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Zwischen Abschied und Neuanfang.
Das Jahr 1914 bricht an. Caro glaubt, ihr Glück gefunden zu haben. Sie liebt einen Mann, den sie heiraten will, und sieht einer strahlenden Zukunft entgegen. Im Rheinland brechen ihre Geschwister Marie und Gottfried mit den Erwartungen ihres strengen Vaters, auch ihre Mutter Mathilde ist längst nicht mehr bereit, sich von Jean unterdrücken zu lassen. Almut hingegen bleibt in ihrer kinderlosen Ehe gefangen und muss Edgars Eskapaden ertragen.
Dann bricht der Krieg aus – und nichts ist mehr, wie es war. Träume zerbrechen, Wege trennen sich, und das Schicksal stellt jede Gewissheit auf die Probe. Wird es im Haus unter der Magnolie noch eine Zukunft geben?
Das große Finale der bewegenden Familiensaga – voller Dramatik, Hoffnung und unvergesslicher Schicksale.
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2025
Zwischen Abschied und Neuanfang.
Das Jahr 1914 bricht an. Caro glaubt, ihr Glück gefunden zu haben. Sie liebt einen Mann, den sie heiraten will, und sieht einer strahlenden Zukunft entgegen. Im Rheinland brechen ihre Geschwister Marie und Gottfried mit den Erwartungen ihres strengen Vaters, auch ihre Mutter Mathilde ist längst nicht mehr bereit, sich von Jean unterdrücken zu lassen. Almut hingegen bleibt in ihrer kinderlosen Ehe gefangen und muss Edgars Eskapaden ertragen.
Dann bricht der Krieg aus – und nichts ist mehr, wie es war. Träume zerbrechen, Wege trennen sich, und das Schicksal stellt jede Gewissheit auf die Probe. Wird es im Haus unter der Magnolie noch eine Zukunft geben?
Das große Finale der bewegenden Familiensaga – voller Dramatik, Hoffnung und unvergesslicher Schicksale.
Fabia Waldner steht für den deutschen Autor Michael Schulz. 1959 im rheinischen Bonn geboren, brennt er bereits früh für Literatur, Philosophie und Musik. Zunächst entscheidet er sich für die Musik. Nach einem Studium am »Mozarteum« in Salzburg führt ihn sein Weg in die Welt der Oper. Doch dann entdeckt er das Schreiben für sich. Heute lebt und schreibt der Autor im Harz bei Goslar.
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Fabia Waldner
Das Magnolienhaus - Hoffnung in stürmischer Zeit
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Zitat
Widmung
Prolog
Neue Wege
1
2
3
4
Licht und Schatten
5
6
7
Das Schicksal rollt
8
9
10
11
12
Die Kur
13
14
Es ist erreicht
15
16
17
18
Das Unvermeidliche
19
20
Weltenbruch
21
22
23
Kämpfen und Überleben
24
25
26
Schimmer der Hoffnung
27
28
Heimkehr
29
Danksagung
Impressum
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Bonn, Ende Januar 1975
»Nein, Frau Berger, so ist es leider nicht«, erwiderte Caroline und versuchte, ihre tiefe Gemütsregung hinter einem Lachen zu verstecken.
Frederik schwieg, nur sein rot angelaufener Teint zeugte davon, wie unangenehm auch ihm die Situation war. Als ihr Enkel bezeichnet zu werden, ging offenbar selbst ihm zu weit, der sich ja so sehr für ihre Vergangenheit interessierte. Aber selbst wenn sich eine gewisse Familienähnlichkeit, wie Frau Berger behauptete, feststellen ließe, könnte es nicht so sein. Wo kein Kind, da kein Enkelkind. Carolines einzige Tochter war gestorben, damals in den Wirren des ersten verheerenden Krieges. Unzählige Menschen waren umgekommen, wenn nicht im Krieg, dann durch die spanische Grippe. Und im selben Augenblick spürte sie, wie die alten Hoffnungen wieder aufkeimten, sie könnte nur verschollen sein …
»Oh, bitte entschuldigen Sie, Frau Eimermacher«, versuchte nun die Haushälterin, die, wie Caroline sie kannte, eine äußerst empfindsame Person war, der Situation die Peinlichkeit zu nehmen. »Es ist mir nur so herausgerutscht. Bitte, kommen Sie doch herein.« Sie trat mit einer leichten Verbeugung beiseite, als wollte sie Ehrerbietung bekunden.
»Ich habe diesem jungen Herrn eine gute Tasse Kaffee versprochen, liebe Frau Berger«, erwiderte Caroline. »Und ich bin sicher, Sie werden ihn nicht enttäuschen.«
»Natürlich nicht«, beeilte sich auch Frau Berger, den kleinen Zwischenfall vergessen zu machen. Im Hausflur nahm sie ihnen Mantel und Jacke ab und zog sich darauf in die Küche zurück.
»Das also ist dein Elternhaus«, ließ sich Frederik erwartungsvoll vernehmen. Noch standen sie im Flur.
»Es wirkt heute etwas düster«, sagte Caroline mehr zu sich selbst als zu dem jungen Spund an ihrer Seite. Er hatte nicht die Zeit ihrer Jugend erlebt, die vielen Gelegenheiten, als schmucke kleine Lampen von den Kommoden und Fensterbänken ihr festliches Licht verströmten und der glitzernde Kronleuchter den großen Salon erstrahlen ließ. Und tagsüber, wenn die Sonne schien, spiegelten sich ihre Strahlen in den Glasscheiben des Wintergartens. Mutter ließ die Tür zum Salon stets offen stehen, sodass der Flur nicht dunkel erschien. Aber heute war die Tür zum Salon geschlossen.
»Komm, ich zeige dir unsere Zimmer«, ermunterte sie Frederik und war froh, sich nicht allein der Flut der Erinnerungen stellen zu müssen. Frederik zeigte sich wieder als der vollkommene Gentleman, reichte ihr sogar den Arm und wartete beim ersten Absatz der alten Holztreppe, bis sie tief durchgeatmet hatte.
Im ersten Stock lagen die ehemaligen Kinderzimmer, und Caroline wurde bewusst, welchen Wohlstand es gerade damals bedeutete, dass jedes Kind sein eigenes Reich hatte. Und Almut, Marie, Gottfried und sie selbst hatten die Reichsgrenzen untereinander durchaus respektiert. Auch nach so vielen Jahrzehnten fiel es Caroline schwer, die Schwelle zu Almuts Zimmer ungebeten zu übertreten. Doch der Raum war nur spärlich möbliert und schien unbewohnt, offenbar war er nicht einmal als Gästezimmer verwendet worden. Dasselbe galt für Gottfrieds Zimmer. Caroline konnte sich nicht einmal erinnern, es jemals betreten zu haben. In Maries Zimmer befanden sich nur ein alter Kleiderschrank und mehrere Kisten, einige von ihnen noch verschlossen. Die geöffneten waren mit Büchern und Erinnerungsstücken angefüllt, die nach dem Einzug vor Jahren anscheinend immer noch darauf warteten, im Haus ihren Platz zu finden. Marie und ihr Mann hatten wohl kaum Verwendung für die vielen Räume des Hauses gehabt. Beide waren leidenschaftliche Wissenschaftler gewesen. Wahrscheinlich hatten sie sich mehr in ihren Forschungslabors zu Hause gefühlt als hier, dachte Caroline.
Und dann standen sie vor dem Zimmer zur Straße. Sie zögerte, hineinzugehen, und wusste selbst nicht, warum.
»Ist es dein Zimmer?«, fragte Frederik.
»Ja«, antwortete sie und drückte die Messingklinke der alten Tür hinunter, die sich etwas schwerer öffnen ließ als die anderen. Es war immer ein helles Zimmer gewesen, erinnerte sie sich, als sie es betraten, und das breite Bett stand noch an derselben Stelle wie damals. Ihr kleiner Rückzugsort, wo sie ihren Kummer ausgeweint hatte und stundenlang in ihre Romane abgetaucht war. Noch etwas fiel ihr ins Auge. Auf dem Toilettenschrank stand eine von Mutters böhmischen Vasen und darin eine frische, halb aufgeblühte Rose. O Marie, dachte sie, wenn ich gewusst hätte, was ich dir bedeutet habe …
Natürlich erinnerte sich Caroline auch an den Abend, als Almut sie fast erwischt hätte, während sie in Edgars Armen lag und ihnen beiden das Herz bis zum Hals schlug. Am Morgen danach war die Feindschaft zwischen ihr und ihrer älteren Schwester offen ausgebrochen; nie mehr hatte es Frieden zwischen ihnen beiden gegeben. Was konnte auch schlimmer sein, als dass eine Schwester der anderen die Liebe stahl.
Auch als Caroline mit Frederik ein Stockwerk höher im Gästezimmer stand, in dem damals Edgar vorübergehend gewohnt hatte, musste sie an diese kurze, aber leidenschaftliche Zeit denken. Auch wenn Edgar sie später enttäuscht hatte, nie würde sie den Klang seiner wunderbar sanften Tenorstimme vergessen, den er ihr am Abend ihrer Verlobung mit Rudi zum Geschenk gemacht hatte.
Die Einrichtung schien sich nicht verändert zu haben. Auch das Bild in Öl hing noch über dem Bett, eine südliche Strandimpression mit Booten. Die Liebe war wie eine Barke auf See, dachte Caroline und seufzte. Man meinte, das Ruder in der Hand zu halten, und doch genügte ein Luftzug, und die nächste Welle brachte sie zum Kentern.
Zurück im Hausflur, kam ihnen Frau Berger mit dem duftenden Kaffee entgegen. Doch bevor sie sich ausruhen würden, wollte Caroline noch die Räume im Erdgeschoss besichtigen. Wie sich herausstellte, waren der kleine Salon und das ehemalige Telefonzimmer, in dem Mutter gern ihre Mittagsruhe abhielt, zu Lesezimmern umgestaltet worden, und in Vaters Arbeitszimmer war offenbar Marie eingezogen. Das Ungetüm von Schreibtisch, an dem er einst die Arbeiten seiner Studenten korrigiert und Vorlesungen vorbereitet hatte, baute sich immer noch vor dem Fenster zum hinteren Garten auf. Der Blick ging darüber hinaus auf den Magnolienbaum, der längst nicht mehr zart und schutzbedürftig wirkte und dessen Krone dem Fensterrahmen beinahe schon entwachsen war.
Auf der Tischplatte standen zwei Fotos nebeneinander. Eines zeigte ihren Vater in reifen Jahren, offenbar am Tag seiner Emeritierung, das andere die zufrieden lächelnde Marie im Kreise von Kolleginnen und Kollegen, als sie offenbar einen Wissenschaftspreis entgegennahm. Daneben lag ein Notizbuch, Carolines Adresse war aufgeschlagen. Hier also hatte Marie ihren Brief an sie geschrieben, am Schreibtisch ihres Vaters, und Caroline musste lächeln. Sicher hatte es ihr Genugtuung bereitet, ihn, der sie daran hindern wollte, ein akademisches Studium aufzunehmen, an wissenschaftlicher Bedeutung bei Weitem übertroffen zu haben.
Caroline war so in die Vergangenheit vertieft, dass sie einen Moment irritiert war, als sie Frederiks Stimme vernahm. »Ich denke, wir haben uns den Kaffee jetzt redlich verdient«, holte er sie sanft ins Diesseits zurück.
Sie atmete auf, ergriff seinen Arm und ließ sich von ihm in den großen Salon führen. An dem runden Tisch in der Nähe des Kamins hatte die Haushälterin für sie gedeckt. »Bitte läuten Sie, wenn Sie etwas benötigen«, sagte Frau Berger noch, bevor sie sich zurückzog.
Die Klingelanlage war also auch noch intakt, dachte Caroline.
Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb schließlich an Frederik hängen, dem die hausgemachten Kekse zu schmecken schienen. Wieder fielen ihr die Worte der Haushälterin ein. Diese Frau wusste ja nicht, was sie angerichtet hatte, Frederik für ihren Enkel zu halten. Ahnungslos hatte sie alte Wunden aufgerissen, die nur mühsam verheilt waren. Und der Name, den sie über viele Jahre zu vergessen versucht hatte, stand ihr plötzlich wie in Flammen geschrieben wieder vor Augen: Dorothea.
Berlin, Februar 1914
Das Weihnachtsfest wurde im Hause von Schadewaldt traditionell im Kreis der großen Familie gefeiert, und an den beiden Feiertagen füllten Verwandte, Anverwandte und deren Abkömmlinge mühelos die Salons. In dem sonst so stillen Klinkerbau fand plötzlich quirliges Leben statt, sodass Caro manchmal davor in ihr Zimmer flüchtete, um nicht ständig angesprochen zu werden und Hände schütteln zu müssen.
Die Tage zwischen den Jahren verbrachten Luisa und sie dann mit Aufräumen und Vorbereitungen für den eigenen kleinen Neujahrsempfang der Schadewaldts. Jedenfalls redete sich Luisa gegenüber ihrem Mann auf diese Weise heraus, um sich vor so manchem Besuch zu drücken, der auf der langen Liste stand. Doch auf einigen dieser Empfänge konnte der Oberregierungsrat nicht auf seine Frau verzichten. Am Silvesterabend erschienen sie sogar auf drei Bällen, um schließlich im neuen Palais mit auserwählten Gästen ihr Glas auf Deutschlands blühende Zukunft zu erheben und der kaiserlichen Familie zuzuprosten.
In diesen Tagen kam Caro kaum zum Nachdenken, und allmählich gerieten die bedrückenden Erfahrungen auf den Straßen Berlins, die sie hatte machen müssen, bevor sie bei den Schadewaldts aufgenommen worden war, in den Hintergrund. Mittlerweile war der Februar angebrochen. Caro spürte, dass sie sich verändert hatte. Sie war verantwortungsvoller geworden. So plagte sie das schlechte Gewissen, wenn sie an Franzi, die Köchin aus der Fasanenstraße, dachte. Wahrscheinlich hatte Franzi ihre Stellung verloren, weil sie ihr für diese eine Nacht den Schlafplatz auf der alten Couch angeboten hatte. Caro wusste, wie schwer es war, eine gute Stellung zu finden. Vermutlich hatte die erboste Hausdame Franzi gleich am nächsten Morgen gekündigt, und sie musste jetzt hungern.
»Natürlich fahren wir in die Fasanenstraße«, erwiderte Luisa, als Caro sie daraufhin ansprach. »Wenn nicht dich, dann wird die Baronin Sturzbach sicher mich empfangen. Soviel ich weiß, ist ihre Linie sogar um drei Ecken mit den von Schadewaldts verwandt.«
Noch am selben Vormittag hielt die Limousine, die ihnen ihr Mann Ernst samt Chauffeur für Einkäufe ausgeborgt hatte, vor dem großen weißen Haus in der Fasanenstraße. Zunächst zögerte Caro. War es nicht vermessen, sich bei der Baronin für ihr Hauspersonal einzusetzen? Schließlich war es allein deren Sache, und sie konnte auf kluge Ratschläge sicher verzichten. Wie noch vor wenigen Wochen warf Caro einen Blick auf die Fenster im ersten Stock, aber diesmal winkte ihr von dort niemand zu, nicht einmal Licht brannte hinter den Gardinen.
»Wir sollten an der Haustür klingeln, dann wissen wir mehr«, machte Luisa ihr Mut.
Sie stiegen aus und schickten sich an, die Straße zu überqueren, als sich gegenüber die Haustür öffnete und eine Dame mit einem Hund an der Leine herauskam. Die Dame erkannte Caro zwar nicht, aber den Hund. Auch der Mops blieb wie vom Blitz getroffen stehen, reckte die platte Nase neugierig in die Höhe, um dann mit dem ganzen Körper einen Freudentanz aufzuführen und das unverwechselbare Bellen anzustimmen. »Bogdan!«, rief Caro, indes sich Selbstvorwürfe in die Wiedersehensfreude mischten. In der stillen Hoffnung, dass sich schon irgendjemand um ihn kümmern würde, hatte sie den Kleinen völlig vergessen. Jetzt wandte sich ihr auch die Dame mit der Leine in der Hand zu. »Fräulein Caro?«
»Das ist ja …?«
»Ja, ich bin’s, Franzi.«
»Ich dachte schon, es sei die Baronin.« Caro lachte erleichtert auf.
»Nein, die Baronin lebt nicht mehr, und die Hälfte des Personals wurde entlassen. Nun bin ich die Hausdame des neuen Herrn der Wohnung, einem Major im Ruhestand, der mir erlaubt hat, den kleinen Bogdan zu behalten, als ich ihm seine traurige Geschichte erzählt habe. Ick konnte den kleenen Schnuffi jerade noch vor der Verwurstung retten …«, berlinerte sie nun wieder, wie Caro sie kannte. Zum Abschied lagen sie einander noch einmal in den Armen und wünschten sich alles Gute.
Dieses Kapitel war also gut ausgegangen, und nach den Einkäufen bei Wertheim und Tietz endete ihr Vormittag mit einem Plausch im Café Bauer, denn dort fand sich immer wenigstens eine von Luisas Freundinnen ein, um mit ihnen den neuesten Klatsch auszutauschen.
Die Tage verstrichen, und das Leben fühlte sich angenehm leicht an. Doch wenn es Caro auch aufgegeben hatte, eine zweite Asta Nielsen zu werden, so wollte sie doch ein Ziel haben und empfand kein reines Gewissen mehr dabei, die Großzügigkeit ihrer Gastgeber in Anspruch zu nehmen. Die zwei Wochen, die sie anfangs im Haus der Schadewaldts zu weilen beabsichtigte, waren bereits auf über einen Monat angewachsen. Natürlich war Ernst von Schadewaldt viel zu kultiviert, um sie direkt darauf anzusprechen, aber am Abend zuvor hatte er ihr beim Dinner einen Blick zugeworfen, als wollte er fragen: »Sicher machen sich Ihre Eltern bereits Sorgen. Meinen Sie nicht, dass es allmählich Zeit ist aufzubrechen, liebe Caroline?«
Doch als sie das Thema Luisa gegenüber erwähnte, wischte die es vom Tisch. »Weißt du denn schon, wohin du gehen willst?« Und auf Caros Achselzucken hin: »Siehst du, also bleibst du! So einfach ist das. Außerdem brauche ich dich mehr, als du dir vorstellen kannst.«
Zunächst wusste Caro nicht, was diese Bemerkung bedeuten sollte, doch zwei Tage später erklärte es sich ihr.
Der Abend war sehr ruhig verlaufen. Ernst von Schadewaldt hatte wieder einmal eine diplomatische Mission zu erfüllen, und Luisa war zur Hauptversammlung eines wohltätigen Vereins eingeladen, in dem sie die Vorsitzende und deshalb unentbehrlich war. Caro hatte es sich in der Bibliothek gemütlich gemacht, um einen weiteren der Schätze des Hausherrn zu heben. Nach den Romanen von Dickens hatte sie nun die des Franzosen Gustave Flaubert für sich entdeckt. Noch vor zehn ging sie hoch in ihr Zimmer und legte sich etwas früher als sonst ins Bett, um die Lektüre zu genießen.
Es musste gegen Mitternacht sein, als Caro von einem Geräusch erwachte. Sie meinte, ein Klopfen an der Tür gehört zu haben. Doch es herrschte wieder Stille, und sie glaubte schon, sich geirrt zu haben, als eine Stimme flüsterte: »Caro, ich bin’s. Mach auf!«
Auf dem dunklen Gang stand Luisa im Nachthemd, bibbernd vor Kälte. Ohne weitere Erklärung lief sie an Caro vorbei und schlüpfte unter ihre Bettdecke. Caro erinnerte sich an die romantische Nacht in der Schwanenvilla ihrer gemeinsamen Freundin Vita von Heymann. Luisa übte immer noch eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus, aber sie war jetzt verheiratet, und Caro hatte sich vorgenommen, das zu respektieren.
»Es ist kalt. Komm ins Bett!«, flüsterte Luisa. »Keine Angst, ich bin nicht hier, um dich noch einmal zu verführen.«
Doch weshalb war sie dann gekommen?, fragte sich Caro. Obwohl Luisa nun unter der warmen Bettdecke lag, zitterte sie immer noch. »Was ist nur mit dir?«
»Ich habe Angst.«
Caro verstand ihre Freundin nicht. Wenn jemand ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit führte, dann doch sie. »Aber warum?«
Luisa griff nach ihrer Hand, führte sie an ihren Bauch und ließ sie die kleine Rundung ertasten, die offenbar nicht das Ergebnis der üppigen Feiertagskost war.
»Bist du etwa …«
»Ja«, erwiderte Luisa.
»Das ist ja wunderbar …«
Im gleichen Moment ließ Luisa einen tiefen Seufzer vernehmen.
»Ich beneide dich. Es gibt nichts Schöneres.«
»Ja, nicht?«, erwiderte Luisa, doch ihre Stimme klang beklommen. »Es lebt, ich fühle es ganz deutlich. Noch lebt es …«
»Natürlich lebt es. Es wird ein runder und gesunder Stammhalter werden, so klug und gut aussehend wie seine Eltern.«
»Aber ich habe solche Angst, dass ihm etwas passiert …«
So kannte Caro ihre Freundin gar nicht. Sie war doch sonst so couragiert? »Es gibt nicht den geringsten Grund zur Sorge, Luisa. Dem Kind geht es gut, und alles wird seinen Weg gehen.«
Das Zittern unter der Decke hörte auf, und Luisa drückte ihre Hand. »Du bist meine Mutmacherin«, war wieder ihr Flüstern zu hören. »Deshalb darfst du nicht gehen, hörst du? Versprich mir, dass du nicht gehst!«
Um sie zu beruhigen, versprach es Caro. »Du wirst alles wunderbar machen, auch wenn es beim ersten Mal schwer sein kann, wie ich gehört habe …«
»Es ist nicht das erste Mal«, erwiderte Luisa.
Am nächsten Morgen saßen Caro und Ernst von Schadewaldt am Frühstückstisch. Er ließ sich nichts anmerken, so als hätte er von dem Vorfall am Abend zuvor selbst nichts bemerkt. »Meine Frau hat schlecht geschlafen. Sie ruht sich noch etwas aus«, entschuldigte er Luisa, ohne den wahren Grund zu nennen. Die Schwangerschaft erwähnte er mit keinem Wort.
Seit gestern Nacht konnte Caro die Spannung zwischen Luisa und ihrem Mann, die ihr von Anfang an aufgefallen war, endlich verstehen. Als Luisa ihren ersten Sohn tot zur Welt gebracht hatte, hatte Ernst es ihr als Versagen angelastet, wie sie von ihr selbst erfahren hatte. Die Schadewaldts waren eine fruchtbare Familie, und dass Frauen gesunde Kinder gebären, zählte zu den Selbstverständlichkeiten ihres Lebens. Ernst hatte jedenfalls nachweislich seinen Teil dazu beigetragen, für Nachwuchs zu sorgen, an ihm konnte es also nicht liegen. Und damit sein eigener und der Ruf der Familie keinen Schaden nahm, war er seither bemüht, das Thema so lange unter dem Tisch zu halten, bis seine Frau ihren Pflichten nachgekommen war und einem gesunden Nachkommen das Leben schenkte. »Du hast das einzig Vernünftige getan«, hatte Luisa mit Tränen erstickter Stimme zu ihr gesagt. »Du hast dich deinem Vater widersetzt und den Männern den Rücken gekehrt.«
Und Caro hatte ihr nicht widersprochen, sondern sie vielmehr getröstet, wie es die Aufgabe einer guten Freundin war. Fast die halbe Nacht hatte es gedauert, bis sie wieder den Mut fand, in ihr Ehebett an die Seite ihres Mannes zurückzukehren.
Ernst von Schadewaldt hatte sich bereits verabschiedet und war zu einer wichtigen Konferenz im Ministerium aufgebrochen, als sich Luisa endlich zeigte. Sie wirkte blass und angegriffen, lächelte aber, als sie Caro sah, und setzte sich neben sie an den Frühstückstisch. »Ich danke dir …«, begann sie noch einmal im Flüsterton, doch Caro winkte ab. Sie hielt es für selbstverständlich, ihrer Freundin Beistand zu leisten, denn schließlich hatte auch sie Luisas Hilfe erfahren.
Als sie sich dann am späten Vormittag von einem Taxi abholen ließen, meldete sich Luisas Unternehmungsgeist wieder zurück. »Ich habe heute richtig Lust, für die Kleine einzukaufen«, sagte sie, und ihre Augen glänzten. Das taten sie immer, wenn ihre Freundin von einer Idee begeistert war, und auch Caro fühlte sich besser. Sie konnte es nicht ausstehen, Luisa in dieser düsteren Melancholie zu erleben, wie es letzte Nacht der Fall gewesen war. »Kleine?«, fragte sie verwundert. »Wie kannst du das jetzt schon wissen?«
»Seit gestern. Du musst es mir eingegeben haben.«
»Ich?«
»Als ich dich verließ, wusste ich plötzlich, dass mein Herzenswunsch in Erfüllung gehen wird: ein Mädchen, ein süßes kleines Mädchen …«
»Und den Namen weißt du bestimmt auch schon …«
Luisa nickte mit einem vielsagenden Schmunzeln.
»Oh – nein!«
»Aber warum nicht? Caroline ist ein wunderschöner Name, und sie und du, ihr beide seid dann untrennbar in meinem Herzen verbunden.«
Der Wagen hielt an allen guten Adressen. Natürlich kaufte Luisa nur dort ein, wo auch die Berühmtheiten einkauften, und erst am frühen Nachmittag kehrten sie erschöpft wieder nach Köpenick zurück, wo der Fahrer zweimal gehen musste, um alle Pakete in den ersten Stock zu schaffen.
Anschließend aßen sie eine Kleinigkeit, woraufhin sich Luisa erst einmal hinlegen musste. Caro nutzte den sonnigen Nachmittag für einen kleinen Rundgang durch den Park der Villa.
Trotz der intensiven Sonnenstrahlen überzog Reif die noch kahlen Bäume, denn die vergangenen Nächte waren eiskalt gewesen. Von Weitem sah sie die Dampfwolken aus den Schornsteinen der Lastschiffe über der Spree aufsteigen. Ein idyllisches Panorama, und doch spürte Caro eine Unrast in sich. Sie wusste noch nicht, wohin sie gehen sollte, aber es wurde Zeit, sich von ihren Gastgebern zu verabschieden, um den eigenen Weg einzuschlagen, auch wenn sie nicht umhinkam, jemanden zutiefst zu enttäuschen …
Die Dämmerung brach an, und am Abend war ein kleines Arbeitsessen angesetzt, bei dem die Damen nicht erwünscht seien, wie Luisa erwähnt hatte. Also saßen sie nach dem Dinner im Damensalon gleich neben Ernst von Schadewaldts gespenstischer Trophäensammlung aus Südwest-Afrika bei einem Gläschen französischem Klosterlikör und vertrieben sich die Zeit mit Rommé. Da vom Hausherrn äußerste Ruhe erbeten worden war, verzichteten sie auf die Musik vom Grammophon, dessen scharfer Klang bis in sein Arbeitszimmer dringen und die Besprechung hätte stören können. Doch bereits nach dem ersten Rommé entschuldigte sich Luisa – sie habe mit der Köchin noch etwas zu besprechen. Und so beschloss Caro, auch an diesem Abend der Bibliothek einen Besuch abzustatten. Als sie auf den Gang trat, hörte sie Stimmen aus dem Raum nebenan. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür. Vor ihr standen Ernst von Schadewaldt und ein junger Mann, den sie seit Wochen nicht gesehen hatte. Das Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass auch er sie wiedererkannt hatte.
»Wie ich sehe, brauche ich Sie nicht vorzustellen«, sagte daraufhin Ernst, der die Situation offenbar schnell erfasst hatte, mit einem ironischen Lächeln. »Bitte entschuldigen Sie mich, ich muss noch ein wichtiges Telefonat erledigen«, und an den jungen Mann gewandt: »Überlegen Sie es sich genau, Kramm. Das, was für Sie dabei herausspringen könnte, ist nicht zu verachten.«
Zur gleichen Zeit in Bonn am Rhein
Der Besuch in der Nervenklinik von Endenich hatte bei Mathilde großen Eindruck hinterlassen. Immer wieder stand ihr das Bild des jungen Mannes vor Augen, der Jean wie aus dem Gesicht geschnitten war. Schweigend, in einem Sessel am Fenster sitzend, hatte sie ihn vorgefunden, den Blick in die Ferne gerichtet, als könnte er Regionen erblicken, die normalen Menschen verschlossen blieben. Sie fragte sich allerdings immer noch, ob es richtig war, sich einzumischen. Immerhin war Friedrich nicht ihr, sondern der Sohn ihres Mannes, und es war allein seine Angelegenheit, wie er es mit ihm hielt, solange sie und ihre Ehe davon unberührt blieben.
Nicht zuletzt dachte sie dabei auch an Edgar, den Ärger und die Enttäuschung, die durch ihn in die Familie gekommen waren. Doch schließlich verbot sie es sich, ihr Handeln in Zweifel zu ziehen. Jeans Verhalten war ihr und ihren gemeinsamen Kindern gegenüber unerträglich geworden. Marie und Gottfried suchten bei ihr Hilfe, weil ihr Vater nicht das geringste Verständnis für ihre Zukunftspläne aufbrachte. Nur seine eigenen Vorstellungen zählten. Der Vorfall mit dem Dienstmädchen hatte dann das Fass zum Überlaufen gebracht. So konnte es nicht weitergehen, dachte Mathilde. Es blieb ihr nun nichts anderes übrig, als ihre eigene Stellung im Hause Eimermacher zu verteidigen, wenn sie noch einen Funken Selbstachtung im Leib hatte.
Nach ihrem Herzanfall fühlte sich ihr Eheleben wie eine Zwangsjacke an. Jean und sie sprachen kaum noch miteinander und gingen sich aus dem Weg, wo es möglich war. Nur allmählich erholte sich Mathilde, musste nach wie vor mit ihren Kräften haushalten und durfte sich keinesfalls überanstrengen. Das Dienstmädchen hatte gekündigt. Nicht dass Mathilde sie dazu gedrängt hätte, Minchen hatte es selbst so gewollt. Offenbar hatte sie eingesehen, dass die Peinlichkeiten und Spannungen ein Ende nehmen mussten. Seither suchten Emma und sie verzweifelt eine Nachfolgerin, denn zuverlässiges Personal war schwer zu finden.
Die alte Standuhr im Flur schlug Viertel nach zehn. Die Zeit des Postboten. Mathilde mochte es sich selbst gegenüber nicht zugeben, aber seit mehr als drei Wochen wartete sie nun auf den einen Brief, und ihre Ungeduld steigerte sich von Tag zu Tag.
In dem Augenblick schellte es an der Haustür, und wieder nahm sie die Post persönlich entgegen. Natürlich öffnete Mathilde nur Briefe an sie oder die Familie, an Jean adressierte blieben unberührt. So hielten sie es schon seit ewigen Zeiten.
Auch die heutige Sendung enthielt neben den üblichen Rechnungen Grußkarten zum neuen Jahr und immer wieder Genesungswünsche an sie. Mathilde seufzte. Ihren Nimbus als »unverwüstlich« war sie jedenfalls los. Sie dankte dem Postboten und schloss die Tür hinter ihm. Erneut sah sie die Briefe durch. Aber der, auf den sie gewartet hatte, war auch diesmal nicht darunter.
Soeben wollte sie die Post für Jean an Emma übergeben, als es noch einmal schellte. Eine ihrer Freundinnen aus dem Lesezirkel hatte sich angemeldet. Beinahe hätte sie es vergessen.
Doch draußen stand noch einmal der Postbote und reichte ihr einen weißen Umschlag. »Bitte entschuldigen Sie, der Brief ist offenbar falsch einsortiert worden.«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte Mathilde. Ein flüchtiger Blick genügte, und sie erkannte den Stempel der Klinik. Es war so weit: Die größte Prüfung ihrer Ehe stand bevor.
*
Wieder einmal lagen die Zwischenprüfungen vor Johannes und daher die damit verbundenen Vorbereitungen. Denn nicht nur für die Studierenden, auch für ihn war diese Zeit mit erheblich mehr Arbeit verbunden, und er hatte diese Herausforderungen immer mit ungebrochener Energie und Disziplin bewältigt. Diesmal allerdings spürte er zum ersten Mal, dass sein Interesse nachließ, und er fragte sich, ob es mit dem Alter und der Einsicht zu tun hatte, dass der Mensch, auch wenn er mit all seinen Talenten unermüdlich forschte, das Geheimnis der Schöpfung höchstens beschreiben, aber niemals lüften könnte.
Für einen Augenblick entglitt ihm die Konzentration, und er ließ den Stift sinken. Jede Prüfung in der ehrwürdigen Universität bedeutete eine Bilanz des Gelernten und Geleisteten. War es nicht an der Zeit, seine eigene Bilanz aufzustellen? Und er ahnte, dass das Ergebnis jetzt weniger günstig ausfallen würde. Vieles, was ihm in seinem Leben wichtig war, hatte sich in letzter Zeit nicht gerade zum Besseren entwickelt. Seine einst so beispielhafte Ehe war in keiner guten Verfassung. Sie vertrauten einander nicht mehr, dabei war das immer ihr höchstes Gut gewesen. Nun hatte sich Johannes auch mit seinem Vater entzweit. Aber warum mischte sich Heinrich ungefragt in seine Angelegenheiten ein? Schließlich war er Gottfrieds Vater und für seine Zukunft verantwortlich. Ebenso machte ihm Marie Sorgen. Seine Jüngste wollte unbedingt studieren. Dass er nicht zustimmen konnte, hatte schließlich einen guten Grund. Aus Erfahrung wollte er ihr die Enttäuschung ersparen, trotz überzeugender Talente und nimmermüdem Fleiß hinter die männlichen Bewerber zurückgesetzt und in jeder Hinsicht benachteiligt zu werden …
Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken. »Herein!« Emma brachte die Post. Seit Minchen nicht mehr in ihren Diensten stand, hatte Mathilde ihr diese Aufgabe übertragen. Aber sicher würde sich bald Ersatz finden. Dienstmädchen gab es schließlich in Hülle und Fülle, und einer jeden gereichte es zur Ehre, in einem Haushalt wie dem seinen tätig sein zu dürfen, dachte Johannes.
Mit einem Kopfnicken nahm er den Stapel Briefe von Emma entgegen. Mehrere Rechnungen, eine von ihm angeforderte Broschüre über Botanik und ein Brief mit dem Absender Professor Dr. Sigismund Fröhlich, dessen Name ihm nicht geläufig war. Erst als er den Kopf des Schreibens las, begann er zu ahnen, um wen es sich handeln könnte.
Werter Herr Kollege Professor Dr. Eimermacher,
es ist mir eine Ehre, mit einem so hochgeschätzten und bedeutenden Kollegen in Verbindung zu treten, der nun auch seine Großherzigkeit so überaus überzeugend zum Ausdruck bringt. Wie mir Ihre Gattin in eigener Person mitteilte, steht Ihnen ab nun mehr freie Zeit für Ihre persönlichen Belange zur Verfügung, die Sie mit Ihrem Sohn Friedrich teilen möchten. Als behandelnder Arzt kann ich Ihr Vorhaben nur sehr begrüßen, denn wie Sie wahrscheinlich wissen, leidet Friedrich, seit seine Mutter verstorben ist, an einer schweren Depression, die seinen labilen Allgemeinzustand zusätzlich belastet.
Zudem ist er mental sehr anfällig, und jede Veränderung darf nur mit äußerster Geduld und Vorsicht an ihn herangetragen werden, um sein seelisches Gleichgewicht nicht zu gefährden. Ich würde mich über ein telefonisches Gespräch mit Ihnen sehr freuen, um die Einzelheiten noch ausführlicher zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit können wir dann einen konkreten Besuchstermin festlegen.
Mit den besten Grüßen und Wünschen für Sie und Ihre Familie
Professor Dr. Sigismund Fröhlich, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Johannes traute seinen Augen nicht. Ein respektvoller und freundlicher Brief, der zweifellos von einer honorigen Persönlichkeit verfasst worden war. Aber er hatte nicht um diese Ehre gebeten – so unglaublich es auch anmutete, seine eigene Frau hatte sie ihm beschert. Mathilde musste in Endenich vorstellig geworden sein, ohne auch nur das geringste Wort über ihre Absichten zu verlieren. Ein völlig unerklärliches Verhalten. Es gab nicht den geringsten Grund, die alte Geschichte wieder aufzurollen. Mathilde und er hatten sich ausgesprochen, und für Friedrich, seinen illegitimen Sohn, war zufriedenstellend gesorgt.
Johannes rauschte das Blut in den Ohren. Er erkannte seine Frau nicht wieder. Mathilde war doch keine, die unüberlegt handelte, und sie würde auch nie ohne triftigen Grund ihre Ehe in Gefahr bringen. War das wirklich das Ende ihres jahrelangen gemeinsamen Friedens? Doch trotz seiner starken Erregung hörte er auf seine Vernunft, die ihm sagte, dass alles davon abhing, wie er sich ab jetzt verhielt.
*
Wochen waren vergangen, und immer noch hatte Almut die tiefe Enttäuschung an dem bewussten Abend nicht verwunden. Eben noch hatte Edgar ihr den Himmel versprochen und ihr Hoffnung gemacht, dass alles zwischen ihnen wieder gut werden könnte, da war sie auch schon Zeugin dieses Telefonats geworden. Nicht nur, dass er sie weiter mit der Dirne aus der Weberstraße betrog – die unzähligen Lügen waren es, die sich wie Nackenschläge anfühlten und sie täglich demütigten.
Kurz nachdem Almut das Telefongespräch zwischen Edgar und seiner Affäre mit angehört hatte, war er wieder im großen Salon erschienen und hatte ihr den liebenden Ehemann vorgespielt, am selben Abend sogar noch mit ihr geschlafen. Und ihr war nichts anderes übrig geblieben, als stumm zu leiden. Doch sein Alkoholkonsum hatte sich wieder normalisiert, und ihr Eheleben war in ruhige Bahnen zurückgekehrt. Manchmal war die Illusion perfekt, und es gelang ihr zu vergessen, dass ihre Ehe nur auf dem Papier stand. Sich mit der Situation abzufinden, war die einzige Möglichkeit, denn keinesfalls durfte sie sich im Gegenzug Fehltritte leisten. Man hätte es als Rechtfertigung dafür gewertet, dass Edgar sie betrog. Als sie kürzlich gemeinsam bei der Probe für die neue Mendelssohn-Kantate in der Stiftskirche erschienen, hörte sie eine ihrer besten Freundinnen hinter ihrem Rücken sagen: »Der Arme, er hat es nicht leicht in seiner Ehe.«
Almut hätte sich in diesem Moment am liebsten umgedreht und ihr eine regelrechte Szene gemacht. Was hatten diese Leute für eine Ahnung von ihrem Leid? Wäre sie nur endlich schwanger von Edgar, dann würde sich die üble Nachrede legen. Aber selbst dieses Glück war ihr bislang verwehrt geblieben.
Edgar legte nun großen Wert darauf, dass sie zusammen dinierten. Er schützte auch keine späten Kundentermine als Grund mehr vor, um das Haus zu verlassen und in die Weberstraße zu fahren. Allerdings konnte sie manchmal vom kleinen Salon aus zusehen, wie ein Taxi am Seiteneingang der Firma vorfuhr. Offenbar besuchte er das besagte Etablissement jetzt tagsüber …
»Ich fahre in die Stadt und esse dort eine Kleinigkeit«, rief Almut der Haushälterin zu, schlüpfte in den Mantel mit dem Silberfuchskragen und setzte sich den neuen Hut auf, der ein bisschen frech wirkte. Mit einem kurzen Blick in den Spiegel vergewisserte sie sich noch, dass man ihr den wahren Seelenzustand nicht ansah, dann verließ sie das Haus. Edgar hatte heute keine auswärtigen Termine, der Wagen war also frei, und sie konnte ihn nutzen, um Einkäufe zu machen und dem Friseur ihren wöchentlichen Besuch abzustatten. Wie gewohnt wartete der Fahrer bereits vor dem Eingang der Villa und fuhr vor, als sie in der Tür erschien.
»Sie sehen heute besonders bezaubernd aus, gnädige Frau – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, äußerte Niederstein, als er Almut den Schlag öffnete.
Sie hielt einen Augenblick inne. So kannte sie den ansonsten schweigsamen Mann gar nicht, der selbst Anweisungen meist nur mit einem Kopfnicken entgegennahm. Ihre Blicke trafen sich. Sie wollte es nicht wahrhaben, aber dieses banale Kompliment hatte sie in ihrer trostlosen Stimmung wie ein Pfeil ins Herz getroffen. Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Schnell wandte sie sich ab, um dem Mann nicht die Genugtuung zu verschaffen, sie gerührt zu sehen.
*
Die Geschäfte von Eimermacher & Söhne liefen hervorragend, und im Laufe des Jahres vierzehn waren sogar Großaufträge zu erwarten, die das Niveau des Vorjahres noch überschreiten würden. Soeben hatte Edgar den Telefonhörer aufgelegt und die Sekretärin angewiesen, ihm das Dossier Dreisbach zu bringen. Die Planung und Ausführung der Privatvillen von wichtigen Kunden übernahm er selbst, da er auf diese Weise gezielt das Folgegeschäft platzieren konnte. Und der alte Dreisbach gehörte zu den treuen, wenn auch anspruchsvollen Kunden, die Eimermacher & Söhne zwar nichts schenkten, dafür aber pünktlich zahlten.
August Dreisbach hatte sich in den Kopf gesetzt, eine Villa errichten zu lassen, die »mit allen Schikanen« ausgestattet war, wie er sich ausdrückte. Aber nicht für sich allein. So wie Edgar erfahren hatte, trug sich der als eingefleischter Junggeselle bekannte Industrielle mit dem Gedanken, noch mit über siebzig an den Traualtar zu schreiten und eine Gräfin aus Florenz zu ehelichen, die angeblich aus einer alten Familie in der Toscana stammte und viele Jahre jünger war als er. Und sein Hochzeitsgeschenk sollte ebendiese Villa sein. Dafür hatte er bereits ein Grundstück über dem Rhein erworben, von dem aus sich ein unvergleichlicher Blick auf das Flusstal bot. Edgar trieb es ein ironisches Lächeln aufs Gesicht, wenn er daran dachte, welchen Aufwand der Mann betrieb. Aber jeder wucherte nun einmal mit seinen Pfunden.
Dreisbach hatte sogar einen Fotografen bestellt, der den Baufortschritt festhalten sollte, und Edgar bis ins kleinste Detail seine Vorstellungen für eine im französischen Stil gehaltene Gartengestaltung unterbreitet. Allein der Kostenvoranschlag war schwindelerregend, aber der Millionär, dessen Unternehmungen vor allem in Übersee sagenhaft erfolgreich waren, hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als Edgar ihm die ersten Berechnungen vorlegte …
Edgar warf einen Blick aus dem Fenster seines Büros, als er den Wagen vor seinem Privathaus gegenüber stehen sah. Soeben stieg Almut in den Mercedes. Endlich war Friede in seine Ehe eingekehrt, dachte er. Seine Frau gab sich zufrieden mit dem, was er ihr bot, und das war nicht wenig. Und er selbst war umsichtiger geworden. Wollte er Sibylla besuchen, dann richtete er es meistens am frühen Nachmittag ein, wenn er weniger Termine bedienen musste.
Zufrieden lächelnd warf er einen Blick auf seine Taschenuhr. Zeit für das zweite Frühstück, das für ihn aus einer Tasse Kaffee und dem Studium der Zeitung bestand. Am frühen Morgen ging er für gewöhnlich die politischen Meldungen durch und nahm sich später – nach der leidlichen Besprechung mit Onkel Will – genüsslich den Sportteil vor.
»Nun, was gibt es Neues?«, fragte er gut gelaunt die Sekretärin, die seinen täglichen Rhythmus kannte und ohne anzuklopfen mit klapperndem Kaffeegeschirr das Büro betrat.
»Dreisbach ist offenbar nicht mehr zu halten«, erwiderte sie mit einem ironischen Lächeln und legte die aufgeschlagene Zeitung vor ihn auf den Schreibtisch.
Die Seiten, die den Gesellschaftsklatsch enthielten, überflog Edgar zumeist, auch wenn er sie nicht ganz ignorieren konnte. Denn natürlich war es auch für seine Geschäfte wichtig zu wissen, wer gerade im Blickpunkt des öffentlichen Interesses stand.
Aufgeschlagen vor ihm lag der einseitige Bericht von einem der zahlreichen Neujahrsbälle, die sich über den ganzen Januar verteilten. August Dreisbach, dessen schlohweißes Haar leuchtete wie eine Fackel, war auf den Fotos leicht zu erkennen. In seinem Gesicht spiegelte sich das späte Glück eines Mannes, der sein Leben dem Erfolg geweiht hatte. Und die Schönheit, die er im Arm hielt, musste seine Zukünftige sein … Plötzlich erschrak Edgar. Die angebliche Gräfin ähnelte einer Frau, deren Körper er besser kannte als den seiner Angetrauten. Es war … Sibylla.
Unterdessen in Berlin
Ernst von Schadewaldt hatte sich kaum empfohlen, da streckte Ludwig Kramm ihr wie einem guten Freund die Rechte entgegen. »Ich dachte schon, ich würde Ihnen nie wieder begegnen, Fräulein Caro«, sagte er, und seine Herzlichkeit ließ erst gar keine Verlegenheit zwischen ihnen entstehen.
»Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen«, erwiderte Caro. »Offenbar hat Ihnen die Weihnachtsfeier Erfolg eingebracht, wenn der Hausherr Ihnen sogar sein Allerheiligstes zeigt …« Mit einem Seitenblick wies sie auf das Panoptikum mit den ausgestopften Jagdtrophäen gleich nebenan.
Er lachte laut, hielt sich dann aber die Hand vor den Mund und flüsterte ihr zu: »Wenn ich ehrlich sein soll, dann hätte ich gern auf das Gruselkabinett verzichtet.«
»Manchmal muss man eben Opfer bringen.«
Daraufhin lachten sie beide.
Caro spürte sein Interesse, und auch er übte eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. Doch nach ihren Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht hielt sie es für besser, einen gewissen Abstand zu wahren, um jede Art von Missverständnissen zu vermeiden. Indes siegte die Neugierde. »Hatte Ihr Gespräch mit Herrn von Schadewaldt denn Erfolg?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht recht, obwohl der Schuh drückt«, gab er offen zu. »Erst kürzlich habe ich meine Kanzlei in Moabit eröffnet, und für einen jungen Anwalt ist es nicht leicht, ins Geschäft zu kommen. Man hat noch nicht genug Reputation, und die Alteingesessenen schnappen einem die lohnenden Brocken vor der Nase weg. Weil der Regierungsrat das weiß, hat er mir ein Angebot gemacht, wie ich mein Budget aufbessern kann. Aber es ist etwas heikel, und ich bin mir nicht sicher, ob ich es annehmen will.«
»Sicher haben Sie eine Menge Kosten …«
»Ja, und eine Kanzleihilfe ist noch gar nicht eingerechnet. Augenblicklich bin ich Anwalt, Sekretär und Kaffeekoch in einer Person, und der Aktenberg beginnt zu wachsen.« Diesmal klang sein Lachen eher betreten.
In dem Moment öffnete sich eine der Türen zum Flur, und Luisa kam ihnen entgegen. »Aber warum steht ihr denn hier im Halbdunklen?«, rief sie ihnen zu. »Kommt in den kleinen Salon auf eine Flasche Wein.«
Doch Ludwig Kramm schien sich plötzlich seiner Pflichten bewusst zu werden. »Nein, vielen Dank. Morgen ist Gerichtstag, und ich habe mich noch nicht vorbereitet. Aber es wäre schön, wenn wir es zu einem späteren Zeitpunkt nachholen könnten«, antwortete er und verabschiedete sich von Caro. Doch bevor er ging, griff er in die Seitentasche seines Jacketts und überreichte ihr seine Karte. »Das ist die Adresse meiner Kanzlei. Wie ich bereits erwähnte, bin ich ein recht guter Kaffeekoch geworden und lade Sie herzlich ein, sich bei Gelegenheit selbst davon zu überzeugen. Streuselkuchen gibt es auch dazu.«
»Ich überlege es mir«, erwiderte Caro und lächelte, woraufhin er ihr noch einen verträumten Blick zusandte, bevor er sich auch von der Gastgeberin verabschiedete.
Der junge Anwalt war kaum gegangen, da musterte Luisa sie mit dem prüfenden Blick eines Arztes, als könnte sie sich ein Virus eingefangen haben. Caro meinte, darüber hinaus auch eine Spur von Angst in ihren Augen zu erkennen. Doch Luisa verlor kein Wort über das, was sie wirklich dachte. »Und was hältst du von meinem Vorschlag?«, fragte sie. »Nach einem Glas Bordeaux schläft man besser, und Ernst hat nur die besten Tropfen in seinem Keller.« Mit keinem Wort kam sie auf Ludwig Kramm zu sprechen.
»Nein, danke«, erwiderte Caro, denn ihr war nicht danach, zum Kartenspiel im kleinen Salon zurückzukehren und sich neugierigen Fragen auszusetzen. Ihr blieb also nur die übliche Ausrede, um sich zurückziehen. »Ich fühle mich heute etwas abgespannt und brauche meinen Schlaf. Du nimmst es mir hoffentlich nicht übel?«
»Wie könnte ich, mein Schatz«, erwiderte Luisa betont verständnisvoll. »Und keine Sorge, in dieser Nacht werde ich in meinem eigenen Bett bleiben. Es geht mir gut, denn ich weiß, dass du an meiner Seite bist.«
Also doch, dachte Caro. Luisa hatte Angst, sie zu verlieren. Und bei dem Gedanken, dass sie sich voll und ganz auf sie verließ, fühlte Caro plötzlich eine schwere Last auf ihren Schultern.
»Schlaf gut und vergiss nicht, dass ich dich brauche«, hauchte Luisa ihr ins Ohr und umarmte sie.
Caro lächelte, doch es fiel ihr nicht leicht. Sie waren Freundinnen, und mehr wollte sie nicht sein.
Auf dem Weg in ihr Zimmer beherrschte nur einer ihre Vorstellung, es war der junge Anwalt. Wenigstens wusste sie nun etwas mehr über ihn und – sie griff in ihre Rocktasche – sie hatte seine Karte.