Das Schwarz der Tulpen - Susanne Arnold - E-Book

Das Schwarz der Tulpen E-Book

Susanne Arnold

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Beschreibung

Das Dörfchen Rosefield steht kopf! Die Dorfkirche soll geschlossen werden, denn der Dachstuhl ist marode und es besteht Einsturzgefahr. Für die Sanierung fehlt Geld. Einzige Rettung: ein Kirchenbasar! Während Elisabeth voll in der Organisation aufgeht, ereignet sich im Nachbarort Candleham ein dubioser Todesfall, der bei Margret und ihrer berühmt-berüchtigten Spürnase mehr als nur eine Frage aufwirft. Doch noch ehe sie Antworten finden kann, geschieht ein heimtückischer Mord und wo sind plötzlich die ganzen Basareinnahmen geblieben? Können die betagten Freundinnen Margret und Elisabeth die Fälle lösen und Rosefield und sich selbst vor weiterem Unheil bewahren?

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Seitenzahl: 381

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Widmung

Für die drei Lieben meines Lebens:

Guido, Jan und Max!

1

»Ach du meine Güte! Sind das etwa Wackersteine? Hör dich nur an! Du keuchst wie eine alte Dampflok!« Während sie ihr Strickzeug auf die Knie sinken ließ, sah mir Margret über ihren oberen Brillenrand hinweg entgeistert dabei zu, wie ich den Weidenkorb in Größe eines Kinderplanschbeckens schnaufend auf unseren Esstisch hievte. Der Tisch war massiv und das war auch gut so. Mein Trageutensil ließ ein protestierendes Knacken ertönen, ein deutliches Signal für seine baldige Kapitulation. Die Befestigung des Griffs hatte mir schon den ganzen Heimweg über Sorgen bereitet. Als wollten sie sich zustimmend auf die Seite des gequälten Korbs schlagen, knisterten die Holzscheite im Kamin. Kampfeslustig schossen sie imaginäre Pfeile in meine Richtung. Dabei konnte ich rein gar nichts dafür! Margret richtete sich auf. »Ich fürchte, das war dann wohl sein letzter Einsatz! Weißt du eigentlich, wie viele Jahre mir dieser Weidenkorb schon treue Dienste geleistet hat, Elisabeth Wilson?« Die hohe Stirn meiner Freundin verkürzte sich dadurch, dass sie sich in kritische Falten legte. Dabei warf das flackernde Feuer wie zum Hohn lustig tanzende Schatten auf ihr Gesicht.

»Aber sieh dir meine Ausbeute an! Nicht schlecht für einen Feldzug, was?« Triumphierend hob ich ein Wollknäuel in die Höhe und musste dabei schmerzlich feststellen, dass meine Hand kaum noch zugreifen konnte. Sie verharrte immer noch in der Form, in der sie sich um den Haltegriff des Korbes gelegt hatte. Es half nichts, ich musste mir wohl oder übel eingestehen, dass sich mein Alter inzwischen häufiger meldete, als mir lieb war. Gequält ließ ich die Wolle zurückfallen und bemühte mich mit mäßigem Erfolg darum, meine Finger zu strecken. Irgendein Gelenk knackte. Margret ignorierte meine ächzenden Laute. Sie war nicht der Typ Mensch, der einen anderen aufgrund von derlei Lappalien – und in ihren Augen war meine Qual genau das – bedauerte oder gar betüdelte. Immerhin erhob sie sich gnädig, um einen abschätzenden Blick auf meine Errungenschaften zu werfen. Dabei steckte sie den Kopf so tief in den Korb, dass nur noch ihr grauer Haarknoten herauslugte, aus dem sich nicht das kleinste Härchen je herauswagte. Es hätte auch keine Chance gehabt, so fest saßen die Haarnadeln. Margret war respekteinflößend. Auch für Haare! Und für eine Fliege, die sich gemütlich auf dem Henkel des strapazierten Korbs ihre Flügel putzte und sich bei dem Herannahen von Margrets spitz zulaufender Nase genötigt sah, fluchtartig das Weite zu suchen.

»Ich kam mir vor wie eine Hausiererin! Fürchterlich! Aber dafür gibt es hier jetzt Wolle in sämtlichen Farben und Stärken. Tada!«

Sie hätte mich zumindest mit einem klitzekleinen Lob belohnen können. Schließlich galt mein Engagement einem guten Zweck. Aber darauf konnte ich bei Margret lange warten. »Wenn jetzt unser marodes Kirchendach nicht bald gerettet werden kann, weiß ich es auch nicht mehr!« Ich verschränkte die Arme. Eine Sanierung des Dachstuhls war unausweichlich geworden. Anderenfalls liefe man bald Gefahr, während des Gottesdienstes von einem Balken erschlagen zu werden. Unser beliebter Pfarrer, Mr Stonecastle, war schon ganz krank vor Sorge um seine Kirche. Denn obwohl Rosefield sämtliche Zuschüsse beantragt hatte, die es irgendwo zu holen gab, reichte das Geld hinten und vorne nicht, um die Sanierungskosten auch nur annähernd zu decken.

Margrets Haarknoten meldete sich.

»Wer hatte noch mal die Idee mit dem Wohltätigkeitsbasar? Deine Friseurin Mrs Gibson, oder?«

»Ja, bei der letzten Gemeinderatssitzung. Das wird den Dachstuhl zwar nicht sofort retten, aber immerhin! Jede Einnahme zählt. Und zwar möglichst bevor irgendwelche Sachverständigen, die sich selbst für unfassbar schlau halten, hier aufkreuzen und unser Schmuckstück des Dorfes wegen Baufälligkeit schließen.«

Das würde ich nicht zulassen! Nur über meine Leiche! Margret zerrte ein hellblaues Garn hervor.

»Nun, damit kann ich vermutlich etwas anfangen. Wenn ich mich beeile, schaffe ich bis Samstag noch einige Paare. Da muss ich wohl mal die Finger spielen lassen!« Fachkundig sortierte sie die Knäuel mit ihren schmalen Händen zu kleinen Haufen. Sie trug eine graue Strickjacke und der Anblick des gemusterten Bündchens versprühte einen Hauch von Nostalgie. »Wollen wir doch mal sehen, woraus sich Socken produzieren lassen, die sich dann auch hoffentlich gut verkaufen. Diese Sorte hier ist zu haarig. Niemand mag kratzige Socken. Und diese ist zu dick. Da passt kein Schuh mehr, nicht mal ein Pantoffel! Aber das dünne Garn hier, ja, das könnte gehen und hier … nanu! Was ist denn das?« Sie hob fragend den Kopf in meine Richtung.

»Das …«, ich machte absichtlich eine gewichtige Pause und schloss die Augen, während ich geräuschvoll ausatmete, »ist der Grund für den Muskelkater, den ich morgen haben werde! Oder glaubst du etwa, Wolle wäre so schwer, dass ich sie kaum tragen kann?« Verächtlich schnaufend rieb ich mir den rechten Arm.

»Setzt Muskelkater nicht voraus, dass man über Muskeln verfügt?« Margret hielt ein grünes Knäuel prüfend ins Licht und befühlte unschuldig dessen Beschaffenheit.

»Sehr witzig!« Ich verkniff mir die Bemerkung, dass sie ebenso wenig wie ich in der Position war, sich mit Muskelmasse zu brüsten, ganz gleich an welcher Stelle des Körpers sich diese normalerweise befinden mochte. Überspitzt ausgedrückt bestand ich nun einmal aus Speck und Margret aus Haut und Knochen. Da biss die Maus keinen Faden ab.

»Es freut mich außerordentlich, zu hören, dass es offenbar einen anderen Grund für deine Theatralik gibt als reine Wolle, meine liebe Elisabeth! Ich hatte schon einen Schwächeanfall befürchtet.«

»Schwächeanfall? Pah, von wegen! Wir sind 72 Jahre jung und keine 100! Die hässliche Vase von Miss Shaw ist schuld! Übrigens auch an der Kapitulation des Weidenkorbs!« Ich deutete anklagend auf den Korbinhalt. »Heb das Ding mal an, dann weißt du, wovon ich spreche!«

Margret wuchtete das Ungetüm auf den Boden. Kurz überkam mich die Angst, sie könne unter der Last zusammenbrechen, doch sie bewies mir wieder einmal, dass sie zäh war wie die Koteletts im Pub von Mr Moore, seit er keine Küchenhilfe mehr hatte.

»Donnerwetter!« Margret wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Das nenne ich Kitsch! Sie ist nicht nur an Gewicht, sondern auch an Hässlichkeit kaum zu übertreffen!«

»Sage ich doch! Wenn man längere Zeit auf das Muster schaut, büßt man an Sehstärke ein!«

»Warum hat Miss Shaw dir das Monstrum überhaupt mitgegeben? Du wolltest doch Wolle sammeln und keinen Sperrmüll.«

»Reine Schikane! Sie wollte sehen, wie ich unter der Last zusammenbreche!« Ich nickte entschieden. »Hast du gerade Sperrmüll gesagt?« Mir entwich ein Kichern.

»Nun ja, Elvira ist eine Wichtigtuerin, aber wieso sollte sie so etwas tun?«

»Weil ich zur Vorsitzenden des Organisationskomitees für den Basar gewählt worden bin und sie nicht! So sieht es aus! 18 Stimmen habe ich bekommen, es gab eine Enthaltung und nur eine Stimme für Elvira! Wir waren die einzigen beiden Kandidatinnen. Niemand sonst wollte sich das aufbürden. Ich glaube, die meisten waren ohnehin nur gekommen, um bei Mr Moore im Pub ein Ale auf Kosten des Pfarrers zu trinken.«

»Nun, das ist auch mit einer Menge Arbeit verbunden.«

»Das Trinken von Ale?«

»Die Organisation des Basars natürlich!« Sie schleuderte mir ein Wollknäuel entgegen. Ich fing es geschickt ab.

»Schon, aber mir macht so etwas Spaß. Und es ist doch für Rosefield!«

»Du bist die Ausnahme! Die meisten Menschen haben keine Lust, sich so etwas ans Bein zu binden. Ehrenamtliche Tätigkeiten sterben aus, weil sie oft undankbar und lästig sind.« Margret hob gewichtig den Zeigefinger.

»Elvira hat sich nur aufstellen lassen, um sich in den Vordergrund zu drängen! Alles andere ist der doch egal.« Missmutig ließ ich meine Hand durch die Luft fegen.

»Lass mich raten, du hast dich enthalten und Miss Shaw hat sich ihre Stimme selbst gegeben.«

»Stimmt! Genau so war es!«

»Aber war die Wahl denn nicht geheim?«

»Wir haben uns für eine offene Abstimmung entschieden.«

»Oh, das dürfte für Elvira ziemlich ernüchternd gewesen sein. Mich wundert, dass sie das Ergebnis so einfach akzeptiert hat. Das passt gar nicht zu ihr.«

»Sie hat den armen Pfarrer abgefangen, als er gerade gehen wollte. Vor den Toiletten! Mir würde das alles zu viel werden und ich wäre der Aufgabe nicht mehr gewachsen, hat sie gesagt!« Bei der Erinnerung kochte es erneut in mir. »Und weißt du, was sie dann gemacht hat?«

»Du wirst es mir gleich sagen.«

»Auf meinem Alter ist sie rumgeritten! Ich wäre lange nicht mehr so fit wie sie selbst! Gebrechlich käme ich ihr vor und auch ein bisschen vergesslich! Die spinnt doch!« Ich tippte mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Der bloße Gedanke an Elvira trieb meinen Puls in ungeahnte Höhen!

»Hast du gelauscht?« Margrets tadelnder Unterton war gespielt. Sie kräuselte streng die Stirn, aber um ihre Mundwinkel zuckte es heiter.

»Sagen wir, ich habe es rein zufällig gehört.« Ich riss meine Augen auf wie ein unschuldiges Rehkitz und meine Freundin grinste.

»Ich verstehe, rein zufällig …«

»Ich musste mal. Das wird doch wohl noch erlaubt sein.«

»Aha!«

»Es war dringend.«

»Selbstverständlich!«

»Pah! Der Aufgabe nicht gewachsen! Da lachen doch die Hühner!«

»Das ist allerdings eine Frechheit und zudem eine faustdicke Lüge! Du bist absolut allem gewachsen! Ich erinnere mich gut an den Tag im letzten Frühjahr, als du einem Mörder eine Bronzefigur auf den Kopf geschlagen hast.«

Ich wehrte entschieden ab. Alles, was mich an diese alte Geschichte erinnerte, schob ich grundsätzlich sofort zur Seite.

»Jedenfalls hat sie selbstverständlich freigiebig angeboten, für mich einzuspringen. Weil ich das in ihren Augen ja niemals bewerkstelligen könnte! Blöde Ziege!«

»Lächerlich!«

»Tja, aber Queen Shaw hat ihre Gunst bei den Einwohnern Rosefields leider inzwischen komplett verspielt.« Ich konnte eine gewisse Schadenfreude, die in meinen Worten mitschwang, nicht unterdrücken. Also versuchte ich es gar nicht erst. »Seit Mrs Gibson auf die Idee mit dem Basar gekommen ist, kommandiert Elvira alle herum. Wie ein Feldwebel! Und dabei merkt sie nicht einmal, wie genervt alle von ihr sind!«

Margret nickte.

»Ich kann es mir lebhaft vorstellen.«

»Sogar Sally Kinsley verdreht nur noch die Augen. Und das soll schon was heißen, wie du weißt! Elvira Shaw leidet ganz offensichtlich an einer schweren Form von Realitätsverlust! Wer es schafft, Sally auf die Palme zu bringen, hat wahrlich ganze Arbeit geleistet.«

Meine Freundin hob spöttisch eine Augenbraue.

»Sie konnte ihr eigenes Handeln noch nie richtig einordnen!

Was sagt denn Mr Stonecastle dazu? Irgendetwas muss er ihr ja geantwortet haben.«

Mein Grinsen wurde breit.

»Nun, er hält mich für die perfekte Besetzung für dieses Amt und das hat er auch unserer Spottdrossel unter die Nase gerieben!«

»Die Ärmste.« Margret machte einen kindlichen Schmollmund.

»Ich musste mir in die Faust beißen, um hinter der Toilettentür nicht vor Freude zu quietschen.«

»Und um zu beweisen, dass du doch überfordert bist, hat sie dir die Vase in die Hand gedrückt und sie dich bis ans Ortsende schleppen lassen?«

»Ich sollte darunter zusammenbrechen, so sieht es aus!« Ich tippte bei jedem Wort einmal energisch auf die Tischplatte. »Angeblich will sie das klobige Ding in ihrer großen Güte zu Dekorationszwecken zur Verfügung stellen. Ganz ehrlich, sollen die Leute etwa davonlaufen?« Ich ließ mich in meinen Ohrensessel fallen. »Hätte ich doch bloß nicht bei ihr geklingelt!«

»Wieso hast du die Vase nicht stehen lassen und gesagt, dass du sie nicht gebrauchen kannst?«

»Ach, keine Ahnung!« Resigniert starrte ich in die letzte sich aufbäumende Glut und machte Bewegungsübungen mit meiner Hand, indem ich sie mehrmals öffnete und wieder schloss. »Du hättest sehen sollen, wie sie wieder aussah! Ich war nicht sicher, was ich geschmackloser finden sollte, die Vase oder ihre Frisur.«

Ich hörte, wie Margret hinter mir erneut im Korb raschelte.

»Hat sie wieder deine arme Friseurin gequält?«

»Das kannst du laut sagen. Ich habe Mrs Gibson auf dem Heimweg getroffen. Eins kannst du mir glauben, sie war mit den Nerven völlig am Ende.«

»Siehst du, da habe ich wieder die Bestätigung für meinen Haarknoten! Mit Frisuren-Problemen habe ich nichts zu schaffen! Schlicht und praktisch – damit fährt man am besten!«

Ich beugte mich noch ein Stück weiter über meine linke Armlehne und beäugte Margret kritisch von der Seite. Mehr Schlichtheit ging tatsächlich nicht.

»Aber etwas mehr könntest du schon aus dir machen, liebste Margret! Es muss ja nicht gleich der Heuballen von Miss Shaw sein!« Seit ich nach dem Tod meines Mannes Harry in das überaus idyllische Cottage meiner Freundin gezogen war, versuchte ich schon, sie zu einer etwas modischeren Optik zu überreden. Zwecklos! Margret machte sich einfach nichts aus derlei Oberflächlichkeiten, wie sie es nannte. Ihr Haarknoten hatte in den letzten Jahrzehnten nur eine einzige Veränderung durchlebt. Er war von Kastanienbraun zu Mausgrau mutiert. Und ein Kleidungsstück musste zweckmäßig sein und wenn es das war, dann durfte es bleiben, bis es auseinanderfiel.

»Alles Mumpitz! Wenn ich von Zeit zu Zeit etwas habe, womit ich meinen Verstand füttern kann, bin ich wunschlos glücklich.«

Sie starrte plötzlich trübselig auf die geblümte Tapete.

»Ist alles in Ordnung?«

Die Antwort war ein tiefer Seufzer.

»Ich habe keine Arbeit für meinen Verstand, Elisabeth! Mir ist langweilig!«

»Oje! Bitte nicht!« Mir schwante Schlimmes.

»Es passiert nichts mehr in Rosefield, findest du nicht auch? Die spannendste Geschichte, die ich in den letzten Tagen gehört habe, war die von Mrs Turner über ihre verbrannte Pastete!« Mit verschränkten Armen trommelte Margret missmutig mit den Fingern der rechten Hand auf die Beuge des linken Arms.

»Ihr ist die Pastete verbrannt? Dabei brüstet sie sich immer so mit ihrer Pastete! Geschieht ihr mal recht!« Ich rieb mir die Hände.

»Fürchterlich, dieser ewig gleiche Trott! Die Tage sind so monoton! In der Zeitung steht auch nichts, was mich auch nur ansatzweise dazu verleiten könnte, genauer hinzusehen!«

»Ist das denn wirklich so schlimm? Ist doch schön, einfach mal ganz entspannt hier zu sitzen.«

»Sei so gut und reich mir noch mal die Kent News rüber. Vielleicht habe ich ja etwas übersehen. Schau mal, neben dir auf dem Beistelltisch.« Und mit tadelndem Unterton ergänzte sie: »Und natürlich ist es schlimm! Es könnte kaum schlimmer sein! Ich habe Langeweile! Hörst du, Elisabeth Wilson?«

»Oh nein, sag das nicht! Denk nicht einmal daran! Ich weiß noch zu gut, was passiert ist, als du dich das letzte Mal gelangweilt hast.« Ich schlug die Hände vors Gesicht und täuschte einen Ohnmachtsanfall vor. Als ich wieder aufblickte, stand Margret direkt vor mir. Ihre spitze Nase war nur eine Handbreit von meiner Knubbelnase entfernt.

»Nun mach doch nicht so ein Gezeter! Wenn man seinen Geist nicht fordert, rostet er ein, das ist eine ganz einfache Geschichte!«

Ich stieß einen theatralischen Seufzer aus, der all meine Sorgen zum Ausdruck bringen sollte.

»Lucy hat die Zeitung vorhin entsorgt, weil du sie heute bereits siebenmal gelesen hast! Sie war schon ganz zerfleddert.«

2

Im Gegensatz zu Margret mangelte es mir persönlich aufgrund des bevorstehenden Basars in keiner Weise an Beschäftigung. Ganz im Gegenteil!

»Also, ich verstehe überhaupt nicht, was du hast«, bekräftigte ich. »Es passiert doch gerade eine ganze Menge! Oder willst du das kommende Wochenende etwa als nichts bezeichnen?«

»Natürlich nicht. Aber das Stricken von Socken fordert meine grauen Zellen nicht, verstehst du das denn nicht? Das mache ich im Schlaf!« Margret schüttelte deprimiert den Kopf. »Nein, Elisabeth! Ich brauche etwas Kniffliges zum Grübeln! Tricks und Raffinesse! Etwas Unvorhersehbares!« Sie rieb die Daumen an den Zeigefingern, als könne sie damit etwas heraufbeschwören. Mit dieser Geste erinnerte sie mich an einen übereifrigen Italiener, der mir einmal im Urlaub die Besonderheit seines Pasta-Teigs hatte erklären wollen.

»Du könntest mir doch beim Organisieren helfen!« Mir war bewusst, dass dies keine weltbewegende Veränderung bewirken würde, doch es wollte mir gerade nichts Klügeres einfallen.

»Oder Pasta machen.«

»Wie bitte?«

»Ach nichts. Aber jemanden, der mitdenkt, könnte ich schon gut gebrauchen.«

Margrets Unterlippe, die sich leicht nach vorn verlagert hatte, verriet ihren Unmut. Sie hatte inzwischen ihren Ohrensessel bezogen, der schräg neben meinem stand.

»Das ist nun wirklich nicht gerade das, was mir vorschwebt.«

Ihre Pantoffelspitzen tippten abwechselnd ungeduldig auf den Boden.

»Wieso wundert mich das jetzt nicht?« Ich seufzte. »Aber immerhin ist es etwas anderes als Stricken, nicht wahr?« Schweigen. Ich hob die Arme und ließ sie in meinen Schoß fallen. »Hör zu, Margret, etwas anderes fällt mir nun einmal gerade nicht ein. Ich kann dir nicht mal eben schnell ein Verbrechen aus dem Ärmel schütteln.«

»Schade eigentlich. Das wäre mal wieder eine echte Herausforderung!«

Ich beschloss, nicht darauf einzugehen. Eine Zeitlang hörte man nichts außer dem Klappern der Stricknadeln. Dann hatte meine Freundin einen Entschluss gefasst.

»Na schön, ein handfester Kriminalfall wäre mir zwar weitaus lieber, aber erstens ist bedauerlicherweise keiner in Sicht und zweitens kann ich dich ja schließlich nicht einfach deinem Schicksal überlassen.«

»Sehr richtig!« Ich grinste.

»Wie weit bist du denn mit deinen Planungen?« Der Wollknäuel neben Margrets Füßen zappelte wie ein Fisch am Angelhaken, während er sich immer weiter auseinander rollte. Fasziniert versuchte ich, mit meinen Blicken den Nadeln und Maschen zu folgen. Es war unmöglich. Kopfschüttelnd gab ich auf und massierte stattdessen mit meiner linken Hand meine geschundene rechte.

»Wie viele Socken hast du inzwischen eigentlich gestrickt?«

»42 Paar.«

»Ernsthaft?« Mir blieb beinahe die Spucke weg. »Alle Achtung! Wie machst du das nur?«

Margret zuckte nur mit den Schultern und klapperte weiter.

Ich überlegte, an welcher Stelle ich mit meiner Berichterstattung über die Vorbereitungen beginnen sollte.

»Ich hatte ein Problem mit den Ständen, weißt du noch?«

»Ja, du wusstest nicht, wo du genügend Tische herbekommen solltest. Hat sich daran etwas geändert?«

»Allerdings! Graham Mitchell hat aus Holzresten Stände zusammengezimmert, ist das nicht unglaublich nett von ihm?«

»Absolut! Zumal die Tischlerei derzeit sehr gefragt ist und er kaum Zeit haben dürfte. Erst gestern habe ich gehört, dass er an einer neuen Theke für den Pub baut und die Kinsleys wollen anscheinend, dass er die Tür des Gemischtwarenladens abschleift.«

»Ich bin wirklich froh, dass er den Betrieb seines Vaters weiterführt. Die Stände müssen viel Arbeit gewesen sein. Und all die Holzreste hat er einfach so gespendet. Stell dir das nur vor!«

»Nun, so schätze ich ihn auch ein. Sein Vater war genauso.«

»Er ist so ein tüchtiger Mann und so gut aussehend, findest du nicht auch?«

»Tüchtig ist er, das stimmt. Ob er gut aussieht, kann ich nicht beurteilen.«

»In jungen Jahren hätte ich mich sicher auch nach ihm umgedreht, natürlich still und heimlich, ich weiß ja schließlich, was sich gehört.« Ich schmunzelte und zwinkerte Margret zu, die nachsichtig lächelnd mit dem Kopf wackelte.

»Elisabeth Wilson, ich muss doch sehr bitten! Du bist 72 Jahre alt!«

»Wenn schon, dann bin ich 72 Jahre jung und nicht alt! Außerdem fühle ich mich keinen Tag älter als 55!«

Für diese Aussage wurde ich mit einem zweifelnden Blick bedacht, den ich gezielt ignorierte.

»Wie dem auch sei. Bevor deine Schwärmereien noch ausarten, sag mir lieber, was du denn nun mit dieser wunderschönen Vase vorhast? Irgendwie muss sie ja wohl zum Einsatz kommen.«

»Ja, leider!« Ich kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe.

»Es sei denn, du gibst sie zurück.«

»So weit käme es noch!« Dann kam mir ein rettender Gedanke. »Aber natürlich! Blumen!«

»Blumen?«

»Ich denke, ich werde mich morgen auf den Weg zur Gärtnerei machen und Mrs Harris darum bitten, das hässliche Ding für den Basar mit ein paar besonders hübschen Gewächsen zu bestücken.«

Margret war nicht überzeugt.

»Meinst du, das macht es besser? Na ja, einen Versuch ist es wert. Am besten irgendwas Hängendes, damit viel von dem grausigen Muster verdeckt wird.«

»Ich frage einfach Evelyn Harris, ob sie eine Idee hat. Hoffentlich ist sie nicht krank.«

»Wieso meinst du das?«

»Wir sind uns vor zwei Tagen zufällig begegnet und da war sie völlig durch den Wind. Ich habe mir richtig Sorgen gemacht.«

Margret runzelte die Stirn.

»Klingt nach Überarbeitung. Mir ist schon zu Ohren gekommen, dass sie in den letzten Tagen häufig ganz allein im Laden stand und mit dem Kundenandrang überfordert war.«

»Ach, da fällt mir ein, hatte ich erwähnt, dass es auch einen Pflanzenstand geben wird?«

Meine Freundin überlegte kurz. »Du hattest gesagt, dass du darüber nachdenken wolltest.«

»Stimmt. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob Mr und Mrs Harris die Kapazität haben würden, denn wie du schon sagst, in der Gärtnerei scheint gerade der Bär zu steppen. Aber Gordon hat mir dennoch netterweise versprochen, einige Pflanzen herauszusuchen, weil es ja schließlich für einen guten Zweck ist. Obwohl Evelyn dagegen war.«

»Sie war dagegen?«

»Ja, sie hatte Angst, dass sie es zeitlich nicht schaffen. Aber Gordon meinte, sie würden das schon irgendwie hinkriegen.« Zufrieden rieb ich mir die Hände. »Und nicht nur das. Sie werden sogar selbst hinter dem Verkaufsstand stehen. Tada! Auch eine Idee von Gordon. Brillant, oder?«

»Nun, das ist sicher vorteilhaft. Bei Blumen braucht man jemanden, der sich damit auskennt.«

»Mr Pollit wird ebenfalls da sein und helfen. Ist es nicht fantastisch, wie gut er sich in seine Arbeit als Ortsgärtner eingefunden hat?« Ich erinnerte mich noch lebhaft an unseren unglücklichen Postboten, der seinen Kummer über die unliebsame Arbeit leider viel zu oft im Alkohol ertränkt hatte, was zu einigen fehlgeleiteten Briefen und zu jeder Menge Unmut geführt hatte. Die Idee, ihn stattdessen zum Ortsgärtner zu machen, hatte sich als goldrichtig erwiesen. Rosefield war unter seinen geschickten Händen zu dem Juwel der ganzen Grafschaft geworden.

»Ja, es scheint wirklich gut zu laufen. Mr Stonecastle ist ganz angetan davon, wie Mr Pollit die verwahrlosten Bereiche des Friedhofs auf Vordermann gebracht hat und die Schule hat endlich ihren eigenen Schulgarten. Mr Mallowan verbringt den halben Unterricht mit den Kindern draußen.«

»Das nenne ich Biologie zum Anfassen! Rosefield ist so schön wie noch nie. Ganz Candleham erblasst vor Neid.« Ich lehnte mich zufrieden zurück. »Übrigens war Dr. Hastings vorhin hier. Er lässt dir von Mr Walker aus der Apotheke ausrichten, dass es keine Probleme mit dem Heilkräuterstand geben wird. Seine Apothekenhelferin hat bereits Säckchen für den Verkauf gepackt und sie beschriftet.«

»Ach, was für eine Erleichterung! Mr Walker war der Einzige, von dem ich bislang noch keine Rückmeldung erhalten hatte.« Mich überkam das zufriedene Gefühl, alles im Griff zu haben. Miss Shaw würde ich es zeigen! »Wie nett von Dr. Hastings, dass er extra hergekommen ist. Er ist wirklich fürsorglich. Ein Mann mit dem Herz am rechten Fleck. So etwas ist heutzutage selten.«

Margret spähte über ihre Brille, die ihr bis auf die Nasenspitze gerutscht war.

»Was du nicht sagst? Nun, es würde mich nicht wundern, wenn er bei seinem Besuch hauptsächlich gehofft hatte, dich zu treffen.«

Ich spürte die Röte, die sich brennend auf meinen Wangen ausbreitete und war froh, mich hinter der hohen Lehne meines Ohrensessels verstecken zu können. Natürlich war mir nicht entgangen, dass sich die Besuche unseres Arztes in letzter Zeit gehäuft hatten, aber ich hatte diesen Aspekt der Tatsache zugeschrieben, dass er schlicht und ergreifend ein sehr umgänglicher Mann war, der Interesse an seinen Mitmenschen zeigte. Er wollte einfach höflich sein.

»Du sollst nicht immer solche Bemerkungen machen, Margret«, beschwerte ich mich lautstark. »Deine Anspielungen sind völlig aus der Luft gegriffen!«

»Aber natürlich, meine Liebe.« Ich konnte ihr Grinsen ganz deutlich am Klang ihrer Worte hören und hielt es für ratsam, das Thema nicht weiter zu vertiefen, um mir weitere Frotzeleien zu ersparen. Unauffällig griff ich nach einem Buch, das neben mir auf dem Beistelltisch lag und kühlte mit dem Einband meine Wangen. »Haben wir eigentlich noch Kekse?« Ich machte die Dose auf dem Kaminsims aus. Während das Klappern der Stricknadeln weiter ein angenehmes Hintergrundgeräusch abgab und uns unsere gute Lucy eine Kanne Tee brachte, deren Duft sich rasch im Raum verbreitete, berichtete ich von dem Angebot an Frisörprodukten, das Mrs Gibson für den kommenden Samstag zusammengestellt hatte. Zwischendurch schob ich mir einige der köstlichen Plätzchen in den Mund, die Lucy am Vormittag gebacken hatte. Eine ganz neue Sorte. Mit Cranberrys. Die fruchtige Note gab dem Ganzen das gewisse Extra. Neben dem Schuss Rum, der auch noch enthalten war.

»Seit wann isst man Plätzchen im Frühjahr?«, schnaubte Margret missmutig. »Und unterm Christbaum tanzen wir demnächst mit Hawaiikette und trinken Cocktails!«

»Wieso denn nicht? Wer hat bestimmt, dass es Plätzchen nur zu Weihnachten geben darf? Das hier sind eindeutig Frühlingsplätzchen! Siehst du das denn nicht?« Ich tippte an den Rand der nur noch zur Hälfte gefüllten Dose und biss geräuschvoll auf ein besonders gelungenes Exemplar. Meine Freundin sah mir unverwandt zu.

»Neumodische Sitten! Früher gab es Plätzchen in der Weihnachtszeit und basta! Und dann diese exotischen Sorten heutzutage. So ein Firlefanz. Ich brauche zu Weihnachten Mince Pies, die haben Tradition. Der Rest kann mir gestohlen bleiben!«

Ich ließ mich nicht beirren und kaute genüsslich weiter.

»Wer backt wohl die besseren Kekse, unsere Lucy oder Sally Kinsley? Ein Kopf-an-Kopf-Rennen würde ich sagen. Sally hat eine Passion fürs Backen und Lucy ist ein Naturtalent, wenn es um Kulinarik geht.«

»Sally war gestern ein bisschen grün um die Nase«, fiel Margret ein. »Sie hing hinter der Ladentheke wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Angeblich hatte sie wohl etwas Falsches gegessen.«

»Vielleicht ist es auch ein Magen-Darm-Infekt. Ging neulich rum. Oder sie hat sich tatsächlich einfach nur den Magen verdorben.«

Ich zuckte mit den Schultern und griff erneut in die Keksschale, denn eins stand fest, meinem Magen ging es ausgezeichnet.

»Also ich tippe ja eher auf den Storch.«

»Den Storch?«

»Also bitte, Elisabeth, dass ich als eingefleischte Junggesellin das ausgerechnet dir erklären muss, hätte ich nicht gedacht. Du bist doch diejenige von uns, die zwei Söhne hat.«

»Ach so, aber George und Sally versuchen doch schon so lange, ein Kind zu bekommen. Ohne Erfolg. Meinst du wirklich?«

»Was lange währt …«

Der restliche Nachmittag verlief in angenehmer Eintracht in unserem friedlichen Refugium. Margret vollendete das 43. Sockenpaar und ich zählte ihr unser Basarangebot auf. Dabei überkam mich tatsächlich ein gewisser Stolz. Die Produktpalette war vielseitig. Das hätte bestimmt nicht jede so auf die Beine gestellt. Auch keine Miss Shaw! Schon gar keine Miss Shaw!

3

Der nächste Morgen begann wie gewöhnlich mit einem ausgiebigen Frühstück und den Kent News. Die Sonne durchflutete das Zimmer und ließ meine Endorphine tanzen. Ich war bester Laune. Wie schön war es doch, mit Margret gemeinsam in ihrem von Rosen umwachsenen Cottage zu leben, anstatt allein zu versauern. Nach dem Tod meines lieben Harry war es die beste Entscheidung meines Lebens gewesen, bei ihr einzuziehen. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen unserer unübersehbaren Verschiedenheit ergänzten wir uns vortrefflich. Und gelegentliche Meinungsverschiedenheiten gab es schließlich hinter jeder Haustür. Das war bei uns in Rosefield ebenso wie anderswo.

Ich biss in einen knusprigen Toast und seufzte beglückt. Die Röstaromen stiegen mir in die Nase und mischten sich mit dem würzigen Duft des dampfenden Omeletts, das Lucy direkt aus der Pfanne auf meinen Teller gleiten ließ. Es glänzte goldgelb und hatte an einigen Stellen eine leichte Bräune angenommen. Ein verlockender Käsefaden zog sich bis zu dem Pfannenwender, den Lucy in die Höhe hielt, um ihn abzuwimmeln.

»Gibt’s denn sowas?«, schimpfte sie den Käse lachend und ließ den Wender zurück in die Pfanne gleiten.

»Sag mal, Lucy, du fotografierst doch so gerne.« Während ich sprach, fiel mir auf, dass ich noch kaute. Rasch bedeckte ich meinen Mund mit meiner Hand und griff mit der anderen nach meiner Teetasse, um die restlichen Krümel wegzuspülen.

»Oh ja, furchtbar gerne. Ich muss zugeben, ich habe das in letzter Zeit etwas vernachlässigt. Dabei gibt es hier überall fantastische Motive. Allein der See und die kleine Brücke unten am Fluss. Wenn da die Morgensonne draufscheint – grandios!«

»Du könntest doch auch deine Gerichte ablichten und ein Kochbuch daraus machen. Was hältst du davon? Vielleicht sogar mit typischen Gerichten der Region, aber«, ich hob wissend den Zeigefinger, »mit dem gewissen Lucy-Extra! Darauf kommt es an! Das ist die Würze!«

»Meinen Sie, das würde jemanden interessieren, Mrs Wilson? Kochbücher gibt es doch wie Sand am Meer.« Lucys Gesichtsausdruck spiegelte ihre Zweifel wider.

»Natürlich gibt es die. Aber es sind eben keine speziellen Lucy-Kochbücher, verstehst du? Wenn die Leute etwas Regionales hätten, aufgepeppt mit deinen Tricks und Kniffen und dazu leicht erhältliche Zutaten! Nicht dieses ganze Zeugs, für das man extra in spezielle Läden nach London fahren muss.« Ich winkte ab. »Regionale Zutaten, kostengünstig und lecker! Glaub mir, dein Kochbuch würde weggehen wie das frische Brot von Sally Kinsley.« Ich beugte mich etwas vor. »Findest du nicht auch, Margret?«

Meine Freundin blickte nicht auf. Ihre Nase steckte in den Kent News.

»Durchaus möglich«, sprach die Zeitung.

»Na ja, Spaß machen würde es schon. Vielleicht denke ich mal darüber nach.« Lucy schürzte die Lippen und blickte überlegend aus dem Fenster. »Fotografieren und Kochen – keine schlechte Kombination.«

»Du könntest deine beiden Leidenschaften miteinander kombinieren. Wäre das nicht großartig?« Ich klatschte euphorisch in die Hände.

»Der Gedanke hat Charme, das muss ich zugeben. Vielleicht mache ich tatsächlich demnächst einfach mal ein Foto von einem Gericht, das mir besonders gut gelungen ist. Nur so zum Testen. Kann ja nicht schaden.«

»Dieses Omelett hätte sich beispielsweise schon bestens geeignet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der König von England besser in den Tag startet als wir!«, bemerkte ich zufrieden.

Margret hob eine Augenbraue. »Damit könntest du recht haben. Auf diesem Tisch steht so viel, dass es für das komplette Personal des Buckingham Palace reichen würde. Und für das von Windsor Castle noch dazu!«

Lucy grinste und verschwand wieder in der Küche. Ich nahm die Verteidigungsposition für meinen heiligen Tagesbeginn ein.

»Na ja, aber das Frühstück ist ja auch schließlich die wichtigste Mahlzeit des Tages!«

»Ist das so?«

»Natürlich! Und ich plädiere dafür, es zu zelebrieren.« Selbstzufrieden tupfte ich mir den Mund ab in dem sicheren Gefühl, die Weisheit des Tages rausgehauen zu haben.

»Du zelebrierst doch jede Mahlzeit!«

»Essen ist ja auch Lebensqualität!«

»Nun, ich betrachte es eher als Notwendigkeit, falls man die Absicht hat weiterzuleben. Und dazu brauche ich nicht diese Massen!« Sie machte eine ausladende Handbewegung über den Tisch. »Weißt du, was das hier ist?« Ihr Zeigefinger tippte tadelnd auf die Tischplatte. »Völlerei!«

Ich deutete mit meiner Serviette auf meinen Teller. »Das Omelett ist köstlich! Lucy hat es heute mit Schinken, Käse und Champignons gefüllt. Und sieh nur, sie hat sogar an Schnittlauch gedacht. Eine absolut stimmige Zusammenstellung, das muss ich wirklich sagen.« Mit Gabel und Messer bewaffnet sezierte ich meine Mahlzeit, um Margret den Inhalt zur Schau zu stellen. Sie quittierte meine Darbietung lediglich mit einem Brummeln. Ich schüttelte verständnislos den Kopf. »Dir entgeht so viel, meine Liebe. Morgenstunde hat Gold im Munde, oder eben Omelett!« Genüsslich schob ich meine Gabel in den Mund. Margret griff ungerührt nach ihrer Teetasse und vertiefte sich in einen Artikel des Lokalteils, der mehr Interesse in ihr geweckt zu haben schien als mein Plädoyer über kulinarische Genüsse. Lucy huschte emsig umher, brachte eine frische Kanne Earl Grey, aus der es verführerisch dampfte und räumte schmutziges Geschirr ab. Aus der Küche hörte man das Brutzeln der Pfanne. Eigentlich hatte sie nur ein Jahr als eine Art Au Pair-Mädchen bei uns bleiben wollen, um danach vor dem Beginn ihres Studiums auf Weltreise zu gehen. Doch zu unserem großen Glück hatte sie die Avancen unseres guten Constable Dale erhört und daraufhin ihre Pläne zunächst nach hinten verschoben. Ich dankte dem Himmel täglich dafür! Margret reichte mir, ohne den Blick von dem Artikel abzuwenden, den Teil mit den Verkaufsanzeigen über den Tisch, woraufhin ich die Titelseite zu ihr schob. Unser morgendliches Ritual sah vor, dass wir uns die Kent News teilten. Aber während ich die Beiträge lediglich überflog, lernte mein Gegenüber sie auswendig. Faszinierend war, dass Margret sich die für sie wichtigen Details merkte und sie auch Jahre später noch wusste. Mit einem einzigen scannenden Blick! Meine Denkweise hingegen war von der ihren meilenweit entfernt. Damit hatte ich mich längst abgefunden. Ich war die Erbse, sie der Eintopf.

Ihr Stirnrunzeln verriet mir, dass sie gerade nichts Erfreuliches studierte.

»Ach du meine Güte, Mr Bennett ist gestorben!« Sie ließ die Zeitung sinken und nahm ihre Brille ab. Über ihre Stirn zog sich eine bedenkliche Furche. »Wie kann das sein? Noch vor zwei Wochen hat sein Cricket-Team den Pokal gewonnen. Er war der Star der Mannschaft. Äußerst seltsam …« Ihre Augen fixierten ein Gemälde an der Wand, das schon in ihrer Kindheit dort gehangen hatte. Es zeigte ein Herrenhaus mit einem verwilderten Garten davor. Durch dessen unzählige Blumen schwebte eine junge Frau in einer Art Feengewand. Ich mochte ihr unbändiges Haar, das vom Wind zerzaust war. Die tiefschwarzen Perlenaugen verliehen ihr das wilde und südländische Aussehen, das ich selbst in meiner Jugend gerne gehabt hätte. Für mich war sie ein verirrter Geist. Unheimlich, aber auch faszinierend. Vor ihr im Gras lag ein zerbrochener Spiegel, doch das Bild, das er zurückwarf, war verschwommen und trüb. In etwa so wie das Spiegelbild, das sich einem bei Wellengang im Wasser unseres Sees bot, wenn es moosgrün schimmerte, weil Wind oder Sturm es aufgewühlt hatten. Ich hatte das Gemälde schon unzählige Male betrachtet, aber zu meiner großen Überraschung fiel mir heute zum ersten Mal auf, dass der Künstler der Dame in Öl eine silberne Spange zugedacht hatte, die ihr Haar auf einer Seite hochhielt, und dass genau dieses Detail bei dem Spiegelbild fehlte. Ganz eindeutig! Da war nirgends eine Spange! Wieso hatte ich das noch nie bemerkt? Ich schob den Gedanken beiseite und widmete mich stattdessen Margrets Aussage, die in diesem Moment mehr Neugierde in mir weckte als das Gemälde an der Wand.

»Bennett? Doch nicht etwa der einflussreiche Mr Bennett aus Candleham?« Die Frage hätte ich mir eigentlich sparen können. Jeder im ganzen Umkreis wusste, wer die Bennetts waren. Es gab nur eine Familie hier mit diesem Namen. Aber der Gedanke, dass der vor Kraft strotzende Jeffrey Bennett gestorben sein sollte, war einfach zu abwegig. Ich biss erneut in meinen Toast und verschluckte mich an einem Krümel. Bei meinem kläglichen Versuch, den Störenfried mit einem Schluck Tee fortzuspülen, beachtete ich nicht, dass Lucy gerade nachgeschenkt hatte. Gequält von der heißen Flüssigkeit biss ich mir auf meine Unterlippe, deren Rötung ich binnen Sekunden spüren konnte, ohne sie zu sehen.

»Merkwürdig. Wirklich völlig unverständlich.« Margret sprach die Worte mehr zu sich selbst als zu mir. Dass ich mich am Tee verbrannt hatte, schien sie entweder nicht zu interessieren oder aber sie hatte es gar nicht bemerkt. Abwesend starrte sie aus dem Fenster. Dieses Verhalten war mir nicht neu und ich hatte den Versuch aufgegeben, es zu verstehen. Sie befand sich häufig in Parallelwelten, wie ich es gerne nannte. Da ich nicht sicher war, wie viele geistige Abzweigungen sie noch nehmen würde, überbrückte ich die Zeit, indem ich meine geschundene Lippe kühlte. Lucy hatte eine Kanne mit Wasser auf den Tisch gestellt. Ich schenkte mir etwas davon ein und tauchte den Zipfel meiner Stoffserviette in das kühle Nass. Margrets Rückkehr in die Realität ließ unterdessen weiterhin auf sich warten. Meine Geduld erreichte langsam, aber sicher den Nullpunkt. Laut sprach ich sie an und beugte mich dabei so weit nach vorne, wie es meine ausladende Oberweite zuließ.

»Er sah doch aus wie das blühende Leben, nicht wahr? Und sportlich war er! Ist viel gejoggt. In einem Tempo, als wäre der Teufel hinter ihm her! Manche Leute scheinen das irgendwie zu brauchen.«

Zu dieser Sorte hatte ich definitiv noch nie gehört!

Margret drehte immerhin den Kopf zu mir, sagte jedoch nichts. Also schraubte ich die Lautstärke weiter hoch. »Mr Bennett war doch wohl nicht krank, oder? Das hätte man doch erfahren! Spätestens letzten Freitag bei Mrs Gibson. Ihr Salon ist die beste Informationsquelle, die man finden kann.«

Lucy kam mit Rührei ins Zimmer.

»Ist alles in Ordnung, Mrs Wilson? Warum schreien Sie so?«

»Kennst du die Bennetts aus Candleham, Schätzchen?«

»Die Bennetts? Nein, nicht wirklich. Ich habe Mrs Bennett ein paar Mal von Weitem gesehen, aber mehr auch nicht. Patrick erzählt mir hin und wieder Geschichten über die Familie, wenn er mir die Gegend zeigt und mich quer durch Candleham schleppt.« Sie lachte und beugte sich verschwörerisch zu mir herunter. »Dabei weiß doch jeder, dass Rosefield viel schöner ist.« Ich mochte es, wenn sie mit dem jungen Constable unterwegs war. Eine Intensivierung dieser Beziehung konnte nur gut für uns sein. Je glücklicher sie war, umso länger blieb sie. Das war eine ganz einfache Rechnung. »Was ist das eigentlich für eine Vase im Flur?«

»Du meinst den hässlichen Klumpen von Miss Shaw?«

»Oh, Gott sei Dank, ich dachte schon, Ihnen gefällt so etwas und dieses Cottage verwandelt sich von nun an in ein Kuriositätenkabinett!«

»Himmel bewahre! Niemals!«

»In Candleham auf dem Trödelmarkt stand auch so ein schlimmes Teil. Patrick und ich haben uns köstlich darüber amüsiert. Am Abend war die Vase dann sogar zu verschenken und trotzdem wollte sie niemand. Sie war genauso grauenvoll wie die im Flur.«

Ich musste grinsen. »Was berichtet dein herzallerliebster Constable denn so an interessantem Tratsch über die Bennetts?«

»Ach, eigentlich nichts Besonderes. Nur, dass Mrs Bennett bis kurz vor ihrer Hochzeit noch mit Graham Mitchell aus der Schreinerei liiert war. Man munkelt, es hätte da irgendwie Überschneidungen gegeben. Muss ein ziemliches Eifersuchtsdrama gewesen sein. Einmal wurde sogar Sergeant Willis gerufen. Angeblich hat Graham Mr Bennett bedroht.«

»Nein! Tatsächlich? Das wusste ich ja gar nicht!«

»Na ja, Graham Mitchell ist ja niemand, der sein Privatleben an die große Glocke hängt. Daher war die Sache hier in Rosefield weniger bekannt als drüben in Candleham. Inzwischen wird er sich wohl beruhigt haben. Ist ja auch schon eine halbe Ewigkeit her. Ich glaube, Patrick sagte etwas von drei Jahren.«

»Also, das ist wirklich allerhand! Ich kann nicht glauben, dass ich nichts davon mitbekommen habe.«

Trotz meiner Empörung sah ich offenbar noch ziemlich hungrig aus, denn Lucy schaufelte mir eine ordentliche Portion Rührei auf den Teller. Vielleicht hoffte sie auch, mich damit zu beruhigen. Ich hinderte sie nicht daran. Es war ohnehin schon zu spät für ein Mittagessen, da konnte man das Frühstück getrost noch etwas ausdehnen. Ich gab ihr ein Zeichen, Margret auch etwas von dem Rührei zu servieren. Sie konnte etwas mehr auf den Rippen gut vertragen. Vermutlich würde sie es in Gedanken essen, ohne es zu bemerken, wenn ich ihr vorsichtig die Gabel in die Hand schob. Lucy lächelte wissend. Sie war inzwischen lange genug bei uns, um viele ähnliche Situationen erlebt zu haben.

»Ist Mrs Bennett nicht ziemlich jung?«, knüpfte ich an das vorangegangene Thema an. Lucy tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger an ihre Nasenspitze.

»Also vom Aussehen her würde ich sie auf Mitte 20 tippen.«

»Ja, das war auch meine Vermutung. Und erst zwei Jahre verheiratet! Ich erinnere mich noch genau. Es war damals das Ereignis in Candleham! Was für eine junge Witwe! Einfach furchtbar!«

»Witwe? Wieso Witwe?«

»Ach, Liebes, stell dir vor, Mr Bennett ist verstorben. Ganz plötzlich. Margret erzählte es vorhin. Es steht wohl in der Zeitung. Ich dachte, du hättest vielleicht davon gehört.«

»Verstorben? Wirklich? Du meine Güte! Ich hatte ja keine Ahnung! Patrick hat mir neulich noch erzählt, dass Mr Bennett einige Jahre älter war als seine Frau, aber so groß, dass man von Altersschwäche ausgehen kann, wird der Unterschied ja nun auch wieder nicht gewesen sein, oder?«

»Aber nein! Nicht doch! Er war maximal Mitte 40! Ich weiß ehrlich gesagt nicht, woran er gestorben ist. Vielleicht stehen Details in dem Zeitungsartikel. Hoffentlich erfahren wir den Inhalt heute noch …« Ich blickte Lucy vielsagend an und verdrehte dann genervt die Augen, denn Margret zeigte noch immer keine Reaktion. »Er war fit wie ein Teenager und ein hervorragender Cricketspieler. Margret hat auch gerade eben gesagt, dass die Mannschaft noch vor zwei Wochen den Pokal gewonnen hat. Ist doch so, Margret, oder?« Sie starrte auf ihre Serviette. »Ein Unfall hätte sich in Windeseile herumgesprochen, eine schlimme Krankheit auch. Gerade, wenn es sich um die Bennetts handelt. Das hätte man erfahren!«

»Aber von Graham Mitchell und seinem Eifersuchtsdrama wussten Sie auch nichts, also funktioniert der Funk nach Candleham vielleicht doch nicht so perfekt.« Lucy zwinkerte mir schelmisch zu.

»Na, na, na, mein Kind, machst du dich etwa lustig über mich und meine Informationsquellen?«

»Aber nicht doch! Das würde ich nie tun!«

Ich knuffte sie freundschaftlich in die Rippen.

»Ich muss zugeben, dass die Standleitung von Candleham zum Friseursalon bei der Sache mit Graham Mitchell offensichtlich defekt war. Wer weiß, woran es gelegen hat. Aber glaube mir, wenn jetzt etwas mit Mr Bennett gewesen wäre, hätte Mrs Gibson das gewusst! Hundertprozentig!«

»Ich könnte Patrick später fragen, ob er etwas gehört hat.«

»Gute Idee.«

Sie verschwand mit der Pfanne in der Küche.

4

Ich fokussierte das Bild mit der Geisterfrau und dachte nach. Was war nur geschehen drüben in Candleham? Ein plötzlicher Herzstillstand? Oder gar ein Suizid, über den niemand sprechen wollte? Nein! Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ein sportfanatischer Mann wie Mr Bennett, der noch dazu erst vor zwei Jahren geheiratet hatte, brachte sich doch bestimmt nicht einfach so um. Eher würde man Margret zu einer Typberatung mit anschließendem Wellnessurlaub überreden. Ob es die Höflichkeit verlangte, Mrs Bennett einen Kondolenzbesuch abzustatten?

»Margret, hörst du mich?« Meine Stimme dröhnte so laut durch das Zimmer, dass ich vor mir selbst erschrak, aber immerhin erntete ich eine Reaktion. Ziel erreicht! Wie von einer Nadel gestochen, zuckte meine Freundin zusammen. Ihre Brille sauste auf die Nasenspitze herunter und sie stieß gegen ihre Tasse, die daraufhin verdächtig hin und her wackelte. Entrüstet nach Luft schnappend, warf sie die Arme nach oben.

»Himmel, Donnerwetter! Wieso schreist du denn so? Soll ich vielleicht einen Herzinfarkt bekommen?«

»Na, du hörst mich sonst ja nicht!«

Sie warf mir einen verständnislosen Blick zu.

»Ich höre die Dinge, die ich hören möchte, meine liebe Elisabeth. Der Rest wird aussortiert!«

»Herzlichen Dank auch!« Beleidigt verschränkte ich die Arme. »Denkst du, es war ein Unfall?«

»Unfall?«

»Der Tod von Mr Bennett natürlich. Was denn sonst?«

»Davon ist in dem Artikel hier zumindest keine Rede. Überhaupt findet man keinerlei Details. Der Journalist wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Auch eine Kunst für sich!«

»Arme Mrs Bennett. Erinnerst du dich an die pompöse Hochzeit? Mit allem Pipapo! Mrs Gibson sagt, sie hatten einen himmelteuren Caterer und irgendeine prominente Band. Und alles war weiß, weiße Zelte, Stühle mit weißen Hussen, weißer Blumenschmuck und all solche Sachen. Riesige Kerzenleuchter und Skulpturen aus Eis! Stell dir das nur vor!«

»Nun, Mrs Gibson muss es ja wissen.«

»Sie hat auch erzählt, dass Tage zuvor Unmengen an Champagner geliefert worden sind. Und Kaviar! Die Bennetts müssen unfassbar reich sein, nicht wahr?«

»Wie man sieht, hat das dem guten Jeffrey Bennett auch nicht geholfen. Man kann sich eben nicht alles für Geld kaufen! Der Tod kostet für alle dasselbe, nämlich das Leben! Da gibt es weder Aufpreis noch Rabatt!«

»Sie hatten nicht einmal Kinder.« Das fand ich wirklich bedauerlich. Kinder wären jetzt sicher ein Trost für die junge Witwe gewesen. Aber Mrs Bennett war ganz allein mit ihrer Trauer.

»Wer weiß, wozu es gut ist«, entgegnete Margret emotionslos.

»Denkst du, wir sollten sie besuchen? Also ich an ihrer Stelle würde mich über Gesellschaft freuen.«

»Aber es ist ja nicht jeder wie du, Elisabeth. Manche Menschen sind in einer solchen Situation gerne allein. Was ich übrigens absolut nachvollziehen kann. Es muss nicht immer zugehen wie am Piccadilly Circus.«

»Aber es gibt ja nicht nur schwarz und weiß. Ein kurzer Besuch von zwei Nachbarinnen ist schwerlich vergleichbar mit einer Partymeile.« Mein Blick wanderte wieder zu der Geisterfrau und dem zerbrochenen Spiegel. »Ich glaube schon, dass sie sich freuen würde. Mrs Bennett wirkt auf mich zwar immer etwas unnahbar, aber das heißt ja nichts. Sie ist eben still, sympathisch, zurückhaltend.« Ich schloss die Augen, um mir das Bild der jungen Frau vorzustellen. »Leider kenne ich sie nicht sonderlich gut. Unsere Gespräche haben sich bislang immer auf die gängigen Floskeln beschränkt.« Ich schüttelte mit der Hand ins Leere. »Was man halt so sagt über das Wetter, Feiertage, einen neuen Wochenanfang und so.«

Margret verzog die Mundwinkel.

»Mich wundert nur, wie ein derart zurückhaltender Mensch Wert auf eine so prunkvolle Hochzeit legen kann. Das passt doch gar nicht zusammen.«

»Laut Mrs Gibson hat Mr Bennett damals hauptsächlich die Planung übernommen. Er stand wohl auf große Partys und Feste.« Ich überlegte. »Vielleicht sind es ja gerade die ruhigen Menschen, die sich freuen, wenn jemand auf sie zugeht. Was meinst du, Margret?« Meine Freundin hing schon wieder mit ihrer Nase in der Druckerschwärze. Genervt trommelte ich mit meinen Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Nur weil jemand still ist, heißt das ja nicht, dass er oder sie gar keine Gesellschaft mag, oder?«

Ich fragte mich, ob meine Freundin überhaupt irgendetwas von dem mitbekam, was ich die ganze Zeit erzählte.

»Margret!«

»Mhm.«

»Was denkst du darüber?«

»Entschuldige, was meintest du?«

Ich stöhnte. Es kostete manchmal einfach unfassbar viel Energie, eine Konversation mit ihr am Laufen zu halten.

»Sollten wir Mrs Bennett einen Besuch abstatten?«

»Wie hieß noch gleich dieser Kriminalroman, den ich vor einigen Monaten bei Mrs Turner ausgeliehen hatte?«

»Woher soll ich das wissen?« Ich holte tief Luft und ließ sie aus aufgeplusterten Wangen wieder entweichen.

»Völlig nichtssagend! Die jungen Autoren heutzutage verstehen ihr Handwerk nicht mehr. Der Geist erfährt keine Anregung beim Lesen, es ist ernüchternd!«