Das Testament der Isis - Andy Hermann - E-Book

Das Testament der Isis E-Book

Andy Hermann

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Beschreibung

Wie gefährlich ist ein Papyrus, der mehr als doppelt so alt ist, wie die Ursprünge der ägyptischen Zivilisation? Welches tödliche Geheimnis ist darin verborgen? Ein Berliner Archäologieprofessor hat das Papyrus in Kairo als Fälschung billig erstanden, es sollte ein Souvenir für seine Frau sein. Doch bald wird er gnadenlos gejagt, da mysteriöse Ägypter das Papyrus unbedingt wieder haben wollen. Es darf keine Übersetzung geben. Es ist aber zu spät, seiner Tochter Anna, einer angehenden Anthropologin und ihrem Freund, einem IT-Experten, ist die Übersetzung mittels IT und künstlicher Intelligenz gelungen und Julia, eine Hamburger Journalistin hat von der Sache Wind bekommen und wittert die Megastory. Alle wollen nach Kairo, aber nur Julia kennt Alwin, den Abenteurer mit dessen Hilfe sie geheime Nachforschungen anstellen. Sie wissen nicht, in welch tödliche Gefahr sie sich begeben, als sie wie Grabräuber illegal in den Untergrund des Gizeh Plateaus vordringen. Gibt es dort unten die Kammer des Wissens, von der schon Herodot gewusst haben soll? Finden sie tief unter der Wüste Beweise für eine untergegangene uralte High Tech Zivilisation oder werden sie alle in dem unterirdischen Labyrinth sterben?

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Vorbemerkung

Diese Geschichte und sämtliche darin handelnden Personen und Organisationen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen, Organisationen und politischen Parteien sind rein zufällig und erlauben keine wie immer gearteten Rückschlüsse auf diese oder deren Meinungen und Handlungen.

Die Geschichte kann aber auch einen wahren Kern haben. Nähere Ausführungen dazu sind im Anhang dieses Buches enthalten.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Nachwort

Kapitel 1

Das Gedränge wurde ärger und schlimmer. Was für eine absurde Idee, sich Freitag nachmittags durch den Basar in der Altstadt von Kairo drängen zu müssen. Frank Steiner stöhnte innerlich. Aber er ertrug es tapfer, denn der Basarbesuch war die Idee seiner Frau Elisabeth gewesen, die sich, einen Schritt vor ihm gehend, selbstbewusst ihren Weg durch die Menge bahnte.

Frank Steiner kannte sich in Kairo aus, er war beruflich schon oft hier gewesen. Nun hatte er seiner Frau zum fünfundzwanzigsten Hochzeitstag diesen speziellen Ägyptenurlaub geschenkt.

Universitätsprofessor DDr. Frank Steiner war Anfang fünfzig, Archäologe und Institutsleiter für Ägyptologie und Archäologie an der Humbold Universität Berlin.

Seine Frau Elisabeth war das erste Mal in Ägypten und hatte ihre eigenen Vorstellungen von diesem Land. In ihrem Kopf war das Bild des alten Orients gespeichert, welches sich so gar nicht mit dem modernen Ägypten zur Deckung bringen ließ. Als eine High Society Lady reinsten Wassers, blond und groß gewachsen mit guter Figur, obwohl sie schon auf die Fünfzig zuging, wollte sie ihren Freundinnen imponieren, dass sie in Ägypten Dinge gesehen hatte, die ein normaler Tourist nie zu Gesicht bekäme. Denn schließlich kannte Frank den Grabungsleiter für Gizeh, Amir Sjariff sehr gut, da er mit ihm schon öfters in wissenschaftlichem Austausch gestanden war.

So hatten sie in den letzten Tagen im Ägyptischen Museum Räume besucht, die normalerweise nicht öffentlich zugänglich sind. In Gizeh hatten sie eine Extraführung von Amir Sjariff persönlich in der großen Pyramide bekommen.

Es solle dort noch geheime Kammern geben, wie Elisabeth Steiner in der Zeitung gelesen hatte. Amir Sjariff versicherte aber, dass an diesen Zeitungsmeldungen nichts dran sei, die Leute spekulierten einfach zu gerne. Die große Pyramide sei von Cheops erbaut worden, das sei eindeutig wissenschaftlich belegt.

Elisabeth glaubte es nicht ganz, war aber glücklich, da sie mittels Spiegel sogar einen Blick in den engen abgewinkelten Entlüftungsschacht werfen durfte, durch den der Roboter Uppernaut von Ing. Gantenbring vor einigen Jahren gefahren war. Außer Sand sei dabei nichts entdeckt worden, erklärte Amir Sjariff mit herablassender Geste. Der Schacht war im Querschnitt bloß zwanzig Zentimeter breit.

Nun aber im Basar in der engen Altstadt von Kairo wollte Elisabeth Steiner unbedingt noch ein besonderes ägyptisches „antikes“ Souvenir ergattern, das sie daheim in ihr ausladendes Wohnzimmer stellen konnte.

Die Gassen wurden immer enger und verwinkelter. Als Sonnenschutz waren zwischen den Häusern Planen angebracht, die kaum noch Licht durchließen. Die Menge schob sich langsam vorwärts. Zwischen den kleinen Läden, die ihre Verkaufsregale noch ein gutes Stück in die engen Gassen hineinragen ließen, war ein Durchkommen kaum noch möglich. Händler priesen lautstark ihre Ware, sodass das eigene Wort nicht mehr zu hören war. Dazu erklang orientalische Musik aus zahllosen Lautsprechern. Frank konnte sich mit Elisabeth nur schreiend verständigen. So ähnlich stellte sich Frank das Inferno in Dantes erstem Kreis der Hölle vor. Er bereute, dass er sich zu diesem Basarbesuch hatte überreden lassen.

Elisabeth konnte auch nichts Passendes finden. Jede Menge Kitsch und Ramsch, aber nichts, was wie alte Kunst aussah oder als echt antikes Stück hätte durchgehen können.

Sie begann ärgerlich zu werden. Frank merkte es an der Art, wie sie sich immer einen Schritt vor ihm durch die Menge drängte und dabei ihre Ellbogen einsetzte, um rascher vorwärtszukommen. Als Einheimische hätte sie so bald Probleme bekommen, doch Touristinnen war es erlaubt, sich gegen die Regeln zu benehmen. Sie würde schließlich ihr Geld hierlassen, dachten die Männer, die sie anrempelte.

Es half aber alles nicht, denn der ägyptische Holzelefant, der ihr gefallen hatte, war zu groß, um transportiert zu werden. Die angebotenen Wasserpfeifen gefielen ihr nicht. Gewürze, die es hier in Mengen gab, konnte sie nicht brauchen, sie konnte schließlich nicht kochen. Kleidung kam nicht in Frage, die konnte sie nicht ins Wohnzimmer stellen. Die Gemälde waren von solch abgrundtiefer Hässlichkeit und sonst gab es nur Dinge, wie Wandteller und kleine Dolche, die für jeden anderen Touristen gut genug seien, aber für sie nicht.

Plötzlich wurden sie von einem kleinen Ägypter auf Deutsch angesprochen. „Sie suchen das Besondere, etwas das sonst niemand hat! Da habe ich etwas für Sie“, meinte er mit verschwörerischer Miene und vertraulich tuend.

Frank gefiel das gar nicht, er kannte diese Typen, welche auf einen schnellen Betrug aus waren. Der Kleine, der aussah, wie wenn er mindestens schon achtzig Jahre alt wäre und im Mund nur mehr zwei Zähne hatte, musste sie vorhin beobachtet haben, als sich Elisabeth lautstark beschwert hatte, dass es hier nichts zu kaufen gäbe, dachte Frank.

„Kommen Sie in meinen Laden, ich zeige es Ihnen“, rief der Kleine, der Frank kaum bis zur Brust reichte, und ergriff einfach den Arm von Elisabeth, um sie in seinen Laden zu ziehen. Sie war neugierig geworden, doch Frank wollte weitergehen.

„Lass uns das doch ansehen“, räsonierte sie, „es kostet uns doch nichts, und hier heraußen ist ja nichts Vernünftiges zu finden.“

Frank dachte an die Touristenpolizei, die hier am Basar eigentlich alles überwachen sollte. Das Verkaufslokal müsste in Ordnung sein, ihre Wertsachen hatten sie sicher am Körper verwahrt, die würde niemand so schnell stehlen können. In weitere Hinterzimmer würde er sich aber nicht locken lassen.

Sie betraten den Laden des Kleinen. Ihre Augen mussten sich erst an die Düsternis gewöhnen. Nach dem Lärm der Gasse umfing sie hier drinnen eine wohltuende Stille, denn der Kleine hatte die Ladentür hinter ihnen geschlossen. „Einen Moment, ich muss es erst holen, warten Sie bitte hier“, sagte er.

Das war ungewöhnlich, dachte Frank, normalerweise würde er das Ding schon vorne im Laden haben. Denn inzwischen könnten sie den Laden wieder verlassen haben, wenn der Kleine nicht schnell genug wieder da wäre.

Nachdem sich Franks Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, sah er, wie weit der Laden nach hinten reichte. An beiden Seitenwänden gab es bis zur Decke reichende Regale, die über und über mit alten Büchern und Schriften vollgestopft waren. Das sah aus, wie ein Antiquariat. Deshalb auch die Ladentür, denn die meistens Läden hier hatten keine Türen, sondern nur einen Rollbalken. Franks Interesse begann zu erwachen.

Sie waren die einzigen Kunden in diesem Laden, ein zweiter Verkäufer war auch nicht zu sehen. Elisabeth begann ungeduldig zu werden. „Wo bleibt das kleine Kerlchen bloß“, rief sie verärgert aus. Frank erkannte dagegen mit Kennerblick, dass es hier einige literarische Schätze gab.

„Jetzt warten wir eben “, erklärte er mit Bestimmtheit, „wer weiß, was er bringt.“

Da kam er auch schon aus der Dunkelheit von hinten mit einer Mappe in der Hand. „Das ist für Ihren Wandschmuck“, erklärte er mit wichtiger Miene, „natürlich nicht echt, aber sieht aus wie echt und ist aus dem Neunzehnten Jahrhundert.“

Mit diesen Worten öffnete er die Mappe und einige Papyrusblätter kamen zum Vorschein.

Frank begutachtete die Blätter höchst interessiert, er kannte sich mit Hieroglyphen sehr gut aus. Innerlich jubilierte er, denn solche Blätter hätte er immer schon gerne als Wandschmuck haben wollen, aber Originale durften es logischerweise nicht sein, und die billigen Kopien hatten ihm alle nicht gefallen.

Doch diese Blätter sahen viel besser aus als alles, was er bisher zu Gesicht bekommen hatte. Sie wirkten beinahe wie echt. Er prüfte mit dem Finger die Textur und konnte nichts daran aussetzen. Er versuchte, den Anfang des Textes zu entziffern, aber es gelang ihm nicht. Das ärgerte ihn, denn in der Regel stand auf diesen Kopien immer irgendein bekannter Text eines Originalpapyrus, den der Kopist einfach abgemalt hatte.

Entweder waren die Hieroglyphen hier frei erfunden, oder er kannte diesen Text nicht. Aber egal, dachte er sich, die Papiere sahen sehr gut aus. Jetzt ging es nur mehr um den Preis. Der Kleine wollte sicher astronomisch viel Geld dafür, denn Frank und Elisabeth sahen in ihrem teuren Touristenoutfit einfach nach viel Geld aus.

„Sind die echt?“, fragte Elisabeth, die nicht richtig zugehört hatte. „Ja, echt neunzehntes Jahrhundert, heutzutage macht sich niemand mehr die Mühe Hieroglyphen händisch abzumalen, heute wird so etwas fotokopiert,“ erklärte Frank. „Was sollen sie kosten?“ Das Feilschen konnte beginnen.

„Dreißig Euro, alle Blätter zusammen“, erklärte der Kleine.

Das hatte Frank nicht erwartet, das war viel zu billig. Denn auch wenn die Blätter nicht aus der Pharaonenzeit stammten, so waren sie doch echte Handarbeit aus dem vorvorigen Jahrhundert und hatten sicher einen gewissen Wert. Nun wollte er die Blätter unbedingt, seine Gier erwachte und seine Vorsicht schwand.

Elisabeth war begeistert: „Die kommen ins Wohnzimmer, eines kannst du für dein Arbeitszimmer haben“, erklärte sie resolut.

Frank war so perplex über den Preis, dass er auf´ s Feilschen vergaß und umstandslos die sechshundert Ägyptischen Pfund hinblätterte, die umgerechnet gerade dreißig Euro wert waren. Der kleine Ägypter verabschiedete sich wortreich von ihnen und schon standen sie wieder im Gedränge des Basars.

„Ilse wird Augen machen, wenn sie diese Blätter sieht, ein echtes, fast antikes Schnäppchen“, jubilierte Elisabeth Steiner.

„Hoffentlich erkennen die Grenzbeamten auch, dass die Blätter fast neu sind“, dachte Frank als sie sich wieder ihren Weg durch das Gedränge bahnten, um zurück zum Hotel zu gelangen.

Dabei bemerkten sie nicht, wie der Kleine den Laden unmittelbar hinter ihnen abgeschlossen hatte und ein Rollbalken nach unten rasselte.

Kapitel 2

Es war Sonntagabend und bald würde Anna, die Tochter von Professor Steiner sich wieder in den ICE setzen müssen, um nach Freiburg im Breisgau zu fahren. Sie war Masterstudentin der Anthropologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, dreiundzwanzig Jahre jung, blond, groß gewachsen und von Berufs wegen sehr neugierig.

Aber noch saß sie gemeinsam mit ihrem Freund in einem kleinen Restaurant im Zentrum von Karlsruhe und sie hatten eben ihr Abendessen bestellt.

Dieser hieß Fabian Kuntner, war mittelgroß und hager. Meist war er sehr introvertiert, beinahe ein Nerd. Er war Assistent am KIT, dem Karlsruher Institut für Technology, hatte seinen Master in IT in der Tasche und war mit seinen siebenundzwanzig Jahren Spezialist für KI, der vieldiskutierten künstlichen Intelligenz.

Die beiden verband seit zwei Jahren eine leidenschaftliche Wochenendbeziehung. Einmal trafen sie sich in Karlsruhe, wo Fabian eine kleine zwei Zimmer Wohnung hatte, und einmal in Freiburg, wo Anna ein Zimmer in einer WG mit zwei weiteren Studentinnen bewohnte.

Dieses Wochenende war Karlsruhe dran gewesen. Es war jedoch nicht so harmonisch verlaufen wie sonst. Nicht, dass sie sich ernsthaft gestritten hätten, aber sie waren ständig anderer Meinung. Das hatte es bisher noch nie gegeben.

Anna vermutete, dass Fabian zu viel Stress auf der Uni hatte und Fabian vermutete, dass Anna mit ihrer Masterarbeit nicht so recht vorankam, wie sie in ehrgeiziger Weise geplant hatte. So ergab ständig ein Wort das andere und Widerspruch war auf der Tagesordnung.

Dabei war ihr Liebesleben Freitagnacht noch wunderbar in Ordnung gewesen. Doch Samstag früh hatte Anna plötzlich gestört, dass die Wohnung von Fabian so gar nicht aufgeräumt war. Eine typische Studentenbude, wie Anna meinte, was Fabians Stolz verletzte, da er schließlich längst kein Student mehr war.

Nun diskutierten sie über Sinn und Unsinn von Emojis. Für Fabian waren Emojis der perfekte und einfache Weg, sich prägnant und kurz auszudrücken. „Mit einem Smiley in allen Variationen lässt sich alles sagen“, meinte Fabian, „denn ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Die KI könne das sogar leicht interpretieren und darauf käme es schließlich an. Ohne künstliche Intelligenz gäbe es kein Google, kein Facebook und kein Amazon, war Fabian von den Segnungen der High End Technology überzeugt.

Anna war nicht gegen High End Technology, denn auch sie brauchte KI für ihre Recherchen, aber als Anthropologin war ihr die KI einfach zu unmenschlich. Wahre Gefühle würden durch Emoticons ersetzt und die Menschen würden verlernen, sich vernünftig auszudrücken. Die Sprache käme unter die Räder, wenn in einem Social Media Text Piktogramme und Emojis bald häufiger zu finden seien, als ein korrekter deutscher Satz. Das war ihre Überzeugung, die sie viel zu emotional zum Ausdruck brachte.

Von da zum Ausländerthema war es nur ein Schritt. Fabian war es egal, ob jemand Deutsch konnte, Hauptsache die IT-Kenntnisse der Person waren vorhanden. Toleranz war ihm wichtig.

Anna meinte, da würde die deutsche Kultur wohl bald aussterben. Dies wäre zwar durchaus zu verkraften bei dem heutigen Kulturangebot, das Problem wäre aber, was danach käme. Radikale muslimische Fundamentalisten, die die Frauenrechte um sechshundert Jahre zurückdrehen würden, so wie es in Afghanistan gerade passiert, oder radikale Rechte in Deutschland, die das Mutterkreuz wieder einführen wollten und die Frauen zu Gebärmaschinen für künftige deutsche Soldaten degradieren würden. Beides nicht sehr verlockend.

Sie, Anna, würde für Demokratie und Frauenrechte auf die Barrikaden steigen, wenn es einmal sein müsste. Aber sie glaube den Schwachsinn über den Untergang der Deutschen Zivilisation sowieso nicht, denn das sei alles nur Gewäsch in den Medien und den sozialen Netzwerken.

„Nimm die alten Ägypter mit ihrer komplexen Silben- und Bilderschrift als Beispiel. Die wurden von den Griechen einfach überrannt. Das griechische Alphabet ist viel einfacher als die ägyptische Schrift“, dozierte sie vor sich hin. „In der ägyptischen Schrift fehlten einfach die Vokale und die Texte konnten nie eindeutig gelesen werden, sondern immer nur im Zusammenhang mit anderen Textteilen. Ganz genau so, wie bei den Emojis. Da kann auch jeder interpretieren, wie er will und keiner kennt sich wirklich aus“, stichelte sie.

Sie war eben die Tochter ihres Vaters, Professors für Ägyptologie, das ließ sich nicht verleugnen.

„Ist ja gut“, lenkte Fabian ein, „Ägyptisch könnt ihr besser, du und dein Vater. Aber ohne die KI hätten wir uns schließlich gar nicht kennengelernt“, wechselte Fabian das Thema, da er die Diskussionen beenden wollte. Im Streit verabschieden und bis zum nächsten Wochenende warten wollte er nicht.

Vielleicht würde er seine Wohnung etwas aufräumen, damit Anna beim nächsten Mal nichts zu meckern hätte. Sie gefiel ihm viel zu gut, als dass er eine ernsthafte Beziehungskrise wollte.

„Ich weiß“, erinnerte sich Anna, nun auch etwas friedlicher gestimmt. „Das Projekt der Hieroglyphenübersetzung mit eurem KI-Supercomputer am KIT, das mein Vater angetriggert hatte. Du hattest damals gerade deinen Master gemacht und warst voll motiviert in deinem ersten Projekt als Uni Assistent.“

Damals waren sich Anna und Fabian in Berlin über den Weg gelaufen und hatten sich gleich beim ersten Treffen ineinander verliebt. Es war typische Liebe auf den ersten Blick.

Aber dieses Gefühl war nun schon eine ganze Weile her. Inzwischen wussten beide, dass sie sich irgendwann entscheiden müssten, wie es mit ihrer Beziehung weitergehen sollte.

Anna war noch jung, gerade dreiundzwanzig, der Altersunterschied von vier Jahren konnte keine Rolle spielen, aber noch wollte sie keine wirklich feste Bindung, die Wochenendbeziehung war ihr gerade recht.

Fabian brachte sie schließlich zum Bahnhof, wo sie sich mit einem viel zu kurzen Kuss von ihm verabschiedete. Sie würden sich nächste Woche in Freiburg im Breisgau treffen. Fabian fühlte sich unbehaglich, wenn er an die WG mit den beiden Studienkolleginnen von Anna dachte. Die strahlten ihm einfach zu viel Selbstbewusstsein aus, das er selbst nicht hatte. Er verkroch sich lieber hinter seine Bildschirme, als dass er seine Meinung in eine lautstarke und emotionale Diskussionsrunde einbringen würde.

Kapitel 3

„Wir sollten uns langsam entscheiden, denn bald beginnt die Regenzeit“, erklärte Julia, die sich behaglich auf ihrem Sofa fläzte. Sie lag daheim in ihrer luxuriösen Hamburger Flat, in einem der umgebauten Speicher des alten Hafens mit direktem Blick auf die Elbphilharmonie.

Julia, klein und rothaarig, wusste immer, was sie wollte, ganz im Gegensatz zu Stefanie, die gerade am anderen Ende des Smartphones erklärte: „Ich weiß, aber mach bitte keinen Stress, ich muss es mir noch überlegen.“

Julia seufzte hörbar und meinte: „Ich will ja nicht drängen, aber was sagst du zu dem Angebot. Das Hotel hat fünf Sterne und ist bloß zwei Bootsstunden von Male entfernt. Das ist ein Traum und sogar günstig, wenn ich mir die anderen Angebote so ansehe.“

„Du hast ja recht“, beschwichtigte sie Stefanie, „aber die Zimmer liegen direkt im Wasser und sind auf Stelzen mitten ins Meer gebaut. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will. Wenn da ein Sturm kommt, sind wir in Gefahr.“

„Zu dieser Jahreszeit nicht, da kommen keine Stürme, im April ist noch keine Regenzeit. Erst im Sommer kann es nass und windig werden“, erklärte Julia. „Die Malediven waren doch deine Idee, da haben wir zwei Wochen völlig ungestört nur für uns beide.“

„Ich weiß“, erklärte Stefanie. „Ich weiß auch, dass wir die letzte Generation sind, die noch auf die Malediven fahren kann, denn später sind sie schon im Meer versunken. Es macht mir einfach Angst, so mitten im Ozean unser Zimmer zu haben.“

„Der Ozean ist dort nur drei Meter tief, das sind kleine Atolle, auf denen unser Hotel steht. Auf Stelzen gebaut, direkt an der Küste einer kleinen Insel. Das Hotel hat nur vierzig Zimmer und ist das einzige Hotel auf der ganzen Insel. Verträumter und einsamer geht es nicht mehr, das ist das richtige Liebesnest für uns beide“, lockte Julia.

„Du hast ja recht, ich will endlich länger am Stück mit dir zusammen sein. Nur die Wochenenden sind mir zu wenig. Romantische Zweisamkeit mit Blick auf den Ozean und himmlische Sonnenuntergänge mit dir genießen. Dazu eine Flasche guten Roten und das Glück wäre perfekt“, seufzte Stefanie.

„Dann lass uns endlich buchen“, rief Julia ins Smartphone. „Vergiss deine Ängste und Sorgen, so schnell versinken die Malediven nicht im Meer und wer weiß, ob das überhaupt je passiert. Nicht alles stimmt, was Journalisten schreiben. Ich muss das schließlich wissen, ich bin selbst Journalistin.“

„Gut, ich gebe mich geschlagen, du kannst die Buchung machen. Wir fliegen Ende April wie geplant. Weil vom Regen habe ich genug. Hier in Karlsruhe schüttet es seit Tagen fürchterlich. Das muss der Klimawandel sein, die Starkregenereignisse werden immer schlimmer, heißt es.“

Stefanie war ganz und gar Wissenschaftlerin und wusste über den Klimawandel Bescheid. Trotzdem riskierte sie den ökologischen Fußabdruck eines Fluges nach Male, da sie mit ihrer Freundin zusammen sein wollte.

Sie hätten zwar auch einen Bergurlaub in den Schweizer Alpen machen können oder nur bis zur Cote d‘ Azur fliegen, aber dort waren ihnen viel zu viele Leute. Sie wollten beide ungestört sein und nur Zeit für sich haben. Da musste es etwas einsamer sein, auch wenn der Flug etwas länger war, das hatten sie sich schließlich verdient. Sie war noch nie so weit weg gewesen, beruhigte sie ihr Ökogewissen. Einmal darf Frau das machen. Alle aus ihrem Bekanntenkreis waren schließlich schon vor ihnen dort gewesen.

„Bei uns in Hamburg hat es seit Wochen nicht geregnet, wir haben eine fürchterliche Trockenheit, der Wasserstand der Elbe ist viel zu niedrig. Bald können die großen Containerfrachter nicht mehr in den Hafen einlaufen, eine einzige Katastrophe“, entgegnete Julia.

„Eben, wenn die Welt schon untergeht, dann gönnen wir uns jetzt den Romantikurlaub und stoßen am Ende der Welt auf das Ende der Welt an, mit einer guten Flasche erlesenen Bordeaux“, konterte Stefanie.

Ihre Laune hatte sich nun gebessert, da die Entscheidung endlich gefallen war, die sie tagelang vor sich hergeschoben hatte. Sie hatte den Anschubser von Julia gebraucht. Stefanie war zwar Managerin und Wissenschaftlerin, aber sie forderte meist zu viele Zahlen, Daten und Fakten, um eine Entscheidung treffen zu können. Das brauchte zu viel Zeit und wenn dann noch undefinierbare Ängste dazu kamen, war sie nicht in der Lage, ja oder nein zu sagen, sondern schob die Entscheidung immer weiter auf.

Was täte sie nur, wenn sie Julia nicht hätte, dachte sie bei sich, als sie das Gespräch mit Belanglosigkeiten fortsetzten. Julia war da ganz anders, sie traf oft Entscheidungen, die sie später bereute, weil sie nicht genügend nachgedacht hatte.

Sie trafen sich nur alle paar Wochen auf ein verlängertes Wochenende, aber sie telefonierten häufig und tauschten sich über WhatsApp aus. Das half, die Entfernung zwischen Hamburg und Karlsruhe schrumpfen zu lassen.

Ihrer Liebe zueinander tat die Entfernung keinen Abbruch. Zusammen Wohnen war derzeit nicht drin, da jede ihren Job nicht aufgeben konnte oder wollte. Aber das könnte sich irgendwann noch ändern, dachte jede für sich.

Kapitel 4

Frank Steiner saß in Berlin zu Hause im Arbeitszimmer am Schreibtisch und lehnte sich zufrieden zurück. Eben hatte er eine Seminararbeit einer fähigen Studentin gelesen und beurteilt. Diese junge Dame sei eine große Nachwuchshoffnung, dachte er. Wenige beschäftigten sich noch ernsthaft mit Archäologie, denn die Zeit der großen Entdeckungen war wohl endgültig vorbei. Alles war schon von anderen ausgegraben worden.

Berühmt würde er nicht mehr werden können, denn die Forschungsbudgets für Archäologie waren in Deutschland und auch anderswo inzwischen viel zu gering.

Zu Zeiten Schliemanns hätte er leben müssen, dachte Frank oft, da waren große Entdeckungen noch drinnen. Schliemann hatte Troja ausgegraben, auch wenn er es der falschen geologischen Schicht zugeordnet hatte. Der Grabungsort, der Hügel Hisarlık war korrekt gewesen. Schliemanns Troja war um über tausend Jahre zu alt, er hatte sich durch Troja hindurch auf eine andere Grabungsschicht konzentriert.

Franks Blick fiel auf das Papyrusblatt aus Ägypten, das in seinem Arbeitszimmer eingerahmt an der Wand hing. Zwei der anderen Blätter hingen im Wohnzimmer an der Wand, die übrigen drei Blätter hatte er in seinem Schreibtisch verwahrt.

Die Blätter waren ein voller Erfolg gewesen. Bei der Abendeinladung vor zwei Tagen hatten sie ihr Haus voller Gäste gehabt. Alle hatten die Papyri bestaunt und fast alle hätten sie für echt gehalten, bis Frank launig die Geschichte des Erwerbs zum Besten gab und mit Kennerblick erklärte: „Natürlich nur eine Kopie aus dem neunzehnten Jahrhundert, die sind doch viel zu gut erhalten. Echte Papyri würde er doch ans Museum weitergeben.“

Alle hatten gelacht, wie Frank den großen Ägyptologen herausgekehrt hatte. Frank hatte sich dabei sehr gefreut.

Seine Frau hatte schon Tage vorher allen Freundinnen berichtet, was für großartige Papyri sie in Ägypten gefunden hätten.

Beinahe wäre es dann noch zum Eklat gekommen, als Hans Bäumler, der Mann von Elisabeths Freundin Ilse, Frank gefragt hatte, was denn in den Papyri drinnen stehe.

Da wäre Frank fast aus der Haut gefahren. Denn es ärgerte ihn mächtig, dass er, der große Professor für Ägyptologie, diese Papyri nicht lesen konnte.

„Der Schreiberling, der das verfasst hat, muss wohl ein bezahlter Beamter der britischen Kolonialverwaltung gewesen sein, denn der Inhalt ergibt überhaupt keinen Sinn“, hatte Frank patzig erklärt. „Die ägyptische Grammatik wird hier völlig falsch angewandt, die Hieroglyphen stehen da völlig ohne Zusammenhang.“

„Wenn du das nicht lesen kannst, dann wird es wohl ewig ein Geheimnis bleiben“, hatte Hans süffisant geantwortet, Worauf Frank ihm einen giftigen Blick zugeworfen hatte. Ein Streit schien unvermeidlich.

Doch Ilse Bäumler hatte Frank einen schelmischen Blick zugeworfen und ihn freundschaftlich in die Seite gestoßen: „Mach dir nicht´s draus, Frank! Hans hätte ja nicht einmal erkannt, dass das Hieroglyphen sind. Gell Hans, du bist ja schon froh, wenn deine Geschäftspartner dein Businessenglisch verstehen.“

Frank hatte den Hinweis verstanden und legte den Arm um die Schulter von Ilse, mit der er ganz gerne immer wieder flirtete.

„Lass uns etwas trinken gehen und dann kann ich euch ein paar Videos von Orten aus Ägypten zeigen, wo garantiert kein Tourist je hinkommt“, lenkte er ab.

Hans wurde inzwischen von Elisabeth zur Terrasse gezogen: „Lass uns kurz eine Zigarette rauchen gehen“, meinte sie mehrdeutig.

Die Ehepaare Bäumler und Steiner konnten unterschiedlicher nicht sein. Doch Elisabeth und Ilse waren seit Jahren befreundet, Frank mit Hans eher weniger. Die beiden Männer mussten bei gesellschaftlichen Anlässen miteinander auskommen, ohne dass es allzu peinlich oder ärgerlich wurde. Frank, der gebildete Universitätsprofessor und Lehrstuhlinhaber für Archäologie an der Humbold Universität in Berlin und im Gegensatz dazu Hans, der sich von ganz unten als „Selfmademan“ nach amerikanischem Vorbild hochgearbeitet hatte und nun Iron Security, eine Sicherheitsfirma mit mehr als zweihundert Angestellten, sein Eigen nennen konnte. Zur akademischen Bildung hatte es bei ihm nie gereicht. Dafür besaß er den Helikopterschein und war als Major der Reserve mit fünfzig aus der Bundeswehr ausgeschieden. Mit seinen sechzig Jahren war er noch extrem sportlich und aktiv im Triathlon. Zudem absolvierte er regelmäßig Schießtrainings am Schießplatz.

Seine Frau Ilse war fast zehn Jahre jünger und im Alter von Elisabeth. Beide liebten es, in der besseren Gesellschaft von Berlin die Events unsicher zu machen und andere Leute auszurichten. Jede flirtete auch immer wieder mit dem Ehemann der jeweils anderen, was beide auch tolerierten, solange nichts Ernsthaftes daraus wurde.

Den Frauen gefielen diese Spielchen, wenngleich Ilse einmal Elisabeth belustigt berichtet hatte, Hans habe gedroht, wenn er einmal Frank mit Ilse im Bett vorfände, würde er sofort beide erschießen. Ilse nahm das Gerede von Hans aber nicht ernst, sondern fand, das sei bloß das alberne Gehabe eines der Unterschicht entkommenen Machos. Denn Ilse stammte aus besserem Hause, ihre Eltern waren Fabrikanten und hatten Hans, den Emporkömmling am Anfang ihrer Beziehung mehr als scheel angesehen.

All das war Frank durch den Kopf gegangen, als er das Papyrus an der Wand betrachtete.

Er stand auf und ging zum Fenster seines Arbeitszimmers und blickte in den Garten der Villa, der im schwachen Schein der Straßenlampen nur undeutlich zu erkennen war. Jetzt Anfang März war der Garten noch im Winterschlaf, aber das würde sich bald ändern. Frank wusste, dass seine Frau dann wieder den Gärtner mit allerlei exotischen Pflanzenwünschen quälen würde, die dann den Sommer im Berliner Klima doch nicht überleben würden. Aber vielleicht käme durch die Klimaänderung Berlin in ein Tropenklima, wo auch die exotischen Blüten seiner Frau gedeihen konnten.

Heute war seine Frau mit Ilse zusammen bei einer Charity Veranstaltung am Kurfürstendamm und Frank hatte Zeit für sich und konnte über sein Leben und seine weiteren Pläne sinnieren.

Er wusste, dass seine Frau gerne einen berühmten Archäologen zum Mann gehabt hätte. Doch mit seiner Berühmtheit war es eben nicht so weit her. Er konnte gerade ein paar begabte Studentinnen wissenschaftlich begleiten. Wobei es bei wissenschaftlich blieb, denn Flirts mit Studentinnen verbot er sich strikt. Bei ihm konnte keine mit schmachtenden Blicken bessere Beurteilungen erhalten. Jede die dies versucht hatte, war um mindestens einen Notengrad abgerutscht.

Eine große Entdeckung war ihm bisher aber versagt geblieben. Er war zwar an einigen Projekten in Ägypten aktiv beteiligt gewesen, aber diese hatten keine Sensationen zu Tage gefördert. Das Alltagsleben der Ägypter unter der soundsovielten Pharaonendynastie interessierte die Öffentlichkeit eben nicht mehr.

Dabei hätte er nicht von sich behaupten können, dass er gescheitert sei. Es hatte sich keine Gelegenheit geboten, um zu scheitern. Sein Leben war zu normal und unspektakulär verlaufen. Er hatte geforscht und gelehrt, viele Reisen mit seiner Frau und früher noch zusammen mit ihrer Tochter gemacht. war Professor und Lehrstuhlinhaber war er geworden, weil er einer der Besten in Ägyptologie in ganz Deutschland war.

Aber was interessierte sich die Öffentlichkeit für Ägyptologie, wenn nichts Neues entdeckt wurde. Dieser Schweizer Hobbyforscher hatte es da leichter. Schreibt ein Buch nach dem anderen über angebliche Außerirdische, die in Ägypten ein und aus gegangen sein sollen und wird damit berühmt.

Ein weiteres unversehrt erhalten gebliebenes Pharaonengrab müsste er finden, dachte er. So eines, wie bei Tutanchamun, dann wäre er über Nacht berühmt. Aber Amir Sjariff, der Grabungsleiter von Gizeh hatte ihm versichert, dass es nicht mehr viel zu finden gäbe und sie keinem Grab auf der Spur seien.

Frank war sich sicher, dass Amir Sharif nicht die Wahrheit gesagt hatte. Den Ruhm eines neu entdeckten Grabes würde er selbst einstreifen wollen. Frank im fernen Berlin würde durch die Finger schauen.

Er sah durch das Fenster über den Vorgarten hinweg zur Straße. Komisch, dachte er sich, es sah so aus, wie wenn dort drüben auf der anderen Straßenseite jemand stünde. Die Gasse, in der die Steinersche Villa lag, war eine kaum befahrene Seitenstraße in Zehlendorf im Südwesten Berlins. Hier stand abends niemand auf den Straßen herum. Es war gegen neun Uhr und alle waren entweder zu Hause oder irgendwo eingeladen.

Frank strengte sich an, um zu sehen, ob er sich täuschte, oder ob dieser Schatten dort drüben wirklich eine Person war. Es gelang ihm nicht, es war zu finster und die nächste Straßenlaterne war zu weit weg. Frank dachte an Einbrecher, die gerade einen Einbruch durchführten und wobei einer Schmiere stehen musste.

Seine Villa würde ein lohnendes Ziel abgeben, dachte Frank, bis ihm die Alarmanlage einfiel, die sich abends immer automatisch aktivierte. Elisabeth durfte dann nie vergessen, den Code für die Fernbedienung am Garagentor richtig einzugeben, denn sonst ging der Alarm los, was schon ein paar Mal passiert war, wenn sie sich mehrmals vertippt hatte.

Die Anlage war erst vor zwei Jahren von Iron Security, der Firma von Hans Bäumler, installiert worden. Hans hatte damals gemeint, in der Villa seien viel zu viele Antiquitäten, da brauche es entsprechenden Schutz. Frank war das am Anfang nicht recht gewesen, aber nun dachte er anders. Die Einbrüche in Villen hatten in den letzten Monaten rapid zugenommen. Hier schien eine Bande am Werk zu sein. Organisierte Kriminalität dachte Frank.

Ein Pling auf seinem Notebook riss Frank aus seinen Gedanken. Eine E-Mail war eingetrudelt. Er würde erst morgen wieder an seinen Computer gehen und alle Mails lesen. Viel zu viel Werbung, die sein Postfach zumüllte.

Aber irgendeinem Impuls folgend ging er zurück zu seinem Schreibtisch und warf einen Blick in die Mailbox.

Was war das denn, wer schrieb solchen Quatsch?, dachte er sich empört.

„Warnung, Sie besitzen Dinge, die uns gehören, geben Sie sie zurück sofort!!“,

war die Betreffzeile des eingelangten Mails.

„Ein neuer Erpressertrick“, dachte Frank, „vermutlich ähnlich der bekannten Nigeria Mails, die immer Millionen versprachen und für die Überweisung Geld verlangten, das dann auf immer weg war.

Doch seine Neugier war stärker. Er wusste sein Virenprogramm auf dem neuesten Stand und öffnete die Mail.

Sehr geehrte Professor Steiner, sie waren in Kairo und haben etwas mitgenommen, das uns gehört. Geben sie es zurück, bevor Unheil geschieht. Es geht um Leben und Tod. Beeilen sie sich, sie haben wenig Zeit.

Bruderschaft THOT

War das jetzt ein schlechter Scherz von Hans, dachte Frank, dem sofort der letzte Disput mit ihm bei ihrem letzten Treffen einfiel. Er untersuchte die E-Mail, um den Absender zu eruieren. Dieser bestand nur aus einer Zahlenkombination und @gmail.com. Frank war kein Computerspezialist, um tiefer in die Mail eindringen zu können. Was sollte er damit anfangen, fragte er sich. Ein plumper Scherz oder eine echte Warnung. Viele wussten, dass er in Ägypten gewesen war, und alle hatten bei seiner Party die Papyri gesehen. Wollte ihn jemand ärgern?

Schließlich ging er zum Fenster, um zu sehen, ob der Schatten noch da war. Er erkannte sofort, der Schatten war weg. An der betreffenden Stelle war nur ein Stück leerer Gehsteig im schwachen Licht einer entfernten Straßenlaterne zu sehen.

Kapitel 5

Die Sonne schien durch die hohen Fenster des Altbaus, in dem Anna zusammen mit zwei Kommilitoninnen in einer WG lebte. Fabian saß bei ihr am Sofa. Die Streiterei vom vorigen Wochenende war vergessen, denn nun mussten sie andere Probleme wälzen.

„Dein Vater ist lustig“, meinte Fabian, „erst kauft er obskure Hieroglyphen bei einem ominösen Basarhändler, dann kann er sie nicht übersetzen. Der große Professor für Ägyptologie kann keine Hieroglyphen lesen. Dann bittet er mich um Hilfe bei der Übersetzung. Wo soll ich die Zeit und die Rechenleistung hernehmen? Ich habe abgelehnt.“

Anna stand nicht der Sinn danach, ihren Vater zu verteidigen, denn sie ärgerte sich genauso über ihren Vater, weil er sie nach der Absage von Fabian angerufen und ihr alles erzählt hatte. So wusste sie von der ominösen E-Mail, von der Fabian aber nichts wusste. Den Schatten hatte der Vater ihr aber verschwiegen, denn er wollte vor seiner Tochter nicht als Paranoiker dastehen.

Sie wollte das E-Mail von ihm haben, aber er hatte sich geweigert, es weiterzuleiten. Er wolle es von einem IT-Experten untersuchen lassen, hatte er bloß gemeint.

„Bitte sag Fabian nichts von dem Mail, sonst will er es unbedingt untersuchen. Ich will von ihm nur, dass er seine künstliche Intelligenz anwirft und versucht, die Texte zu übersetzen“, waren die letzten Worte ihres Vaters, bevor er das Telefonat beendete.

Anna hatte Fabian daher versucht zu überreden, es zumindest zu versuchen und war dabei ganz lieb gewesen.

„Wie stellst du dir das vor“, erklärte Fabian, „wir haben einen Supercomputer für diese Übersetzungssoftware am Institut zur Verfügung, den kann ich nicht so einfach unbemerkt und nebenbei dazu bringen, ein paar Texte zu übersetzen. Bei solchen Riesengeräten kostet die Rechenzeit Unsummen. Wo soll das Budget herkommen? Die paar Tausend Euro, die dein Vater geboten hat, sind viel zu wenig. Außerdem habe ich keine Zeit dafür, ich hänge in meinen Projekten schon jetzt hinter dem Zeitplan.“

Anna setzte ein Schmollgesicht auf und meinte: „Aber mir zuliebe könntest du es doch versuchen?! Wenn es nicht klappt, dann eben nicht, aber ein klitzekleiner Durchlauf mit eurer Software wird doch drinnen sein. Für Vater ist es sehr wichtig.“

Sie sah ihn dabei lieb an und nahm seine Hand in die ihre.

Fabian seufzte: „Ich habe keinen direkten Zugriff auf die Maschine, aber ich kann Marvin Müller fragen, der schuldet mir noch was.“

„Na also“, strahlte Anna ihn an, „wo ein Wille, da ist auch ein Weg.“

Fabian griff zum Smartphone und rief Marvin Müller an. Dieser hob sofort ab. Er war am Institut mit Sonderentwicklungen befasst und hatte sein Smartphone neben der Tastatur liegen. Marvin Müller hatte seinen Master und seinen Doktor schon in der Tasche und war das, was als typischer Nerd bezeichnet wurde. Er bewegte sich kaum vom Computer weg, was ihm auf Grund seines Umfanges auch schwergefallen wäre und lebte nur für die EDV. Er war Systemarchitekt und Projektentwickler am Institut für KI am KIT in Karlsruhe und mit Fabian lose befreundet. Für eine feste Freundschaft waren die beiden viel zu verschieden, da Fabian mehr Bewegung und Sport brauchte, während Marvin nur vor seinen Computern hockte.

Marvin war sofort Feuer und Flamme, als ihm Fabian erklärt hatte, um was es ging. Er war schließlich einer der Admins für den Supercomputer und während einer vorgeblichen Wartungspause könnte er an einem Wochenende die Texte durch die Software jagen und Montag früh hätten sie das Ergebnis.

„Alles kein Problem, mach ich“, war einer seiner standardisierten Lieblingsantworten, wenn jemand von ihm Unmögliches verlangte.

„Aber es geht erst nächstes Wochenende“, fuhr er fort, „denn ich muss erst einiges vorbereiten, um die Software korrekt hochzufahren.

„Einverstanden!“, rief Anna dazwischen, da Fabian sein Smartphone auf Lautsprecher geschaltet hatte, damit Anna alles mithören konnte.

Nach dem Gespräch mit Marvin wollte Anna gleich ihren Vater anrufen, doch da platzten ihre beiden Mitbewohnerinnen, ohne anzuklopfen bei der Tür herein. Sie erklärten, sie hätten zwei Karten zu viel für das heutige Folk Konzert in der Sick Arena und fragten, ob Anna und Marvin nicht mitkommen wollten.

Die beiden waren um einige Jahre jünger als Anna und sehr impulsiv. Man hätte sie für Zwillinge halten können, beide schwarzhaarig und sehr hübsch. Anna kam in der Regel gut mit ihnen aus. Fabian hielt jedoch immer eine merkliche Distanz zu den beiden. Er schien sie nicht zu mögen.

Anna hatte keine Lust, heute auf ein Konzert zu gehen, sie war müde. Doch noch bevor sie ablehnen konnte, rief Fabian aus: „Warum eigentlich nicht? Das machen wir, wir kommen mit.“

Anna war überrumpelt, denn sie hätte nie gedacht, dass Fabian einfach zusagen würde. Er war nicht der große Fan von Konzerten. Wenn sie jetzt dagegen motzte, dann wäre sie die große Spielverderberin.

„Na gut“, ließ sie sich vernehmen, „wenn du möchtest, dann gehen wir mit, aber vorher möchte ich mich noch ein wenig hinlegen, die Woche war anstrengend.“

„Mit drei feschen Mädels auf ein Konzert gehen, das hat was“, feixte Fabian.

Anna wunderte sich, denn so kannte sie Fabian gar nicht.

Da Anna darauf bestand, sich hinzulegen, schickte sie Fabian ins WG-Wohnzimmer, das diesen Namen nicht verdiente, denn es war die gemeinsame Wohnküche, die von allen dreien gemeinsam genutzt wurde. Dort erfuhr er, dass eigentlich ein lesbisches Pärchen, Anita und Susanna, mitgehen hätten sollen. Die beiden hätten aber abgesagt, die Karten waren aber schon bezahlt.

So ganz nebenbei erfuhr er dann, dass einige der auftretenden Bands dem LGBTQ Spektrum zuzurechnen seien. Mit den Buchstaben konnte er nicht viel anfangen, er hatte sich nie dafür interessiert, vielleicht hatte er es aber auch nur verdrängt.

Anna lag in ihrem Zimmer auf dem Sofa, doch statt zu dösen telefonierte sie mit ihrem Vater, um ihm von ihrem Erfolg zu berichten.

Dieser war hoch erfreut und versprach, eine Kopie der Papyri zu schicken. Dem seltsamen Mailschreiber hatte er ausweichend geantwortet, er brauche mehr Information, was denn eigentlich gemeint sei, was er hergeben solle.

„Mit einem Wort, du hast dich blöd gestellt“, fasste Anna seine Ausführungen zusammen. „Glaubst du wirklich, dass du damit durchkommst? Die wollen die Papyri, das ist doch sonnenklar. Was ich nur nicht verstehe, ist, wie sie dich gefunden haben. Ihr wart doch als normale Touristen in Kairo. Es muss dir jemand ins Hotel gefolgt sein, und dann muss dieser jemand recherchiert haben, wer du bist und wo du herkommst.“

„Das ergibt alles keinen Sinn“, erklärte ihr Vater, „auf den Papyri steht wirres Zeug, das keiner übersetzen kann. Das Material ist so gut erhalten, dass es nur eine Fälschung sein kann. Was wollen diese Leute mit diesen Zetteln anfangen?“

„Denk doch logisch“, meinte Anna, „es muss etwas drauf sein, was sehr wertvoll ist. Vielleicht ist es eine Art Schatzkarte, die vor hundert Jahren angefertigt worden ist und die zu unbekannten Gräbern führt, wenn man sie denn lesen kann.“

„Daran habe ich auch schon gedacht“, erwiderte ihr Vater, „denn das gäbe Sinn. Der Text ist nicht nur in Hieroglyphen geschrieben, sondern auch noch verschlüsselt. Deshalb kann ich ihn nicht lesen, weil die einzelnen Zeichen zueinander gesetzt keinen Sinn ergeben. Das könnte es sein!“

„Deshalb werde ich eine C-14 Altersbestimmung bei einem Institut mit der nötigen Ausrüstung machen lassen. Dann wissen wir zumindest das Alter und können weitere Schlüsse ziehen.“

Wenn das tatsächlich eine verschlüsselte Schatzkarte war und er sie entschlüsseln konnte, dann könnte er noch als Entdecker unbekannter Artefakte in die Geschichte der Archäologie eingehen und berühmt werden, schoss es ihm durch den Kopf.

Aber einen verschlüsselten Hieroglyphentext hatte noch nie jemand entschlüsselt, wie sollte das gehen?

Er musste vorsichtig vorgehen, wenn das Geheimnis des Textes zu vielen Personen bekannt würde, dann käme er womöglich um seine Entdeckerehren.

„Sag bitte Marvin nichts über eine Verschlüsselung“, bat er Anna, „er soll seine künstliche Intelligenz anstrengen, vielleicht erfahren wir dann, was im Text steht, ohne dass jeder mitbekommt, dass es sich um eine Schatzkarte handeln könnte.“

„Mach ich, Paps, aber euer damaliges Projekt war doch nicht erfolgreich und wurde deshalb abgebrochen.“

„Ich weiß, aber hast du eine bessere Idee? Das Projekt war vor drei Jahren beendet worden und inzwischen wurde die Software massiv verbessert. Das habe ich in einem Artikel vom KIT gelesen. Die wollen mit dem Tool viele alte Schriften transkribieren. In deren Datenbank sind Millionen und Abermillionen von Zeichen gespeichert. Wenn das funktioniert, ist es das perfekte Werkzeug für uns. Ich habe ein gutes Gefühl, diesmal könnte es klappen.“