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Palace Gate/Kensington Gore ist eine erstklassige Adresse, und Maggie Fairford, eine angehende Schriftstellerin, ist glücklich, dort ein preiswertes Apartment beziehen zu können. Doch als sie einen Toten in ihrer Badewanne entdeckt und kurz darauf zwei weitere Morde in diesem Haus geschehen, nimmt Maggies Begeisterung für ihre neue Wohnung rapide ab. Besonders, nachdem der Mörder auch ihr nach dem Leben zu trachten scheint...
Penelope Wallace (* 30. Mai 1923; † 13. Januar 1997 in Oxford)) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin und die Tochter von Edgar Wallace, dem Meister der Spannung.
Der Roman Das Mörderhaus erschien erstmals im Jahr 1985; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1987 (unter dem Titel Eine feine Adresse).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
PENELOPE WALLACE
Das Mörderhaus
Roman
Apex Crime, Band 167
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DAS MÖRDERHAUS
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Epilog
Palace Gate/Kensington Gore ist eine erstklassige Adresse, und Maggie Fairford, eine angehende Schriftstellerin, ist glücklich, dort ein preiswertes Apartment beziehen zu können. Doch als sie einen Toten in ihrer Badewanne entdeckt und kurz darauf zwei weitere Morde in diesem Haus geschehen, nimmt Maggies Begeisterung für ihre neue Wohnung rapide ab. Besonders, nachdem der Mörder auch ihr nach dem Leben zu trachten scheint...
Penelope Wallace (* 30. Mai 1923; † 13. Januar 1997 in Oxford)) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin und die Tochter von Edgar Wallace, dem Meister der Spannung.
Der Roman Das Mörderhaus erschien erstmals im Jahr 1985; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1987 (unter dem Titel Eine feine Adresse).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
Sie liehen sich meine Strumpfhosen, meine Schreibmaschine und meine Freunde aus; sie waren meine besten Freundinnen, teilten die Wohnung mit mir. Gina und ich waren zusammen auf der Sekretärinnen-Schule gewesen, und Jane arbeitete in derselben Werbeagentur wie Gina. Susans Mutter war mit Janes Mutter befreundet. Alles ganz innig, und die Strumpfhosen und die Freunde konnte ich ihnen lassen, aber die Schreibmaschine war heilig, ich wollte nämlich einen Bestseller darauf schreiben.
Der Brief, der mein Leben veränderte, war eine tadellos getippte Epistel von einer Anwaltskanzlei, in der mir mitgeteilt wurde, dass mein Großonkel Herbert mir etwas Geld hinterlassen hatte. Ich hätte es natürlich anlegen können; doch ich entschloss mich, sechs Monate lang Urlaub zu machen - ich arbeitete für eine Zeitstellenvermittlung - und eine eigene Wohnung zu mieten. Ich brauchte die Zeit und die Ruhe, um mein Buch zu schreiben. Ich hatte schon ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht, die ich in Mittagspausen oder von Janes Rockmusik und Ginas Mahlersymphonien begleitet, geschrieben hatte. Mit den Recherchen und der Gliederung war ich fertig. Sechs Monate waren eine gute Zeit, und wenn alle Stricke reißen sollten, konnte ich immer wieder als Aushilfssekretärin arbeiten. Ich hatte einmal in Dauerstellung bei einer Druckerei gearbeitet und hatte mich prompt in einen Kollegen verliebt. Es stellte sich heraus, dass er verheiratet war - und gar nicht einmal unglücklich. Da ist Zeitarbeit schon weniger riskant.
Ich informierte meine Mitbewohnerinnen - großes Wehklagen; die Agentur - Wogen der Missbilligung; sämtliche Immobilienbüros, die ich auftreiben konnte - Mauern der Ungläubigkeit: Was! Eine Wohnung zu diesem Preis in dieser Gegend? Ausgeschlossen.
»Na ja«, improvisierte ich, »eine ruhige Ein-Zimmer-Wohnung. Wissen Sie, ich liebe Kensington und den Park.«
Es waren, wie ich hoffte, meine letzten Tage als kleine Angestellte, darum bereitete es mir keine allzu heftigen Gewissensbisse, auf Kosten der Bank, bei der ich gerade aushalf, mit den widerspenstigen Immobilienmaklern zu telefonieren. Aber erst an meinem letzten Arbeitstag, als ich mir gerade überlegt hatte, dass ich wohl oder übel bleiben musste, w« ich war, wenn ich nicht vorübergehend zu meiner Tante Mary nach Windsor ziehen oder mich mit dem Stadtrand zufriedengeben wollte, hatte ich Glück.
Und zwar ausgerechnet mit der Firma, bei der ich mir die geringsten Hoffnungen gemacht hatte. Ihr letztes Angebot nämlich war eine grauenvoll möblierte winzige Mansarde gewesen, deren besonderer Charme darin bestand, dass im Stockwerk darunter ein arbeitsloser Posaunist wohnte, der den ganzen Tag übte. Als der Makler mir meldete, sie hätten eine kleine möblierte Wohnung in Palace Gate zu vermieten, war ich skeptisch, aber ich verabredete mich dennoch für den Abend mit ihm, um sie zu besichtigen. Die Zeit wurde knapp, und ich brauchte dringend etwas.
Um 18 Uhr wollte Mr. Smith mich vor dem Haus in Palace Gate treffen. Ich war fünf vor sechs da - eine vornehme Gegend, Kensington Gore und der Park am Ende der Straße. Mr. Smith kam zwei Minuten später, groß, gutaussehend, freundlich. Er kramte einen Schlüsselbund aus der Tasche seines gut geschnittenen Jacketts.
Ich folgte ihm die Treppe hinauf in ein mit Teppich ausgelegtes Foyer. Wir bogen nach rechts ab. Wieder griff er zum Schlüsselbund, dann standen wir in einem hellen, luftigen Raum. Die blassgelben Wände wirkten sonnig, die perlgrau bezogenen Möbel sahen neu aus. Die Wohnung war offenbar vor kurzem erst renoviert und neu eingerichtet worden.
Mein Misstrauen regte sich. Ich fragte ihn noch einmal nach der Miete; verlangte, die Küche zu sehen, worauf er einen großen Schrank öffnete, in dem eine Kochnische verborgen war.
»Und Sie brauchen keinen Küchengeruch zu fürchten. Es ist eine Abzugshaube da.«
Ich war beeindruckt.
Er öffnete eine weitere Tür. »Das Badezimmer«, sagte er. »Zentralheizung und jederzeit heißes Wasser«, fügte er hinzu, nachdem ich die Wanne inspiziert hatte, die etwas kürzer, dafür aber tiefer als normal war.
Man hat mir oft gesagt, dass ich ein ausdrucksvolles Gesicht habe, und vermutlich sah man mir in diesem Augenblick die unterschiedlichen Gefühle, die mich bewegten, - Zweifel, Ungläubigkeit, Freude - deutlich an.
»Sie brauchen sich nicht sofort zu entscheiden«, sagte er.
Das war einmal etwas ganz anderes; im Allgemeinen waren mindestens fünf weitere heiße Interessenten da.
»Die Wohnung ist sehr hübsch«, bekannte ich.
»Ich habe den Eindruck, dass Ihnen ein, zwei Dinge zu schaffen machen. Vielleicht können wir das irgendwo in der Nähe bei einer Tasse Kaffee besprechen.«
Warum nicht? Ich wollte ihm tatsächlich einige Fragen stellen. Wir setzten uns in ein etwas schummriges Café ein Stück straßabwärts, und ich kam gleich zur Sache.
»Ich sehe mir jetzt seit Wochen Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen an. Die Sache hier muss doch einen Haken haben. Wohnt vielleicht nebenan ein arbeitsloser Posaunist?«
»Nein. Ein vielbeschäftigter Journalist. Uber Ihnen wohnen Mr. und Mrs. Grange-Jones - er war früher in Indien. Im zweiten Stock ein Arzt und seine Frau, im dritten ein Kunstmaler mit Frau und ganz oben ein Junggeselle. John Baxter. Er ist etwas gehbehindert.«
»Und da wohnt er im obersten Stockwerk?«
»Es scheint ihm nichts auszumachen.«
»Also lauter ruhige, anständige Mieter.«
»In der Tat. Der Hausmeister wohnt im Souterrain. Er ist unter anderem für die Sauberhaltung des Foyers und des Treppenhauses verantwortlich.«
»Seien wir mal ehrlich: eine renovierte, gut möblierte Wohnung im besten Teil von Kensington - da könnten Sie doch das Dreifache verlangen.«
Er lächelte. »Da haben Sie natürlich recht. Aber ich will es Ihnen gern erklären.«
»Bitte.«
Nachdem wir jeder noch eine Tasse Kaffee bestellt hatten, sagte er: »Das Haus gehört der Baroness Vitzky. Die anderen Wohnungen sind unmöbliert, aber die, die ich Ihnen gezeigt habe, wurde bis vor kurzem vom Neffen der Baroness bewohnt. Als er heiratete, zog er in eine größere Wohnung, und das Apartment stand leer. Die Baroness möchte einen ordentlichen und zuverlässigen Mieter. Sie ist der Meinung, dass sie mehr Kontrolle hat, wenn die Miete erschwinglich ist. Habe ich damit Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet?«
»Soll das heißen, dass die Baroness jeden Tag vorbeikommen wird, um sich zu vergewissern, dass ich mich anständig benehme?«
»Aber nein! Sie wohnt draußen in Richmond und besucht das Haus nur sehr selten. Sie verlässt sich ganz auf uns.«
Ich hätte gern gewusst, was mich als ideale Mieterin kennzeichnete. Ich bin ganz attraktiv, aber eine Schönheit bin ich weiß Gott nicht. Vermutlich gaben meine hervorragenden Charaktereigenschaften den Ausschlag, wobei ich mich allerdings fragte, wie Mr. Smith die so schnell entdeckt haben wollte.
Ganz gleich, warum sollte ich zögern, wenn ich Mr. Smiths Idealvorstellungen entsprach? Das Apartment war genau das, was ich suchte, und wenn sich doch noch ein Haken zeigen sollte, konnte ich jederzeit wieder ausziehen. Ich unterschrieb ja keinen Mietvertrag auf Lebenszeit.
»Ich nehme die Wohnung«, sagte ich.
Mr. Smith zeigte sich erfreut - und erleichtert, wie ich fand.
Ich nannte ihm meine Referenzen und vereinbarte mit ihm, dass ich am Montag der übernächsten Woche einziehen würde. Ich gab ihm meine derzeitige Adresse an, und er versprach, mir die Schlüssel am Umzugstag in aller Frühe vorbeischicken zu lassen.
In der folgenden Woche pflegte ich also zunächst einmal ausgiebig der Muße. Dann begann ich zu packen, machte mein Zimmer gründlich sauber, gab meinen begierigen Nachfolgern detaillierte telefonische Auskünfte und machte ein paar unnötige Einkäufe. Am Freitag rief Mr. Smith an, um mir zu bestätigen, dass alles in Ordnung sei.
»Übrigens«, fragte ich, »hat die Wohnung Telefon?«
»In der Wohnung selbst ist keines, aber im Treppenhaus ist ein Münzfernsprecher. Soll ich Ihnen die Nummer geben?«
Ich bejahte und schrieb sie mir auf. Aber ich gab sie nur meinen Freundinnen, die die Wohnung mit mir teilten. Ich zog schließlich um, um in Ruhe schreiben zu können, auf ein hektisches gesellschaftliches Leben konnte ich verzichten.
Am Sonntagabend gaben wir ein kleines Abschiedsfest, bei dem sich mehrere Leute erboten, mir beim Umzug zu helfen.
»Aber ich hab’ ja nur zwei Koffer und meine Schreibmaschine«, versicherte ich ihnen.
Am Montagmorgen pünktlich um neun kamen die Schlüssel, und eine Stunde später saß ich in meiner neuen Wohnung. Ich packte in aller Gemächlichkeit aus und richtete mich einigermaßen ein. Abgesehen von der drängenden Frage, ob ich einen Fernsehapparat mieten sollte, oder ob der mich von der Arbeit abhalten würde, belastete mich nichts. Mittags ging ich in das Café, wo ich mit Mr. Smith gewesen war, und verdrückte ein belegtes Brot, während ich flüchtig überlegte, ob ich am Abend kochen oder wieder ausgehen sollte.
Um sechs Uhr klingelte es bei mir. Sie sah aus wie die typische grande dame des Theaters, so bühnenreif, dass ich an ihrer Authentizität zweifelte. Aber es war tatsächlich die Baroness. Groß, gebieterisch, streng frisiertes weißes Haar, ein fließendes schwarzes Kleid, selbst der barbarische Schmuck passte.
Sie stellte sich vor. »Haben Sie alles, was Sie brauchen?«, fragte sie.
Ich versicherte ihr, dass alles nach Wunsch sei, und bot ihr einen Sherry an.
»Nein, danke. Ich bleibe nicht. Ich wollte nur sehen, ob Sie sich schon ein bisschen eingelebt haben. Ich hoffe, es wird Ihnen hier gefallen.«
Ich dankte ihr, dann verabschiedete sie sich.
Eine halbe Stunde später läutete es wieder. Die Frau, die diesmal vor der Tür stand, war eindeutig nicht von Adel, nicht einmal von Bühnenadel; dünnes graues Haar, ein braunes schlichtes Kleid, eine bunte Perlenkette.
»Ich bin Muriel Grange-Jones«, sagte die Frau. »Sie sind sicher Margaret Fairford. Ich wollte fragen, ob Sie Lust haben, mit uns zu essen. Mein Mann meint zwar, ich sei aufdringlich, aber ich kann mir denken, dass Sie zum Kochen noch gar nicht richtig eingerichtet sind, und außerdem sind Sie vom Umzug sicher müde.«
»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen«, sagte ich. »Ich komme sehr gern.«
»Schön. Wir wohnen im ersten Stock. Kommen Sie, wann Sie Lust haben. Sie brauchen sich nicht umzuziehen.«
Mit einem Lächeln ging sie, und ich blieb etwas nachdenklich zurück. Ich war hierhergezogen, um zu arbeiten, nicht um gesellschaftliche Bande zu knüpfen. Aber der Mensch musste ja schließlich auch mal abschalten und entspannen. Wäre da vielleicht ein gemieteter Fernsehapparat die bessere Lösung? Was Mrs. Grange-Jones’ Bemerkung anging, ich brauche mich nicht umzuziehen, hatte sie offensichtlich gesehen, dass ich meine ältesten Jeans und ein recht angeschmutztes T-Shirt trug. Vielleicht würde Onkel Herberts Erbschaft noch für einen gut geschnittenen Hosenanzug reichen. Ich war jetzt schließlich nicht mehr in der Cromwell Road.
Ich nahm rasch ein Bad und schlüpfte in ein ordentliches Kleid, dann eilte ich die Treppe hinauf und drückte auf die Klingel neben Wohnung 2.
Ein hochgewachsener, militärisch wirkender Mann öffnete. Er begrüßte mich mit einem freundlichen Händedruck, versäumte aber, sich vorzustellen. Zweifellos war das Mr. Grange- Jones. Muriel war kaum der Typ, etwas Aufregenderes an Land zu ziehen.
Aus der Küche wehten Curry-Düfte und erinnerten mich an Smiths Bemerkung, dass Grange-Jones früher in Indien gelebt hatte. Damals waren sie vermutlich noch ein ganz junges Paar gewesen. In den ziemlich überladenen Zimmern stand eine Menge indisches Messing herum.
Während des Essens unterhielt mich Mrs. Grange-Jones - »Nennen Sie mich doch Muriel« - mit allen möglichen Geschichten über die übrigen Hausbewohner. Ich konnte mir nicht ganz vorstellen, dass die Leute tatsächlich so hinreißend waren, wie sie sie schilderte, aber sie war eben eine gutmütige Person. Ganz besonders schien es ihr Andrew Maybrick angetan zu haben. An dieser Stelle unterbrach sie ihr Mann ziemlich unhöflich.
»Du kennst ihn doch kaum, Muriel.«
Sie sah ihn verständnislos an.
»Aber Henry, ich unterhalte mich vielleicht nicht häufig mit ihm, er ist ja ständig unterwegs, aber ich weiß genau, dass er ein ausgesprochen netter junger Mann ist. Und gutaussehend dazu. Er hat eine wunderbare Aura.« Sie sprach deutlich und sehr langsam. »Henry ist ein bisschen schwerhörig«, erklärte sie dazu.
Und gleichzeitig erklärte Henry: »Meine Frau ist nämlich Spiritistin.« Er sagte es, als handelte es sich dabei um eine nicht ganz ehrenwerte Beschäftigung.
»Eines Tages wirst du es schon noch verstehen, Henry.«
»Es ist sicher eine sehr interessante Sache«, bemerkte ich taktvoll, dann wechselte ich das Thema. »Sie haben diese köstlichen Curry-Gerichte sicher kennengelernt, als Sie in Indien waren.«
»Nein«, antwortete Muriel. »Ich war nie in Indien. Nur mein Mann war dort.«
»In England kriegen sie das einfach nicht richtig hin«, warf Henry ein. »Aber ich hab’s meiner Frau beigebracht.«
»Waren Sie in Indien beim Militär?«, fragte ich.
Er antwortete nicht, und Muriel sagte entschuldigend: »Ich habe vorhin ein bisschen untertrieben. Tatsächlich hört er fast gar nichts mehr. Er liest einem fast alles von den Lippen ab. Ich glaube, man könnte neben ihm einen Revolver abschießen, und er würde es nicht hören.«
In dieser Nacht hatte ich einen fürchterlichen Alptraum. Ich gab nicht dem Currygericht die Schuld. Ich erklärte es mir mit den Aufregungen des Umzugs und der neuen Umgebung. Henry Grange-Jones geisterte mit gesträubtem weißem Schnurrbart durch meinen Traum, verfolgt von seiner Frau, die aus riesigen Revolvern auf ihn schoss. Ab und zu legte sie sie nieder, um das Spielkreuz einer Reihe von Marionetten aufzunehmen. Eine dieser Puppen hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Immobilienmakler Mr. Smith. Am Morgen fand ich es gemein und ungerecht von mir, dass ich, wenn auch im Schlaf, imstande war, der gutherzigen Muriel Grange-Jones ein so schreckliches Gesicht zu geben.
Ich wollte gleich an diesem ersten Tag in der neuen Wohnung versuchen, mich an den Zeitplan zu halten, den ich mir gemacht hatte. Ich hatte in der vergangenen Woche entdeckt, wie leicht es war, ins zeitlose Chaos abzutreiben, wenn man nicht zur Arbeit zu gehen brauchte. Darum: Frühstück, Wohnung saubermachen, einkaufen, kleiner Mittagsimbiss, Spaziergang im Park, um die Schönheit des Frühlings zu genießen, und dann an die Schreibmaschine. Um acht Uhr Abendessen, Korrektur des am Tag Geschriebenen, dann endlich faulenzen. Um dies letztere so richtig genießen zu können, mietete ich am Mittwoch einen Fernseher und wartete den ganzen Donnerstagmorgen auf die Lieferung, die mir für neun Uhr versprochen worden war. Als ich am Nachmittag zum Einkaufen ging, sah ich gerade noch den Rücken einer elegant gekleideten Frau, die aus dem Haus trat; entweder die Frau des Arztes oder die des Malers. Der eleganten Kleidung nach tippte ich auf die Arztfrau und versuchte, mich anhand von Muriels Beschreibung der Hausbewohner an den Namen zu erinnern. Richtig, Dr. und Mrs. Frister; Vornamen unbekannt.
Muriel traf ich häufig im Treppenhaus; wir gingen etwa zur gleichen Zeit einkaufen. Mehrmals drängte sie mich, doch »auf einen Sprung vorbeizuschauen«, wann immer ich Lust hätte, fügte jedoch gleich hinzu, sie wüsste natürlich, dass ich arbeiten wolle, und sicher hätte ich auch viele junge Freunde. Ansonsten schwatzten wir hauptsächlich über das Wetter.
Am Samstag wurde ich von meiner Tante Mary nach Windsor zitiert. Seit dem Tod meiner Eltern hatte Tante Mary ihre Pflichten mir gegenüber sehr ernst genommen. Sie war mit meinem Umzug nach London überhaupt nicht einverstanden gewesen und fand meinen Einfall, mir eine eigene Wohnung zu nehmen, absolut verwerflich. Wenn sie mir ihren Besuch ankündigen oder mich zu sich einladen wollte, wählte sie den Absende-Tag ihrer Briefe mit größter Raffinesse: Sie kamen immer erst so spät an, dass ich nicht mehr absagen konnte.
Am Sonntag begab ich mich also nach Windsor. Es wurde nicht so übel, wie ich befürchtet hatte. Ich schilderte Tante Mary in aller Ausführlichkeit mein Abendessen bei den Grange-Jones und berichtete ihr, was ich über die anderen Hausbewohner wusste, wobei ich natürlich mit Nachdruck darauf hinwies, dass es sich um lauter hochachtbare Leute handelte. Auf Andrew Maybrick ging ich nicht näher ein - ein Gehbehinderter im obersten Stock - na ja; ein Journalist nebenan dagegen war etwas ganz anderes. Tatsächlich hatte ich ihn überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich erklärte es mir damit, dass wir unterschiedliche Arbeitszeiten hatten.
Am Montagmorgen klopfte es an meine Wohnungstür. Ich hatte gerade ein Bad genommen und schlüpfte hastig in meinen Bademantel, während ich überlegte, wer das sein konnte, und warum der Betreffende nicht geläutet hatte. Dann öffnete ich die Tür und wünschte augenblicklich, ich hätte es nicht getan.
Der Mann, der draußen stand, hatte etwas ungemein Abstoßendes. Er trug eine abgewetzte alte Flanellhose und ein verwaschenes Hemd, aber es waren nicht seine Kleider, die mir unangenehm waren, es war sein Gesicht. Ein Gesicht mit vollen Lippen und kleinen Schweinsaugen, die mich mit lüsternem Blick musterten.
»Ich bin der Hausmeister«, erklärte er und spähte über meine Schulter. Er war offensichtlich enttäuscht, dass bei mir keine Orgie im Gang war.
»Ja?«, sagte ich kalt.
Sein Blick kehrte zu meinem Gesicht zurück.
»Päckchen für Sie«, bemerkte er und hielt mir einen braunen Umschlag hin; es sah aus wie ein Buch. »Ihre Freundinnen haben es gestern Morgen gebracht - sagten, Sie hätten es vergessen. Da Sie ihnen nicht aufmachten, sagte ich, ich würde es Ihnen aushändigen.«
»Danke.« Er blieb stehen. Ich überlegte, ob er ein Trinkgeld erwartete.
»Ich hab’s am Nachmittag versucht«, fuhr er fort, »hab’ bei Ihnen geläutet und geklopft.«
»Ich war den ganzen Tag aus.«
»Ich hab’ mir schon gedacht, dass es Ihnen nicht passt, weil Sie sich nicht gerührt haben. Ich konnte Sie drinnen hören...«
»Da haben Sie sich getäuscht«, sagte ich und nahm ihm das Buch aus der Hand mit den abgebissenen Fingernägeln. Dann schloss ich die Tür.
Wahrscheinlich trank er - oder war es möglich, dass jemand in meiner Wohnung gewesen war? Aber wieso? Und wie sollte der Betreffende hereingekommen sein? Wenn jemand bei mir eingebrochen hatte, so hatte er jedenfalls nichts mitgenommen und nichts durcheinandergebracht. Sehr seltsam. Aber da kam mir schon die Erklärung. Er hatte Geräusche aus Andrew Maybricks Wohnung gehört und geglaubt, sie kämen aus meiner.
Anscheinend sollte dies die Woche der ungebetenen Gäste werden, denn am Donnerstagabend klingelte es gleich zweimal hintereinander bei mir. Ich dachte, es wäre vielleicht eine meiner Freundinnen, und mit schlechtem Gewissen fiel mir ein, dass ich sie nicht einmal angerufen hatte, um mich dafür zu bedanken, dass sie mir das Buch nachgetragen hatten.
Es läutete wieder. Ich machte auf.
Der Mann war höchstens mittelgroß und unansehnlich. Er trug eine Nickelbrille und, obwohl es seit Wochen nicht geregnet hatte, einen schmutzigen Regenmantel, der bis zum Hals zugeknöpft war.
»Moll da?«, fragte er kurz.
»Nein«, antwortete ich ebenso kurz. »Ich wohne allein hier. Von Moll habe ich nie gehört.«
Er nickte nur und machte sich wieder davon.
Ich schloss die Tür und beschloss, mir eine Sicherheitskette zu besorgen und einen Spion in die Tür machen zu lassen. Der Mann hatte ausgesprochen zwielichtig auf mich gewirkt; ich war verrückt gewesen, ihm zu sagen, dass ich allein hier wohnte. Zu meiner Beruhigung sagte ich mir, dass er wahrscheinlich das Haus verwechselt hatte; dass Männer in Regenmänteln nicht unbedingt verkappte Triebverbrecher waren.
Da ich nun schon einmal in meiner Arbeit gestört worden war, nahm ich meine Schlüssel und etwas Kleingeld und ging hinaus, um Gina anzurufen. Der Apparat hing an der gegenüberliegenden Wand. Ich hatte ihn bereits mehrmals benützt, einmal um Tante Mary für ihre Einladung zu danken, und zweimal, vergebens, um die Fernsehleute anzurufen. Es gefiel mir ganz und gar nicht, im Treppenhaus zu telefonieren. Sobald mein Buch veröffentlicht war, würde ich mir mein eigenes Telefon in die Wohnung legen lassen.
Ich erreichte Gina gleich, und dankte ihr dafür, dass sie das Buch vorbeigebracht hatte.
»Ich hab’ es so einem ekelhaften Kerl gegeben, der sagte, er wäre der Hausmeister«, berichtete sie mir. »Wir haben geklingelt, und da kam er aus dem Orkus herauf. Wie geht’s bei dir?«
»Ganz gut soweit. Wann kommt ihr alle mal vorbei?«
»Wie wär’s morgen Abend? Ich will mal sehen, ob ich die anderen zusammentrommeln kann.«
»Gut. Ich freu’ mich auf euch.«
Als ich auflegte, hörte ich Schritte auf der Treppe. Groß, dunkelbraunes Haar, sehr blaue Augen und ein sympathisches Lächeln. Er hinkte nicht, aber vielleicht gehörte er zu einem der beiden Ehepaare im zweiten und dritten Stock. Dem war nicht so.
»Sind Sie Margaret Fairford?«, fragte er. »Ich bin Andrew Maybrick.«
Sehr förmlich gaben wir uns die Hand.
»Trinken Sie eine Tasse Kaffee bei mir?«, fragte er.
Ich folgte ihm in seine Wohnung. Sie war größer als meine, aber dunkler, und es sah ziemlich chaotisch aus. Auf einem Tisch im Wohnzimmer stand eine elektrische Kaffeemaschine. Andrew schaltete sie ein.
»Ich trinke Kaffee, wo ich gehe und stehe«, erklärte er.
»Wollten Sie nicht eben Weggehen? Ich hoffe, ich halte Sie nicht davon ab.«
»Nein, nein. Ich hörte Sie am Telefon, als ich meine Tür öffnete, und wollte mich mit Ihnen bekannt machen. Ich bin bei der Daily Mail«, setzte er hinzu. »Wo arbeiten Sie?«
Worauf ich ihm erklärte, dass ich nicht im landläufigen Sinn arbeitete, sondern dabei sei, ein Buch zu schreiben. Es klang sehr prätentiös. Zum Glück wandte sich das Gespräch bald anderen Dingen zu, Büchern, die wir beide gelesen hatten, Filmen, die wir mochten, Fernsehserien, - wir waren beide Fans von Hill Street Blues. Bevor ich nach Hause ging, verabredeten wir, am Freitagabend zusammen ins Kino zu gehen.
Mein Zeitplan war drauf und dran, in die Binsen zu gehen!
Eingedenk des Mannes im Regenmantel suchte ich am folgenden Morgen das Immobilienbüro auf und bat um ein Gespräch mit Mr. Smith. Ich berichtete ihm von dem unbekannten Besucher und fragte, ob ich an meine Wohnungstür eine Kette und einen Spion anbringen lassen könnte. Er war sofort einverstanden und erbot sich, es ohne Kosten für mich erledigen zu lassen. Ihm war der Besucher ebenso rätselhaft wie mir. Solange er bei der Firma wäre - seit vier Jahren - hätte niemand namens Moll die Wohnung bewohnt.
Als wir uns später trennten, nannte ich ihn Martin und er mich Maggie.
Am Abend kamen Gina, Sue und Jane. Da Gina gerade eine Gehaltserhöhung bekommen hatte, bestand sie darauf, uns alle zum Essen einzuladen, das heißt, zu Pizza und Eis. So toll war die Erhöhung auch wieder nicht gewesen. Später gingen wir noch zu mir in die Wohnung, tranken literweise Kaffee, während ich von Muriel und Henry Grange-Jones erzählte und etwas widerstrebend von Andrew Maybrick. Keine meiner Freundinnen bekam einen gierigen Blick. Es war zu hoffen, dass sie im Augenblick alle drei in festen Händen waren. Ich erzählte ihnen natürlich auch von dem Mann im Regenmantel, und sie fanden ihn »unheimlich«.
»So was passiert nur, wenn immer die Haustür offensteht«, stellte Sue weise fest. »Mrs. Jenks lässt bei uns jetzt eine Sprechanlage installieren, und dann bleibt die Haustür immer zu.«
»Ich finde das idiotisch«, erklärte Gina.
»Find’ ich nicht. Es gibt genug merkwürdige Typen auf der Welt. Apropos, euer Hausmeister ist ja auch ein Prachtexemplar.«