Das Science Fiction Jahr 2023 - Erik Simon - E-Book

Das Science Fiction Jahr 2023 E-Book

Erik Simon

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Beschreibung

Science Fiction und wie sie die Welten verändert Welches literarische Genre lädt Schreibende wie die Science Fiction dazu ein, sich eine andere als unsere Realität auszumalen, Was-wäre-wenn-Fragen zu stellen, neue Gesellschaftsformen zu denken und Konflikte ohne Gewalt zu lösen? Diverse aktuelle gesellschaftliche und politische Anlässe haben dazu geführt, dass wir genau diesen Themen unsere diesjährigen Schwerpunkte widmen: Alternate History und Pazifismus in der SF, die von Autor*innen wie Judith Vogt, Guido Sprenger oder Maurice Schuhmann beleuchtet werden. Zudem finden Gedanken und Erinnerungen an den wohl prägendsten deutschsprachigen SF-Autor, Herbert W. Franke, der im Juni 2022 verstarb, Platz. Zudem wartet die 38. Ausgabe des von Wolfgang Jeschke ins Leben gerufenen Almanachs mit einem umfangreichen Überblick über die Entwicklungen des Genres in Rezensionen und Beiträgen zu Buch, Film, Game, Serie und Hörspiel auf. Abgerundet wird der Jahresrückblick mit einer Liste der Genre-Preise, einem Nekrolog sowie einer Bibliografie der Bücher, die 2022 erstmals auf Deutsch erschienen sind. Das SCIENCE FICTION JAHR erscheint seit 2019 im Hirnkost Verlag und wird von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz herausgegeben und wurde mehrfach mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet, zuletzt 2023 in der Kategorie "Bester deutschsprachiger Sachtext zur SF mit Erstausgabe 2022".

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Herausgegeben von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz

Impressum

Das Science Fiction Jahr 2023

Originalausgabe

© 2023 Hirnkost KG, Lahnstraße 25, 12055 Berlin

[email protected]

www.hirnkost.de

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage Oktober 2023

Vertrieb für den Buchhandel:

Runge Verlagsauslieferung: [email protected]

Privatkunden und Mailorder: https://shop.hirnkost.de/

Die Rechte an den einzelnen Texten liegen bei den Autor*innen und Übersetzer*innen.

Redaktion: Melanie Wylutzki, Hardy Kettlitz, Wolfgang Neuhaus

Redaktion zu Herbert W. Franke: Hans Esselborn

Lektorat: Melanie Wylutzki, Hermann Ritter

Korrektur: Michelle Giffels, Steffi Herrmann

Umschlaggestaltung: s.BENeš [https://benswerk.com]

Titelfotos: www.nasa.gov

Layout & Satz: Hardy Kettlitz

ISBN:

Buch: 978-3-98857-033-8

E-Book: 978-3-98857-034-5

PDF: 978-3-98857-035-2

Dieses Buch gibt es auch als E-Book – bei allen Anbietern und für alle Formate.

Aktuelle Infos auch unter:www.facebook.com/ScienceFictionJahr

Das Science Fiction Jahr kann man auch abonnieren:

https://shop.hirnkost.de/produkt/das-science-fiction-jahr-abonnement/

Inhalt

Editorial

FEATURE

In Erinnerung an Herbert W. Franke

mit Texten von Hans Esselborn, Ralf Bülow, Dietmar Dath, Bernhard J. Dotzler, Bartel Figatowski, Udo Klotz, Thomas Le Blanc, Frieder Nake, Wolfgang Neuhaus/Chat GPT, Franz Rottensteiner, Peter Schattschneider, Jürgen vom Scheidt, Gunnar Sohn, Angela & Karlheinz Steinmüller, Thomas Franke, Horst G. Tröster und Jörg Weigand

Erik SimonWas heißt und zu welchem Ende studiert man Alternativgeschichte?

Dominik Irtenkauf»Ich verlange ein ungemütliches Intermezzo: den Fortschritt.«

P. M.s mehrbändiger Roman Die große Fälschung als ein Alternativgeschichtsexperiment

Dominik Irtenkauf»Unsere Geschichte mischt sich mit einer möglichen Geschichte«

Ein Interview mit P. M.

Judith C. VogtFixpunkte der Zeit

Was nehmen wir als festgeschrieben wahr?

Kai U. JürgensEin Irrgarten aus Konfusion und Scheinrealität

Der Polizeistaat in Philip K. Dicks AlternativweltromanFlow My Tears, the Policeman Said(1974)

Hans FreyDarwinia

oder Was man aus einem Alternativweltroman über die Science Fiction lernen kann

Uwe NeuholdTechnik aus einer anderen Welt?

Vergessene Erfindungen wie aus einem Paralleluniversum

Gary WestfahlDem Frieden eine Chance geben

Pazifismus in der Science Fiction

Maurice SchuhmannDie Waffen nieder! – Auch im Weltraum!

Eric Frank Russell als Vertreter der pazifistischen, antimilitaristischen Tendenz in der SF-Literatur

Wolfgang Neuhaus»Wir müssen uns von alten Schlussfolgerungen trennen.«

Einige Bemerkungen zu dem RomanBefreite Weltvon H. G. Wells

Guido SprengerDie Schönheit des Unterschieds

Ursula K. Le Guin und die Ethnologie

Markus TillmannEinmal Metaversum und zurück

Frühe Antizipationen von virtueller Realität und immersiven Technologien in der Science-Fiction-Literatur (Teil 1 von 2)

Karlheinz SteinmüllerEchos eines fernen Knalls

Das Tungusische Ereignis und die Science Fiction

REVIEW | BUCH

Hardy Kettlitz Science-Fiction-Literatur 2022/2023

»Science-Fiction-Literatur 2022/2023« von Hardy Kettlitz • Edward Ashton:Mickey7 – Der letzte Klon, von Christian Hoffmann • Max Barry:Die 22 Tode der Madison May,von Christian Endres • Ned Beauman:Der gemeine Lumpfisch, von Christian Endres • Samuel R. Delany:Babel-17, von Kai U. Jürgens • Samuel R. Delany:Imperiumsstern, von Kai U. Jürgens • Volker Dornemann:Naniten, von Hardy Kettlitz • Amal El-­Mohtar & Max Gladstone:Verlorene der Zeiten, vonChristian Endres • Andreas Eschbach:Freiheitsgeld, vonWolfgang Both • Rob Hart:Paradox Hotel, vonChristian Endres • Kameron Hurley:Der Sterne Zahl, von Nelo Locke •Aiki Mira:Titans Kinder, vonYvonne Tunnat • Aiki Mira:Neongrau, vonChristian Hoffmann • Ada Palmer:Dem Blitz zu nah, vonStoffel • Lena Richter:Dies ist mein letztes Lied, von Nelo Locke • Clemens J. Setz:Monde vor der Landung, vonRalf Lorenz • Neal Shusterman:Game Changer, von Wolfgang Neuhaus • Erik Simon (Hrsg.):Zeitgestrüpp, vonWolfgang Both • Simon Stålenhag:Das Labyrinth, vonKai U. Jürgens • Angela und Karlheinz Steinmüller:Computerdämmerung, von Michael Wehren • Adrian Tchaikovsky:Die Scherben der Erde, vonChristian Endres • Sheldon Teitelbaum & Emanuel Lottem (Hrsg.):Zion’s Fiction, vonMichael Wehren • Tade Thompson:Fern vom Licht des Himmels, vonChristian Endres • Brian K. Vaughan:Paper Girls, vonMichael Wehren • Kurt Vonnegut Jr.:Die Sirenen des Titan, vonKai U. Jürgens • Wang Jinkang:Die Kolonie, vonChristian Endres • Nils Westerboer:Athos 2643, vonJol Rosenberg • Nils Westerboer:Kernschatten, von Ralf Lorenz • Gene Wolfe:Der fünfte Kopf des Zerberus, vonKai U. Jürgens • Roger Zelazny:Straße nach überallhin, vonKai U. Jürgens •SACHBÜCHER • Alfred Gall:Stanisław Lem. Leben in der Zukunft, vonWolfgang Neuhaus • Isabella Hermann:Science-­Fiction zur Einführung, von Hardy Kettlitz • Daniel Illger:Kosmische Angst, vonWolfgang Neuhaus • Kai-­Fu Lee & Qiufan Chen:KI 2041: Zehn Zukunftsvisionen, vonWenzel Mehnert • Hardy Kettlitz:Isaac Asimov – Schöpfer der Foundation, vonKai U. Jürgens • José Luis Cordeiro Mateo & Dan Wood:Der Sieg über den Tod, von Peter Kempin & Wolfgang Neuhaus • Charles Platt:Die Weltenschöpfer. Band 2 & 3, von Kai U. Jürgens •Stefan Selke:Wunschland, von Peter Kempin & Wolfgang Neuhaus

Yvonne TunnatWo großartige Kurzprosa zu finden ist

Die besten deutschsprachigen Science-Fiction-Geschichten im Jahr 2022

Udo KlotzUtopien, Dystopien, Pantopien – der aktuelle Blick auf die Zukunft

Deutschsprachige SF-Romane 2022

FILM

Thorsten HanischFilm-Highlights 2022

Ein Rückblick

Simon SpiegelAvatar: The Way of Water

SERIEN

Lutz GöllnerDie Rettung der Welt läuft nicht im Fernsehen

HÖRSPIEL

Florian RinkeScience Fiction für die Ohren

Von alten Helden, Hasen und Horrormärchen: die kommerziellen Hörspiele 2022

COMIC

Matthias HofmannCixin Liu, Frank Herbert und immer wieder Leo

SF-Comics 2022 in Deutschland

GAME

Johannes HahnKlima, Kollaps und Katzen

FACT

Hardy KettlitzPREISE

Heike Lindhold Hugo Awards 2022

Erik SimonRussische SF-Preise 2022

Markus MäurerTodesfälle

Christian PreeBibliographie

Autor*innen und Mitarbeiter*innen

Editorial

Liebe Leser*innen,

seit nunmehr 38 Jahren erscheint dieser »Almanach« – laut Duden-Definition eine »bebilderte Sammlung von Texten aus verschiedenen Sachgebieten (Belletristik, Theater, Mode, Reisen u. a.)« –, der sich mit Science Fiction beschäftigt. Also mit Fiktionen (sei es in Textform, als Spiel oder Hörspiel, im Comic oder als Film oder Serie), die uns mit »Was wäre, wenn …«-Fragen und einem sense of wonder begeistern, indem sie uns auf fremde Planeten oder in virtuelle Realitäten mitnehmen, in abgefahrene nahe oder auch dystopische Zukünfte. Manche spielen mit unserer Angst, manche geben uns Hoffnung. Viele dieser Fiktionen sind Gedankenexperimente, in denen neue Gesellschaftsformen und -strukturen erkundet werden, andere solche, in denen die Geschichte umgeschrieben wird. Und auch wenn DAS SCIENCE FICTION JAHR naturgemäß kein politisches Buch sein soll, bleiben wir als Herausgeber*innen, wie man an der Wahl unserer Schwerpunkte merkt, nicht unberührt vom Weltgeschehen: Pazifismus in der Science Fiction und das Genre der Alternate History.

Da Frieden etwas ist, das wir uns in diesen Zeiten wohl bewusster wünschen als sonst – vielleicht auch in unserer Lektüre –, gibt Gary Westfahl einen Überblick über Pazifismus in der Science Fiction, während Wolfgang Neuhaus und Maurice Schuhmann das Thema anhand von H. G. Wells’ Die befreite Welt und Eric Frank Russells Werk erläutern.

Über Alternativweltgeschichten schreiben Autor*innen wie Erik Simon, der das Subgenre strukturell betrachtet, Judith C. Vogt, die sich mit der Rezeption beschäftigt, Dominik Irtenkauf, der sich mit P. M.s alternativweltlichem Mittelalter auseinandersetzt, aber auch Kai U. Jürgens, der Philip K. Dicks Flow My Tears, The Police Man Said betrachtet. Hans Frey zeigt zudem auf, was man über die SF aus dem Alternativweltroman Darwinia lernen kann.

Über unsere Schwerpunkte hinaus freuen wir uns, dass Karlheinz Steinmüller dem tungusischen Ereignis auf die Spur kommt und Guido Sprenger sich mit Ethnologien in Ursula K. Le Guins Werk auseinandersetzt. Einen Blick auf immersive Technologien und solche, die nicht realisiert wurden, werfen Markus Tillmann und Uwe Neuhold. Und das Kino-Highlight Avatar: The Way of Water wird kritisch von Simon Spiegel beäugt.

Natürlich dürfen auch die aktuellen Entwicklungen im Genre nicht zu kurz kommen: Neben dem umfangreichen Rezensionsteil und unseren Überblicksartikeln zu deutschsprachiger Science Fiction und Kurzgeschichten von Udo Klotz beziehungsweise Yvonne Tunnat, Comics von Markus Hofmann, Games von Johannes Hahn, Film von Thorsten Hanisch, Serien von Lutz Göllner freuen wir uns, dass Florian Rinke ein Update zur Lage der SF im Bereich Hörspiel liefert. Der Überblick über die Genrepreise des Jahres von Hardy Kettlitz wird in diesem Jahr von Heike Lindholm ergänzt.

Auch wenn das Jahr 2022 von einigen negativen Ereignissen überschattet wurde – die Konfrontation mit einem geografisch sehr nahem Krieg und die anhaltende Krise in der Buchbranche, die auch unseren Verlag immer wieder ins Straucheln bringt –, freuen wir uns, dass wir wieder ein SCIENCE FICTION JAHR vorlegen können. Dass wir in diesem Zuge einem der wichtigsten deutschsprachigen Autoren unserer Zeit, Herbert W. Franke, der im Juli 2022 verstarb, gedenken können, haben wir Hans Esselborn zu verdanken. Er hat Stimmen und Erinnerungen von Kolleg*innen zusammengetragen. Frankes Ehefrau Susanne Päch stellte uns dankenswerterweise Grafiken des Künstlers und Schriftstellers zur Verfügung.

Wir danken den Mitwirkenden und allen, die uns und das Jahrbuch über all die Jahre zu schätzen gelernt haben, für ihre Unterstützung.

Uns bleibt nun nur, trotz vielleicht ernsthafter Themen Freude bei der Lektüre zu wünschen.

Herzlich,

Melanie Wylutzki & Hardy Kettlitz

In Erinnerung an Herbert W. Franke

Hans Esselborn Herbert W. Franke

Zum Gedenken an den Altmeister der Science Fiction

Herbert W. Franke, der Pionier der Computerkunst, kybernetischen Ästhetik, deutschsprachigen Science Fiction und Höhlenforschung, visionärer Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Kunst, ist am 16. Juli 2022 »zu den Sternen gegangen«, wie seine Frau schrieb. Seine Neugier galt dem Unbekannten, Geheimnisvollen, Wunderbaren, dem Zufall und der Ordnung des Kosmos, die er mit den Regeln der Physik und Mathematik und den Experimenten der Kunst und Literatur zu ergründen suchte. Sein literarisches Schaffen prägte das erste halbe Jahrhundert der neuen deutschen Science Fiction von 1960 an bis heute.[1] Es wird weiter bestehen und wir werden uns mithilfe der »Stiftung Herbert W. Franke« daran erinnern, die schon ein erstes Projekt, Tribute to Herbert W. Franke, veröffentlicht hat.

Meine Würdigung legt den Akzent auf seine Science-Fiction-Werke, ohne die anderen Facetten seines vielseitigen Schaffens, besonders seine innovative Computerkunst und kybernetische Ästhetik kontrastierend zu Max Bense, zu ignorieren. Neben 20 einschlägigen Romanen veröffentlichte er sieben Kurzgeschichtensammlungen, ein Dutzend Drehbücher für Hörspiele und unzählige theoretische Bemerkungen und Aufsätze zur Science Fiction, die einen wesentlichen Beitrag zur Bestimmung des Genres lieferten und in einem Sonderband der Werkausgabe veröffentlicht werden sollen. Nicht zu vergessen ist die vielfältige Mitarbeit an Multimediaarbeiten wie dem Fernsehfilm Die Stimmen der Sylphiden 1980, dem Video Astropoeticon 1994, dem Hörtext Dea Alba 1999 und den 20 Hörspielen, die zum Teil als Text vorliegen, zum anderen Teil in einem Sonderband der Werkausgabe soeben erschienen sind. Sie wurden in der Blütezeit der Gattung zwischen 1964 und 1999 gesendet und lieferten einen wesentlichen Beitrag zum deutschen Science-Fiction-Hörspiel[2]: die sechs Stimmen aus dem All 1964/65, Zarathustra kehrt zurück 1969, Aktion im Niemandsland 1975, Papa Joe & Co 1976, Signale aus dem Dunkelfeld und Ich bin der Präsident 1980 und Keine Spur von Leben … 1981, DerAuftrag und Sonntagsfahrt 1984, Ferngelenkt 1986 und Die Rakete 1999.

Doch zuvor sind einige biografische Daten zu erwähnen, die Frankes »hard science fiction«, sein Engagement für Computerkunst, sein Interesse für virtuelle Welten, aber auch für Utopien und Dystopien der Diktatur wie der Konsumgesellschaft erklären können. Der am 14.5.1927 in Wien geborene österreichische Autor hat nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien Physik studiert und wurde dort mit einer Dissertation der theoretischen Physik über Elektronenoptik promoviert. Nach einer Tätigkeit in der Werbeabteilung von Siemens in Erlangen wurde er 1957 freiberuflicher Fachpublizist zu verschiedenen Gebieten der Technik und Naturwissenschaft, besonders zur künftigen Kommunikation, Weltraumfahrt und künstlichen Intelligenz. Seine beruflichen Kontakte ermöglichten ihm schon früh künstlerische Experimente mit den damals noch seltenen Computern, die ihn seit den Sechzigerjahren zu einem anerkannten Pionier der algorithmischen Kunst machten.[3]

Die Erfindung der Universalrechenmaschine und der Entwurf der Kybernetik als universelles Ordnungsprinzip durch Norbert Wiener werden zum verbindenden Glied zwischen seinen wissenschaftlichen Interessen und seinen multimedialen künstlerischen Tätigkeiten. Besonders zu erwähnen ist Frankes Das P-Prinzip, Naturgesetze im Rechnenden Raum, eine grundlegende kosmologische Theorie auf der Basis der Informatik und Kybernetik. Es handelt sich um den Entwurf eines Weltmodells, welches das Universum als Produkt eines Parallelrechners, das ist »ein System von elementaren Computern, worauf schon Konrad Zuse hingewiesen hat«, zu begreifen versucht.[4] »Unsere Welt verhält sich so, als sei sie unter bestimmten Zielsetzungen programmiert. Diese Zielsetzungen richten sich auf die Entstehung dynamischer und komplexer Systeme«.[5] Diese generieren Sinn und Ordnung und entsprechen somit auch der Leistung der Literatur. »Irgendwo zwischen Ordnung und Chaos liegt jener Bereich, auf den sich die Zielvorstellung des P-Prinzips bezieht: Nur dort kann sich eine Vielfalt verschiedenster Gestalten bilden, nur dort treten Wechselwirkungen auf.«[6] Dieser Gedanke ist im Roman Zentrum der Milchstraße und in Geschichten aus Spiegel der Gedanken literarisch umgesetzt. Die Konstruktion zukünftiger oder alternativer Welten, das »world building« des Science-Fiction-Autors, kann so in Analogie zur Entstehung und Organisation des Universums verstanden werden, so wie der Computer »uns heute immerhin die Möglichkeit [bietet], solche anderen denkbaren Weltmodelle zu simulieren«.[7]

Der Algorithmus als Kern der Computerkunst findet in den elektronisch produzierten Klängen der Hörspiele seine Fortsetzung. Er bestimmt ebenso die Simulation als Kern der virtuellen Welten in den literarischen Werken. Die Informationsmaschine des Computers ist Werkzeug der Organisation, der Überwachung und Ablenkung wie der Befreiung in den dargestellten futuristischen Gesellschaften, welche die Motive der schwarzen Utopien des 20. Jahrhunderts wie 1984 und Schöne neue Welt aufnehmen und fortentwickeln. Biografischer Ausgangspunkt ist Frankes Erfahrung des Dritten Reiches und seiner Endphase in Österreich als Jugendlicher in Arbeitsdienst und Militär. Als Kontrast erlebte er nach dem Krieg die Ersetzung der Diktatur durch die Wohlstandsgesellschaft des »Wirtschaftswunders« in der Bundesrepublik und ansatzweise auch im Ostblock nach amerikanischem Vorbild.

Es war ein persönlicher Glückszufall und zugleich eine Sternstunde der deutschsprachigen Science Fiction, dass Franke wegen seiner wissenschaftlichen Vorbildung, aber auch einigen phantastischen Kurzgeschichten, die zuvor in der Wiener Zeitschrift NEUE WEGE erschienen waren, vom Münchener Verleger Kindler den Epoche machenden Auftrag bekam, eine neue Reihe von »Zukunftsromanen« mit Übersetzungen bekannter amerikanischer Science-Fiction-Romane herauszugeben. Als Herausgeber deutscher Texte für den Heyne-Verlag (SCIENCE FICTION STORY-READER), internationaler für den Goldmannverlag (SF INTERNATIONAL) und für den Ullsteinverlag leistete er ebenso wie durch Vor- und Nachworte klassischer und neuer Texte Wesentliches für die Verbreitung des neuen Genres. Die einmalige persönliche Chance des Autors, für einen fehlenden Band der Reihe eigene Kurzgeschichten zu schreiben, führte unter anekdotisch denkwürdigen Umständen 1960 zum genialen Sammelband Der grüne Komet, der bis heute als bahnbrechend empfunden wird.[8]

In seiner ersten Werkphase von 1960 bis 1972 veröffentlichte Franke sieben Romane bei Goldmann und Kindler, in denen er lange vor William Gibson in Das Gedankennetz und Der Orchideenkäfig (beide 1961) die virtuellen Welten entdeckt, in Der Elfenbeinturm und Zone Null (1965 bzw. 1970) die Rolle des Computers bei der Überwachung und Manipulation hervorhebt und in Die Glasfalle und Die Stahlwüste (beide 1962) dystopische Gesellschaften beschreibt.

Die fruchtbarste zweite Phase seines Werkes 1986 bis 1990 steht im Zeichen der von Franz Rottensteiner herausgegebenen PHANTASTISCHEN BIBLIOTHEK im berühmten Suhrkamp Verlag, die einen ersten Höhepunkt der Anerkennung und Verbreitung der Science Fiction in Deutschland markierte.

In diesen Jahren entfaltete Franke seine markanten Lieblingsthemen, nämlich durch Computerüberwachung geprägte futuristische Gesellschaften wie in Ypsilon Minus (1976) und virtuelle Welten zwischen Illusionsmaschinen und Realitätszweifeln in Sirius Transit (1979). Zugleich beschrieb er den Aufbruch in den Weltraum bis zur Begegnung mit fremden Lebewesen in Tod eines Unsterblichen und Transpluto (beide 1982) und Zentrum der Milchstraße (1990), ökologische Katastrophen in Endzeit (1985) und Hiobs Stern (1988) und die Themen Nazizeit und Kalter Krieg in Die Kälte des Weltraums (1984). Diese Themen werden seit dem Grünen Komet prägnant auch in den Kurzgeschichtensammlungen dargestellt, die gleichwertig neben den Romanen stehen, so in Einsteins Erben (1972), Zarathustra kehrt zurück (1977), Paradies 3000 (1981), Der Atem der Sonne (1986) und Spiegel der Gedanken (1990).

In den Neunzigerjahren ging das Interesse an der Science Fiction allgemein zurück und die PHANTASTISCHE BIBLIOTHEK wurde eingestellt. In diese Zeit fällt meine persönliche Bekanntschaft mit dem Autor, da ich ihn für ein Seminar nach seinen vergriffenen Romanen fragte, die der Verlag nicht nachdruckte. Aus verschiedenen freundlich angenommenen Einladungen zu Lesungen an der Universität Köln und der Teilnahme an einem von mir ausgerichteten Kolloquium in Paris ergab sich eine freundschaftliche und motivierende Beziehung. Nach der Publikation der Beiträge der Tagung zu Frankes 75. Geburtstag 2003[9] erschienen in der Folge zahlreiche Aufsätze, Magisterarbeiten und Dissertationen über den Autor. Seit 2014 bin ich mit Ulrich Blode Herausgeber der Science-Fiction-Werkausgabe im Verlag p.machinery. Von den geplanten mehr als 30 Bänden sind in der Standardreihe schon publizierter Werke die Bände 1–16, in der Sonderreihe mit unveröffentlichten Texten die Bände 29–31 erschienen, nämlich Der Kristallplanet (2017), Das Gutenbergkonzil und 60 Jahre Grüner Komet (beide 2020). Es stehen noch einige Bände mit unveröffentlichten Hörspielen, Drehbüchern fürs Fernsehen und theoretischen Texten aus. Letztere stellen einen wesentlichen Beitrag zum Selbstverständnis des Genres dar und greifen mit grundsätzlichen Aussagen über Science Fiction als Literatur der technischen Welt, über Motive wie Raumfahrt, Roboter und Cyborgs, aber auch kurzen Stellungnahmen zu bestimmten Werken und Gelegenheiten in die aktuelle Diskussion ein. Grundsätzlich sind die Bände der neuen Ausgabe jeweils mit einem speziellen Kommentar verschiedener Autoren versehen.

In der dritten Phase seines Werkes publizierte der Autor von 2004–2007 bei dtv vier Romane: Sphinx_2 (2004), Cyber City Süd (2005), Auf der Spur des Engels (2006), Flucht zum Mars (2007). Dabei geht es im ersten Text um die Entwicklung einer übermächtigen Künstlichen Intelligenz und in den anderen wie in neuen Geschichten in Zeitschriften um die Auswirkung neuer Technik in naher Zukunft.

Frankes Werke konstruieren durch »world building« moderne Gesellschaften, die von der Anwendung weiter gedachter aktueller technischer Erfindungen wie des Computers geprägt sind. Dabei hat der Autor viele spätere Entwicklungen vorweggenommen wie das virtuelle Metaverse und die autonome Entwicklung der Künstlichen Intelligenzen zu bedrohlichen Singularitäten (vgl. Sphinx_2). Der Computer als Informationsmaschine führt zu den wissenschaftlichen Fragen der Naturgesetze in Zentrum der Milchstraße, zu den soziologischen Problemen der Erstarrung der Ordnung in einer Art Entropie, gegen die Kreativität und Zufall aufgeboten werden müssen, sowie zum philosophischen Thema der Ununterscheidbarkeit von Illusion und Wirklichkeit wie bei Philip K. Dick, besonders in Sirius Transit. In der Erforschung der oft unerwarteten und unerwünschten Folgen technischer Innovationen sieht Franke die Hauptaufgabe der Science Fiction.

Im konkretisierten Modell wird durchexerziert, welche Folgen bestimmte Maßnahmen hätten, wenn man sie erst einmal getroffen hat. […] Dabei interessiert sich der Science-Fiction-Autor vor allem für jene Konflikte, die durch die Wechselwirkung zwischen Technik und Gesellschaft entstehen, also für psychische und soziologische Effekte.[10]

Utopische, dystopische und ambivalente Gesellschaftsstrukturen bilden nicht nur den Hintergrund der Romane, sondern sind in der deutschen Tradition selbst Thema der Werke. Franke modernisiert vergleichbare Motive aus dem Fundus des technischen Zukunftsromans, indem er die kybernetische Komponente akzentuiert und den qualitativen Sprung von der einzelnen Maschine zur globalen Technologie samt ihren Folgen nachvollzieht. Das Thema des Gebrauchs oder Missbrauchs neuer Technik kehrt in Gestalt bekannter Motive wieder. So handelt es sich oft um eine Diktatur, die von persönlichen Herrschern in Glasfalle und Kälte des Weltraums oder anonymen Machthabern mithilfe von Riesenrechnern in Elfenbeinturm,Ypsilon minus und Zone Null ausgeübt wird. Zwangsläufig, und eine spannende Handlung erst ermöglichend, tritt den egoistischen oder korrupten Vertretern des Regimes eine Untergrundbewegung entgegen, die zu verzweifelten Terrorakten und Intrigen greift, da eine legale Opposition nicht möglich ist. Im Zentrum der Aktion steht dann meist ein zunächst unscheinbarer Einzelner, der zu zweifeln beginnt und schließlich Widerstand leistet, entweder im Zusammenspiel mit einer Untergrundgruppe oder auf eigene Faust. An der Entwicklung seiner Verwirrungen, Gefährdungen, Entdeckungen und Liebeserlebnisse nimmt der Leser durch die persönliche Erzählperspektive intensiv teil. Denn die vom Rebellen verursachte Störung der rigiden Ordnung kann zu deren Veränderung führen, so besonders eindrucksvoll dargestellt in Ypsilon Minus.

Im Bestehen von Gefahren und in der Aufklärung geheimnisvoller Vorgänge zeigen sich Züge des Kriminal- und Agentenromans und des Thrillers. Die Sprache Frankes ist klar und einfach, denn im Vordergrund stehen die Vorgänge und deren soziale und philosophische Bedeutung, nicht Emotionen und Wertungen durch suggestive Bilder. Typisch für Frankes modernes Erzählen ist die Kontrastierung konträrer Perspektiven durch Nebenhandlungen und fiktive Dokumente, die oft auch grafisch abgehoben werden, um die Komplexität der Vorgänge wiederzugeben. Die experimentelle Darstellung des Neuen und Unbekannten, des »was wäre wenn«, bezieht sich aber nicht nur auf die Zukunft, sondern öffnet auch den Raum zum Weltall und zur post- und transhumanen Sphäre der Roboter, Cyborgs und Tiere.

Frankes Werk gehört zur intellektuellen Richtung der Science Fiction, die sich an der Wissenschaft orientiert und Fragen der Technikfolgen und alternativen Lebensmodellen bis zu philosophischen Problemen vertieft. Aber trotzdem ist es voll spannender Aktionen und überraschender Wendungen und Auflösungen. Sein zentrales Novum ist der Computer, die große Errungenschaft und Herausforderung des späten 20. Jahrhunderts, weil er als Universalmaschine tauglich ist, nicht nur zum Rechnen und Regulieren, sondern auch zur unerlässlichen Information, Kommunikation, Organisation und Überwachung in der modernen Gesellschaft. Dieses Thema ist keineswegs veraltet, sondern bietet immer wieder überraschende aktuelle und praktische Facetten. Dies zeigt gerade in letzter Zeit eine Vielfalt von Romanen jüngerer Autoren, die die bedrohliche, aber auch hilfreiche Entwicklung von Künstlichen Intelligenzen beschreiben. Man denke an die bemerkenswerten Texte Benjamin Steins, Andreas Brandhorsts, Frank Schätzings, Thore D. Hansens, Tom Hillenbrands, Anja Kümmels, Raphaela Edelbauers, Bijan Moinis, Theresa Hannigs, Uwe Hermanns und Nils Westerboers, die dieses Thema variieren.

Die Bedeutung Herbert W. Frankes ist kaum zu überschätzen. Er gilt aktuell als bedeutendster Autor der deutschsprachigen Science Fiction, wurde in viele andere Sprachen übersetzt und selbst im Kalten Krieg im Osten publiziert.

Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so Preise des SFCD für Die Kälte des Weltraums und Zentrum der Milchstraße, Laßwitz-Preise für Kurzgeschichten, für die Romane Die Kälte des Weltraums, Endzeit und Auf der Spur des Engels, für sein Lebenswerk 2017; dafür schon 2016 den European Grand Master Award. Wenn sich auch die aktuelle deutsche Science Fiction unter dem Einfluss von Pop, Fantasy und Space Opera vom nüchternen und klaren Stil Frankes entfernt hat, so bleibt doch sein literarisches Werk samt seinen theoretischen Erörterungen als Eckstein des neuen deutschen Genres seit 1960 bestehen, wie die vielen würdigenden Nachrufe nach seinem Tod bezeugen. Seinen Freunden und Bekannten bleibt er als entdeckerfreudig, kooperativ, kommunikativ und trotz seiner großen Leistungen und Verdienste als freundlich und bescheiden in unvergessener Erinnerung.

Herbert W. Franke hat im Laufe seines langen Lebens und Wirkens viele wissenschaftliche und künstlerische Freundschaften und Kooperationen gepflegt und war Förderer und Vorbild für Jüngere. Deshalb haben sich Schriftsteller, Kritiker und Science-Fiction-Kenner zusammengefunden, um den verstorbenen Autor zu würdigen. Viele können von weit zurückreichenden persönlichen Beziehungen berichten, andere von hilfreichen Begegnungen auf dem Karriereweg, Jüngeren konnte er bewunderter Fixpunkt des Genres sein. Viele haben schon einen Freundschaftsdienst mit Kommentaren in der Werkausgabe oder mit Interviews geleistet. Je nach dem eigenen Interesse finden sich neben persönlichen Erinnerungen spezielle Wertschätzungen jenseits der literarischen Science Fiction im Bereich der Hörspiele, der Computerkunst, der Populärwissenschaft und der ästhetischen Theorie, die so die Breite des Schaffens Frankes dokumentieren.

[1]Vgl. Hans Esselborn: »Herbert W. Franke. Pionier der deutschsprachigen Science Fiction« in: Herbert W. Franke:Der Kristallplanet. Autobiografische Texte und Science-Fiction-Werke, Murnau 2017

[2]Vgl. Dieter Hasselblatt: »Ein halbes Jahrhundert Science-fiction und Hörspiel« in:Polaris 5. Ein Science Fiction-Almanach, Franz Rottensteiner (Hrsg.). Phantastische Bibliothek Suhrkamp Frankfurt/M 1981, S. 165–192.

[3]Vgl. Heike M. Piehler:Die Anfänge der Computerkunst. Frankfurt/M. 2002.

[4]Herbert W. Franke:Das P-Prinzip. Naturgesetze im Rechnenden Raum.Frankfurt/M. 1995, Klappentext.

[5]ebenda, S. 21.

[6]ebenda, S. 164. S. 22 spricht er von »offenen Zielvorstellungen«, »die etwas mit Kunst und Spiel zu tun haben«.

[7]ebenda, S. 164.

[8]Vgl. Herbert W. Franke60 Jahre Grüner Komet. Murnau 2020.

[9]Hans Esselborn (Hrsg.)Utopie, Antiutopie und Science Fiction im deutschsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts. Würzburg 2003

[10]H. W. Franke »Literatur der technischen Welt«. In:Science Fiction. Theorie und Geschichte, Eike Barmeyer (Hrsg.). München 1972, S. 105–117, hier S. 107

Ralf Bülow Herbert W. Franke und das Sachbuch

Im Kino lief Metropolis und in New York erschien das Science-Fiction-Magazin AMAZING STORIES. Die Rechenmaschinen musste man kurbeln, aber in Banken und Versicherungen ratterten elektrische Lochkarten-Maschinen. In England und den USA gelangen über Kabel die ersten Fernsehübertragungen. 1927 ließ sich schon in die Zukunft blicken. Am 14. Mai des Jahres kam in Wien Herbert Werner Franke zur Welt, besser bekannt als Herbert W. Franke. Nach Gymnasium und Kriegsdienst studierte er in seiner Heimatstadt Physik, Mathematik, Chemie sowie Psychologie und Philosophie. 1950 promovierte er über ein Thema aus der Elektronenoptik. Nach kurzer Forschungstätigkeit in Wien zog er nach Bayern und arbeitete von 1952 bis 1957 in der Presseabteilung von Siemens in Erlangen.

Frankes erstes Buch von 1956, Wildnis unter der Erde, schilderte Erlebnisse und Abenteuer in den Höhlen Mitteleuropas. Höhlen hat er auch ernsthaft erforscht. So übertrug Franke das C14-Verfahren zur Altersbestimmung von organischen Objekten auf den Kohlenstoff in Tropfsteinen. Sein nächstes Werk Kunst und Konstruktion erschien 1957; es behandelte das ästhetische Potenzial der wissenschaftlichen Fotografie und führte 1959 zu einer Ausstellung in Wien. Gegen Ende des Buchs, im Kapitel »Die Konsequenzen«, ging Herbert W. Franke auf, wie man damals sagte, elektronische Rechenmaschinen oder Elektronenhirne ein. In einer amüsanten Vision beschrieb er »ein paar Dutzend Beamte«, die Tag für Tag die Produkte eines für Texterzeugung programmierten Computers lesen. Tatsächlich schrieb der Mathematiker Theo Lutz 1959 eine Poesie-Software für den Zuse-Z22-Rechner der Technischen Hochschule Stuttgart. Franke erwähnte außerdem eine »elektronische Komponiermaschine« der US-Firma Burroughs – dahinter steckte ein mittelgroßer Computer des Typs Burroughs 205 – und einen »Übersetzungsautomaten« des Massachusetts Institute of Technology. Dort arbeitete der Linguist Victor Yngve (1920–2012), der vermutlich auf einen Computer der Hochschule zurückgriff. Das Buch endete mit dem Satz: »Die Zukunft hat schon begonnen – auch für die Kunst.«

Hier zitierte Franke natürlich Robert Jungk. Der 1913 in Berlin geborene und 1933 aus Nazi-Deutschland emigrierte Journalist unternahm in den frühen 1950er-Jahren eine Reise durch die USA, wo er Stätten des technischen Fortschritts besuchte. Sein 1952 erschienenes Reportage-Buch Die Zukunft hat schon begonnen war kritisch gemeint, es wurde aber ein Bestseller und der Titel sprichwörtlich. Auf Jungks Erlebnisse folgte eine ganze Anzahl Bücher, die in leuchtenden Farben die meist amerikanischen Aktivitäten in Wissenschaft und Technik beschrieben. Sie hatten Titel wie Wunder geschehen jeden Tag (Roderich Menzel), Über den Himmel hinaus (Arthur C. Clarke) oder Den Göttern gleich (Diether Stolze). Dazu kamen Publikationen über die Segnungen der Atomkraft und den Stand der Flugzeug- und Raketentechnik.

1959 verfasste auch Herbert W. Franke ein Buch im Geiste von Robert Jungk: … nichts bleibt uns als das Staunen – Welt zwischen gestern und morgen erschien im Münchner Wilhelm Goldmann Verlag. Es umfasste auf 160 Seiten 24 Kapitel. Sie trugen Überschriften wie »Vorstoß ins Weltall«, »Invasion der Automaten«, »Denkende Maschinen« oder »Die Automation der Kunst«, doch Franke blieb weitgehend philosophisch und brachte wenig konkrete Details. So erschien im Weltall-Kapitel nur »Wernher von Braun, der Vater des ersten amerikanischen Satelliten« – gemeint ist der Anfang 1958 gestartete Explorer 1 – und keine weiteren Raumfahrtmissionen. Die denkenden Maschinen beschränkten sich auf Norbert Wieners Kybernetik, und bei der Automation der Kunst schrieb Franke aus seinem Buch von 1957 ab. Mit anderen Worten: … nichts bleibt uns als das Staunen ist eines von seinen schwächsten Werken und zu Recht vergessen.

Ab 1957 war Herbert W. Franke freiberuflich tätig, 1960 begann seine Science-Fiction-Karriere. Bei Goldmann erschien Der grüne Komet, eine Sammlung von Kürzest-Geschichten. Er betreute danach als Herausgeber jahrelang die Utopien des Verlages. Ältere SF-Fans kennen Goldmanns Zukunftsromane und Goldmanns Weltraum Taschenbücher mit ihren abstrakten Covern. Herbert W. Franke und Wolfgang Jeschke, sein Kollege im Münchner Heyne-Verlag, schufen so die Grundlage des westdeutschen Science-Fiction-Marktes.

1961 legte Franke seinen ersten langen Zukunftsroman Das Gedankennetz vor. Er enthielt schon Elemente, die manche seiner späteren Werke kennzeichneten: Computer, virtuelle Realitäten, Menschen im Kampf gegen diktatorische Systeme und Welten hinter der Welt. Neben Science Fiction erstellte Franke in den 1960er-Jahren immer wieder populärwissenschaftliche Werke wie Vorstoß ins Unbegreifliche – Brennpunkte der modernen Physik, Neuland des Wissens (über wissenschaftliche Forschung), Der manipulierte Mensch – Grundlagen der Werbung und Meinungsbildung, Der Mensch stammt doch vom Affen ab, Kunststoffe erobern die Welt oder Sinnbild der Chemie. Harte Wissenschaft behandelte 1969 das Buch Methoden der Geochronologie.

Uns interessiert noch ein Sachbuch, das Herbert W. Franke zusammen mit dem Nuklearmediziner Emil Heinz Graul (1920–2005) schuf. Die unbewältigte Zukunft gehörte zu den futurologischen Werken, die in den 1960er-Jahren entstanden oder auf ihren Erkenntnissen basierten. Es erschien 1970 im Kindler Verlag München. Vergleichen kann man es mit den Büchern Ihr werdet es erleben von Herman Kahn und Anthony Wiener und Auf der Suche nach der Welt von morgen von Rüdiger Proske (beide aus dem Jahr 1968) und Der Zukunftsschock von Alvin Toffler (1970). Die unbewältigte Zukunft war nicht so kritisch, wie der Titel klingt, sondern faktengefüllt und eine gute Einführung in die wissenschaftliche Prognostik. Das Kapitel »Die nächsten Computergenerationen« – es ging wahrscheinlich auf Franke zurück – zeugte von einer guten Kenntnis der Informationstechnik. Das vorletzte Kapitel »Die programmierte Kunst« reflektierte die kybernetische Ästhetik von Max Bense und Helmar Frank: Hier hatte Herbert W. Franke definitiv dazugelernt.

Allerdings kam Die unbewältigte Zukunft zu einer Zeit, als die technikfreundliche und zukunftsgläubige Stimmung im Land umkippte. Schon 1970 wurde in den USA der erste »Earth Day« begangen, und zwei Jahre später lagen Die Grenzen des Wachstums vor. Der Fortschritt fand, wenn überhaupt, in den Laboratorien der Computerfirmen und in den Informatik-Instituten der Universitäten statt.

Herbert W. Franke muss das gespürt haben. Er verlagerte die Zukunftsschau in die Science Fiction und die Wissenschaft in den Computer. Von 1973 bis 1997 lehrte er Computergrafik und Computerkunst an der Universität München. 1979 wirkte er bei der Gründung des High-Tech-Festivals »Ars Electronica« mit. In den 1980er-Jahren erhielt Franke dreimal die wichtigste deutsche SF-Auszeichnung, den Kurd-Laßwitz-Preis, sowie den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar. Zu seinem 80. Geburtstag 2007 veranstaltete die Kunsthalle Bremen eine große Ausstellung mit Computerkunst. 2010 folgte eine biografisch orientierte Sonderschau des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie. Am 30. März 2022 eröffnete im oberösterreichischen Linz die Ausstellung »Visionär« zu seinem 95. Geburtstag.

Am 16. Juli des Jahres starb Herbert W. Franke in seinem Haus in Egling südlich von München.

When the great markets by the sea shut fast

All that calm Sunday that goes on and on.

When even lovers find their peace at last.

And Earth is but a star, that once had shone.

Literatur:

Herbert W. Franke Kunst und Konstruktion – Physik und Mathematik als fotografisches Experiment, Verlag F. Bruckmann, München 1957

Herbert W. Franke … nichts bleibt uns als das Staunen – Welt zwischen gestern und morgen, Wilhelm Goldmann Verlag, München 1959

Emil Heinz Gaul Herbert & W. Franke Die unbewältigte Zukunft, Kindler Verlag GmbH, München 1970

Dietmar Dath Gesetz und Drachenkraft

Herbert W. Franke als schöpferischer Erklärer der Kunst

Wenn ein Künstler sich vor sein Publikum stellt und behauptet, ihm sei eine Theorie zur Hand, mit der sich alle Künste erklären ließen, fordert er Ärger heraus. Die meisten Leute wollen sich Kunst von Kunstschaffenden nicht erklären lassen, dafür gibt’s, meinen sie, doch Kunstkritik, Kunstwissenschaften und Kunstgeschichte. Außerdem gabelt sich an dieser Stelle der Weg für den Künstler, der zugleich Kunsterklärer sein will, in zwei gleichermaßen böse Richtungen.

Alternative 1.) Die vorgebrachte Theorie erklärt die Kunst des sie vortragenden Künstlers nicht, dann taugt entweder seine Theorie nichts oder seine Kunst, die offenbar keine ist, sonst würde eine zutreffende Kunstlehre sie ja zu fassen kriegen.

Alternative 2.) Die Theorie erklärt die Kunst des Künstlers zwar tatsächlich vollständig, dadurch aber riecht diese Kunst fortan für das Publikum nach Masche, soll heißen, nach etwas, das »jedes Kind kann«, wenn es nur die aus der Theorie abzuleitenden Regeln kennt und ihre Anwendung fleißig genug übt. Und das wäre wieder keine Kunst, jedenfalls nach landläufigem Verständnis davon, was Kunst sein soll.

Herbert W. Franke hat sich von dieser unbefriedigenden Aussicht nicht abschrecken lassen. Die Kunst, auch seine eigene (computergestützte, grafische, wie auch literarische), versuchte er mit Geduld und Sorgfalt informationstheoretisch aufzuschlüsseln.

Gegen den Verdacht, er rede einer Kunst das Wort, in der Algorithmen das kreative Subjekt und das co-kreative Publikum ersetzen könnten, beharrte er darauf, dass Verständnis, Reflexion und Kenntnisse die Kunstproduktion und den Kunstgenuss nicht schmälern, sondern vertiefen und vergrößern. Es stimmt ja: Die Leute gehen immer noch ins Theater, um sich Romeo und Julia anzuschauen, obwohl man heute wirklich sehr unschuldig sein muss, um nicht zu wissen, was da wem passiert, wie es ausgeht und was das bedeutet. Unser anhaltendes Interesse rührt nicht nur von wechselnden Besetzungen und neuen Inszenierungen, sondern die Variabilität des Erlebnisses liegt an der Beziehung zwischen den Werken als solchen und dem wahrnehmenden Bewusstsein, sonst würde man ja auch nicht dieselben Filme gerne immer wieder sehen, bei denen sich am Casting und an der Regie jedenfalls nichts ändert. Zwar ist der Zufluss von Information in informationsverarbeitende Systeme durch handfeste physikalische und mathematische Eichgrößen limitiert, und ein Publikum ist zunächst auch nichts anderes als so ein System. Aber wenn wir Kunst diachron in immer wieder anderen Zusammenhängen erleben, mit wechselnden Voraussetzungen, die wir dazu mitbringen, betten wir sie beim Kunsterlebnis selbstständig in diese ein und filtern die vermeintlich bekannten Daten neu.

Herbert W. Franke hat das, was diesem Vorgang zugrunde liegt, gemeinsam mit einem Gelehrten namens Helmar G. Frank (die Namensähnlichkeit der beiden illustriert sehr schön den signalwissenschaftlichen Grundsatz, dass »Information« oft von Variationen innerhalb erwarteter Signalketten getragen wird, sie ist »the difference that makes a difference«) in einer kleinen Abhandlung namens »Gibt es ästhetische Information?« 1997 bündig erläutert. Der Witz der vertrackten Angelegenheit liegt für Frank und Franke darin, »dass der Mensch sich willentlich auf bestimmte Bedeutungsklassen innerhalb strukturierter Muster konzentrieren kann. (…) Der Betrachter eines Bildes kann sich einmal dessen vordergründiger Bedeutung, seiner möglichen allegorischen Komponente, Bezügen zur Zeitgeschichte und dergleichen widmen – oder auch die geometrische Struktur, die Verteilung der Farben usw. ins Auge fassen. Ähnliches gilt für Musik und Literatur, aber auch für zusammengesetzte Sparten der Kunst, wie Oper, Theater, Tanz und Film.«[11]

Frankes treues Lesepublikum weiß sehr gut, wovon da die Rede ist. Die historisch früheste Lektüre großartiger Franke-Romane wie Die Glasfalle (Erstfassung 1962) oder Der Elfenbeinturm (Erstfassung 1965) mag sich vielleicht als Abgleich von einerseits dem, was Franke in der Zukunft kommen sah, und andererseits zeitgenössischen Empfindungen und Gedanken über die zusehends von Automaten verwaltete Welt, über Drogenepidemien, Atomkriegsgefahr und dergleichen vollzogen haben. Wenn man jedoch dieselben Bücher etwa in den Achtzigern oder nach dem Kollaps des Sozialismus im Osten wieder in die Hand nahm, hatten sie sich, obwohl die Stoffe, die man in ihnen zuvor behandelt fand, zum Teil abgetan waren, keineswegs erledigt.

Franke schrieb als Science-Fiction-Autor glasklare Prosa, aber das gerade nicht so, wie jemand ein Fenster poliert, damit man irgendwas »da draußen« (eben: zeitgeschichtliche Phänomene) deutlicher sieht, sondern vielmehr wie jemand, der durch deutliche Demonstration einer Konstruktion, einer Spekulation, einer Extra- oder Interpolation das, was »da draußen« ist, um abstraktere Bedeutungen ergänzt, die darauf jeweils so beweglich bezogen sind, dass sie sich auf veränderte Umstände wie Einsichten mit wachsendem Erkenntnisgewinn beziehen lassen.

Im schon zitierten Aufsatz »Gibt es eine ästhetische Information?« wird näher bestimmt, was dahintersteckt: »Damit ist eine bestimmte Strategie für die Konzeption von Kunstwerken angedeutet: Es ist möglich, in ihnen mehrere Bedeutungsklassen – gewissermaßen auf mehreren Ebenen – zu verschachteln, und das so, dass dann innerhalb jeder einzelnen von ihnen gelingende Gestaltbildungsprozesse möglich sind. Die Regel der beschränkten Zuflusskapazität gilt nun nicht für die gesamte Anordnung, sondern nur noch für einzelne Ebenen, von denen der Gestalter beliebig viele kombinieren kann. Eine weitere Anreicherung gelingt, indem zwischen den Ebenen Bezüge hergestellt werden, denen sich der Rezipient in einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk widmen kann; die dadurch geschaffene Komplexität wird in der Informationstheorie als Verbundkomplexität oder Komplexität zweiter Ordnung bezeichnet.«[12]

In diesem Zeichen kann ein Kunstwerk benennbaren Regeln, Rezepten, Algorithmen, Gesetzen entsprechen, ohne dass sein Genuss oder sein Verständnis dabei je durch ihre Reichweite und Geltung begrenzt wäre. Denn wo mehrere Ebenen mit womöglich obendrein mehreren Regeln, Rezepten, Algorithmen und Gesetzen, die einander ja wie Wellen (etwa die des Lichts) verstärken, schwächen oder annullieren können, in lebendiger Kombinatorik zusammenwirken, geht das Ganze in ihrer Aufzählung gewiss nicht auf und ist durch ihre Kenntnis nicht erschöpfbar.

Solche Gesetze der Kunst dienen damit dem jeweiligen Werk, nicht umgekehrt.

Die (je nachdem) kurze oder lange Spur der verschiedenen Werke, die eine Künstlerin oder ein Künstler im Leben nacheinander schafft, erlaubt es der individuellen Kreativität, verschiedenerlei Gesetze quasi »historisch« hintereinanderzuschalten, wie im nichtkünstlerischen Erkenntnisbereich die magisch-theologische Weltsicht des europäischen Mittelalters, die ja auch ihre Gesetze hatte, dank Galilei und Newton von anderen, logisch besser verfugten und bei der Welterschließung produktiveren Gesetzen abgelöst wurde.

Herbert W. Franke hat sich allerdings nicht dabei beschieden, die betreffenden Gedanken in Theorieform zu artikulieren und zu explizieren. Weil er ein großer, leidenschaftlicher, von der Leidenschaft aber nie ins aufgeregt Ungenaue getriebener Erzähler war, hat er die betreffenden Zusammenhänge vielmehr auch in Kunstgestalt erforscht, unter anderem in einer für ihn höchst ungewöhnlichen Form.

Obwohl er nämlich im deutschen Sprachraum zweifellos derjenige Autor war, an dessen geistigen Konturen entlang man die Gussform »Hard SF« hätte bestimmen können, also das am weitesten von traditioneller Fantasy entfernte phantastische Genre überhaupt, hat er doch eine Fantasy-Erzählung geschrieben, als er griffig dartun wollte, dass es bessere und schlechtere, stärkere und schwächere Kunstgesetze und Quellen für sie gibt.

Diese Geschichte heißt »›Titus‹, der letzte Drache« und erschien 1990 im von Franz Rottensteiner herausgegebenen Band Die Sirene und andere phantastische Erzählungen.

Ein besiegtes schuppiges Monster spricht darin über das Ende seiner auf andere Wesen übertragbaren Macht, die ihm erlaubt hat, Gestalten der Phantasie zu beleben, und man denkt unwillkürlich an die »allegorische Bedeutung«, die in Franks und Frankes Aufsatz zu der Frage, ob es ästhetische Information gibt, gestreift wird: »Der Drache verstummte, und ein Zittern durchlief seinen Körper. Erneut erhob er seine schwache Stimme: ›Du hast die Menschheit soeben der Kräfte beraubt, die wir, die Drachen, einst auf die Welt brachten. Die Geschöpfe, die wir schufen, werden euch verlassen, weil sie ohne die Gesetze, die wir aufstellten, nicht mehr unter euch leben können. Die Kobolde, die Nachträuber, die Elfen und andere Wesen der Finsternis werden euch unterliegen, wenn die Kraft der Drachen erloschen ist.‹«[13]

Das heißt, denkt man es zu Ende: Weder sind die Geschöpfe der Phantasie ohne die Gesetze lebensfähig, die ihre Existenz regeln, noch haben diese Gesetze für sich genommen irgendeinen Wert, wenn sie keine Geschöpfe hervorbringen, und wo schließlich die kreative Kraft (»Magie«) abstirbt, die beide nährt, gehen sie zu dritt verloren.

Damit ist aber heute, nach dem Tod des Mannes, der den hier zitierten Drachen und seine Rede geschaffen hat, vor allem erkennbar, was besagtes Ungeheuer von seinem Schöpfer unterscheidet. Denn Herbert W. Frankes Kunstgesetze brechen eben nicht zusammen, wenn ihr Entdecker fort ist, sie behalten ihre Gültigkeit, und die faszinierenden Geschöpfe, die er mit ihrer Hilfe erdacht hat, werden nicht aufhören, uns mit ihren Rätseln und deren Lösungen zu überraschen.

[11]Helmar G. Frank & Herbert W. Franke: »Gibt es eine ästhetische Information?« in Frank u. Franke: Ästhetische Information, Berlin u. Paderborn: I. f. Kybernetik Verlag 1997, S. 121

[12]Frank & Franke: a. a.O, S. 122

[13]Herbert W. Franke: »›Titus‹, der letzte Drache« in ders.: Das Gutenberg-Konzil, Murnau am Staffelsee: p.machinery 2020, S. 305

Bernhard J. Dotzler Franke 2000

Herbert W. Franke kam aus einer Welt, in der das Jahr 2000 noch Chiffre für die Ankunft der Zukunft war. Wie bei Stanley Kubrick: 2001: A Space Odyssey. Wie – noch 1987 – in H. W. Frankes Buchtitel: Leonardo 2000. Darin geht es um »Kunst im Zeitalter des Computers«. Das Buch war unter anderem Titel bereits 1978 erschienen und stellt, dem anderen Titel Kunst kontra Technik? zum Trotz, weniger die Unterschiede als vielmehr die »Gemeinsamkeiten zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik« heraus. 1978, obwohl schon zwei Jahrzehnte »Computerkunst« ins Land gegangen waren, konnte man damit noch provozieren. 1987 schon weniger. Aber immer noch galt die Chiffre 2000.

Seit den 1950er-Jahren sind Computer im Einsatz, um Kunst – Poesie, Musik, Bilder – zu produzieren. H. W. Franke gehörte zu den Pionieren, mit eigenen Arbeiten ebenso wie als Theoretiker der (mit anderen seiner Buchtitel) Apparativen Kunst, der Kybernetischen Ästhetik. In Leonardo 2000 findet sich dazu die bemerkenswerte Erklärung: »Gewiß kann man ein datenverarbeitendes System so einsetzen wie ein mechanisches Werkzeug. Der wichtigste Teil der Anlage ist in diesem Fall das Ausgabegerät, die programmgesteuerte Zeichenmaschine. Die maschinelle Intelligenz des Computers bleibt größtenteils ungenutzt […].« Dies hatte sich bereits ab 1974 mit Harold Cohens Kunst-Expertensystem »AARON« zu ändern begonnen. Dies hat sich zumal in jüngster Zeit mit der Deep Learning-KI-Kunst geändert.

Gerade deshalb ist aber daran zu erinnern, dass für die Anfänge der »Computerkunst« noch jedes Mal auf H. W. Frankes Oszillogramme (1956) verwiesen wird. Franke hat danach auch mit Fourier-Transformationen und Fraktalen experimentiert. Aber am Anfang standen die Lissajous-Figuren der Oszillogramme. Benannt nach Jules Antoine Lissajous, der die ihnen zugrunde liegende Mathematik zweier sich überlagernder harmonischer Schwingungen beschrieb, wanderten diese Figuren aus der Mechanik des Fadenpendels in die Elektronik der Messgerätetechnik: des Oszilloskops. So wurden sie von praktischem Wert. Frankes Oszillogramme dagegen verwandeln dieselben Figuren in etwas, das »keinen praktischen Nutzen hat« (wie Leonardo 2000 den Impuls »ästhetischen Gestaltungswillens« umschreibt) – in »l’art pour l’art«. Nichts sonst aber ist die Messlatte aller Kunst, deshalb auch aller »Computerkunst«.

Kunst, um als solche in Erscheinung zu treten, benötigt prinzipiell wenigstens einen Hauch von »l’art pour l’art«. »Computerkunst« wiederum, die den Computer nicht nur als Werkzeug nutzt, sondern mehr und mehr dessen eigene maschinelle Intelligenz – solche, wie sie inzwischen genannt wird, »AI-generated art« wird vollends erst Ereignis geworden sein, wenn doch geschehen sein wird, was Denis Gabor nicht wünschte. »Will the machine […] cut out […] the creative artist?«, fragte sich der Holografie-Erfinder schon 1960. »My answer is that I sincerely hope that machines will never replace the creative artist, but in good conscience I cannot say that they never could.«

Wird solche Kunst in Ersetzung des kunstschaffenden Menschen einmal »state of the art« geworden sein, wird es sich um »Kunst« handeln (im Sinne von Technik, gemäß der Etymologie: lateinisch ars als Übersetzung des griechischen techne), die »Kunst« (im Sinne von Kunstwerken) produziert. »AI-generated art«, die diesen Namen verdient, wird also »l’art pour l’art« im striktesten Wortsinn sein, die damit Ernst macht, dass sowohl der Künstler (ob Mensch oder Maschine) als auch das Kunstwerk (ob dinghafter, prozessualer oder sonstiger Art) einzig durch ein Drittes sind (in Heideggers Worten), »welches das erste ist, durch jenes nämlich, von woher Künstler und Kunstwerk ihren Namen haben, durch die Kunst«. – Leonardo 3000?

Bartel Figatowski Herbert W. Frankes Vexierbilder der Menschheit

Herbert W. Franke war ein künstlerisches Multitalent mit einem weit verzweigten Interesse. Das an der Welt und den Dingen spiegelt sich mitunter in der Vielzahl von Themen wider, die er in seinen Kurzgeschichten, Romanen und Hörspielen verarbeitet. Bemerkenswert ist Frankes Fähigkeit, bekannte SF-Motive wie die Weltraumfahrt, künstliche Wesen oder Außerirdische nicht nur zu variieren und mit ihnen zu spielen, sondern das Motivarsenal der Science Fiction auch zu nutzen, um erfrischend pointierte Aussagen über den Menschen zu treffen. Beinahe mühelos lässt Franke die Leser*innen in phantastische Welten hineintauchen, die bestimmte – ob wünschenswerte oder problematische – außerliterarische Entwicklungen widerspiegeln.

Es muss dabei nicht immer um Gesellschaftskritik gehen – des Öfteren hat man nach der Franke-Lektüre das Gefühl, nun den Menschen an sich ein wenig besser zu kennen. Wie gelingt Franke das? Ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage findet sich meiner Ansicht nach bereits in seinem wegweisenden, 1961 erschienenen Kurzgeschichtenband Der grüne Komet. Die darin enthaltenen 65 Storys sind ein Feuerwerk an literarischen Ideen, die trotz ihrer Kürze bis heute nicht nur Genre-Fans begeistern. Besonders originell finde ich, wie Franke außerirdische Figuren einsetzt – ob in Szenarien der Erstbegegnung im Weltall, als Invasionsstory oder als Resultat denkwürdiger evolutionärer Prozesse auf anderen Planeten –, um sehr irdische Wesenszüge des Menschen zu beleuchten. Immer noch nicht geheilt von seiner (Ur-)Angst vor allem Fremden und der Überzeugung, der Nabel des Universums zu sein, scheitert er regelmäßig beim Versuch, mit anderen Lebewesen zu kommunizieren respektive diese überhaupt zu verstehen. Allzu oft steht sich der Mensch dabei selbst im Weg. In einer Erstkontaktstory droht den Raumfahrern etwa ein »Kommunikations-Gau«, weil sie sich den Außerirdischen aus übertriebener Vorsicht nicht selbst zu erkennen geben, sondern lieber ihre Roboter vorschicken. In einer anderen Geschichte deutet ein Astronaut die Wesen auf einem fremden Planeten als Vögel und muss bei einem Notfall schmerzhaft feststellen, dass menschliche Deutungsmuster nur sehr eingeschränkt für das Verständnis exoplanetarischer Flora und Fauna taugen. Und doch stellt Franke dem Menschen kein gänzlich unsympathisches Zeugnis aus. Seine Mängel sind zwar Legion, doch bilden möglicherweise eben das Fehlermachen und seine Im-Perfektibilität, seine Intuition und seine Leidenschaften den menschlichen Wesenskern, den es unbedingt zu bewahren gilt. Indem Franke uns in eine Welt kosmischer Kälte mitnimmt, bringt er sozusagen umso mehr das Licht der Humanität zum Leuchten. Es lohnt sich darum auch heute noch, Franke zu lesen, sich von ihm unterhalten zu lassen und sich vielleicht in einem seiner auf die Leinwand des Weltalls gezeichneten Menschheitsporträts selbst zu erkennen.

Udo Klotz Begegnungen mit einem Multitalent

Vergebens hatte ich versucht, meine Kommilitonen-Clique zum Mitkommen zu überreden, doch keiner hatte Lust, abends nochmals den Hörsaal zu besuchen für eine Ringvorlesung eines anderen Fachbereichs, gehalten von einer Person, die ihnen nichts sagte: Herbert W. Franke. Mir als SF-Fan sagte der Name schon etwas, ich hatte den Ideenreichtum seiner Sammlung Der grüne Planet bewundert und einige seiner bei der PHANTASTISCHEN BIBLIOTHEK im Suhrkamp Verlag erschienenen Romane in Wühltischen ergattert – damals Mitte der 1980er die günstigste Methode, als Student an Lesefutter zu kommen. Fast vier Jahrzehnte später kann ich mich kaum noch an die Vorlesung erinnern, dafür aber an einen Redner, der spannend zu erzählen wusste.

Ein paar Jahre später schrieb dieselbe Person Verlagsgeschichte durch die Veröffentlichung eines Buchs mit Musikkassette, das mit Michael Weisser publizierte Dea Alba. Doch während es nun in meinem Leben sehr abwechslungsreich wurde, mit Diplomprüfungen und Start ins Berufsleben sowie Umzug nach München, wurde es still um den SF-Autor Herbert W. Franke. Ich wurde Mitherausgeber eines Jahrbuchs und Treuhänder eines Literaturpreises, den Franke während meines Studiums dreimal gewonnen hatte, aber ich musste 15 Jahre warten, bis auch ich ihm nach seiner Schreibpause als SF-Autor für einen neuen Roman den Kurd Laßwitz Preis überreichen konnte.

Und ich war richtig nervös. Nicht wegen der Preisverleihung, da hatte ich mittlerweile als Treuhänder ausreichend Routine angesammelt, sondern wegen des Preisträgers, dessen Bedeutung inzwischen allen klar war. Herbert W. Franke hatte nicht nur als Herausgeber und Autor entscheidend dazu beigetragen, dass hierzulande die Science Fiction ihren Kinderschuhen entwachsen war, sondern genoss auch als Pionier der Computerkunst hohe Anerkennung. Da er damals schon 80 Jahre alt war, erwartete ich eine bedächtige, vielleicht fragile Person, mit der ich etwas zurückhaltend kommunizieren sollte. Doch dann traf ich einen äußerst agilen und hellwachen Verstand in einem nicht sehr großen, aber drahtigen Körper, der sofort den Saal im Palitzschhof dominierte und die Zuschauer mit seiner Dankesrede begeisterte. Aus dem Stegreif heraus erzählte er dem Publikum, welchen besonderen Herausforderungen sich Höhlenforscher stellen müssen, wenn sie nicht auf der Erde, sondern beispielsweise auf dem Mars ein Höhlenlabyrinth erkunden wollen. Und damit verknüpfte er mühelos zwei seiner Tätigkeiten, die des SF-Autors und die des Höhlenforschers.

Zur gleichen Zeit entstand in Bad Tölz das Marionettentheaterstück nach Frankes Erzählung »Der Kristallplanet«, und das wurde der Kristallisationspunkt unserer nächsten Begegnung. Extra für dieses Stück wurde das kleine Theater umgebaut und mit Digitaltechnik erweitert, und es lief so erfolgreich, dass es seither einmal jährlich im Spielplan des Marionettentheaters enthalten war, wobei der Autor jeweils vor der Aufführung noch eine Lesung seiner Kurzgeschichten gab. Die Lesung musste aber im März 2017 entfallen, denn die »European Science Fiction Society« hatte auf dem EuroCon in Barcelona Herbert W. Franke ihre höchste Auszeichnung, den »Grand Master Award«, zuerkannt. Da Franke aufgrund der Kurzfristigkeit der Nominierung und Bekanntgabe nicht vor Ort sein konnte, hatte Nina Horvath stellvertretend (als Österreicherin) den Preis entgegengenommen, und wir vom Münchner Phantasten-Stammtisch organisierten mit der Unterstützung von Susanne Päch die offizielle Preisübergabe vor der Marionettentheateraufführung.

Trotz schöner Preisstatue und Urkunde hatte niemand bei der ESFS eine Laudatio verfasst, also bin ich eingesprungen und habe für die Besucher des Marionettentheaters, die bislang vermutlich nur wenige Berührungen mit Science Fiction und Fandom hatten, die Bedeutung des Geehrten herausgestellt. Dabei wurden mir etliche Parallelen unserer Lebensläufe bewusst, wie die Faszination an der Computertechnik, die mir ein Mathematik- und Informatikstudium bescherte und ihn zum Pionier machte, oder der gemeinsame Arbeitgeber in München, nur dass Franke dreieinhalb Jahrzehnte früher für diesen Konzern tätig war. Angeregt durch die Erinnerungen, welche die Laudatio hervorrief, als sie Frankes Lebensstationen beschrieb, erzählte der fast Neunzigjährige in seiner Stegreif-Dankesrede eine Anekdote nach der anderen, was nicht nur sein Publikum in den Bann zog, sondern auch sich selbst. Denn er achtete nicht mehr auf seine Frau, die minutenlang vergebens durch Handzeichen versuchte, den Geehrten daran zu erinnern, dass die Anwesenden doch gekommen waren, um das Marionettenstück zu sehen.

Es wurde eine sehr herzliche und persönliche Begegnung, da er sich mehrfach für meine Laudatio bedankte und wir mit ihm auch hinter die Kulissen des Marionettentheaters schauen durften. Für die erste Ausgabe unseres neuen Fanzines !TIME MACHINE planten wir einen ausführlichen Bericht zu dieser Preisübergabe und fragten an, ob er uns die Erlaubnis zum Abdruck eines seiner Gedichte geben würde – wir bekamen drei Gedichte.

Für mich war es die letzte direkte Begegnung. Er bekam zwar im selben Jahr den »Kurd Laßwitz Sonderpreis« für sein Lebenswerk, konnte aber, vielbeschäftigt wie er war, nicht zur Preisverleihung nach Dresden kommen, und so erhielt er diesen Preis während einer Veranstaltung in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar anlässlich seines 90. Geburtstags. Da Chef-Bibliothekar Thomas Le Blanc für 30 Jahre Leitung der Bibliothek ebenfalls für den Sonderpreis nominiert und ich zu diesem Termin verhindert war, ergab sich nun die kuriose Konstellation, dass der Zweitplatzierte dem Erstplatzierten die Urkunde überreichte. Für die offizielle Preisverleihung in Dresden hatte Franke eine Videobotschaft geschickt – er war auch technisch immer auf der Höhe der Zeit.

Leider hat es danach nie geklappt, das Marionettentheater in Bad Tölz erneut zu besuchen, um Der Kristallplanet erneut zu sehen und einer Lesung Herbert W. Frankes zu lauschen. Aber er bleibt mir gegenwärtig, durch seine Texte. Wenn wir beim Phantasten-Stammtisch über SF-Themen diskutieren und SF-Klassiker als Beispiele benennen, ist nicht selten eines seiner Werke dabei. Wenn ich einen Artikel für die !TIME MACHINE schreibe, kann ich ihn oft als Vorreiter oder frühes Beispiel benennen, der den Umgang mit der digitalen Technik zu einem Zeitpunkt treffsicher beschrieb, als sie noch gar nicht existierte. Und wenn ich auf meine Bücherregale sehe, dann steht da eine Regalreihe mit den Werken eines einzigartigen Autors und vielseitig interessierten Multitalents, die dank der Werkausgabe bei p.machinery immer noch anwächst.

Thomas Le Blanc

Lösen Roboter den Menschen ab?

Porträt Herbert W. Franke: Höhlenforscher, Computergrafiker – und Science-Fiction-Autor

Ausnahmsweise wird hier kein aktueller Text, sondern eine frühe, vorausweisende Würdigung Herbert W. Frankes durch Thomas Le Blanc abgedruckt, den Gründer und Direktor der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, in der Manuskripte des Autors aufbewahrt werden.

Sein Haus steht mitten im Wald, abseits aller Straßen: ein altes bayerisches Bauernhaus, mit viel Holz und viel Geschmack rustikal-modern eingerichtet, Herbert W. Franke (51), der sich für keine Berühmtheit hält und doch einer der populärsten Höhlenforscher und heute der einzige deutschsprachige Science-Fiction-Autor von internationalem Rang ist, braucht die Ruhe und Abgeschiedenheit wie das tägliche Brot. Er ist von Haus aus Physiker, wurde in Wien geboren und hat dort auch studiert.

Seit Jahren gilt sein wissenschaftliches Interesse der Höhlenforschung. Zunächst war es nur Lust am Herumkrauchen, Neugier, Abenteuerlust¸ Entdeckungsfieber. Aber bald trat die palöologische Komponente dazu. »Höhlen sind der Schlüssel zur Erforschung des Eiszeitalters«, sagt Franke. »Auf der Erdoberfläche gibt es keine Zeugnisse mehr, hier waren sie der Witterung ausgesetzt und dem Menschen. Dort unten aber, im konstanten Klima, haben sich Tierknochen erhalten und Pflanzenreste, der Höhlenbär hat seine Opfer hier hineingeschleppt, und all das lässt Rückschlüsse auf die Eiszeitwelt zu.«

Aus dem anfänglichen Hobby ist für den Physiker also längst ein wissenschaftliches Betätigungsfeld geworden. Sein Buch Methoden der Geochronologie (J. Springer, Berlin 1969) gilt mittlerweile fast als Standardwerk der Erdzeitbestimmung. Zur diesjährigen Buchmesse hat Franke bei Hoffmann & Campe den umfangreichen Band In den Höhlen dieser Erde herausgebracht.

Für den Laien weit schwieriger zu durchschauen ist sein zweites wissenschaftliches Interessengebiet¸ die kybernetische Ästhetik. Die Computergrafiken – er deutet auf einige Ausschnitte aus einem eigenen Computerfilm¸ die an der Wand aufgereiht sind – sind nur ein Teilgebiet, quasi ein Abfallprodukt daraus. In der kybernetischen Ästhetik, die er auch an der Universität München lehrt, versucht Franke dem Wesen der Kunst auf die Spur zu kommen.

Warum empfinden wir gerade diese oder jene Wahrnehmung als schön, als angenehm? Was ist eigentlich Kunst? Jede ästhetische Theorie, findet Franke, muss experimentell überprüfbar sein. Verständlich, dass er mit dieser Forderung Anstoß erregt, versucht er doch, das ureigene menschliche Vermögen, die Kreativität, zu deduzieren und technisch zu simulieren. Sicher, so sagt er, ist es bei konsequenter Arbeit auf diesem Weg eines Tages denkbar, dass Maschinen alle menschlichen Fähigkeiten erwerben können.

Unversehens haben wir den Übergang von der Wissenschaft zur Science Fiction gefunden – wie immer bei kühnen und mutigen wissenschaftlichen Ideen nur ein kleiner Schritt. Der Gedanke an die Roboter erschreckt Franke nicht. Der Roboter ist kein böses Monster, und Franke hält die drei bekannten Robotergesetze Isaac Asimovs für »realistisch« und sieht es für wahrscheinlich an, dass sie in selbstdenkende Maschinen einprogrammiert werden. Roboter könnten die Menschheit sehr wohl überleben, meint er.

In seiner Science Fiction setzt sich Franke jedenfalls vehement mit dem Konflikt Mensch/Maschine auseinander. Er sieht Orwells Visionen meist vom technischen Ansatz her und stellt dann den manipulierten Menschen in diese Diktatur der Technik. Frankes Bücher sind in nüchterner, schmuckloser, ungemein fesselnder Sprache geschrieben. Veröffentlicht hat er bei Goldmann einige Romane und die Storysammlung Der grüne Komet – sicher das Beste, das je ein deutscher SF-Autor geschrieben hat. Bei Heyne ist er an der Herausgabe der SF-Reihe beteiligt, hat dort ebenfalls, wie auch bei Insel und Suhrkamp, weitere SF veröffentlicht. Für seinen Suhrkamp-Band Zarathustra kehrt zurück ist er gerade vom Science Fiction Club Deutschland ausgezeichnet worden.

Eine spezielle Vorliebe hat Franke noch für das Hörspiel. Hier kann er gerade mittels des neuen Mediums Kunstkopfstereofonie dem Hörer die totale Illusion vermitteln und ihn dadurch die in der Handlung dargestellte Manipulation durch moderne Techniken hochgradig selbst erfahren lassen. Neue Arbeiten fürs Fernsehen laufen jetzt an: Der WDR beginnt mit den Dreharbeiten eines dort stark ins Parapsychologische umgearbeiteten Franke-Drehbuchs. Beim ZDF ist Franke-SF in Musikform geplant.

(zuerst erschienen in: DIE WELT vom 24.10.1978. Abt. Kultur, S. 21.)

Frieder Nake Lesen, was er schrieb

An Herbert W. Franke denkend

Sympathisch klein war er, dieser Macher. Klein, was die Körpergröße angeht. Groß und weit offen in den Gegenden der Kultur, zu denen er beitrug. Umfassend in den Themen, zu denen er sich äußerte. – Wenn wir heute solch ein Wort hören, »Macher«, so tauchen keine herabwürdigenden Gedanken auf in uns. Eher sind die Gedanken dann von achtungsvoller Art. Macher nämlich sind tätig, ihr Inneres drängt sie zur Tat, sie wollen etwas tun und bewirken. Was noch nicht ist, soll werden unter ihren Händen aus ihren Gedanken, ohne Aufhebens, geradezu nebenbei, recht selbstverständlich. »Jao, so moache mer’s.« Fertig. Kurze Sätze. Klare Worte.

Wenn, was er sagte, zu einem Vortrag sich formte, so mussten die Sätze komplexer werden. Klar, wie sonst sollte etwas klar werden. Es wurde ihm jedoch nie kompliziert. Den Bense hat er schon geachtet für das, wofür der stand. Doch der ist ihm beim Besuch nur kühl begegnet. Ein Gefühl von Konkurrenz? Was Bense auftürmte, schrieb und sagte er schlicht. Ihre Denk-Arten aber waren einander nahe. Niemand scheint sich zu erinnern, doch wir bildeten eine Gruppe; sie nannte sich »parallel«, sieben oder acht waren wir. Er war die treibende Kraft. Künstler, Autoren, Wissenschaftler, Fotografen. Kunst und Technik und Wissenschaft. Er ging in die Höhlen hinein, in dunkle feuchte unbekannte Welten. Ist der Einstieg in die Höhlenwelt die Metapher seines Lebens? Er kam immer wieder draus hervor und wusste mehr. Am Abend im etwas abgeschieden liegenden Haus südlich Münchens spielte er die Gitarre. Ihm zu lauschen, versöhnte mit dem Tag.

Sympathisch klein war er von Wuchs, schlank drahtig wach nachdenklich überraschend. Er schrieb, weil er es konnte, also auch musste. Wir anderen, zurückbleibend, sollten uns dazu verabreden, jeder und jede ein and’res seiner Bücher laut zu lesen für andere zu hören, was er schrieb: Herbert W. Franke.

Wolfgang Neuhaus / ChatGPT Herbert W. Franke und die kybernetische Ästhetik

Zu Frankes bemerkenswerten Initiativen zählt die Mitgründung der Ars Electronica im österreichischen Linz 1979 – im selben Jahr, als die dritte Auflage seines Buches Kybernetische Ästhetik – Phänomen Kunst erschien. Da das Kunstfestival sich zu einem führenden Labor für die Computerkünste entwickelt hat, kam mir die naheliegende Idee, in einen experimentellen Dialog mit der generativen Künstlichen Intelligenz ChatGPT über die theoretische Arbeit Frankes zu treten. Bei folgendem Text handelt es sich um eine Montage von Auszügen aus den Protokollseiten von insgesamt drei Sitzungen mit dem Programm, die im April und Juli 2023 stattfanden.

W. N.: Fasse für einen Nachruf das theoretische Konzept der kybernetischen Ästhetik des österreichischen Autors Herbert W. Franke zusammen.

ChatGPT: Herbert W. Franke war ein österreichischer Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler, der für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der kybernetischen Ästhetik bekannt war.

Franke betrachtete Kunstwerke als komplexe Systeme, die Informationen verarbeiten, um eine ästhetische Erfahrung zu erzeugen.

Er argumentierte, dass ein Kunstwerk eine Rückkopplungsschleife zwischen Künstler, Werk und Betrachter darstellt. Die Information fließt dabei kontinuierlich zwischen diesen drei Elementen hin und her und beeinflusst die Wahrnehmung und Interpretation des Kunstwerks.

Seine Betonung der Feedback-Schleifen, der Interaktivität und der Verwendung von Technologie in der Kunst hat das Verständnis von Kunstwerken als offene Systeme erweitert, die in ständiger Kommunikation mit dem Betrachter stehen. Sein Ansatz hat auch das Bewusstsein für die Bedeutung der Partizipation und der aktiven Rolle des Betrachters in der Kunst erhöht.

W. N.: Verfasse diesen Nachruf jetzt im Stil des polnischen Science-Fiction-Autors und Futurologen Stanisław Lem.

ChatGPT: Franke war ein wagemutiger Visionär, der die Grenzen des Möglichen auslotete und unsere Vorstellung von Ästhetik in neue Sphären katapultierte.

Wie ein literarischer Astronaut begab sich Franke auf eine Expedition in die Weiten der Kunstwelt, um die unergründlichen Verbindungen zwischen Kunst, Technologie und Wissenschaft zu erkunden. In seinem unverwechselbaren Stil schuf er ein theoretisches Konzept, das wie ein faszinierender Science-Fiction-Roman die Tore zu einer alternativen Dimension der Kunsttheorie öffnete.

Franke nahm uns mit auf eine Reise durch ein kybernetisches Labyrinth, in dem die Kunstwerke zu lebendigen Organismen wurden, pulsierend vor Informationen und Ideen. Wie ein virtueller Entdecker enthüllte er die verborgenen Schaltkreise der ästhetischen Erfahrung und zeigte, dass Kunst mehr ist als nur ein statisches Gebilde.

W. N.: Ganz schön schwülstig, findest du nicht?

ChatGPT: Es tut mir leid, wenn der Stil meines vorherigen Nachrufs nicht Ihren Erwartungen entsprochen hat. Als KI-Modell versuche ich, verschiedene Schreibstile zu imitieren, aber es kann manchmal schwierig sein, den Stil eines bestimmten Autors genau zu erfassen.

W. N.: Herbert W. Franke hat in seinem Buch Kybernetische Ästhetik – Phänomen Kunst geschrieben, dass der Computer der »Realisierung einer experimentellen Ästhetik« dienen könne. Wie ist deine Meinung dazu?

ChatGPT: Die Aussage von Herbert W. Franke, dass der Computer der »Realisierung einer experimentellen Ästhetik« dient, ist eine interessante Perspektive, die ich teilen kann. Der Computer und die damit verbundenen Technologien haben zweifellos neue Möglichkeiten eröffnet, um innovative und experimentelle künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen.

Künstler können nun mithilfe von Software, Programmierung und Datenverarbeitung kreative Prozesse steuern und komplexe visuelle und auditive Werke erschaffen.

Allerdings ist es auch wichtig anzuerkennen, dass die experimentelle Ästhetik nicht nur von der Technologie selbst abhängt, sondern von der kreativen Vision und dem Einsatz des Künstlers. Der Computer allein ist kein Garant für experimentelle Ästhetik, sondern ein Werkzeug, das von Künstlern genutzt werden kann, um ihre künstlerischen Ideen zu verwirklichen.

W. N.: Kennst du Kunstwerke von Franke, die als Beispiel für deine Ausführungen dienen könnten?

ChatGPT: Ja, Herbert W. Franke hat im Laufe seiner Karriere verschiedene Kunstwerke geschaffen, die als Beispiele für seine Vorstellungen von experimenteller Ästhetik und der Anwendung von Computertechnologie in der Kunst dienen können.