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Levi Harris hatte noch nie einen Grund, sich anständig zu verhalten. Nichts, was er tut, ist je gut genug für seine Familie, seine Lehrer, seine Chefs, seine Ausbilder. Er kann nichts richtig machen, also warum sollte er es überhaupt versuchen? Dann wird er bei einem Einbruch erwischt, und ihm ist klar, dass er jetzt ins Gefängnis muss. Oder doch nicht? Austin Caldwell ist alles andere als begeistert, als er einen Einbrecher in seinem Haus ertappt. Aber als er dem Eindringling gegenübersteht, sieht er sich selbst in den verängstigten Augen. Er weiß besser als die meisten anderen, wie sehr das Gefängnis Menschen verändert, bevor es sie wieder ausspuckt. Vielleicht, nur vielleicht, kann er Levi vor diesem Schicksal bewahren. Und so kommt es zu einem ungewöhnlichen Deal, bei dem Levi seine Schulden bei Austin abarbeiten soll. Als das Vertrauen zwischen den beiden wächst, entwickelt sich auch eine unbestreitbare Anziehungskraft. Vor allem, als Austin Levis bisher unerforschte Begierden erkennt. Er beginnt, seinem unterwürfigen Schützling eine ganz neue Welt der Sinnlichkeit zu eröffnen. Levi ist im Himmel. Endlich ist er erwünscht. Und zum ersten Mal in seinem Leben hat er etwas zu verlieren. Alles, was er tun muss, ist, sich von Ärger fernzuhalten. Und hoffen, dass der Ärger ihn nicht findet.
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Seitenzahl: 812
Veröffentlichungsjahr: 2025
L.A. Witt
© dead soft verlag, Mettingen 2024
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© the author
Titel der Originalausgabe: The Right to Remain
Übersetzung: Abby H. Arthur
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte: © Tobias – stock.adobe.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-794-1
Levi Harris hatte noch nie einen Grund, sich anständig zu verhalten. Nichts, was er tut, ist je gut genug für seine Familie, seine Lehrer, seine Chefs, seine Ausbilder. Er kann nichts richtig machen, also warum sollte er es überhaupt versuchen?
Dann wird er bei einem Einbruch erwischt, und ihm ist klar, dass er jetzt ins Gefängnis muss. Oder doch nicht?
Austin Caldwell ist alles andere als begeistert, als er einen Einbrecher in seinem Haus ertappt. Aber als er dem Eindringling gegenübersteht, sieht er sich selbst in den verängstigten Augen. Er weiß besser als die meisten anderen, wie sehr das Gefängnis Menschen verändert, bevor es sie wieder ausspuckt. Vielleicht, nur vielleicht, kann er Levi vor diesem Schicksal bewahren.
Und so kommt es zu einem ungewöhnlichen Deal, bei dem Levi seine Schulden bei Austin abarbeiten soll.
Als das Vertrauen zwischen den beiden wächst, entwickelt sich auch eine unbestreitbare Anziehungskraft. Vor allem, als Austin Levis bisher unerforschte Begierden erkennt. Er beginnt, seinem unterwürfigen Schützling eine ganz neue Welt der Sinnlichkeit zu eröffnen.
Levi ist im Himmel. Endlich ist er erwünscht. Und zum ersten Mal in seinem Leben hat er etwas zu verlieren. Alles, was er tun muss, ist, sich von Ärger fernzuhalten.
Levi
Ich entriegelte das Tor und öffnete es leicht.
Trotz des Schmierfetts, das ich vor ein paar Tagen aufgetragen hatte, quietschten die Scharniere und entlockten mir ein gezischtes „Hurensohn“.
Im Nu schossen zwei riesige Schäferhunde um die Ecke des Hauses. Sie bellten und knurrten, wahrscheinlich bereit, mir an die Gurgel zu gehen, vor allem, weil ich in ihren Garten schlüpfte und das Tor hinter mir schloss. Ich konnte es nicht riskieren, wegzulaufen, da mich die Nachbarn sehen könnten. Zum Glück hatte ich für alle Fälle vorgesorgt, auch für den Fall, dass ich versehentlich die großen, territorialen Hunde alarmieren würde.
„Hallo, ihr zwei“. Ich sprach in einem absolut freundlichen und säuselnden Tonfall und streckte meine Hände aus. „Seid ihr lieb?“
Die Hunde blieben zwar stehen, knurrten aber immer noch und fletschten die Zähne. Zum Glück war es helllichter Tag, sonst wären sie furchterregend gewesen. Ich nahm sie ernst – niemand, der bei Verstand ist, unterschätzt Hunde jedweder Größe, die ihr Revier verteidigen –, hatte aber keine Angst vor ihnen.
Ich bewegte mich langsam, hielt eine Hand zum Schnüffeln ausgestreckt und griff mit der anderen in meine Tasche. Die Plastiktüte darin knisterte.
Der etwas kleinere Hund legte den Kopf schief, offensichtlich interessiert. Der andere knurrte, doch ein weiteres Rascheln der Tüte zog auch seine Aufmerksamkeit auf sich.
Meine Bewegungen hielt ich immer noch betont langsam und zog meine Hand zurück, woraufhin ihre Schnauzen sofort zu zucken begannen, da sie wohl den Geruch der Speckstreifen wahrgenommen hatten.
„Willst du einen?“ Vorsichtig bot ich ein paar Streifen an. Die Hunde zögerten, reckten dann aber ihre Hälse. „Ist schon gut. Das ist Speck. Der ist lecker!“
Die Tasthaare des größeren Hundes kitzelten meine Finger. Dann zupfte er mir sanft, fast zärtlich, ein paar Streifen aus der Hand. Das war der Anreiz, den der zweite Hund benötigte. Die anderen drei Streifen, die ich angeboten hatte, verschwanden nach zweimaligem, gierigem Schnappen. Der erste Hund war mit seiner Portion fertig und beide setzten sich brav hin, stellten die Ohren auf und wedelten mit dem Schwanz. Ich gab ihnen den Rest.
„Okay, das ist alles, was ich habe.“ Ich zeigte ihnen meine Handflächen. „Los. Geht spielen!“
Als das nicht klappte, sah ich mich um und fand am Zaun einen Stock. Ich warf ihn und die beiden rannten los. Der kleinere Hund erreichte den Stock als Erster. Beide bellten und knurrten, während sie um den Stock kämpften und mich dabei völlig vergaßen.
Ich lächelte vor mich hin. So viele Menschen hielten sich Hunde, weil sie dachten, sie würden sie vor Eindringlingen schützen. Das Problem war nur, wenn der Eindringling Hunde verstand, vorbereitet war und sich mit ihnen anfreundete, waren die Tiere ... nun ja, viel weniger effektiv. Manchmal traf ich auf richtige Wachhunde, die überhaupt nicht an meinen Beschwichtigungsversuchen interessiert waren. Wenn das passiert war, bin ich weggelaufen. Ich wollte keinem Tier etwas zuleide tun.
Diese beiden waren groß und furchterregend, aber es waren Teddybären. Zuerst die Tiere, dann die Sicherheitsvorkehrungen. Ein paar freundliche Worte, etwas leckerer Speck, und sie waren die besten Freunde dieses Mannes.
Während sie in der späten Morgensonne spielten, ging ich um das Haus herum zur Rückseite.
Das Haus war groß – laut Internet etwa 278 Quadratmeter – und wurde gerade renoviert. Soweit ich sehen konnte, wurde der zweite Stock um einen Raum über der Garage erweitert und im Erdgeschoss ein zusätzlicher Raum an der Rückseite des Gebäudes angebaut. Die Fundamente waren bereits gegossen worden, das Gerüst aufgebaut und mit Plastikfolien vor der Witterung geschützt.
Und – theoretisch – vor jemandem wie mir.
Im Moment arbeitete jedoch niemand daran. Als ich mich in der Nachbarschaft umhörte, erfuhr ich, dass der Hausbesitzer die Arbeiten selbst durchführte, und zwar hauptsächlich nachts und an den Wochenenden. Wahrscheinlich, wenn er nicht bei der Arbeit war. Die Arbeit, zu der er pünktlich wie ein Uhrwerk von Montag bis Freitag um acht Uhr fünfzehn aufbrach und (je nach Verkehrsaufkommen, wie ich annahm) zwischen sechs Uhr fünfundvierzig und sieben Uhr dreißig zurückkehrte.
Wenn ich eines über Eigenheimbesitzer gelernt habe, dann, dass sie zu faul sind, ihre Sachen wegzuräumen. Eine ungesicherte Baustelle war eine Goldgrube für Elektrowerkzeuge.
In den seltenen Fällen, in denen die Leute klugerweise ihr Werkzeug in der Garage aufbewahrten, war diese eben die Schatzkammer. In der Regel brauchte es nicht viel, um von der Garage in den Hauptteil des Hauses zu gelangen. Mal ehrlich, wie viele Leute schlossen die Tür zwischen Küche und Garage ab (Spoiler: sehr, sehr wenige)?
Der Einstieg durch den renovierten Bereich war simpel. Handschuhe anziehen. Plastik hochheben. Darunter hindurchgehen. Gähnen.
Um die Kameras machte ich mir keine Sorgen. Der Dummkopf von Hausbesitzer hatte sie unauffällig überall in seinem Haus und Garten installiert, aber wie so viele Leute hatte er nie daran gedacht, den Benutzernamen und das Kennwort zu ändern, welche ab Werk installiert worden waren.
Profi-Tipp, Leute: Ändert nach dem Kauf Benutzernamen und das Kennwort für den Administrator.
Ein paar Mal tippte ich auf meinem Handy und schon hatte ich mich noch vor der Haustür in sein Netzwerk eingeklinkt, seine Kamera überredet, die letzte halbe Stunde in Dauerschleife abzuspielen, und all die verschiedenen „intelligenten“ Sicherheitsfunktionen deaktiviert, die ihm wahrscheinlich jemand für seinen „Seelenfrieden“ verkauft hatte.
Unbemerkt vom Hausbesitzer und seinem Seelenfrieden betrat ich das Haus.
Ein Verlängerungskabel lag wie eine tote Schlange mitten auf dem unfertigen Fußboden neben den Sägeböcken. Ein paar Eimer standen ordentlich an der Seite, aber nichts Brauchbares. Einige Handwerkzeuge, aber nichts, was sich zu einem guten Preis verkaufen ließe. Mein Rucksack hatte nur so viel Platz, dass ich ihn für die Elektrowerkzeuge und alles, was wertvoll genug war, um es zu verkaufen, aufsparen musste. Außerdem waren die Werkzeuge schwer – es machte keinen Sinn, mich mit billigem Zeug zu belasten.
Dieser Teil der Baustelle war also ein Reinfall, aber es war auch erst zehn Uhr fünfzehn und es gab noch viele andere Bereiche zu durchsuchen, aber auch noch viel Zeit, um die guten Dinge zu finden, die ein Haus in so einer schönen Gegend haben musste. Vor allem, wenn es jemandem gehörte, der allein lebte (was bedeutete, dass er es sich selber leisten konnte) und ein anständiges Auto fuhr. Es war nicht jemand, der sich von Fertiggerichten ernährte, während er normales Kabelfernsehen sah.
Die Tür, die von der Baustelle zum Haupthaus führte, war verschlossen, aber dafür hatte Gott ja den Dietrich erfunden. Nach einigem Rütteln und Klicken ging sie auf. Ich blickte über die Schulter. Die Hunde spielten immer noch im Gras, ohne zu merken, dass ich ihr Haus betreten hatte.
Ihr seid ja tolle Wachhunde.
Sobald ich im Haus war und die Tür hinter mir geschlossen hatte, blieb ich stehen und lauschte. Stille. Kein Alarm. Keine anderen Hunde. Kein Anzeichen von Leben. Perfekt.
Ich grinste. Zeit zum Einkaufen.
Ich ließ mir Zeit. Der Vermieter würde erst in ein paar Stunden nach Hause kommen. Ich hatte keine Eile.
Im Wohnzimmer beobachtete mich eine gestromte Katze – vielleicht eine Maine Coon; Größe und die Büschel an den Ohren wären passend – desinteressiert von ihrem Sitzplatz am Boden inmitten eines Sonnenstrahls. Ich kraulte ihr im Vorbeigehen das Kinn. Was sollte ich sagen? Ich hatte eine Schwäche für Tiere.
Aber ich war nicht hier, um das Kätzchen zu streicheln. Weiter.
In diesem Teil des Hauses standen ein paar kleine elektronische Geräte. Eine Nintendo Switch, Xbox-Controller, Gaming-Kopfhörer. Der Fernseher war zu groß, um ihn unauffällig nach draußen zu tragen, doch da ich Zeit hatte, könnte ich mein Auto in der Garage parken und den Fernseher und einige der größeren Geräte einladen. Das hatte ich schon bei vielen Häusern gemacht und der Besitzer würde erst in ein paar Stunden zurück sein.
Da ich das Auto nicht mitgenommen hatte, war es für den Moment keine Option, aber es war auch so ein guter Anfang und ich war ja auch noch nicht fertig.
Etwas knarrte.
Ich erstarrte und mein Herz schlug wie wild. Die Hunde waren noch draußen. Die Katze hatte sich nicht bewegt, außer dass sie sich die Pfote leckte.
Ich wartete. Lauschte.
Nichts.
Das passierte manchmal. Häuser machten Geräusche und Geräusche machten Einbrecher paranoid. So konnten wir Dinge wie Kugeln und Handschellen vermeiden, zwei unglaublich effektive Methoden, um jemandem den Tag zu verderben.
Als ich nichts mehr hörte und auch die Katze entspannt blieb, hielt ich die Geräusche für den Wind oder so etwas und fuhr mit meiner Erkundung fort. Im ersten Stock gab es einige verschlossene Türen, darunter eine, die von der Küche abging. Wahrscheinlich führte sie in die Garage. Ich brach sie auf, um nachzusehen – eine Waschküche mit einer Tür, die, so wie ich den Grundriss des Hauses verstand, zur Garage führte. Auch diese war, wenig überraschend, nicht verschlossen. Das war gut. Ich würde auf dem Weg nach draußen noch einmal darauf zurückkommen. Es gab auch eine Seitentür (das war mir bei der Besichtigung des Hauses aufgefallen), durch die ich unbemerkt verschwinden konnte. Dann würde ich einfach mit dem Auto zurückkommen.
Aber vorher wollte ich noch ein paar Sachen mitnehmen, damit sich der Besuch lohnte, falls ich frühzeitig wieder gehen musste oder doch nicht mit dem Auto zurückkommen konnte. In einem Haus wie diesem sollte es ein Büro oder ein Arbeitszimmer geben und dort befanden sich oft einige wertvolle Gegenstände, also versuchte ich es mit den anderen Türen. Eine führte in ein Gästezimmer, das sich als großer Reinfall entpuppte. Nun gut. Ich würde mir die anderen Räume auf dieser Ebene ansehen und dann nach oben gehen, um zu überprüfen, was das Hauptschlafzimmer zu bieten hatte.
Als ich zum nächsten Zimmer im Erdgeschoss ging, glaubte ich, etwas zu hören. Ich legte meine Hand auf die Türklinke, aber bevor ich sie herunterdrückte, hielt ich noch einmal inne, um zu lauschen. Immer noch nichts. Entweder setzte sich das Haus oder die Hunde machten draußen Geräusche.
Ich versuchte es mit der Türklinke, aber die Tür war verschlossen. Oh, das war vielversprechend. Die meisten Leute schlossen ihre Wäscheschränke nicht ab, also war die Chance groß, dass auf der anderen Seite etwas war, das sich lohnen würde.
Ich holte meinen Dietrich aus der Tasche, ging in die Hocke und machte mich an die Arbeit. Mit bloßen Händen wäre es eine Million Mal einfacher gewesen, aber in den Knast zu gehen, war viel beschissener, als mit Handschuhen ein Schloss zu knacken, also beschwerte ich mich nicht. Außerdem hatte ich so viel Übung, dass es nicht lange dauerte, bis das Schloss geknackt war.
„Jetzt hab ich dich“, murmelte ich leise, als das Schloss endlich nachgab. Ich steckte den Dietrich in meine Gesäßtasche, stand auf und stieß die Tür auf.
Noch bevor ich das Licht anknipste, schlug mir der kombinierte Geruch von Leder und Latex in die Nase. Das war merkwürdig.
Dann drückte ich den Schalter.
Und …
Hm.
Wow.
„Was zum Teufel?“, flüsterte ich, während ich eintrat. In dem Zimmer stand ein Bett, aber es war kein normales Gästebett, nicht wie das nebenan. Die Kissen und Bettdecke waren in rot-schwarz gehalten. Von den Bettpfosten baumelten Handschellen und Fesseln, an denen Vorrichtungen angeschweißt waren, die wahrscheinlich für weitere Fesseln, Handschellen, Seile oder was auch immer verwendet werden konnten. Die Wände waren so gestrichen, dass sie aussahen, als bestünden sie aus beschädigten Ziegelsteinen, was einige der an verschiedenen Stellen hervorstehenden Ösenschrauben nicht auffallen ließ.
An der Wand hing ein großes X aus Metall und die Ledermanschetten an allen vier Enden jagten mir eine Gänsehaut über den Rücken. Hat dieser Kerl Leute an dieses Ding gefesselt? Und dann hat er … was genau?
Die zweite Frage war einfach zu beantworten. In einer ordentlichen Reihe hingen an Metallhaken aufgerollte Seile, Peitschen, etwas, das wie eine neunschwänzige Peitsche aussah, und alle möglichen gruselig aussehenden Kombinationen aus Leder und Metall. War das … War das ein Paddel mit einer Metallplatte mit Diamantenmuster darauf? Ach du Scheiße.
Und es blieb nicht bei den Utensilien zum Fesseln und Schlagen. In einer gläsernen Vitrine lagen mehrere dünne Metallstäbe in verschiedenen Stärken und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wozu sie benutzt wurden. Es gab Metallklammern in verschiedenen Größen, ein seltsames Rad mit Stacheln am Ende eines langen Stiels, und ich war mir ziemlich sicher, dass diese metallenen Dinger, die wie Folterwerkzeuge aussahen, dazu bestimmt waren, jemanden zu quälen. Äh … Au?
Ich wollte mir nicht vorstellen, wofür die meisten von ihnen benutzt wurden, obwohl ich es bei einigen wahrscheinlich erraten konnte.
Der Rest …
Ich meine …
Es war einfach …
Mein Gott, es sah aus wie eine Folterkammer oder ein Kerker oder so etwas. Ich hatte gehört, dass manche Leute auf Peitschen und Ketten standen, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen, außer in einem Sexshop oder einem Porno. Ich kannte auch niemanden, der so etwas benutzte. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.
Aber dieser Typ …
Er hatte es benutzt, er hatte ein ganzes Zimmer in seinem Haus, das diesen Fantasien gewidmet war.
Wenn ich mich an meine Ausflüge in den Sexshop erinnerte, waren einige dieser Sachen auch verdammt teuer. Nicht, dass ich es hätte weiterverkaufen können – ich war mir ziemlich sicher, dass das jeden Hehler, den ich kannte, angewidert hätte – aber wenn der Kerl sich ein solches Zimmer in einem Haus wie diesem leisten konnte, dann hatte er wahrscheinlich irgendwo wertvollere Sachen herumliegen. Vorausgesetzt, er hatte nicht sein ganzes Geld für Perversionen ausgegeben. Obwohl, wenn man sein Auto und die laufenden Renovierungsarbeiten berücksichtigte, konnte er nicht wirklich pleite sein.
Nun, es hatte keinen Sinn, hier Zeit zu verschwenden. Oben gab es wahrscheinlich viel wertvollere Dinge, die ich verkaufen konnte, und ich hatte absolut keine Lust, auch nur einen Moment länger hier zu bleiben.
Also drehte ich mich um und blieb stehen.
In der Tür stand ein rothaariger Weißer, die Arme vor der Brust verschränkt, eine Augenbraue hochgezogen, etwas größer als ich und genauso breitschultrig. Ich erkannte ihn sofort als den Hausbesitzer … und mich als jemanden, der tief in der Scheiße steckte.
Wir starrten uns einen schmerzhaft langen Moment an. Mein Magen krampfte und das Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Ich hatte schon öfter zuvor Angst gehabt. Ich wusste, wie es ist, wenn mein Leben vor meinen Augen abläuft.
Aber das war eine ganz neue Art von Angst.
Denn in dem Moment, als ich in diesem Raum stand und der Mann, den ich ausrauben wollte, mir die Tür versperrte, wurde mir schmerzlich bewusst, dass es keinen Ausweg gab. Ich war am Arsch. Total am Arsch. Absolut total am Arsch.
Der Hausbesitzer kniff die Augen zusammen. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“
„Ähm …“
Lässig zog er sein Handy aus der Tasche und sah mit der Gleichgültigkeit von jemandem auf das Display, der den Status einer Amazon-Lieferung überprüft. „Die Bullen brauchen etwa zehn Minuten, um hierherzukommen.“ Er ließ das Handy sinken und sah mir direkt in die Augen. „Du hast also noch sieben Minuten, um mir einen Grund zu geben, ihnen zu sagen, dass das alles ein Irrtum war und du in Wirklichkeit kein Einbrecher bist.“
Ich schluckte. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nichts gibt, was ich sagen könnte.“
„Man kann nie wissen.“ Er musterte mich mit beunruhigender Intensität. „Ich weiß, warum du hier bist.“ Wieder verschränkte er die Arme. „Aber wenn du anfängst zu reden, könntest du mich vielleicht davon überzeugen, dass du nicht ins Gefängnis gehörst.“
Mir wurde flau im Magen. Ich hatte nicht viel zu verlieren, aber ins Gefängnis zu gehen, machte mir eine Heidenangst. Eine sehr lange Nacht in einer Zelle hatte mir ein gesundes Bewusstsein dafür gegeben, wie wichtig es war, niemals erwischt zu werden. Es gab einen Grund, warum ich so vorsichtig war und so viel Zeit damit verbrachte, Nachbarschaften und Häuser zu überprüfen, bevor ich etwas unternahm.
Aber diesmal hatte ich etwas übersehen. Ein Hausbesitzer hatte etwas getan, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Er war nicht gegangen, als er verdammt noch mal hätte gehen sollen. Und jetzt war ich …
Er sah wieder auf sein Handy. „Sechs Minuten.“
Scheiße.
Es gab nichts, was ich sagen konnte.
Ich war am Arsch.
Austin
Ich war versucht, den Jungen stehen, anstatt ihn weiterhin auf meinem Sofa sitzen zu lassen, vor allem, weil es ganz neu war und ich wirklich Angst hatte, dass er sich einnässen würde.
Als er auf der Kante des Kissens saß, die Hände verkrampft und zitternd, war er den Tränen nahe. Oder kurz davor, sich zu übergeben. Oder, ja, sich anzupinkeln.
Aber ich ließ ihn sitzen. Das würde ihn ein wenig bremsen, wenn er versuchen würde, wegzulaufen, und es bedeutete auch, dass er wusste, wer das Sagen hatte, während ich vor ihm stand. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass er es auch so wusste. Schließlich war er in meinem Haus und die Polizei war auf dem Weg. Das Angebot, das ich ihm gemacht hatte, hinderte ihn wahrscheinlich daran, wegzulaufen und, ob er mir glaubte oder nicht, er war offensichtlich klug genug, um zu wissen, dass es keine gute Idee war, wegzulaufen, wenn die Bullen bereits auf dem Weg waren.
Einen langen, für ihn wahrscheinlich unangenehm langen, Moment beobachtete ich ihn und versuchte, ihn einzuschätzen. Er war niemand, den ich in einer Menschenmenge als möglichen Einbrecher erkannt hätte (nicht, dass es meiner Erfahrung nach ein bestimmtes „Aussehen“ gäbe, das sie verraten würde). Wenn überhaupt, sah er wie ein Student aus, besonders mit seinem Rucksack. Er war weiß und hatte ein paar Sommersprossen auf Nase und Wangen. Seine Schultern waren weder zu breit noch zu schmal – im richtigen Verhältnis zu seiner schlanken Statur – und er war etwas kleiner als ich. Vielleicht 1,75 Meter? Vermutlich Mitte zwanzig oder etwas älter. Sein dunkles Haar war so lang, dass es sich gerade zu kräuseln begann; damit und mit dem Stoppeln auf seinem Kiefer war er adrett genug, um zur Uni zu gehen, aber gerade so weit, dass seine Mutter wahrscheinlich schnaubte und fragte, wann er sich endlich die Haare schneiden lassen und sich rasieren würde. Vorausgesetzt, er hatte überhaupt Kontakt zu seiner Mutter, was bei jemandem, der so etwas tat, immer fraglich war.
Es war schwer herauszufinden, was für ein Einbrecher er war. Im Moment war er zittrig, aber als ich ihn über die Kameras beobachtete, die er nicht ausgeschaltet hatte, war er entschlossen und ruhig, also schob ich es auf seine Nerven, nicht auf eine Sucht. Jemand, der auf der Suche nach etwas wäre, das er für den nächsten Schuss verkaufen konnte, wäre viel weniger ruhig, viel impulsiver und rücksichtsloser. Er war viel zu berechnend.
Obdachlose Einbrecher konnten genauso sein. Sie waren in der Regel nicht so abgebrüht wie die Profis, aber auch nicht so nervös wie die Süchtigen. Für sie war es eine Verzweiflungstat, genau wie für die Drogenabhängigen, allerdings ohne die Chemikalien, die ihre motorischen Fähigkeiten und ihren Überlebensinstinkt beeinträchtigen.
Ich hätte nicht gedacht, dass der Mann obdachlos sein könnte. Die Tatsache, dass er einigermaßen gepflegt war, machte mich nicht stutzig – es war erstaunlich, wie viele Obdachlose unerkannt blieben, indem sie in ihren Autos lebten und in Fitnessstudios duschten. Einige waren auch relativ gut ernährt. Sie konnten sich zwar keine Miete leisten – wer konnte das schon? – aber etwas zu essen kaufen, wenn auch nicht viel.
Aber dieser Kerl schien ein wenig zu geschickt und selbstbewusst für einen Obdachlosen, der versuchte, etwas zu ergattern, das er im Tausch gegen einen Schlafplatz verpfänden konnte. Außerdem hatte er innegehalten, um meine Katze zu streicheln. Den Hunden Speck anzubieten, war eine Strategie gewesen, aber Willow unter dem Kinn zu kraulen, war keine Taktik.
Er war bei vollem Verstand, ruhig und schien nicht gewalttätig zu sein.
Nicht nur, dass er nicht von Verzweiflung oder Sucht getrieben schien. Die Art, wie er vorging, kam mir bekannt vor. Ich konnte mir gut vorstellen, wie ein Dieb vorging, unauffällig und zuversichtlich, um dann in Panik zu geraten, wenn er erwischt wurde.
Ich erkannte ihn, denn der Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, war wie ein Blick in den Spiegel meines jüngeren Ichs.
Ich wollte ihn zur Rede stellen und auf die Bullen warten, aber dann …
Scheiße. Ich war einmal wie er gewesen. Und so erwischt worden zu sein, wie ich ihn heute erwischt hatte, hatte eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die mein Leben fast unwiderruflich aus der Bahn geworfen hatten. Ich wusste besser als die meisten anderen, dass er, sobald die Polizei ihn mitnehmen würde, sich in eine Richtung bewegte, deren Kurs nur sehr, sehr wenige Menschen wieder ändern konnten.
In dem Moment, als ich die Angst in seinen Augen gesehen hatte, war meine Wut einer Art Mitgefühl gewichen, das er wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise verstehen konnte.
Während er also zitternd in meinem Wohnzimmer saß und auf ein Schicksal wartete, das er für besiegelt hielt, musste ich einige Entscheidungen treffen.
Er wusste, was er tat. Ein Profi vielleicht? Der Schützling eines Profis? Er war klug genug, keine Waffe mitzunehmen – eine Anzeige wegen Einbruchs und Diebstahls war ein Kinderspiel, aber ein bewaffneter Raubüberfall bedeutete große Probleme. Ich war mir sicher, dass er unbewaffnet war. Als ich ihn über die Kameras beobachtet und er sich ein wenig erschreckt hatte, griff seine Hand nicht zu einem versteckten Holster. Hätte er das getan, hätte ich mich in meinem Büro eingeschlossen und ihn der Polizei überlassen.
Aber nein, er war nicht bewaffnet, und jetzt hatte er Angst, weil er wahrscheinlich einen typischen Einbruch erwartet hatte. Hineingehen, alles mitnehmen, was er konnte, und wieder hinausgehen, ohne dass ihn jemand sah. Wäre ich nicht zu Hause gewesen – und hätte ich nicht ein paar Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die er nicht hatte entdecken können –, wäre er leicht mit allem, was in den Rucksack gepasst hätte, davongekommen.
So wie er es in den letzten zwei Wochen bei drei anderen Häusern in meiner Nachbarschaft getan hatte.
Ja, er wusste, was er tat, und wahrscheinlich wusste er auch, womit er es zu tun hatte, denn die Polizei war auf dem Weg. Wenn er nicht wusste, was auf ihn zukam, dann wusste ich es, und obwohl ich wegen des Einbruchs in mein Haus wütend war, war ich mir nicht sicher, ob ich ihn denselben Wölfen zum Fraß vorwerfen wollte, die mich zerkaut und wieder ausgespuckt hatten.
Während ich ihn im Auge behielt, ging ich zur Glasschiebetür, öffnete sie und pfiff.
„Stella! Juno!“
Sofort stürmten die Hunde auf die Terrasse und ins Haus, und sobald sie den Eindringling sahen, rannten sie schwanzwedelnd auf ihn zu.
„Hey, ihr zwei.“ Er streckte die Hand aus, um Stella zu streicheln, während Juno versuchte, sich zwischen die beiden zu drängen. Er lachte nervös und streichelte sie ebenfalls. Seine Hände zitterten heftig, als er Junos Ohren streichelte.
Ich sah ihm mit verschränkten Armen zu. „Speck, hm?“
Er hob den Kopf. „Was?“
„So hast du dir ihre Zuneigung erkauft.“ Ich deutete auf die Hunde. „Speck. Ich muss zugeben, das ist clever.“
Der Kerl schluckte und sah mich mit gesenktem Kopf an, bevor er sich wieder den Hunden zuwandte. Mit fast unhörbar leiser Stimme flüsterte er: „Sie scheinen freundlich zu sein.“
„Das sind sie auch. Aber sie sind auch Beschützer.“ Ich sah Juno und Stella an. „Gut zu wissen, dass sie mich für Speck verraten würden.“
Er sah wieder zu mir auf, die Stirn in Falten gelegt, die Augen voller Verwirrung. Als wüsste er nicht, ob er über den Witz lachen sollte.
Okay, er mochte ein Profi sein, aber er war kein abgebrühter Krimineller. Er wusste, dass er am Arsch war, er hatte Angst vor dem, was als Nächstes passieren würde, und er war sich absolut bewusst, dass er die Situation nicht mehr unter Kontrolle hatte. Das erkannte ich sofort.
Juno legte ihren großen Kopf auf seinen Schoß und er streichelte ihre langen Ohren. Ich war wütend, dass dieses Arschloch in mein Haus gekommen war und versucht hatte, meine Sachen zu stehlen, aber es widerstrebte mir immer mehr, ihn dem Fleischwolf des Rechtssystems zu überlassen. Er hatte das Gesetz gebrochen und sich genommen, was ihm nicht gehörte, aber während ich ihn beobachtete und mein Adrenalinspiegel sank, zweifelte ich an meiner Entscheidung, die Polizei zu rufen. Unabhängig davon, was ich von seinem Einbruch hielt, hatte ich einige sehr reale und persönliche Gründe, nicht an den strafenden Ansatz des Rechts- und Strafvollzugssystems zu glauben. Aus denselben Gründen hatte ich gezögert, sie überhaupt anzurufen.
Auch wenn er in diesem Moment an etwas anderes dachte, so hatte er doch unglaubliches Glück, in meinem Haus zu sein, als er erwischt wurde.
Ich schaute auf mein Handy. „Die Polizei wird in etwa drei Minuten hier sein.“
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Hunden zu und atmete aus, seine Schultern sackten nach unten. „Es gibt nicht viel zu sagen, oder? Wir wissen beide, warum ich hier bin.“
„Das wissen wir. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das bedeutet, dass du ins Gefängnis solltest.“
Er erschauerte.
„Warst du schon einmal im Gefängnis?“
„Einmal.“ Er schluckte schwer und konzentrierte sich darauf, Juno zu streicheln. „Ich habe eine Nacht in einer Zelle verbracht.“
„Dann weißt du ja, wie das ist.“
Er nickte.
„Du willst doch nicht ins Gefängnis, oder?“
Sein Kiefer zitterte und sein Gesicht verlor noch etwas mehr Farbe. „Nein. Nein. Das will ich lieber nicht.“
„Okay. Nun, wenn ich mir mein Wohnzimmer ansehe und nachrechne, hast du genug gestohlen, um dich neben Einbruch auch noch für schweren Diebstahl zu qualifizieren.“
Er stützte seinen Ellbogen neben Junos Nase auf sein Knie, beugte sich vor, um sich die Stirn zu reiben, und murmelte ein unsicheres „Scheiße …“.
Juno hob ihren Kopf ein wenig und leckte ihm das Gesicht. Er streichelte sie geistesabwesend mit der anderen Hand, als wäre ihre Gegenwart das Einzige, was ihn einigermaßen zusammenhielt. Was für eine Ironie, wenn man bedenkt, dass sie und Stella eigentlich Diebe abschrecken sollten. Jetzt hatte sie sich selbst zu seiner emotionalen Stütze ernannt, während er die Konsequenzen dafür tragen musste, dass er sich an einem Ort aufhielt, an den er nicht gehörte.
Ich setzte mich auf die Armlehne des Sofas und stützte mich auf die Ellbogen. „Lass mich raten.“ Ich musterte ihn. „Du hast noch nie einen Job lange behalten, hast niemanden, der dir nahe steht, und dein Familienleben ist wahrscheinlich beschissen, wenn es überhaupt eines gibt.“
Er sah mich mit seinen großen haselnussbraunen Augen an. „Wie … was?“
„Hinter den meisten Einbrüchen hier stecken drei Arten von Leuten.“ Ich hakte die Punkte an meinen Fingern ab. „Drogenabhängige. Obdachlose. Und, na ja, Leute wie du.“
Er schluckte. „Woher willst du wissen, dass ich nicht obdachlos oder süchtig bin?“
„Abgesehen davon, dass du kein Essen gestohlen hast, während du in meiner Küche warst, und nicht besonders nervös oder zittrig gewirkt hast, bis dir aufgefallen ist, dass du erwischt wurdest?“
Er nickte stumm.
„Nun, das Smartphone, mit dem du mein Sicherheitssystem deaktiviert hast, war ein ziemlich guter Indikator. Und die Tatsache, dass du den Speck nicht gegessen, sondern ihn den Hunden gegeben hast. Du bist ruhig, methodisch und schlau genug, um keine Waffe mitzunehmen …“
Er hob die Augenbrauen.
„Und weil du dir so viel Zeit gelassen hast, um das Haus zu durchsuchen, hast du meine Rückkehr sicher nicht vor heute Abend erwartet.“
Meine Güte! Der Junge war zuerst blass, aber als ich zu Ende gesprochen hatte, richtiggehend weiß geworden.
Ich sah wieder auf mein Handy. „Hör zu, es bleibt nicht mehr viel Zeit, bis die Polizei auftaucht und sich einmischt. Du hast zwei Möglichkeiten.“
Er starrte mich an.
„Erstens: Sie übernehmen die Sache. Ich gebe ihnen eine Liste mit allem, was gestohlen wurde, übergebe ihnen alles Filmmaterial, das ich habe, sage aus, dass du sehr methodisch vorgegangen bist, mein Haus ausgeraubt hast, und behaupte, dass du etwas mit den anderen Einbrüchen der letzten Zeit in der Nachbarschaft zu tun haben könntest.“
Es schien unmöglich, aber noch mehr Farbe wich aus seinem Gesicht. „Was ist die zweite Möglichkeit?“ Sein Blick wanderte in Richtung Flur und Entsetzen machte sich auf seinem Gesicht breit, als er murmelte: „Oh, Scheiße …“
Ich runzelte die Stirn. „Hm?“
Er schluckte. „Du bist nicht … Ich meine, der Raum, in dem du mich erwischt hast …“ Er gestikulierte in diese Richtung und flehte: „Bitte sag mir, dass du mich nicht zwingen wirst …“
„Was?“ Jetzt war ich an der Reihe, vor Schreck zu erstarren. „Oh mein Gott, nein! Heilige Scheiße, das ist – nein. Einfach nein.“ Ich gestikulierte in die gleiche Richtung. „Hier passiert nichts ohne Einverständnis.“
„Oh. Äh.“ Er sah immer noch verwirrt und verängstigt aus, aber jetzt war eine gewisse Erleichterung zu spüren.
Oh Gott. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass er denken könnte, ich würde – oh Gott. Nein, auf keinen Fall.
„Deine zweite Möglichkeit“, betonte ich, „ist, das abzuarbeiten, was du mir stehlen wolltest.“
Er legte den Kopf schief.
„Wir addieren die Summe.“ Ich deutete auf seinen Rucksack, der zwischen uns auf dem Boden lag. „Wir machen einen fairen Stundensatz aus und du arbeitest es ab.“
„Abarbeiten … wie?“ Er klang zweifelnd, aber interessiert.
„Hast du schon mal bei einer Renovierung gearbeitet?“
Er warf einen Blick auf die Tür, die in den neu gebauten Teil des Hauses führte. „Ich, äh … Nein. Aber ich könnte es lernen.“ Er klang interessiert, aber immer noch unsicher. „Wo ist der Haken?“
„Kein Haken.“
Er sah mich an. Offensichtlich war er nicht überzeugt.
Mein Telefon piepte und als ich auf das Display schaute, bog ein Streifenwagen in die Einfahrt ein. Ich stand auf und sagte: „Das muss die Polizei sein.“ Ich steckte mein Handy wieder ein. „Welche Option wählst du?“
Er setzte sich aufrechter hin und sah zwischen mir, der Haustür und der Baustelle hin und her. Kampf oder Flucht hieß es, und wahrscheinlich überlegte er, wie leicht er hier wieder herauskommen könnte.
„Fürs Protokoll …“ Ich nickte den Hunden zu: „Sie jagen gerne Menschen, die weglaufen.“
Es klingelte an der Tür. Beide Hunde begannen zu bellen und stürmten auf die Tür zu.
„Stella! Juno!“ Das Bellen hörte auf, aber sie winselten immer noch und eine der beiden schlug mit dem Schwanz gegen das Treppengeländer. „Komm.“
Noch ein leises Winseln, dann klapperten die Krallen auf dem Boden, als die Hunde widerwillig ins Wohnzimmer zurückkehrten. Ich warf einen Blick auf sie, dann auf meinen Eindringling, der die Hunde aufmerksam beobachtete.
„Und?“, fragte ich.
„Okay, okay.“ Er hob kapitulierend die Hände. „Ja. Ich werde … Wir können die Details ausarbeiten, aber ich will nicht ins Gefängnis.“
„Okay.“ Ich bedeutete ihm, mit mir zur Haustür zu gehen. „Lass uns gehen.“
Er zögerte.
„Ich werde dich nicht anzeigen. Komm.“
Ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er mir nicht vertraute. Soweit er wusste, würde ich ihn sowieso den Bullen übergeben und dann behaupten, er hätte versucht, mich zu bestechen, um sich zu retten. Aber im Moment hatte er nur sehr wenige Möglichkeiten, und ich wollte, dass er das wusste.
Er stand auf und folgte mir zur Haustür. Stella und Juno blieben dicht hinter uns – sie waren neugierig auf die Neuankömmlinge und hofften wahrscheinlich auf mehr Speck, aber es machte mir nichts aus, dass sie in der Nähe blieben. So hielt die Aussicht, von den Hunden gejagt zu werden, ihn zumindest von einer Flucht ab.
„Wie heißt du?“, fragte ich.
„Hm?“
Ich bewegte den Türgriff wie in Zeitlupe nach unten. „Name. Komm schon.“
„Äh. Levi.“
Ich nickte und öffnete die Tür, um zwei Polizisten vor der Haustür zu sehen. Beide weiß, einer etwas jünger als der andere.
„Guten Tag“, sagte der Ältere. „Ich bin Polizeihauptmeister Larson und das ist Polizeihauptmeister Trewin. Ich hörte, es gab einen Eindringling?“ Sein Blick wanderte zu Levi.
„Richtig. Hm.“ Ich trat nach draußen. Levi blieb mit den Hunden in der Tür stehen und ich schwöre, ich konnte aus einem Meter Entfernung hören, wie sein Herz schlug.
Lauf nicht weg, Junge. Das ist deine beste und einzige Chance, hier herauszukommen.
Er rannte nicht weg, aber er sah aus, als müsste er sich übergeben oder würde sich gleich anpinkeln.
„Ich bin Austin Caldwell.“ Ich schüttelte die Hände der beiden Polizisten. „Hören Sie, das Missverständnis tut mir leid. Ich dachte, jemand würde einbrechen, aber es war nur Levi.“ Ich deutete auf ihn. „Er hat aus Versehen den Alarm ausgelöst, als er mir bei den Arbeiten am Anbau helfen wollte.“ Ich verdrehte die Augen und lachte selbstironisch. „Ich war wohl etwas nervös nach all den Einbrüchen in letzter Zeit und dann war er früher da und …“
Polizeihauptmeister Larson seufzte schwer. „Also, falscher Alarm?“
„Falscher Alarm. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.“
Der Beamte sah wieder zu Levi und dann zu seinem Partner, bevor er sich mir zuwandte. „In Ordnung. Dann lassen wir Sie jetzt in Ruhe. Einen schönen Tag noch, Mr. Campbell.“ Er klang, als wäre es ihm egal, ob ich wirklich einen hatte oder nicht.
Ohne mir die Mühe zu machen, meinem Namen zu korrigieren, lächelte ich strahlend. „Danke. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten!“
Und damit waren die Polizisten verschwunden.
Levi und ich gingen zurück ins Haus.
„Das war's?“ Er sah völlig verwirrt aus, als ich die Tür hinter uns schloss. „Das verstehe ich nicht.“
Ich stand ihm gegenüber, verschränkte die Arme und lehnte mich an die Tür. „Es ist doch ziemlich klar, oder? Du hast meine Bedingungen akzeptiert, also habe ich gesagt …“
„Nein, nein, das verstehe ich. Was ich nicht verstehe, ist das Warum.“ Er schüttelte den Kopf. „Du hast mich in deinem Haus dabei erwischt, wie ich deine Sachen geklaut habe. Und jetzt willst du mich arbeiten lassen, anstatt mich ins Gefängnis zu stecken? Warum?“
Ich hätte eine abfällige Bemerkung darüber machen können, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen sollte, aber ausgeglichene, selbstbewusste Menschen mit unterstützenden Netzwerken lassen sich normalerweise nicht auf diese Art von kriminellen Aktivitäten ein. Auch nicht auf Dinge wie Drogenmissbrauch, der auch zu Kriminalität führt. Es war also sicher, dass Vertrauen dort, wo er herkam, nur eine untergeordnete Rolle spielte und in Anbetracht seiner Befürchtungen, die er noch vor ein paar Minuten gehabt hatte, spielte er wahrscheinlich in seinem Kopf einige Albtraumszenarien durch, in denen ich ein sexueller Perverser war, der ihn dazu brachte, sich zu wünschen, er wäre mit den Polizeihauptmeistern Larson und Trewin gegangen.
Dann könnte ich ihm den Verdacht verzeihen.
„In Ordnung. Das ist eine berechtigte Frage.“ Ich sah ihm direkt in die Augen. „Und die Wahrheit ist, dass ich dir die Chance gebe, von der ich wünschte, sie wäre mir schon vor langer Zeit gegeben worden.“
Levi blinzelte.
„Wenn du ins Gefängnis gehst“, fuhr ich fort, „wirst du nur traumatisiert, demoralisiert und mit einem sozialen und wirtschaftlichen Nachteil herauskommen, den du dir jetzt noch nicht vorstellen kannst. Die Situation, in der du dich heute befindest, ist der, in der du dich nach dem Gefängnis befinden würdest, meilenweit voraus.“
Er stand da und sah mich mit offenem Mund an.
„In diesem Sinne gebe ich dir eine Chance – und ich verspreche dir, Levi, es ist eine einmalige Chance –, deinen Scheiß in Ordnung zu bringen, auf den richtigen Weg zu kommen und die Hölle zu vermeiden, durch die ich gegangen bin.“
„Zur Hölle, du …“ Er starrte mich einen langen, stillen Moment an, bevor er flüsterte: „Wow.“
Ich befeuchtete mir die Lippen und streckte die Hand aus. „Bist du dabei?“
Er schien darüber nachzudenken, betrachtete meine Hand unsicher und fragte sich wahrscheinlich, ob es klug war, seine Freiheit und sein Zukunftspotenzial einem völlig Fremden anzuvertrauen. Und zugegebenermaßen zweifelte ich auch daran, ob es klug war, einem bekannten Dieb so viel Spielraum zu geben, wenn man bedenkt, dass er mich noch vor dem Ende des Tages in die Pfanne hauen könnte.
Aber es war das Risiko wert, wenn es bedeutete, dass jemand anderes nicht auf einem Metallgestell mit stinkender Matratze in einer Gefängniszelle liegen, an die Decke starren und fragen musste, wie er jemals aus diesem tiefen, deprimierenden Loch herauskommen würde.
Und anscheinend dachte Levi, dass es das Risiko wert war, denn er nahm meine ausgestreckte Hand und schüttelte sie.
„Ja“, murmelte er. „Ich bin dabei.“
Levi
Als ich an diesem Abend meinem Job bei Gunny's Pizza antrat, war das einer der surrealsten Momente meines Lebens.
Es war ungefähr vier Stunden her, dass ich Austins Haus verlassen hatte, und ich konnte immer noch nicht begreifen, wie das alles passiert war. Ich hätte im Gefängnis sein sollen oder in einem Leichensack, nachdem die Polizei meinen von Kugeln zerfetzten Körper vom Boden in Austins Haus gekratzt hatte. Oder auf dem Weg ins Krankenhaus, aber ich weiß nicht – irgendetwas an Austin ließ mich glauben, dass er, wenn er jemals auf jemanden schießen würde, dann nur, um zu töten und nicht, um die Person zu verfehlen. Vor allem, nachdem er angedeutet hatte, dass er im Gefängnis gewesen war. Aber vielleicht hat er deshalb nicht auf mich geschossen – weil der Besitz einer Waffe für ihn illegal war.
Natürlich. Als ob die Hälfte der Kriminellen, die ich kenne, keine Waffen hätten und die andere Hälfte es nur nicht zugeben würde.
Jedenfalls war ich eindeutig in das falsche Haus eingebrochen, doch irgendwie hatte ich überlebt, um davon zu erzählen. Nicht nur das: Ich war hinausgegangen, in mein Auto gestiegen, das ich ein paar Straßen weiter geparkt hatte, zu meiner Wohnung zurückgefahren, hatte mich umgezogen und war zur Arbeit gegangen. Alles war seltsam normal gewesen, bis auf die Tatsache, dass mein Rucksack leer gewesen war und ich mich in der Sicherheit meines Heims ein paar Mal übergeben musste.
Fühlte es sich so an, nach einer Nahtoderfahrung weiterzuleben? Als ob jeder um mich herum sein Ding macht, als ob die Welt ganz normal wäre, während ich versuche, herauszufinden, wo ich hingehörte? Okay, es eine Nahtoderfahrung zu nennen, war vielleicht etwas dramatisch. Vielleicht auch nicht. Immerhin war Austins Geschichte deutlich härter, als es sein Haus oder seine Nachbarschaft vermuten ließen. Ich hatte auch schon zuvor ein paar sehr heikle Situationen erlebt, von denen eine dazu geführt hatte, dass ich genau wusste, wie es sich anfühlte, wenn eine Kugel beängstigend nahe an meinem Kopf vorbeiflog.
Es war also doch irgendwie eine Art Nahtoderfahrung und jetzt, an diesem verdammten Tag, trug ich das hässliche gelbe Golfhemd, während ich Pizzakartons faltete und neben dem Getränkekühlschrank stapelte. In einer halben Stunde würde der Laden öffnen, ich würde abwechselnd Pizzen backen und sie an Leute ausliefern, die keine Ahnung hatten, dass ich ihr Haus ausspionierte, während sie die Quittung unterschrieben. Im Ernst, die Leute hatten keine Ahnung, wie viel ich in dreißig Sekunden durch einen Blick in den offenen Hausflur erfahren konnte.
Das ist ein cooler Flachbildschirm, den du da hast. Es wäre schade, wenn ihm etwas passieren würde.
Oh, was ist das? Ein handelsübliches Schlüsselversteck, das ganz unauffällig wäre, wenn nicht jeder die Werbung dafür gesehen hätte?
Du lässt diesen Werkzeugkasten einfach auf der Ladefläche deines Trucks liegen, als ob ich dieses Schloss nicht mit einem Bolzenschneider wie Butter durchtrennen könnte. Okay, na dann …
Ich habe immer alles ausgekundschaftet, habe Schwachstellen gefunden, nach subtilen Dingen gesucht, die für mich allerdings so offensichtlich waren wie ein Panzerwagen, der offen und unbewacht herumsteht. Das Ausliefern von Pizzas war die perfekte Ausrede, um die Häuser der Leute auszukundschaften und herauszufinden, wie ich sie um ihre Wertsachen erleichtern konnte.
Aber ich dachte nicht, dass ich heute Abend viel davon tun würde. Pizzas ausliefern, ja. Aber Häuser auskundschaften? Notizen machen, wer den coolsten Scheiß und die schwächste Sicherheit hat?
Ehrlich gesagt, bei diesem Gedanken sah ich mich um, um sicherzugehen, dass der Weg zwischen mir und dem ekligen Klo frei war. Wie viel konnte ich an einem einzigen Tag kotzen, wenn ich nichts getrunken hatte? Bleiben Sie dran für weitere Informationen …
Immer wieder ärgerte ich mich, dass ich mich nicht gründlich in der Garage umgeschaut hatte, als ich nachgesehen hatte, ob das Tor offen war. Vielleicht wäre mir dann aufgefallen, dass sein verdammtes Auto da drin gestanden hatte. Mein Gott, Levi. Ich würde nie wieder davon ausgehen, dass ein Hausbesitzer sich an seine Routine hält.
Angenommen, ich würde das noch einmal tun, denn zu diesem Zeitpunkt war das noch nicht entschieden, schließlich hatte mir dieser Hausbesitzer einen ziemlichen Schrecken eingejagt.
„Das ist ein einmaliges Angebot“, hatte Austin wiederholt, als er mich zur Haustür begleitet hatte. „Wenn du es vermasselst, bist du auf dich allein gestellt.“
Er meinte es ernst. Während ich zusah, hatte er einen Polizeibericht heruntergeladen, ausgedruckt und ausgefüllt, in dem genau stand, wann, wo und wie ich eingebrochen war, inklusive einer Liste der gestohlenen Gegenstände (mit Seriennummern). Als Bonus zeigte er mir ein paar Fotos, die er mit seiner Kamera gemacht hatte und auf denen mein Gesicht perfekt und unverwechselbar zu erkennen war.
Oh ja, wenn ich aus der Reihe tanzte, würde ich untergehen. Daran gab es keinen Zweifel. Austin hatte mich im Griff, was uns beiden sehr wohl bewusst war.
Und doch … hatte er mich gehen lassen. Im Vertrauen darauf, dass ich zurückkommen und in seinem Haus arbeiten würde, bis meine Schulden abbezahlt waren, und obwohl ich wusste, dass er die Oberhand hatte, könnte ich gehen. Ich könnte versuchen, die Stadt zu verlassen oder hier zu bleiben und unterzutauchen. Es wäre viel weniger riskant und würde ihm weniger Kopfzerbrechen bereiten, wenn er mich einfach ausliefern und darauf warten würde, dass ihm jemand sagt, wann er auftauchen und aussagen muss. Der Typ hatte den Polizeibericht schon ausgefüllt.
Trotzdem ließ er mich gehen.
Wir wussten beide, dass ich morgen früh um acht Uhr da sein würde, um für ihn zu arbeiten.
Es war seltsam. Wirklich seltsam. Der Typ kannte mich nur, weil er mich in seinem Haus erwischt hatte – ausgerechnet in seinem abgefahrenen Sex-Kerker – und weil ich sein Zeug geklaut hatte. Er hatte keinen Grund, mir einen Deal anzubieten, einen einmaligen oder sonst etwas, und doch hatte er es getan.
Ich schwöre bei Gott, ich hatte noch nie so viel Angst gehabt wie in dem Moment, als diese Polizisten auf seiner Veranda gestanden hatten. Es gab keinen Grund, ihm zu trauen. Was hätte ich tun sollen, wenn sein Deal nur ein Lockvogelangebot gewesen wäre? Wenn er die Polizisten weggeschickt und dann doch versucht hätte, mich in seinem Verlies zu fesseln? Wäre ich dann den Bullen hinterhergerannt und hätte gesagt, ich hätte den Kerl wirklich ausgeraubt?
Und jetzt, wo ich darüber nachdachte, was wäre, wenn er eine Art gestörter Serienmörder war? Was, wenn er mich nur beruhigen wollte, damit ich den Bullen nichts erzähle, und dann, nachdem er die Tür hinter uns abgeschlossen hatte, alle möglichen Pläne mit mir hatte? Auf jeden Fall hätte mein Chef mich in dieser Situation tausendmal anrufen und sich fragen können, warum ich schon wieder zu spät zur Arbeit komme (vielleicht hätte er mich diesmal sogar gefeuert), ohne zu wissen, dass ich in dem Sexverlies irgendeines Irren angekettet war und ermordet wurde oder so ein Scheiß.
„Nichts passiert hier ohne Zustimmung.“
Wer zum Teufel würde dem zustimmen? Ich meine, ich wusste, dass die Leute das mit den Peitschen und Ketten machten, aber Herrgott nochmal. Da waren auch einige unheimlich aussehende Dinge dabei. Was, wenn er behaupten würde, ich hätte im Grunde zugestimmt, dass er dieses Zeug an mir anwendet, als ich eingewilligt hatte, alles zu tun, was er wollte, um meine Schulden bei ihm zu „begleichen“, im Gegenzug dafür, dass er die Bullen wegschickt?
Was, wenn ich unterschrieben hatte, dass …
"Harris!", bellte mir Wally von der Bürotür aus zu. „Faltest du jetzt die Kartons oder nicht?“
Ich blickte auf den Karton hinunter, den ich gerade gefaltet hatte, und konnte mich nicht erinnern, wann meine Hände aufgehört hatten, sich zu bewegen. „Äh. Richtig. Tut mir leid, Boss!“
Er brummte etwas, dann knallte er die Bürotür zu.
„Kumpel, alles in Ordnung?“, fragte Hanna von ihrem Platz aus, wo sie gerade kleine Schälchen mit roten Pfefferflocken füllte, die bei jeder Pizzabestellung mitgeliefert wurden.
Ich sah sie an. „Ja. Warum?“
„Weil du dich tatsächlich beim Chef entschuldigt hast.“ Kyle schnitt eine Tüte mit geriebenem Mozzarella auf und musterte mich argwöhnisch. „Versuchst du, befördert zu werden oder so?“
Ich brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, worauf sie hinauswollten. Sie hatten recht – es war ein Wunder, dass ich hier noch nie gefeuert worden war, denn Wally und ich hassten uns und waren nie zimperlich miteinander umgegangen. Meine Kollegen wunderten sich oft, dass er mich nicht ein paar Mal am Kragen gepackt und aus dem Laden geworfen hatte.
„Oh. Äh.“ Ich scheiterte kläglich an dem Versuch zu lächeln. „Ich suche mir meine Schlachten aus, weißt du?“
„Du?“ Hanna schnaubte, bevor sie einen weiteren Deckel auf ein Schälchen knallte. „Seit wann?“
Wieder lachte ich, so gut ich konnte, und bald waren alle wieder mit ihren jeweiligen Aufgaben beschäftigt. Wir mussten in zwanzig Minuten öffnen und Wally lauerte gern im Büro, um uns zu beobachten, falls wir etwas taten, wofür er uns anschreien konnte.
Irgendwie wollte ich mein Gesicht wahren und vor Wally ein Arschloch sein, nur um so zu tun, als wäre alles beim Alten, aber das Erlebte hatte mich aus der Bahn geworfen. Alles, was heute passiert war, hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen, und so sehr Wally mich auch am Arsch lecken konnte, meine ganze Welt fühlte sich so unsicher und gefährlich an. Als ob jede zweite Chance und jeder zukünftige Gefallen, heute Morgen eingelöst worden wären und wenn ich meinen Boss auch nur schief ansah, würde er mich zum Teufel jagen. So sehr ich es auch hasste, es zuzugeben, aber ich brauchte diesen Job. Vor allem, wenn ich meinen „anderen Job“ verlieren würde, und so verängstigt, wie ich heute war, war das durchaus möglich.
Also musste ich mich zusammenreißen, um meinen Chef nicht wieder zu verärgern. Dass Wally ein alter Marinekamerad meines Vaters gewesen war, war auch der einzige Grund, warum er mich noch nicht gefeuert hatte. Er war als Unteroffizier in den Ruhestand gegangen, hatte eine Pizzeria eröffnet und mich als persönlichen Gefallen für meinen Vater eingestellt. Wahrscheinlich, weil Wally die Marine geistig nie verlassen hatte, führte er den Laden wie eine Gruppe Soldaten und war – in den Augen meines Vaters – genau das, was ich brauchte, um mich aus Schwierigkeiten herauszuhalten.
Richtig. Denn das echte Militär war damit ja so erfolgreich gewesen.
Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass Wally bei seinem Leben geschworen hatte, mir den Arsch aufzureißen und ich war mir ziemlich sicher, dass das Einzige, was ihn davon abhielt, mich rauszuschmeißen, war, dass er dann zugeben müsste, dass er versagt hatte, wie alle anderen vor ihm. Wahrscheinlich war er einer von vielen, die mich verständlicherweise für absolut nichts zu gebrauchen und einen hoffnungslosen Fall hielten, aber er war nicht bereit, eine Niederlage zu akzeptieren.
Als ich eine weitere Faltschachtel auf den sich auftürmenden Stapel legte, kam mir der Gedanke, dass Austin vielleicht genauso dachte wie mein Chef. Wahrscheinlich betrachtete er mich als ein Projekt, wie das Haus, das er renovierte. Jemand, den er reparieren konnte.
Viel Glück, Kumpel.
Irgendwann würde er mich aufgeben, wie alle anderen auch.
Ich hoffte nur, dass er lange genug durchhalten würde, um die Polizei nicht doch mit hineinzuziehen.
***
Wenn ich es mir recht überlegte, wäre der Knast vielleicht gar nicht so schlecht.
Ich starrte auf die Rolle mit dem blauen Malerkreppband in meiner Hand und warf dann einen prüfenden Blick in den Raum. Es war mein erster Arbeitstag bei Austin und er hatte mich in einem leeren Zimmer im Obergeschoss untergebracht, gegenüber von seinem Schlafzimmer, wo er anscheinend von zu Hause aus arbeitete. Meine erste Aufgabe bestand darin, alles abzukleben, was nicht gestrichen werden sollte. Alle Fußleisten – den Stuck an der Decke, Fenster- und Türrahmen, Steckdosen und die Lüftungsschlitze. Plastikfolie zum Abdecken von Boden und Fenstern.
Danach, weil Austin ein Sadist war oder so, senkrechte Streifen im ganzen Zimmer. Es war bereits in einem hellen Grau gestrichen worden und nun sollten breite Streifen in einer anderen Farbe (ein zartes Blau, nahm ich an) durch schmalere Streifen in dem darunter liegenden Grau unterteilt werden. Jede der schmalen Linien sollte genau zwei Streifen Klebeband breit sein, im Abstand von zehn Zentimetern verlaufen und vollkommen gerade sein. Es war klar, dass die grauen Streifen, wenn das Maler-Kreppband letztlich abgezogen wurde, ein Nadelstreifenmuster oder was auch immer ergeben würden. Das war mir egal. Ich wollte die Arbeit nur erledigen, damit Austin das Geld von meinen „Schulden“ abziehen konnte.
Das war Schwachsinn. Anstatt hier mit Elektronik und anderem Kram im Wert von 2500,00 Dollar herauszugehen, arbeitete ich praktisch für nichts. Jede Stunde verringerte sich meine Schuld um fünfzehn Dollar. Ich würde das Geld nicht wirklich bekommen – es waren nur fünfzehn Dollar weniger als der Betrag, auf den wir uns geeinigt hatten.
Ich arbeitete im Grunde umsonst, anstatt ins Gefängnis zu gehen und Gerichtskosten, Bußgelder, Rückzahlungen und all die anderen schwachsinnigen Dinge zu bezahlen, die der Staat erfunden hatte, um Menschen für das Privileg einer Gefängnisstrafe zur Kasse zu bitten.
Fantastisch.
Austin rechnete vor, dass fünfzehn Dollar pro Stunde etwa 166 Stunden bedeuteten, um die gesamte Summe abzuzahlen. Also etwa dreißig Tage, wenn ich fünf Stunden am Stück arbeiten würde. Keiner von uns hatte erwartet, dass ich jeden Tag arbeiten würde, also würde es wahrscheinlich zwei oder drei Monate dauern.
Immer noch besser, als ein paar Jahre im Gefängnis zu verbringen.
Ich grummelte ein wenig, riss das Zellophan vom Klebeband und machte mich an die Arbeit.
Die Leisten waren gar nicht so schlimm. Meine Knie schmerzten ein wenig, aber wenigstens war unter dem Plastik Teppich und meine Arme wurden müde, aber … was soll’s. Keine große Sache.
Das Klebeband war das Schlimmste. Es über zehn gottverdammte Meter gerade zu halten, war schwieriger, als es sich anhörte. Manchmal löste sich der obere Teil. Manchmal verdrehte sich das Band oder rollte sich auf. Oder, der wirklich lustige Teil, wenn es perfekt gerade aussah, ich aber zurücktrat und feststellte, dass es um mehrere Zentimeter verschoben war. Ein paar Mal war ich versucht, das Klebeband, den Bleistift, die Wasserwaage, den Zollstock und die Leiter aus dem verdammten Fenster zu werfen.
Aber ich machte weiter und erinnerte mich daran, dass es besser war als das Gefängnis.
Es war besser als der Knast, richtig? Nachdem ich mich zwanzig Minuten mit einem weiteren Streifen geärgert hatte, überlegte ich ernsthaft, ob ich nicht einfach die Strafe auf mich nehmen und mir alles gefallen lassen sollte, was der Richter von mir verlangt hätte. Aber dann hatte ich Visionen von mir, wie ich Zellengitter betrachtete und mich in den Wahnsinn trieb, weil ich mich fragte, ob sie gerader wären als diese blöden Streifen, also riss ich mich zusammen, bekam den Streifen schließlich gerade hin und ging über zum nächsten.
Ich schaffte etwa drei Viertel des Raumes, bevor ich eine Pause brauchte. Die letzte Wand ließ ich leer und begann stattdessen mit den Fenstern, die nach der vertikalen Horrorshow relativ einfach zu bekleben waren. Dieser Teil musste nicht schön sein, es war egal, ob das Klebeband hier Falten schlug, solange die Kanten sauber und alles so abgedeckt war, dass es nicht mitgestrichen wurde.
Hinter mir raschelte Plastik und ich sah von meiner Aufgabe auf, das Klebeband neben einem der Fenster zu glätten. Austin stand in der Tür und blickte prüfend in den Raum.
Ich zuckte innerlich zusammen und wartete auf seinen Kommentar. Plötzlich war jedes Stück Klebeband schief. Die Linien waren uneben. Die Streifen waren zu schmal. Zu breit. Zu …
„Sieht gut aus.“ Austin nickte bekräftigend. „Willst du heute noch mit dem Streichen anfangen? Oder willst du nur das Klebeband fertig anbringen und mit dem Streichen bis morgen warten?“
Ich blinzelte, völlig verwirrt von ... von all dem. „Was?“
„Ich meine …“ Er sah auf sein Handy. „Es ist schon fast zwei. Hattest du nicht gesagt, dass du um fünf bei der Arbeit sein musst?“
„Ich … Ja.“ Ich schluckte. „Aber es ist … Du bist der Chef, also …“
Und was heißt „gut aussehen“? Tut es das?
„Eigentlich ist es mir egal“, sagte er. „Das Streichen wird ein paar Stunden dauern und die Farbe benötigt sicher zwei oder drei Anstriche, bis alles passt. Die Frage ist also, ob du dir die Mühe machen willst, alles aufzubauen, dann wieder aufzuräumen und …“ Er unterbrach sich. „Weißt du was? Warte mit dem Streichen bis morgen. Dann musst du dich nur einmal um den ganzen Dreck kümmern.“
„Oh. Äh.“ Er wollte mich also nicht zwingen anzufangen und mich dann anschreien, weil ich schnell genug vorangekommen war, bevor ich wieder gehen musste? Okay. Seltsam. „Gut. Ich werde, ähm …“ Ich hielt die Rolle Klebeband hoch. „Dann werde ich das noch zu Ende machen.“
„Perfekt. Hast du noch genug Klebeband?“
Ich überprüfte die Rolle. Ich hatte schon zwei ganze Rollen verbraucht und von dieser war noch etwa die Hälfte übrig. „Ich denke, das wird reichen. Hier ist noch eine, falls diese doch nicht ausreichen sollte.“
„Sag einfach Bescheid, wenn du fertig bist.“ Er sah sich um und als er auf die Streifen neben der Tür deutete, nickte er wieder. „Die sehen toll aus, Levi. Mach weiter so.“
Und … das war' s. Er ging durch den Flur zurück, während ich mit einer Rolle Klebeband in der Hand dastand wie ein Idiot.
Die Streifen sahen gut aus? Wirklich?
Noch überraschender als die Worte war das kleine Flattern in meiner Brust. Es erinnerte mich an die seltene Gelegenheit, als mir ein Lehrer in der Schule einen goldenen Stern oder so etwas gegeben hatte.
War das Erwachsensein? Aufgeregt zu sein, weil irgendeine Person mir sagte, ich hätte gute Arbeit geleistet, indem ich Kreppbandstreifen an seine Wand geklebt hatte?
Okay, zugegeben, dieser spezielle Typ hatte allen Grund, mich an die Bullen zu verpfeifen, also ja, sein Lob sollte mir ein kleines Hochgefühl geben. In seiner Gunst zu stehen bedeutete, nicht ins Gefängnis zu müssen. Das war alles, was es bedeutete. Uff. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Kopfschüttelnd blickte ich auf die Rolle Klebeband in meiner Hand.
Na ja, ich hatte ja noch ein bisschen Zeit, und wenn ich mich beeilte, konnte ich die letzten Streifen anbringen, bevor ich zu meiner bezahlten Arbeit ging. Dann wäre ich mit dem Mist fertig und müsste morgen keinen Zentimeter Kreppband mehr an die Wand kleben.
Also machte ich weiter und sorgte dafür, dass die Streifen an der letzten Wand perfekt waren.
Austin
„Das sieht ja toll aus.“ Ich betrachtete das Zimmer, welches Levi heute Morgen angefangen hatte zu streichen. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass ich ein zu helles Blau gewählt habe, aber jetzt, wo du die zweite Schicht aufgetragen hast, sieht es toll aus.“
Levi blickte vom Streichen der gegenüberliegenden Wand auf und ich will verdammt sein, wenn da nicht eine dezente Röte auf seiner farbverschmierten Wange zu sehen war. „Ja, es geht voran.“ Er beugte sich vor, um noch etwas Farbe aufzutragen. „Meinst du, zwei Schichten reichen?“
„Vielleicht? Mal sehen, wie es nach dem Trocknen aussieht. Zwei könnten reichen. Wie viel musst du noch nachbessern?“
Er zeigte auf die Wand rechts von ihm. „Da drüben ist nur eine Stelle, die ich noch ausbessern möchte.“
„Okay. Nun, während es trocknet“, ich wedelte mit der Hand über meine Schulter, „wollte ich nach unten gehen und etwas zu essen machen. Möchtest du etwas?“
Er sah mich überrascht an. „Hm?“
„Na ja. Essen?“ Ich gestikulierte erneut in Richtung Flur. „Ich wollte mir gerade ein Sandwich machen. Nichts Ausgefallenes, aber wenn du auch eins willst …“
Er wirkte immer noch überrascht, aber das Knurren seines Magens war deutlich zu hören. „Äh. Klar. Ja. Ja, das wäre toll.“ Er deutete auf den Farbtopf zu seinen Füßen. „Ich muss nur noch den Rest aufbrauchen, damit er nicht eintrocknet.“
„In Ordnung. Komm runter, wenn du so weit bist. Und mach weiter so.“
Da war es wieder, dieses Erröten.
Ich musste einen Schauer unterdrücken, als ich die Treppe hinunterging. Er war erst zwei Tage hier und ich war schon aus dem Gleichgewicht. Jedes Mal, wenn ich ihm sagte, dass er gute Arbeit geleistet hatte, konnte ich fast die Reaktion spüren, die von ihm ausging, auf eine Weise, die meine Sinne vibrieren ließ.
Vielleicht ein unerfüllter Fetisch für Lob? Ein Mensch, der für Lob und Anerkennung lebt?
Ein seltsamer Fetisch für einen Kriminellen, wenn man bedenkt, dass Gesetzesübertretungen normalerweise das Gegenteil von Lob und Anerkennung nach sich ziehen.
Nicht, dass es wichtig gewesen wäre, denn ich brauchte ihn nicht so zu betrachten, wie ich es mit einem zukünftigen Fetisch-Partner getan hätte. Er war heiß und es war schon eine Weile her, dass ich mit jemandem ausgegangen war, der einen Fetisch für Lob hatte, und mein erster persönlicher Blick auf ihn war mit meinem Lederzimmer im Hintergrund gewesen, aber das bedeutete nicht, dass er schwul war oder sich für einen bestimmten Fetisch interessierte oder, was das Wichtigste war, sich für mich interessierte.
Selbst wenn er all das gewesen wäre, durfte ich mich nicht auf ihn einlassen. Der Mann war in mein Haus eingebrochen, um Himmels willen. Ich vermutete, dass er ein anständiger Kerl war, der nur wieder auf die Beine kommen musste, aber ich hatte in meinem Leben genug Kriminelle kennengelernt, um zu wissen, dass einige von ihnen einfach nur beschissene Menschen waren.
Als ich in die Küche ging, um das Mittagessen vorzubereiten, dachte ich an einige der Jungs, mit denen ich im Knast gesessen hatte, und an andere, die ich während meiner härteren Jahre kennengelernt hatte. Ja, einige von ihnen waren im Grunde gute Menschen, die schlechte Entscheidungen getroffen hatten. Ich möchte gerne behaupten, dass das auch auf mich zutraf.
Aber verdammt, es gab einige schreckliche Menschen da draußen und viele von ihnen waren wirklich, wirklich gut darin, sich als gute Menschen auszugeben. Die Charmeure. Die Manipulatoren. Die Narzissten. Ich hatte mich mit ihnen angefreundet, Geschäfte mit ihnen gemacht, war mit ihnen ausgegangen. Manchmal glaubte ich, sie zu erkennen, weil ich mir schon so oft die Finger verbrannt hatte, sodass es unmöglich schien, dass auch nur einer unerkannt bleiben könnte.
Und dann, wie aus heiterem Himmel, kam jemand, der all meine Abwehrmechanismen überwand, weil er alles war, was seine Vorgänger nicht waren, und ich fand mich irgendwann unweigerlich inmitten brennender Trümmer wieder und fragte mich, was zum Teufel gerade passiert war.
Ich lehnte mich gegen die Kücheninsel und sah zurück auf den Flur, der zur Treppe führte. Hatte ich einen großen Fehler begangen? Ich hätte Levi einfach gehen lassen und ihn vor einer Rückkehr warnen können. Ich hätte ihn nicht einem unbarmherzigen System überlassen und ich hätte ihn nicht in meinem Haus, wo er noch mehr Sicherheitslücken finden könnte, ganz zu schweigen anderen wertvollen Dingen, lassen sollen. Ich hätte ihm einfach Angst einjagen können (wovon ich ziemlich sicher war, dass ich es getan hatte) und ihn wieder wegschicken können.