliegen,

Euer Leben sei die Flucht,

Kommt ja nie nach Hause wieder.

„Exsecratus, exsecro, Perpetuum!“

Der Schreckensschrei der Königin erfüllte den ganzen Raum:

„Nein, das kannst du nicht machen, Nimmera!“

„Ich kann noch viel mehr, als nur das.“ Sie streckte die rechte Hand aus und sprach:

„Aus dem Zauberlicht geboren,

Seid ihr ewiglich verflucht.

Denn ich habe ja geschworen,

Euer Leben sei die Flucht.“

Liana zog ihren königlichen weißen Schleier herunter und warf ihn auf dem schwarzen Umhang der Nimmera.

„Wie die Dunkelheit im Licht,

So auch dieser Zauber bricht.

Nichtig ist die Kraft der Nacht,

Wenn der helle Mond erwacht.

Zauberhaft sind eure Lieder,

Glaubet mir, ihr kommet wieder.“

Doch zu spät. Lumina und Luna merkten, wie ihre Körper

anfingen, wehzutun. Sie veränderten sich zunehmend in

schwarze Vögel, die Raben ähnelten. Federn wuchsen aus

ihrer Haut heraus und die Arme wurden zu Flügel, die sich

weit ausbreiteten. Liana unternahm einen letzten Versuch

ihre Töchter zu retten, während Nimmera höhnisch lachte

und die ganze Szenerie sichtlich genoss. Sie riss einen

kostbaren weißen Edelstein aus ihrer Krone und warf ihn

schnell auf dem weißen Schleier. Es geschah sofort. Die Feder

der beiden wurde weiß wie Schnee und ihre Gestalt

veränderte sich binnen Sekunden. Sie wurden zu Schwänen,

zu weißen Schwänen. Liana legte ihre Hände auf sie und

sprach:

„Wie die Dunkelheit im Licht,

So auch dieser Zauber bricht.

Flieget weit und lasst euch nieder,

Singet eure Lieder wieder.

Bis die Zeit in Lichtes weite,

Eure Schritte heimbegleite.“

Ein helles Licht umfing die Schwäne und ließ zwei winzige Kronen auf ihren Stirnen sichtbar werden. Alles geschah so schnell, dass dies kaum zu beschreiben ist. Aber Nimmera passte diese Umwandlung nicht. Als sie gerade ihre Hand ausstreckte, um ihren Fluch zu bekräftigen, erklang eine Stimme im Raum, die alle Schlossfenster erzittern ließ:

„Fliegt und flieht in höchster Eile,

Bleibt hier weg für eine Weile.

Flieht und niemals schaut zurück,

Sucht jetzt Ferne euer Glück.“

Zwei weiße Schwäne erhoben sich gleich und mit einem verzweifelten Schrei verschwanden sie durch die offenen Fenster nach draußen. Nimmera war außer sich. Sie tobte wie ein unerzogenes Kind, schlug sich auf die Brust und schrie:

„Lumina und Luna, für immer verflucht,

Euer Herz gewinnen, habe ich versucht.

Überall nur Fremde, bis zum Tod gehetzt,

Sei mit Tausend Fallen, euer Weg genetzt.“

„Lumina! Luna!“ Der verzweifelte Ruf kam von Penseea, die kaum begreifen konnte, was hier gerade passiert war.

Nimmera fand in ihr ein nächstes Opfer.

„Du wagst es ihren Namen zu rufen, obwohl ich sie verflucht habe? Willst du, wie die beiden, verschwinden? Gut. So sei es. Unter der Erde wirst du kriechen und das Sonnenlicht niemals

mehr erblicken.

Exsecratus!

Zauberkraft, kein Zauberlicht,

Und es gab dich niemals nicht.“

Der Körper von Penseea löste sich augenblicklich auf, zum Entsetzen der Gäste, die wie gelähmt zuschauten. Nur Atalanta, das kleine Mädchen von zuvor, schritt ein. Sie umklammerte die Beine ihrer Schwester und schrie laut, unerwartet und tief bestürzt. In wenigen Sekunden waren beide verschwunden, als ob es sie niemals gegeben hätte. Die Freude, die am Anfang in diesem Raum herrschte, verwandelte sich in Entsetzen, die in Tränen und Jammer ausklang. König Leonid war wie erstarrt und seine Frau Liana schaute immer noch aus dem Fenster und suchte die Weite ab, in die ihre Töchter verschwanden. Dicke Tränen liefen auf ihrem Gesicht, der Schmerz ihres Herzens war unvorstellbar. Nur Nimmera lachte. Sie und ihre Söhne, die sich gerächt fühlten. Das böse Lachen hallte im Raum und jeder wusste sofort: Das Leben in diesem Schloss wurde gerade ausgelöscht. Nimmera triumphierte:

„Heute habt ihr alles verloren. Eure Töchter sind verflucht und werden niemals zurückkehren. Wenn ihr der Heirat zugestimmt hättet, wäre alles gut gewesen. Ich werde sie bis ans Ende der Welt verfolgen, dass sie niemals zur Ruhe kommen. Ihr Leben und das Eure sind für immer vernichtet. Diese Genugtuung tröstet mich.“ Sie machte ihren Söhnen ein Zeichen und sie verließen das Schloss, ohne einmal zurückzuschauen. Der alte Freund des Königs Leonid und Vater von Penseea und Atalanta näherte sich und sprach leise und schmerzerfüllt:

„Mein guter König und mein Freund, heute haben wir alles verloren. Nichts mehr bringt unsere Kinder zurück, die Kinder, die das Licht unseres Lebens waren. Ich gehe jetzt heim. Nur dort kann ich meine Tränen weinen, dort, wo mich keiner sieht. Denn niemand wird mich jemals verstehen können. Nur du alleine. Du und Königin Liana.“

Die Gäste verabschiedeten sich in Stille, wie nach einer Trauerfeier. Das Königspaar blieb alleine und war nicht fähig, ein einziges Wort zu sagen. Es dauerte eine Weile, bis der König die Stille unterbrach.

„Sie sind für immer weg. Nicht wahr?“ Liana ließ sich mit der Antwort Zeit.

„Ja, sie sind weg.“

„Werden wir sie jemals wiedersehen?“

„Vielleicht, aber nur wenn die Kraft des Lichts in ihnen stark wird. Dann werden sie aufbrechen und nichts auf der Welt wird sie davon abhalten.“

„Es tut mir leid, dass ich nicht helfen konnte.“

„Ich weiß. Du kannst nichts dafür. Wir leben in einem Land, in dem die Kraft der Magie nur spärlich verteilt wurde. Selbst ich konnte nicht viel tun.“

„Wo sind wohl unsere Töchter jetzt?“

„Sie werden ständig fliehen müssen, denn der Hass der Nimmera wird sie überall verfolgen. Sie wird keine Ruhe geben, bis sie sie nicht findet.“

„Kann ich noch auf ein Wiedersehen hoffen?“

„Ja, wir geben unsere Töchter nicht auf. Eines Tages kehren sie wieder zurück. Ob wir dann noch am Leben sind, das weiß ich nicht.“

„Ich vertraue dir und der Kraft des Lichts, in der unsere Töchter geboren wurden. Komm her, lass uns gemeinsam weinen und trauern. Das Licht hat sich in Finsternis verwandelt und nichts kann uns das zurückgeben, was wir heute verloren haben.“

„Ja, mein König. Lass uns weinen und trauern. Aber auch hoffen.“

Die Zeit verging. Tage, Monate, Jahre …

2. Die Geister der Nacht

Aus dem Schlosswäldchen wurde ein stattlicher Wald, dicht und geheimnisvoll. Die Baumkronen waren üppig, zartgrün, so wie in jedem Frühling, der sie grunderneuerte. Die kräftigen und ausdauernden Stämme trotzten jedem schlechten Wetter und jedem Sturm. Ein einziger sichtbarer Pfad, der zum Wald führte, ging quer über eine weite blühende Wiese, die zum Wandern und Verweilen einlud. Die am Rande des Pfades hochgewachsenen Gräser und Wildblumen verdeckten ihn fast, als ob sie ihr Geheimnis hüten und verbergen wollten. Er wurde selten betreten, sodass er fast komplett zugewachsen war. Von hoch oben sah er wie eine windende Schlange aus, die ihren Kopf in diesem Dickicht versteckte. Im Schatten der ersten Bäume hörte diese Pracht dann auf und sie machte den Farnen und den Pflanzen Platz, die Schatten bevorzugten. Hier gab es einfach zu wenig Licht, um das Wachsen und Gedeihen für sonnenliebende Arten zu ermöglichen. Der schattige Platz unter den Bäumen wurde zum Lebensraum für ganz andere Arten. Der Duft, der aus der Wiese emporstieg, war betörend. Er lockte unzählige Schmetterlinge und nektarhungriges Kleingetier herbei. Vögel und Insekten wussten es zu nutzen und schätzten die Vielfalt dieses Nahrungsangebotes, das ihr Überleben sicherte. Diese blumenreiche Welt verwandelte sich schon bei den ersten Sonnenstrahlen in einem Treffpunkt der verschiedensten Vogel- und Tierarten. Auf der zugewachsenen Wiese, die den Boden ganz verdeckte, entging dem unachtsamen Auge eher das Leben, das sich in der Bodennähe abspielte. Es war leicht zu übersehen, was das Kleingetier machte und wie es hier sein Leben verbrachte. Scheinbar winzig und klein, dennoch eine Welt für sich, die sich zu entdecken lohnt. Unter den Blättern von Kräutern und Blumen fanden Geburt, Entwicklung und Tod statt, ein unglaubliches, faszinierendes Leben. In diesem bunten und lebendigen Bild fiel gleich ein schöner Schmetterling auf, der sich gerade auf einer offenen Blüte niederließ. Nach einem ausgiebigen Nektarfrühstück und einem kühlen Wasserschluck aus dem naheliegenden Bach war Ausruhen angesagt. Er schaute sich vorsichtig um und landete dann sanft und weich auf der auserwählten Blüte. Entspannt und zufrieden genoss er offensichtlich die Ruhe und die aufsteigende Tageswärme sowie den Vogelgesang. Er drang zu seinen winzigen Ohren von überallher und begeisterte ihn wie eh und je. Trotz allem blieb er vorsichtig und gedachte nicht, als Vogelmahlzeit zu enden. Er war stolz auf seinen Flügel, die in der hellen Sonne in Braun, Orange und Weiß leuchteten. Sie zeugten von einem stolzen, unabhängigen Wesen, das sich des Lebens freute und es mit allen Sinnen genoss. Mit den Umgebungsfarben verschmolzen, blieb er unbewegt liegen und ließ die Sonne seine zarten Flügel streicheln. Es gab nichts Schöneres für einen Schmetterling, als eine wunderschöne Sommerwiese und die Ruhe, die er in einem wohlduftenden Blumenkelch von Herzen genießen konnte! Seine Flügel ließ er entspannt hängen und er wusste, dass er auf diesem Blumenherz gut getarnt war.

„Ich fühle mich so alleine … Wo sind meine Freunde? Wie haben wir unsere Freundschaft vergessen können? Wie war das möglich?“ Während sein Blumenbett hin und her im Wind schaukelte, dachte er über Freundschaft nach, bis er fast eingeschlafen war. Viel zu tun hatte er heute nicht mehr. Ausruhen, neue Flugkraft schöpfen und danach die zartesten Brennnesseln und die herrlich duftenden Distelblüten ausfindig machen, das war die richtige Aufgabe für einen Admiral. Während seine Gedanken hin und her wanderten, musste er an Lumina und Luna denken. Die zwei schneeweißen Schwäne, die er in der kleinen Waldlichtung kennengelernt hatte, faszinierten ihn. Sein kleines Herz schlug schmetterlingsartige Purzelbäume in ihrer Nähe, was er sich nicht ganz erklären konnte. Ihr Gesang war magisch und brachte ihn dazu, ein merkwürdiges Kribbeln in den Flügeln zu spüren. Als ob er aus seiner zu kleingewordenen Haut herauswachsen müsste. Noch nie zuvor hat er schönere Geschöpfe als diese beiden gesehen. Obwohl er eigentlich viel in der Welt herumgekommen war. Sie waren nicht nur schön, sondern auch gütig und freundlich. Das waren Gaben, die von einem Admiral sehr wohl geschätzt waren. Er ließ seine Gedanken schweifen. Als Nächstes fiel ihm Elsie ein, die Waldelster. Was für ein hässliches und verräterisches Geschöpf! Gierig wie kein anderer Vogel, diebisch und heuchlerisch. Sie klaute alles, was ihr unter den Krallen kam, und lachte die zu Schaden gekommenen Tiere aus. Niemand mochte sie und keiner wollte sie in der Nähe haben. Weil sie einmal den Schnabel nicht halten konnte, mussten Lumina und Luna den Wald verlassen und weiterziehen, bis sie einen sicheren Zufluchtsort fanden.

„Wenn ich nur könnte, würde ich Elsie alles heimzahlen“, dachte der zart wirkende Schmetterling in seinem kleinen Herzen weiter. Nicht umsonst war er ein Admiral. Sein Name stand für Schönheit, Stolz und Zuverlässigkeit, die seine Großfamilie sehr wohl zu schätzen wusste. Er war unumstritten der beste Ratgeber weit und breit. Diese Gabe diente dem Überleben von vielen Admiralgenerationen. Die Raupen, die sich später verpuppten und ihre Blatttüten mit Spinnfäden zusammenhielten, waren der Beweis für seine Begabungen in der Erhaltung der eigenen Art. Nur eine Kleinigkeit ärgerte noch den schönen Admiral: Die frisch geschlüpften Raupen waren sehr undiszipliniert und ungehorsam. Dadurch brachten sie sich in große Gefahr, weil sie sogar den Blattstiel annagten. Ohne diesen Schutz konnten sie gesehen und gefressen werden.

„Diese Kinder. Diese Jugend. Immer wieder dasselbe Problem und die große Sorge um ihre Zukunft“, dachte er vor sich hin. Eins musste er den Raupen trotzdem anerkennen: Sie waren echte Verpuppungsmeister. Sie webten nicht nur ihr Puppenhaus vernünftig zusammen, sondern schmückten dieses mit glänzenden, schillernden Flecken, die einmalig in ihrer Schmetterlingswelt waren. Der Admiral ließ seinen Gedanken freien Lauf, wobei er zugeben musste, dass diese ständig um eine vergessene Freundschaft kreisten.

„Ich muss in den Wald. Zumindest den Waldrand muss ich umfliegen, wo sich die Lieblingsplätze des Baumweißlings befinden. Wenn ich ihn finde, dann …“ Ja, was dann? Ihre Freundschaft kann nicht gestorben sein, nein, das kann nicht sein. Eine neue Hoffnung beflügelte sein Herz und er erhob sich in die Luft, selbstbewusst und festentschlossen, seine ehemaligen Freunde zu finden. Der Wald war mühelos und ohne Anstrengung zu erreichen, Tatsache, die seine Entscheidung leichter machte. Er freute sich schon darauf, ein schattiges Plätzchen zu finden und gut geschützt, nach seinem Freund zu schauen. Als seine Flügel das erste Blatt berührten, fühlte er einen mächtigen Stoß, der ihn kopfüber durch die Luft purzelte.

„Nanu … Was war denn das?“ Er verstand nicht und näherte sich erneut. Ein kalter Windhauch entwich dem Wald, rüttelte ihn durch und warf ihn hin und her, bis er fast ohnmächtig wurde. Eine jammernde Stimme wurde hörbar, lang gezogen und geisterhaft, was den zarten Admiral erschaudern ließ. „Wuuh … Wuuh …“

Er fragte sich nicht mehr, was das war. Nur eins wusste er mit Sicherheit: Diese schreckliche Stimme wollte er nicht mehr hören. Warum er so bestürzt war, wusste er nicht so richtig. Der zarte Schmetterling hatte Angst, kehrte um und flog weg, Hauptsache weit weg von diesem merkwürdigen Ort. Admiral war sich nicht sicher und den Gedanken, der ihm durch den Kopf ging, wollte er nicht zulassen. Im Wald da … spuckt es … Sein Herz schlug wie verrückt und er verweigerte sich, seinen Gefühlen zu trauen. Vielleicht hat er sich alles nur eingebildet. Ob das Geisterstimmen waren? Er war so alleine und hatte niemanden, dem er es erzählen könnte, was passiert war. Es hätte gut getan, seine Freunde in der Nähe zu haben, um diese zur Hilfe zu holen. Aber so … Wer würde ihm schon glauben? Was sollte er nun tun? Er muss nachdenken.

Admiral fand schnell seine Lieblingsblume und setzte sich darauf.

„Bssss, Bssss, Bssss …“, hörte er laut klingend an seinem Ohr. Sogleich verschwanden seine wunderbaren Träume, die summenden Geräusche holten ihn in die Wirklichkeit zurück. „Bssss, Bssss, Bssss …“

„Bist du das, Mimi? Du störst ein bisschen und bist viel zu laut für meine zarten Ohren.“

„Bssss, Bienen summen nun mal, sie können nicht anders.

Und ich auch nicht.“

„Oh, ich bitte um mehr Respekt vor einem Admiral“, erwiderte dieser und bewegte gleich seine Flügel in der Sonne, um ihren Glanz und ihre besondere Schönheit zu zeigen.

„Warum? Du siehst zwar gut aus, aber mein Kleid ist viel besser als deins. Es ist ein Arbeitskleid, das mich bei Sonne und Regen schützt. Seine gelben Streifen wurden direkt aus der Sonne entnommen. Das dürfen wir Bienen niemals vergessen.“

„Das glaube ich nicht.“

„Gut. Mal sehen … Hast du gelbe Streifen auf deinem Kleid?“

„Brauche ich nicht. Ich habe doch den schönsten Seidenmantel, den es gibt.“

„Hast du goldene Schuhe an, die einen winzigen Kelch für Blütenstaub tragen? He, hast du das?“

„Ich musste noch nie Blütenstaub tragen. Ich brauche nur ein paar Brennnesseln oder duftenden Flieder und schon bin ich zufrieden.“

„Igitt! Brennnesseln! Die picken ja, ich mag sie nicht.“

„Ihr Geschmack ist fantastisch.“

„Warum streitet ihr euch an einem solch wunderschönen Tag? Das finde ich gar nicht gut.“ Aus dem Schatten einer Sonnenblume tauchte ein Baumweißling auf. Biene Mimi und der Admiral schauten sich überrascht an und fingen an zu lachen.

„Wir haben uns doch gar nicht gestritten, wir haben uns nur … unterhalten. Schön dich zu sehen, mein Freund. Lange nicht gesehen, was?“

„Hm … Unterhalten … Muss das im Streit sein? Mit ausgestreckten Flügeln und wutentbrannten Gesichtern? Ihr seht wie geschminkt aus.“

„Wir haben Glück, dass du gekommen bist. Wer weiß, wie lange wir uns noch gestritten hätten. Mimi, hier ist meine Hand. Freunde?“ fragte Admiral gleich.

„Freunde“, gab Mimi zurück und machte dem Baumweißling auf der Mohnblüte neben sich Platz.

„Wo warst du die ganze Zeit Baumweißling? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen“, fragte Admiral den alten Freund.

„Vom Waldrand. Ich suche dich, mein Lieber. Aus zwei verschiedenen Gründen.“ Admiral machte eine plötzliche Flugbewegung, um dem Erzählenden näherzukommen. Dabei stolperte er über Mimi, die den Baumweißling mit sich riss. Sie landeten lachend auf den weichen Boden und schauten sich belustigt an.

„Na so was, so was“, murmelte Baumweißling, der auch Aporius genannt wurde. Seine Stimme klang knurrig, aber seine Augen waren voller Freude und Wohllust.

„Ich habe unsere Freundschaft sehr vermisst. Du und die anderen Freunde, ihr habt mir alle sehr gefehlt. Aber warum suchst du mich?

„Ich erzähle es gleich“, sagte er ruhig.

„Wisst ihr was? Ich bin nicht so neugierig und habe einfach viel zu viel zu tun. In unserem Bienenstock gibt es immer Arbeit. Die Larven und die Königin müssen gefüttert und gepflegt werden. Ich verschwinde gleich, sonst bekomme ich noch ärger mit dem Bienenstockhüter. Wenn es um unser Zuhause geht, versteht er keinen Spaß. Nach Feierabend komme ich noch einmal kurz vorbei, dann erzählst du mir die Neuigkeit des Aporius. Auf Wiedersehen.“ Mimi flog weg und versuchte die verpasste Arbeitszeit aufzuholen, indem sie schneller als je ihren Blütenstaub sammelte. Wenn ihr jetzt einer zu nahe gekommen wäre, hätte er mit Sicherheit ihre Waffe zu spüren bekommen. Das wäre keinem zu wünschen. Wenn es um Blütenstaub ging, erduldete Mimi keinen Widersacher.

„Komm Freund, erzähle mir alles.“

„Ich habe nachgedacht und festgestellt, dass ich unsere Freundschaft vermisse. Diese und die vielen tollen Sachen, die wir gemeinsam gemacht haben. Dieser Freundschaft wollte ich eine neue Chance geben.“

„Ich freue mich sehr. Du bist und wirst immer mein Freund sein …“, antwortete der stolze Admiral sichtlich gerührt.

„Der andere Grund wäre?“

„Also mein Freund, ob du es glaubst oder nicht, im Wald da drüben, da spukt es.“

„Nein. Das meinst du doch nicht ernst?“Admiral musste dabei an seine neuesten Erfahrungen denken, die ihn zutiefst beunruhigt hatten.

„Doch, ich meine es sogar sehr ernst. Nicht nur das: Die Waldgespenster können sogar sprechen. Elsie hat sie gehört. Danach traute sich keiner mehr, in den Wald zu gehen.“

„Du hast doch nicht etwa Angst? Was meintest du mit – sprechen -?“

„Ich habe keine Angst. Die Baumweißlinge waren alle tapferen Leute. Das bin ich auch. Meine Vorfahren hatten sämtliche Waldvölker überlebt und ihren ehrlichen Namen von Generation zu Generation weitergegeben. Deswegen heiße ich Aporius.“

„Hast du selber die Gespenster gehört, du tapferer Aporius?“

„Hm, nein, nicht. Ich war nicht im Wald. Obwohl die Wildrosen am Waldesrand jetzt gerade voll blühen. Und sie sind der beste Eierlegeplatz für die nächsten Schmetterlingskinder. Dort kann man das beste und schönste Gespinst weben. Zum Glück finde ich auch woanders Wildrosen, ich brauche nicht in den Wald zu fliegen.“

„Na, wir sollten zu zweit hin.“

„Wohin? In den Wald? Und die Gespenster?“

„Gespenster? Ein Admiral hat keine Angst vor Gespenstern.

Die gibt es in unserem Wald nicht. Ich habe tausendmal den Wald durchflogen und habe niemals Gespenster gesehen.“

„Man kann sie hören und fühlen. Die Gespenster fliegen hin und her und decken die Umgebung mit milchigen Wolken ab. Sie rufen laut …“

„Was rufen sie? Elsie hat wahrscheinlich den Wind, der durch die Äste weht, gehört.“

„Es kann schon sein, aber wenn nicht?“

„Wir sollten uns selber davon überzeugen. Was rufen diese … Gespenster?“

„Sie rufen:

Habt ihr gesehen, habt ihr gehört,

Die Schwäne,

Die ich einst verflucht und zerstört?“

„Was sagst du da?“, fragte der Admiral zu tiefst erschrocken.

„Ja, sie rufen …“

„Begreifst du nicht, mein Freund? Denk Mal nach. Um welche Schwäne kann es sich handeln?“

„Du meinst doch nicht Lumina und Luna? Es ist eine Ewigkeit her, dass sie weggeflogen sind. Wenn es um die beiden geht, dann sind sie in der Nähe und in höchster Gefahr. Wir müssten etwas unternehmen. Und diesmal dürfen wir nicht versagen. Alleine wage ich dieses Abenteuer nicht. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, mitzukommen.“

„Nein, eigentlich nicht. Es gibt nur ein Problem: Im Dunkel sehen wir schlecht.“

„Wir fragen einen Leuchtkäfer, ob er uns begleiten will. Sein Licht geht in der Nacht nie aus. Ganz im Dunkeln durch den Wald zu fliegen, fände ich auch nicht lustig und gar nicht schön.“

„Dann müssen wir Luziferina besuchen. Sie muss ganz in der Nähe wohnen. In unserem Wald besitzen nur die Leuchtkäferweibchen ein Licht.“

„Es gibt auch Männchen, die leuchten können, davon habe ich schon gehört. Sie wohnen nicht hier in unserer Nähe, sondern weit, weit weg. Schließlich ist die Käfergroßfamilie auf der ganzen Erde verteilt“, sagte Baumweißling gleich und war ein bisschen stolz darüber, dass er auch zu dieser Familie gehörte.

„Bist du sicher, dass sie mitkommen will? Unsere Nachtwanderung verspricht nicht viel und klingt recht abenteuerlich.“

„Oh, ich glaube, Luziferina liebt das abenteuerliche Leben. Sie kommt bestimmt mit.“

„Gut. Dann nichts wie los.“ Baumweißling und Admiral flogen hin und her, guckten da, guckten dort und suchten Luziferina, in der Hoffnung diese von ihrem Vorhaben zu überzeugen.

Dieser Platz war ideal für einen Leuchtkäfer, denn er liebt weite Wiesen und junge Wäldchen, wo sie unbeschwert ihre Hochzeitstänze durchführen können. Hier finden sie Nahrung in Hülle und Fülle für ihre neu geschlüpften Larven. Während ihres Rundfluges über die herrlich duftende Wiese trafen sie noch einmal Mimi, die ihre Sammelrunden noch nicht beendet hatte.

„Kommst du heute Nacht mit, Mimi? Wir wollen in den Wald.“

„He, ich muss euch sagen, ihr seid nicht ganz bei Trost. Das ist nicht nur gefährlich, das ist richtig dumm. Ihr riskiert euer Leben. Und wofür?“

„Wir suchen Gespenster.“

„Was sind denn Gespenster? Sind sie Monster? Ich habe keine Angst vor Monster.“

„Wir glauben dir aufs Wort. Kommst du dann mit?“

„Nein, das kann ich nicht. Ich darf in der Nacht nicht draußen sein, das ist bei uns Bienen strikt verboten. Zudem müssen wir uns in der Nacht gut ausruhen, sonst haben wir keine Kraft für die Arbeit, die am nächsten Tag ansteht. Nein, es tut mir leid, ich kann nicht mitkommen.“

Dann flog Biene Mimi weiter und die beiden Schmetterlinge setzten ihre Suche nach Luziferina fort.

Die Wiese vor dem Wald war dicht bewachsen, die Gräser hoch und manchmal undurchdringlich, was die Suche beschwerlich machte. Admiral und der Baumweißling haben die Zauberschwäne im Urwald kennengelernt und ihnen Schutz vor ihren Verfolgern versprochen. Damals dachten sie nicht daran, dass sie auch versagen könnten. Was auch geschah. Die Schwäne mussten fliehen, wobei die Freunde sich gegenseitig beschuldigten. Ihre Freundschaft zerbrach und sie entschieden, eigene Wege zu gehen. Den damaligen Fehler wieder gut zu machen, war nicht möglich. Jetzt war alles anders und diese Chance wollten sie sich nicht entgehen lassen. Admiral und Aporius fanden sich wieder, was mehr als nur Glück war. Gemeinsam fühlten sie sich stark, wie in den guten alten Zeiten. Die jetzige Lebenssituation und ihre Gegebenheiten brachten sie einander näher und das tat gut.

„Luziferina! Luziferina!“

Wie Schmetterlinge rufen können? Ganz einfach. Sie haben keine menschlichen, sondern Schmetterlingsstimmen. Sie vibrieren durch die Luft und die Vibrationen verwandeln sich in Töne, die jedes Wesen kennt und versteht.

„He, Leute, nicht so laut! Ich bin doch nicht taub.“ Die beiden Schmetterlinge schauten sich um, sahen aber niemanden und wollten gerade fortsetzen, als sie noch einmal hörten:

„He, he, hier bin ich. Auf der Margerite.“ Erst jetzt entdeckten sie den kleinen Marienkäfer, der sich in der Margeritenblüte versteckt hatte.

„Ah, da bist du ja. Guten Tag.“

„So, so. Zumindest grüßen könnt ihr. Meine Ohren brummen immer noch, ihr seid viel zu laut.“

„Entschuldige bitte, wir wollten dich nicht ärgern. Wer bist du überhaupt?“

Der Marienkäfer drehte sich um und öffnete halb seine fein gefärbten Flügel.

„Schaut her und zählt. Ich meine die Punkte auf meinen Flügeln. Oder könnt ihr noch gar nicht zählen?“

„Doch schon. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Genau sieben Punkte haben wir gezählt.“

„Und weiter, weiter … Wenn ich sieben Punkte auf den Flügeln habe, wie heiße ich? He?“

„Na, irgendwas mit sieben.“

„Ganz clever seid ihr bestimmt nicht. Wenn ihr so wollt: Ich bin ein Siebenpunkt-Marienkäfer. Man nennt mich auch Cinellius.“

„Wer sagt’s denn. Ein Marienkäfer, den man Cinellius nennt.“

„Na klar. Wen sucht ihr, wenn ich bitten darf?“

„Wir suchen Luziferina. Wir planen eine Nachtwanderung und benötigen ihre Hilfe dazu. Kommst du mit?“

„Eine Nachtwanderung sagt ihr? Und wozu braucht ihr Luziferina?“

„Wir werden Licht brauchen. Sonst können wir uns verlaufen oder verfliegen. Im Wald spukt es.“

„Ne, ne, ne, wer glaubt’s denn?“

„Weiß du, wo Luziferina ist?“

„Aber sicher. Ne, ne, ne, wer glaubt’s denn? Im Wald soll es spuken … Kommt mit.“

Siebenpunkt öffnete seine Flügel und startete seinen Flug in Waldrichtung. Die beiden Schmetterlinge folgten ihm. Sie überquerten einen kleinen Hügel und befanden sich plötzlich in einer kleinen Erdvertiefung, die sich zwischen dem Wald und der Wiese erstreckte. Sie lockte mit ihrer Kühle, besonders an einem Tag, wie dem heutigen. Siebenpunkt setzte sich auf einen kleinen Stein und lud die Schmetterlinge ein dasselbe zu tun.

„Hier wohnt sie.“

Cinellius klopfte an und die Tür öffnete sich. Luziferina war eine einmalige Schönheit. Ihr Körper war schmal aber gut gebaut. Ihr stufenförmiges Panzerkleid hatte weiße Bereiche, die durchsichtig wirkten. In ihrem Inneren war eine weiße Schicht sichtbar, die das Licht reflektierte. Die weißen Bereiche wurden dadurch auch am Tag sichtbar. Sie wirkte wie eine Kämpferin im Panzerkleid. Für alle ihre Lebenszwecke schien sie vollkommen von der Mutter Natur ausgerüstet zu sein.

„Guten Tag, meine Lieben. Was verschafft mir die Ehre?“ Admiral, der etwas eingeschüchtert von ihrem stolzen Erscheinen war, antwortete zögernd: „Guten Tag, Prinzessin.

Du siehst umwerfend aus.“

„Danke. Warum seid ihr hier?“

„Wir möchten beim Dunkeln in den Wald und benötigen dafür dein Licht. Würdest du uns vielleicht begleiten?“

„Warum geht ihr nachts in den Wald? Ihr seid doch tagaktiv. Was ihr vorhabt, ist nicht gut.“ Ihre Stimme klang milde und sanft.

„Wir sind tapfere Schmetterlinge und wollen uns vergewissern, dass den neuesten Gerüchten nicht zu glauben ist. Im Wald soll es spucken. Wir vermuten, dass die Nachtgeister etwas mit der bösen Hexe Nimmera zu tun haben. Sie rufen laut und suchen die Zauberschwäne. Ihre Rufe erschallen durch die Nacht und erschrecken alle Waldbewohner. Wenn sie Lumina und Luna finden, töten sie sie gewiss. Wir möchten uns erkundigen, ob unsere Befürchtungen begründet sind und wenn nötig, helfen. Der Wald gehört uns. Wir wollen uns von diesem bösen Wesen nicht vertreiben lassen. Auch von weiteren angeblichen Gespenstern nicht.“

„Wenn das so ist, bin ich dabei. Kommt und erfrischt euch. Für euer Vorhaben werdet ihr viel Kraft benötigen.

Admiral, Baumweißling und der Marienkäfer setzten sich auf Blätter, die um einen runden, glatten Stein lagen. Luziferina brachte erfrischende Tautropfen mit, die mit Honig gesüßt wurden.

„Dürfte ich eine Frage stellen?“, fragte zaghaft der Baumweißling, während die anderen genüsslich ihre Getränke kosteten.

„Aber natürlich. Ich beantworte gerne jede Frage.“

„Warum der Name Luziferina? Er klingt ungewöhnlich und geheimnisvoll.“

„Geheimnisvoll ist mein Name nur für die Wenigen, die mich nicht kennen. Ich erzeuge Licht, das in der Nacht heller leuchtet als tausend Sterne. Nur noch in der Tiefe der Erde brennt ein helleres Feuer und Luzifer ist sein Herrscher. Aber keine Angst, mein Licht ist gut und dient zur Verständigung unserer Art. Wenn an einem bestimmten Abend die Weibchen ausfliegen, dann ist Hochzeitszeit angesagt. Sie leuchten um die Wette und heller als je. Dann suchen wir einen Partner, der unserer Schönheit würdig ist. So ist nun mal das Leben eines Leuchtkäferweibchens.“

Für einen Moment wurde es still in der Runde. Jeder von ihnen wusste, dass Luziferina nur ein sehr kurzes Leben nach ihrer Hochzeit hatte. Mit der Eiablage war ihre Aufgabe erfüllt und sie musste sterben. Umso wichtiger war für sie das Genießen ihres kurzen Lebens, das oft unter Gefahren und Entbehrungen geführt werden musste.

„Woher wisst ihr von dem Gespenst?“, fragte Luziferina nach einiger Zeit.

Baumweißling erzählte: „Du hast bestimmt von Elsie, der Waldelster gehört? Sie ist hässlich und ihr Verhalten unausstehlich. Eine gute Qualität hat sie trotzdem: Durch ihre Art erfährt sie als Erste die Neuigkeiten des Waldlebens. Ihrer Aussage ist nicht immer zu glauben. Sie fliegt hin und her, hat keine Ruhe, ist kämpferisch und streitsüchtig. Kein Geheimnis ist vor ihr sicher. Vor einigen Tagen stritt sie mit der schwarzen Krähe Gitta. Jede der beiden bestand darauf, die klügste und die schönste ihrer Spezies zu sein. Sie kamen zu keinem Ergebnis und der Streit dauerte an. Eulenvater Ulli, der in der Nähe war, versuchte zu schlichten. Er verwendete einen Trick, um die beiden Streithähne zu beruhigen.

„Wer meine Frage beantworten kann, ist die schönste ihrer Art auf dieser Welt.“

„Ich bin nicht nur die Schönste, ich bin auch die Klügste. Sag mir also, was ich zu tun habe. Das werde ich auch tun, alter Mann“, sagte die zänkische Elsie.

„Ich auch“, antwortete Krähe Gitta schnell.

„Wenn ihr falsch antwortet, müsst ihr auseinandergehen und verschwinden.“

„Einverstanden. So werden wir es tun.“

„Gut, so hört mir zu: Welches Tier kann schneller und geschickter ein Kuckucksküken aus seinem eigenen Nest klauen, ein Wiesel oder eine Schlange?“ Die beiden überlegten scharf. Dann sagte Elsie: „Das Wiesel. Es ist schnell, schneller als eine Schlange. Es ist geschickt und zielsicher, ihm entgeht gar nichts und es bekommt immer, was es will.“

„Nein, es ist die Schlange. Sie dringt in das kleinste Nest ein und sie kriecht auf den dünsten Zweigen empor. Der Kuckuck kann sich vor ihr nicht retten“, sagte Gitta siegesbewusst.

Wer von uns hat gewonnen? Ich, nicht wahr?“

„Nein, ihr habt die Aufgabe nicht gelöst. So zieht in Frieden weiter und kommt nie wieder zurück.“

„Aber … die Antwort?“

„Ihr seid ein bisschen dumm: Der Kuckuck hat kein eigenes Nest.“ Beide schrien wie verrückt:

„Du hast uns reingelegt, das ist nicht fair.“

„Geht in Frieden …“, sagte Eule Ulli weiter.

„Das werde ich dir nie verzeihen. Deine Strafe soll unendlich sein. Ich beschwöre die weißen Gespenster des Waldes, sie sollen über deinen Kopf und deine ganze Sippe kommen! Sie sollen dich gänzlich von der Erde vertilgen! Die singenden Gespenster der Nacht sollten dich überall verfolgen und umbringen. Dich und deine Freunde“, sagte Elster Elsie wutentbrannt.

„Gespenster in weißen Kleidern? Die auch noch singen können?Dass ich nicht lache.“ Aber Ulli Stimme klang etwas besorgt und unsicher.

„Doch, es gibt sie. Ich habe sie gehört. Furchterregend sahen sie aus. Sie rufen laut:

Habt ihr gesehen, habt ihr gehört,

Die Schwäne,

Die ich einst verflucht und zerstört?

Mit dir rede ich aber nicht mehr.“

Nachdem die beiden Streithähne auseinandergingen, näherte ich mich ihm und traute mich zu fragen: „Weise Eule Ulli, du klangst gerade sehr besorgt, als du von Gespenstern gehört hast. Gibt es sie wirklich? Sind sie lebensbedrohlich für uns? Sage mir die Wahrheit, damit ich weiß, wovor ich mich schützen soll.“

„Hallo kleiner Baumweißling. Gut, dass du nicht früher aufgetaucht bist, sonst hätten dich die beiden Verrückten in Stücke gerissen. Ich weiß nicht, von welchen Gespenstern Elsie sprach, aber ihre Aussage muss ich überprüfen und den Wald durchfliegen. Wenn ich etwas Bedrohliches sehen sollte, sage ich dir rechtzeitig Bescheid, versprochen. Und jetzt „Auf Wiedersehen, ich brauche noch ein bisschen Ruhe, damit ich in der kommenden Nacht meine Aufgaben erledigen kann.“ „Und“, fragten aufgeregt die anderen, „wie ging es weiter?“ „Eule Ulli ist nicht mehr zurückgekehrt und ich konnte nichts

mehr über die vermeintlichen Gespenster erfahren.“ Alle dachten jetzt angestrengt nach und überlegten, ob sie eine Reise in den Gespensterwald wagen sollten oder nicht. Das Abenteuer lockte und ein besonderes Kribbeln in den Flügelspitzen bewegte sie dazu, es zu versuchen. Admiral hatte eine Idee:

„Wenn wir losgehen, sind wir sämtlichen Gefahren ausgesetzt. Wir sollten unsere Freundschaft mit einem Schwur besiegeln. Wenn wir Blutsgeschwister sind, stehen wir füreinander bis zum Tode ein. Wir schwören, dass wir zusammenhalten, was auch kommen mag.“ Wie ein Strom durchdrang sie das Sieges- und Stärkegefühl der neuen Gemeinschaft. Sie berührten gegenseitig ihre Flügelspitzen und sprachen:

„Wir schwören hoch und heilig,

Die Freundschaft zu bewahren.

Zu schreiten wenn uns eilig

Bedrohen die Gefahren.“

Aus den vier kleinen Lebewesen wurden von nun an die besten Freunde der Welt, die noch viele Abenteuer zu bestehen hatten. Ihre ehrliche Freundschaft wird sie tragen und ihnen aus allen Schwierigkeiten heraushelfen. So ist das nun Mal mit der Freundschaft.

„So Kinder, wir wollen Freunde sein und nie mehr auseinandergehen. Es gibt nichts Schöneres auf dieser Welt als Freundschaft. Vielleicht noch die Liebe … Das ist aber eine ganz andere Geschichte. Lasst uns nachdenken. Ulli ist nicht mehr zurückgekehrt, also muss ihm etwas zugestoßen sein. Vielleicht braucht er Hilfe oder Beistand. Wir werden in den Wald fliegen und erst einmal Ullis Spuren aufnehmen. Wenn wir ihn finden, sind wir schon ein Stück weiter“, sagte siegesbewusst der Admiral.

„Wo sollen wir anfangen?“

„Zuerst weben wir ein Netz, damit wir Luziferina transportieren können. Sie kann nicht fliegen, aber ihr Licht ist uns in der Nacht nützlich. Der Baumweißling und ich werden das Netz tragen, Luziferina wird uns den Weg beleuchten. Der Marienkäfer fliegt vor und erkundet die Umgebung für uns, damit wir nicht in eine Falle hineintappen.“ Sie machten sich sofort auf die Suche. Luziferina blieb auf ihrem Platz, sie hätte höchstens beim Weben mithelfen können. Als Leuchtkäferweibchen ihrer Art besaß sie keine richtigen Flügel, sie benötigte auch keine. Dafür konnte sie gut krabbeln und sich an einem Baum festhalten, um Ihr Licht leuchten zu lassen. Die beiden Schmetterlinge sammelten eifrig feine Gräser, die nicht zu grün und auch nicht zu trocken waren. Siebenpunkt suchte in der Nähe Baumharz, das sie zum Verbinden und Verknoten der Grashalme brauchten. Als das winzige Netz fertig war, setzte sich Luziferina zur Probe drauf. Das Netz hielt, es war perfekt.

„Jetzt kann es losgehen“, sagte der Admiral.

„Aber wohin? In welche Richtung?“, fragte Baumweißling unsicher.

„Gerade aus, dem Pfad nach.“

Admiral und Baumweißling fasten das Netz an und Luziferina setzte sich drauf. Der Marienkäfer stand vorne und wartete auf das Startkommando.

„Los geht’s!“

Die Truppe setzte sich in Bewegung. Da Luziferina nicht unbedingt ein Leichtgewicht war, kamen sie nur langsam voran, langsamer als sie gedacht haben. Der Abend kündigte sich langsam an und die Vögel suchten ihre Schlafbäume auf. Die Grillen zirpten, das Wiesenleben beruhigte sich langsam und bereitete sich auf ihre Nachtruhe vor. Die vier Freunde näherten sich dem Waldrand, wo sie eine kurze Rast machen wollten. Dann würden sie die sichere Wiese hinter sich lassen und in den dunklen Wald eindringen. Die Baumkronen glitzerten wunderschön in der Abendsonne, ihre Farbe schien ständig von hell- bis dunkelgrün zu wechseln. Ein leichter Wind bewegte sie hin und her und ließ die Waldluft angenehm erfrischend wirken. Die tapferen Freunde passierten den Waldrand und bekamen gleich darauf seine kühle Brise zu spüren. Alles ging gut, bis Siebenpunkt ein Bäumchen voller Blattläuse entdeckte. Das veranlasste ihn, auf einem Ast zu landen, um die Lage zu untersuchen. „Oh, je, armer Baum, du bist voller Blattläuse. Hm, und sie schmecken sogar.“ Für eine kurze Zeit vergaß er seine wichtigste Aufgabe, fing zu fressen an und dachte bei sich:

„Wenn ich mich für einen Moment satt esse, kann ich doch niemandem schaden.“

Seine Freunde flogen an ihm vorbei, weil sie ihn in der Dunkelheit des Waldes nicht erkennen konnten. Unbesorgt schritten sie voran, gut gelaunt und recht entspannt. Als sie den großen dunklen Schatten sahen, der auf sie zugeflogen kam, war es schon fast zu spät. Admiral reagierte noch rechtzeitig und schrie laut:

„Aufgepasst, eine Fledermaus!“Sie ließen das winzige Netz fallen und duckten sich unter einem großen Blatt, das ihnen am nächsten war. Sogar ihren Atem hielten sie an. Der böse Feind landete in der Nähe, festentschlossen, seine Beute nicht entwischen zu lassen.

„Wo ist Luziferina? Habt ihr sie gesehen?“

„Sie ist auf den Boden gelandet, dort findet sie keiner“.

„Und der Marienkäfer?“

„Keine Ahnung …“

Ein leises Flattern sagte ihnen, dass sie außer Gefahr waren und die Fledermaus weg ist. Jetzt trauten sie sich, nach Luziferina zu suchen.

„Luziferina, wo bist du?“Doch diese antwortete nicht. Sie flogen hin und her und spürten, wie sich die Angst in ihren kleinen Herzen schlich. Da es schon recht dunkel war, versuchten sie angestrengt den Boden abzusuchen, wo sie ihre Freundin vermuteten. Doch sehr weit kamen sie nicht. Einen einzigen Augenblick der Unachtsamkeit und sie gerieten in ein klebriges Netz, das sie festhielt und jede weitere Bewegung verhinderte. Panik stieg in ihnen hoch und sie riefen verzweifelt:

„Hilfe! Hilfe!“

Siebenpunkt hörte sie und erschrak zutiefst: „Das sind doch nicht meine Freunde?“ Er setzte zum Flug an und näherte sich dem Unglücksplatz. Hier bot sich ihm ein Bild des Schreckens dar: Admiral und der Baumweißling waren in ein Spinnennetz geraten und versuchten vergeblich aus der tödlichen Falle zu entkommen. Luziferina lag auch dort, ein Stückchen weiter und sagte keinen Ton. Eine tödliche Falle!

„Oh je, oh je, was habe ich nur getan? Ich hätte euch warnen müssen, “ sagte Siebenpunkt schuldbewusst.

„Hilf uns raus! Tu etwas guter Freund!“

„Was soll ich tun? Das ist doch ein Spinnennetz …“

Die Schmetterlinge zappelten, Luziferina versuchte sich aufzurichten und fiel jedes Mal zurück, ohne dagegen etwas anrichten zu können. Auf der anderen Netzseite kam eine dunkle und unförmige Gestalt in Bewegung und eine tiefe raue Stimme sagte erfreut: „He, he, he. Gar nichts könnt ihr tun. Rein gar nichts.“

„Oh nein, eine Kreuzspinne“, schrie Siebenpunkt entsetzt.

„Oh doch, ihr seid jetzt bei mir zu Hause, wie schön!“ Admiral fasste seinen ganzen Mut zusammen und fragte ruhig: „Wer bist du? Wir wollten dein Haus nicht zerstören.

Entschuldigung.“

„He, he, he, ihr könnt es gar nicht zerstören. Mit Erlaubnis, ich bin Ottilia. Schaut her.“ Und die Spinne drehte ihnen den Rücken zu. Ihr Körper war massig und auf dem Rücken waren weiße Flecken zu sehen, die die Form eines Kreuzes bildeten.

„Schön, dass ihr freiwillig gekommen seid. He, du, nicht mehr zappeln, sonst machst du noch meine ganze Arbeit kaputt.“ Die Drohung war an den Baumweißling gerichtet, der vor lauter Schreck nicht mehr wusste, was er tat.

„Es wird nicht wehtun, nur ein Piksen und fertig. Ihr seid die beste Mahlzeit, die in der letzten Zeit mein Haus betreten hat.“

„Oh, bitte nicht. Erst wollen wir hören, welcher niedrigen Spinnenart wir zum Opfer gefallen sind. Du wirst uns das nicht verweigern, oder?“, fragte Admiral die Kreuzspinne, um diese von ihrem Vorhaben abzulenken.

„Wie hast du gesagt? Niedrige Spinnenart? Das ist eine Beleidigung. Als Strafe dafür werde ich dich zuerst verspeisen. Meine Vorfahren stammen aus der Großfamilie der