Sternbilder - Erik Simon - E-Book

Sternbilder E-Book

Erik Simon

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Beschreibung

Der erste Band der Werkausgabe von Erik Simons Phantastik präsentiert einige Frühwerke, eine erweiterte Fassung von "Fremde Sterne", der erfolgreichen Erzählungssammlung aus dem Jahr 1979, sowie weitere Erzählungen, Gedichte und die "Märchen vom Gebruder Simon". Mehrere Gedichte und ein weiteres Märchen erscheinen erstmals in der nun vorliegenden Neuausgabe. Vervollständigt wird "Sternbilder" mit einer Vorbemerkung des Herausgebers, einem Vorwort von Hans-Peter Neumann und mit Anmerkungen des Autors. Schon dieser Band macht deutlich, dass Erik Simon einer der vielseitigsten – und vergnüglichsten! – deutschen SF-Schriftsteller ist. Für die hier enthaltene Erzählung "Spiel beendet, sagte der Sumpf" erhielt er 2003 den Kurd Laßwitz Preis. Erik Simon · Simon's Fiction · Band 1 Herausgegeben von Hannes Riffel

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Erik Simon

Simon’s Fiction:

Phantastische Geschichten

Band 1. Neuausgabe

Herausgegeben von Hannes Riffel

Sternbilder

Sternschnuppen

Fremde Sterne

Voraussichten, Nachbilder

Erzählungen, Balladen und Gedichte

Impressum

Erik Simon: Sternbilder

(Simon’s Fiction. Band 1 – Neuausgabe)

Herausgegeben von Hannes Riffel

Mit Vignetten von Dimitrij Makarow

© 1972, 1975–2002, 2015–2021 Erik Simon (für die Erzählungen, Gedichte und Kommentare)

Die Daten der Erstpublikationen sind am Ende des Bandes bei den »Quellen und Anmerkungen« verzeichnet.

© 2021 Hannes Riffel (für die Vorbemerkung zur Neuausgabe)

© 2002 Hans-Peter Neumann (für sein Vorwort)

© 2021 Dimitrij Makarow (für die Vignetten)

© 2021 Erik Simon und Memoranda Verlag (für die Zusammenstellung dieser Ausgabe)

Das Titelbild verwendet einen anonymen Holzschnitt, der vermutlich für Camille Flammarions Buch »L’Atmosphère: Météorologie populaire« (1888) gezeichnet wurde.

© dieser Ausgabe 2021 by Memoranda Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung: Hardy Kettlitz & s.BENeš [www.benswerk.com]

Memoranda Verlag

Hardy Kettlitz

Ilsenhof 12

12053 Berlin

www.memoranda.eu

www.facebook.com/MemorandaVerlag

ISBN: 978-3-948616-52-6 (Buchausgabe)

ISBN: 978-3-948616-53-3 (E-Book)

Inhalt

Impressum

Vorbemerkung zur Neuausgabe

Vorwort zur Ausgabe von 2002

Sternschnuppen 1

Ausgrabungen

Liebe kleine Tllanaa

Wir sind allein

Das Märchen

Warum wir die Bekanntlich-Geschichten geschrieben haben

t

c

Schuttabladeplatz

Fremde Sterne

Fremde

Nachts auf dem fremden Planeten, zwölf Parsec von Dsirra entfernt

Marsmenschen gibt’s natürlich nicht …

Die Cherubim und das Rad

Der Sammler

En route

Der Beobachter

Auszug ins Gelobte Land

Die Riddhaner

Der schwarze Spiegel

Ytvaros großer Kreis

Wissenswertes über den Planeten Ikaros

Sterne

Der Bahnbrecher

Gespräche unterwegs

Die Sterne

Clivia Neman

Der Kundschafter

Das Diorama

Sternschnuppen 2

Bedingte Reflexionen

Die Sitzung

Zitate

Neu bei Scifilis: Cave Martem!

Spiel beendet, sagte der Sumpf

Voraussichten, Nachbilder

Voraussichten

Invasion aus dem Weltraum

Der Planeter

Zwei Temponautenlieder

Kosmo-Logische Liedchen

Streustrahlen

Petrefakt

Progression

Zukunftsbilder

Mind Your Own Dirty Genes

Den Künftigen

Elementarsonette

1. Wasser

2. Feuer

3. Luft

4. Erde

Der Staub

Nachbilder

Hymne des Planeten Andymon

Vom Ringkrieg

Vom wirklichen Weltraum

Sternschnuppen 3

Märchen vom Gebruder Simon

Die Geschichte des dritten Sohnes

Die Geschichte der unschuldig Verurteilten

Schneewittchen

Rotkäppchen

De draconibus tractatus

Vom Ruhm des Ritters Roderich

Vom Los des Ritters Willibald

Märchen

Die drei Königinnen

Quellen und Anmerkungen

Bücher bei MEMORANDA

Vorbemerkung zur Neuausgabe

Erik Simon ist eine Singularität im Maxwell’schen Sinne. Ich zitiere aus der einschlägigen Internet-Enzyklopädie: »Allgemein bezeichnet demnach eine Singularität einen Zusammenhang, in dem eine kleine Ursache eine große Wirkung hervorruft.«

Erik Simon ist ein Einzelkämpfer, dessen Einfluß auf die Science Fiction im deutschsprachigen Raum maßgeblich ist. Als Lektor und Herausgeber hat er Leserinnen und Lesern den Zugang vor allem zu ausländischen Autorinnen und Autoren ermöglicht. Als Übersetzer vor allem aus dem Russischen wirkte er bahnbrechend, darüber hinaus hat er zahlreiche Werke aus mehreren anderen slawischen Sprachen, dem Englischen und dem Niederländischen übersetzt.

An dieser Stelle soll es jedoch vor allem um den Schriftsteller Erik Simon gehen. Der deutschsprachige Raum ist nicht eben mit einer Vielzahl anspruchsvoller SF-Autorinnen und -Autoren gesegnet. Im Westen mag das mitunter daran gelegen haben, daß der Romanheftmarkt einen Großteil des Potentials abschöpfte und in seine Minimalform preßte, vom Einfluß der Autorenkrake Perry Rhodan einmal ganz zu schweigen. (Die Frage sei erlaubt, was aus einem William Voltz oder einem Rainer Zubeil alias Thomas Ziegler unter förderlicheren Umständen hätte werden können.)

In Ostdeutschland waren die Umstände gänzlich anders gelagert – und ähnelten, mit meinen westlichen Augen betrachtet, einer veritablen Alternativwelt. Hier gab es zwar gewisse Einschränkungen, was geschrieben werden konnte, aber wie geschrieben wurde, die sogenannten Produktionsbedingungen also, hatten einiges für sich: Für den eigentlichen Schreibprozeß stand relativ viel Zeit zur Verfügung, und der Anspruch an die Qualität der Texte war, zumindest punktuell, mit dem vergleichbar, der an anerkannt literarische Werke gestellt wurde.

Geradezu tragisch ist, was nach der Wende von alldem übrig blieb: Der deutschsprachige Buchmarkt läßt für die Science Fiction lebenswichtige Publikationsformen – den Sammelband mit Erzählungen eines Autors oder die Anthologie mit Texten verschiedener Autorinnen – wie Wasser an Ölzeug abperlen. Gäbe es nicht eine eminent tapfere Kleinverlagsszene (mit Memoranda als einem der Leuchttürme), wäre vieles nicht mehr zugänglich, was von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung des Genres ist.

Der vorliegende erste Band von Simon’s Fiction ist ursprünglich, in leicht anderer Gestalt, vor knapp zwanzig Jahren erschienen und Teil des fortwährenden Unternehmens, die erzählerischen Werke von Erik Simon einerseits und des Ehepaars Steinmüller andererseits, mit allen bestehenden Verflechtungen zwischen diesen, wieder dauerhaft zugänglich zu machen. Diese beiden Werkausgaben haben über diverse Verlagswechsel hinweg Bestand, was nicht zuletzt der klugen Weitsicht und Beharrlichkeit von Verleger Hardy Kettlitz zu verdanken ist.

Erik Simon selbst schreibt über die Anlage von Simon’s Fiction: »Bei den sechs erschienenen Bänden ist das unmittelbare Ordnungsprinzip von Band 3, 5 und 6, daß dort die zusammen mit Reinhard Heinrich bzw. den Steinmüllers verfaßten Texte gesammelt sind. Die übrigen Bände sind thematisch strukturiert, in der Regel nicht durchgehend, sondern in jeweils mehreren Clustern, die sich um ein SF-Thema, ein eher literarisches Thema, einen stilistischen Ansatz etc. gruppieren. Sie sind historisch gewachsen, insbesondere ihre jeweiligen Kerne, drei noch zu DDR-Zeiten konzipierte Bände, von denen zwei (Fremde Sterne und Mondphantome, Erdbesucher) damals auch schon erschienen sind.«

Über das Phänomen Erik Simon als Ganzes informiert, präzise und umfassend, das Vorwort von Hans-Peter Neumann, das bereits in der ersten Ausgabe von Sternbilder enthalten war. Ich möchte an dieser Stelle lediglich nachreichen (bzw. vorwegnehmen), daß der Autor die Neuedition um mehrere Gedichte und ein Märchen erweitert sowie die Anmerkungen durchgesehen hat. Wir haben es also beinahe mit einer »Ausgabe letzter Hand« zu tun, einer Ausgabe, an die Erik Simon letzte Hand angelegt hat, um seine Werke in der Form zu präsentieren, wie er sie veröffentlicht sehen will. Bisher sind sechs Bände erschienen bzw. zur Neuausgabe vorgesehen, aber es bleibt zu hoffen, daß der Autor uns noch das Vergnügen weiterer Bände bereitet. Denn bei aller gedanklichen Strenge, bei aller stilistischen Ausgefeiltheit sind diese Erzählungen und Gedichte nämlich genau das: ein großes Lesevergnügen.

Hannes Riffel

im März 2021

Vorwort zur Ausgabe von 2002

Dem 1950 in Dresden geborenen Diplomphysiker Erik Simon wird oft nachgesagt, daß er einen beachtlichen Einfluß auf die Entwicklung der Science Fiction in der DDR gehabt habe. Dieser Einfluß wird meist zuerst an seiner Tätigkeit als Lektor im Verlag Das Neue Berlin 1974 bis 1991, als Herausgeber von Anthologien sowie als SF-Theoretiker festgemacht: Er brachte den DDR-Lesern u. a. amerikanische und bulgarische SF näher, konzipierte mit Lichtjahr einen auch international beachteten SF-Almanach, war einer der beiden Herausgeber des Lexikons Die Science-fiction der DDR – Autoren und Werke und trug mit zahlreichen Essays und Rezensionen zur kritischen und theoretischen Aufarbeitung des Genres bei; er gilt als der prominenteste deutsche Kenner des Werkes der Brüder Strugazki.

Als Lektor war er vor allem für SF aus dem seinerzeit sozialistischen Ausland zuständig, er hat aber auch konzeptionell an der Publikation von westlicher und Vorkriegs-SF bei DNB mitgewirkt und gelegentlich (in den siebziger Jahren nur vertretungsweise, später regelmäßiger) DDR-Autoren betreut. In den späten achtziger Jahren war er bei DNB Fachgebietsleiter für SF. Sein besonderes Interesse für die kürzeren Formen äußerte sich auch in Simons Arbeit als Lektor und Herausgeber: Er hat (meist anonym) zahlreiche Erzählungsbände ausländischer Autoren zusammengestellt und von 1978 bis 2001 insgesamt 24 Anthologien herausgegeben (davon einige mit Ko-Herausgebern oder anonym und drei im Ausland). Essays und Kritiken hat er in Lexika und Werkführern, Anthologien, Zeitschriften, Zeitungen und Fanzines des In- und Auslandes veröffentlicht. Er ist – nach Franz Rottensteiner selbst – der dienstälteste noch aktive Mitarbeiter des renommierten Quarber Merkur und hat z. B. für die britische SF-Zeitschrift Foundation, die sowjetische Literaturnoje Obosrenije (Literarische Umschau), für den französischen Antares und für den fünfbändigen Survey of Science Fiction Literature (1979) geschrieben; der größte Teil seiner Publikationen im Westen ist allerdings zu DDR-Zeiten (aus naheliegenden Gründen) unter Pseudonymen erschienen, von denen er heute einige der Tradition halber fortführt.

Seine Leistungen als Übersetzer aus sieben Sprachen und als Autor geraten bei solchen Betrachtungen leicht etwas in den Hintergrund – nicht jedoch bei den Lesern, die nicht in Kategorien wie »Einfluß« und »Beitrag zum Selbstverständnis des Genres« denken: Die Gesamtauflage seiner drei SF-Erzählungsbände (einschließlich des ersten, gemeinsam mit Reinhard Heinrich verfaßten) liegt bei 220 000 in Deutschland, vier Buchausgaben in polnischer, schwedischer, bulgarischer und tschechischer Sprache brachten es zusammen auf über 160 000 Exemplare; Erzählungen und Essays von ihm (und gelegentlich seinen Ko-Autoren) sind in mindestens 14 Fremdsprachen erschienen.

Mit dem Ende der DDR war freilich auch für ihn die Zeit der hohen Auflagen vorbei. Während aber die meisten seiner ostdeutschen SF-Kollegen völlig oder fast völlig verstummten und sich nach einer Weile vor allem einige Romanautoren zurückmeldeten, die auch zu DDR-Zeiten schon besonders produktiv gewesen waren und für die Jugendbuchreihe »Spannend erzählt« geschrieben hatten, blieben auf dem Gebiet der kürzeren Formen praktisch nur Rolf Krohn und Erik Simon regelmäßig aktiv. Daß Simon an seine besten Leistungen aus DDR-Zeiten anknüpfen konnte, bestätigte in den neunziger Jahren auch der zweimalige Gewinn des Kurd-Laßwitz-Preises für die »Beste Kurzgeschichte« bzw. – gemeinsam mit seinen Ko-Autoren, den Steinmüllers – für die »Beste Erzählung«. Da er den Laßwitz-Preis auch zweimal in anderen Kategorien erhalten hat, ist er in dieser Hinsicht der erfolgreichste ostdeutsche SF-Profi, übrigens auch der einzige, der seinen Lebensunterhalt weiterhin mit SF verdient, wenn auch nun vor allem als Übersetzer und Herausgeber.

Während aber Rolf Krohn seit der Wende drei neue Erzählungsbände vorgelegt hat, datiert Erik Simons dritter und bisher letzter Band von 1987; etwa die Hälfte seiner Geschichten ist nur verstreut in Anthologien erschienen, weitere sind unveröffentlicht, und seine Neigung, Arbeiten mit Ko-Autoren wie auch Texte, die etwas am Rande der SF liegen, unter Pseudonym zu veröffentlichen, hat ihn als Autor noch zusätzlich »unsichtbar« gemacht. Der Shayol Verlag und die Herausgeber haben es daher unternommen, in einer Werkausgabe die in Erik Simons früheren Bänden enthaltenen Erzählungen wieder zugänglich zu machen und ihnen die bisher nur verstreut oder gar nicht publizierten zur Seite zu stellen.

Der Autor ist seinem Prinzip treu geblieben, seine Bände nach thematischen und stilistischen Gesichtspunkten zu komponieren. Die älteren Bände werden daher innerhalb der neuen als Kapitel bzw. Abteilungen wieder auftauchen, jedoch erweitert um Geschichten, die sich nahtlos in das jeweilige Konzept einfügen, und Seite an Seite mit völlig neu konzipierten Abschnitten. Eine chronologische Gliederung der Bände nach der Entstehungszeit oder der Erstveröffentlichung der Texte kommt daher nicht in Frage. Der vorliegende Band 1 Sternbilder umfaßt mit Simons erster SF-Geschichte »Marsmenschen gibt’s natürlich nicht« aus dem Jahre 1970 und der 2001 abgeschlossenen, bisher unveröffentlichten Erzählung »Spiel beendet, sagte der Sumpf« einen Entstehungszeitraum von gut drei Jahrzehnten, sein Schwerpunkt liegt aber doch bei den älteren Arbeiten.

Erik Simons erzählerisches Werk steht im Kontext einer Blüte der SF-Erzählung in der DDR, die in den 70er Jahren nach langer Vernachlässigung der kurzen Formen umso heftiger einsetzte und mit dem Auftreten einer ganzen Plejade neuer Autoren verbunden ist: Alfred Leman (anfangs mit Hans Taubert), die Brauns, Gert Prokop, Bernd Ulbrich, Erik Simon (anfangs mit Reinhard Heinrich), Rolf Krohn, die Steinmüllers (anfangs nur Karlheinz) – um nur jene von denen zu nennen, die zuerst in den 70er Jahren hervortraten und auch in den 80ern noch SF-Erzählungsbände publizierten. Unter ihnen allen ist Simon vielleicht der konservativste, was das Anknüpfen an Standardthemen der SF angeht, aber zugleich der experimentierfreudigste beim Umdeuten dieser Themen und beim Ausprobieren vielfältiger Formen und Stilmittel; das dürfte auch der Grund sein, warum er sich ausschließlich den kürzeren Formen widmet.

Schon im Abschnitt »Sternschnuppen 1«, wo wir einige seiner Frühwerke präsentieren, die bisher nicht oder nur in Fanzines veröffentlicht waren, sind diese Charakteristika von Simons Schaffen in Ansätzen zu erkennen. Vom Autor selbst als Miniaturen bezeichnet, sind die Geschichten direkt auf eine überraschende Wendung hin geschrieben – ohne die durchdachte, oft tiefgestaffelte Struktur, die seine späteren Erzählungen auszeichnet. Doch schon hier zeigt sich die bei Simon so typische Auseinandersetzung mit Ideen, Erzählmustern und Konventionen der Science Fiction, teils mit ernsthaftem Anspruch, oft aber mit der parodistischen Erzählhaltung, die besonders in seinem ersten Buch, dem zusammen mit Reinhard Heinrich verfaßten Zyklus Die ersten Zeitreisen (1977), vorherrscht. Auch wird schon in seinen Frühwerken die Neigung Simons deutlich, sich nicht nur mit allgemeinen SF-Themen auseinanderzusetzen, sondern manchmal auch ganz konkret auf Werke anderer Autoren Bezug zu nehmen: deren Grundidee aus anderem Blickwinkel zu beleuchten, weiter oder auch ad absurdum zu führen. Die Erzählung »Der Schuttabladeplatz« geht auf eine Idee von Wolfgang Köhler zurück, in »Die Sitzung« – hier im Abschnitt »Sternschnuppen 2« abgedruckt – greift er die gleichnamige Erzählung von Rolf Krohn auf, sein Erstling »Marsmenschen gibt’s natürlich nicht …« ist von einer Episode aus Heines »Harzreise« inspiriert. In seinem späteren Schaffen sollten aus dieser Motivation heraus einige seiner besten Geschichten entstehen: »Der Omm« – eine Inversion von Maupassants »Horla« – oder »Der schwarze Spiegel« nach Meyrinks »Die schwarze Kugel«.

Ausprobieren und Übernahme von Ideen, die wechselseitige Inspiration durch Geschichten weisen auf Erik Simons Anfänge als Autor hin, die untrennbar mit dem Dresdner Stanisław-Lem-Klub verbunden sind, dem er während seines Physikstudiums an der TU Dresden angehörte. Anfang der siebziger Jahre (bis zum Verbot der Klubarbeit 1973) gab es dort unter anderem eine Gruppe von Amateurautoren, die intensiv über ihre Geschichten diskutierten und zusammen Projekte in Angriff nahmen; dazu gehörten u. a. auch Rolf Krohn, Reinhard Heinrich und Wolfgang Köhler. Mit ihnen allen (und mit anderen) hat Erik Simon gemeinsame SF-Erzählungen verfaßt oder doch zumindest konzipiert, am erfolgreichsten war zunächst die Zusammenarbeit mit Reinhard Heinrich, die zu Simons Debütband Die ersten Zeitreisen führte. (Übrigens kam Simon über den Klub, für den er schon damals auch ausländische SF übersetzte und zu Anthologien zusammenstellte, sowie durch Artikel in Fanzines in Kontakt zum Verlag Das Neue Berlin. Mit den Steinmüllers und Michael Szameit gehörte er zu den wenigen prominenten SF-Profis in der DDR, die auch zu den SF-Klubs der achtziger Jahre enge Kontakte pflegten.)

1979 folgte – nunmehr von Erik Simon allein verfaßt – der Erzählungsband »Fremde Sterne«. Hier begegnet uns ein gereifter Autor, der eine Vielzahl vertrauter Themen und Konventionen der SF wiederum parodiert, abwandelt oder invertiert. Die Erzählungen weisen eine komplexe und sehr durchdachte Struktur auf, mehrere Erzählebenen, Perspektivwechsel oder Verschränkungen der Handlung sind die Regel. Der Humor ist im Vergleich zu Die ersten Zeitreisen leiser und subtiler geworden. Franz Rottensteiner schrieb im Quarber Merkur 53 zu diesem Buch: »Die Erzählungen sind solide durchkonstruiert, gehen methodisch vor und zeigen oft einen ruhigen, aber nachdrücklichen und sehr ironischen Humor, der die Ereignisse relativiert, Zweifel weckt oder dem außerordentlichen Ereignis des kosmischen Kontakts durch betont alltäglichen Kontext eine komische Note verleiht. […] Diese ruhigen Erzählungen hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck und gehören zum besten, was in den letzten Jahren an SF aus der DDR gekommen ist.« In der vorliegenden Ausgabe sind die »Fremden Sterne« um drei Erzählungen erweitert, die bisher nur in Anthologien erschienen waren; zwei davon sind jünger als die von 1970 bis 1978 entstandenen Texte der ursprünglichen Sammlung.

Eng verwandt mit den beiden vorangehenden Abschnitten – und auch mit manchen Erzählungen in Erik Simons späterer Sammlung Mondphantome, Erdbesucher (1987), die in Band 2 der Werkausgabe folgen soll – sind die vier Texte in »Sternschnuppen 2«. Bei Simons allgemeiner Vorliebe für das Spiel mit Genrekonventionen wird das nicht überraschen, denn hier im dritten Abschnitt sind Texte versammelt, die sich ganz explizit – und zwar parodistisch – mit SF-Ideen auseinandersetzen. Zeitlich umfaßt dieser Abschnitt ein weites Spektrum von den frühen siebziger Jahren bis zur Gegenwart.

Deutlich abgesetzt sind hingegen der vierte und fünfte Abschnitt des vorliegenden Bandes: Der eine behandelt den Motivkanon der SF (und in einem Fall der Fantasy) in Gedichten, der andere greift – teils in Versen, teil in Prosa – typische Märchenmotive auf. Zwar sind die meisten Gedichte keine Lyrik im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern erzählen eine Geschichte, wie es üblicherweise Balladen tun; dennoch weisen sie formal und thematisch über das hinaus, was für gewöhnlich unter SF firmiert – in seinen Anmerkungen spricht Erik Simon sich denn auch gegen eine »allzu kleinteilige Verschubkastelung der phantastischen Genres« aus. Er hat schon Anfang der siebziger Jahre begonnen, sowohl SF-Balladen zu schreiben (»Invasion aus dem Weltraum«) als auch mit belletristischen Prosaformen zu experimentieren, die sich als (fiktive) Sachtexte ausgeben; es gibt von ihm übrigens auch eine große Anzahl Gedichte, die nicht unmittelbar phantastische Themen haben, deren Machart aber, wie Karlheinz Steinmüller über seinen Band »Nacht- und Nebelverse« Wenn im Traum der Siebenschläfer lacht (1983) schrieb, »die gleiche spielerisch-ernste Geistesart verrät, die auch Simons SF eignet«. Somit illustrieren die letzten drei Abschnitte der Sternbilder besonders anschaulich die These, daß Erik Simon im Gebrauch von literarischen Formen und Stilmitteln einer der vielseitigsten SF- und Phantastik-Autoren deutscher Zunge sein dürfte.

Hans-Peter Neumann

Sternschnuppen 1

Ausgrabungen

Frühe Versuche

Liebe kleine Tllanaa

Eine Miniatur

Das Raumschiff verließ den Hyperraum. Sie waren auf der Rückreise. Bald würden sie die Kthollu erreicht haben, und auf dem Heimatplaneten, unter den blauen Strahlen ihres Sternes Rrsati, würde für sie wieder der Alltag beginnen. Ihr Raumschiff war nicht mehr neu, es war klein und ein wenig unbequem, aber es war das einzige, das sie hatten bekommen können, und eigentlich gerade richtig für eine Hochzeitsreise.

Sie hatten rote und grüne Sonnen gesehen, weiße, orangefarbene und infrarote, fast erloschene, die zu betreten sie nur die hohe Schwerkraft hinderte. Sie waren auf dem Planeten Takkati gewesen, wo ein gastfreundliches Sternenvolk lebte, und durch die erstaunlichen Städte des Planeten Slijit gegangen, den seine rätselhaften Bewohner vor vielen Jahrtausenden verlassen hatten. Schließlich hatten sie auf der Rückreise bei dem gelben Stern haltgemacht, der in ihren Katalogen keinen Namen hatte, sondern nur eine fünfstellige Nummer.

Und deswegen hatten sich die beiden zum ersten Mal gestritten. Tllanaa wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause, denn sie hatte ihrer besten Freundin versprochen, zu ihrem Geburtstag wieder zurück zu sein; Kthaor aber hatte seinen Willen durchgesetzt und mit dem Stereofotoapparat den zweiten Planeten der gelben Sonne durchstreift – allein, denn Tllanaa schmollte. Er hatte ihr seine Aufnahmen gezeigt, aber die bizarre Landschaft hatte keinen Eindruck auf sie gemacht; sie wollte jetzt nur eins – recht bald zurück auf die Kthollu.

Tllanaa erwachte, als eine leichte Erschütterung durch das Raumschiff lief. Kthaor war nicht mehr da. Auf dem Bildschirm im Wohnraum flimmerten die Sätze:

»Liebe kleine Tllanaa, mach dir bitte keine Sorgen, ich habe nur das Landungsboot genommen, um ganz kurz mal auf den dritten Planeten zu fliegen. In ein paar Stunden bin ich wieder da, und dann geht’s sofort nach Hause – einverstanden? Du bist doch nicht mehr böse? Also bis bald!«

Nein, Kthaor konnte man auf die Dauer nicht böse sein; trotzdem nahm sie sich vor, ihm, wenn er zurückkam, zu sagen, was sie von einem Mann hielt, der sich klammheimlich aus dem Raumschiff stahl und sie alleinließ, um mal schnell auf noch so einem langweiligen Planeten vorbeizufliegen. Außerdem mochte sie es nicht, daß er sie dauernd seine »Kleine« nannte, nur weil er um einen halben Kopf größer war.

Als Kthaor wieder da war, ließ er sie gar nicht zu Worte kommen. »Stell dir vor, beinahe hätten wir doch nicht rechtzeitig starten können! Als ich den Planeten anflog, streikte plötzlich der rechte Antigravitator, und ich mußte auf der Südhälfte eines Doppelkontinents landen. Und ausgerechnet auf der Nachtseite des Planeten! Ich bin auf einer großen Wiese ’runtergekommen, zum Glück habe ich den Defekt schnell gefunden und behoben. Ich bin dann sofort wieder gestartet. Tllanaa, Kleines, sieh mal, was ich dir mitgebracht habe! …«

Schon wieder hatte er sie »Kleines« genannt! Gerade wollte sie ihm klarmachen, daß er … Doch da sah sie die Blumen, die er ihr mitgebracht hatte. Grüne Blumen! Kein Gras, sondern kleine Pflanzen, ganz unterschiedlich geformt und in ganz verschiedenen Nuancen von Grün bis fast hin zum Gelb. Unter den weißen und blauen, den roten und grünen Sonnen – noch nie hatte sie grüne Blumen gesehen. So etwas gab es gewiß im ganzen Kosmos nur einmal, und Kthaor hatte diese Blumen gefunden – für sie.

Auf dem Tisch im Wohnraum des Schiffes standen in einer Vase Blumen – die einzigen grünen Blumen im Umkreis von vielen Lichtjahren. Tllanaa gab ihnen täglich frisches Wasser. Die Blumen waren unendlich fein verzweigt und hielten sich lange, viele hatten noch Wurzeln, an denen winzige Erdklümpchen hingen. Sie freute sich an ihnen, ohne sie genauer zu untersuchen oder ihnen auch nur Namen zu geben; schließlich war das keine Expedition; sondern eine Hochzeitsreise. Dabei hätte es durchaus passende Namen gegeben, in einer Sprache, so fremdartig wie die Blumen selbst: Palmen, Araukarien, Brasilkiefern, Mangobäume …

Wir sind allein

Eine sehr phantastische Miniatur

Was ich befürchte, ist … ein gewaltiger psychologischer Schock. Stolz wie wir sind. Denn wir haben ja eine vortreffliche Welt geschaffen, uns ein enormes Wissen zugelegt, den Vorstoß ins Große Universum unternommen, haben geforscht, untersucht, entdeckt. Und was haben wir entdeckt?

A. und B. Strugazki,

»Von Wanderern und Reisenden«

Die Schiffe hießen CHUAR und SENHA, was in der Weltsprache »Suche« und »Hoffnung« bedeutete. Es waren die Flaggschiffe zweier großer Raumflotten, von denen jede Tausende von Schiffen umfaßte, größtenteils unbemannte. Und alle diese Schiffe erfüllten in dem Teil der Galaxis, der am weitesten von der Erde entfernt war, den gleichen Auftrag.

Anna Jorgesarah, die Kommandantin des Raumkreuzers S 800 NADZIEJA, lehnte sich in das bequeme Kraftfeld zurück und streichelte mit der rechten Hand die große schwarze Dogge an ihrer Seite. Mit der Linken regulierte sie die Tiefeneinstellung des Raumbildprojektors. Ihr gegenüber saß ein älterer Mann in einer hellblauen Kombination. Das heißt, eigentlich saß dort nur sein Bild; der Mann selbst, einer der Techniker des Raumkreuzers S 800, befand sich in einer anderen Sektion des Schiffes.

»Die letzten vier Robotschiffe sind zurückgekehrt«, sagte der Mann, »die S 807, 824, 828 und 891.«

»Und wieder nichts.« Sie konstatierte es einfach. Wenn die Schiffe etwas gefunden hätten, wäre es sofort durchgegeben worden.

»Nichts«, bestätigte der Techniker. »S 828 hat ein Planetensystem entdeckt, mit …« – er blickte auf die Folie in seiner Hand – »… mit vier Planeten. Aber kein einziger davon trägt Leben, geschweige denn …«

»Gut, Ray«, sagte Anna Jorgesarah. »Unsere NADZIEJA hat eben kein Glück gehabt. Wir kehren zur SENHA zurück. Bereite bitte den Eintritt in den Hyperraum vor.«

»In Ordnung, Anna. Vielleicht haben die anderen Kreuzer etwas gefunden …«

Sehr zuversichtlich klang es nicht.

Die CHUAR war eigentlich schon kein Raumschiff mehr, sondern eine Welt für sich mit den Ausmaßen eines kleinen Mondes. Es gab in ihr sogar richtige Städte, zwanzig an der Zahl, und darin lebten vierundzwanzig Millionen Menschen.

Durch den Tierpark der Stadt Asenchuar – den größten in allen zwanzig Städten – gingen drei Männer. Zwei von ihnen trugen nachtblaue Kombinationen mit dem Emblem der Raumkreuzer-Kommandanten. Sie waren beide groß, schlank und dunkelhäutig und sahen einander sehr ähnlich. Ein kleines Abzeichen auf dem weiten dunkelroten Gewand des dritten wies ihn als Mitglied des Obersten Rates aus.

»Nachdem auch ihr nichts gefunden habt«, wandte sich Adam Joanyatsen, das Ratsmitglied, an die beiden Brüder, »steht fest, daß es im galaktischen Sektor 7-34, den die Flotte der CHUAR durchforscht hat, kein vernunftbegabtes Leben gibt. Eure beiden Kreuzer, die SEARCH und die POISK, sind als letzte zurückgekehrt.«

Er machte eine Pause und warf einen Blick nach links, wo hinter einem unsichtbaren Kraftfeld eine Schar Kriechteppiche lag – mehrzellige Amöben von einem Planeten von Ross 614, wo Menschen zum erstenmal außerirdisches Leben entdeckt hatten. Von den beiden großen grauen Wölfen, die im selben Gehege unter den Strahlen der künstlichen Sonne lagen, wurden sie völlig ignoriert. »Immerhin bleibt noch Sektor 7-02. Wir wissen nicht, ob die Flotte der SENHA Erfolg hatte.«

»Das wäre dann die letzte Hoffnung«, sagte Ray Rita’ali, der Kommandant der CH 300 SEARCH. »Und nach allem …« Saul Rita’ali nickte zustimmend.

»Nun, ihre Chancen sind nicht geringer, als es unsere waren«, erwiderte Adam Joanyatsen. »Und wir werden Gewißheit haben. – Du, Ray, sollst unsere Ratsmitglieder zur SENHA fliegen. Ist die SEARCH einsatzbereit?«

»Ja.«

Das Flaggschiff SENHA war das genaue Gegenstück der CHUAR. Auch hier gab es zwanzig Städte. Das Gebäude des Obersten Rates befand sich in der Stadt Nijisenha.

Der Rat tagte. Anna Jorgesarah verfolgte gemeinsam mit den neunzehn anderen Kreuzerkommandanten der SENHA und den dreiundvierzig Ratsmitgliedern den Bericht, den Ray Rita’ali über die Forschungen der anderen Raumflotte gab. Zu ihren Füßen lag ihre schwarze Dogge. So weit von der Erde entfernt hatten die Menschen ein starkes Bedürfnis, sich mit Tieren des Heimatplaneten zu umgeben. Es gab so verzweifelt wenig Leben in der Galaxis …

»Die Entdeckung dieser beiden Leben tragenden Planeten durch die Flotte der CHUAR ist somit unser wichtigstes Forschungsergebnis«, schloß Ray Rita’ali seinen Bericht. »Zusammen mit den von euren Schiffen entdeckten erhöht sich die Zahl dieser Planeten also auf 214. Nur 214 Planeten in der ganzen Galaxis, auf denen es Leben gibt, und auf den meisten davon nur in den primitivsten Formen. Und nirgends intelligentes Leben.

Die Expedition der SENHA und CHUAR ist die größte, die Menschen je unternommen haben, und hat wertvolle Entdeckungen gebracht. Doch das Hauptziel haben wir nicht erreicht: Wir haben keine Zivilisation gefunden. Keine einzige. Und ihr wißt: Es waren die beiden letzten unerforschten galaktischen Sektoren. Jetzt haben wir Gewißheit, daß die Menschen die einzigen vernunftbegabten Wesen in dieser Galaxis sind. Ob wir jemals über sie hinaus vorstoßen können, ist fraglich. Wir sind allein.«

Die Versammelten schwiegen. Der Traum von den Brüdern im All war ausgeträumt. Die große Suche war zu Ende. Denn sie waren allein.

Der Graue schlief unruhig. Schließlich erwachte er, als er seinen Namen rufen hörte. Kein Laut störte die Stille der schlafenden Stadt, dennoch vernahm der Graue deutlich eine Stimme – sie ertönte direkt in seinem Gehirn. Das Kraftfeld und die riesige Entfernung waren keine Hindernisse für das telepathische Signal.

»Sie haben keine denkenden Wesen gefunden«, sagte die Stimme im Gehirn des Grauen, und er antwortete: »Das ist schade. Sie haben so sehr gehofft. Kannst du dir vorstellen, wie enttäuscht sie sein müssen? So lange haben sie unter den Sternen nach ihresgleichen gesucht, und nun …«

»Nun, wir wußten ja, daß wir unseresgleichen nicht finden würden. Und wir wissen auch, daß wir trotzdem nicht allein sind. Immerhin sind die Menschen auch denkende Wesen, und wenn sie auch keine Gedanken übertragen können, sind sie uns doch in vielem sogar überlegen geworden, seit wir sie gezähmt haben …«

»O ja, sie sind enttäuscht«, meinte wieder der Graue. »Sie glauben, sie seien allein, und wir müssen sie in diesem Glauben lassen. Wenn wir uns zu erkennen gäben – welch ein Schock würde es für sie sein nach all den Jahrtausenden, in denen sie mit uns gelebt haben.«

»Nein, kein Schock. Sie würden es einfach nicht glauben. Es wäre für sie so ungeheuerlich – sie würden es ignorieren, wegerklären. Nein, wir müssen abwarten, bis sie es eines Tages selbst herausfinden«, sagte die Stimme der schwarzen Dogge im Gehirn des grauen Wolfes, im Tierpark der Stadt Asenchuar, im Raumschiff CHUAR, dessen Name »Die Suche« bedeutete.

Das Märchen

Eine Miniatur

»… und dann fraß der Drache das Rotkäppchen«, sagte Phao, und die kleine Eva schaute ihn mit großen Augen an.

»Warum hat er das gemacht?« wollte sie wissen. Das fünfjährige Mädchen hörte das Märchen vom Rotkäppchen zum erstenmal. Phao erzählte sonst immer andere Geschichten, von der geschwätzigen Schildkröte, vom klugen Papagei und vom Affenkönig Hanuman, manchmal auch vom Sternenfahrer Sindhbad oder von den drei dummen Robotern. Er hatte der kleinen Eva schon viele Märchen erzählt, immer, wenn Evas Eltern unterwegs waren und er auf das Kind aufpaßte, damit es keine Dummheiten machte, nicht mit dem Materietransmitter spielte und sich früh und abends die Zähne putzte. Dabei half ihm Georg, aber Georg war nur ein Roboter und wurde allein mit Eva nicht fertig, er mußte den Befehlen gehorchen, auch wenn das Mädchen sie gab.

Deshalb baten Evas Eltern ihren Nachbarn Phao immer, wenn sie einen Abend oder ein paar Tage in einer anderen Stadt zu tun hatten, er möge doch auf ihre Tochter aufpassen, was Phao auch gern tat, denn er mochte die kleine Eva.

»Warum hat er das gemacht?« fragte Eva, und es war ihr anzusehen, daß sie das Verhalten des Drachen entschieden mißbilligte.

»Er wird Hunger gehabt haben«, vermutete Phao.

»Dann hätte er in ein Speisehaus für Drachen gehen müssen«, stellte Eva fest, und dem konnte Phao eigentlich nichts entgegensetzen. Selbst wenn der Drache daheim keinen Eiweißsynthetisator hatte, im Speisehaus hätte er jederzeit etwas Schmackhaftes bekommen. So wäre es zumindest logisch gewesen. Freilich, das Märchen war sehr alt und schon deswegen nicht logisch – vermutlich gab es damals noch keine Eiweißsynthetisatoren, aber das würde Eva später in der Schule erfahren.

»Weißt du, Evchen, das war ein böser Drache, und böse Drachen fressen nun mal kleine Mädchen.«

»Das ist nicht wahr«, empörte sich Eva. »Das hätte dem Rotkäppchen bestimmt wehgetan, und was wehtut, darf man nicht tun!«

»Aber das war doch vor langer, langer Zeit. Damals konnten die Tiere noch nicht denken, und manche von ihnen waren wirklich richtig böse. Erst seit die Menschen die meisten großen Tiere klug gemacht haben, gibt es keine solchen bösen Tiere mehr.«

»Trotzdem, ich will das Märchen nicht hören, ich mag es nicht. Das ist kein gutes Märchen!« sagte Eva. »Erzähl mir ein anderes.«

»Aber es gibt doch keine bösen Drachen mehr. Es gibt überhaupt keine Drachen mehr, schon seit vielen hundert, nein, tausend Jahren«, sagte Phao. »Ich glaube, sie waren zu böse, um klug zu werden.«

Eva aber ließ nicht mit sich reden, also erzählte ihr Phao ein anderes Märchen, das vom Froschkönig. Damit gab es keine Schwierigkeiten, während viele andere alte Märchen einfach nicht mehr stimmten, seit vor ein paar hundert Jahren die Menschen durch gezielte Veränderung der Erbanlagen bei vielen größeren Säugetieren die Voraussetzungen zur Entwicklung von Intelligenz geschaffen hatten. Es gab natürlich keine bösen Wölfe mehr, die kleine Kinder fraßen (wenn es sie je gegeben hatte, was Phao nicht glauben mochte). Es hatte nicht geholfen, aus dem Wolf einen Drachen zu machen.

Phao erzählte der kleinen Eva also das Märchen vom Froschkönig, Eva freute sich (obwohl sie wußte, daß es keine denkenden und sprechenden Frösche gab, aber dafür war es ein Märchen). Dann wollte sie noch eins hören, aber es war Schlafenszeit, und Phao ließ nicht mit sich handeln. Er paßte auf, daß Eva in ihr Bett ging, und blieb bei ihr; sie streichelte sein gelblichgraues Fell, bis sie eingeschlafen war. Leise ging Phao aus dem Zimmer und betätigte mit der Pfote den Lichtschalter, den Evas Eltern eigens für ihn knapp über dem Boden hatten anbringen lassen. Dann ging er durch die Automatiktür in die Bibliothek und rief den Roboter Georg, damit der ihm beim Lesen half – die Seiten umzublättern, fällt selbst dem intelligentesten Wolf schwer.

Warum wir die Bekanntlich-Geschichten geschrieben haben

Bekanntlich werden phantastische Erzählungen aus den unterschiedlichsten Gründen und mit den unterschiedlichsten Zielen geschrieben.

… Es begab sich aber, daß zu jener Zeit ein Raumschiff die Erde besuchte.

Das Raumschiff schwebte viele Kilometer über der Erde, durch eine dünne Sphäre des zeitlich phasenverschobenen Hyperraums zuverlässig getarnt und vor jeder Beobachtung sicher. Die Antigraven (die exakte Bezeichnung lautete übrigens: subquantengesteuerte antigravigene Transversalaggregate mit temporalinvertierten Meierschen Rückkopplungsgeneratoren) – die Antigraven also arbeiteten mit halber statischer Kraft, denn im Hyperraum herrschte fast völlige Sonnenwindstille.

»Die Kundschafter hatten recht«, sagte Siss Iisi der Achtbeinige. »Das ist tatsächlich ein Planet vom Typ h2O, aber die Zivilisation …«

»… ist vom Typ k0«, ergänzte Surr Sirr der Sechsbeinige mürrisch. »Wie sich Krebb Krabb der Zehnbeinige die Kontaktaufnahme mit dieser Zivilisation vorgestellt hat, ist mir ein Rätsel. Die Zivilisationen vom k0-Typ sind doch auf einen Kontakt mit uns gar nicht vorbereitet; sie sind viel zu traditionalistisch-schematophil. Und phantastophob. Na ja, eben ein wenig zu sehr von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt. Was soll man da machen?«

»Am besten, wir kehren wieder um. Schließlich können wir nichts dafür, daß sich Krebb Krabb der Zehnbeinige geirrt hat«, schlug Siss Iisi der Achtbeinige vor.

»Du weißt doch, wie sehr sich Krebb Krabb der Zehnbeinige solche Irrtümer zu den Herzen nimmt«, entgegnete Surr Sirr der Sechsbeinige. »Als er sich das letzte Mal geirrt hat, sind ihm vor Ärger gleich zwei neue Beine gewachsen, und du weißt selbst, wie unangenehm sowas ist. Nein, wir müssen wenigstens mit irgendeinem anderen Resultat zurückkehren, wenn es für die Kontaktaufnahme noch zu früh ist. Ich schlage deshalb vor, daß wir etwas unternehmen, um die geistige Flexibilität der Planetenbewohner zu erhöhen.«

»Du meinst den Telepathiestrahler?« erkundigte sich Siss Iisi der Achtbeinige.

»Genau den«, bestätigte Surr Sirr der Sechsbeinige.

Und es geschah also. Surr Sirr der Sechsbeinige programmierte den Telepathiestrahler. Dann brachten die beiden den Strahler in einer automatischen Sonde unter, stationierten die Sonde mittels eines planetengebundenen Raumankers über dem Erdäquator, schalteten die Antigraven ihres Raumschiffs auf volle dynamische Kraft und flogen nach Hause.

Unter der Sonde aber drehte sich jahrein, jahraus die Erde hinweg. Der Telepathiestrahler begann, die ihm eingegebenen Sujets für phantastische Erzählungen nacheinander in Richtung Erde abzustrahlen, und auf unserem Planeten packte bald diesen, bald jenen Autor der unwiderstehliche Drang, sich der Phantastik zuzuwenden. Das Programm des Telepathiestrahlers enthielt 84 790 verschiedene Sujets, die alle auf der Erde zu phantastischen Werken verarbeitet werden sollten, um die Menschen auf den Kontakt mit den Außerirdischen vorzubereiten und um ihre Denkweise etwas flexibler zu gestalten.

Nach ein paar hundert Jahren wurde die Hyperraumhülle der Sonde von einem Meteoriten aus Antimaterie getroffen, ein so unwahrscheinliches Ereignis, daß die Sonde dagegen nicht geschützt worden war. Infolge dieses Zusammenstoßes verrutschte die Sonde ein wenig nach Norden, deshalb werden auf der nördlichen Erdhalbkugel mehr phantastische Erzählungen geschrieben als auf der südlichen, und von den antarktischen Autoren hört man überhaupt nichts. Außerdem kam das Programm durcheinander, und obwohl erst ein Bruchteil der 84 790 Sujets abgestrahlt worden war, begann die Sonde wieder von vorn. Zum Glück rutscht ab und zu doch einmal ein Sujet mit hinein, das noch nicht da war …

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Bekanntlich ist die Zeitmaschine so ziemlich das Absurdeste, was sich je ein Phantastikautor ausgedacht hat. Es gibt eine Menge anderer hirnverbrannter Ideen, mit denen die Phantasten ihr Geld verdienen, aber die Zeitmaschine ist der Gipfel, das Nonplusultra der Absurdität. Die Idee mit der Zeitmaschine verstößt nämlich nicht nur gegen physikalische und andere Naturgesetze, sie verstößt gegen die grundlegenden Gesetze der Logik, weil sie eine Menge innerer Widersprüche enthält.

Am deutlichsten wird das bei dem Großen Zeitreise-Paradoxon. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe eine Zeitmaschine. Dann könnte ich damit in die Vergangenheit reisen und dort, sagen wir, meinen eigenen Großvater oder Urgroßvater umbringen. Dann würde aber mein Vater nicht geboren, oder meine Mutter, und logischerweise würde auch ich selbst nicht das Licht der Welt erblicken. Wer hat dann aber die Zeitreise unternommen und seinen Großvater auf dem Gewissen? Jemand anders oder gar keiner. Wenn aber jemand anders seinen Großvater umgebracht hätte … Sie sehen, zu welch …

(et cetera ad infinitum)

Schuttabladeplatz

Kosmogonische Miniatur

nach einer Idee von Wolfgang Köhler

1972 unserer Zeitrechnung. Fred Sanders

Zu der Leserdiskussion in Ihrer Zeitschrift »Saubere Umwelt – aber wie?« kann ich einen weiteren haarsträubenden Fall hinzufügen, woran Sie sehen mögen, daß der Bericht von Herrn K. Kramer durchaus kein Einzelfall ist.

Ich wohne mit meiner Familie in einem Neubau am nördlichen Stadtrand. Als wir vor zwei Jahren eingezogen sind, hieß es, das freie Gelände vor unserem Haus würde mit Bäumen bepflanzt werden, auch ein Kinderspielplatz sollte eingerichtet werden. Nun, auf Bauplätzen sieht es immer gleich aus, und die Mondlandschaft vor unserem Fenster störte uns vorerst wenig. Inzwischen ist aber von den versprochenen Grünanlagen noch immer nichts zu sehen, dagegen haben alle möglichen Leute aus der näheren und weiteren Umgebung angefangen, Schrott, alte Matratzen, wurmstichige Möbel, Schutt und andere Abfälle direkt unter unser Fenster zu schütten, neuerdings wird das Zeug schon mit LKWs angefahren, von denen manche sogar Kennzeichen anderer Bezirke haben. Unsere Beschwerden bei den städtischen Behörden haben bisher nichts gefruchtet, obwohl die Schutthalde schon bis an die nächste Querstraße reicht und sich in zunehmendem Maße auch die Autofahrer über die auf der Straße liegenden Klamotten erbosen, es gab deswegen sogar schon zwei Unfälle. Wie lange soll das so weitergehen?

Ing. F. Sanders

91479 des Elften Großzyklus. Hauekk 17-109 Kkoar Ll