Das Tao des David Bowie - Mark Edwards - E-Book

Das Tao des David Bowie E-Book

Mark Edwards

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Beschreibung

David Bowie war nicht nur ein außergewöhnlicher Künstler, sondern sein Leben lang auf der Suche nach dem tieferen Sinn. Der Buddhismus war von zentraler Bedeutung für ihn, doch er bezog auch weitreichende Erkenntnisse aus anderen Quellen wie dem Taoismus, dem Zen und der Kabbala. Mark Edwards fasst die Ideen, die zu David Bowies Leitstern wurden, zu zehn kraftvollen Lektionen zusammen. Begleitet von zahlreichen Übungen, Meditationen und Techniken, kann Bowies Pfad zu den klügsten Lehren der Welt uns als Inspiration für ein besseres Leben dienen.

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Buch

David Bowie war nicht nur ein außergewöhnlicher Künstler, sondern sein Leben lang auf der Suche nach dem tieferen Sinn. Der Buddhismus war von zentraler Bedeutung für ihn, doch er bezog auch weitreichende Erkenntnisse aus anderen Quellen wie dem Taoismus, dem Zen und der Kabbala. Mark Edwards fasst die Ideen, die zu David Bowies Leitstern wurden, zu zehn kraftvollen Lektionen zusammen. Begleitet von zahlreichen Übungen, Meditationen und Techniken kann Bowies Pfad zu den klügsten Lehren der Welt uns als Inspiration für ein besseres Leben dienen.

Autor

Mark Edwards hat zwei berufliche Standbeine: Er ist Journalist und Life-Coach. Zu Beginn seiner journalistischen Karriere schrieb er für Magazine wie The Face, Arena, GQ, Esquire und Blitz. Seine Texte erscheinen seit 25 Jahren nahezu jede Woche in der Sunday Times. Zwölf Jahre war er der führende Popmusikkritiker der Zeitung.

Als Life-Coach hilft er seinen Klientinnen und Klienten, ein sinnerfüllteres Leben zu führen, sowie einigen der erfolgreichsten britischen Unternehmen, künftige Führungskräfte zu fördern und auszubilden. Seine gesamte Arbeit ist von Achtsamkeit und buddhistischen Erkenntnissen geprägt.

In seinem Buch Das Tao des David Bowie verschmelzen beide Berufe.

Mark Edwards

Das Tao des David Bowie

Seine 10 Lektionen für ein besseres Leben

Aus dem Englischen von Andrea Panster

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »The Tao of Bowie: 10 Lessons from David Bowie’s Life to Help You Live Yours« bei Allen & Unwin, London.

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Deutsche Erstausgabe Juli 2022

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2021 der Originalausgabe: Allen & Unwin, London

Copyright © Mark Edwards, 2021

Illustrationen: www.benstudios.co.uk

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv nach einer Gestaltung von Noma Bar

Redaktion: Nadine Lipp

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

SC ∙ CB

ISBN 978-3-641-27398-9V001

www.goldmann-verlag.de

Inhalt

Einführung

Kapitel 1: Anfänge

Kapitel 2: Bedürfnisse

Kapitel 3: Masken

Kapitel 4: Sucht

Kapitel 5: Gedanken

Kapitel 6: Hölle

Kapitel 7: Schatten

Kapitel 8: Heroes

Kapitel 9: Liebe

Kapitel 10: Where Are We Now?

Dank

Quellen und weiterführende Literatur

Sachregister

Personenregister

Einführung

Worum es geht

In diesem Buch geht es zum Teil um David Bowie. Aber vor allem geht es um dich.

Das Konzept ist einfach. David Bowies lebenslanger Weg der Selbstfindung kann dir als Vorlage dienen. Die kraftvollen Ideen, die Bowie fasziniert und seine Arbeit, seine Karriere und sein Leben geprägt haben, können auch dir zu einem glücklicheren und sinnerfüllteren Leben verhelfen. Auch du kannst mithilfe der Übungen in diesem Buch den Weg der Selbstfindung beschreiten und über Bowie Zugang zu einigen der weisesten Lehren der Welt finden.

Warum David Bowie?

Bowie war eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten im Kulturbetrieb des letzten Jahrhunderts. Doch hinter dem selbstbewussten, charismatischen Künstler, den er in der Öffentlichkeit gab, verbarg sich ein Mensch, der sich als junger Mann verloren und isoliert gefühlt hatte, der nicht gewusst hatte, wo er hingehörte; der weder zu lieben vermochte noch geliebt zu werden. Und dennoch wuchs und entwickelte er sich weiter, bis er sein Glück fand, die Liebe in sein Leben ließ und sich später, am Ende seines Lebens, seiner tödlichen Krankheit so tapfer stellen konnte, dass es ihm gelang, ein letztes Meisterwerk über den eigenen Tod zu erschaffen – das Blackstar-Album.

Mit diesen Facetten des David Bowie werden wir uns in diesem Buch beschäftigen. Nicht mit dem schönen, charismatischen und talentierten internationalen Superstar, sondern mit dem schüchternen jungen Mann, der mit den Herausforderungen des Lebens zu kämpfen hatte, der einsam, orientierungslos und verzweifelt auf der Suche nach Unterstützung, Hilfe und Rat war.

Wenn das Leben manchmal schwer für dich ist, wenn du nicht so recht weißt, wo du hingehörst, warum du auf der Welt bist oder welchen Zweck dein Leben hat, dann ist Bowies Geschichte auch deine Geschichte. Und du kannst von seinem Vorbild lernen.

Wie gelang es Bowie, seinem Leben eine neue Richtung zu geben? Zu wachsen und zu reifen? Die Schwierigkeiten zu überwinden, die ihn als jungen Mann beinahe umgebracht hätten, um stärker und glücklicher daraus hervorzugehen?

Wir können diese Fragen stellen, weil Bowie immer sehr offen über die Ideen und Philosophien gesprochen hat, die ihm als Grundlage seiner persönlichen Entwicklung gedient haben – über den bunt zusammengewürfelten spirituellen Code, der zu seinem Leitstern geworden ist und ihm sein Leben lang den Weg gewiesen hat.

Wenn du dein eigenes Leben besser verstehen willst, hat dir Bowie im Grunde schon einen großen Teil der Arbeit abgenommen, indem er sich die Rosinen herausgepickt und eine außergewöhnliche Sammlung mit den besten Gedanken der größten spirituellen Lehrer, Philosophen, Wissenschaftler, Psychologen und Künstler der Welt zusammengetragen hat. Einen so großen Teil sogar, dass es dir die eigene Selbstfindung entsprechend erleichtern kann, wenn du seinem Weg folgst.

Im vorliegenden Buch findest du eine Zusammenfassung dieser Gedanken in zehn kraftvollen Lektionen fürs Leben, und jede einzelne kann dir helfen, auf dem Weg deiner Selbstfindung weiter voranzukommen.

Woher stammen die präsentierten Lektionen der Veränderung?

Bowie-Fans wissen, dass er sich kulturell überall bedient hat: bei der Pantomime und dem Kabuki, er förderte wenig bekannte Sängerinnen, Sänger und Bands, zeigte surrealistische Filme zum Auftakt von Konzerten, mischte französische Chansons und englische Music Hall mit Hardrock. Er war auch ein leidenschaftlicher spiritueller Sammler und vertiefte sich auf seiner Suche nach der Hilfe und der Führung, die er brauchte, um sich einen Reim auf sein Leben zu machen, in die verschiedensten Weisheitstraditionen der unterschiedlichsten Länder, Epochen und Lehren.

Bevor er berühmt wurde, beschäftigte sich Bowie mit dem tibetischen Buddhismus. Um ein Haar wäre er sogar buddhistischer Mönch geworden. Und die Fragen, die ihn zur Beschäftigung mit dem Buddhismus trieben, drängten ihn auch dazu, sich weiteren östlichen Religionen zu widmen, einschließlich des Taoismus und des Zen-Buddhismus, der psychologischen Theorien von Carl Gustav Jung, der Geheimnisse der gnostischen Evangelien und der Kabbala, den existentialistischen Texten und der Theorie des Absurden von Albert Camus sowie der umstrittenen, aber einflussreichen Theorien von Julian Jaynes, dem Verfasser des Werks Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche. Dies sind die Originalquellen der Lebensphilosophie Bowies. Das vorliegende Buch untersucht diese Vorstellungen, erforscht ihren Einfluss auf Bowies Leben und erklärt dann, wie sie auch dir helfen können.

Das war alles keine reine Spielerei, der Selbstfindungsprozess war für Bowie sehr wichtig. Er machte zeit seines Lebens immer wieder klar, dass das Songwriting für ihn in erster Linie eine Möglichkeit war, sich seinen eigenen spirituellen Weg zu bahnen – seine Fragen über das Leben zu stellen (und zu versuchen, eine Antwort darauf zu finden).

Ist dieses Buch etwas für dich?

Im Jahr 2002, drei Jahrzehnte nachdem Bowie beinahe buddhistischer Mönch geworden wäre, erzählte er dem Journalisten Anthony DeCurtis:

Ich glaube wirklich, dass sich an meinen ursprünglichen Fragen überhaupt nichts geändert hat. Heute sind es nicht mehr so viele, aber sie sind wirklich wichtig. Es gibt immer einen Zusammenhang zwischen meiner Beschäftigung mit meiner Spiritualität und dem, was ich schreibe. Immer.

Das liegt daran, dass ich nur fast ein Atheist bin – und das macht mir Sorgen. Ein kleiner Teil von mir will noch nicht loslassen. »Also, ich bin fast ein Atheist. Gebt mir noch ein paar Monate. Bald habe ich’s geschafft.« […] Das ist entweder meine Rettung oder ein Riesenproblem, dem ich mich werde stellen müssen.

In der modernen Welt befinden sich vermutlich auch viele von uns in der Situation, dass wir »fast Atheisten« sind. Wir lehnen die Vorstellung ab, dass Gott ein großer Mann mit weißem Rauschebart ist, der in den Wolken lebt. Aber wir schaffen es auch nie so recht, an absolut gar nichts mehr zu glauben. Wie Bowie ringen wir mit den großen Fragen:

Warum bin ich hier?

Ist das schon alles?

Was soll ich mit meinem Leben anfangen?

In besonders schwierigen Lebensphasen können die großen Fragen drängender werden. Dann fassen wir sie vielleicht in etwas andere, brutalere Worte:

Was hat das Ganze überhaupt für einen Sinn?

Warum ist das Leben so schwer?

Was stimmt nicht mit mir?

Warum kann ich nicht so glücklich sein wie [hier kannst du den Namen einer oder eines Bekannten einfügen, die den Anschein erwecken, ihr Leben im Griff zu haben]?

Werden sich die Dinge jemals zu meinen Gunsten entwickeln?

Jeder von uns formuliert die großen Fragen auf seine eigene Weise: Einige versuchen, sich einen Reim auf ein Leben zu machen, das ihnen zu entgleiten scheint. Andere sind wütend, weil sie nicht bekommen, was sie sich vom Leben wünschen. Wieder andere sind verwirrt, weil sie bekommen haben, was sie sich vom Leben wünschen, es offenbar aber immer noch nicht genießen können. Wir haben das Gefühl, dass da noch mehr sein muss. Etwas, was wir nicht ganz kapieren – aber kapieren könnten, wenn wir nur wüssten, wo wir suchen sollten.

Wenn dir das irgendwie bekannt vorkommt, kann dieses Buch dir helfen.

Wir Beinahe-Atheisten sind ein zynischer, skeptischer Haufen. Wir sind misstrauisch gegenüber allem, was nach Aberglaube oder Hokuspokus klingt, und ehrlich schockiert von einigen Dingen, die im Namen organisierter Religionen geschehen.

Wir werden uns deshalb ohne die beruhigenden Gewissheiten oder klaren Gebote einer allwissenden Gottheit auf den Weg machen müssen. Woran sollen wir uns stattdessen orientieren? Auch wenn sich das anfangs ziemlich seltsam anhört, schlage ich vor, dass wir uns der Ideen bedienen, auf die Bowie seinen Schwerpunkt legte. Sie sind, wie ich behaupte, eine unschätzbar wertvolle Anleitung für ein gutes Leben.

Indem du dem Tao (oder »Weg«) David Bowies folgst, kannst du dich auf deine eigene faszinierende, lohnende und lehrreiche Reise durchs Leben begeben.

Was bringt es, dem Tao des Bowie zu folgen?

In diesem Buch werden wir die Gedanken von einigen der größten Denker der letzten dreitausend Jahre erforschen und sie mit Übungen zum Leben erwecken. Sie bewähren sich seit langer Zeit und werden von den modernen Neurowissenschaften bestätigt. Als Coach habe ich schon viele Menschen beobachtet, die sich mit diesen Ideen auseinandergesetzt haben, und ich konnte die Verwandlungskraft direkt sehen.

Jede Leserin, jeder Leser wird den Weg auf eigene Weise gehen und deshalb einen anderen Nutzen daraus ziehen. Aber grob gesagt gilt: Falls du dich dafür entscheidest, die Übungen durchzuarbeiten, wirst du vermutlich mehr Glück und Sinn in deinem Leben finden.

Lass mich erklären, was ich mit diesen Begriffen meine.

Unter »Glück« verstehe ich eine Kombination aus folgenden Faktoren:

Zufriedenheit: die Fähigkeit, leichter »grundlos glücklich« zu sein, statt deine Hoffnung auf Glück an äußere Faktoren zu knüpfen, die du womöglich nicht beeinflussen kannst; die Fähigkeit, dich auch dann einigermaßen gut zu fühlen, wenn es anders läuft, als du es gern hättest

Gleichmut: die Fähigkeit, besser mit den Herausforderungen und Problemen des Lebens fertigzuwerden, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten

Resilienz: die Fähigkeit, im Fluss der natürlichen Veränderungen und der Ungewissheit des Lebens zu schwimmen

Seelenfrieden: eine gesündere Beziehung zu deinen Gedanken (vor allem den ängstlichen, negativen) und Gefühlen (vor allem den unangenehmen)

Mit »Sinn« meine ich:

Selbsterkenntnis: ein wahrhaftigeres Verständnis davon, wer du wirklich bist, was dein wahres Ich ist

Zugehörigkeit: ein besseres Gefühl für deinen Platz auf dieser Welt

Werte: eine größere Deutlichkeit hinsichtlich der Dinge, die dir wirklich wichtig sind, und einen Plan, wie du im Einklang mit diesen Vorstellungen leben kannst

Sinn: das Wissen, weshalb du hier bist und wie du den Menschen in deinem Umfeld behilflich sein kannst

Leserinnen und Leser, die schon etwas über den Buddhismus oder Taoismus wissen, werden womöglich ein bisschen grinsen, denn selbstverständlich würden beide Weisheitstraditionen davon abraten, irgendwelche Erwartungen an dieses Buch – oder an irgendetwas sonst – zu stellen.

Das ist in der Tat ein kluger Rat, und wir werden uns später ausführlicher mit der Vorstellung von einem »erwartungsfreien« Leben beschäftigen. Ich weiß aber auch, dass du in dieser von Zielen getriebenen und von Zeitmangel geprägten Welt wahrscheinlich wissen willst, was du von diesem Buch erwarten kannst. Deshalb bekommst du von mir die obenstehende Liste mit dem Rat, sie eher als Hinweis zu verstehen, in welche Richtung wir uns generell bewegen werden, denn als genaue Checkliste, die es abzuhaken gilt.

Gebrauchsanweisung für dieses Buch

Das Tao des David Bowie besteht aus zehn Kapiteln. Jedes dieser Kapitel enthält eine klare Lektion und ist in drei Abschnitte gegliedert:

Bowies WegDie Lektion fürs LebenDein Weg

Im Abschnitt Bowies Weg steht ein Ereignis oder ein zentrales Thema aus David Bowies Leben im Mittelpunkt.

Der Abschnitt Die Lektion fürs Leben erklärt, was wir daraus fürs Leben lernen können.

Der Abschnitt Dein Weg zeigt dir ganz genau, wie du diese Lektion mit einer Reihe von Übungen, Meditationen und Techniken auf dein eigenes Leben übertragen kannst.

Kapitel 1: Anfänge

Die Lektion fürs Leben: Begib dich unverzüglich auf den Weg der Selbstfindung

Eines Tages betrat ich die Buddhist Society. Als ich die Treppe hinunterging, begegnete ich einem Mann in einer safranfarbenen Robe. Er sagte in stark gebrochenem Englisch: »Du suchst mich?« Jahre später wurde mir klar, dass es eine Frage gewesen war, aber als 18-Jähriger hatte ich die Äußerung als Feststellung verstanden: »Du suchst mich!«

(David Bowie, 2001)

Wer bist du?

Wo bist du?

Wohin gehst du?

(Chime Yong Dong Rinpoche – der Mann in der safranfarbenen Robe)

Ich lehre nur das Ende des Leidens.

(Buddha)

Bowies Weg

Vier Jahre vor seiner ersten Hitsingle begann David Bowie, sich ernsthaft mit dem Buddhismus zu beschäftigen, was starken Widerhall in seinem ganzen Leben und Werk finden sollte.

1965 tauchte der junge David Robert Jones, ein aufstrebender, aber bislang völlig erfolgloser Singer-Songwriter bei der Buddhist Society in London auf. Dies geschah ein Jahr bevor er seinen Nachnamen zu Bowie ändern sollte, vier Jahre vor seinem ersten Hit »Space Oddity« und sieben Jahre bevor ihm mit seiner schillernden Schöpfung Ziggy Stardust der wahre Durchbruch gelang.

Vor allem aber geschah es, zwei Jahre bevor die Beatles in Wales ein Seminar in Transzendentaler Meditation bei Maharishi Mahesh Yogi besuchten und damit plötzlich auf dramatische Weise bislang unbekannte östliche Religionen in den Fokus der populären Mainstreamkultur rückten.

Als der junge David Jones bei der Buddhist Society auftauchte, war er kein Möchtegern-Buddhist. Er folgte keinem Trend, der ein paar Monate lang der Renner war, um sich dann rasch totzulaufen. Er bahnte sich seinen eigenen Weg, dem er (auf seine eigene Weise) den Rest seines Lebens folgen sollte.

Zum damaligen Zeitpunkt interessierte sich Bowie schon seit ein paar Jahren für den Buddhismus. Sein älterer Halbbruder Terry, der in mancher Hinsicht ein starker Einfluss war, hatte ihn mit dem Werk von Jack Kerouac und der Beat Generation bekannt gemacht – einer literarischen Gruppe, die auch ein früher westlicher Verfechter des Buddhismus war. David, längst ein leidenschaftlicher Bücherwurm, hatte dieses anfängliche Interesse mit der Lektüre von Büchern wie Sieben Jahre in Tibet von Heinrich Harrer und Die Rampa Story von Lobsang Rampa weiterverfolgt.

Das erste Buch war informativ. Harrer war ein Österreicher, der aus einem britischen Internierungslager in Indien entkommen war und sich nach Tibet durchgeschlagen hatte. Das Buch erzählte von seinem Leben als Lehrer des jungen Dalai Lama. Es gewährte echten Einblick sowohl in das Leben in Tibet als auch in den Buddhismus.

Mit dem Buch Die Rampa Story verhielt es sich ein wenig anders. Lobsang Rampa behauptete, ein tibetischer Lama zu sein, war aber in Wirklichkeit ein arbeitsloser Prothetiker aus Devon namens Cyril Henry Hoskin. Es gibt natürlich keinen Grund, weshalb ein Prothetiker aus Devon nicht in der Lage sein sollte, große Weisheit zu vermitteln, doch Hoskins Buch war reine Fiktion.

Als Bowie aber 1965 den Hauptsitz der Buddhist Society betrat, begegnete er einem echten tibetischen Lama. Der gebrochen Englisch sprechende Mann in der safranfarbenen Robe war Chime Yong Dong Rinpoche. Er war in der entlegenen osttibetischen Region Kham zur Welt gekommen, mit zwei Jahren als Reinkarnation eines Lama identifiziert worden und hatte bereits in diesem Alter seine Ausbildung im Benchen-Kloster begonnen. Er gehörte zu einer ausgewählten Gruppe von Mönchen, die mit dem Dalai Lama zu dem schicksalhaften Besuch nach China reisten, bei dem sie von Mao Tse-tung darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass Religion Gift sei. Kurz darauf begann China mit einer brutalen Verfolgung, bei der buddhistische Mönche und Nonnen getötet und Klöster zerstört wurden (darunter auch Benchen). 1959 floh Chime über Bhutan nach Indien, um schließlich als einer von nur drei buddhistischen Lamas nach Großbritannien zu gehen.

In den nächsten beiden Jahren sollte Chime zu Bowies wichtigstem Lehrer werden. In dieser Zeit ging Bowie bis zu viermal wöchentlich zur Buddhist Society, um zu lernen. Die beiden anderen Flüchtlinge, die es nach Großbritannien geschafft hatten, Chögyam Trungpa Rinpoche und Akong Rinpoche, begaben sich ins schottische Eskdalemuir, um dort Samye Ling aufzubauen, das erste tibetisch-buddhistische Kloster Europas, wo Bowie ebenfalls studieren sollte.

1967 reiste Bowie sogar in klarer Absicht nach Samye Ling. Später sagte er dazu, er habe kurz davorgestanden, sich den Kopf scheren zu lassen, sein Gelübde abzulegen und Mönch zu werden.

Hat Bowie hier ein wenig übertrieben? Das lässt sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen. In der Tat gab es in seiner Karriere Momente, in denen er Journalisten auf der Suche nach Schlagzeilen bereitwillig mit provokanten Zitaten versorgte. Wenn er in Interviews über sein spirituelles Leben sprach, tat er dies aber meist ernsthaft und mit Bedacht. Wir werden nie wissen, wie groß Bowies Entschlossenheit war, tatsächlich Mönch zu werden. Doch Zeitgenossen und Freunde wie Mary Finnigan (bei der Bowie eine Weile zur Miete wohnte) und Gefährten wie der Journalist George Tremlett (der die erste Bowie-Biografie schrieb) betonen, dass er seine Studien äußerst ernsthaft betrieb. Als Bowie dem jungen, aufstrebenden Produzenten Tony Visconti vorgestellt wurde – einem Mann, der seine Karriere voranbringen konnte (was er auch tat) –, unterhielten sie sich nicht über Studios oder Demobänder, sondern entdeckten ihre gemeinsame Liebe zum Buddhismus.

Visconti, dessen Interesse am Buddhismus ebenfalls nie erlahmte, bestätigt die Aufrichtigkeit und Tiefe, mit der sich Bowie dem Thema widmete: »David beschäftigte sich sehr intensiv mit dem tibetischen Buddhismus. Er wusste alles darüber. Er war sehr neugierig, konnte schnell lesen und vergaß einmal abgespeicherte Informationen nur selten wieder.«

Was der Buddhismus Bowie lehrte

Letztlich war es Chime, der Bowie davon abbrachte, Mönch zu werden. Was man keineswegs als Hinweis darauf verstehen sollte, dass Bowies Lehrer an der Ernsthaftigkeit der Studien des jungen Mannes zweifelte. Es war vielmehr ein Spiegel dessen, dass die Zeiten sich änderten. Chime riet hingebungsvollen Schülern oder Schülerinnen häufig davon ab, Mönche oder Nonnen zu werden – und sowohl er als auch Chögyam Trungpa legten später die Robe ab. Dies spiegelte seine Überzeugung, dass das Konzept vom Rückzug in die Abgeschiedenheit eines Klosters im Westen und in der modernen Welt unzeitgemäß und unangebracht sei.

Aber obwohl sich Bowie gegen das Kloster und für die Musik entschied, kann kein Zweifel daran bestehen, dass seine Studien sein restliches Leben beeinflussten. Wie er im Jahr 1997 sagte, hinterließen sie in ihm:

ein Gefühl der Vergänglichkeit und des Wandels, das zu einem grundlegenden Aspekt meines Lebens und meiner Lebensauffassung wurde. An nichts festzuhalten – nicht zu denken, es gäbe etwas, was ein ganzes ewiges Leben überdauert – im Leben oder Tod. Das macht das Loslassen – von materiellen oder physischen Dingen – ganz leicht.

Und die Suche nach dem Ursprung des eigenen Seins wird sehr viel wichtiger. Und ich schätze, dass dies mein persönlicher Weg ist – dass ich versuche herauszufinden, wo mein spiritueller Schatz, meine Verbindung zu einer universellen Ordnung liegen. Daraus kann sich eine lebenslange Suche entwickeln.

Die beiden wichtigsten Erkenntnisse Bowies aus seinen buddhistischen Studien sind:

Veränderung: dass alles vergänglich ist.

Die Suche nach dem Ursprung des eigenen Seins: dass die Erforschung des Selbst – der Weg der Selbstfindung – von größter Bedeutung ist.

Von diesen beiden Punkten ist die Bedeutung der Veränderung für Bowie am unmittelbarsten ersichtlich. Er schrieb einen seiner berühmtesten Songs darüber: »Changes«. Außerdem war seine Karriere eine spektakuläre Abfolge von Stil- und Rollenwechseln. Doch im vorliegenden Buch werden wir uns dem zweiten Gedanken widmen und uns ansehen, wie Bowie den Weg der Selbstfindung ging und wie du deinen eigenen Weg einschlagen kannst.

Diesen Gedanken gibt es keineswegs nur im Buddhismus. Ganz im Gegenteil. Die Vorstellung von der Bedeutung der Selbsterforschung verbindet viele große Weisheitstraditionen der Welt – sogar einige derjenigen, die oft im Konflikt miteinander liegen. Bowie sollte sich später auch mit vielen dieser anderen Weisheitstraditionen beschäftigen, um weiter an seinem persönlichen spirituellen Code zu feilen, der ihm den Weg durch seine Schwierigkeiten wies und schließlich zum Glück führte.

Bowie erzählte die Geschichte seiner Begegnung mit Chime diverse Male. Bei einer dieser Gelegenheiten betonte er, erhätte einfach nicht zulassen können, dass er Chimes sanfte Frage »Du suchst mich?« auch als solche verstand. »Ich brauchte eine Feststellung«, sagte er. Aber warum war Bowie auf der Suche nach einem Guru? Warum brauchte er einen Guru? Weil er bereits im zarten Alter von achtzehn Jahren mit seiner, wie er später sagen würde, »entmutigenden spirituellen Suche« begonnen hatte. Er suchte bereits nach dem Ursprung seines Seins. Er wusste aus seiner Lektüre, dass ihn der buddhistische Weg der Selbstfindung an einen Punkt führen konnte, an dem sein Leben mehr Sinn ergeben, an dem er besser verstehen würde, wer er wirklich war und wie er in diese Welt passte. In Chime sah er einen Mann, von dem er vielleicht ein paar Antworten bekommen konnte.

Doch statt Bowie Antworten zu geben, stellte er ihm drei Fragen:

Wer bist du?

Wo bist du?

Wohin gehst du?

Die Lektion fürs Leben: Begib dich unverzüglich auf den Weg der Selbstfindung

Genau wie für Neo im Film Matrix ist auch für uns die »Realität« nicht so real, wie wir denken. Vor allem aber ist unser normales Selbstverständnis – also unser Verständnis dessen, wer wir sind – fehlerhaft. Im Grunde sind wir nur dann in der Lage, das Leben voll auszukosten, wenn wir uns auf den Weg machen, unser wahres Selbst zu entdecken.

Bowie war einem außergewöhnlichen Menschen begegnet. Als reinkarnierter Lama ist Chime ein verehrter buddhistischer Meister und hat Übertragungen (Lehren) empfangen, die seit Jahrhunderten vom Lehrer an den Schüler weitergegeben werden. Aber obwohl er so eng mit einer uralten Tradition verflochten war, betrachtete Chime seine Situation in den Sechzigerjahren pragmatisch. Er war in ein fremdes Land gekommen, in dem die Verehrung, die ihm zu Hause in Tibet entgegengebracht wurde, für 99,9 Prozent der Bevölkerung völlig bedeutungslos war, und er musste in einem Café arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Einmal erinnerte er sich an eine Unterhaltung mit einem Kollegen (der sich bei seinem Namen entweder verhört, ihn falsch verstanden oder absichtlich falsch ausgesprochen hatte):

»Sag mal, Jimmy, was ist eigentlich dieser Buddhismus?«

»Der Buddhismus ist das Ende des Leidens.«

»Oh, Jimmy, diesen Buddhismus brauche ich auch.«

Nun ja, uns allen täte etwas weniger Leiden gut.

Der Buddhismus – zumindest in seiner westlichen Form – ist keine Religion im Sinne dessen, was wir normalerweise darunter verstehen. Es gibt keinen Gott, der verehrt wird, und keine Gebote, die befolgt werden müssen. Es hat eher etwas von Psychologie, es ist eine Methode, um mit dem Geist zu arbeiten.

Im Grunde stellte Buddha fest, dass Menschen stark dazu neigen, zu leiden, unglücklich, unzufrieden und enttäuscht zu sein, und er empfahl eine Methode, um diese Symptome zu lindern. Er sagte, sie würde bei ihm gut wirken, und schlug vor, dass die anderen sie ebenfalls ausprobieren sollten.

Es gibt viele Ausprägungen des Buddhismus, doch da wir Bowies Lehrer kennen, können wir eindeutig feststellen, mit welcher Version des Buddhismus er sich beschäftigt hat. Er wurde in der Kagyü-Tradition unterwiesen, deren Kern die Meditation ist. Die Kagyü-Linie wird sogar oft als die »Linie der Praxis« bezeichnet (»Praxis« ist eine gängige Bezeichnung für die Meditation).

Auf welche Weise trägt die Meditation dazu bei, das Leiden zu lindern? Indem sie eine Möglichkeit der Selbstfindung bietet; eine Möglichkeit, ein genaueres Verständnis von dir selbst und deiner Umwelt zu entwickeln.

Wir wissen von anderen Schülern, dass Chime buddhistischen Neulingen gern die folgenden drei Fragen stellte:

Wer bist du?

Wo bist du?

Wohin gehst du?

Mag sein, dass sie auf den ersten Blick nicht besonders stark wirken. Aber unabhängig davon, ob du dich für den Buddhismus interessierst oder nicht, gehören sie zu den wichtigsten Fragen, die wir uns stellen können.

Als Coach ermutige ich meine Klientinnen und Klienten dazu, etwas Abstand von ihren Alltagsproblemen, -themen und -herausforderungen zu nehmen, um sich diesen drei grundlegenden Fragen zu widmen. Je klarer du sie beantworten kannst, desto besser wirst du dich in allen Aspekten deines Lebens zurechtfinden.

Und doch denken die meisten Menschen kaum darüber nach. Der Motivationstrainer und Autor Jim Rohn, der als »Vater der Persönlichkeitsentwicklung« gilt, schrieb dazu: »Die meisten Menschen investieren mehr Zeit in die Planung ihrer Urlaube als in die Planung ihres Lebens.«

Gilt das auch für dich? Das könnte durchaus so sein.

Wenn du jetzt darüber nachdenkst, kommt dir das nicht seltsam vor? Ich denke, das tut es. Vor allem, weil seit Jahrhunderten viele sehr weise Menschen immer wieder vom Nutzen der Selbsterforschung und -findung berichten.

Bowie dürfte dieser Gedanke nicht nur bei seinen buddhistischen Studien begegnet sein, sondern auch bei der Lektüre der Werke des Philosophen Friedrich Nietzsche und des Psychologen Carl Gustav Jung sowie der leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit den gnostischen Evangelien. Die Aufforderung »Erkenne dich selbst« ist abgesehen von den Weisheitstraditionen, mit denen sich Bowie beschäftigt hat, auch eine zentrale Vorstellung vieler weiterer Lehren von der sokratischen Philosophie bis zum Konfuzianismus, vom Hinduismus bis zum I Ging, vom Christentum (»Das Reich Gottes ist mitten unter euch« – Jesus) bis zum Islam (»Wer sich selbst kennt, kennt seinen Herrn« – Mohammed).

Unabhängig davon, ob diesen Traditionen die Vorstellung von einem – mehr als einem oder überhaupt keinem – Gott zugrunde liegt, sind sie sich darin einig, dass wir nichts Besseres tun können, als uns selbst zu erforschen. Wenn Philosophien und Religionen, die sich in so vielen Bereichen heftig widersprechen, in diesem Punkt alle einer Meinung sind, bedeutet das wohl, dass die Selbsterforschung in der Tat etwas ganz Besonderes ist.

Warum also vermeiden es die meisten Menschen, einen tiefen Blick darauf zu werfen, wer sie sind, und sich die großen Fragen über ihr Leben zu stellen? Vielleicht liegt es daran, dass wir heute alle viel zu viel zu tun haben, um uns Zeit für die Betrachtung dieser gewichtigen Themen zu nehmen, und dass wir zu sehr mit kurzfristigen Angelegenheiten beschäftigt sind, um über das Gesamtbild nachzudenken. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir nicht wissen, wie wir sie beantworten sollen – und deshalb lieber gar nicht darüber nachdenken.

Doch wenn du dieses Buch bis hierher gelesen hast, hast du zumindest den heimlichen Verdacht, dass du es verdienst, dir Zeit zu nehmen, um dich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dieses Buch wird dir dabei helfen.

Antworten auf diese Fragen wirst du einerseits auf eine sehr einfache Art erhalten – durch ein paar einfache Übungen, damit du dich besser kennenlernst, damit du besser weißt, wer du bist, was dich zu dem Menschen gemacht hat, der du heute bist, was dir wirklich wichtig ist und wie du im Einklang mit deinen Werten ein sinn- und zweckerfülltes Leben führen kannst.

Danach gehen wir eine Ebene tiefer und bedienen uns in erster Linie der Meditation, um genauer zu erforschen, wer du wirklich bist. Wir bahnen uns einen Weg durch die Täuschungen, denen der Mensch zum Opfer fällt, mit dem Ziel, das wahre Wesen des Selbst zu verstehen. So kannst du ein weniger leidvolles und glücklicheres Leben führen.

Was ist wirklich real?

Der Buddhismus geht von dem Kerngedanken aus, dass unsere aktuelle Sicht auf die Welt fehlerhaft ist. Wollten wir uns einer Analogie aus der Popkultur bedienen, wäre dies der Film Matrix. Darin offenbart Morpheus (Laurence Fishburne) Neo (Keanu Reeves), dass die Realität, in der er sein bisheriges Leben gelebt hat, gar nicht real, sondern eine künstlich erschaffene Täuschung ist.

Bei der Begegnung mit dem buddhistischen Weltbild ergeht es uns ähnlich wie Neo angesichts der Matrix – mit einem entscheidenden Unterschied. Neo musste lediglich erkennen, dass er ein völlig falsches Bild von der Außenwelt hatte; der Buddhismus erklärt, dass auch unsere Sicht auf unsere innere Welt fehlerbehaftet ist.

Die Frage »Wer bist du?« geht deutlich tiefer, als es zunächst den Anschein hat. Fragt ein buddhistischer Meister: »Wer bist du?«, verlangt er eine Antwort, die tiefer geht als: »Ein Buchhalter aus Leeds«, oder: »Eine tierliebe Powerfrau«. Er möchte, dass du dich mit den grundlegenden Fragen beschäftigst, was genau in deinen Körper hineingeboren wurde; worauf du das Verständnis deiner selbst gründest; wo genau sich dieses »Selbst« befindet; und in welcher Beziehung es (was immer es auch ist) zu allen anderen Menschen und Dingen steht.

Der Buddhismus stellt das konventionelle Selbstverständnis in drei entscheidenden Punkten in Frage. Er behauptet,

dass es kein festes oder beständiges Selbst gibt – wie alles andere im Universum befindest auch du dich ständig im Wandel;dass es keinen Chef in unserem Inneren gibt – niemanden, der die volle Kontrolle über die Dinge hat, wie wir es gern von uns glauben würden;dass es kein unabhängiges Selbst gibt – du bist untrennbar mit dem Rest des Universums verbunden.

Die erste Vorstellung lässt sich am leichtesten übernehmen. Wir wissen zum Beispiel, dass wir »ein anderer Mensch« sind, wenn wir Hunger haben, müde, gestresst oder betrunken sind.

Die zweite ist beunruhigend. Und die dritte erscheint uns schlichtweg falsch: Natürlich sind wir von anderen getrennt; wir können es sehen. Doch wie wir in Kapitel 8 sehen werden, wird es deine Angst und dein Leiden weiter verringern und dein Glück weiter vergrößern, wenn du in Betracht ziehst, dass diese drei Behauptungen wahr sein könnten. Deshalb ist das Gedankenexperiment, dass sie zutreffen könnten, zumindest einen Versuch wert.

Dies ist die Haltung, die wir im Laufe des gesamten Buches einnehmen werden. Wir werden nicht nach großen Wahrheiten streben, sondern einfach verschiedene Konzepte und Methoden ausprobieren, um ein paar zu finden, die dir helfen. Dies ist ganz im Sinne Buddhas. Dieser erklärte einst in einer Debatte mit anderen Religionsführern, in der es darum ging, welche Doktrin nun richtig oder falsch sei (wie es in den 42 Analekta des Buddha dokumentiert ist), dass ihn derartige Diskussionen eigentlich nicht interessierten: »Ich betrachte den Kampf zwischen Rechtgläubigen und Irrgläubigen wie den Streit der sechs (mythischen) Drachen.«

Er interessierte sich nur für das, was funktionierte – was Leiden linderte. Er hatte die Ursachen des menschlichen Leidens und eine Methode ausfindig gemacht, es zu lindern. Dies wollte er auf einer ganz einfachen Grundlage vermitteln: Das hilft mir. Probiere es aus, vielleicht hilft es ja auch dir. Im Laufe der Jahrhunderte ist rund um diese einfache Idee eine komplexe Religion entstanden, doch seit einiger Zeit bauen westliche Buddhisten – unter anderem Angehörige der Kagyü-Linie – diese Komplexität wieder ein wenig ab. Westliche Buddhisten werden genau wie Bowie dazu ermutigt, reinzuschnuppern, auszuprobieren und mitzunehmen, was ihnen ihrer Ansicht nach hilft. Es ist nicht nötig, an Gott oder Dämonen zu glauben; es ist nicht nötig, Kerzen anzuzünden, Gebete zu rezitieren und sich niederzuwerfen.

Du kannst einfach testen, ob die Methode, die nachweislich seit Jahrhunderten Menschen glücklicher macht, auch bei dir funktioniert.

Lass uns gleich damit beginnen. Denn obwohl dieses Buch zum Teil von Bowie und zum Teil von der Sammlung der Ideen handelt, mit deren Hilfe er sein Leben gestaltet hat, geht es in erster Linie darum, wie sie dich auf deinem Weg durchs Leben unterstützen können.

Dein Weg

Die Meditation wird ein wichtiges Element in deinem Repertoire sein, während du dich durch die Übungen in diesem Buch arbeitest. Machen wir uns also damit vertraut, wie (und warum) man meditiert.

Wie wir bereits wissen, wird die Form des Buddhismus, mit der sich Bowie beschäftigt hat – die Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus –, auch als die »Linie der Praxis« bezeichnet. Dies unterstreicht, wie wichtig die Praxis (ein anderes Wort für Meditation) dabei ist. Deshalb bietet sie sich auch für uns als Ausgangspunkt an.

Übung: Atemmeditation

Wir werden ungefähr fünf Minuten lang üben. Du kannst einen Timer stellen, wenn du möchtest, oder einfach aufhören, wenn du das Gefühl hast, dass fünf Minuten verstrichen sind. Die genaue Dauer spielt keine Rolle.

Komme in eine bequeme Sitzhaltung. Der Zielzustand wird oft als »entspannte Wachsamkeit« bezeichnet. Was heißt das? Du solltest es bequem haben – aber nicht so bequem, dass du einschläfst. Und du solltest wachsam sein – aber nicht so wachsam, dass du dich gestresst fühlst oder erstarrst.

Du kannst Folgendes ausprobieren: Komme in eine aufrechte Sitzhaltung und stelle dir vor, eine Marionette zu sein, deren Kopf mit einem Faden verbunden ist. Dieser Faden wird sanft nach oben gezogen, sodass sich dein Kopf aufrichtet, deine Schultern aber unten bleiben. Achte darauf, dass die Schultern entspannt bleiben. Verwende dieses geistige Bild, wenn es dir hilft. Wenn nicht, kannst du es gleich wieder vergessen und einfach eine bequeme Sitzhaltung einnehmen.

Schließe die Augen. Konzentriere dich auf deinen Atem. Was heißt das? Werde dir einfach bewusst, dass du atmest. Achte auf jeden Atemzug, während der Atem ein- und wieder ausströmt. Achte auf den Rhythmus deines Atems. Auf die Ein- und die Ausatmung. Und die nächste Ein- und die nächste Ausatmung. Und immer so weiter.

Das ist alles. Übe ungefähr fünf Minuten so weiter und öffne dann die Augen.

Wenn dies deine erste Meditation war – aber auch, wenn du schon öfter meditiert hast –, werden dabei vielleicht ein paar Gedanken oder Fragen aufgetaucht sein.

Frage: Woher weiß ich, ob ich das mit der Konzentration auf den Atem richtig mache?

Die einen spüren den Atem an den Nasenlöchern. Die anderen nehmen ihn im Rachen deutlicher wahr. Wieder andere konzentrieren sich auf den Atem, indem sie verfolgen, wie ihr Bauch sich hebt und senkt. Wenn dir die Konzentration auf den Atem etwas merkwürdig vorkommt, kann es hilfreich sein, eine Hand auf den Bauch zu legen und einfach ihre rhythmische Bewegung zu beobachten.

Frage: Warum soll ich mich überhaupt auf den Atem konzentrieren?

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Sache zu sehen:

Es gibt keinen Grund dafür. Wir versuchen, uns auf den gegenwärtigen Augenblick zu konzentrieren. Aber das ist ein wenig abstrakt. Deshalb verwenden wir den Atem als Anker, als Konzentrationshilfe. Aber im Grunde spielt der Atem keine Rolle.Wir konzentrieren uns auf den Atem, weil wir ihn regelmäßig ignorieren, obwohl er lebenswichtig ist. Dies ist ein wertvoller Augenblick, in dem wir eine wichtige Körperfunktion überprüfen. Wir prüfen sie nicht auf medizinische Weise, sondern mit Neugier und Dankbarkeit für die erstaunlichen Prozesse, die uns am Leben erhalten.

Such dir die Antwort aus, die dir gefällt.

Frage: Warum ist es so wichtig, im gegenwärtigen Augenblick zu bleiben?

Auch das hat wieder zwei Gründe:

In der Vergangenheit und der Zukunft sind die, wie Chime sagte, »unnötigen Gedanken« zu Hause. Wir verbringen einen großen Teil unserer Zeit gar nicht in der Gegenwart. Wir machen uns vielmehr Sorgen um die Zukunft und denken über die Vergangenheit nach. In der Psychologie gibt es einen Ausdruck dafür: »Überdenken – überprüfen – bedauern.« Man beachte, dass es nicht heißt: »Überdenken – überprüfen – und mit einer großen Party alle bisherigen Erfolge feiern.« Es heißt stattdessen: »Überdenken – überprüfen – bedauern.« Beim Blick in die Vergangenheit konzentrieren wir uns meist auf das, was schiefgegangen ist. Beim Blick in die Zukunft konzentrieren wir uns meist auf das, was schiefgehen könnte.

Es ist eine nützliche menschliche Fähigkeit, so weit in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen zu können. So können wir aus unserem Handeln lernen und für die Zukunft planen. Was wir gelegentlich auch tun. Aber oft fühlen wir uns wegen der Dinge, die in der Vergangenheit schiefgelaufen sind, einfach nur schlecht (ohne etwas daraus zu lernen), und machen uns Sorgen um die Zukunft (ohne Vorkehrungen zu treffen, um die Katastrophen abzuwenden, die wir uns ausmalen). Es ist ziemlich klar, dass dies sehr genau der Definition von »unnötigen Gedanken« entspricht. Wenn es uns gelingt, ein wenig Zeit im gegenwärtigen Augenblick zu verbringen, können wir uns dadurch vorübergehend von diesen unnötigen und nutzlosen Gedanken befreien.

Die Selbstfindung ist in der Gegenwart zu Hause. Eine der Kernmethoden der Selbstfindung bei allen Übungen in diesem Buch ist es, einfach bei dem zu bleiben, was gerade ist – um dem ganz normalen menschlichen Instinkt entgegenzuwirken, sich vor der Realität in endlose Ablenkungen zu flüchten. Damit wir bei dem bleiben können, was gerade ist, müssen wir imstande sein, in der Gegenwart zu verweilen – denn nur hier sind die Dinge so, wie sie sind.

Frage: Und wenn ich einschlafe?

Kein Problem. Wenn du einschläfst (oder am liebsten einschlafen würdest), sobald du die Augen schließt und dich ein paar Minuten lang auf den Atem konzentrierst, bekommst du offensichtlich nicht genügend Schlaf. Du hast gerade in dich und in das hineingespürt, was du im gegenwärtigen Augenblick fühlst, und dabei entdeckt, dass du erschöpft bist. Geh und mache ein Nickerchen, wenn du kannst.

Doch wenn du beim Meditieren immer einschläfst, wird das mit der Meditation nie klappen. Versuche deshalb zu meditieren, wenn du nicht ganz so müde bist. Falls du keine Uhrzeit findest, zu der du beim Meditieren nicht einschlafen willst, ist das sehr wahrscheinlich ein Schlaf- und kein Meditationsproblem. Wirf einen prüfenden Blick auf deine Schlafgewohnheiten.

Übung: Beobachte deine Gedanken

Wir werden jetzt noch einmal meditieren. Aber dieses Mal werden wir unsere Gedanken beobachten.

Sofern du nicht schon sehr lange meditierst, werden dir bei deiner ersten Meditation deine Gedanken aufgefallen sein. Obwohl die Anweisung, sich auf den Atem zu konzentrieren, recht einfach klingt, ist dies uns Menschen so gut wie unmöglich. Wir schließen die Augen. Wir konzentrieren uns auf den ersten Atemzug. Wir konzentrieren uns auf den zweiten Atemzug. Und ehe wir‘s uns versehen, ertappen wir uns dabei, dass wir überlegen, was es zum Abendessen gibt, oder uns Sorgen wegen eines Arbeitskollegen machen, von dem wir glauben, er habe uns reingelegt, oder wir versuchen, uns an den Namen einer Nebenfigur aus einer Sitcom zu erinnern, die wir vor zehn Jahren gesehen haben. Bis uns bewusst wird, dass wir nicht mehr auf den Atem achten, sind wir möglicherweise schon beim zehnten Einzelgedanken in einer langen Kette aufeinanderfolgender Gedanken angekommen.

So machen wir das eben.

Oder besser gesagt, so macht es unser Geist.

Ein buddhistischer Meister bezeichnete die moderne Welt deshalb als »gedankenverloren«. Wir verlieren uns in »unnötigen« Gedanken, und wie es scheint, bringen wir den größten Teil unseres Lebens damit zu. Für unseren Selbstfindungsprozess ist es wichtig, dass wir ein besseres Verständnis davon bekommen, wie unser Geist arbeitet. Deshalb beobachten wir in der Meditation unsere Gedanken und lernen zu verstehen, wie diese seltsame Situation entsteht, in der wir – unabhängig davon, welches Ziel wir vielleicht gerade verfolgen – beinahe umgehend von unnötigen und nutzlosen Gedanken überrollt werden, die wir nicht bewusst erzeugen.

Für diese Übung gelten die gleichen Anweisungen wie oben. Komme in eine bequeme Sitzhaltung entspannter Wachsamkeit. Schließe die Augen. Konzentriere dich auf den Atem. Auf die Ein- und die Ausatmung. Auf die nächste Ein- und die nächste Ausatmung. Und immer so weiter. Bleibe beim Rhythmus des Atems.

Sage dir nun jedes Mal, wenn du merkst, dass du in Gedanken vom Atem abschweifst und angefangen hast, über irgendetwas nachzudenken, einfach (im Stillen): »Denken«, und kehre mit deiner Aufmerksamkeit zu deinem Atem zurück. Wenn du dich das nächste Mal beim Denken erwischst, machst du es ebenso. Sage dir: »Denken«, und kehre zum Atem zurück. Übe ungefähr 5 Minuten lang so weiter, öffne dann die Augen und sieh dir an, wie es gelaufen ist.

Frage: Woher weiß ich, dass ich denke?

Als ich anfing, Meditationsunterricht zu geben, stellte ich überrascht fest, dass manche Menschen nach ihrer ersten Meditation berichteten, es sei ihnen gelungen, mit der Konzentration ganz beim Atem zu bleiben, und sie seien von keinerlei Gedanken abgelenkt worden. Nach allem, was man mich gelehrt hatte, sollte dies eigentlich unmöglich sein. Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, dass diese Menschen weder Meditationsgenies noch ungewöhnlich weit entwickelte Wesen waren. Sie waren vielmehr so vollständig in ihren Gedanken versunken, dass sie nicht einmal mehr merkten, wenn sie etwas dachten.

Damit wir uns richtig verstehen: Denken ist der ununterbrochene Kommentar in unserem Kopf (nicht irgendwelche »Stimmen im Kopf«, sondern einfach das Gespräch, das jeder von uns mit sich führt).

Wenn du dich zu Beginn der Meditation langweilst, ist das kein Gedanke. Es ist einfach das, was im gegenwärtigen Augenblick geschieht. Aber sobald du anfängst (im Geiste) mit dir über diese Langeweile zu diskutieren – »Du lieber Himmel, ist dieser Meditationskram vielleicht langweilig! Wahrscheinlich mache ich es nicht mal richtig. Wie lange meditiere ich jetzt schon? Kann ich endlich aufhören? Ich habe Besseres zu tun« –, sind das alles Gedanken. Wenn du zu Beginn der Meditation hörst, wie irgendwo die Alarmanlage eines Wagens angeht, ist das kein Gedanke. Es ist ebenfalls die unmittelbare Erfahrung dessen, was im gegenwärtigen Augenblick geschieht. Wenn dich die Alarmanlage dieses Autos irritiert, ist das ebenfalls kein Gedanke. Es ist das, was du im gegenwärtigen Augenblick empfindest. Aber sobald du anfängst, dich innerlich darüber aufzuregen, dass man ja wohl nicht von dir verlangen könne, bei diesem Lärm zu meditieren, oder Rachepläne gegen den Besitzer des Wagens zu schmieden und zu befinden, dass alle Autobesitzer das Letzte seien, oder dir zu wünschen, du würdest an einem ruhigeren Ort wohnen, sind das alles Gedanken.

Einige von uns sind so an diesen inneren Dialog gewöhnt, dass sie ihn mit dem echten Leben verwechseln. Es ist nicht das echte Leben. Es ist unser Kommentar zum echten Leben. Wenn wir dies allmählich verstehen, wenn wir allmählich den Unterschied zwischen der unmittelbaren Erfahrung der Welt und diesem ständigen Geschwätz verstehen, das uns vom Leben entfernt, können wir ein lebendigeres Leben führen.

Erinnere dich an einen Vorfall in deinem Leben, der so außergewöhnlich war, dass deine Schilderung anderen gegenüber später den Satz enthielt: »Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt.« Wahrscheinlich waren in diesem Moment – bei der Geburt eines Kindes oder bei einem Bungeesprung – die Erfahrung und die dadurch erzeugten Gefühle so stark, dass das innere Geschwätz der Gedanken für einen kurzen, wunderbaren Augenblick durch die unmittelbare Erfahrung dessen ersetzt wurde, was in der Welt tatsächlich gerade geschah.

Was wäre, wenn du dich immer so lebendig fühlen könntest? Okay, das hört sich jetzt vielleicht ein wenig überwältigend an. Was aber wäre, wenn du häufiger einen Vorgeschmack auf diesen Zustand nie dagewesener Lebendigkeit bekommen könntest? Die regelmäßige Meditation macht es möglich. Du wirst eine gesündere Beziehung zu deinen Gedanken aufbauen, damit du dich nicht mehr darin »verlierst«, sondern das geistige Geschwätz bewusst zum Verstummen bringen kannst, um das Leben unmittelbarer zu erfahren.

Übung: Beobachte, wenn du urteilst

Wir wiederholen im Wesentlichen die Meditation Beobachte deine Gedanken – allerdings mit einem zusätzlichen Element. Prüfe, wenn du einen Gedanken bemerkst, ob er irgendein Urteil enthält. Wenn du einen urteilsfreien Gedanken bemerkst, sagst du dir einfach: »Denken«, und kehrst mit deiner Aufmerksamkeit zum Atem zurück. Wenn du dagegen einen Gedanken bemerkst, der ein urteilendes Element enthält, sagst du dir: »Denken, urteilen«, und kehrst mit deiner Aufmerksamkeit zum Atem zurück.

Gedanken wie: »Du lieber Himmel, dieser Meditationskram ist vielleicht langweilig!«, oder: »Wahrscheinlich mache ich es gar nicht richtig«, oder: »Ich habe Besseres zu tun«, enthalten alle ein Urteil. Gedanken wie: »Wie lange meditiere ich jetzt schon?«, oder: »Kann ich endlich aufhören?«, dagegen nicht.

Übe ungefähr fünf Minuten lang so weiter und sieh dir anschließend an, wie es gelaufen ist.

An dieser Stelle solltest du dich irgendwo zwischen gelinder Überraschung und heftigem Entsetzen darüber befinden, wie schwer es ist, mit dem Denken aufzuhören. Und wie sehr wir alle urteilen (du bist damit nicht allein!).

Es kann sehr hilfreich sein zu bemerken, wie sehr wir urteilen, und zu versuchen, dies nach und nach abzubauen. Wir können damit anfangen, dass wir uns nicht dafür verurteilen, »zu viel« zu urteilen. Auch hier geht es nicht um richtig oder falsch – also darum, wie wir sein sollten. Es geht darum, ein neues Verhalten zu entwickeln, das uns den liebevolleren Umgang mit uns und anderen ermöglicht.

Darum arbeiten wir noch etwas weiter in diesem Bereich.

Übung: Beobachte, wenn du im Alltag urteilst

Nimm dir im Alltag eine Stunde Zeit und fasse den Vorsatz, dir währenddessen aller Urteile bewusst zu werden, die du über irgendjemanden oder irgendetwas fällst. Wähle am besten eine Zeit, in der du unterwegs bist. Die Übung funktioniert auch ganz wunderbar, während du vor dem Fernseher sitzt, etwas knabberst und ein warmes Getränk trinkst.

Urteilende Gedanken klingen etwa so:

Das ist eine hervorragende Tasse Kaffee.Warum komme ich immer zu spät?Wie kann man nur so eine Jacke tragen?Diese Zugverbindung ist mies!Das Wetter ist noch schlechter als gestern.Auf irgendeinem Sender läuft bestimmt noch was Besseres.Ich finde, die dritte Staffel von Friends war die beste.Pass auf, wo du hinläufst, du Idiot.Dieser Bericht ist einfach unterirdisch.

Alle Gedanken mit einem vergleichenden Element sind Urteile. Alle Gedanken, die andeuten, es gebe eine Art Standard oder Ideal, sind Urteile. Urteilende Gedanken können sowohl positiv als auch negativ sein.

Manöverkritik: Was ist tatsächlich passiert?

Wir sind nun mit unserer ersten Technik vertraut: der Fähigkeit, urteilsfrei im gegenwärtigen Augenblick zu verweilen. Wir wissen aber auch, dass wir sie noch nicht sonderlich gut beherrschen. Das ist in Ordnung, denn das tut niemand. Sobald wir ehrlich einschätzen können, wo wir stehen, können wir weiter darauf aufbauen.

Bei der Coaching-Arbeit mit Klienten, die neue Fähigkeiten oder Verhaltensweisen erlernen, ist es wichtig, dass sie ihre Fortschritte in irgendeiner Weise messen können. Die folgende Feedbackschleife – die einfachste und klarste, die ich kenne – ist dem After Action Review der US-Army, einem systematischen Erfahrungsaustausch nach dem Einsatz, nachempfunden.

Was hätte passieren sollen?

Was ist tatsächlich passiert?

Was war der Grund für die Abweichungen?

Es mag ein wenig seltsam anmuten, dass wir bei unserer Arbeit mit der buddhistischen Meditation eine Methode der Armee einsetzen, aber die genannten Fragen können eine große Hilfe sein, um im Laufe dieses Buches unsere Fortschritte zu überprüfen. Nehmen wir zum Beispiel die Meditation, die wir gerade gemacht haben.

Was hätte passieren sollen? Wir haben erwartet, dass wir uns auf den Atem konzentrieren würden.

Was ist tatsächlich passiert? Es ist uns nicht gelungen, uns auf den Atem zu konzentrieren, weil wir die ganze Zeit an irgendetwas gedacht haben.

Was war der Grund für die Abweichungen? Über diese Frage solltest du nachdenken. Wir werden versuchen, sie im Laufe des Buches zu beantworten. Aber zunächst solltest du dringend selbst ein wenig darüber nachdenken.

Dein weiterer Weg

Wenn du mit den oben beschriebenen Übungen fertig bist, kannst du folgende Dinge ausprobieren.

Fasse den festen Vorsatz, jeden Tag drei Minuten zu meditieren – alle deine Gedanken und Urteile zu beobachten. Wenn du länger üben kannst, ist das wunderbar. Aber niemand soll sich damit herausreden können, er oder sie hätte im Laufe des Tages keine Zeit zum Meditieren. Du hast drei Minuten. Mehr brauchst du auch nicht, um festzustellen, wie dein Geist ins Denken und Urteilen abschweift, und ihn sanft zum Atem zurückzuholen. Jedes Mal, wenn du das tust, entwickelst du eine wertvolle Fähigkeit.Überlege dir, warum es den Menschen so schwerfällt, sich länger auf eine Sache (den Atem) zu konzentrieren, ohne von Gedanken abgelenkt zu werden. Was verrät es dir über das Wesen des Denkens?