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Ein geheimnisvolles Herrenhaus in der Uckermark. Der kranke, alter Freiherr Artus von Würmelshausen, dem das Haus gehört und eine unfreundliche Enkelin Susanna erwarten Johannes den neuen Verwalter und seine Tochter Clara. Was hat es mit den seltsamen Fenstern die das Herrenhaus schmücken auf sich. Können Toni der alte Gärtner und Dora die Köchin Licht ins dunkel bringen? Werden Johannes und Clara die Geheimnisse lüften können?
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Seitenzahl: 214
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Epilog
„Noch ein Bier bitte.“ Der Mann hinter der Bar sah seinen Gast mit skeptisch gehobenen Augenbrauen an. „Sicher?“ Der Gast nickte stumm. In diesem Augenblick legte jemand, der gerade die Kneipe betreten hatte, seine Hand auf die Schulter des Gastes. „Hallo Johannes, bist du schon lange hier, entschuldige, dass ich zu spät bin.“ „Hallo Andy, kein Problem, bist ja nur vier Bier zu spät. Und da kommt ja schon das fünfte.“ Er warf dem Mann hinter der Bar einen auffordernden Blick zu. „Und machst du meinem Freund hier auch eins?“ Andy der eigentlich Andreas hieß, setzte sich auf den Hocker neben Johannes. „Was ist denn los? Du hast schon vier Bier Vorsprung?“ Forschend blickte Andy seinen Freund an. Dieser zog nur einen zerknitterten Brief aus der Tasche und knallte ihn vor Andy auf den Tisch, dass das Bier in den Gläsern schwappte. „Mensch pass doch auf.“, meckerte Andy. Der Brief hatte sich schnell mit dem übergelaufenen Bier vollgesogen. Andy nahm ihn mit spitzen Fingern und las. „Ach ne.“, sagte er nach einer Weile, „Hat Madam mal wieder etwas gekauft und die Rechnung nicht bezahlt?“ „Sieht so aus.“, meinte Johannes resigniert. „Das geht mir echt auf die Nerven, das sag ich dir. Sie ist vor über einem Jahr ausgezogen. Und immer, wenn sie klamm ist, dann bin ich gut genug, ihre blöden Rechnungen zu bezahlen.“ „Lass dich doch endlich scheiden. Das Trennungsjahr ist vorbei.“ „Dazu müsste ich aber wissen, wo sie steckt, meinst du nicht?“ „Hm, stimmt.“, brummte Andy nur und nahm einen Schluck Bier. Die beiden Männer schwiegen eine Weile und starrten vor sich hin, als Andy meinte. „So geht das aber auch nicht weiter. Du bist hier der Arsch und deine Verflossene gibt deine Kohle aus. Einfach verschwinden, ohne was zu sagen, das ist echt mies.“ „Sie hat nur diesen dummen Brief geschrieben.“ Wieder setzte Schweigen ein. Andy nickte und verzog das Gesicht, als ob er nachdachte. Johannes brummte nur und meinte dann, „Sie hat geschrieben, wir würden jeden Sommer an die Ostsee in das gleiche Hotel gehen. Alles immer nur das Gleiche und ich würde immer schon schlafen, wenn sie ins Bett kommt und auf das Kopfkissen sabbern. Wir wären immer in dasselbe Restaurant gegangen und so.“ „Stimmt doch, du hast immer die Bandnudeln mit Lachs gegessen und sie jedes Mal die vegetarische Pizza.“ Johannes sah seinen Freund entgeistert an. „Also geht’s noch?“, protestierte er. „Hey, ich sag ja nur wie es ist, oder besser gesagt, wie es war.“ „Ja schon gut, auf jeden Fall will sie sich selbst finden. Ich hoffe sie sucht auch ordentlich, sonst geht das noch ewig so.“ Wieder kehrte ein grübelndes Schweigen ein. „Der letzte Satz war, wir sollen sie nicht suchen.“ „Am besten.“, sagte Andy, „Du machst es so wie sie. Du gehst einfach weg und sagst niemandem wo hin. Außer mir, natürlich!“ „Ins Nachbardorf, oder was?“, fragte Johannes kopfschüttelnd. „Ne, so richtig weit weg meine ich. In ein anderes Bundesland und ohne Nachsendeauftrag.“ „Mmhhm, klar und ich lebe von meinen ersparten Millionen, du Fantast.“ „Ja, da hast du Recht. So einfach ist es dann ja doch nicht.“ „Aber du kannst doch einfach mal nach Stellenanzeigen schauen?“ Johannes ließ dieser Gedanke nicht los, er hatte schlecht geschlafen und wälzte im Dämmerschlaf die Probleme, die ihm auf der Seele lagen. Jetzt saß er in seinem Büro am Computer. Wie jeden Morgen überprüfte er seine, über Nacht eingegangenen E-Mails. Sein Job, in der Verwaltung eines amerikanischen Konzerns, bei dem er sich als Leiter einer kleinen Abteilung, mit all dem herumschlagen musste was seine Kollegen benötigten, oder zumindest vorgaben zu benötigen, um ihren Job zu machen. Das ging vom Mietvertrag über Dienstfahrzeuge bis hin zum Telefon oder Toilettenpapier. Seine Abteilung war darüber hinaus für den Betrieb der Gebäude zuständig, plante und ließ Umzüge durchführen. Und wenn renoviert oder umgebaut werden sollte, fiel das auch in ihr Resort. Da die Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks, sozusagen zeitversetzt nach ihnen arbeiteten und sein Vorgesetzter ein Amerikaner war, war es obligatorisch, morgens als erstes zu überprüfen, welche Schmerzen sein Chef hatte. Heute allerdings gab es nichts Besonderes. Er schloss das E-Mail-Programm und öffnete den Internetbrowser. Eigentlich wollte er nur kurz, wie es zur Morgenroutine gehörte sehen, ob er privat eventuell eine wichtige, oder interessante Mail bekommen hatte. Fehlanzeige. Er wollte den Browser gerade wieder schließen, als ihm, auf der rechten Seite eine Anzeige ins Auge stach. Wie kommt die denn hier her, dachte er und gab sich im gleichen Augenblick im Geiste selbst die Antwort. Schon klar, dachte er, die Suchroutinen lassen grüßen. Wenn man öfter nach ähnlichen Dingen sucht, so zum Beispiel die Wörter „Umbauen“ und „Renovieren“ benutzt, dann -oh Wunder- gibt es schlaue kleine Programmteile in den Suchmaschinen, die Anzeigen mit eben diesen Wörtern auf den Bildschirm zaubern. Noch bevor er den Gedanken ganz zu Ende gedacht hatte, begann er zu Lesen. „Gutsverwalter für Herrenhaus mit exotischem Flair in der Uckermark gesucht.“ Uckermark, das ist doch im Osten? dachte Johannes. Auf jeden Fall weit weg von hier. Ob die mich wohl nehmen würden? Hier steht das Gebäude ist aus dem 16. Jahrhundert. Von Denkmalschutz habe ich keine Ahnung. Sie wollen jemanden der das alte Gemäuer in Stand hält, das müsste ich schon hinbekommen und eine Wohnung im Haus stünde auch zur Verfügung. Hm, ich kann ja mal mit Clara darüber reden. In diesem Augenblick zeigte ein Pling an, dass eine neue E-Mail angekommen war. Johannes fügte die Seite mit der Stellenanzeige noch schnell den Favoriten zu, damit er sie später wieder fand, schloss den Browser und wendete sich seiner Arbeit zu.
„Hi, Paps.“ Ein Teenager, sechszehn Jahre alt, ein hübsches Mädchen, mit langen, blonden Haaren schloss gerade die Wohnungstüre auf, streifte ihre Schuhe und die Jacke ab. Ohne hinzusehen, kam von Johannes der gebrummte Kommentar, „Jacke aufhängen und Schuhe in den Schuhschrank!“ „Oh Mann, Paps, du nervst!“ „Und du, mein Schatz und Mitbewohnerin bist genauso wie ich dazu verpflichtet Ordnung im Haushalt zu halten.“ „Findest du nicht, dass du es ein bisschen übertreibst mit dieser Mitbewohnernummer? Seitdem ich 16 bin, bin ich von der Tochter zur Mitbewohnerin mutiert. Das ist doch bescheuert.“ Johannes kratze sich gespielt am Kopf und tat, als ob er über Claras Einwand nachdachte und sagte dann, „Stimmt du bist ein Mutant, anders kann ich mir nicht erklären, warum es in deinem Zimmer aussieht, wie in einer steinzeitlichen Höhle.“ „Ha.“, entgegnete Clara, „Du hast wohl vergessen, dass ich als Mitbewohnerin.“, sie zog das Wort in die Länge, „In meinem Zimmer machen kann, was ich will.“ Johannes grinste überlegen. „Also doch Mitbewohnerin? Na, dann kannst du ja auch deine Jacke aufhängen.“ „Schon gut, du hast gewonnen Paps. Wie sieht es mit Abendessen aus?“ „Gute Idee, worauf hast du denn Lust?“ Clara stand am Kühlschrank und brabbelte. „Ich sehe Schupfnudeln, Hackfleisch und hier, eine Dose Sauerkraut. Was meinst du?“ Johannes war in die Küche gekommen. „Gut, was hältst du davon, wenn ich das Hackfleisch anbrate und mit Wein ablösche, die Schupfnudeln mache und dann das Sauerkraut zu dem Hackfleisch gebe und mit Pfeffer und reichlich süßem Paprika würze. Eine Rahmsoße mache und fertig ist das Abendessen. So eine Art Szegediner Gulasch ohne Gulasch, dafür mit Hackfleisch und anstatt Kartoffeln Schupfnudeln?“ „Hm, klingt, sagen wir, zumindest interessant.“ Eine halbe Stunde später konstatierte Clara mit vollem Mund: „Paps, das schmeckt echt super. Mama hätte so etwas nie hinbekommen.“ Johannes fiel augenblicklich wieder der Brief des Inkassobüros ein. „Ja, mit dem Kochen hat sie es nicht so, dafür aber mit dem Geldausgeben.“ Johannes erzählte Clara von den erneuten Ausgaben ihrer Mutter und auch was Andy ihm geraten hatte. Als er ihr das mit der Stellenanzeige erzählt hatte zückte sie ihr Handy. „Hatten wir nicht gesagt, kein Handy beim Essen?“- „Paps, das haben nicht wir gesagt, sondern nur du allein und außerdem will ich nur mal schauen wo die Uckermark ist.“ Nach einem Moment sagte sie fast schon ein wenig erbost. „Aber Paps, das ist ja am Arsch der Welt! Da gehe ich nicht hin. Dann kann ich Max nie mehr sehen!“- „Schon gut Schatz, war ja nur so eine spontane Idee. Ich glaube auch nicht, dass die mich nehmen würden.“ Etwas später hatte Johannes es sich bequem gemacht und sah sich gerade die Nachrichten an, als Clara aus ihrem Zimmer stürmte und sich heulend neben ihn auf das Sofa quetschte. Schluchzend brachte sie hervor, „Max dieser Arsch hat Schluss gemacht, einfach so.“ Von einem Schluchzer geschüttelt, kam es gedämpft von seiner Tochter, da sie ihr Gesicht an seiner Brust vergraben hatte. „Und Franzi hat gesagt, er würde eine Neue haben. Die Clodette aus der 10b. Clodette, was für ein Scheißname.“ Johannes drückte seine Tochter an sich und strich ihr beruhigend übers Haar. Er wusste, dass egal was er sagte, die Gefahr groß war, dass er etwas Falsches von sich gab. Daher schwieg er und wartete ab, bis Clara sich beruhigt hatte. Eine Weile später, sagte er nur, „Clodette ist wirklich ein komischer Name, klingt fast wie Klosett.“ Clara richtete sich auf und trotz der Tränen, die ihr übers Gesicht liefen, musste sie lachen. „Ist schon saublöd mit dem Max. Und nun, was soll nun werden?“ „Meinst du es gibt in der Uckermark auch coole Typen?“ „Keine Ahnung, vielleicht. Und eventuell gibt es da ja auch coole Frauen?“ Clara grinste. „Na gut, dann auf in die Uckermark!“ „Na erst mal muss ich mich bewerben und die Stelle auch bekommen.“ Als Johannes sich am nächsten Tag bewarb, es war schon komisch, normaler Weise konnte man sich eigentlich immer online bewerben, glaubte er nicht daran, dass er eine Chance haben würde, als er den Brief am Nachmittag in den Briefkasten warf. So wunderte er sich nicht, dass er zunächst nichts hörte. Keine Mitteilung, dass man Zeit für die Bearbeitung der vielen Bewerbungen benötigte, aber auch keine Absage. So war seine Bewerbung beinahe in Vergessenheit geraten, als Clara ihn eines Abends mit einem Brief in der Hand wedelnd erwartete, als er von der Arbeit zurück nach Hause kam. „Schau mal“, sagte sie, „Vom Herrenhaus Würmelshausen.“ Johannes wog den Brief in der Hand und betrachtete ihn dabei teils skeptisch, teils erwartungsvoll. „Was meinst du, ist es eine Absage?“, wollte Clara wissen. Johannes wiegte den Kopf hin und her, grinste dann und sagte, „Glaube ich nicht, der ist zu dünn?“ Als Clara ihn daraufhin nur fragend ansah, meinte Johannes, „Na, wenn es eine Absage wäre, würden sie mir die Bewerbungsunterlagen zurücksenden.“ Clara nickte verstehend. Die Vermutung bestätigte sich. Johannes hatte doch tatsächlich eine Einladung für ein Vorstellungsgespräch bekommen. „Bin ja mal gespannt, was mich da erwartet. Und wenn es nichts ist, habe ich ja eine gute Stellung und coole Typen gibt es hier ja auch.“ Das fand Clara offensichtlich nicht. Sie drehte sich wortlos um und verschwand in ihrem Zimmer, nicht ohne die Türe zuzuknallen, was Johannes zusammenzucken ließ. Die beruhigt sich auch wieder und vielleicht klappt es ja auch.
Dichte Wolken hingen wie Blei niedrig über der Landschaft. Es war für August ungewöhnlich kühl und die leicht hügelige, bei diesem Licht recht eintönig wirkende Landschaft der Uckermark trug nicht gerade dazu bei, das Johannes sich zuversichtlich fühlte. Als er vom Gleis in das Bahnhofsgebäude trat, hatte er für einen Moment das Gefühl, das hier die Zeit stehen geblieben war. Das Gebäude stammte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und sah so aus, als wäre es gerade in Betrieb genommen worden. Die geflieste Bahnhofshalle wirkte nüchtern und funktional, etwas kalt und wenig einladend, schien aber vor gar nicht allzu langer Zeit renoviert worden zu sein. Darauf deutete auch das einzig modern anmutende, nämlich die elektrische Schiebetüre, die den Eingang darstellte, hin. Vor der Tür war der Bahnhofsplatz wie ausgestorben. Na, das kann ja heiter werden, dachte Johannes. Als er um das Gebäude herum gegangen war, fand er zumindest ein Taxi. Zuhause hatte er sich erkundigt, die Hauptstadt der Uckermark, wenn man diesen Ort mit seinen knapp zwanzigtausend Einwohner so nennen konnte, die ganz im Osten des Landes lag und zu Brandenburg gehörte, heißt Prenzlau. Eigentlich ganz idyllisch an einem großen See, dem Unteruckersee gelegen, war das Städtchen selbst nach dem Zweiten Weltkrieg in Einheitsbauweise gestaltet worden. Natürlich gab es auch ein paar wunderschöne Backsteingotik Gebäude, aber besonders aufregend war Prenzlau nicht. „Wo solls hingehen?“, wollte der Fahrer wissen. „Eine Adresse habe ich nicht, es heißt hier nur Herrenhaus von Würmelshausen. Wissen sie, wo das ist?“ „Aber klar weiß ich, wo das ist. Da wohnt der alte von Würmelshausen. Der hat den Kasten nach der Wende von der GST gekauft. Völlig verrottet war das Ding. Aber er hat es dann ja wieder restauriert.“ Der Taxifahrer zog das Wort in einer Weise in die Länge, als ob er gar nicht meinte, was er sagte. „Wieso sagen sie das so komisch, restauriert?“, wollte Johannes wissen. „Schauen sie es ich selbst an, dann verstehen sie schon, was ich meine.“ Ein ungutes Gefühl breitete sich in Johannes’ Magengegend aus. Das Taxi verließ die Stadt und fuhr entlang des Sees nach Süden. Das Herrenhaus sollte auf einer kleinen Landzunge am Oberuckersee liegen. Als kurz darauf ein weiterer See in Sicht kam, ließ ihn der Taxifahrer wissen, „Das ist erst der Potzlower See. Der Oberuckersee kommt gleich.“ Zwei Kilometer später erreichten sie dann den See, den sie allerdings ganz umrunden mussten. Johannes schätzte das Gewässer auf eine Länge von etwa fünf Kilometern und eine Breite von vielleicht eineinhalb Kilometern. Sie hatten gerade das Örtchen Warnitz am Ostufer passiert, als in der Mitte des Sees eine idyllische Insel in Sicht kam. „Das ist ja wirklich schön hier.“ „Da haben sie Recht. Das da drüben ist übrigens die Burgwallinsel. Da haben schon vor 1000 Jahren die Slaven eine Burg gebaut. Ist aber irgendwann alles abgebrannt.“ Etwas später rundeten sie den südlichsten Zipfel des Sees. Kurz darauf passierten sie das Ortsschild „Suckow.“ „Gleich sind wir da, am Ende der Straße links auf die Halbinsel.“ Sie erreichten ein kleines Wäldchen, welches quer über die Halbinsel verlief und das Herrenhaus verbarg. Sie hatten den Wald etwa zur Hälfte durchquert, als das Taxi vor einem massiven, verschnörkelten, schmiedeeisernen Tor, das auf beiden Seiten von einer hohen Mauer flankiert wurde, anhalten musste. „Das sieht ja aus wie eine Festungsanlage!“-„Tja.“, sagte der Taxifahrer seufzend, „Der feine Herr möchte ungestört sein.“ Auf der Mauerkrone entdeckte Johannes Kameras und fragte sich, ob man sie wohl beobachtete, als aus einem Lautsprecher die Frage tönte, wer sie seien. Johannes ließ den Taxifahrer wissen was er sagen sollte. Dieser sah in skeptisch an und zuckte mit den Schultern, als ob er sagen wollte -du musst wissen was du tust- und wiederholte den Satz. Das Tor glitt auf. Nach weiteren zweihundert Metern öffnete sich das Wäldchen und gab den Blick auf das Herrenhaus und den See frei.
Das was er sah, verschlug ihm fast die Sprache, das war ja ein richtiges kleines Schloss. Wie hieß dieser Baustil nochmal? Johannes kramte in seinem Gedächtnis, ach ja Neobarock, oder so ähnlich. In der Mitte befand sich ein vorgebautes Portal, das bis hinauf zum Dach reichte.
Auf der rechten Seite schloss das Herrenhaus mit einem viereckigen Turm ab, welcher das Gebäude um eine Etage überragte und ein kuppelförmiges Dach trug. Links war ein kurzer Querflügel, sozusagen als Gegengewicht zum Turm angebaut. Die Fenster im Erdgeschoss und Obergeschoss waren alle gleich und gaben dem Gebäude durch ihre feinen Formen diese elegante und verspielte Anmutung des Barocks. Das Haus war in beigem Sandstein errichtet. Vor dem Gebäude stand ein barocker Brunnen, dessen Becken von nackten Figuren getragen wurde. In der Mitte obenauf, ließ eine Putte Wasser in den Brunnen fließen.
Kurz darauf war das Taxi verschwunden und Johannes stand mit einem kleinen Koffer vor der riesigen Eingangstür und kam sich dabei etwas verloren vor. Eine Klingel suchte er vergebens. Gerade hatte er sich entschieden, es mit Klopfen zu versuchen, als sich die Türe öffnete. Anders als erwartet, geschah das nicht quietschend oder knarrend, sondern völlig geräuschlos und so gleichmäßig, dass Johannes die Vermutung hegte, dass es sich um eine elektrische Tür handelte. Eine junge Frau mit einem schönen, ebenmäßigen Gesicht und porzellanfarbenem Teint, die extravagant in einen schwarzen, eleganten Hosenanzug gekleidet war und hohe ebenfalls schwarze Schuhe trug. Mit schwarzen hochgesteckten Haaren und für Johannes ein wenig zu grell geschminktem roten Mund, stand sie in der Tür. „Herr Kipnik?“ Johannes fühlte sich etwas überrumpelt, erinnerte ihn diese Frau mit ihrer dunklen Schönheit unwillkürlich an Morticia aus der Fernsehserie -Die Adams Family-. Daher sagte er nur „Ja.“, und nickte verhalten. Das schien die Frau aber nicht zu stören und ohne sich selbst vorzustellen, ließ sie ihn lediglich wissen, dass er ihr folgen solle. Die Eingangshalle war hoch und weit und entsprach genau der Form des Portals. Wände und Decke waren mit vergoldeten, filigranen Elementen, die Johannes an Jugendstil erinnerten geschmückt. Sie gingen einen Flur entlang der nüchtern, holzgetäfelt und eher dunkel war. Einer Treppe in das obere Geschoss folgend, standen sie kurze Zeit später in einem geschmackvoll eingerichteten Zimmer, mit deckenhohen, aber ebenfalls barocken Fenstern, die viel Licht in den Raum ließen und einen wundervollen Blick auf einen enormen Balkon und den sich dahinter erstreckenden See freigaben. Die Einrichtung war sehr modern. Viel Glas und weiße, lackierte Flächen und moderne Gemälde an den Wänden standen im Kontrast zu dem verspielt verlegten Parkettboden, den verschnörkelten barocken Fensterrahmen und der Stuckdecke. In der Mitte des großen Raumes, befand sich ein gewaltiger, gläserner Schreibtisch.
Dahinter saß klein, und irgendwie zusammengesunken, ein alter Mann in einem Rollstuhl. Hager, mit schlohweißem, gut frisiertem Haar, einem soweit man das, bedingt durch die sitzende Haltung sehen konnte, eleganten Anzug und feinen aristokratischen Gesichtszügen, wirkte der Mann in seinem Rollstuhl deplatziert. In der Nase steckten Schläuche, die zu einer Flasche an der Seite des Stuhls führten. Johannes vermutete, dass es sich um Sauerstoff handelte. An der anderen Seite des Stuhls befand sich ein kleines Tablot, auf dem so sah es aus, die Herzfrequenz angezeigt wurde. Ein Herzmonitor? Lediglich die blitzenden, wachen Augen straften den gebrechlichen Eindruck des Mannes Lügen.
Etwas kratzig, als ob er länger nicht gesprochen hätte und kräftiger als erwartet, wurde er von dem Mann im Rollstuhl begrüßt. „Guten Tag Herr Kipnik. Entschuldigen sie, wenn ich nicht aufstehe, aber sie sehen ja, dass ich an dieses Ding hier gefesselt bin.“ Mit einer fahrigen Handbewegung unterstrich er seinen Unmut. Er kennt meinen Namen? Klar, dachte Johannes, als er seine Bewerbungsunterlagen auf dem Tisch vor sich erkannte. „Ich bin Freiherr Artus von Würmelshausen. Mir gehört das Herrenhaus. Und meine Enkelin Susanna Helene von Würmelshausen.“, er deutete wedelnd auf die junge Frau, die ihn hierhergebracht hatte, „Kennen sie ja bereits. Bitte setzen sie sich doch.“ Johannes setzte sich auf einen der beiden freien Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. „Wie sie sehen, geht es mir nicht sehr gut. Aber lassen sie sich von dem hier nicht täuschen. Mein Kopf funktioniert hervorragend.“ Dabei sah er seine Enkelin, so kam es Johannes zumindest vor, provozierend an. Etwas verwirrt blickte Johannes zu der jungen Frau hinüber, die mit vor der Brust verschränkten Armen dastand und ihrem Großvater genervte Blicke zuwarf. „Wie finden sie mein Haus?“ „Es ist beeindruckend.“, entgegnete Johannes. „Könnten sie sich vorstellen, das Haus hier nach meinen Anweisungen in Schuss zu halten? Ich selbst kann es ja nicht mehr alleine, wie sie sehen.“ Johannes überlegte kurz, was sollte er schon groß dazu sagen? „Ja, das kann ich.“ Der Alte von Würmelshausen musterte ihn scharf. „Ich habe in ihrem Lebenslauf gelesen, dass sie bei der Marine Offizier gewesen sind.“ War das jetzt mehr eine Frage oder eine Feststellung, überlegte Johannes und sagte, „Ja genau, zwölf Jahre.“ Der Alte brummte zustimmend und sagte: „Dann haben sie Erfahrung mit Disziplin und Geheimhaltung. Und Gebäudeverwaltung machen sie seitdem sie ihren Dienst bei der Marine quittiert haben?“ „Genau.“, sagte Johannes und nickte zustimmend. Was für ein seltsamer Kauz dachte Johannes noch, als der Alte unvermittelt sagte. „Sie haben die Stellung.“ Und nach einer kleinen Pause, „Wenn sie wollen. Sie wohnen hier im Haus. Im Querflügel steht für sie eine geräumige fünf Zimmer Wohnung zur Verfügung. Sie ziehen mit ihrer Tochter hier ein?“ Völlig verdattert, ob dieser unerwarteten schnellen Entscheidung des Freiherren antworte Johannes stotternd: „Und mit einer Katze.“ Der Mann im Rollstuhl lachte ein heiseres, keckerndes Lachen. „Von mir aus. Sie erhalten das gleiche Gehalt wie bei ihrer letzten Stellung, sparen sich aber die Miete hier. Was halten sie davon?“ Er streckte ihm die Hand entgegen.“ Johannes stand auf, ergriff die dargebotene Hand und so besiegelten sie es.
Der Zug rollte aus dem Bahnhof. Johannes hing seinen Gedanken nach. Was war geschehen? Hatte ihn der Alte überrumpelt? Wieso hatte er überhaupt nichts über ihn, Johannes, erfahren wollen? Und weshalb hatte er, Johannes, sofort zugesagt? Absurd war das. Das Haus allerdings war schon beeindruckend, zumindest das was er bisher davon gesehen hatte. Warum hatte er nicht mehr über das Gebäude in Erfahrung gebracht? Eigentlich wusste er nichts, absolut nichts über das Haus und seine neue Stellung. Hoffentlich ging das gut.
Clara hingegen fand nichts dabei, dass der Freiherr nichts weiter über ihn wissen wollte. „Er hat halt sofort gemerkt, dass du ein toller Typ bist und genau der Richtige für diesen Job.“ Johannes rollte nur mit den Augen. „Und wir wohnen dann in einem richtigen Schloss? Das ist ja irre! Und Basted hat dann enorm viel Platz und kann im Schloss umherstreunen und Mäuse fangen, meinst du nicht?“ -„Das werden wir ja sehen. Ich jedenfalls bin auch auf unsere neue Wohnung gespannt.“
Die Wohnung war einfach nur riesig. Drei Monate später, waren sie mit Sack und Pack umgezogen. Fünf Zimmer verteilten sich auf etwa 150 Quadratmeter, von denen alleine 60 auf das Wohnzimmer entfielen. Überall wertvolle Parkettböden und stuckverzierte Decken. Das Badezimmer war ein Tanzsaal, edel gefliest und die Küche, war modern eingerichtet und mit allem versehen was man sich nur wünschen konnte. Es gab hinter der Küche noch einen Vorratsraum. An das Badezimmer schloss ein Hauswirtschaftsraum an, in dem man eine Waschmaschine, und einen Trockner unterbringen konnte. Zwei Schlafzimmer verfügten über einen angrenzenden kleinen Ankleideraum. Und eines sogar über einen begehbaren Kleiderschrank. „Das ist mein Zimmer!“ verkündete Clara. „Und Basted bekommt das hier.“ Clara deutete auf das Ankleidezimmer. „Dann hat sie ihr eigenes kleines Reich.“ Staunend besichtigten sie ihr neues Zuhause. „Ich glaube wir haben ein Problem.“, meinte Johannes nach einer Weile. Clara sah ihn fragend an. „Warum, was ist denn?“ „Wir haben kaum Möbel, die wir hier reinstellen können.“ Beide lachten. „Das wird schon.“, meinte Clara nur, als Ihre Katze, die sie auf dem Arm durch die Wohnung getragen hatte, plötzlich aufhorchte und mit einem Satz von ihr heruntersprang. „Katze! Bleib hier!“
Doch es war zu spät. Wie ein Blitz flitzte das Tier in den Flur und verschwand aus ihrem Blickfeld. Clara hetze hinterher, doch Basted war schon durch die offenstehende Eingangstür ins Herrenhaus hinausgelaufen. Clara hatte beinahe panisch reagiert, doch nur eine Minute später konnte sie ihre Katze wieder in die Arme schließen. Der Mann, der sie ihr zurückbrachte, war mindestens sechzig, aber wesentlich jünger und vor allem viel rüstiger als der Freiherr. Mit deutlich vernehmbarem italienischem Akzent stellte er sich als Antonio Rossi vor. „Aber ihr könnt Toni zu mir sagen.“, ließ er sie wissen. Er war der Gärtner und Hausmeister des Anwesens. Und irgendwie sah er auch so aus. Er trug einen alten, ausgeblichenen Blaumann und eine grüne Schürze darüber. Der weiße Haarkranz betonte die Bräune seines Kopfes und tiefe, aber freundlich wirkende Falten zeugten von einem Leben an der frischen Luft bei Wind und Wetter. Er war Johannes auf Anhieb symphytisch. „Ich soll sie zu Herr Artus bringen.“, ließ er sie wissen.
Es erinnerte Johannes an Orgelpfeifen, als sie den Raum betraten, den er schon von seinem Einstellungsgespräch her kannten. Antonio, der der Kleinste war, hatte sich zu drei anderen Personen in eine Reihe, ganz an den Anfang gestellt. Und wie schon beim ersten Mal, saß der Freiherr auf seinem Rollstuhl hinter seinem Schreibtisch.
Heute schien es dem alten Herrn besser zu gehen, denn er kam mit seinem elektrisch angetriebenen Rollstuhl um den Tisch herumgefahren, geradewegs auf Clara zu. „Du musst Clara sein.“, begrüßte er Johannes‘ Tochter. „Und wer ist das?“ Seine Stimme war weicher und angenehmer, als Johannes sie in Erinnerung hatte. „Guten Tag Herr von Würmelshausen.“ Clara hatte die Begrüßung zuvor geübt. Einen Herrn von, hatte sie zuvor noch nie kennen gelernt und war etwas aufgeregt gewesen, nun einen echten Freiherrn kennen zu lernen. „Das ist Basted.“, fügte sie an den Mann im Rollstuhl hinzu. „Aha, Basted. Eine gute Wahl für das Tier. Das ist der Name der ägyptischen Katzengöttin. Was für eine Rasse ist es denn, eine orientalische Kurzhaar, nicht wahr?“ Als ob die Katze wusste, dass man über sie sprach, sprang sie aus Claras Armen hinunter auf den Boden und ging geschmeidig mit hoch erhobenem, wiegend tanzendem Schwanz auf Artus zu. Mit einem eleganten Hüpfer sprang sie auf dessen Schoß und rollte sich behaglich zusammen. Johannes und Clara sahen sich erstaunt an. Normalerweise war Basted extrem scheu und ließ sich von niemandem außer Clara und Johannes berühren, oder gar streicheln. Artus legte der Katze eine Hand auf den Rücken und streichelte sie sanft. „Ja, das stimmt. Kennen sie sich mit Katzen aus?“ „Ein wenig.“, antwortete der Alte und lächelte dabei. „Darf ich euch nun die Mitglieder meines Hauses vorstellen? Susi kennen sie ja bereits.“ „Aber Großvater, du sollst mich doch nicht Susi nennen, ich heiße Susanne-Helene.“, wandte die junge Frau ein, die so kam, es Johannes vor, genauso gekleidet war wie