Das Souvenir - Weg des Begehrens | Erotischer Roman - Vera Seda - E-Book

Das Souvenir - Weg des Begehrens | Erotischer Roman E-Book

Vera Seda

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 172 Taschenbuchseiten ... Im Wien der Jahrhundertwende fristet die bildschöne Kyelen ihr karges Dasein als Verkäuferin von Fahrkarten in die weite Welt. Kaum den Schrecken des Waisenhauses entkommen, muss sie sich den Nachstellungen des Bahnhofsvorstehers erwehren. Dann ist da noch der Fremde, dessen dunkle, raue Aura sie gefangen nimmt. Als sie ihre Arbeit verliert und auf die Straße gesetzt wird, ist es dieser Fremde, der sich ihrer annimmt. Kyelen, eine mittellose, junge Frau, und Riccardo, ein Mann aus einer der mächtigsten Familien Roms - wird sie sich seiner Dominanz unterwerfen und sich ihm leidenschaftlich hingeben? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Seitenzahl: 231

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Impressum:

Das Souvenir - Weg des Begehrens | Erotischer Roman

von Vera Seda

 

Vera Seda wurde in Österreich geboren. Sie mag das Leben und die Menschen und lebt unspektakulär und zurückgezogen mit ihrem Mann in der Wiener Region. Mehr als 35 Jahre übte sie einen herkömmlichen Beruf aus und schrieb Geschichten zur Entspannung. Schließlich erfüllte sie sich ihren großen Wunsch und veröffentlichte eine ihrer Geschichten. Manche ihrer Erzählungen könnte das Leben selbst geschrieben haben. Die meisten jedoch sind fantasievolle, einfühlsame, erotische Märchen für Erwachsene. Die reiselustige Vera genießt lange Spaziergänge mit ihrem Golden Retriever Brando, der nie von ihrer Seite weicht.

 

Lektorat: Jasmin Ferber

 

 

Originalausgabe

© 2022 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © christefme @ 123RF.com © pureshot @ 123RF.com

Umschlaggestaltung: MT Design

 

ISBN 9783750715479

www.blue-panther-books.de

Kapitel 1

Es war Herbst geworden. Das Laub fiel geräuschlos von den Bäumen und bedeckte die Straßen und die Wege. Die Nächte waren länger geworden und die Tage kürzer. Kalte Winde fegten über das Land und kündeten von einem schon bald herannahenden kalten Winter.

Kyelen saß in ihrem Kämmerchen und aß ein kleines Stück trockenes Brot. Ein viertel Kilogramm Brot musste jeweils für drei bis vier Tage reichen und Kyelen aß den Rest ihrer Vorräte auf. Heute war Sonntag. Das, was sie noch an Brot hatte, war die Essensration für den ganzen Tag. Morgen konnte sie dann wieder neues kaufen.

Sie würde einen neuen Mantel brauchen, sinnierte sie. Das Geld, das sie gespart hatte, reichte jedoch noch nicht dafür. Vielleicht könnte sie sich von dem nächsten Lohn etwas mehr zurücklegen? Nein, das war kaum möglich. Allein die Miete für die Dienstwohnung brauchte den halben Lohn auf und dabei hatte sie noch nicht das Holz zum Einheizen bezahlt – und sie würde schon bald Holz zum Heizen brauchen.

Kyelen seufzte. Die Turmuhr der nahen Kirche hatte zwei Mal geschlagen, noch eine halbe Stunde, dann war es sechs und ihr Arbeitstag würde beginnen. Sie würde ihren Platz am Bahnschalter einnehmen und für die Reisenden Fahrkarten ausstellen, wie jeden Tag. Es war eine gute Arbeitsstelle. Es machte ihr Spaß, mit den Reisenden zu reden – und von den fernen Städten zu träumen. Paris! Prag! Budapest! Wie modern doch die Zeiten waren. 1901 war für sie ein aufregendes Jahr gewesen. Sie hatte diese Stelle bekommen und die Kunden zeigten sich zufrieden mit ihrer Arbeit. Kyelen lächelte. Wie gut es ihr jetzt doch ging. Das war nicht immer so gewesen – und doch hatte sich das Leben zum Guten gewendet.

Fast. Der einzige Wermutstropfen war der Bahnhofsvorsteher. Er stellte ihr unmissverständlich nach und sie hatte ihre liebe Not, ihn von sich fernzuhalten.

Vor zwei Tagen hatte sie sich gerade noch vor seiner Zudringlichkeit retten können. Er hatte ihr im Treppenhaus aufgelauert. Hatte sie gepackt und am ganzen Körper berührt.

»Du willst es doch auch«, hatte er gekeucht, während er versucht hatte, sie zu küssen.

Sie hatte ihn zwischen die Beine getreten und den Moment des Schmerzes ausgenutzt, um vor ihm zu flüchten.

Am Folgetag war er unpässlich gewesen. Aber heute würde sie ihm wieder gegenübertreten müssen. Sie hoffte, dass er sie ab jetzt in Ruhe lassen würde.

Nein, sie war weder prüde noch uninformiert in derlei Dingen. Ein Mädchen, das im Waisenhaus aufgewachsen war, hatte ihre einschlägige Erziehung erhalten. Wohlmeinende, hochrangige Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft scheuten sich nicht, Jugendliche aus dem Waisenhaus für gewisse Dienste anzumieten und das Waisenhaus mit einer hohen Spende zu bedenken, wenn diese speziellen und ausgefallenen Dienste wohlgefällig gewesen waren. Das brachte die Erzieherinnen dazu, wegzusehen und zu schweigen. Und wenn die Dienste nicht gefällig gewesen waren, dann wurde dem Zögling sein Fehlverhalten im Waisenhaus unmissverständlich klargemacht.

Auch Kyelen hatte derlei Gefälligkeiten unfreiwillig leisten müssen. Sie ekelte sich vor sich selbst, wenn sie daran dachte, wozu sie gezwungen worden war. Erinnerungen stiegen in ihr auf und sie schluckte die gleichzeitig aufsteigende Galle entschieden hinunter. Das war vorbei. Sie wollte nie wieder das Opfer eines Mannes werden. Auch nicht das ihres Vorgesetzten.

Sie richtete sich auf, als sie merkte, wie sehr sie zusammengesunken war. Es war Zeit, in die Bahnhofshalle zu gehen.

Kyelen lenkte ihre Gedanken auf den kommenden Arbeitstag. Manche Reisende nahmen immer wieder den gleichen Zug und nicht selten wusste sie schon am Morgen, dass manche Personen wahrscheinlich an diesem Tag zu ihr kommen würden.

Ob ER heute kommen würde? Er fuhr an jedem letzten Sonntag eines geraden Monats aus Wien zurück in seine Heimatstadt. Es war Oktober. Eigentlich sollte er kommen und eine Fahrkarte nach Rom kaufen. ROM, die Ewige Stadt! Wie gerne würde sie einmal nach Rom reisen! Aber bei ihren spärlichen Einkünften würde das wohl eher ein Wunschtraum bleiben.

Sie wiederholte im Gedanken die wenigen italienischen Worte, die sie bereits gelernt hatte. Auf dem Flohmarkt hatte sie Bücher gefunden. Es war ein italienisches Wörterbuch und ein Sprachbuch für Englisch. Abends lernte sie in ihrer Kammer diese beiden Sprachen. Da sie aber nicht wusste, ob sie das, was sie übte, richtig aussprach, getraute sie sich nur selten, ihre Kenntnisse anzuwenden.

In der Bahnhofhalle war es kalt. Sie heizte den kleinen Ofen an. Dann zog sie die Rollläden des Schalters nach oben und sperrte die Tür auf. Ein neuer Arbeitstag hatte begonnen. Da nur wenige Leute an diesem Tag mit dem Zug fahren wollten, hatte sie Zeit, an den geheimnisvollen Fremden zu denken, von dem sie hoffte, er würde an diesem Tag von Wien nach Rom reisen. Er habe geschäftlich in Wien zu tun, hatte er ihr einmal augenzwinkernd verraten.

Er sah verboten aufregend aus. Sein schwarzes Haar trug er etwas länger, als die Mode es gerade vorgab. Meist hatte er es im Nacken zusammengebunden. Seine dunklen Augen funkelten wach und er schien interessiert zu sein an allem, was er zu Gesicht bekam.

Kyelen dachte an die netten Gespräche, die sie im Laufe des Jahres geführt hatten. Sie hatte sich auf diesen Arbeitstag gefreut. Natürlich war ihr klar, dass sie zu unbedeutend, zu unscheinbar, zu arm für diesen Mann von Welt war. Aber ein wenig zu träumen wollte sie sich erlauben. Diese Träume waren es, die sie wärmten und ihr eine bessere Welt als die, in der sie lebte, vorspielten.

Wie es sich wohl anfühlen würde, würde sie seine Hände berühren? Natürlich war das völlig unschicklich. Es wäre auch unschicklich, ihm länger als nötig direkt in die Augen zu schauen. Kyelen fragte sich, ob sie überhaupt den Mut dazu aufbringen könnte. Würde sie es tun? Würde sie ihm lange in die Augen schauen?

Der Fremde war immer gut gekleidet. Sein Gewand war aus feinem Tuch. Ganz sicher war dieser Mann mit wichtigen Ämtern betraut. Und sehr wahrscheinlich war er verheiratet. Ein Mann, der so aussah, war ganz bestimmt verheiratet und hatte Kinder. Das war einfach so. So war das Leben. Außerdem war er älter als sie. Ja, es konnte gar nicht anders sein, er hatte sicher längst eine Familie gegründet.

Ein Mann kaufte eine Fahrkarte für seine Familie und ihn nach Graz. Ah, der Zug würde in einer viertel Stunde abfahren. Mittlerweile standen mehrere Leute in der Schlange vor ihrem Schalter. Kyelen arbeitet schnell. Linz, Salzburg. Sogar nach Zürich wurden Fahrkarten gekauft. Das wurde ja doch noch ein Reisetag. Der Zug nach Budapest fuhr in einer Stunde ab. So viele Menschen wollten heute dahin? Ah … der Kaiser sei dort, berichtete ein Mann. Der Kaiser, ohne seine Kaiserin Elisabeth! Kyelen hatte sie einmal gesehen. Diese schöne Frau hatte sie fasziniert. Sie trug so viel Stärke in sich und so viel …

Kyelen fehlte das Wort. Stärke – und Würde. Ja, Würde. Aber … da war noch etwas. Das Können, sich in Gesellschaft zu unterhalten, zu bewegen, Haltung zu bewahren. Alles Dinge, die Kyelen nicht kannte. Die sie aber faszinierten. Kyelen hatte die Kaiserin Elisabeth aus tiefstem Herzen verehrt. Gerne hatte sie die Geschichten über sie gehört. Und dann war die Kaiserin ermordet worden. Vor drei Jahren. Sie war noch immer traurig, wenn sie an dieses sinnlose Verbrechen dachte.

Als es Mittag wurde, kam der Bahnhofsvorsteher in die Halle. Er bedachte Kyelen mit einem finsteren Blick. Oje, er war ihr wirklich böse. Kyelen spürte Angst vor dem Mann in sich aufsteigen. Sie wohnte im gleichen Haus wie er. Was wäre, würde er gewaltsam in ihre Kammer eindringen und sie zu Dingen zwingen, die sie nicht bereit war, mit ihm zu teilen?

Der Tag verging schnell. Es begann bereits zu dämmern und Kyelen war froh, dass sie um sieben Uhr abends würde schließen können. Ob der Fremde noch kommen würde, war ungewiss. Wer wusste, ob er überhaupt noch einmal nach Wien gekommen war? Sie war eine Närrin. In ihren Wunschträumen jagte sie einer Geschichte nach, die es sowieso nie geben konnte. Nicht für sie.

Die wenigen netten Gespräche und die Blicke, die sie ausgetauscht hatten, mit denen dieser Fremde in ihrem Inneren gelesen zu haben schien, waren mehr, als sie hatte erwarten können. Sie beschloss, damit zufrieden zu sein. Aber – irgendwie tat ihr genau dieser Entschluss tief im Herzen weh.

Sie würde sich vorstellen, diesen Mann wiederzutreffen. Und in ihren Träumen würde sie sich erlauben, ihm nahe zu sein. Träume schenkten ihr das, was das Leben ihr niemals geben würde. Sie beschwor das Bild des Fremden in ihrer Erinnerung herauf.

Kapitel 2

Die kalte Stimme ihres Chefs riss sie aus ihren Gedanken. »Kyelen, du bist ab heute Abend fristlos entlassen. Du kleine Metze machst hier deinen Dienst bis sieben Uhr fertig, dann begibst du dich in deine Wohnung und packst alles zusammen, was dir gehört. Um acht Uhr will ich dich nicht mehr hier sehen, hast du mich verstanden?« Seine Augen waren auf sie gerichtet und ein gemeines Lächeln umspielte seinen Mund.

»Heute weg? Aber …«, Kyelen sah ihn entgeistert an. »Wo soll ich denn hingehen?«

»Dir wird doch was einfallen. Weiber wie du finden schon einen Schlafsack für die Nacht.« Er fuhr mit dem Zeigefinger der rechten Hand durch ein mit den Fingern geformtes O der linken Hand und machte obszöne Bewegungen.

»Kann ich bitte bis morgen früh bleiben?«, fragte sie leise.

»Du kennst die Bedingungen. Wenn du bleibst, dann nur im Keller, nicht in der Kammer«, knurrte er leise.

Sie straffte die Schultern. »Nein«, sagte sie leise. »Ich werde um acht Uhr weg sein.«

»Leichte Mädchen finden immer eine Bleibe, das weißt du doch?« Er kam ihr näher, als es ihr lieb war. Auch war seine Stimme lauter geworden.

»Bitte, belästigen Sie mich nicht mehr«, sagte sie mit fester Stimme.

»Du hast dich mir angeboten«, schnaubte er.

»Das ist eine Lüge«, sie blickte zu ihm auf.

»Mach deine Arbeit und verschwinde dann«, sagte der Mann, drehte sich um und ging weg.

Kyelen blickte auf und sah, dass sich Menschen am Schalter versammelt hatten, die Fahrkarten kaufen wollten. Sie errötete. Diese Leute hier hatten offensichtlich einen Teil des Gespräches zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten gehört.

Die Szene war so peinlich. Sie blickte auf die Uhr. Es war schon halb sieben! Jetzt war sie dazu gezwungen, die letzte halbe Stunde noch durchzuhalten und um sieben Uhr ihren Dienst zu beenden – und diesen Menschen, die alles mitangehört hatten, gegenüberzutreten.

Sie straffte ihre schmalen Schultern und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. Mechanisch wickelte sie den Verkauf der Fahrkarten ab.

Auf das schmierige Grinsen eines älteren Herrn, der ihr anbot, sie für eine unvergessliche Nacht bei sich aufzunehmen, wenn sie bereit sei, ihm ein paar Gefälligkeiten zu gewähren, reagierte sie mit einem unverbindlichen Lächeln.

»Es tut mir leid, ich bin schon vergeben. Machen Sie sich keine Gedanken, ich habe eine Bleibe. Danke für Ihr Angebot, mein Herr.«

Kapitel 3

Als der letzte Kunde herantrat, den Kopf hob und den Zylinder abnahm, atmete Kyelen laut ein. Der Fremde aus Rom stand vor ihr. Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf. Auch er hatte also die Kündigung, die ihr lautstark und theatralisch mitgeteilt worden war, mitbekommen. Wie überaus peinlich! Ausgerechnet jetzt musste er hier sein, um ihre Schande mitzuerleben! Sie senkte kurz den Kopf und drängte ihre Tränen zurück.

»Guten Abend«, sagte sie endlich leise und zwang sich zu einem Lächeln.

»Buona sera, Bella«, sagte die vertraute Stimme.

»Un biglietto del treno da Vienna a Roma, Signor?«, fragte sie leise und leitete ihre gewohnte Kommunikation ein.

»Ich fahre heute zum letzten Mal diese Strecke«, sagte der Fremde. Seine Hand griff nach vorn. Er legte seinen Zeigefinger an Kyelens Kinn und hob ihren Kopf so weit an, dass er ihr in die Augen sehen konnte.

Kyelen hielt den Atem an und zwang ihre Tränen zurück. Das letzte Mal!

Der prüfende Blick des Fremden lag auf ihr. Kyelen versuchte ihre Traurigkeit über diese schlechte Nachricht zurückzudrängen. Es war egal, wie oft er noch aus Wien nach Rom reisen würde. Sie würde ohnehin nicht mehr am Schalter sitzen. Aber du hast ihn noch einmal sehen dürfen, sagte sie sich.

»Wohin können Sie gehen?«, fragte der Fremde.

Sie schwieg und er erkannte, dass sie den Mann davor angelogen hatte.

»Wo leben Ihre Eltern?«, fragte er sie.

»Sie sind nicht mehr am Leben«, gestand sie leise. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sie es ihm gesagt hatte. Dann zwang sie sich, weiterzuarbeiten.

»Wollen Sie ein Schlafabteil, wie immer?«, fragte sie mechanisch, als er sie nicht losließ. Ihre Lippen bebten. Diese wunderschönen, vollen Lippen, nach denen er sich verzehrte. Die er nie wieder betrachten würde können, wenn sie jetzt von hier weggehen würde. Es kam ihm in den Sinn, dass er ihr nie wieder begegnen würde.

»Ah … mein Herr, lassen Sie sich nicht in die Irre führen. Diese junge Dame schafft es sehr gut, von einem Mann zum anderen zu wandern. Sie ist wie eine Katze. Sie fällt immer auf die Beine«, sagte plötzlich der Bahnvorsteher neben ihr. »Es ist sieben Uhr, Kyelen. Schließe ab und mach’, dass du weiter kommst«, knurrte er. In seinem Blick lag so viel Hass, dass Kyelen erschrak.

Der Fremde zwang ihren Blick wieder zu sich.

»Sie sind tatsächlich vergeben?«, fragte er sie.

»Ich habe mein Herz verschenkt«, wich sie seiner Frage aus. Ihre Stimme war kaum zu hören.

»An viele Männer, mein Herr. An viele Männer«, meinte der Bahnvorsteher.

»Eine Karte nach Rom im Schlafwagen?«, wiederholte Kyelen ihre Frage.

»Zwei Karten. Ich reise heute nicht allein. Meine Frau begleitet mich«, sagte der Fremde und zwang ihren Blick zu seinen Augen. Er las es sofort darin, dass sie innerlich zusammenbrach.

Der Fremde war verheiratet! Kyelens Herzschlag setzte aus. Sie schloss die Augen und konnte nicht mehr verhindern, dass eine Träne über ihre Wange lief. Der Fremde fing sie mit seinem Zeigefinger auf. Aber sie hatte es ja ohnehin vermutet. Warum stellte sie sich denn jetzt so dumm an? Ärger über sich selbst stieg in ihr auf.

»Ist das Abteil für frischvermählte Ehepaare frei?«, fragte er.

Kyelen machte sich los und blätterte in ihren Aufzeichnungen.

»Si, Signor«, sagte sie. »Ich kann Ihnen das Abteil noch anbieten. Sie und Ihre Frau Gemahlin werden damit zufrieden sein.« Ihre Stimme versagte fast.

Sie nannte eine für sie unvorstellbar hohe Summe. So viel Geld hatte sie noch nie besessen. Der Mann zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie überreichte ihm die Karten.

»Das Abteil ist in der Mitte des Zuges. Gleich neben dem Speisewaggon. Es ist im Preis enthalten, dass die Speisen, welche Sie bestellen, in Ihren Waggon gebracht werden. Für das Essen bezahlen Sie nicht mehr extra. Ich wünsche Ihnen und Ihrer werten Frau Gemahlin eine angenehme Reise. Und … alles Glück der Welt. Auguri.«

Ihr Lächeln wirkte auf eine gewisse Weise traurig, aber er las in ihrem Gesicht auch, dass sie ihm wirklich aus tiefstem Herzen alles Gute wünschte. Er verneigte sich, griff nach der Hand, die ihm den Fahrschein reichte, und zog sie an seine Lippen. Die Berührung seiner Lippen auf ihrem Handrücken ging wie einen Stromschlag durch ihren Körper.

Er fühlte ihr Beben und empfand ähnlich. Sie war empfänglich für seine Gefühle, auch wenn sie sich einem anderen versprochen hatte.

»Werden Sie Aufnahme finden?«, fragte er sie leise.

Sie antwortete nicht, aber schüttelte kaum merkbar den Kopf. Er nickte. Wer immer der Mann war, dem sie sich versprochen hatte, er würde sie nicht bei sich aufnehmen. Er würde ihr keinen Schutz bieten, ihr nicht den Platz an seiner Seite erlauben. Weil er sie wahrscheinlich bereits in seinem Bett liegen gehabt hatte und sie nun fallen ließ. Oder weil er es gar nicht wusste, in welcher Situation sie war? Der Fremde wusste nichts von dieser Frau und ihrem Leben.

»Es tut mir leid, wir schließen«, sagte der Bahnvorsteher und begann, den Rollladen nach unten zu schieben.

»Auguri«, hauchte sie und zog die Hand zurück.

Der Fremde stand noch eine kleine Weile vor dem nun verschlossenen Schalter und ärgerte sich über die Unfreundlichkeit des Bahnvorstehers.

Er hörte Kyelens Stimme. »Darf ich bitte meinen Lohn haben?«

»Du hast dir keinen verdient, Flittchen. Mach das, was du am besten kannst. Geh in den Prater und suche dir eine Bleibe oder einen Freier für die Nacht. Und jetzt scher dich zum Teufel. Wenn du in einer halben Stunde noch da bist, hole ich die Polizei.«

»Aber … Sie haben doch gesagt, dass ich bis acht Uhr …«, setzte Kyelen an.

»Du sollst verschwinden«, knurrte der Mann.

Kyelen rannte los. Sie hatte nicht viel, aber sie musste dennoch versuchen, so viel zu retten, wie sie tragen konnte.

Sie brauchte exakt fünfundzwanzig Minuten dazu, ihre wenigen Habseligkeiten in einen Koffer zu packen. Das Wenige, das nicht hineinpasste, legte sie in ein Tuch und schnürte sich ein Bündel, das sie um ihre Schultern band.

Etwas verloren fand sie sich auf dem Bahnsteig wieder. Sehnsüchtig schaute sie auf die Züge.

Warum hatte sie sich nicht ebenfalls ein Ticket ausgestellt, kam es ihr in den Sinn. Sie hätte es tun sollen, denn ein Stück weit wäre sie gekommen … Nur so weit, wie ihr Erspartes gereicht hätte … Vielleicht wäre es Innsbruck gewesen? Oder Prag? Oder …

Sie atmete die kalte Winterluft ein. Ihr dünner Mantel hielt die Kälte nicht von ihrem Körper fern. Sie beschloss, dem Nachtzug nachzusehen, der in wenigen Minuten abfahren würde. Es war ja so etwas wie ein Abschied für immer …

Überrascht sah sie auf den Mann, der mit raschen Schritten auf sie zukam. Es war der Fremde, der die Zugkarten nach Rom gekauft hatte. Jetzt, da sie ihm gegenüberstand, kam er ihr noch viel größer vor als am Schalter.

»Da sind Sie ja endlich, Bella.«

Er lächelte ihr freundlich zu. Er lächelte sie tatsächlich an! Wie schön sein Gesicht war, wenn er lächelte!

»Ich habe mir schon Sorgen gemacht, Sie würden nicht rechtzeitig fertig werden«, sagte er und griff nach ihrem Koffer, der neben ihr auf dem Boden stand.

»Ist das alles, was Sie mitnehmen?«, fragte er überrascht.

Sie starrte ihn nur an.

»Darf ich Sie bitten, mir zu folgen?«, sagte er und bot ihr seinen Arm an.

»Mein Herr, ich glaube, Sie verwechseln mich«, hauchte sie.

»Nein, Kyelen. Ich möchte Sie mit mir nach Rom nehmen«, antwortete er. »Sie wurden eben vor die Tür gesetzt und haben Ihre Arbeit verloren. Ihnen wurde nicht einmal mehr Ihr Lohn ausbezahlt. Und ich bin das letzte Mal in dieser Stadt für lange Zeit. Da ich mir immer ein Souvenir mitnehme, wenn ich eine Stadt verlasse, habe ich mich entschieden, Sie aus Wien mitzunehmen.« Er griff nach ihrem Ellbogen und zog sie mit sich. »Beeilen Sie sich, der Zug fährt gleich ab.«

Das war keine Bitte, sondern ein höflich formulierter Befehl. Sie stiegen in den Zug ein und betraten den Waggon mit der Hochzeitssuite. Ein großes Ehebett dominierte den Raum. Die Wände waren mit Spiegeln ausgestattet und auch am Waggondach spiegelte sich das Licht in einem Spiegel, der über dem Bett angebracht war. Der Waggon wirkte dadurch riesengroß und das Licht wurde hundertfach reflektiert und ließ den Raum erstrahlen.

Kyelen errötete. »Bitte, da liegt ein Missverständnis vor«, ihre Stimme versagte fast.

Der Fremde schloss die Tür hinter sich und versperrte sie. Den Schlüssel zog er ab und steckte ihn in seine Westentasche.

»Kyelen, es ist geheizt, Sie können den Mantel ausziehen«, sagte er. Auch das war ein Befehl.

»Bitte«, hauchte sie. »Bitte, lassen Sie mich gehen.«

»Kyelen, möchten Sie Ihren Liebhaber aufsuchen?«, fragte der Fremde. Sein Blick bohrte sich in ihre Augen.

»Nein, mein Herr«, sagte sie ehrlich.

»Wohin würdest du gehen?«, fragte er sie. Er wechselte plötzlich zum Du, wenn er mit ihr sprach. Für beide fühlte es sich richtig an.

»Ich weiß es nicht«, gab sie bebend zu.

»Dann komm mit mir, bitte«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme.

»Aber Ihre Frau …«, sie blickte um sich und sie wirkte verloren … verzweifelt.

»Ich habe keine Frau«, stellte er richtig.

»Aber, Sie sagten doch am Schalter …«, sie blickte wieder in seine Augen.

»Ich weiß, was ich gesagt habe. Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte es dem Bahnvorsteher gesagt, dass ich dich mit mir nehmen wollte?« Er lächelte.

Sie schüttelte den Kopf. Was hatte er da eben gesagt?

»Kommst du mit?«, fragte er sie.

Sie hörte eine Trillerpfeife und dann setzte sich der Zug in Bewegung. Sie atmete laut ein, sah sich um. Sie wirkte gehetzt.

»Möchtest du nicht einmal andere Städte sehen?«, lockte er sie. Obwohl es nicht mehr nötig war, sie zu überzeugen. Sie war hier bei ihm im Waggon. Die Tür war abgesperrt. Er hatte den Schlüssel eingesteckt und der Zug fuhr bereits ab. Er würde erst an der Grenze halten. Sie gehörte ihm!

»Ich kenne Sie doch nicht, mein Herr«, flüsterte sie.

Er verbeugte sich und nahm ihre Hand. »Wie überaus unfreundlich von mir, Kyelen. Ich bin Riccardo Bonafini«, sagte er.

»Kyelen Schweitzer«, hauchte sie. »Sehr angenehm.«

»Ich weiß«, grinste er.

»Wirklich?«, sie war überrascht.

»Es stand auf dem Schild beim Schalter.«

Er grinste und zeigte auf den Mantel. Sie zog ihn langsam aus. Er hing ihn im Eingangsbereich auf. Dieses alte Ding würde sie nicht mehr brauchen, beschloss er bei sich.

Der Zug schaukelte nun deutlich mehr, als er Geschwindigkeit gewann, und sie verlor den Halt. Bonafini fing sie auf, bevor sie stürzte. Wie zart sie war! Er wartete, bis sie wieder fest auf ihren Beinen stand.

»Ich kann Ihnen die Karte nicht bezahlen«, sagte sie leise. »Aber ich kann arbeiten und …«

»Du brauchst sie nicht zu bezahlen«, antwortete er. Seine Stimme war ungewöhnlich sanft.

»Aber diese Karte kostet ein Vermögen, mein Herr«, antwortete sie verwirrt.

»Ich kann sie mir leisten«, antwortete er.

Sie senkte den Blick. »Ich kann mir … wohin fahre ich eigentlich? Wirklich nach Rom?«

Sie blickte auf zu ihm. Es war unglaublich. Sie war im Zug nach Rom – die Karten hatte sie ja selbst ausgestellt!

Er nickte.

»Kann ich … ich muss mir in Rom eine Arbeit suchen. Können Sie mir behilflich sein?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Willst du für mich arbeiten?«, fragte er leise.

»Welche Stelle bieten Sie mir an?« Unsicher blickte sie ihn an. Sie würde ihn weiterhin sehen können! Freude stieg in ihr auf.

»Welche würdest du denn annehmen?«, wollte er wissen.

»Eigentlich jede«, sagte sie.

»Jede?«, er zog eine Augenbraue in die Höhe.

»Fast«, schränkte sie schnell ein. Ihr Atem wurde schneller.

»Fast?«, fragte er. Die Andeutung eines Lächelns legte sich um seinen Mund.

»Ja«, antwortete sie leise.

»Welche Arbeit würdest du nicht tun?«

Wieder rumpelte der Zug, als er in eine Kurve fuhr und dieses Mal verlor sie endgültig das Gleichgewicht. Sie stürzte auf den Boden. Er kniete sich neben sie.

»Hast du dich verletzt?«, fragte er besorgt.

Sie stöhnte auf, als ihr Kopf bei der nächsten schlitternden Bewegung am Boden aufschlug. Zischend sog sie die Luft ein und schloss die Augen. Sie fühlte, dass er sie anhob und sie auf die Füße zog. Dann schob er sie auf das Bett zu.

»Nein«, sie versuchte, ihn abzuwehren.

»Du hast dir wehgetan. Leg dich her, ich will es mir ansehen«, befahl er.

Sie gehorchte mit geschlossenen Augen.

Er fühlte die leicht erhabene Stelle an ihrem Kopf.

»Eine Beule. Es scheint sonst nichts zu sein«, sagte er.

»Danke«, murmelte sie und versuchte, sich aufzusetzen.

Doch er hielt sie zurück.

»Bitte, nicht«, hauchte sie.

»Weshalb nicht?«, fragte er. »Wir haben die ganze Nacht und den halben Tag bis morgen zum frühen Nachmittag. Wir sollten diese Zeit nutzen. Die Reise nach Rom kann in diesem Waggon ausgesprochen angenehm sein, Kyelen.«

»Ich bin … nicht das, was der Bahnhofsvorsteher angedeutet hat«, flüsterte sie.

»Du meinst, du bist keine Frau, die sich einfach nur so Männern hingibt?«, fragte er.

Sie nickte.

»Wieso sprach der Mann so schlecht über dich?«, wollte er wissen.

Kyelen schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Können wir bitte das Thema wechseln?«, bat sie.

»Wo hast du bisher gewohnt?«, fragte er, während er sich neben sie legte. Seine Jacke hatte er ausgezogen.

»Ich hatte eine Dienstwohnung«, erzählte sie ihm, aber das hatte er ja bereits erfahren.

»Und davor?«, fragte er.

»Ich bin im Waisenhaus groß geworden …«, gab sie nach einer Weile zu. »Als ich diese Stelle bekam, wurde mir auch eine Dienstwohnung bewilligt.«

»Und du hast einen Liebhaber gehabt?«, fragte er weiter.

Sie errötete. »Ich … Es gibt einen Mann, der mir sehr viel bedeutet«, wich sie aus.

Er nickte. Es war eigentlich unbedeutend. Diese Frau war ausnehmend schön und er durfte nicht erwarten, dass das noch keinem anderen Mann aufgefallen war.

»Wie alt bist du?«, forschte er weiter.

»Ich werde bald einundzwanzig«, antwortete sie.

»Wann genau ist bald?« Sie war noch so jung. Sie war zurzeit auf jeden Fall noch minderjährig.

»In … fünf Monaten«, gestand sie leise und senkte den Blick. Ihre Wangen röteten sich noch mehr.

»Und wer schickte dich arbeiten?«

»Das Waisenhaus war übervoll und diejenigen, die gute Erfolge darin hatten, das Schreiben und Rechnen zu erlernen, wurden mit guten Beurteilungen zu Dienstgebern geschickt. Ich habe diese Stelle hier erhalten.«

»Wie lange arbeitest du schon am Bahnhof?« Er wollte alles von ihr wissen.

»Seit einem Jahr«, antwortete sie und sah ihm unverwandt in die Augen.

»Und wer hat dich eingestellt?«, fragte er.

»Der Bahnhofsvorsteher«, sie befeuchtete ihre Lippen. »Er war anfangs sehr freundlich.«

»Und als du seinen Werbungen, dich ins Bett zu bekommen, nicht nachgekommen bist, war er das nicht mehr«, ergänzte er.

»So ungefähr. Er hatte mit einigen Frauen … Beziehungen. Mit der Küchenmagd vergnügt er sich regelmäßig im Keller. Dazu hat er ein kleines Kellerabteil eingerichtet …«, erzählte Kyelen.

»Weshalb weißt du das?«, er hob eine Augenbraue. Sie hatte doch nicht etwa …

»Ich habe … die beiden entdeckt, als ich meine Wäsche gewaschen und im Wäscheraum aufgehängt habe. Ich bin auf dem Weg zurück in meine Wohnung gewesen. Da habe ich Schreie gehört. Ich habe zuerst gedacht, dass sich jemand verletzt hätte, und ich habe die Stelle gesucht, woher die Schreie kamen, denn ich hatte helfen wollen. Aber, dann … habe ich entdeckt, es hatte sich gar niemand verletzt.« Sie senkte den Blick.

»Sondern?«, seine Augen glühten.

»Es wurde jemand geschlagen …«, ihre Wangen leuchteten dunkelrot.

»Du hast … zugesehen?«, fragte er sie.

Sie schluckte.

»Nicht lange«, gab sie zu.

Er grinste. »Neugieriges Mädchen.«

»Aber auch, nachdem der Bahnhofsvorsteher die Küchenmagd nicht mehr geschlagen hat, stöhnte sie. Er hatte sie benutzt, wie es Männer mit Frauen machen. Es hat so ausgesehen, als sei ihr nicht alles unangenehm gewesen, was er getan hat. Und es hat mir in mancher Hinsicht ein wenig die Angst vor dem, was zwischen Mann und Frau sein kann, genommen …«, flüsterte sie.

»Hast du Angst davor?«, wollte er wissen.

»Das … kommt darauf an, mit wem … und auf welche Weise …«, sie sprach nicht weiter.

Er strich eine Strähne ihres langen blonden Haares, das sich aus ihrem dicken, schweren Zopf gelöst hatte, aus ihrem Gesicht und betrachtete es. Sie schien ihm feenhaft schön. Die vollen Lippen, die kleine, gerade Nase, die geröteten Wangen und diese strahlend blauen Augen.

»Du hast länger als nur ein wenig zugesehen, nicht wahr?«, fragte er.

»Die Darbietungen hatten sich ja regelmäßig wiederholt. Nein, ich habe immer nur kurz zugesehen, aber … oftmals. Mindestens drei Mal pro Woche hat der Bahnhofsvorsteher das Mädchen in den Keller gebracht.«

Konnte es sein, dass sich ihre Wangen noch dunkler färbten?