Das Schwarze Trikot - Jorge Zepeda Patterson - E-Book

Das Schwarze Trikot E-Book

Jorge Zepeda Patterson

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  • Herausgeber: Elster Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

21 Tage. 3500 Kilometer. 1 Mörder. Ein brillanter und hinterhältiger Krimineller verwandelt die Tour de France in ein Rennen um Leben und Tod. Das Schwarze Trikot bietet so viele Wendungen wie das tückische Radrennen, das sich durch die Alpen und die Pyrenäen schlängelt. Während ein Fahrer nach dem anderen ausgeschaltet wird, sind wir den Machenschaften des Mörders auf der Spur und erleben gleichzeitig den Adrenalinrausch des Wettkampfs. Der internationale Bestsellerautor und Planeta-Preisträger Jorge Zepeda Patterson verwebt komplexe Charakterporträts mit einer präzisen Milieudarstellung zu einem raffinierten Thriller über Erfolgssucht und Loyalität – ein atemloses Lesevergnügen!

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Seitenzahl: 550

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Jorge Zepeda Patterson

Das Schwarze Trikot

Roman

Aus dem Spanischen von Carsten Regling

Für Susan

Inhalt

Prolog

2006

Die Tour, Etappen 1–6

7. Etappe

8. Etappe

2005–2016

9. Etappe

10. Etappe

11. Etappe

2010

12. Etappe

13. Etappe

2014

14. Etappe

15. Etappe

16. Etappe

Ruhetag

17. Etappe

18. Etappe

19. Etappe

20. Etappe

21. Etappe, Epilog

Prolog

Am Sonntag, wenn die bunte Schlange den Arc de Triomphe passiert und die Rundfahrt nach einundzwanzig Tagen und dreitausendfünfhundert Kilometern in Paris ihren krönenden Abschluss findet, werde ich entweder im Leichenschauhaus liegen oder das Gelbe Trikot der Tour de France tragen. Ich stand noch nie auf dem Podest, habe noch nie eine Etappe gewonnen, doch jetzt liege ich nur wenige Sekunden hinter dem Gesamtführenden, Steve Panata, meinem Teamkollegen und besten Freund seit elf Jahren. Um das Gelbe Trikot zu erobern, muss ich ihn am letzten Tag verraten.

Für einen Etappensieg bei der Tour sind einige Fahrer bereit, bei selbstmörderischen Abfahrten mit Geschwindigkeiten von über neunzig Stundenkilometern ihr Leben zu riskieren. Inzwischen weiß ich, dass einige auch bereit sind, dafür zu töten. Unter uns versteckt sich ein Mörder, und die Polizei hat mich beauftragt, ihn zu finden. Ein Krimineller, der mehrere Träger des Gelben Trikots aus dem Weg geräumt hat und geschnappt werden muss, bevor er das nächste Mal zuschlägt. Ich selbst könnte das nächste Opfer sein. Aber ich weiß auch, dass ich dank dieses Mörders die Tour de France gewinnen kann.

2006

Alle hassten ihn vom ersten Augenblick an, alle außer mir. Er kaute pausenlos Kaugummi, und alle drei Sekunden fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, als wäre es ein Toupet, das er verlieren könnte. Aber auch ohne diese Ticks wäre er bei der gesamten Truppe auf Abneigung gestoßen. Er kam mit einem teuren Land Rover zum Trainingslager und lud ein aerodynamisches Rad aus, wie es der Rest von uns bisher nur bei Eliteprofis gesehen hatte. Auch dass er Amerikaner war, war nicht gerade hilfreich. Er sah aus wie ein Hollywoodstar und lächelte wie jemand, der es gewohnt ist, zu bekommen, was er will.

Ich empfing ihn mit offenen Armen. Der Neue war meine einzige Chance, von den anderen in Ruhe gelassen zu werden. Seit meiner Ankunft vor zwei Wochen war ich regelmäßig das Opfer der traditionellen Streiche, zu denen der Frust über das harte Training an einem Ort mit zu viel Testosteron anregt. Wegen der Teamkollegen waren meine ersten Wochen als Profi – falls die Bezahlung von fünfzig Euro pro Woche mich zu einem machte – die Hölle auf Erden, weshalb ich dankbar war für die Aussicht, von nun an nicht mehr das einzige Ziel ihrer üblen Streiche zu sein.

Vielleicht war es das, was uns verband: Wir nahmen die Qualen stoisch hin und schrieben sie irgendeinem Initiationsritus zu, dem sich jeder Lehrling unterziehen musste. Oder besser gesagt, er nahm sie stoisch hin, und ich ahmte ihn nach.

»Ich würde den Haferbrei nicht essen, da hat bestimmt einer reingespuckt«, sagte er zu mir, als wir das erste Mal ein Wort miteinander wechselten, und reichte mir einen Proteinriegel. Er wirkte eher belustigt als sauer, als fühlte er sich dadurch, dass er die anderen entlarvt hatte, klüger als sie.

Im Laufe der Tage begriffen wir, dass es kein Initiationsritus war – sie hatten einfach nur Angst vor uns. Von den sechsundvierzig Fahrern, die zu Beginn des Trainingslagers dabei waren, würde das Team Ventoux gerade einmal siebenundzwanzig behalten, und nur die besten neun würden die erste Equipe bilden und an den entscheidenden Tests teilnehmen.

Einen Monat später, als das Training immer anspruchsvoller wurde und wir täglich hundertsechzig Kilometer mit steilen Abschnitten zurücklegten, wussten wir, dass die Sorge der Teamkollegen berechtigt war: Wir waren besser. Steve Panata fuhr mit einem gleichmäßigen Rhythmus und einer Eleganz, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte und auch nie wieder sehen würde. Ohne erkennbare Anstrengung fraß er die Kilometer mit einer Geschwindigkeit, die andere dazu zwang, sich über dem Lenker zu verbiegen. Ich glich diesen Nachteil durch eine physische Anomalie aus, die mich unter anderen Umständen zu einer Zirkusattraktion gemacht hätte: Die DNS meines in den französischen Alpen geborenen Vaters und die Gene meiner kolumbianischen Mutter, deren Vorfahren aus den Anden stammten, schienen gute Arbeit geleistet zu haben, denn sie bescherten mir eine dritte Lunge. Nicht, dass ich sie wirklich gehabt hätte, aber der Sauerstoffgehalt in meinem Blut war derart hoch, dass es wie eine Art natürliches Doping war.

Kaum waren wir auf der Straße, rächten Steve und ich uns für die erlittenen Kränkungen. Wir nahmen es uns nicht direkt vor, aber wir wussten genau, was wir taten. Zwanzig oder dreißig Kilometer vor dem von den Trainern festgelegten Ziel warf er mir einen verschmitzten Blick zu, und nach einer verschwörerischen Geste erhöhten wir die Trittfrequenz, erst ganz langsam, damit die anderen sich nicht geschlagen gaben und sich noch mehr verausgabten. Zehn Kilometer später, wenn wir sahen, dass alle am Limit waren, beschleunigten wir erneut, um sie endgültig hinter uns zu lassen. Aber zuerst versetzte Steve ihnen noch den Todesstoß: Seelenruhig begann er vom letzten Film zu erzählen, den wir gesehen hatten, als würde er in einer Bar mit Freunden plaudern und nicht gerade eine Steigung erklimmen, bei der jedem anderen die Luft ausging.

Zu der Angst, die wir auslösten, kam noch die Abneigung hinzu. So abgeschieden, wie wir an diesem entlegenen Ort in den Bergen Kataloniens waren, umgeben von Dutzenden von ehrgeizigen, wütenden Männern, die um jeden Preis Profis werden wollten, hatte ich manchmal die Befürchtung, sie könnten uns eine derartige Tracht Prügel verpassen, dass unsere Karriere in Gefahr geriete. Für all diese Jungs, mich eingeschlossen, war die Aufnahme ins Profiteam von Ventoux das Einzige, was uns vor einer mittelmäßigen und strapaziösen Arbeit auf einem Bauernhof oder in einer Fabrik bewahren konnte. Und ehrlich gesagt schien der Weg ins Gefängnis für manche von ihnen bereits vorgezeichnet. Bei Steve war das anders, der professionelle Radsport war nur eine von vielen Optionen für ihn, ihm schien zwangsläufig eine erfolgreiche und bequeme Zukunft bevorzustehen. Ein Grund mehr, ihn zu hassen.

Und es gab weitere: Zum Beispiel konnte er ausgesprochen charmant sein, was viele für ihn einnahm, vor allem Frauen, Manager und Trainer. Die wenigen Male, die wir uns gemeinsam mit ein paar anderen aus der Gruppe in eine Kneipe in der Gegend davonstahlen, und sei es nur, um ein alkoholfreies Bier zu trinken, führte dieser Charme zu handfestem Streit mit den Stammgästen. Ein kurzer Flirt oder eine Serviette mit einer Telefonnummer reichten aus, um eine heftige, oft mit Schlägen verbundene Auseinandersetzung auszulösen.

Für jemanden, der so schnell Neid und Ablehnung hervorrief, fiel es Steve erstaunlich schwer, sich zu wehren. Die Eleganz, die er auf dem Rad oder auf einer Tanzfläche zur Schau stellte, verwandelte sich in Ungeschicklichkeit, sobald es die ersten Ohrfeigen hagelte. Nur dank meiner Ausbildung als Militärpolizist und meinen Erfahrungen bei der Armee mit aggressiven Betrunkenen in üblen Kaschemmen kamen wir jedes Mal mit halbwegs heiler Haut davon.

Mit der Zeit ließen die Streiche und Belästigungen der anderen nach und hörten schließlich ganz auf, allerdings erst, nachdem ich mich mit dem Schlimmsten von ihnen prügeln musste, einem grobschlächtigen Bretonen mit den Muskeln und der Visage einer Bulldogge. Er wog gut zehn, zwölf Kilo mehr als ich, war aber weder in einem Armenviertel von Medellín aufgewachsen noch hatte er drei Jahre in einer Kaserne in Perpignan verbracht. Ich hatte eine Überlebensstrategie entwickelt, die in erster Linie darin bestand, jeder Art von Konflikt aus dem Weg zu gehen, was meinem Temperament entsprach – eine Strategie, die gut funktionierte, solange ich bereit war, bei den seltenen Malen, wo sich eine Auseinandersetzung nicht vermeiden ließ, jegliche Form von Gewalt anzuwenden. So wie an jenem Tag, als ich Steve zu Hilfe kommen musste.

Ivan, der Bretone, zerschnitt immer wieder nachts die Reifen des Rennrads meines Freundes, was uns zu hektischen Reparaturen zwang, um rechtzeitig zum Training zu erscheinen. Eines Morgens war Steves Rad verschwunden. Ivans spöttisches Grinsen ließ keinen Zweifel daran, wer dafür verantwortlich war. Ich glaube, er hatte es darauf abgesehen, dass Steve sich diesmal wehrte. Aber dadurch war er abgelenkt und sah mich nicht kommen. Ich ließ meinen Vorderarm mit aller Kraft nach vorne schnellen und erwischte ihn mit dem Ellbogen im Gesicht. Ich traf ihn genau zwischen Kinn und Schläfe. Der Schwachkopf landete unsanft auf dem Boden, während seine Anhänger sprachlos meinen unerwarteten Gewaltausbruch bestaunten. Auch mit dem Folgenden hatten sie nicht gerechnet: Ich trat so lange auf den am Boden zusammengerollten Schlägertyp ein, bis er uns verriet, wo er das Rad versteckt hatte. Von da an hatten wir unsere Ruhe.

Auch die höfliche Art, mit der Steve von nun an den anderen Fahrern begegnete, tat das Ihre. Er verteilte großzügig den Inhalt der Pakete, die er aus den USA geschickt bekam: Musik-CDs, Proteinriegel und Proteingels, Rennradschuhe, Trikots – eine subtile Art von Bestechung, die schon bald Dividenden abwarf. Als die Zeit im Trainingslager sich ihrem Ende näherte, behandelten sie uns, als wären wir die Könige der Landstraße.

Manchmal frage ich mich, ob die enge Freundschaft, die am Ende unser Leben bestimmte, mit dieser auf gegenseitigem Schutz beruhenden Allianz besiegelt wurde. Zumindest auf mich trifft das zu. Trotz allem, was später geschah, denke ich noch immer, dass dieses bedingungslose, auf absoluter Loyalität beruhende Bündnis, das wir vom ersten Augenblick an schmiedeten, aufrichtig und tief war.

Auf jeden Fall war die Faszination gegenseitig. Als wir uns kennenlernten, war er einundzwanzig, ich dreiundzwanzig. Steve war als gut behütetes und verwöhntes Einzelkind eines Anwaltspaars in Santa Fe, New Mexico, aufgewachsen. Seine Eltern unterstützten seine Leidenschaft für den Radsport, und als er beschloss, an den Jugendmeisterschaften seines Landes teilzunehmen, bezahlten sie halbprofessionelle Trainer für ihn. Er fuhr alle in Grund und Boden, immer umgeben und protegiert von einem kleinen Tross, der erst von seiner Familie und später von verschiedenen Sponsoren, die das Potenzial dieses Jahrhunderttalents erkannten, finanziert wurde.

Doch jetzt, im Norden Spaniens, stand Steve zum ersten Mal einer feindlichen Umgebung gegenüber. Er hatte begriffen, dass er nie den Gipfel des Straßenradsports erklimmen würde, ohne die harte Schule der europäischen Teams und ihrer unerbittlichen Trainingsmethoden zu durchlaufen. Vielleicht war er deshalb so von meiner Fähigkeit begeistert, an Orten und in Situationen zu überleben, die ihm exotisch und faszinierend vorkamen und die für mich die beschissene Realität waren. Von den Umständen getrieben, wurde ich zu dem, der ich bin, so wie es bei allen der Fall ist, die nicht Panata heißen. Ich wurde Radrennfahrer – so wie andere Büroangestellte oder Verkäufer –, weil das der Strohhalm war, an den ich mich klammern konnte, als ich mich einfach nur über Wasser zu halten versuchte. Steve dagegen gehörte zu den Menschen, deren Zukunft das Ergebnis eines festen Plans war.

Für ihn war meine Kindheit als Fast-Waise der Inbegriff der Freiheit. Mein Vater, ein französischer Offizier, der jahrelang für die Sicherheit verschiedener Botschaften in Lateinamerika zuständig war, hatte meine Mutter, eine Frau aus Bogotá mit peruanischen Wurzeln und aus ärmlichen Verhältnissen, verlassen, als ich noch keine neun war. Von da an verbrachte ich die Sommerferien in einer Hütte in den Alpen, wohin er sich zurückgezogen hatte, und den Rest des Jahres in einem Haus aus rotem Ziegelstein am Stadtrand von Medellín. Weil meine Mutter Krankenschwester war und in zwei verschiedenen Krankenhäusern Schichtdienst hatte, war ich oft allein. Mit der Zeit begriff ich, dass sie nur einen Vorwand suchte, um nicht mit dem Kind aus einer Ehe zusammen sein zu müssen, die wegen einer ungewollten Schwangerschaft überstürzt zustande gekommen war. Später als Jugendlicher war ich überzeugt, dass sie nur darauf wartete, dass ich von einer meiner Reisen nach Frankreich nicht zurückkehren würde. Diesen Gefallen hätte ich ihr liebend gern getan, wenn mein Vater nicht genauso wild daraufgewesen wäre, mich bei meinen Besuchen so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Die Reise zu bezahlen und mich fünf Wochen bei sich aufzunehmen, war eine Verpflichtung, die Oberst Moreau gewissenhaft, aber ohne die geringste Begeisterung erfüllte.

Wahrscheinlich wäre ich von einer der Jugendbanden rekrutiert worden, die das Viertel terrorisierten, wenn das Fahrrad mich nicht gerettet hätte. Ungewollt war meine Mutter dafür verantwortlich. Die Zusatzschichten und eine Lohnerhöhung erlaubten uns, von San Cristóbal, einer Gemeinde am Stadtrand, nach San Javier zu ziehen, ein einfaches Viertel in Medellín. Es war zwar ein sozialer Aufstieg, aber topografisch ein Abstieg, denn nach dem Umzug war ich gezwungen, zu Fuß die fast sieben Kilometer bergauf zurückzulegen, die mich von meiner Schule trennten. Was hieß, dass ich um 4:30 Uhr aufstehen musste, um rechtzeitig zur ersten Stunde dort zu sein. Irgendwann muss sie Mitleid mit mir bekommen haben, denn eines Tages tauchte sie mit einem großen, schweren Fahrrad auf, das sie gebraucht gekauft hatte und das mit Sicherheit gestohlen war. Ein richtiger Drahtesel, aber er sollte mein Leben verändern.

Paradoxerweise war es meine Faulheit, die mich zu einem Kletterspezialisten machte. Mein neues Gefährt erlaubte mir, den Wecker auf 5:30 Uhr zu stellen, und etwas später fing ich an, die Zeit für meinen Weg zu stoppen, um noch etwas länger schlafen zu können. Am Ende war ich regelrecht besessen davon. Jede Woche versuchte ich, ein oder zwei Minuten schneller zu sein. Ich verringerte das Gewicht meines Ranzens, schnitt die Kurven, zählte, wie oft ich bremsen musste, und drosselte die Anzahl der Bremsvorgänge auf das absolute Minimum. Ein Klassenkamerad machte sich über die kaputten Stiefel lustig, die ich auf einmal in der Schule trug, aber das störte mich nicht – dank der dicken Sohlen konnte ich die Pedale besser erreichen und meine Zeit für die Strecke um drei Minuten verkürzen.

Einer Lehrerin fiel auf, wie ich jeden Morgen scharf vor der Schule bremste, auf die Uhr sah und etwas in ein Notizbuch schrieb. Sie fragte mich, was ich da tue, und las dann neugierig meine Tabelle mit den Zeiten. Eine Woche später erzählte sie mir von einem Rennen für Hobbyfahrer, das sie mitorganisierte. Anfangs kam es mir absurd, ja lächerlich vor, an einem Rennen teilzunehmen – meine kaputten Stiefel und mein Drahtesel passten nicht zu den Bildern von den kolumbianischen Radsportidolen mit ihren bunten Trikots und aerodynamischen Maschinen, die ich gesehen hatte. Aber ich konnte nicht Nein sagen; die Hälfte der Schüler, zumindest alle über dreizehn, war in Carmen, die Lehrerin, verliebt. Ihre Fröhlichkeit, das sonnige Lächeln, die grünen Augen und vor allem die Art, wie sie sich in ihrem Rock bewegte, machten sie zur Heldin unserer feuchten Träume.

Auch wenn alle Teilnehmer bessere Schuhe trugen als ich, tröstete es mich, dass es noch andere Räder wie meins gab. Ich wollte unbedingt meine Lehrerin beeindrucken: Ich raste sofort nach dem Start los, überrascht, wie leicht ich die anderen hinter mir ließ, und dabei tat ich nichts anderes als das, was ich von meinem täglichen Schulweg gewohnt war. Ich begriff schnell den Grund dafür: Die anderen fuhren so, dass sie die zweiunddreißig Kilometer bis zum Ziel durchhielten. Ich war nach zehn Kilometern am Ende, und kurz darauf überholten mich die Ersten. Fünf Kilometer vor dem Ziel war ich Letzter. Es war mein erster Kontakt mit den Qualen der Landstraße. Meine Beine fühlten sich an wie Blei, und jeder Tritt in die Pedale hinterließ einen fürchterlichen Schmerz im Unterleib, als würde dort irgendwas reißen. Es war auch meine erste Begegnung mit dem Feind, den jeder Radrennfahrer in sich trägt und der ihn dazu drängt, die Qual zu beenden. Ich sagte mir, dass es genug war, dass ich der Jüngste aller Teilnehmer war, dass ich besser aufgeben sollte, aber ich stellte mir Carmens Enttäuschung vor und beschloss, mich nicht geschlagen zu geben und auch nicht Letzter zu werden. Ich konzentrierte mich auf den Rücken des Fahrers, der sich dreißig Meter vor mir befand, und steckte in jeden Tritt alles, was ich hatte, holte ihn ein und suchte den nächsten Rücken. Ich vergaß die Erschöpfung. Als ich das Ziel erreichte, musste ich mich übergeben und krümmte mich eine Weile mit fürchterlichem Seitenstechen, bewegte mich aber nicht von der Stelle – ich wollte die Fahrer zählen, die hinter mir ankamen. Es waren zehn. Bevor ich ging, umarmte Carmen mich und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Von diesem Tag an verbrachte ich die Nachmittage damit, die Hügel der Umgebung abzufahren. Ich überlegte mir längere Strecken, stoppte die Zeit und verbesserte sie. Ich verschlang alles, was Carmen mir über Ernährung und Wettkampftechnik zu lesen gab, und versuchte, alles zu übernehmen und in die Praxis umzusetzen, was im Bereich meiner Möglichkeiten lag. Meine Beine wuchsen, und die alten Stiefel gingen in Rente, aber es sollte noch lange dauern, bis ich ein Rennen gewinnen würde. Bis dahin genügten mir Carmens Begeisterung und die Feststellung, dass die Zahl der Fahrer, die hinter mir ins Ziel kamen, jedes Mal größer wurde.

Bei diesen langen, auf eigene Faust durchgeführten Trainingsfahrten bildete sich der Fahrer heraus, der ich heute bin. Das Erlernen der Techniken und Strategien kam später, doch dort schuf ich die Grundlagen für das, was einen Radprofi ausmacht: die Fähigkeit, Schmerzen zu ertragen, bis an die Grenzen und darüber hinaus zu gehen. Ich verausgabte mich an unmöglichen Steigungen in der Überzeugung, dieses Leiden würde mich Carmen näherbringen und ich könnte mir auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung verdienen.

Aber als sie zwei Jahre später zu einer Privatschule in Bogotá wechselte, brach meine kleine Welt in sich zusammen. Ich war verzweifelt. Nach ein paar qualvollen Wochen war ich davon überzeugt, ich könne sie nur mithilfe des Radsports zurückgewinnen. Mein Ruhm würde bis in die Hauptstadt dringen und uns schließlich vereinen. Ich verdoppelte meine masochistischen Trainingseinheiten, machte das Fahrrad zu meinem Folterinstrument. Der Schmerz wurde mein bester Freund.

In dieser Zeit entwickelte ich auch die andere Marotte, für die ich berühmt wurde: die Zeit zu stoppen, zu vergleichen, alles zu zählen und zu vermerken. Jahre später machten sich meine Teamkollegen, angefangen bei Steve persönlich, über meine Besessenheit von Zahlen lustig, und um mich zu ärgern, nannten mich einige »Buchhalter«. Früher oder später sollten mich jedoch alle fragen, wie viele Kilometer noch bis zum Ziel fehlten oder welchen Platz in der Gesamtwertung ein Fahrer einnehme, der aus dem Peloton ausgerissen war und einen Fluchtversuch startete. Es hat mich nie gestört, ihr dämliches Wikipedia zu sein an Orten, wo niemand sein Handy benutzen konnte.

In den Bergen Medellíns stellte ich auch fest, dass kein anderer unter einer so seltsamen Beziehung zum eigenen Schweiß litt wie ich – es ist ziemlich beschissen, auf den Schweiß, den dein eigener Körper produziert, ausgerechnet dann allergisch zu reagieren, wenn du davon lebst, diesen Körper zum Schwitzen zu bringen. Das Klima meiner Heimat hatte bereits früher Hautausschlag bei mir hervorgerufen, den ich mit Pulver und Salben behandeln musste, und es war nicht so, dass ich das erst in dem Moment entdeckte, als ich zum ersten Mal auf einem Fahrrad saß. Aber bis dahin war es nur ein lästiges Ärgernis gewesen, das sich auf extrem heiße Tage beschränkte. Jetzt verwandelte sich der Ausschlag in eine feuerrote Tätowierung an Stellen des Körpers, für die ein Jugendlicher sich eigentlich nicht schämen sollte, zumindest nicht aus diesem Grund.

Verschwitzt und immer irgendetwas zählend wurde ich zu einer bekannten Gestalt bei den Rennen, die an manchen Wochenenden in der Gegend ausgetragen wurden. Irgendwann hörte ich auf, die nach mir eintreffenden Fahrer zu zählen, und zählte stattdessen diejenigen, die das Ziel vor mir erreichten. Ich trat noch kräftiger in die Pedale, bis es jedes Mal weniger wurden.

Schließlich folgten die ersten Platzierungen auf dem Podest, und das, obwohl ich gegen Erwachsene antrat. Die kleinen Preisgelder und das eine oder andere Trinkgeld eines wettenden Zuschauers halfen mir, mich von der verheerenden Gewalt jener Jahre in Kolumbien fernzuhalten. Es war keine einfache Zeit; mein Rad wog mehr als zwanzig Kilo, und die ständigen Platten wegen des miserablen Zustands der Reifen zwangen mich, die Hälfte der Rennen aufzugeben. Nie verspürte ich so viel ohnmächtige Wut wie damals, wenn ich mit Tränen in den Augen am Straßenrand stand und Fahrer an mir vorbeirauschen sah, die ich vor wenigen Minuten hinter mir gelassen hatte.

Geld aus dem Drogenhandel, vor dem ich geflohen war, änderte alles. Ein von den Banden rekrutierter Kumpel aus dem Viertel fand Gefallen daran, bei den Rennen zu wetten, an denen ich teilnahm. Er war vielleicht sechzehn, siebzehn Jahre alt und nicht mehr als ein einfacher Fußsoldat in den Reihen des organisierten Verbrechens, doch das Geld, das er ausgab, kam mir wie ein Vermögen vor. Eines Tages, als ich bei einem Rennen Dritter wurde, gratulierte er mir lautstark und feierte mein Ergebnis wie seinen eigenen Sieg. Wahrscheinlich hatte er Drogen genommen, denn in seiner Euphorie schnappte er mein Rad und schleuderte es den Abhang neben uns hinunter. Bevor ich Gelegenheit hatte, meinem Rad hinterherzuklettern, schleppte er mich zu einem Laden und kaufte das beste Rennrad, das sie hatten. Monatelang fürchtete ich, irgendwann würde er mir seine Unterstützung auf die eine oder andere Weise berechnen. Zum Glück reichte es ihm, bei seinen Wetten auf mich zu setzen. Ich glaube, die Investition hat sich für ihn mehr als gelohnt, denn von dem Moment an gewann ich immer mehr Rennen.

Kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag erfuhr ich von Carmens Rückkehr nach Medellín. Sie war die neue Rektorin meiner alten Schule. Mein erster Gedanke war, sie sofort zu besuchen und ihr zu zeigen, was für ein toller Fahrer aus mir geworden war. Aber ich riss mich zusammen, schließlich hatte ich nicht mehr vorzuweisen als ein paar bei Hobbyrennen gewonnene Medaillen, auch wenn dort unter der Hand Preisgelder und hohe Wettsummen zirkulierten. Ich beschloss, sie erst aufzusuchen, wenn ich ein Profirennen gewonnen hätte. Ich schaffte es, mich bei der Vuelta de la Cordillera einzuschreiben, die drei Monate später stattfand, einem harten Wettbewerb, bei dem auch angehende Profis und Fahrer am Ende ihrer Karriere teilnahmen. Ich trainierte wie verrückt, bis ich glaubte, eine reelle Siegchance zu haben.

Zwei Wochen vor dem Rennen rief mich ein ehemaliger Klassenkamerad an und erzählte mir, dass Carmen bei einem Schusswechsel zwischen verfeindeten Banden ums Leben gekommen sei. Ich ging zur Beerdigung und beweinte das Ende meiner Jugend. Ich stieg nie wieder auf das Rad, das mir mein Kumpel, der Dealer, geschenkt hatte, und für lange Zeit auch auf kein anderes.

Etwas später, als ich achtzehn wurde, nahm meine Mutter den Heiratsantrag eines Arztes mit gutem Herzen und üblem Mundgeruch an. Ich glaube, es hatte mehr mit Resignation als mit Liebe zu tun. Wie dem auch sei, ich spielte jedenfalls keine Rolle bei ihrer Entscheidung. Zwei Wochen danach hinterließ ich ihr eine Nachricht in der Küche, und drei Tage später klopfte ich ohne Vorwarnung an die Tür meines Vaters auf der anderen Seite des Ozeans. Er schien nicht besonders überrascht zu sein, stellte mir einen Teller mit Linsen hin und richtete das Zimmer für mich her, in dem ich bei meinem Besuchen im Sommer gewohnt hatte.

In den nächsten Monaten tat ich alles, um mir einen Platz in seinem Herzen zu verdienen. Wenn er mich bat, Holz zu hacken, fällte ich den halben Wald, bis meine Finger wund waren; ich lernte, seinen Lieblingseintopf zu kochen und den alten Ford-Geländewagen zu fahren, um ihm den wöchentlichen Einkauf im nächstgelegenen Dorf abzunehmen. Als die ersten Schneefälle einsetzten, lernte ich mit dem gleichen Fleiß Ski fahren, mit dem ich früher in die Pedale getreten war. Für meinen Vater zählten nur Wintersportarten, und er fand es albern, sich auf einem Fahrrad zu verausgaben, wenn ein Motorrad dieselbe Arbeit mit einer unvergleichlich besseren Effizienz leisten konnte. Zumindest sagte er das an dem Tag, als ich ihm von meinen bescheidenen Erfolgen auf zwei Rädern erzählen wollte.

Durch zahlreiche Stürze und Verletzungen war es mir bis Ende des Jahres gelungen, ein einigermaßen passabler Skifahrer zu werden. Ich war fest entschlossen, früher oder später in der Wintersaison als Touristenführer zu arbeiten. Ein paar Tage später informierte mein Vater mich, dass er beschlossen hatte, mich bei der Armee einzuschreiben und dass ich dank seiner Bemühungen einem Regiment am Fuße der Pyrenäen, in der Nähe von Perpignan, zugeteilt worden war, das dem Kommando eines alten Bekannten von ihm unterstand – achtzehn Jahre zuvor hatte er verlangt, dass ich auf französischem Boden zur Welt kam, auch wenn meine im achten Monat schwangere Mutter dafür mit einem vom Botschaftsarzt gefälschten Attest extra nach Europa fliegen musste.

Als ich mich auf den Weg zur Kaserne machte, war ich überzeugt, mich würden das Leben eines Galeerensklaven, das Ausheben von Schützengräben und lange Expeditionen in die Sahara erwarten, und vermutlich wäre es auch so gekommen, wenn ich nicht dank einer unerwarteten Wendung wieder auf einem Fahrradsattel gelandet wäre. Der Kamerad meines Vaters starb ein paar Tage nach meiner Ankunft. Sein Nachfolger war Oberst Bruno Lombard, ein Mann, der sich wesentlich mehr für Radsport und sportliche Wettkämpfe zwischen verschiedenen Regimentern als für das Soldatenleben und militärisches Wissen interessierte. Als er von meinen jugendlichen Erfolgen bei Rennen in den kolumbianischen Bergen erfuhr, nahm er mich in sein Team auf.

»Behüte es, als wäre es deins«, sagte er wenige Tage nach seiner Ankunft zu mir, während er mir ein zerkratztes, übel zugerichtetes, aber professionelles Rennrad zeigte. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hatte, ein Dutzend solcher Straßenrennräder zu bekommen, oder was er als Gegenleistung dafür tun musste. Sie wirkten wie der Ausschuss eines unterklassigen Profiteams, aber es waren definitiv Wettkampfräder, zumindest vor einem Jahrzehnt.

Auch wenn sie formell gesehen dem französischen Staat gehörten, fühlte ich mich, als hätte man mir einen Ferrari geschenkt. In den nächsten Wochen tat ich alles, was in meiner Macht stand, um so viel Zeit wie möglich im Sattel zu verbringen, auf die Gefahr hin, einen wundem Hintern zu bekommen und meine Verpflichtungen als Rekrut zu vernachlässigen.

Irgendein Offizier musste sich über meine Apathie beschwert haben, denn Lombard traf eine radikale Entscheidung, eine Entscheidung, die dazu führte, dass ich heute bei der Tour der France ermittle: Er teilte mich der kleinen Einheit der Militärpolizei des Regiments zu, die direkt unter seinem Kommando stand. Das befreite mich von einem Großteil der langweiligen militärischen Routine und gab mir die Freiheit, mich voll und ganz dem Trainer des Radsportteams anzuvertrauen, den Lombard engagiert hatte.

Don Rulo war ein alter Griesgram, beinhart und gnadenlos. Ich vermute, sein Charakter verhinderte, dass er Trainer eines Profiteams wurde, obwohl er genügend Wissen und Talent dafür besaß. Er bemerkte meine Vorliebe fürs Gebirge, und in den folgenden Monaten verlangte er meinem Körper in den imposanten Bergen der Umgebung alles ab.

In den nächsten vier Jahren gewann unser Regiment fast alles, was es zu gewinnen gab, nicht nur die Rennen gegen die Teams anderer Institutionen des französischen Staats, sondern auch regionale Wettbewerbe, bei denen der gute Lombard immer eine Rechtfertigung dafür fand, seine Jungs dorthin zu schicken.

»Seine Jungs« waren im Grunde Julien und ich, dazu kamen noch etwa zwanzig Rekruten, die im Laufe der Jahre immer wieder wechselten und die eher an der Auszeit und den kleinen Vergünstigungen interessiert waren, die Lombard den Freiwilligen anbot, als dass sie eine Berufung oder Talent fürs Radfahren gehabt hätten. Julien war ein guter Fahrer, und mit der Zeit hätte er Profi bei irgendeinem kleineren Team werden können, wenn seine Vergangenheit in den Banden Marseilles ihn nicht dazu gezwungen hätte, den Wehrdienst abzubrechen. Er hatte ein gutes Gespür für die Straße, die urwüchsige Gabe, Schmerzen zu ertragen und sich in einer Steigung zu verausgaben, das reichte. Er war der Einzige, den ich brauchte, um so häufig auf dem Podest zu landen, dass es irgendwann keiner mehr lustig fand, außer Lombard.

Mit zweiundzwanzig hatte ich es zu einer gewissen Berühmtheit in der regionalen Presse gebracht, die mir den Spitznamen Hannibal verlieh – der Witz, den ich am Anfang nicht verstand, hatte damit zu tun, dass der punische Feldherr Hannibal seine von Elefanten unterstützte Armee über die Pyrenäen und Alpen zu einem Angriff auf das Alte Rom führte. Mit der Zeit gefiel mir der Spitzname, auch wenn ich einige Monate lang eher misstrauisch war, denn den Vergleich mit dem Karthager und seinen Dickhäutern fand ich nicht besonders lustig. Ich beschloss, mir einen kleinen Drachen auf den Nacken tätowieren zu lassen, das Symbol unseres Regiments, in der Hoffnung, auf diese Weise den dämlichen Elefanten etwas entgegenzusetzen. Im Gegensatz zu mir freute sich Lombard über den Spitznamen, als wäre er eine große Auszeichnung.

Nach vier Jahren, am Ende meines Militärdienstes, musste der Oberst mich ziehen lassen, zerknirscht, aber stolz auf sein Geschöpf. Doch zuvor verschaffte er mir noch einen Platz beim belgischen Rennstall Ventoux, dieser legendären Schmiede späterer Radprofis.

Ich weiß nicht, in welchem Moment ich beschloss, mich dem professionellen Radsport zu widmen. Ich wusste, es war ein harter Beruf, der viel Disziplin und Leidensfähigkeit verlangte. Vielleicht lag es am Satz meines Vaters, als ich nach meiner Zeit als Rekrut in seine Berghütte in den Alpen zurückkehrte: »Nicht mal für die Kaserne taugst du«, begrüßte er mich, als ich erneut an seine Tür klopfte. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, ich würde ein hochrangiger Offizier wie er werden, als er wenige Wochen nach meiner Ankunft in Perpignan von meiner Ernennung zum Gefreiten der Militärpolizei erfuhr. Seine Worte halfen mir bei meiner Entscheidung. In dem Moment sagte ich mir, dass ich eines Tages im Gelben Trikot in Paris ankommen würde.

Einige Jahre später nannte die Presse mich noch immer Hannibal, obwohl ich nie eine Pyrenäen- oder Alpenetappe gewonnen, geschweige denn bei einer der großen Rundfahrten auf dem Podest gestanden hatte.

Die Tour, Etappen 1–6

»Und ich will nichts von Sex hören«, sagte Giraud, unser sportlicher Leiter, am Ende der letzten Strategiebesprechung im Mannschaftsbus, in dem wir unterwegs nach Utrecht waren, um dort die erste Tour-de-France-Etappe zu bestreiten. Die Empfehlung war rhetorischer Art, eher ein Scherz – keiner von uns wäre auf die Idee gekommen, für eine ausschweifende Nacht ein Rennen aufs Spiel zu setzen, für das er sich monatelang vorbereitet hatte. In drei Wochen Paris zu erreichen, hing vor allem davon ab, wie gut man mit seinen Kräften haushalten konnte. Wenn du täglich sechstausend Kalorien verbrauchst, ohne sie vollständig ersetzen zu können, ist Sex das Letzte, woran du denkst.

Die Einzige, die das nicht zu verstehen schien, war Stevlana. Ehefrauen und Freundinnen sind nicht besonders willkommen bei der Tour, und keine war so unerwünscht wie die Freundin von Steve, ein Topmodel, das fast so berühmt war wie er. Die Russin hatte beschlossen, auf dem Weg nach London in den Niederlanden halt zu machen, um ihren Freund – zu seiner Bestürzung – zu überraschen und ihm viel Glück zu wünschen.

Ein paar Stunden vorher hatte Steve mich auf meinem Handy angerufen. Als ich dranging, sagte er nichts, ich sollte nur Stevlanas Stimme im Hintergrund hören. Weil ich wusste, dass sie noch im Hotelzimmer waren, verstand ich sofort, was er vorhatte, und eilte ihm zu Hilfe. Ich klopfte an die Tür und sagte laut, wir seien für die Dopingkontrolle ausgewählt worden, die in meinem Zimmer stattfinde. Stevlana öffnete, und ich tat überrascht, sie anzutreffen.

»Aber ich bin doch gerade erst gekommen, Stevie«, beschwerte sie sich. »Tu mir das nicht an, Hannibal.«

»Das hat nichts mit dir zu tun, Stevie«, verteidigte Steve sich mit betrübter Stimme. Sie nannten sich gegenseitig »Stevie«, was für viel Spott bei den anderen Fahrern sorgte, obwohl ich glaube, dass sich dahinter bei vielen von ihnen nur Neid wegen der spektakulären Brüste der Russin verbarg.

Stevlana glaubte, dass alles mit ihr zu tun hatte, selbst die Dopingkontrolle, ein Ärgernis, das nur dazu gedacht war, das morgendliche Schäferstündchen mit ihrem Geliebten zu ruinieren – ihre aufgeknöpfte Bluse ließ wenig Zweifel daran, was mein Auftritt unterbrochen hatte. Während Steve sich zu Ende anzog, warf seine Freundin dem Überbringer der Botschaft tödliche Blicke zu.

Sie hatte mich nie ausstehen können. Und weniger noch Fiona, meine Freundin, die als technische Kontrolleurin für die UCI arbeitete, den Internationalen Radsportverband. Die wenigen Male, die wir zu viert gegessen hatten, hatten einer Totenwache geglichen. Die beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein, etwas, das Stevlana Steve immer wieder vor Augen hielt: Unter dem Vorwand, Fiona Ratschläge für ihr Äußeres zu geben, machte sie sich über deren schroffe Art, ihre unordentliche Frisur, ihre stämmigen Oberschenkel einer Hundertmeterläuferin – obwohl sie keine war – und ihre stets schwieligen und ölverschmierten Hände lustig.

Die Art und Weise, wie Fiona zur Leiterin der technischen Inspekteure der UCI geworden war, ist eine seltsame Geschichte. Ihr Vater, ein waschechter Ire, war dreißig Jahre lang Chefmechaniker bei den besten Teams im Profiradsport gewesen und hatte bei den Fahrern einen legendären Ruf genossen. Nach dem Tod der Mutter – Fiona war damals zehn – nahm ihr Vater sie als Assistentin mit zur Arbeit. Alle im Team und außerhalb des Teams gewöhnten sich an die kleine Rothaarige, die sich mit dem Werkzeug abmühte, immer an der Seite ihres Erzeugers, wie eine Krankenschwester, die einem Chirurgen zur Hand geht. Mit der Zeit erlernte auch sie die Geheimnisse des Fahrrads: Ihr Gehör und ihre Hände waren in der Lage, eine Kette millimetergenau zu justieren oder die kaum wahrnehmbare Reibung zu bemerken, die den Verlust einer Tausendstelsekunde pro Kilometer bedeuten konnte. Die Geschicklichkeit des Alten, die viele im Fahrerfeld für nicht weniger als Zauberei hielten, übertrug sich auf seine Erbin, besonders als der Ire mit siebzig beschloss, in Rente zu gehen. Zu dem Zeitpunkt war aus dem rothaarigen Mädchen eine feurige Schönheit geworden, mit kräftigen Armen und einem breiteren Kreuz als viele der schmächtigen Fahrer. Eine temperamentvolle, wortkarge Amazone, von Kollegen und Profis ebenso geliebt wie gefürchtet, vor allem, seit sie das Heer von Kontrolleuren kommandierte, die für die Einhaltung eines komplizierten und manchmal willkürlich wirkenden technischen Regelwerks sorgten.

Fiona ließ die meisten von Stevlanas Sticheleien zerstreut über sich ergehen. Ab und zu, wenn die Russin es übertrieb, sah Fiona sie mit einer Neugier an, als hätte sie es mit einem Alien zu tun. Im Grunde waren die Anstrengungen des Models, auf sich aufmerksam zu machen, verständlich: Wir drei anderen lebten vom und für den Radsport. Und auch wenn Steve und Fiona irgendeine undurchsichtige Geschichte verband und sie sich nur mit Mühe duldeten, verstrickten wir uns bei diesen Abendessen schnell in lange und leidenschaftlich geführte Diskussionen über die Vorteile eines bestimmten Pedalsystems oder die beste Art, den gefürchteten Tourmalet zu erklimmen.

Natürlich gab es Gründe, die erklärten, warum die zwei zusammen waren. Die Russin war Dessous-Model und er einer der berühmtesten Singles des Jetsets. Aber ich hatte das Gefühl, dass auf beiden auch der Druck der Presse, der Sponsoren und vor allem des Publikums lastete, die für ihr Idol keine andere Partnerin erwarteten als eine Prominente.

Steves Erleichterung, als wir sein Zimmer verließen und zu meinem gingen, bestätigte einmal mehr diesen Verdacht. Es war der erste Tag der Tour, und draußen, in den Straßen Utrechts, fieberten die Menschen ungeduldig dem Start entgegen. Wir verbrachten den Vormittag in meinem Zimmer und machten uns Gedanken über den Streckenverlauf und Steves Chancen, sich drei Wochen später in Paris das Gelbe Trikot des Gesamtsiegers überstreifen zu können. Gegen Mittag, als wir hörten, dass Stevlana endlich nach Amsterdam aufgebrochen war, um dort ein Flugzeug zu nehmen, gingen wir mit dem Rest des Teams essen, zogen uns um und machten uns auf den Weg zum Bus, um uns weiter die Ermahnungen des Teamchefs anzuhören.

Wir wollten nichts anderes, als dass endlich das verdammte Rennen begann – viele Monate der Vorbereitung, der Streckenbesichtigung, der faden, spartanischen Ernährung lagen hinter uns. Die Anspannung des Countdowns der letzten Stunden löst sich erst, wenn der Fahrer auf der Straße ist und sich dem autistischen Strudel überlässt, den das Rad ihm aufzwingt.

In diesem Jahr, so wie in allen zuvor, bestand meine Aufgabe vor allem darin, nicht zu gewinnen: Ich war da, um Steve zum Sieg zu verhelfen. Ich bin ein Domestik. Der beste im Fahrerfeld, das ja. Die nächsten einundzwanzig Tage würde ich Steve vor den Rivalen beschützen müssen, vor Seitenwind, vor Hunger und Durst, vor Unfällen und Fehlern, und vor allem würde ich ihn im Hochgebirge unterstützen müssen, wo seine Feinde ihn vernichten konnten. Ich bin das Zugpferd, mit dessen Hilfe Steve mit so wenig Anstrengung wie möglich den letzten Kilometer vor dem Gipfel erreicht, auch wenn ich mich dafür verausgaben und die Etappe auf den hinteren Plätzen beenden muss. In den letzten Jahren waren wir beide das beste Gespann im Radsport, auch wenn am Ende nur er auf dem Podest stand.

Die Tour begann mit einem kurzen Zeitfahren, bei dem Steve keine Unterstützung nötig hatte; er ist Weltmeister in dieser Disziplin. Doch in den folgenden Tagen wurden alle Prognosen über den Haufen geworfen. Wir begriffen schnell, dass in diesem Jahr alles anders war, auch wenn wir den Grund dafür noch nicht ahnen konnten.

Die erste Woche ist normalerweise nicht viel mehr als eine Art Aufwärmtraining und ein Schaufenster für die Teams und Favoriten. Lange Flachetappen in Belgien und Nordfrankreich, bei denen das Feld in der Regel geschlossen das Ziel erreicht, direkt hinter den Sprintern, die auf den letzten Metern den Sieg unter sich ausmachen. Die wahre Schlacht findet in der zweiten und dritten Woche statt, wenn die fürchterlichen Steigungen in den Pyrenäen und Alpen das Fahrerfeld dezimieren und sich die besten Fahrer durchsetzen.

Diesmal kam es jedoch schon vor Beginn der ersten Etappe zu den ersten Ausfällen: Mehrere Unfälle und andere Tragödien sorgten für den Ausstieg einiger Favoriten aus dem Feld der einhundertachtundneunzig Fahrer, die zum Prolog angetreten waren. Noch war niemand besorgt. Wir waren es gewohnt, dass auf der Straße das Schicksal das letzte Wort hatte: ein Platten zur Unzeit, ein Fahrer, der das Gleichgewicht verliert und dich bei seinem Sturz mitreißt, ein Zuschauer, der im falschen Moment die Straße überquert, eine Grippe, die Monate harter Vorbereitung zunichtemacht. Wir gingen davon aus, dass es alle paar Jahre ein annus horribilis gab, eine Tour de France, über der ein Fluch zu liegen schien. Nach Beendigung der ersten vier Etappen begannen wir zu ahnen, dass diese Tour schlimmer als jede andere werden könnte.

Eine ungewöhnliche Spannung lag in der Luft. Der Engländer Peter Stark, der Kolumbianer Óscar Cuadrado und mein amerikanischer Kapitän Steve Panata waren die drei großen Favoriten auf den Tour-Sieg. In den letzten Jahren hatten sie die wichtigsten Rennen gewonnen, und dank ihrer erbitterten Rivalität hatte der Radsport viele Menschen in seinen Bann gezogen, die genüsslich den Kampf dieser drei Fahrer um die Vormachtstellung verfolgten. Stark, Cuadrado und Panata hatten sich vorgenommen, bei der diesjährigen Tour zu beweisen, wer der beste Radprofi ihrer Generation war. Journalisten, Fans und Sponsoren heizten die Stimmung weiter auf. Die Organisatoren erwarteten Rekorde bei den Einschaltquoten und handelten dementsprechend, indem sie eine teuflische Strecke entwarfen. Die Pavé-Sektoren auf der dritten Etappe waren die Hölle. Mit fünfzig Kilometern pro Stunde über Kopfsteinpflaster zu fahren, geht dir tierisch auf den Sack, und das wörtlich. Jeder Sprung ist wie ein Messerstich in die Beine und ein Stromschlag in die Arme. Und ich rede hier nicht von einem Kopfsteinpflaster wie in Paris, das im Laufe der Zeit von Millionen von Autos abgeschliffen und geglättet wurde, sondern von wahren Beulen aus Stein auf schmalen, kaum befahrenen Feldwegen, und wenige davon sind so schrecklich wie die zwischen Seraing und Cambrai hinter der belgischen Grenze. Hinzu kam der Regen, der den ganzen Tag unerbittlich fiel und die Strecke in ein Minenfeld verwandelte.

Die einzige Möglichkeit, nicht in einen der vielen Stürze verwickelt zu werden, ist, sich an der Spitze des Feldes aufzuhalten. Meine Aufgabe an diesem Tag war es, Steve um jeden Preis dort hinzubringen. Das Problem ist, dass fast jeder der fast zweihundert Fahrer genau das Gleiche versuchte, was die handtuchschmalen Wege zu wahren Trichtern machte. Unter diesen Umständen andere Fahrer zu überholen, endet oft in chaotischen Stürzen mit gebrochenen Schlüsselbeinen, Armbrüchen und Gehirnerschütterungen.

Mein Team und die Teams von Cuadrado und Stark überstanden das Gemetzel unversehrt, denn ohne dass wir eine Absprache getroffen hätten, zogen wir an einem Strang: Unsere siebenundzwanzig Fahrer, neun pro Mannschaft, setzten sich an die Spitze und nahmen die ganze Breite der Straße ein, um zu verhindern, dass der Rest des Feldes unsere Kapitäne störte. Auf den ersten Etappen konkurrierten wir nicht miteinander, wir wollten einfach nur überleben. Aber mich ließ nicht gleichgültig, was hinter mir passierte: Ein ums andere Mal versperrte ich irgendeinem Fahrer den Weg, indem ich meine Position mit Ellbogen und Zähnen verteidigte und ihn, Gott steh mir bei, dazu verurteilte, unter der Lawine aus Rädern, Armen und Beinen begraben zu werden, die bei den Stürzen umherflogen.

Diese dritte Etappe war zwar die schlimmste, aber nicht die einzig schlimme. Nach dem sechsten Tag hatten bereits zweiundfünfzig Fahrer aufgegeben, die höchste Anzahl in der Geschichte der Tour zu diesem Zeitpunkt des Rennens. Trotzdem schrieben die meisten von uns die Pechsträhne, die über uns hereingebrochen war, noch immer dem Schicksal zu. Einen Tag später sollte ich feststellen, dass die Sterne, oder was auch immer über das Glück auf der Straße entschied, die vielen Tragödien nicht erklären konnten, es sei denn, auch Mord ist einer der vom Schicksal gewählten Wege.

7. Etappe

»Mein Sohn fährt Fahrrad, seit er vier ist«, prahlte Murat, der muskulöse Sprinter unseres Teams Fonar.

»Dann muss er ja schon weit gekommen sein«, scherzte Steve, doch keiner lachte über seinen Witz. Der Humor meines Freundes war nicht der beste, um das Eis zu brechen, oder, was das anbelangt, um irgendetwas anderes zu brechen als eine Nase beim oft folgenden Streit.

Wir aßen in einem kleinen Hotel am Stadtrand von Rennes, erschöpft von der siebten Etappe. Auch dieser Tag war frustrierend, verregnet und von Stürzen geprägt gewesen. Keinem war nach Feiern zumute, und sich über Murat lustig zu machen, war auch nicht gerade förderlich für die Gesundheit – seine Muskeln und sein breites Kreuz waren ebenso beeindruckend wie seine Wutausbrüche.

Aber so war Steve, naiv, was Risiken betraf, ignorant gegenüber den Gefühlen anderer. Aber ich wusste, dass dahinter keine böse Absicht steckte. Im Grunde war er ein lieber Mensch und auf seine Art großzügig. Es gibt Kollegen, die ihre Karriere oder ihren Vertrag verlängerten, nur weil Steve sie auf Twitter oder in einem seiner unzähligen Interviews gelobt hatte. Ich glaube, seine Unfähigkeit, die Ängste und Unsicherheiten anderer Leute zu verstehen, hat mit seiner Überzeugung zu tun, dem Rest der Welt gehe es genauso gut wie ihm, einem sehr nützlichen Wunschdenken, um ohne Schuldgefühle sein privilegiertes Leben anzunehmen.

Trotz allem zeigten das beklommene Schweigen, das am Tisch eintrat, und das Geräusch von Murats auf den Teller fallender Gabel, dass Steve gegen ein ungeschriebenes Gesetz des Teams verstoßen hatte. Wie so oft, wenn er in Bedrängnis geriet, suchte er Blickkontakt zu mir in der Hoffnung, auf ein Lächeln zu stoßen, das allen zu verstehen gab, dass sein Kommentar nur ein harmloser Scherz und keine Verspottung von Murats Sohn gewesen war. Und wie so oft in der Vergangenheit tat ich mehr als das.

»Ja, der Kleine wird es weit bringen. Wisst ihr noch, wie er uns beim letzten Training eine Weile gefolgt ist und uns fast eingeholt hat? Endlich besteht Hoffnung, dass der Radsport einen hübschen Murat bekommt«, sagte ich, und jetzt lachten einige am Tisch. Der Spitzname »Die Bestie«, unter dem der kräftige Katalane bekannt war, hatte zu gleichen Teilen mit seinem unregelmäßigen, wie mit Faustschlägen geformten Gesicht und der unbändigen Wucht seiner Sprints zu tun, und Murat war stolz auf seinen Kampfnamen.

Zehn Minuten später zerstreute sich das Team, und jeder ging auf sein Zimmer. Abgesehen vom misslungenen Scherz meines Freundes herrschte absolute Niedergeschlagenheit unter den Fahrern. Wir hatten gerade einmal ein Drittel der dreitausenddreihundertfünfzig Kilometer der diesjährigen Tour de France absolviert, doch bereits in den ersten sieben Tagen hatten wegen Stürzen und Skandalen mehr Fahrer aufgegeben als in den gesamten einundzwanzig Etappen des Vorjahres.

Am Morgen war der Spanier Carlos Santamaría wegen einer Dopinganschuldigung vom Rennen ausgeschlossen worden, was alle überraschte, denn er galt als erbitterter Kämpfer für Sauberkeit und Ehre im Radsport. Das Echo war gewaltig, denn Santamaría, Kapitän des Teams Astana, lag auf dem dritten Rang der Gesamtwertung.

Nur Steve war gut gelaunt. Einige seiner größten Rivalen hatten Federn lassen müssen, und seine Chancen, die Tour zu gewinnen, waren deutlich gestiegen. Er lud mich ein, noch etwas zu plaudern und einen dieser Energydrinks zu trinken, die seinen Namen trugen. Ich sagte ihm, ich sei völlig erledigt, und ging zum Fahrstuhl. Ich spürte seine Enttäuschung, denn seit den ersten gemeinsamen Rennen war es für uns zur Gewohnheit geworden, abends noch eine Weile über den Verlauf der letzten Etappe und die Herausforderungen der nächsten zu reden. Wenn wir das nicht taten, lag es daran, dass Steve etwas Besseres vorhatte: zu Beginn seiner Kariere Frauen und in den letzten Jahren Treffen mit seinem Manager, stets in Begleitung eines neuen Sponsors. Aber heute war ich es, der etwas Besseres zu tun hatte, und sei es nur, mich aufs Ohr zu hauen.

Steve und ich waren die Einzigen im Team, die das Privileg eines Einzelzimmers genossen – eine Klausel in seinem Vertrag, die großzügig auf meine Person erweitert worden war. Er sah mir ein paar Sekunden nach, als ich ihm den Rücken kehrte und durch die Lobby davonging, dann hatte er mich schon vergessen, so wie er es mit allem tat, was nicht seinen Wünschen entsprach. Vermutlich bemerkte er gar nicht, dass ich nie bei den Fahrstühlen ankam.

»Herr Moreau, hätten Sie ein paar Minuten für mich Zeit?«

Mein Puls beschleunigte sich auf eine Weise, wie ich es nicht einmal von einer harten Steigung oder einem langen Rennen kannte. Und dafür gab es einen Grund: Niemand nannte mich beim Nachnamen. Der elegante Typ, der mich jetzt leicht am Arm berührte, als wollte er mich an der Flucht hindern, sah nicht aus wie ein Reporter, der sich ins Hotel geschlichen hatte. Stattdessen wirkte er wie die Personifizierung des schlimmsten aller Albträume: Sein makelloser Anzug und der gepflegte Schnurrbart erinnerten an einen Funktionär irgendeiner Behörde, und unter diesen Umständen konnte das nur die gefürchtete WADA sein, die Welt-Anti-Doping-Agentur.

Obwohl ich überzeugt war, nichts Verbotenes getan zu haben, wusste ich, dass in den Urinproben der letzten Tage illegale Substanzen entdeckt worden sein könnten, die unfreiwillig in meinen Körper gelangt waren, und auch Laborfehler waren nie unmöglich; ich wäre nicht der Erste, der wegen einer verunreinigten Probe vom Rennen ausgeschlossen wird. Ich musste an Carlos Santamaría denken und sah schon meinen Namen auf den morgigen Titelseiten prangen.

»Worum geht’s?«, antwortete ich misstrauisch und zog unbewusst den Arm weg im Versuch, alles Unangenehme, was auf mich zukommen könnte, von mir fernzuhalten.

»Könnten wir uns einen Augenblick in dem Kaminzimmer dort drüben unterhalten, Sergeant Moreau? Ich werde Ihnen nicht lange die Zeit stehlen.« In Wahrheit war ich nie über den Rang eines Gefreiten hinausgekommen, aber es war nicht der Moment, um irgendwem zu widersprechen. Tatsächlich gab es an der einen Seite der Lobby einen kleinen Raum, der von einem Kamin mit künstlichem Feuer beleuchtet wurde; die Hotels an der Strecke sind nicht gerade der Inbegriff von Luxus und Komfort, und auch nicht von gutem Geschmack.

Ich folgte ihm in das Separee mit dem Gefühl, eine Mausefalle zu betreten. Die Anspielung auf meine militärische Vergangenheit weckte meine Neugier, änderte aber nichts an meinen Befürchtungen.

»Erlauben Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle, ich bin Kommissar Favre.« Mit der flinken Geste einer tausendmal wiederholten Bewegung hielt er mir flüchtig einen Ausweis hin. »Und natürlich«, fuhr er mit einem höflichen Nicken fort, »ein Bewunderer Ihrer sportlichen Erfolge.«

Seine Worte, aber vor allem seine etwas schmierige Art führten dazu, dass die Neugier meine Angst verdrängte. Er wirkte nicht wie jemand, der mich wegen Dopings verhaften wollte, auch wenn nicht auszuschließen war, dass er mich über den Umlauf von verbotenen Substanzen befragen wollte. Was er als Nächstes sagte, schien das zu bestätigen.

»Wir brauchen Ihre Hilfe, Sergeant. Bitte, setzen Sie sich doch, machen Sie es sich bequem.«

Ich nahm auf dem kleinen Sofa Platz, das so bequem war wie ein Zahnarztstuhl. Der Kommissar wiederholte den Dienstgrad; ich dachte, falls ich ein Problem hätte, wäre es besser, Sergeant als Gefreiter zu sein, also nahm ich die Beförderung wortlos hin.

»Was Doping angeht, kann ich Ihnen nicht helfen. Ich bin sauber. Ich habe nie etwas genommen und mich von allen ferngehalten, die etwas mit diesem Mist zu tun haben. Das sollten Sie wissen.«

»Uns macht etwas anderes, viel Schlimmeres Sorgen.« Er schwieg einen Moment, beugte sich zu mir herüber und fügte fast flüsternd hinzu: »Unter Ihnen ist ein Mörder.« Anschließend richtete er sich wieder auf und wartete meine Reaktion ab.

Wahrscheinlich enttäuschte ich ihn, denn ich zeigte keine. Der Satz war so absurd, dass mein Gehirn nicht wusste, wie es ihn verarbeiten sollte, zumindest nicht sofort. Stattdessen nahm ich im Schein des falschen Kaminfeuers den Glanz des Wachses auf seinem eleganten Schnurrbart über den wulstigen, feuchten Lippen wahr. Ein Anblick, den einige Frauen bestimmt verführerisch und andere abstoßend fänden.

Von meinem Schweigen enttäuscht, ging er dazu über, mir die Sache näher zu erklären. Es hörte sich an, als würde er einen militärischen Bericht vortragen.

»Erstens: Hugo Lampar, Australier und bester Bergfahrer des Teams Locomotiv, wurde vor zwei Wochen bei einer Trainingsfahrt auf einer einsamen Landstraße angefahren. Es gab keine Zeugen. Zahlreiche Brüche und keine Chance, an der Tour teilzunehmen. Ohne ihn sind die Aussichten von Serguei Talancón gering, wenn nicht gleich null.

Zweitens: Drei Tage vor Beginn der Rundfahrt wurde Henkel wenige Meter von seinem Hotel entfernt am Abend überfallen. Obwohl er erklärt, keinerlei Widerstand geleistet und sein Portemonnaie sofort ausgehändigt zu haben, regte einer der Diebe sich über die geringe Beute auf, schlug ihn nieder und zertrümmerte ihm mit mehreren Tritten den Fußknöchel, sodass Henkel diesen, zumindest eine Zeit lang, nicht bewegen kann. Er gehörte nicht zu den Hauptfavoriten, aber sein unerwarteter dritter Platz beim Giro d’Italia mit gerade einmal vierundzwanzig Jahren ließ einen Teil der Presse glauben, der Deutsche könnte in diesem Jahr bei der Tour für eine Überraschung sorgen.

Drittens: Der Engländer Cunningham wurde kurz vor dem Prolog mit einem Antihistaminikum vergiftet. Er war der einzige ernstzunehmende Gegner von Steve Panata, Ihrem Teamkollegen, beim Zeitfahren, Sergeant. Cunningham verlor drei Minuten auf ihn, wodurch er für den Rest der Tour keine Bedrohung mehr darstellt. Die Ärzte können sich nicht erklären, wie das Medikament in seinen Körper gelangt ist. Er hat das Gleiche gegessen wie der Rest des Teams und nicht unter Allergien gelitten.

Viertens: Vor ein paar Tagen, auf der fünften Etappe, liefen zwei Zuschauer genau vor dem Team Movistar auf die Straße und taten so, als wollten sie in die Kamera des Motorrads winken, das vor dem Hauptfeld fuhr. Cuadrados Helfer hatten keine Chance zu reagieren, und es kam zu einem Massensturz. Vier Fahrer von Movistar mussten das Rennen beenden, und dem Kolumbianer steht für den Rest der Tour nur noch die Hälfte seines Teams zur Verfügung. Die Typen, die den Sturz verursacht haben, sind radikale Hooligans aus Marseille und nicht dafür bekannt, große Radsportfans zu sein. Sie liegen ebenfalls im Krankenhaus. Und etwas ist sehr interessant: Einer von ihnen hat erst kürzlich eine Überweisung von achttausend Euro auf sein Konto erhalten.«

Der Kommissar schwieg einen Moment und beobachtete mich wieder, während ich die Informationen sacken ließ. Keiner dieser Zwischenfälle war neu für mich, weder für mich noch sonst irgendwen, obwohl mir die Details bisher nicht bekannt gewesen waren. Die Sache mit Movistar beunruhigte mich am meisten. Ohne die Hälfte seines Teams hatten sich Óscar Cuadrados Chancen in Luft aufgelöst, und das veränderte die ganze Tour. Wenn es stimmte, was der Kommissar sagte, war es kein Unfall gewesen, jemand hatte in die Geschichte des Radsports eingegriffen.

Trotzdem glaubte ich nicht an die These eines Anschlags auf die Tour, und erst recht nicht an den Versuch, einige der Favoriten aus dem Weg zu räumen. Jedes Jahr forderte die Tour ihre Opfer, manchmal auf tragische Weise. Wir Profis hatten uns damit abgefunden, dass einige Jahre schlimmer waren als andere, und dieses gehörte offenbar dazu.

»Ein mysteriöser Raubüberfall und ein paar Unfälle bedeuten nicht zwangsläufig, dass eine Verschwörung dahintersteckt. In den zehn Jahren, in denen ich die Tour gefahren bin, habe ich alles Mögliche erlebt. Ist es nicht etwas übertrieben, von einem Mörder unter uns zu reden?«

»Ich war noch nicht fertig«, sagte der Kommissar wichtigtuerisch, schwieg lange und genoss die Wirkung seiner Worte. »Vor zwei Stunden haben wir die Leiche von Saul Fleming gefunden. Er lag mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne seines Hotelzimmers. Es sollte nach Selbstmord aussehen, aber wer auch immer dafür verantwortlich ist, er hat ziemlich stümperhafte Arbeit geleistet. Flemings Tod hat uns veranlasst, mit Ihnen zu reden.«

Diesmal bekam der Kommissar die Reaktion, die er erwartet hatte. Auf meinem Gesicht musste sich das Entsetzen spiegeln, das das Bild des guten, in seinem eigenen Blut liegenden Sauls in mir auslöste. Wir waren nie Freunde gewesen, hatten aber große Achtung voreinander gehabt. Fleming war für Stark, was ich für Steve war. Wir hatten unzählige Schlachten auf dem Rad ausgetragen und dabei unsere jeweiligen Kapitäne beschützt. Ohne es zu sagen, trugen wir auf den Bergetappen einen speziellen Wettkampf innerhalb des eigentlichen Wettkampfs aus: Wer würde seinen Kapitän am längsten unterstützen? Bei dem Gedanken, dass der Engländer mich nie wieder bei einem Anstieg herausfordern würde, lief mir ein Schauer über den Rücken. Etwas hatte sich für immer geändert.

Meine zweite Reaktion war weniger emotional, aber nicht weniger schrecklich. Ohne Fleming war Stark verloren. Dieser, ein Landsmann von ihm, lag auf dem fünften Platz der Gesamtwertung, nur sechzehn Sekunden hinter Steve, und bestimmt hatte er die Hoffnung gehabt, diesen Rückstand auf den noch kommenden Bergetappen wettzumachen. Er war der bessere Kletterer der beiden, aber er würde ein Wunder brauchen, um Steve ohne Flemings Hilfe zu bezwingen.

»Sie werden verstehen, warum wir Sie brauchen, Sergeant.«

»Nein, das tue ich nicht.« Mein Gehirn war noch immer gefangen von dem Bild einer Badewanne, die viel zu kurz war für die langen, dürren Arme meines Rivalen.

»Wir sind zum Schluss gekommen, dass der oder die Täter zum Kreis der Tour gehören; sie haben mit absoluter Präzision gehandelt, um das Ergebnis des Rennens zu beeinflussen.«

»Das kann jeder getan haben«, wandte ich ein. Mir fiel es schwer, zu glauben, dass jemand aus unserer abgeschotteten Gemeinschaft auf jemanden der eigenen Leute einen Anschlag verüben könnte. Trotz der Rivalität waren das Fahrerfeld und folglich auch die Mechaniker, Ärzte, Masseure, Manager und Trainer wie eine große Familie. »Jeder Fan kennt die Favoriten und weiß um seine Stärken und Schwächen.«

»Kommen Sie, Sergeant Moreau, Sie wissen genau, dass kein Fan Zugang zu den Küchen der Teams, zu den Rädern der Konkurrenten oder zu den Hotelzimmern eines so hermetisch abgeriegelten Teams wie Batesman hat.«

Mit Letzterem hatte der Kommissar recht. Das Team von Stark und Fleming bestand ausschließlich aus britischen Fahrern, und auch die Betreuer waren alles Briten. Die übrigen Mannschaften waren bunt gemischt, mit Fahrern aus allen Kontinenten. Nicht so Batesman, das Team war wie eine Insel für sich, fast eine Bruderschaft. Nicht umsonst hatten die Kollegen dem Team den Spitznamen Brexit gegeben.

»Was ist mit den Leuten, die Sportwetten abschließen? Da geht es teils um Vermögen«, ließ ich nicht locker, obwohl das Argument nicht besonders überzeugend war. »Und es gibt Sponsoren, die viel riskieren und Millionen investieren, was gut oder schlecht ausgehen kann, je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt.«

»Wir schließen keine dieser Hypothesen aus und ermitteln in jede Richtung. Aber selbst wenn das Motiv ein anderes sein sollte, stammen die Täter und vielleicht auch die Drahtzieher ganz offensichtlich aus dem direkten Umfeld der Tour.«

»Und warum ich?«

»Das liegt doch auf der Hand, Sergeant: Wer einmal bei der Armee war, bleibt das im Grunde sein Leben lang. Sie haben eine Ausbildung als Militärpolizist. Ich habe mir Ihre Akte angesehen und weiß, dass zu Ihrer Ausbildung auch Ermittlungsmethoden gehörten und Sie damals sogar ein paar Fälle gelöst haben«, sagte der Kommissar und legte eine Mappe mit einem Dienststempel auf den kleinen Tisch zwischen uns. Ich bat ihn mit einem Blick um Erlaubnis, schlug die Mappe auf und überflog das gute Dutzend zum Großteil verblichener Blätter. Vermutlich wollte er mir zeigen, dass ich mehr als ein Radprofi war, dass ich ein Mitglied des französischen Staats war und diese Akte das bestätigte. Doch mir fiel nur auf, wie viel Zeit seither vergangen war. Ich sah das leicht gebräunte Gesicht, die blauen Augen und das lockige Haar auf den verschiedenen Fotos von mir, die mich an das Leben erinnerten, das ich geführt hatte, bevor der Radsport alles verschlungen hatte.

Mir fielen die drei- oder viertägigen Seminare in Paris ein, an denen ich vor zwölf Jahren zusammen mit Gendarmen und Polizisten aus der Provinz teilgenommen hatte, aber an viel mehr als ein paar vage Grundkenntnisse in Ballistik und Gerichtsmedizin, die uns in verrauchten Seminarräumen vermittelt wurden, konnte ich mich nicht erinnern. Ich dachte an Claude, die kleine Ermittlerin aus Biarritz, mit der ich als Ausgleich zu den langweiligen und bürokratischen Seminaren auf eigene Faust ein paar Fragen der forensischen Anatomie durchgegangen war.

»Was ist daran so lustig, Sergeant?«

Mein Lächeln wegen der angenehmen Erinnerung war dem Kommissar nicht entgangen. Er betrachtete mich wie ein Mechaniker, der auf seiner Werkbank ein Rad drehen lässt, um einen kaum wahrnehmbaren Defekt zu finden. Vermutlich hatte er keine große Lust, jemandem zu vertrauen, der kein Polizist war, und das tun zu müssen, war bestimmt nicht seine Idee gewesen. Wahrscheinlich suchte er nur nach Gründen, warum es nicht angebracht war, mich in diesen Fall hineinzuziehen.

»Nichts, das ist nur ein Ausdruck meiner Ohnmacht. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen könnte, selbst wenn Ihre Vermutungen richtig sind. Ich weiß nicht, wie gut Sie sich mit Radsport auskennen. Die Anforderungen in einem Team, das an der Tour teilnimmt, sind riesig, und das nicht nur in körperlicher Hinsicht. Es erfordert absolute Konzentration, man kann unmöglich Detektiv spielen, wenn man an nichts anderes denkt, als den Tag zu überleben und zur nächsten Etappe anzutreten.«

»Den Tag zu überleben«, wiederholte der Kommissar. »Eine interessante Wortwahl, Sergeant Moreau. Genau diese Frage stellen wir uns auch: Wer von Ihnen wird am nächsten Tag nicht mehr leben. Bis jetzt gab es keine Opfer in Ihrem Team, aber solange wir die Hintergründe für das alles nicht kennen, sind Sie und Ihre Kollegen in Gefahr.«

Bei seinen Worten fröstelte es mich. Wenn der Mörder es nicht auf Stark, sondern auf Steve abgesehen gehabt hätte, wäre wahrscheinlich ich es gewesen, der in der Badewanne verblutet wäre. Ich versuchte, mich an meine Position im Feld zu erinnern, als die falschen Fans vor ein paar Tagen dem Team Movistar vor die Räder liefen. Unser Team fuhr vorne, und wir waren gerade um eine Kurve gebogen, als wir direkt hinter uns den Sturz hörten. Die Hooligans aus Marseille hatten es nicht auf uns abgesehen. Eine schlimme Vorahnung befiel mich, doch in dem Moment unterbrach uns ein Mann, der den Raum betrat, sich zu uns an den Tisch setzte und sich mir zuwandte.

»Wir brauchen Sie, Hannibal. Wir müssen dringend etwas unternehmen«, sagte Sam Jitrik, ohne dass er mir hätte vorgestellt werden müssen. »Der Kommissar hat Ihnen bestimmt gesagt, wie ernst die Sache ist. Wir haben uns die Argumente der Polizei durch den Kopf gehen lassen und denken, dass sie recht hat: Hinter den Unfällen steckt Absicht«, erklärte der Chef der Tour der France, der Schutzheilige der Rundfahrt, der wichtigste Mann des Radsports. »Wenn es so ist, handelt es sich um die größte Bedrohung der Tour in ihrer Geschichte. Wir haben noch zwei Wochen vor uns, aber wenn es zu weiteren Verbrechen kommt, können die Behörden das Rennen jederzeit abbrechen. So etwas hat es in mehr als hundert Jahren nicht gegeben.« Seine ernsten, mit Grabesstimme vorgetragenen Worte wurden unterstrichen von einem langen Zeigefinder, der hin und her schwang wie der Taktstock eines Dirigenten. Obwohl er zweiundsiebzig Jahre alt war und saß, war seine Gestalt beeindruckend; er war ein Mann, der gut gealtert war.

»Sie könnten die Sicherheitsmaßnahmen erhöhen, weniger Zuschauer an der Strecke zulassen, unsere Hotels abriegeln«, erwiderte ich, nur um etwas zu sagen. Obwohl ich schon seit zehn Jahren die Tour bestritt, war es das erste Mal, dass ich ein Wort mit dem großen Meister wechselte.

»Die Abriegelung würde nicht viel bringen, wenn die Verantwortlichen unter uns sind, oder?«

»Und nur Sie können uns helfen, Sie sind ein Offizier der französischen Armee und einer der bekanntesten und am meisten geachteten Fahrer im Feld«, sprang Favre ihm bei. »Wir können sonst niemandem vertrauen. Was wir Ihnen mitgeteilt haben, darf keiner wissen, das würde die Täter warnen.«