Das Naturforscherschiff - Sophie Wörishöffer - E-Book

Das Naturforscherschiff E-Book

Sophie Wörishöffer

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Beschreibung

In dem Roman "Das Naturforscherschiff" erzählt die Autorin von der Fahrt einiger jungen Hamburger mit der "Hammonia" nach den Besitzungen ihres Vaters in der Südsee.

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Das Naturforscherschiff

Oder Fahrt der jungen Hamburger mit der »Hammonia« nach den Besitzungen ihres Vaters in der Südsee

Sophie Wörishöffer

Inhalt:

Sophie Wörishöffer – Biografie und Bibliografie

Das Naturforscherschiff

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Das Naturforscherschiff, S. Wörishöffer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849640187

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Sophie Wörishöffer – Biografie und Bibliografie

Deutsche Schriftstellerin, schrieb auch unter den Pseudonymen Sophie Andresen, W. Höffer, Sophie von der Horst, K. Horstmann, S. Fischer. Geboren am 6. Oktober 1838 in Pinneberg, gestorben in Altona am 8. November 1890. Gilt als einzige wichtige deutsche Abenteuer-Autorin des 19. Jahrhunderts.

Wichtige Werke:

· Auf dem Kriegspfade. Eine Indianergeschichte aus dem fernen Westen. 1898

· Dämon Geld. Erzählungen. 1893,

· Das Buch vom braven Mann. Bilder a. d. Seeleben. 1889

· Der Väter Schuld. 1892

· Die Diamanten d. Peruaners. Fahrten durch Brasilien u. Peru. 1891

· Die Töchter des Advokaten. 1884.

· Durch Urwald u. Wüstensand. 1889

· Ein Wiedersehen in Australien. 1891

· Geheimnis des Hauses Wolfram. 1897

· Gerettet aus Sibirien. Erlebnisse u. Abenteuer e. verbannten deutschen Familie. 1890

· Im Goldlande Kalifornien. Fahrten u. Schicksale goldsuch. Auswanderer. 1891

· Kreuz u. quer durch Indien. Irrfahrten zweier junger deutscher Leichtmatrosen in der ind. Wunderwelt1897

· Lionel Forster, d. Quarteron. E. Geschichte a. d. amerik. Bürgerkriege. 1891

Das Naturforscherschiff

Erstes Kapitel

Die »Hammonia« und das Haus Gottfried. Palma. Ins Innere. Der Lamantin. Das Negerdorf und der Zauberer. Der Fledermausbau. Der Heerwurm. Zibetkatzen und Pythonschlange. Die Gallinas. Elefantenjagd. Waldbrand. Franz unter den Gallinas. Die Rettung. Die Bestrafung des Zauberers. Wieder an Bord. Erste Präparierübung.

Vor der Barre der afrikanischen Handelsstadt Lagos am Meerbusen von Guinea lag auf den blauen Fluten des Atlantischen Meeres ein stattlicher Schraubendampfer, von dessen Topp die rotweiße Hamburgische Flagge lustig im Morgenwind flatterte. Am Heck stand mit großen goldenen Buchstaben der Name »Hammonia«, das ganze Schiff war neu, vor nicht viel mehr als etwa vier Monaten daheim in der freien Reichsstadt erst vom Stapel gelaufen und für diese seine Reise um die halbe Erdkugel auf der Werft des Hauses Gottfried am Reiherstieg eigens erbaut worden.

An Bord befanden sich die beiden Söhne des Reeders mit ihrem Erzieher, dem würdigen Doktor Bolten und dem jungen Doktor Holm, einem Vetter der Knaben, zugleich dem naturwissenschaftlichen Lehrer und Führer der kleinen Expedition, die nicht allein das geheimnisvolle Innere Afrikas, sondern auch die Sundainseln, Australien und die Perlen des Großen Ozeans besuchen sollte, und deren Zweck mehr in wissenschaftlichen als kaufmännischen Erfolgen bestand.

Das Haus Gottfried ist eine der größten und unternehmendsten Handelsfirmen Hamburgs. Wenn eins unserer jetzigen großen Kaufmannshäuser an die Handelsfürsten der ehemaligen Reichsstädte des Mittelalters erinnert, an die Fugger und Welser von Augsburg, die Krafft von Ulm, so tut es dieses. Nicht allein daß seine auf eigenen Werften erbauten Schiffe alle Meere durchpflügen, daß seine Wechsel auf allen Kontoren in den Hafenstädten der fünf Erdteile so gut gelten wie bares Geld, es gleicht besonders darin dem mächtigen Hause der weiland Welser, welche damals das heutige Venezuela mit eigenen Feldhauptleuten und Truppen besetzen und kolonisieren ließen, daß es auch seinerseits und zwar auf einer Inselgruppe des Stillen Ozeans sich eine Herrschaft geschaffen hat, die einem Königreiche gleichkommt.

Aus diesem Gottfriedschen Handelsreiche holen die Schiffe des Hauses die Landesprodukte, hierhin bringen sie wieder zum Austausch europäische Waren. Aber nicht bloß dem Gewinn dienen die großartigen Unternehmungen und Verbindungen des Hauses Gottfried, auch der Wissenschaft kommen sie zu gute, für welche der Handelsherr offenen Blick und offene Hand hat. Das »Museum Gottfried« ist Zeuge davon. In ihm findet sich vereinigt, was Forscher und Gelehrte im Auftrage des Prinzipals auf der Inselwelt der Südsee gefunden haben. Seine Schiffe führen junge Gelehrte mit, welche die Tierwelt der Tiefsee und des Landes, die Flora des Meeres und des Innern, die Rassen und Gebräuche der Einwohner erforschen, und kostbare Werke mit prachtvollen Abbildungen berichten von den Schätzen des Museums Gottfried.

Dem jüngeren Sohne des weltbekannten hamburgischen Reeders war von den Ärzten eine Luftveränderung, namentlich ein Aufenthalt in tropischen Klimaten verordnet; Herr Gottfried bestimmte daher sein neuerbautes Schiff, die Hammonia, zur Reise nach den Südseeinseln und gestattete, daß dem langgehegten Wunsche des ältesten Knaben, einen wissenschaftlichen Ausflug ins Innere von Afrika zu machen, bei dieser Gelegenheit unerwartete Erfüllung zu teil wurde. Franz bezeigte bis jetzt für das Stillleben hinter dem Kontorpulte nur außerordentlich geringe Neigung, er schien mit seinem Wandertrieb und seiner regen Teilnahme für alle naturwissenschaftlichen Entdeckungen zum Kaufmann nicht so recht geschaffen; der Vater beschloß daher, ihn die Welt jenseits des Ozeans und jenseits europäischer Kultur durch eigene Anschauung kennen lernen zu lassen und dann erst über seine fernere Zukunft zu entscheiden; für diese Reise waren zwei bis drittehalb Jahre bestimmt und den beiden Knaben nicht allein zuverlässige Begleiter, sondern auch an die geachtetsten Handelshäuser aller Häfen schon vorausgesandte Empfehlungen mitgegeben, so daß nach menschlichen Kräften überall bestens gesorgt schien und das Unternehmen die schönsten Früchte versprach.

Auf Madeira war die Hammonia nach zwölftägiger Fahrt angelangt; hier wurden die jungen Leute einstweilen abgesetzt, und während der Dampfer aus Rio eine Ladung Reis holte, vollendete Hans, der zweite Sohn des Reeders, eine vom vortrefflichsten Erfolg begleitete Kur, die ihn so glücklich genesen ließ, daß schon jetzt im Beginn der Weiterreise fast alle Spuren des schleichenden wie eine Art von beginnendem Brustleiden aufgetretenen Fiebers beseitigt waren.

Die Hammonia war inzwischen von Rio zurückgekehrt, hatte die Gesellschaft an Bord genommen, und nach einem dankbaren Abschiede von dem schönen Madeira trat das wackere Schiff die Fahrt nach Lagos an, wo wir unsere Freunde soeben wohl und munter angekommen fanden.

An Bord herrschte Lust und Leben, alles freute sich des wundervollen, wolkenlosen Himmels und der balsamischen Luft, deren Durchsichtigkeit die Stadtbewohner früher auch nicht einmal geahnt, viel weniger für möglich gehalten hätten. Während der Dampfer mittels kleiner Schleppschiffe, die allein über das Riff vor dem Hafen den Weg finden, seine Ladung löschte, wurde das große Boot herabgelassen und für die Fahrt nach dem einige Seemeilen entfernten kleinen Örtchen Palma mit Proviant und Munition hinreichend versehen. Das Wetter gestattete diese Fahrt längs der Küste, und so hatten sich denn sämtliche Teilnehmer der Reise, ganz afrikanisch gekleidet, aufgemacht, um voll Erwartung kommender Abenteuer den sechs Matrosen nachzuklettern.

Der alte Doktor ging voran. Er war ein sehr rüstiger, wohlerhaltener Fünfziger mit ebenso milden als intelligenten Zügen, von Kopf bis zu den Füßen gleich den übrigen bewaffnet und vielleicht zum erstenmal seit seinen Knabenjahren in weißes Leinen gehüllt. Jeden Augenblick ermahnte er die jungen Leute zur Vorsicht, ohne indessen viel Gehör zu finden; die lustige Schar sprang und kletterte ihm nach, ehe seine Worte von allen verstanden worden waren.

Auf den Köpfen die breitrandigen Strohhüte mit herabflatterndem leinenen Schirm zum Schutz des Nackens, im Gürtel die breiten dolchartigen Messer und am Riemen über der Schulter die Botanisierkapseln nebst Fangnetz, so präsentierten sich der sechsundzwanzigjährige Karl Holm, und die beiden Brüder Gottfried, Franz von sechzehn, Hans von vierzehn Jahren, hübsche schlanke Knaben, auf deren jugendlichen Gesichtern die wärmere Sonne des Südens schon anfing, ihren Einfluß zur Geltung zu bringen. Außer diesen vier Hauptpersonen und den Matrosen befand sich im Boote noch ein Kommis der in Lagos ansässigen Zweigniederlassung des hamburgischen Handelshauses Geiser und Kopp, von seinen Prinzipalen den Söhnen des befreundeten Reeders als Dolmetscher beigegeben, ein junger Hamburger, den die Knaben persönlich kannten und der mit Land und Leuten durch längeren Aufenthalt vollkommen vertraut geworden war.

Vom Bord grüßen der Kapitän und Papa Witt, der Obersteuermann, ein alter Freund der Brüder, die er schon als ganz kleine Kinder gekannt und denen er jahraus jahrein von seinen Reisen die schönsten ausländischen Seltenheiten mitgebracht hatte. Wenn er zu Hause war, dann gab es gewiß für die Jungen an Sonntagnachmittagen ein Jagdvergnügen auf den kleinen umbuschten Elbinseln, eine Erzählung von fremden, geheimnisvollen Gegenden, der sie mit atemlosem Interesse horchten, oder einen Besuch in seiner Kajütte, wo dann aus Kisten und Kasten die verlockendsten Spielereien hervorkamen, genug, der Alte, selbst unverheiratet und im Dienste des Gottfriedschen Hauses ergraut, hatte seine ganze Zuneigung den beiden Knaben geschenkt, daher sah er ihnen auch jetzt so wohlgefällig nach und schwenkte den Strohhut, als die Matrosen ihre Ruder einlegten.

»Hübsch langsam!« ermahnte er zum zehntenmal und mit dem ganzen Abscheu des Seemanns vor Fußwanderungen. »Nichts übereilt, ihr habt Zeit genug.«

Der Kapitän nickte lächelnd. »Hofft nur von dem Anblick der Küste nicht zu viel Schönes,« warnte er. »Das meiste ist Busch!«

Ein Grüßen herüber und hinüber, ein Hurra der Matrosen auf dem Dampfer, und die wissenschaftliche Expedition hatte in aller Form begonnen. Bisher war man nur in den Häfen zivilisierter Völker gewesen oder schwamm in bequemer, ja eleganter Kajütte über das Meer, hier aber, hinter der Ansiedelung Palma, in dem kleinen Dorfe L'epée, entfaltete sich das geheimnisvolle, unbekannte Naturleben der Neger, hier wohnten die Schwarzen, unbeeinflußt von Kultur und Sitte, ganz wie seit Anbeginn der Schöpfung, eben darum aber das Sehenswerteste, Interessanteste, was es für die jungen abenteuerlustigen Reisenden überhaupt geben konnte.

Die Knaben sahen immer wieder nach ihren Gewehren. Sollte sich denn nicht bald am Strande irgend ein »wildes Tier« erspähen lassen, und wäre es auch nur ein ganz bescheidener Vogel oder eine Fledermaus?

Aber nichts dergleichen zeigte sich. Bis nach Palma hin erglänzte die baumlose sandige Küste in unangenehm blendendem Weiß, nur verkrüppeltes Buschwerk reckte seine niederen Äste, und ohne Weg oder Steg erhob sich steil abfallend das wüste Gestade.

Doktor Bolten sah durch die Brille. »Wahrhaftig,« sagte er, »auf den ersten Anblick hin erscheint Afrika äußerst häßlich.«

»Das ist die Küste beinahe überall,« antwortete der junge Kaufmann. »Erst etwa eine halbe Stunde von der See entfernt beginnt die eigentliche tropische Vegetation. Hier herum lebt auch außer den Strandvögeln kein Tier.«

Auf eine Jagdbeute vom Boot aus war also nicht zu hoffen, und erst als das kleine Palma erreicht wurde, sahen unsere Freunde in ziemlicher Entfernung bewaldete Höhenzüge. Hier standen zwei oder drei steinerne wie Speicher erscheinende Gebäude, zwischen denen sich Negerhütten vereinzelt erhoben und wo auch mehrere schwarze Gesichter den Reisenden begegneten, obwohl doch kein eigentliches Dorf vorhanden war. Das Negerreich L'epée lag hinter einem breiten, mit geringem Pflanzenwuchs bestandenen Landstrich, dahin ging es in Begleitung von mehreren als Gepäckträger gemieteten Krunegern ohne Aufenthalt vorwärts.

Mit jeder Viertelstunde wurde die Gegend hübscher und die Vegetation üppiger. Hier flog ein bunter, farbenprangender Schmetterling, dort blühten nie gesehene Blumen oder reiften Früchte an saftigen Stielen, so daß die Knaben voll Entzücken bald hierhin, bald dorthin sprangen.

»Langsam! langsam!« ermahnte Doktor Bolten, »jede Anstrengung kann für den Weißen in diesem Klima tödlich werden. Der Weg ist ohnehin beschwerlich genug!«

Und das war er wirklich. Die Luftwurzeln der Bäume erstreckten sich in mächtigem Umfang Hunderte von Schritten weit in die Umgebung hinaus, Rankengewächse flochten grüne, hängende Mauern, und Sumpfstellen nötigten oft zu weiten, zeitraubenden Bogen.

Man wollte eine breite Lagune erreichen, sich dort übersetzen lassen und dann jenseits des Wassers das Negerdorf besuchen. Als nach vieler Mühe der Rand des Gewässers sichtbar wurde, fand sich auf den Fluten desselben ein äußerst reges Treiben. Einige zwanzig bis dreißig Rindenkähne mit Balancierstangen, aber ohne Mast oder Segel, voll von schwarzen Gestalten, strebten sämtlich dem Mittelpunkt der Lagune zu, und vom anderen Ufer her kamen immer noch mehr nach. Kaum gelang es dem Dolmetscher, durch wiederholte Zurufe endlich einen der Schiffer zur Umkehr zu bewegen und ihn an das Land zu locken. Erst nachdem der Schwarze Geld gesehen, ruderte er schnellstens herbei, trieb aber mit rückwärts gewandten Blick fortwährend zur Eile und ermahnte seine Genossen, durch verdoppelte Arbeit die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Die vier Kruneger warfen das Gepäck ins Boot, nahmen ohne weiteres ihr einziges Kleidungsstück, einen Streifen Baumwollenzeug, von den Hüften, banden ihn um die Köpfe und schwammen wie Fische dem leichten Fahrzeug voran. Es war, als sei die ganze Bevölkerung plötzlich toll geworden.

Nur ein einziges Wort rief jeder dem anderen zu: »Manati!« –

»Sie haben wahrhaftig Glück, meine Herren!« sagte der jugendliche Dolmetscher. »Es wird sich Ihnen eine äußerst interessante, sehr seltene Jagd zeigen.«

Die beiden Knaben griffen wie elektrisiert zu ihren Gewehren. »Ein Haifisch?« rief der eine, »Ein Krokodil?« der andere.

»Keines von beiden, auch darf niemand an dem Fang des Tieres teilnehmen. Tun Sie das nicht, meine Herren, es könnte uns alle in Gefahr bringen. Jetzt aber sehen Sie selbst!«

Ganz in der Nähe erschien jetzt ein Boot, in welchem drei Männer Platz genommen hatten, zwei gewöhnliche Neger und ein dritter von eben so komischem als abscheulichem Aussehen. Die nackten Glieder waren wie das Gesicht mit feuerroter, dick aufgepinselter Farbe so bemalt, daß Flammen und Zacken, Tierköpfe und geringelte Schlangen überall die schwarze Haut zu bedecken schienen; das Haar hatte dieser Mann durch hineingeflochtene Massen von Pflanzenfasern zu einem nach allen Seiten weit abstehenden, den Kopf ellenbreit umgebenden Wulst gestaltet und die Zähne spitz gefeilt. Um Hals und Handgelenke, aus dem Haar, an den Füßen und vom Gürtel starrten die Posen des Stachelschweines, Federn von allen Farben flatterten im Winde und ganze Gehänge von Muscheln klapperten und rasselten bei jeder Bewegung. In der Hand trug der Neger eine Büchse aus Bambus. Seine beiden Begleiter hatten außer den Rudern noch starke eiserne Harpunen.

»Das ist der Zauberer des Stammes,« erläuterte der Dolmetscher. »Er spielt den Oberpriester im Schlangentempel, den Arzt und nicht selten auch den unmittelbaren Botschafter der Götter, letzteres besonders, wenn auf Befehl derselben dieser oder jener Neger gemaßregelt werden soll. Mit einem Wort, er ist der König des Königs.«

»Aber wo bleibt das Wild?« rief Franz. »Ich sehe nur Wasser und Menschen.«

»Gleich, gleich,« beruhigte lächelnd der junge Kaufmann. »Wenn ich es Ihnen erzähle, so ist ja der Spaß verdorben.«

Die Negerboote hatten jetzt einen Kreis gebildet, und in der Mitte befand sich das Fahrzeug des Zauberers. Unsere Freunde sahen aus nächster Nähe, was vorging. Der rotbemalte Neger nahm vom Boden des Kahnes eine große Muschel und begann nach der ohrenzerreißenden, von ihm selbst vollführten Musik dieses wunderlichen Instrumentes einen Tanz, wobei er sich wie rasend auf einem Beine drehte. Die Zieraten rasselten, die Federn flogen und die Spitzen der Posen glänzten im Sonnenlicht wie feurige Reifen, die von allen Seiten den Körper umgaben. Unter den Negern herrschte lautlose Stille.

»Es muß doch ein Krokodil sein,« raunte Franz, den die Ungeduld fast verzehrte.

»Das hier ist ja alles süßes Wasser, also – –«

»Ach, was tut der Spitzbube jetzt?«

Alle Hälse reckten sich. Der Zauberer hatte Musik und Tanz beendet und nahm nunmehr aus seiner Bambusdose ein Pulver, das er unter fortwährendem Murmeln neben dem Boot ins Wasser streute. Die beiden ihn begleitenden Neger hatten ihre Harpunen handgerecht erfaßt.

»Jetzt geben Sie acht!« flüsterte der Dolmetscher.

Das stille Wasser begann sich zu kräuseln, leichte Schaumwellen schlugen gegen den Kahn, und vom Grunde herauf leckte eine breite, rote Zunge begierig das Pulver. In diesem Augenblick schüttete der Zauberer den ganzen Inhalt der Büchse aus, und sofort kam ein plumper, schwarzer Kopf mit kleinen Schlitzaugen zum Vorschein. Das Tier stürzte sich, alle Vorsicht vergessend, auf den ihm gespendeten Leckerbissen und schluckte aus allen Kräften; eben so schnell aber hatten auch die Neger ihre Harpunen gehandhabt. Die langen Holzschäfte zitterten und verschwanden ruckartig unter der Oberfläche; das Wasser, dunkelrot gefärbt, schlug hohe Wellen, und von den im Boot befestigten Rollen liefen rauschend die starken Bastseile in die Tiefe hinab.

Ein rasender Beifallssturm ertönte jetzt von allen Booten. Die Neger klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen, jauchzten und schrieen um die Wette. Von allen Seiten stürzten sich schwarze Gestalten in das Wasser und tauchten wie Enten, um die Todeszuckungen des erlegten Tieres zu beobachten; ein lauter Zuruf begrüßte die Spitzen der wiedererscheinenden Harpunen. Nun war das Wild tot und konnte ans Land geschafft und verzehrt werden.

Zehn Hände befestigten unter der Oberfläche des Wassers Schlingen von Bast; der Zauberer saß wieder in seiner früheren unbeweglichen Ruhe, und unter allgemeiner Fröhlichkeit ruderte man dem Dorfe zu.

Das gefangene Tier glitt schwimmend durch die Fluten. Als es an das Ufer gezogen wurde, zeigte sich ein sonderbarer, nur wenigen Gattungen eigener Körperbau. Bei einer Länge von vier Metern und einem Durchmesser von mehr als einem halben Meter war es beinahe zwei Meter breit und spindelförmig gestaltet. Der ungeheure Körper fand sich mit einzelnen straffen Borsten besetzt und war bläulich grau, auf dem Rücken fast schwarz.

»Ein Lamantin!« rief Holm, »nun erkläre ich mir diese allgemeine Jagdfreude. Die Tierart ist fast ausgestorben; wir können uns Glück wünschen, noch ein Exemplar gesehen zu haben.«

Die vier treulos gewordenen Kruneger fanden sich jetzt auch wieder vor, das Gepäck wurde ans Land geschafft, und nun konnte man nach Herzenslust ein echtes, wirkliches Negerdorf in Augenschein nehmen. Vorher aber beobachteten die Reisenden, wie das getötete Tier in aller Eile seiner Haut entkleidet und ausgenommen ward. Nachdem das geschehen, drängten sich die Neger schnatternd und schreiend, nicht selten sogar unter Anwendung von Faustschlägen scharenweise herzu, und nach ganz kurzer Zeit lag an der Schlachtstelle nur noch das blutige Gerippe; alles Fleisch dagegen kochte in eisernen, auf drei oder vier zusammengelegten Steinen stehenden Töpfen, und um die fortgeworfenen Eingeweide balgten sich zahlreiche Hunde.

Unsere Freunde wurden in aller Form bewillkommnet. Der alte König, dem schon mehr als ein weißer Reisender vorgestellt sein mochte, empfing sie sitzend mit der ganzen Würde seiner nackten, nur von einem schmalen Lendenschurz verhüllten Persönlichkeit. Er stellte in schwerfälliger Rede das Dorf mit allem, was darin war, den Gästen zur Verfügung und bat sie, jede Hütte als ihr Eigentum zu betrachten. Beim Abschied fragte er aber etwas verstimmt, ob man ihm denn nichts mitgebracht habe. – Und nun kamen die Geschenke zum Vorschein; die Fremden hatten sie nur des Spaßes halber versteckt, um zu sehen, wie weit die königliche Selbstverleugnung gehen würde. Spiegel und Scheren, Metallknöpfe und brennend roter Kattun wanderten in die unersättlichen Hände der schwarzen Majestät, Kopf an Kopf standen im Kreise die Dorfbewohner und schnalzten mit den Zungen oder schlugen sich vor Entzücken auf die Brust, wenn wieder ein neuer glänzender Tand ausgepackt wurde, aber ihr Herr und Gebieter teilte mit keinem, sondern knurrte wie ein angeketteter Vierfüßler, sobald sich nur seine Frauen oder Kinder begehrlich näherten. Als er endlich den letzten Gegenstand hinter sich verborgen, streckte er die Hand aus und bat auch noch um Doktor Boltens Uhrkette. Nachdem ihm aber der Besitzer derselben die daran befindliche Uhr gezeigt und diese an das königliche Ohr gehalten hatte, da veränderte sich die Sache plötzlich. Seine Majestät mochte höchstwahrscheinlich einen solchen lebenden Fetisch früher schon gelegentlich einmal gesehen haben, aber weit davon war doch gut vorm Schuß. Er murmelte noch einige verworrene Laute, dann aber verschwand er hinter einer Matte, vorsichtig mit der schwarzen Hand einen seiner erbeuteten Schätze nach dem andern in das Versteck ziehend.

Unsere Freunde verteilten, nach Herzenslust lachend, draußen noch den Inhalt eines zweiten Packens an das Volk und zwar zumeist an Frauen und Kinder, die sich dafür mit den Gesichtern in den Sand warfen und durchaus den Gästen die Füße küssen wollten.

Nachdem sich der König von seinem jähen Schrecken einigermaßen erholt hatte, schickte er Abgesandte, welche die üblichen Gegengeschenke brachten, Straußfedern, Elfenbein und zum großen Ergötzen der Knaben auch zwei mit Bastseilen gefesselte, hübsche kleine Äffchen, die neugierig und beweglich umhersahen und, als ihnen versuchsweise eine Vorderhand gelöst wurde, sogleich die kräftigsten Ohrfeigen verteilten. Der Dolmetscher wollte sie nach Palma mitnehmen, zumal Holm versicherte, daß sich diese Art sehr leicht zähmen lasse. Möglicherweise konnten ja die drolligen Tiere während der ganzen Reise als unterhaltende Gesellschafter dienen; die Knaben tauften sie wenigstens zu diesem Zweck schon jetzt.

Schwarznase wurde dem älteren der beiden Brüder, Wickelschwanz dem jüngeren zugesprochen. Dieser war der drolligste. An allen vier Händen gefesselt, glaubten ihn die Knaben zur Flucht unfähig, aber ehe sie sich dessen versahen, hatte er den langen Schweif um einen herabhängenden Baumast geschlungen und blickte von dort zähnefletschend auf seine Bändiger hinab. Nach dieser schnellen Tat erhielt er seinen Namen, und da nun doch auch der andere benannt werden mußte, so hieß man ihn Schwarznase.

Der Dolmetscher hatte einen Neger, welcher geläufig Englisch sprach, an seiner Stelle als weiteren Führer gemietet, und nun nahm er selbst, beladen mit den fürstlichen Geschenken, Abschied, ohne erst den Lamantinbraten kosten zu wollen. »Essen Sie nur nicht zu viel von den schwarzen Kugeln aus Maniokmehl, die hier als Brot gelten,« warnte er, »dergleichen kann nur ein Negermagen überwinden. Und schlafen Sie unter keinen Umständen auf dem Erdboden, trinken Sie auch kein Wasser, ohne etwas Chinin hinterher zu nehmen.« Nachdem man versprochen, alle diese Anordnungen pünktlich zu befolgen, ruderten ein paar Neger den jungen Hamburger wieder über die Lagune zurück. Das Boot der »Hammonia« sollte in Palma liegen bleiben und die aus Lagos mitgebrachten Kruneger den kleinen Zug als Gepäckträger begleiten. Es war den Reisenden ein etwas seltsames Gefühl, als sie nun unter der schwarzen Horde im afrikanischen Urwalde allein blieben, aber dem ließ sich doch bei dem ganzen Unternehmen nicht aus dem Wege gehen und mußte daher überwunden werden. Überdies war auch das Verhalten der Neger ein durchaus vertrauenerweckendes, freundliches. Sie kamen von allen Seiten mit dampfenden Fleischstücken herbei, brachten das kugelförmige Maniokbrot und noch verschiedene landesübliche Gerichte außerdem, die zum Teil gar nicht schlecht schmeckten, so z.B. halbreife Maiskörner, unzerquetscht mit Fett, Pfeffer und Salz geschmort, Bataten, Melonen und ein Getränk wie Kaffee aus den Früchten der Kolanuß.

Die vier Weißen saßen auf ihren mitgebrachten Schlafdecken unter den wogenden Kronen der großen, vielgestaltigen Waldbäume, deren Arten nicht zu zählen waren, und in deren Blättergewirre die verschiedensten Vögel ihre Nester bauten. Papageien, besonders der schöne aschgraue mit purpurnen Schwanzfedern, die prachtvollen Whaidafinken, deren Schweif sechsmal so lang ist wie der Vogel selbst, Mandelkrähen mit blauem Gefieder, Bienenfresser und Halmvögel, alles rauschte und schwirrte durcheinander; dazwischen stolzierten zahme Perlhühner, und ringsum blühte es in nie gesehener Schöne.

Unsere Freunde führten natürlich Blechteller, Löffel, Messer, und Gabel mit sich, sonst hätten sie wie die Wilden das Fleisch mittels der Zähne zerreißen und es aus dem Kochtopf weg ohne Teller verzehren müssen. Der Manati schmeckte leidlich, fast wie ein feiner Schweinebraten, desto weniger aber wollten die Maniokkugeln munden. Bleischwer, noch feucht, ohne Fett oder Hefe gebacken, glichen sie rohem, festen Teig und wurden daher dankend abgelehnt. Die in Blechbüchsen von Hamburg mitgebrachten Cakes schmeckten denn doch besser.

»Warum wohl die Neger über den Lamantin so begierig herfielen?« fragte Hans. »Ein besonderer Leckerbissen ist er keineswegs?«

»Für uns,« versetzte Holm, »aber für die Neger ist alles Fleisch ein Leckerbissen. Sie betreiben keine Landwirtschaft, also gibt es auch kein Schlachtvieh. Das, was an genießbarem Wild frei herumläuft, verzehren größtenteils die Raubtiere; es bleiben den Menschen daher nur die Affen, deren zähes Fleisch einen außerordentlich schlechten Braten gibt. Bisweilen steigt die Not so sehr, daß eine schreckliche Krankheit, der Guambo oder Fleischhunger, sich der Unglücklichen bemächtigt; sie werden tiefsinnig und fallen über Tiere her, um sie roh zu verzehren. Viele Gelehrte behaupten, daß daraus die ersten Anfänge des Menschenfressens entstanden sind.«

»Findet man denn auch den Lamantin nur selten?« fragte Franz.

»Sehr selten. Die Gattung der Fischsäugetiere besitzt in der Familie der Seekühe oder Sirenen einen aussterbenden Zweig. Lamantin und Dugong werden noch zuweilen, das Borkentier gar nicht mehr angetroffen. Dieser Seeriese wurde acht Meter lang und lieferte, an den Grenzen des Eismeeres lebend, den Walfischfahrern einen so vortrefflichen, frischen Braten, daß er ausgerottet worden ist. – Dabei fällt mir übrigens ein, daß ich den Zauberer doch um ein wenig von seinem Pulver bitten will. Was bieten wir ihm nur als Tauschmittel?«

»Ein Rasiermesser!« riet Hans. »Niemand trägt hier einen Bart, daher sind alle diese Messer übrig geblieben.«

»Eine Pistole,« meinte Franz. »Dann tut er es sicher.«

»Aber er schießt vielleicht später auf uns selbst,« zögerte Holm, »alle diese schwarzen Kerle sind falsch oder wenigstens doch unzuverlässig.«

»Ich habe es!« rief Doktor Bolten. »Ein Hundehalsband aus Messingdraht mit kleinen Glocken, das kann er zur Erhöhung seines Ansehens persönlich tragen.«

Alle lachten, und nun wurde das Dorf besichtigt, um die Höhle des Zauberers zu finden. Sämtliche Bambushütten ruhten etwa einen halben Meter hoch über dem Erdboden auf Pfählen, waren spitz wie Bienenkörbe, mit Pflanzenfasern nach Art deutscher Bauernhäuser gedeckt, fensterlos und mit einer niedrigen, zum Kriechen eingerichteten Tür versehen. Eng gedrängt in ununterbrochener Reihe lagen diese elenden Wohnstätten nebeneinander und bildeten zusammen ein geschlossenes Viereck, dem kein Feind vom Rücken her sich nähern konnte.

Vor jeder Tür lagen Feldsteine zum Gebrauch als Feuerherd, und an den untersten Baumzweigen hing eine Art von aufgeklappter, einem Feigenkorb ähnlicher Matte, – die Wiege der schwarzen Säuglinge, deren lautes Geschrei erst den Reisenden das Geheimnis verriet. In den Hütten selbst waren nirgends Mobilien zu finden, nur ein Lager aus trocknen Bambusblättern und ein ausgehöhlter Kürbis, als Wassereimer dienend.

Der schwarze Dolmetscher schüttelte zweifelnd den Kopf. Er glaubte nicht, daß es gelingen werde, den Zauberer zur Herausgabe seines Mittels zu bewegen, aber er fragte nach der Hütte desselben und führte dann die Gäste dorthin. Am äußersten Ende der ganzen Reihe stand ein etwas größeres Gebäude, das nach allen Seiten offen, nur von Pfeilern getragen wurde, und dessen Dach nicht so steil herabging. Ein seitwärts belegener Anbau erwies sich als die Behausung des Zauberers, das offene Rondell aber war der Tempel. An den Wänden standen Fetische aus Holz, Elfenbein und Ton, sämtlich Tier- oder Menschenbilder in zwerghafter Form und mit der bekannten, keinem heidnischen Götzen fehlenden, scheußlichen Fratze; es waren aber auch lebende, als göttlich verehrte Wesen vorhanden und zwar Schlangen sonder Zahl. An den Wänden, um die Pfeiler geringelt, unter dem Dach, auf dem Fußboden und den nächsten Baumzweigen, überall kroch und schlüpfte es, hatte sich sogar um die Fetische geringelt oder lag zusammengerollt wie eine schleimige Masse im Winkel.

Aus der niederen Tür sah das verschmitzte Gesicht des Zauberers. Er streckte den Ankömmlingen gebieterisch die Rechte entgegen und rief ein befehlendes Wort, natürlich das Verbot, den Tempel zu betreten; das verstanden alle.

»War wahrhaftig nicht nötig!« sagte lebhaft Doktor Bolten. »Man hätte Lust, das Schlangengezücht mit dem Absatz zu zertreten.«

»Giftige sind nicht darunter,« versicherte der Dolmetscher. »Sie werden gleich sehen, daß sich die Tiere um des Zauberers ganzen Körper ringeln.«

Er rief nun den listigen Patron aus seiner Hütte hervor und sobald dieser kam, krochen ihm die Schlangen überall an den nackten Gliedern empor, legten sich um Hals und Arme, hingen in den Stacheln des Gürtels und bedeckten förmlich die schwarzen Beine, ohne dadurch den Neger aus seiner künstlich angenommenen Würde irgendwie herausschrecken zu können. Er fragte, was die Weißen von ihm verlangten, und nachdem er es erfahren, schüttelte er den Kopf. »Nein, durchaus nicht. Das Zauberpulver wollte er behalten.«

Dann aber kam das Lockmittel zum Vorschein. Franz nahm den Strohhut ab und setzte sich das Hundehalsband auf den Kopf. Die kleinen Glöckchen klangen lustig.

Der Schwarze reckte den Hals. Erst bot er Pfeffer, Palmöl und Elfenbein, als aber alles verschmäht und zugleich das begehrte Band wieder in die Tasche spediert wurde, da kroch er trotz Schlangen und rasselndem Muschelputz eilends in das Innere der Höhle und kam gleich darauf mit der Bambusdose zurück. Der Dolmetscher mußte den Tausch vermitteln, und nun wurde die niedere Tür der Wohnung auffallend schnell geschlossen. Es schien als fürchte er, daß die Weißen den Handel bereuen könnten.

Holm steckte sehr erfreut die Büchse zu sich. »Jetzt müssen wir beraten, wo unser Nachtlager aufgeschlagen werden soll,« sagte er, »hier im Dorfe oder im freien Walde. Was meint ihr dazu? Ich bin dafür, daß wir einen Ausflug machen und dann zurückkehren, um unsere Matten an diese Bäume zu hängen.«

Alle stimmten bei, und so ließ man denn einen der Neger mit dem Gepäck im Dorfe zurück, nahm nur etwas Lebensmittel und machte sich auf den Weg, tiefer und tiefer in den Urwald hinein.

»Jetzt denkt daran, eure Kapseln und Behälter zu füllen,« ermahnte Holm. »Einer sammelt Pflanzen und der andere Insekten. Die Gewehre schußfertig.«

»Aber wenn uns ein Löwe begegnet!« rief Hans, dem doch in so weiter Entfernung von der Küste etwas zaghaft zu Sinn wurde. »Dann sind wir alle verloren.«

»Löwen gibt es im äquatorialen Afrika nicht, Hänschen. Nur rechts und links von diesem mittleren Erdgürtel werden sie angetroffen, – in Sierra Leone sehen wir vielleicht späterhin den König der Tiere.«

Man schritt vorwärts, bis plötzlich ein Ausruf des Erstaunens die Schritte hemmte. Vor den Reisenden erhob sich ein Baum von sonderbarem Aussehen. Kein grünes Blatt war zu bemerken, keine Frucht und in den Zweigen nicht das mindeste Leben. Wie mit schwarzgrauen, starren Klumpen bedeckt, stand der Riese inmitten seiner grünenden, farbenprangenden Umgebung da.

Der Dolmetscher nahm das Gewehr und feuerte mitten in die anscheinend kahlen Äste hinein. Was nun folgte, läßt sich kaum beschreiben. Tausende und abertausende von Fledermäusen schwirrten empor, etliche fielen tot oder verwundet auf den Boden, die Luft schien im Augenblick beinahe verfinstert von all diesen Flügelschlägen, und als sich die unheimliche Sippschaft entfernte, da stand der Baum völlig abgestorben da. Die Knaben sammelten einige der verendeten Fledermäuse, aber Holm wollte kein Exemplar ausstopfen. »Es ist die gewöhnliche Art,« sagte er, »nur hier etwas größer wie bei uns im Norden. Wir werden für das Museum zu Hause in Hamburg schon noch einen echten Vampyr auftreiben.«

Man ging weiter und blieb bald hier stehen, bald dort. Von einem Zweige, der unvorsichtig berührt wurde, fielen prachtvolle, purpurrote Blüten, fein wie Haare, auf den Hals und das Gesicht des jüngeren Knaben herab. Hans schrie, als werde er gespießt. »Ich verbrenne! ich verbrenne!«

Das waren Dolichesranken, ein wundervoller Baumschmuck, so farbenreich wie wenige andere, aber auch eben so heimtückisch als schön. Die getroffenen Hautstellen schwollen an wie von der Berührung unserer Brennessel und empfanden dabei ein quälendes, schmerzendes Jucken, dem indessen die Neger einigermaßen abzuhelfen wußten. Sie zerquetschten eine breitblätterige, hellgrüne Pflanze und legten die Masse auf Hände und Nacken des Knaben, der denn auch mannhaft den Schmerz verbiß und sogar mit dem Taschentuch eine Ranke des verräterischen Gewächses behutsam pflückte und in die Trommel legte, nachdem er sie für sich in festes, dünnes Papier eingewickelt hatte, damit ihre Brennhaare sich nicht unter die noch zu sammelnden Pflanzen mischten.

Franz hatte während dieser Zeit einige große, prachtvolle Schmetterlinge eingefangen, die er in viereckige Schachteln tat, jetzt hielt er zwischen den Fingern einen rotbraunen Käfer von etwa, anderthalb Zentimeter Länge. Das kleine Geschöpf hatte hinten am Körper ein paar respektable Kneipzangen und strampelte außerordentlich, um seine Freiheit wieder zu gewinnen. »Karl,« rief er, »wie heißt der Bursche?«

Einer der Neger hatte das Tier gesehen. Sein durchdringender Schreckensruf lockte die anderen herbei und veranlaßte sie zu gleichen Äußerungen des Entsetzens. Die kindische, unselbständige, ratlose Natur der schwarzen Menschenrasse trat blitzschnell zu Tage, indem einer der Neger hierhin sprang, der andere dorthin, aber alle sinnlos, zitternd, wie aufgeschreckte Schafe, wenn der Wolf in die Hürde eingebrochen ist. »Baschikuays!« schrien sie jämmerlich lamentierend und heulend, »Baschikuays!«

Franz hatte im ersten Schrecken den für giftig gehaltenen Käfer fallen lassen, Holm aber suchte ihn wieder auf und schien nun selbst etwas bedenklich auszusehen. »Ein Heerwurm!« rief er, »aber möglicherweise war das Tier versprengt.«

Der Dolmetscher schüttelte den Kopf. »Das kommt bei den Baschikuays nie vor, Sir! Der Heerwurm ist in der Nähe, und wenn er zufällig auf seiner Wanderung einen Kreis beschreibt, so sind wir verloren.«

»Aber man klettert in diesem Fall auf die Bäume!«

»Das können Sie nicht, Sir. Der Zug hat eine Länge von zwölf bis zwanzig Stunden und ist zu breit, um ihn zu überspringen.«

»So wollen wir die Sache untersuchen, aber doch nicht gleich den Mut verlieren!« rief Holm. »Gehen die Baschikuays über das Wasser?«

»Nie!« versicherten einstimmig die Neger.

»Gut, so halten wir uns am Rande dieses Flüßchens. Kommt uns dann der Heerwurm auf einer Seite entgegen, so waten wir hinüber auf die andere.«

Er sprang bei diesen Worten voran auf einen schmalen Fußweg, den Bäume und Gesträuch fast verdeckten. »Mir nach,« rief er, »die Sache muß sich ja doch in ganz kurzer Zeit ausweisen.«

Er hatte kaum die Worte gesprochen, als schon einer der Neger jubelnd auf das andere Ufer hinüber deutete und vor Vergnügen hüpfte und tanzte. Unsere Freunde sahen nun ganz aus der Nähe das gefürchtete Ungeheuer aufmarschieren. In einer Breite von wenigstens fünf Fuß wälzte der Heerwurm seine braunen Massen heran. Solche Käfer, wie einer durch irgend einen Zufall, wahrscheinlich indem ihn ein Vogel herübergetragen, in Franzens Hände gelangt war, wanderten zu vielen Millionen in gerader Linie vorwärts. Dabei waren die Reihen so dicht bevölkert, daß man vom Erdboden nichts sah, und die einzelnen Glieder hielten sich in streng geschlossener Form. Zu beiden Seiten des Zuges gingen in bestimmten Entfernungen je zwei der größten Exemplare dieser Tiere, gewissermaßen wie Offiziere und Häuptlinge, und ganz inmitten der Reihen sah man Geschöpfe von hellerer Farbe, vermutlich also der junge Nachwuchs.

»Und davor ergreift ihr das Hasenpanier?« rief Franz. »Was ist es denn mit diesen harmlos aussehenden Tieren?«

»Geben Sie acht!« rief der Dolmetscher, indem er aus seiner Basttasche eine der getöteten Fledermäuse hervorzog und mit schneller Bewegung über den Fluß warf. »In einer Minute wird nur noch das Skelett übrig sein.«

Alle sahen gespannten Blickes auf die Stelle, wo sich eben der Knäuel für kurze Zeit sammelte, die braunen Gesellen schossen neben und über einander her, es entstand eine Art von Getümmel oder Kampf, und dann wurde eine weiße Masse aus den Reihen hinausgedrängt, – der Zug ordnete sich und marschierte weiter.

Einer der Neger sprang ins Wasser, watete hinüber und ergriff vorsichtig die abgenagte Fledermaus. Nur das Knochengerüst war zurückgeblieben, nicht eine einzige Fleischfaser hing mehr daran.

»So ergeht es allen lebenden oder toten Geschöpfen, welche diesem Heerwurm in den Weg kommen und ihm nicht ausweichen können,« erläuterte Holm. »Selbst Elefanten werden von den blutgierigen Käfern angefallen und durch Hineinkriechen in den Rüssel vor Schmerz rasend gemacht. Wirft sich dann das riesige Tier, um seinen Qualen zu entgehen, ins Gras, so nehmen Legionen der winzigen Gegner von dem gestürzten Koloß Besitz, und in längerer oder kürzerer Zeit wird auch er skelettiert. Menschen, die z.B. im Schlafe von dem Heerwurm überfallen werden, sind verloren, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Kleider rechtzeitig abzuwerfen und, wie sie Gott geschaffen hat, zu flüchten. Dreht sich die furchtbare Kette, durch Hindernisse gezwungen, zufällig im Kreise, so gibt es daraus kein Entrinnen. Sechs bis acht dieser Geschöpfe auf der bloßen Haut genügen, um ein lebendes Wesen zur Verzweiflung zu bringen.«

»Und die greulichen Gesellen fressen nur Fleisch?« fragte Franz.

»Alle Lebensmittel überhaupt. Eine verwandte Art dagegen zieht das trockene Holz und namentlich das Papier vor. Ganze Bambusgebäude, Bücherkisten und Möbeln verschwinden über Nacht. Diese letztere Sorte bildet die euch dem Namen nach bekannten Termiten, sie marschiert auch in Zügen, aber nur während der Dunkelheit und unter der Erde, indem sie maulwurfsartige Gänge aufwirft. Ferner lebt in den Blättern niederer Bäume eine rote Art, die sich in ganzen Wolken herabfallen läßt, und im Sande eine graue, die von unten her ihr Opfer angreift. Zu dieser entsetzlichen Familie gehört auch die bei uns in Europa leider neuerdings wieder aufgetauchte Wanderheuschrecke. – Termitenbauten möchte ich übrigens doch gern in Augenschein nehmen,« setzte er hinzu. »Achilles, gibt es hier herum dergleichen?«

Der Dolmetscher nickte. »Es ist ein ganzes unbewohntes Termitendorf in der Nähe, Sir,« versetzte er. »Wir können es in einer Stunde erreichen.«

»In Papas Museum sind übrigens auch solche Bauten!« warf Franz ein. »Hast du sie nicht gesehen, Karl?«

»O ja, mein Lieber, aber ebensogut könntest du einen Riesen und einen Zwerg ohne weiteres vergleichen, indem du beide einfach Menschen nennst. Die Exemplare von Termitenbauten, welche Papas Kapitäne ihm für sein Museum aus Afrika mitgebracht haben, sind vielleicht so groß wie ein Wassereimer, die völlig fertigen, bewohnt gewesenen Höhlen dagegen sind höher, geräumiger und besser erbaut als Negerhütten.«

»Man könnte also ordentlich hineingehen?« riefen voll Neugier die Knaben.

»Das natürlich nicht, ihr Voreiligen! Die Termiten haben sämtliche Gänge für den eigenen Bedarf, aber weniger für die Höhe junger, wissensdurstiger Naturforscher eingerichtet.«

»Freund Achilles,« setzte er gegen den Dolmetscher hinzu, »könnten Sie mir einen jener Generale, die dort an den Seiten des Zuges marschieren, herüberlangen? Ein recht großes Exemplar möchte ich gern haben und ein unausgewachsenes Junges außerdem.«

Man blieb an geeigneter Stelle stehen, und der Neger brachte zuerst einen der stattlichsten Braunröcke, ein Tier von 1½ Zentimeter Länge; dann aber mußte er, um ein Junges zu erreichen, in die Mitte des Zuges hineingreifen, und das konnte er nur, indem er auf den äußersten Rand der lebenden Masse trat. Binnen Sekunden war das unbekleidete Bein bis zum Knie mit den blutsaugenden Geschöpfen bedeckt, eben so schnell aber tauchte der Neger das gefährdete Glied ins Wasser und entledigte sich dadurch der sofort verendenden Quälgeister. Ohne die mindeste Unterbrechung, geräuschlos, unabsehbar wanderte mit Milliarden von Füßen der scheußliche Heerwurm. Die eingefangenen Exemplare wanderten in ein weithalsiges, halb mit starkem Spiritus gefülltes Glas, in welchem sie nach wenigen Zuckungen verendeten.

Unsere kleine Reisegesellschaft brach auf. Wenn das nahe Termitendorf besehen war, so mußte man den Heimweg antreten, um noch vor Nacht wieder bei den Negerhütten zu sein. Erst morgen sollte ein größerer Ausflug in aller Frühe unternommen werden.

Eine weite Lichtung dehnte sich vor den Blicken, ordentlich wohltuend nach soviel undurchdringlichem Gewirre von Stämmen und Ranken, Blumen und Gebüsch, aber ungleich heißer freilich als unter dem Blätterdach. »O was doch der Schatten tut!« rief Hans.

»Freilich, mein lieber Junge,« lächelte Holm. »Die Pflanzen wehren den Sonnenstrahlen, so daß nur ein Bruchteil bis auf den Boden gelangt. Das ist das Geheimnis der Waldkühle und zugleich das der regenlosen Gegenden, wie z.B. der Wüste Gobi, der Kergueleninsel und anderer Landstrecken. Die bewaldeten Höhenzüge stehlen dem Wind alle und jede Feuchtigkeit, so daß er auf der entgegengesetzten Seite völlig trocken ankommt. Ich will euch – – «

Ein gellender Schrei, ein Rauschen und Krachen in den nächsten Zweigen unterbrach plötzlich die angefangene Rede. Papageien flogen kreischend in die höchsten Spitzen der Bäume, Früchte, dürre Äste und Schalen prasselten, offenbar als Geschosse verwendet, auf den Boden herab, und eine Schar ganz kleiner Affen floh behende über die Wipfel dahin. Einen Augenblick schien es, als husche an einem der Stämme ein dunkles, seltsam gestreiftes und geflecktes größeres Tier hinauf, dann war im Augenblick alles still.

»Schleichkatzen!« sagten die Neger, »Virenen!« und darauf umringten sie von mehreren Seiten den Baum, indem zugleich die Weißen mit geladenen Gewehren Posto faßten und alles, was ihre Führer taten, scharf beobachteten.

»Ein Jagd in aller Form!« flüsterte Doktor Bolten. »Wer hätte gedacht, daß man in seinen alten Tagen noch am Äquator Zibetkatzen schießen würde!«

»Pst! Klang das nicht ganz wie Kindergeschrei?«

»Die jungen Kätzchen sind also in unmittelbarer Nähe!« raunte Holm. »Auf, ihr beiden, sucht das Nest!«

Mit Mühe einen lauten Jubelschrei unterdrückend, verschwanden die Knaben am Rande des Unterholzes, und nun wurde minutenlang alles so totenstill, daß man sein eigenes Herz schlagen hörte und das leichte Flüstern der Blätter im Winde.

Achilles schlich an den Doktor heran, zwei Finger auf die Lippen gelegt und so leise, als sei er selbst ein Kater, der das Wild überrumpeln wolle. Die anderen Neger folgten ihm. »Pythonschlange!« hauchte er. »Dort!«

Aller Blicke folgten dem ausgestreckten Finger. Durch das meterhohe, üppig wachsende Gras der Lichtung wand sich's braunschillernd, gelbgefleckt mit schuppigen Ringeln dahin, wenigstens zehn Meter lang und vom Durchmesser eines tüchtigen Baumstammes. Lautlos glitt die Schlange bis an den Stamm, darauf die Zibetkatze saß, und begann denselben zu umschlingen, indem sie sich dabei auf die Stummelfüße des Schwanzes stützte. Ein Schnaufen und Prusten der überlisteten Katze bewies, wie sehr sich das Tier fürchtete. – Die nächsten, stärkeren Zweige konnte es springend nicht erreichen, an den Erdboden gelangen auch nicht; was blieb ihm also übrig, als widerstandslos auszuharren, bis sein Körper durch die kalten, glatten Schlangenglieder umstrickt und ihm alle Knochen im Leibe zerbrochen sein würden?

»Wollen wir die Schlange erobern oder die Katze?« fragte Doktor Bolten. »Eins ist nur denkbar!«

»Die Bälge beider Tiere,« gab Holm zurück. »Die Schlangen können ihre Beute nicht kauen, sondern verschlucken sie ganz. Wenn die Katze zermalmt, mit Geifer überzogen und verschlungen ist, läßt sich die Schlange träge herabsinken und leicht durch einen Schuß in den Kopf töten.«

Wieder wurde alles still, nur ein Angstschrei aus den Zweigen gellte zuweilen herab, und einige Papageiennester mit Eiern oder erwürgten, halbflüggen Jungen fielen ins Gras. Dann aber folgte ein Knirschen und Krachen, der ganze Baum zitterte unter den heftigen Bewegungen da oben, und endlich sank die Schlange unförmlich angeschwollen wie ein Klumpen auf den Boden herab.

Ehe einer der Männer Zeit bekam, das Gewehr an die Wange zu legen, krachte von der Seite her ein Schuß, und Franz sprang mit lautem Hurra der erlegten Riesin näher, um durch einen Kolbenschlag sein Werk zu vollenden, – Holm konnte ihm kaum zur rechten Zeit in den Arm fallen. »Um des Himmels willen nicht, du tapferer Nimrod!« rief er. »Ich will ja die Bestie für das Museum ausstopfen, also muß mir der Kopf heil bleiben.«

»Ihr Teil hat sie!« nickte der Doktor. »Die wütenden Schwanzschläge verraten es.«

»Aber wo ist Hans?« rief in diesem Augenblick der junge Naturforscher. »Mein Himmel, er wird doch nicht« –

»Hier!« antwortete die Stimme des jüngeren Knaben. »Hier!«

Und Hans trat aus dem Gebüsch hervor, in jedem Arm ein spielendes, braunfleckiges Kätzchen, das er fest an die Brust drückte. »Du darfst sie nicht töten, Vetter Karl.« rief er, »ich habe sie gefunden und kann es nicht sehen, daß ihnen ein Leides geschieht!«

Der junge Gelehrte lachte. »Bewahre,« rief er, »Hans, wohin denkst du? Die sollen mit hoffentlich noch manchem anderen Tropenbewohner als Erinnerung an die wissenschaftliche Reise des Naturforscherschiffes den Hamburger Zoologischen Garten verherrlichen helfen. Wir nehmen alles hier Erbeutete, lebende oder tote Schätze, mit nach Lagos und schicken es von da durch den nächsten Postdampfer nach Hause. Papa wird sich freuen, wenn für die großen Kosten dieses Unternehmens schon so bald Erfolge einlaufen.«

Die beiden niedlichen Kätzchen gingen von Hand zu Hand. Sie waren noch sehr jung, konnten nicht essen und nicht so recht laufen, daher verursachte es wenig Schwierigkeit, sie fortzubringen. In dem Lendentuch des einen Negers, der es hier im Urwalde mit der üblichen Sitte der Bekleidung nicht so genau nahm, wurden sie weich gebettet, und während nun die Schwarzen sich daran machten, die unterdes verendete Schlange abzuhäuten und auch die alte Zibetkatze wieder ans Tageslicht zu befördern, gingen die vier Weißen mit dem Dolmetscher über die Lichtung, dem nahe belegenen Termitendorfe zu. Als man den zerstreut liegenden Pyramiden bis auf wenige Schritte gegenüberstand, erhoben sich aus dem Gebüsch mehrere kleine, zwerghafte Gestalten von gelbgrauer Farbe, nur einen bis anderthalb Meter hoch, kränklich aussehend und vollkommen unbekleidet, von erschreckender Häßlichkeit. Sie streckten mit einer Art von Bettlergebärde und kläglich wimmerndem Tone den Schwarzen sowohl wie den Weißen ihre Hände entgegen.

» Zwerge!« rief voll Erstaunen der Doktor. »Es ist also doch wahr, daß im Innern Afrikas ganze Zwergvölker leben.«

Achilles mußte nun die kleinen, schmutzigen Menschen ausfragen, und was er erfuhr, war folgendes. Die Zwerge nannten sich Obongos, sprachen von ihren Verwandten, den Akkus und Dokos, aber sie hatten, so lange sie lebten, nie ein Dorf bewohnt, einen König gehabt oder zu ihrem Lebensunterhalt durch Arbeit das Geringste beigetragen, ja sie waren daran gewöhnt, auf Bäumen zu schlafen und ohne alle Kleidung einherzugehen. Ihre Nahrung bestand aus Wurzeln, Beeren und Heuschrecken, die roh in zerquetschtem Zustande verzehrt wurden.

»Ob es viele von ihnen gebe?« fragte begierig der Doktor durch den Mund des Dolmetschers.

Sie schüttelten die Köpfe, und ihre trübseligen Mienen wurden immer trübseliger. Die Sonne versank unzählige Male, bevor sie in den Wäldern einen einzigen ihrer Brüder antrafen.

Man schenkte ihnen von den mitgebrachten Cakes und Fleisch und sah dann die kleinen Gestalten wie in den Boden hinein verschwinden. Diese ganze Art stand offenbar auf der niedrigsten Stufe menschlicher Entwicklung.

Jetzt waren auch die Termitenbauten erreicht. Schwarze, spitze Hütten, an den Außenseiten vielfach höckerig und wie mit Stufen, zahllosen Einschnitten und Erhöhungen versehen, so zeigten sie sich den Beschauern, die vergeblich versuchten, mittels ihrer Messer Stücke dieser Wände loszubrechen. Das Gemäuer war von fester Tonerde, und erst als Franz einen schweren Stein aufhob und ihn gegen die höchste Spitze warf, fiel ein schwarzer Klumpen zu Boden. Inwendig zeigten sich solche Gänge oder Rinnen, wie man sie als die Zerstörungswege der Maden im Käse kennt, natürlich nur bedeutend breiter.

Die Beute wurde der anderen zugefügt, und dann wanderte man dem Saume des Waldes wieder zu. Die schillernde Schlangenhaut sowohl als auch der Balg der Zibetkatze lagen schon zum Trocknen auf dem Rasen und waren nach Holms zufriedener Bestätigung wie vom besten Kürschner abgezogen worden. Das Fell des Raubtieres hatte eine schöne graue Grundfarbe mit launenhaft und unregelmäßig darüber hergestreuten schwarzen Flecken und Streifen; es zeigte die starke, schwarze Rückenmähne, den spitzen Kopf und den schlanken Körperbau der Gattung und maß von der Schnauze bis zur Schwanzspitze etwas mehr als einen Meter. Holm sagte, daß man eine afrikanische, eine amerikanische und eine asiatische Zibetkatze kenne, ebenso eine sehr selten gefundene europäische, und daß diese Tiere den in der Medizin bekannten Zibet lieferten. Die Nubier und Abessinier zähmen sie und drücken ihr wöchentlich zweimal den in einer Blase am Bauch befindlichen Zibet heraus, – in der Freiheit tut es das Tier selbst.

Mit Schlangenhaut, Balg und Kätzchen beladen, wanderte die Jagdgesellschaft zum Dorf zurück, nicht ohne jenseits des Baches nochmals den braunen Heerwurm ziehen zu sehen. Gottlob ließ er die Negerhütten weit links liegen.

Als man ankam, war die Sonne fast versunken, und um das Dorf herum lagerte eigentümliche Stille. Alle Feuer schienen erloschen, alle Bastvorhänge waren geschlossen und auf den Straßen niemand zu sehen, obgleich noch die letzten Sonnenstrahlen den Waldrand umsäumten. »Wie kommt das?« fragte Holm.

Die Neger taten sehr geheimnisvoll. »Ilogo!« flüsterten sie und beeilten sich, so rasch als möglich die Hängematten der Weißen an den Bäumen zu befestigen. Dann waren sie über alle Berge, und kein Rufen oder Bitten brachte sie zurück.

Die Weißen sahen einander erwartungsvoll an. Was mochte jetzt bevorstehen und was konnte das Wort »Ilogo« bedeuten?

Sie sollten es sehr bald erfahren. Immer tiefer senkte sich die Nacht, am Himmel glänzte mit hellem Schein der Vollmond und weiß und silbern lag auf den Hütten das milde Licht. Aus der Wohnung des Königs hervor trat in diesem Augenblick ein Mann, dessen schwarzer Körper vom Kopf bis zu den Füßen mit abwechselnd weißen und roten runden Flecken übermalt war. Die Arme gekreuzt, den Kopf zurückgebeugt und die Blicke zum Himmel erhoben, so begann der schwarze Monarch langsam die Dorfstraße hinabzutanzen. Kein Laut begleitete dies sonderbare Vornehmen, tiefe Totenstille lag auf der ganzen Umgebung, und selbst unsere Freunde unterhielten sich nur flüsternd. Was da der arme, unwissende Neger tat, das war zwar für den ersten Anblick komisch genug, aber trotzdem schimmerte immer hindurch eine Ahnung von höheren Gewalten, der er diesen seltsamen Ausdruck verlieh.

»Alle Naturerscheinungen finden unter diesen Heidenvölkern göttliche Verehrung,« belehrte der Doktor. »Die für böse gehaltenen werden gefürchtet, und die guten denkt man sich gewissermaßen wie Heilige. Gott selbst heißt: »Mawu«, der Himmel »Osi«, die Sternschnuppen »Nyikpla«, der Blitz »Nebroso«, der Donner »Agtui«, die Erde »Anyigba«, die Luft »Thama« und endlich der Fürst der Finsternis »Abosam«. – Ilogo wird also wohl der Mond sein; ich finde diese Art von Naturkultus zum mindesten poetischer als die Anbetung von Götzenbildern. Ist er nicht eine ›Stimme von oben‹, der alte lächelnde Geselle, dessen Rund jetzt über der Villa eurer Eltern in Dockenhuden ebenso hell glänzt wie hier unter dem Äquator, Tausende von Meilen weit?«

»Oder auch tief unter grauen, nordischen Wolken versteckt ist,« sagte etwas erzwungen der junge Gelehrte, und damit war glücklich die ernst gewordene Stimmung verscheucht. Man schlief, als der tanzende König den Blicken entschwunden war, sanft von linden Lüften geschaukelt, ruhig und ungestört bis an den hellen Morgen.

Hans erkundigte sich, sobald er aufgestanden, d. h. fünf Fuß tief auf den Erdboden hinabgesprungen war, zuerst nach seinen Kätzchen. Achilles hatte sie einer säugenden Hündin in die Mutterpfoten gelegt, und hier teilten sie brüderlich mit einer Schar krabbelnder, noch blinder Hündchen, ihren Erzfeinden, die labende Milch; der jugendliche Eigentümer wußte also seine Jagdbeute vollkommen in Sicherheit und konnte sich mit Muße anderen Angelegenheiten widmen, namentlich der komischen Verzweiflung des Doktors, welcher Kaffee, Handtücher und warmes Wasser äußerst schmerzlich vermißte. Den Trank der Kolanuß erklärte er für Lehmwasser und die Maniokkugeln für Steine; erst als der grüne Wald ihn wieder umgab, und der Blick des Botanikers in ihm so viele neue Schätze entdeckte, da taute er auf. Heute sollte das Mittagsmahl aus eigenen Vorräten im Freien gehalten werden, man wollte den ganzen Tag jagen und hatte noch zu aller Vorsicht ein halbes Dutzend Neger mehr mitgenommen. Der Ausflug versprach daher eine Reihe von Genüssen, vielleicht auch von Gefahren, aber das schreckte nicht. Wer eine wissenschaftliche Weltreise mitmachte, der mußte die Furcht zu Hause lassen.

Heute ging es nach völlig veränderter Richtung vorwärts; man wandte sich einer schilfumwachsenen Sumpffläche zu, und zwar um womöglich ein paar Krokodile aus der Nähe zu sehen. Hier war nun zum erstenmale der wirkliche Urwald zu durchklettern. Schönheit überall, mehr Formenfülle und Farbenpracht als sonst irgendwo bei einander sind, aber dafür nirgends jener majestätische, ruhige Zauber des deutschen Hochwaldes. Aus ungezählten Baumarten bestehend, hier hoch, dort niedrig, hier mit breiten, dunklen, lederartigen Blättern, dort hellgrün und kraus wie Riesenfarne im ersten Frühlingsschmuck, so erglänzte das Laub in allen erdenklichen Schattierungen. Orchideen mit ihren zierlichen Luftwurzeln, purpurrot und violett, die Blütentrauben der Fuchsie, Magnolien, ungeheure Lilien und Kommelinen, alles kletterte von Stamme zu Stamm schaukelte in den Lüften und hing wie ein dichter, bunter Teppich, von den Ästen herab. Tausend kleine Singvögel schwirrten dazwischen, alle Farben glänzten im Sonnenlicht, alle Formen zeigten die reiche tropische Vollentfaltung.

Besonders erschwerten die überall zu Tage tretenden Luftwurzeln das Gehen. So ein einziger Armleuchter-Pandang verursachte für sich allein einen weiten Umweg. Etwa zwei Meter vom Erdboden schlossen sich die strahlenförmigen Ausläufer wie ein ungeheurer Hühnerkorb zusammen und bildeten den glatten Stamm, dessen Äste erst ganz in der Krone begannen. Sechs bis zehn regelmäßig stehende Arme trugen wie die eines Kronleuchters je einen Büschel steifer, dunkelgrüner, geradeausstehender Blätter, und zwischen diesen befand sich die Blüte, eine weiße, länglichrunde, große Blume, die genau wie eine Lampenglocke aussah. Der Baum war hübsch und eigentümlich, aber die Mühe ihn zu umgehen desto unangenehmer. Überall stolperte der Fuß, überall blieben die Kleider in Fetzen an den Gebüschen hängen, und zuweilen versank man bis ans Knie jählings in einen vermoderten, außen mit den verlockendsten Blüten überzogenen, alten Baumstamm. Dabei füllte sich die Luft mehr und mehr mit einem Etwas, das sich die Wanderer durchaus nicht erklären konnten. Bald kam es, bald verschwand es, aber was es eigentlich war, das wußte keiner, bis endlich Holm ausrief: »Das ist Rauch!«

»Ich dachte es längst!« nickte Franz, »und wollte nur das Wort nicht aussprechen, um keine Dummheit zu Markt zu bringen. Woher sollte im Urwald Rauch kommen?«

»Freund Achilles, weißt du es?«

»Gallinas!« antwortete der Dolmetscher. »Elefantenjäger. Sie treiben die umzingelte Herde bis an den versumpften See und stecken hinter ihnen das Gras in Brand. Die Tiere, vom Feuer auf das äußerste erschreckt, sind dann leichter zu töten.«

»Der Rauch kommt von Osten her,« rief Franz. »Achilles, gibt es eine Stelle, von wo wir die Jagd mit ansehen könnten?«

»Aber, aber,« wehrte Doktor Volten, »kann man den Gallinas trauen?«

»Sie greifen uns wenigstens nicht an,« versetzte der Dolmetscher.

Obgleich die Antwort etwas seltsam klang, war doch das Verlangen nach dem aufregenden Jagdgenuß zu groß, um lange Bedenken zu hegen. Achilles glitt voran, die übrigen folgten, und nach einer halben Stunde anstrengenden Marschierens war der Rand des Sumpfes erreicht. Ein unbewachsener, von Büffel- und Elefantenspuren bedeckter freier Platz, gedörrt fast durch die senkrecht fallenden Sonnenstrahlen, lehmfarbig und fahl, abstechend von der farbenprächtigen Umgebung, lag genau in der Mitte eines halbmondförmigen Sees, dessen trübe, grünliche Wellen ihn bis auf einen schmalen Zugang völlig einschlossen. Vor diesem Platz dehnte sich grasüberwuchert in den stechenden Sonnengluten eine kahle nur hier und da mit Reis oder Zuckerrohr bestandene Fläche.

Am jenseitigen Ufer lagerten unter den schattenspendenden Stammkolonien des in mehr als fünfzig Säulen aus einer Wurzel aufschießenden Dubabelbaumes unsere Freunde. Der Rauch schlug jetzt in hohen, blaugrauen Wellen über die Lichtung dahin, und zuweilen war es auch, als höre man fernes Donnern.

»Das sind die Elefanten,« sagte Achilles, »sie kommen hierher, weil ihnen jeder andere Weg abgeschnitten wird. Hinein in den See wagen sie sich aber nicht, – die Gallinas machen sich ihre Furcht vor den Alligatoren zur Verbündeten.«

»Welche Waffen führen diese Leute?« fragte Franz.

»Vergiftete Pfeile,« antwortete der Dolmetscher. »Man trifft den Elefanten ins Auge, und er verendet sofort. Die Gallinas sind vortreffliche Schützen.«

Jetzt stampfte die Schar der Kolosse heran. Helles, offenbar angstvolles Trompeten mischte sich mit dem kläglichen Geschrei anderer Tiere, die ungeheuren Füße ließen den Boden erdröhnen, und das Knistern der Flammen wurde hörbar. Am Himmel sammelte sich während dessen eins der in den Tropenländern so zahlreich und so überaus schnell entstehenden Gewitter. Schwarze Wolken hingen tief herab, Blitze zuckten über den Horizont dahin, und krachende Donnerschläge übertönten allen andern Lärm. Jetzt entstand ein Durcheinander, dessen tausendstimmiger Chor alles in sich schloß, was an Tönen überhaupt gedacht werden kann. Schwere Regentropfen schmetterten die Früchte von den Zweigen, ein sausender Wind bog und schüttelte die Laubkronen, Tiere flüchteten und schrieen, Affen in ganzen Scharen duckten sich zitternd an einander, Insekten suchten ihre Schlupflöcher, und scheue Vögel verbargen sich im Dickicht. Jetzt erschienen auch in fliegender Eile die vom Feuer aus dem hohen Gras vertriebenen Tiere; wenigstens zwanzig Elefanten, große Männchen mit den gewaltigen Zähnen und der Trompetenstimme, säugende Kühe mit noch kleinen Kälbern, ein paar Büffel und Antilopen, grunzende Warzenschweine und eine schlanke, scheue, vor Angst zitternde Giraffe. Neben und durch einander, sich überstürzend, drängend, schossen sie vorwärts, und hinterher wälzte sich die Flammenwoge, niedergepeitscht, raucherfüllt, mit gierigen, roten Zungen nach allen Seiten leckend, ein Ungeheuer, raublustiger und gefährlicher als irgend ein Tier der Schöpfung.

Es war ein schrecklicher und doch schöner Anblick. Zitternd in grenzenloser Angst die Riesen der vierfüßigen Gattung, vergessen aller Vernichtungskampf der Geschöpfe unter einander, gelöst alle Bande und machtlos der drohende Blick des Todfeindes, des sonst so gefürchteten. Schleichkatze und Antilope stehen neben einander, die gefleckte falsche Hyäne, das treuloseste Tier der Schöpfung, duckt sich unter die bebende Giraffe, und ein versprengter Strauß huscht hier und dort zwischen den großen Elefanten umher.

Nur die Krokodile lauern. Träge im Uferschlamme liegend, wissen sie, daß es ihnen nicht gelingt, auf festem Boden die Beute zu besiegen. List allein kann ihnen helfen, in offenbarem Angriff ziehen sie den kürzeren. Die raublustigen Augen blinzeln, die schmutzfarbenen, altem Holze nicht unähnlichen Körper schieben sich mehr und mehr aus dem Wasser heraus.

Vielleicht kommt ja eines der Tiere dem gefahrbringenden Ufer zu nahe, vielleicht läßt sich ein in seiner Todesangst wehrloses Geschöpf im Rücken fassen und hinabziehen in das nasse Grab.

Abgesondert von dem eigentlichen Waldrande, der brennenden Grasfläche ganz nahe, steht ein hoher, alter Tamarindenbaum. Zehn Fuß hoch über dem Erdboden, hinaushängend auf den See, beugt sich ein schlanker, starker Ast. – Jetzt hat ihn die rote Lohe beinahe erreicht, – wird der Riese unter seiner Umgebung, der Uralte des Waldes, dem gefräßigen Elemente zum Opfer fallen?

Da zuckt ein Blitz herab, greller und stärker als alle früheren, blendend und purpurn, zischend und vom betäubenden Donner gefolgt. Das ist, als wolle die Erde in ihren Tiefen bersten, als breche furchtbar und urplötzlich der jüngste Tag herein.

Weit zurück geschleudert in das Feuermeer ist die Krone des Tamarindenbaumes, in der Mitte geknickt der Stamm, und nur noch jener starke, untere Ast ragt über das Wasser dahin. Glut mischt sich mit Glut; jetzt schlägt eine Feuergarbe hoch empor, es bäumt und regt sich rauchverhüllt und von Blättern bedeckt, der Ast schwankt und auf ihm sitzt geduckt, glänzende Augen rollend, mit schweratmenden Flanken ein Leopard.

Hinter dem Feuer, vom Waldrande kommend und über die rotglühenden Stoppeln dahinblickend, erscheinen schwarze Gestalten in arabischer Kleidung, weiß beturbant und mit langen Wurfspießen, mit Bogen und vergiftetem Pfeil.

Hin und her über die Angehörigen der vernunftlosen Schöpfung messen sich die Blicke erstaunter Menschen.

Sind sie Feinde, die Gallinas?

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Franz sah nur den Leopard. Von diesem Ast konnte er nicht fort, weder in die brodelnde Glut noch in den See hinein! Das Herz des jugendlichen Jägers schlug mit verdoppelter Eile, er sprach nicht, dachte nicht einmal, sondern handelte unter dem Eindruck des Augenblickes. Das Gewehr an die Backe legend, zielte er sekundenlang, der Schuß krachte, – und der Leopard fiel, sich überschlagend, bis ganz nahe an den Sumpf. Obwohl seine hastigen Bewegungen zeigten, daß er noch lebte, so war doch jedenfalls sein baldiger Tod gewiß.

Zwei Gallinas sprangen herzu, um die Beute den Krokodilen zu entreißen. Die anderen berieten flüsternd, offenbar mit Bezug auf die Weißen. Doktor Bolten und Holm waren von dem Jagdeifer ihres jungen Gefährten unterdessen angesteckt worden, ebenso Hans. Schuß krachte auf Schuß, zwei der größten Elefanten wälzten sich in ihrem Blute, ein Büffel hatte schon mehrere Kugeln auf den Pelz bekommen, doch ohne sich sonderlich darum zu kümmern, und auch eine Antilope war getötet. Die Wilden schossen ihrerseits gar nicht. Es schien ihnen offenbar bequemer, sich das Wild vor die Füße legen zu lassen, als selbst ihre wertvollen Pfeile zur Erlegung desselben zu verschwenden; ganz in aller Stille aber teilte sich der Trupp, und ohne daß es die Weißen merkten, waren sie eingeschlossen.

Das Getümmel vor dem See nahm indessen zu. Einer der Elefanten stürzte ganz in der Nähe der Giraffe, und diese trat erschreckend zurück bis an den Rand des Sumpfes. Sofort erhoben sich zwei der scheußlichen Ungeheuer halben Leibes aus dem Schlamm und packten mit ihren fürchterlichen Rachen das lautschreiende Tier, welches sich aus allen Kräften, aber natürlich vergebens, gegen diese Übermacht zu sträuben versuchte. Ehe eine Minute verging, gurgelte das grünliche Wasser und trieb Blasen, dann aber schloß es sich über dem Opfer, dessen Verderben die Schützen nicht gewollt hatten, und das nun von den blutdürstigen Räubern der Tiefe in Stücke zerrissen wurde. Zuweilen tauchte aber bei dem erbitterten Kampfe, welcher ohne Zweifel auf dem Grunde des Sees entstanden war, der Kopf des einen oder anderen Krokodils plötzlich hervor, und um einen solchen Augenblick zum wohlgezielten Schusse zu verwenden, schlich Franz mit leisen Schritten in das Gebüsch hinein. Die hintere Mitte des Halbmondes war bedeutend breiter als die beiden Ausläufer, daher hoffte er am Rande der letzteren im gegebenen Fall sicherer zielen zu können.