Das Trauma von der Seele schreiben - Stephan Konrad Niederwieser - E-Book

Das Trauma von der Seele schreiben E-Book

Stephan Konrad Niederwieser

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Beschreibung

Schreiben, um sich selbst zu heilen. Dabei hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, vier Tage hintereinander jeweils 20 Minuten zu einem Thema zu schreiben. Man kommt wieder mit sich selbst in Kontakt und kann schwierige Lebensereignisse verarbeiten. Das Schreiben hilft auch dabei, sich selbst besser zu verstehen und die Gedanken ruhiger und mitfühlender werden zu lassen, wie viele Studien inzwischen nachgewiesen haben. Stephan Konrad Niederwieser erweitert diese positiven Wirkungen um traumarelevante Aspekte, indem er die Empfindungen im eigenen Körper in den Schreibprozess mit einbezieht. Mit zahlreichen praktischen Hinweisen, um das Heilschreiben gut alleine durchzuführen.

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Der Autor

Stephan Konrad Niederwieser ist seit 1989 Heilpraktiker. Seine psychotherapeutische Grundhaltung wurzelt in der Hakomi-Methode, einer erfahrungsorientierten Körperpsychotherapie, die auf Achtsamkeit basiert. Seit der Jahrtausendwende spezialisiert sich Niederwieser auf Psychotrauma. Er absolvierte mehrere Fortbildungen, unter anderem bei Franz Ruppert, Laurence Heller und Anne Janzen, und ist IoPT-, NARM- und Somatic Experiencing-Therapeut.

Er veröffentlichte eine Reihe von Büchern, zum Beispiel Ratgeber über alternative Naturmedizin mit Heilmitteln wie Lapacho, Schwarzkümmel, Ginseng oder Rizinus sowie Energieheil- und Selbsterfahrungsmethoden.

Der gebürtige Bayer ist verheiratet und lebt heute in seiner Wahlheimat Berlin. In seiner Praxis bietet er Psychotraumatherapie an, Aufstellungen, Tages- und Wochenendseminare zu traumaspezifischen Themen (Scham, Wut und Angst) sowie Kurse, um das Heilschreiben zu erlernen.

www.stephan-niederwieser.de

Das Buch

Schreiben, um sich selbst zu heilen. Dabei hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, vier Tage hintereinander jeweils 20 Minuten zu einem Thema zu schreiben. Man kommt wieder mit sich selbst in Kontakt und kann schwierige Lebensereignisse verarbeiten. Das Schreiben hilft auch dabei, sich selbst besser zu verstehen und die Gedanken ruhiger und mitfühlender werden zu lassen, wie viele Studien inzwischen nachgewiesen haben. Stephan Konrad Niederwieser erweitert diese positiven Wirkungen um traumarelevante Aspekte, indem er die Empfindungen im eigenen Körper in den Schreibprozess mit einbezieht.

Mit zahlreichen praktischen Hinweisen, um das Heilschreiben gut alleine durchzuführen.

Stephan Konrad Niederwieser

DAS TRAUMA

von der Seele schreiben

Eine neue Methode zur Selbstheilung

Kösel

In Erinnerung an meine Schwester Monika

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlag: Weiss Werkstatt, MünchenUmschlagmotiv: shutterstock / Peolla; shutterstock /Andrea KaulitzkiSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-22160-7V001www.koesel.de

Not everything that is faced can be changed, but nothing can be changed until it is faced.Nicht alles, mit dem man konfrontiert wird, kann geändert werden,aber nichts kann geändert werden, mit dem man sich nicht auseinandersetzt.James Baldwin, amerikanischer Schriftsteller und Sozialkritiker (1924–1987)

Haftungsausschluss

Die Übungen, Informationen und Vorschläge in diesem Buch sollen Leserinnen und Lesern helfen, sich ihrer Traumata und Überlebensstrategien bewusst zu werden. Sie sind nicht dazu gedacht, eine Behandlung durch Angehörige der Gesundheitsberufe oder deren Beratern und Betreuung zu ersetzen. Sowohl der Verfasser als auch der Verlag haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, sicherzustellen, dass die angegebenen Informationen zutreffen und aktuell sind, haften jedoch nicht für eventuelle nachteilige Folgen bei Personen, die dieses Buch nutzen.

Zu den Fallbeispielen und Heilungsverläufen

In diesem Buch führe ich Erfahrungen von Menschen an, die mit dem Heilschreiben arbeiten. Bitte beachten Sie, dass ich Merkmale, mit denen der Schreibende identifiziert werden könnte, zu deren Schutz geändert habe. Außerdem sind die Heilungsverläufe erheblich gerafft. Aus dem Kontext genommen mag es so wirken, als würden wenige Sitzungen Heilschreiben genügen, um sich von Traumata zu befreien. Diesen Eindruck zu vermitteln, wäre grob fahrlässig. Die vielen Schritte und oft seitenlangen Wege dorthin mit allen Irrungen und Körperreaktionen abzudrucken, wäre aber ebenso wenig dienlich.

Inhalt

Einführung

Teil 1: Hintergründe des Heilschreibens

Psychotrauma

Der Weg zur Heilung

Grundlagen des Heilschreibens

Nützliche Schreib-Werkzeuge

Ablauf und Gestaltung des Heilschreibens

Wie wirkt das Heilschreiben?

Erste Hilfe bei körperlichen Reaktionen

Teil 2:Heilschreiben in der Praxis

Das 7-Tage-Basisprogramm

Verborgene Erlebnisse verarbeiten

Konkrete Lebensthemen befreien

Anhang

Weitere Anregungen für Ihre Heilung

Dank

Anmerkungen

Literaturhinweise

Der Autor

Einführung

Als mich mein Vater aus seinem Leben ausschloss, war ich 23 Jahre alt. Ich kämpfte zwei Jahre lang um den Kontakt zu ihm, aber mit dem, der ich war, wollte er nichts mehr zu tun haben. Meine Geschwister lud er zu Familientreffen ein, mich nicht. Das hat meine Beziehung zu ihnen jahrelang belastet. Vom eigenen Vater verstoßen zu werden, habe ich damals als vernichtend erlebt.

Ziemlich genau an meinem 18. Geburtstag hatte ich mein erstes Liebesgedicht geschrieben. Schon während des ersten Ringens um die richtigen Worte für meine damalige Freundin veränderte sich etwas in mir. Als würden sich meine Gefühle sortieren. Indem ich meinen Empfindungen Worte verlieh, begann ich sie zu verstehen. Nach und nach ergab alles einen Sinn.

Als mein Vater mich aus seinem Leben ausschloss, hatte ich fünf Jahre Erfahrungen mit dem Schreiben gesammelt. Schreiben war zu einem Ventil geworden. Nichts lag näher, als es auch zu nutzen, um diese schmerzhafte Erfahrung mit meinem Vater zu verarbeiten. Die Worte flossen nicht mehr, sie strömten regelrecht aus mir heraus. Ich schrieb und schrieb, und der Drang wurde immer größer. Aus »Gedichten« wurden skurrile Prosatexte, erste sinnlose Erzählungen, nach und nach aber zusammenhängende Geschichten.

Ich entschied mich schon früh für das Heilen als Beruf. 1989 legte ich in München die Heilpraktikerprüfung ab und machte eine Ausbildung in der Hakomi-Methode, einer erfahrungsorientierten Körperpsychotherapie. Anstatt nur über Probleme zu sprechen, erforscht man während dieser Therapie die eigenen Empfindungen, Gefühle und inneren Bilder. Man achtet auf innere Stimmen, Verspannungen und Veränderungen im Atemrhythmus. Um mir die Praxis und das Studium zu finanzieren, bewarb ich mich bei einem großen deutschen Zeitschriftenverlag. Ich fing als Bildarchivar an und arbeitete mich innerhalb kürzester Zeit zum stellvertretenden Chefredakteur nach oben. Jahrelang textete ich tagsüber redaktionelle Inhalte, nachts schrieb ich mir den Schmerz von der Seele. Neben Praxis und Verlagsarbeit entstanden so innerhalb von zwei Jahren zwei Künstlerbiografien und acht Gesundheitsratgeber.

Mein erster Roman erschien 1998. An einem Mittwoch im September ist ein Erwachsenenmärchen. Ein Ring wird geschenkt, verloren, gefunden und verkauft. Nach und nach verknüpfte ich darin die Leben mehrerer Personen und bildete damit den äußeren Rahmen für das, was mich immer noch täglich beschäftigte: der Schmerz, ausgeschlossen worden zu sein, der Schmerz über den Vorwurf, meinem herzkranken Vater den Tod zu bringen.

Weil von meinem ersten Roman immerhin zwei Hardcover-Auflagen verkauft wurden und er dann als Taschenbuch in den Handel kam, verpackte ich weiter – für Fremde bis zur Unkenntlichkeit verzerrt –, was mich beschäftigte. Vier weitere Romane folgten.

Als ich dann im Rahmen meiner Fortbildung zum Traumatherapeuten in Bessel van der Kolks Verkörperter Schrecken las, dass seit 30 Jahren an der Heilwirkung des Schreibens wissenschaftlich geforscht wird, horchte ich auf. Was ich immer wieder erlebt hatte, bekam plötzlich ein wissenschaftliches Fundament. Mein Wissen über die menschliche Psyche, über unser Nervensystem und die Vorgänge in unserem Gehirn begann sich miteinander zu verknüpfen – das »Heilschreiben« war geboren.

Seither stolpere ich immer wieder über Zitate und Geschichten von bekannten Autoren, deren Welterfolg in traumatischen Erfahrungen begründet war. Zum Beispiel verlor Anne Rice ihr Kind an Leukämie. In ihrem Buch Interview mit einem Vampir lässt sie ihre Tochter als Vampirin weiterleben, damit sie nie sterben würde. Horrorexperte Stephen King litt als Kind unter extremen Entzündungen im Ohr. Der Arzt wollte sein Trommelfell punktieren und versprach, dass es nicht wehtun würde. Darauf folgten die für King schlimmsten und beängstigendsten Minuten seines Lebens. Ohnmacht und Schmerz sind seither die zentralen Themen seiner Bücher. John Grisham, Autor für Justizthriller, verfolgte als Rechtsanwalt ein Gerichtsverfahren. Der Täter hatte von einem zwölfjährigen Mädchen erst abgelassen, als er es für tot hielt. Dies weckte in Grisham, selbst Vater von Kindern, den Impuls, den Vergewaltiger in einem unbeobachteten Moment zu ermorden. Dies war die Idee zu Die Jury, im Original A Time to Kill betitelt.

Der Versuch, unverarbeitete Erfahrungen durch Schreiben zu verarbeiten, ist nicht nur Amerikanern zu eigen. Katja Lange-Müller sagte dem ZEIT-Magazin: »Wenn ich mit jemandem zusammen bin, ist das ganz intensiv, aber dann: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das nennt man Bindungsschwäche. Das Schreiben hatte anfangs eine autotherapeutische Wirkung bei mir …«1 Catherine Millet, Autorin des skandalträchtigen Titels Das sexuelle Leben der Catherine M., wurde unlängst gefragt, ob das Schreiben eine entlastende Funktion habe. Sie antwortete: »Ja. Weil es von altem Ballast befreit. Nachdem ich mein erstes Buch veröffentlicht habe, fiel mir auf, dass die Erinnerungen, die ich darin verschriftet hatte, sich mit dem Schreiben aufgelöst hatten. Eine herrliche Erfahrung, diesen ganzen Vergangenheitsballast loszuwerden, indem man ihn auslagert in Texte.«2

Auch unbekannte Menschen finden ihr Schreibforum: Der Künstler Frank Warren hat 2005 den Blog www.postsecret.com gegründet. Menschen können ihm völlig anonym auf einer Postkarte ein Geheimnis schicken, das er dann im Internet veröffentlicht. Wenn man darüber nachdenkt, »was man daraufschreiben könnte – etwas von Bedeutung, etwas Unangenehmes –, merkt man: Da ist mehr, als man erwartet hätte. Dem eine Stimme zu geben und es aus dem Inneren nach draußen zu lassen, ist eine Art von Exorzismus.« Es scheint befreiende Wirkung zu haben, etwas von sich preiszugeben, was dann von Millionen Menschen weltweit bezeugt wird. Warrens Blog zählt bis heute 780 Millionen Besucher.3

Heilschreiben hat keinen festen Ablauf

Das Heilschreiben ist also das Ergebnis von 30 Jahren persönlicher Erfahrung. Die Effekte verschiedener Formen des Schreibens werden aber seit mindestens ebenso langer Zeit wissenschaftlich untersucht. Ich habe es bei mir sowie bei zahlreichen Klienten als großartiges Werkzeug erlebt, das vielfach – und nach meiner Einschätzung grenzenlos – einsetzbar ist.

Beim Heilschreiben gibt es keinen vorgegebenen Ablauf, im Sinne von »Gehen Sie über Los, ziehen Sie 4000 Euro ein und dann sind Sie von allen Traumata befreit«. Es gibt nicht die eine richtige Art. Vielmehr führt das Heilschreiben nach und nach dazu, das zu entdecken, was für einen selbst richtig und hilfreich ist. Ich werde Ihnen also nicht die eine »richtige« Anleitung geben, sondern stattdessen lieber viele Anregungen liefern. Betrachten Sie dieses Buch als Werkzeugkasten, aus dem Sie je nach Thema entweder Hammer, Zange oder Schraubenzieher, manchmal auch alle drei gleichzeitig herausnehmen können, bis Sie mithilfe dieser Werkzeuge Ihre eigene Selbstheilungsmethode zusammengestellt haben.

Und noch etwas: Das Wesentliche am Heilschreiben ist nicht das Schreiben allein, sondern vor allem, was Sie dabei erleben. Es steht zu erwarten, dass Sie durch das Lesen dieses Buches noch keine Vorstellung davon bekommen. Es würde mich sogar überraschen. Mir geht es heute noch so, dass ich mir ein Thema vornehme und ich nicht die geringste Ahnung habe, wo ich anfangen soll. Sobald meine Finger aber die Tastatur berühren, ändert sich das. Deshalb meine Aufforderung: Probieren Sie es aus. Dann wird Ihnen schnell klar, wie es geht und wie es wirkt.

Um es Ihnen leichter zu machen, werde ich Sie immer wieder dazu einladen, kleine Texte zu verfassen. Das bewirkt mindestens dreierlei:

1. Sie werden aufgrund des Inhalts etwas über sich verstehen.

2. Sie lernen so das Heilschreiben in Häppchen.

3. Sie bekommen einen Eindruck, wie sich das Heilschreiben anfühlt und wie es wirkt.

Und noch eine Wirkung fällt mir ein: Wenn Sie den Übungen folgen, werden Sie mit den darauf folgenden Erklärungen sehr viel mehr anfangen können. Daher: Lassen Sie sich darauf ein. Überblättern Sie die Übungen nicht mit einem »Das kann ich schon, das brauch ich nicht!«. Es wäre eine vertane Chance.

Heilschreiben für jedermann?

Weil ich eine Abneigung gegen Bücher, Methoden und Menschen hege, die das Versprechen abgeben, alles von der Warze über pränatale Traumata bis hin zur bösen Schwiegermutter heilen zu können, weise ich darauf hin, dass das Heilschreiben zwar eine sehr wirksame, einfache und preiswerte Methode ist, sich selbst zu heilen aber bestimmt nicht jedermanns Sache ist. Sollte es Ihnen keinen Spaß machen, sollten Sie wider Erwarten vom Schreiben nicht profitieren, dann ist das keineswegs Ihre Schuld oder Ihre Unfähigkeit, sondern der einfachen Tatsache geschuldet, dass es keine Methode gibt, die für alle Menschen in allen Situationen zu allen Zeiten dienlich ist. Und schreiben Sie mir bitte, damit ich aus Ihren Erfahrungen lernen kann: [email protected].

Aber bevor Sie vorschnell die Flinte ins Korn – oder den Stift in die Ecke – werfen, sei ein altes chinesisches Sprichwort zitiert: »Der Mensch muss sehr lange im Stuhl sitzen, bevor ihm gebratene Enten in den offenen Mund flattern.« Geben Sie sich und der Methode ein paar Wochen Zeit, durchlaufen Sie das 7-Tage-Basisprogramm, bevor Sie eine Entscheidung fällen. Und: Lassen Sie sich überraschen!

Ich wünsche Ihnen, das das Heilschreiben zu einem Werkzeug für Sie wird, das Ihnen ebenso viel innere Freiheit und Frieden beschert, wie es mir ermöglicht hat.

Und wenn sie nicht gestorben sind …

Ach, falls Sie wissen wollen, wie das mit meinem Vater ausgegangen ist: Mehr als 13 Jahre nach seinem Kontaktabbruch bat er mich plötzlich zu sich. Das war im Frühjahr 1997. Schnell erkannte ich, dass seine Zeit dabei war abzulaufen. Fünf Monate später war er tot. In dieser Zeit besuchte ich ihn mehrmals, am Ende saß ich noch 14 Tage an seinem Bett. Ich fütterte ihn, ich half ihm auf die Toilette, ich hörte mir seine verwirrten Geschichten an. Entschuldigt hat er sich nie. Bedankt auch nicht.

Unter seiner Ablehnung hatte ich mit Anfang 20 sehr gelitten. Mithilfe des Heilschreibens wurde es mir später möglich, meine Wut auf ihn zu befreien und den Schmerz dahinter zu fühlen, den ich versucht hatte, mit Romanen »wegzuschreiben«. Dahinter kam ich dann mit meiner Sehnsucht nach einer Herzensverbindung zu ihm in Kontakt, die mir nie, auch nicht als Kind, möglich gewesen war. Wenn ich heute auf meinen Vater schaue, sehe ich einen Mann, der sich aufgrund seiner eigenen Geschichte nicht anders verhalten konnte. Was ich lange Zeit für meinen Makel hielt, kann ich heute als seine Unfähigkeit zu lieben sehen, mit der er jemand anderen noch viel mehr verletzt hat als mich: sich selbst.

Heilschreiben in Kürze

1. Schreiben Sie einen oder mehrere aufeinanderfolgende Tage jeweils circa 15 Minuten lang über ein Ereignis, ein Gefühl oder eine Situation, etwas, das Sie wirklich beschäftigt.

2. Seien Sie dabei wachsam für Veränderungen in Ihren Empfindungen, Gefühlen, in Atem, Körperhaltung und Impulsen – und schreiben Sie auch all das mit auf.

3. Lesen Sie zu einem späteren Zeitpunkt das Geschriebene noch einmal in Ruhe durch.

4. Stellen Sie sicher, dass Ihre Texte von niemandem jemals gelesen werden.

Das war’s schon.

Der Unterschied zum Tagebuch

Ein Tagebuch kann man auf unterschiedliche Art und Weise führen. Die autobiografische Aufzeichnung dient in der Regel dazu, Selbstzeugnis abzulegen, und zwar in chronologischer Form. Man hält fest, was man in den letzten Stunden erlebt, was einen bewegt hat. Das sind in der Regel äußere Ereignisse, die aber auch tiefe innere Bewegungen und Gefühle einschließen können.

Das Heilschreiben arbeitet nicht chronologisch, sondern themenorientiert. Indem man sich wiederholt einem Ereignis, einem Problem, einem Gefühl oder einem Wunsch zuwendet, erforscht man sich selbst auf zunehmend tieferen Ebenen. Man hinterfragt die eigenen Annahmen über sich und die Welt. Und anstatt sich nur auf gedanklicher Ebene damit auseinanderzusetzen, nimmt man das aktuelle Erleben in die Dokumentation mit auf.

Übung: Aller Anfang ist leicht

Probieren Sie das Heilschreiben gleich mal aus. Nehmen Sie den erstbesten Gegenstand. Denken Sie nicht lange, strecken Sie den Arm aus und nehmen Sie irgendetwas in die Hand. Das kann eine Uhr sein, ein Bleistift, die Fernbedienung Ihres Fernsehers oder das Cocktailglas (falls Sie gerade am Pool sitzen). Legen Sie diesen Gegenstand vor sich hin und schreiben Sie drauflos. Falls nicht gleich Assoziationen entstehen, beginnen Sie einfach damit, den Gegenstand zu beschreiben:

Was sehen Sie? Wie fühlt er sich zwischen Ihren Fingern an? Was empfinden Sie dabei, ihn anzuschauen? Wie verändert sich Ihre Erfahrung, während Sie das wahrnehmen?

Beispiel für einen Heilschreibtext

Folgendes entstand auf einem meiner Heilschreibseminare. Als Gegenstand diente ein Vorhängeschloss mit Schlüssel:

»Keller. Alt. Oma. Holzverschläge. Burkhardt wurde von seiner Mutter eingesperrt, wenn er nicht brav war. Wenn er sich nicht so verhalten hat, wie sie es von ihm erwartet hatte. Wieso kommt mir das in den Sinn? Hat das was mit mir zu tun? Hab ich das selbst erlebt? Eingesperrt. Angst. Bösartig. Jemand spielt mir übel mit.

(Mein Atem wird flacher, mein Nacken spannt sich an.)

Die Angst, eingesperrt zu werden. Schwimmbad im Haus meines Vaters. Die Tür fällt zu. Es fällt niemandem auf, dass ich fehle …

(Ich schweife ab.)

Nicht auszuhalten. Allein in einer Menschenmenge. Wo ist meine Mutter? Wo ist meine Familie? Ich glaube, dass sie nicht mal bemerkt, dass ich fehle. Verlassenheit. Verloren.

Ich bin klein. Mein Kinn bebt. Ich erinnere mich daran, dass ich überlebt habe. Bin ich gerettet worden? Hab ich mich selbst gerettet?

(Aufatmen.)

Ich kam zurück zur Familie. Italien? Zelt. Es hat tatsächlich niemand bemerkt. Ich wage es nicht zu sagen. Ich bin wütend, dass es niemand bemerkt hat.

(Aufatmen. Frieren.)

Und jetzt fällt mir auch der Grund ein, warum ich es nicht anspreche: Wenn ich es sagen würde, nähme mich keiner ernst. Sie würden allenfalls lachen. Und das würde mich noch mehr verletzen. Keiner hätte gesehen, was ich für Angst gehabt habe.

(Schwitzige Hände. Leichte Übelkeit. Impuls wegzurennen, mich abzulenken.)

Keiner kriegt mit, wie es mir geht. Aber ich kriege es mit. Ich nehme heute wahr, wie es mir damals gegangen ist.

(Aufatmen. Im Heute ankommen. Mich fühlen. Stuhl, Boden spüren. Aufatmen.)

Das Schloss hat einen Schlüssel. Er steckt. Und es ist geöffnet. Ich kann raus. Ich bin raus. Gefangenschaft vorbei. Es verschließt noch nicht mal etwas. Es liegt nur da. Hat nichts mit mir zu tun …«

Vorab noch etwas Theorie oder gleich Praxis?

Wenn Sie jetzt gleich richtig mit dem Heilschreiben anfangen wollen, blättern Sie bitte zum zweiten Teil des Buches: »Heilschreiben in der Praxis«. Dort finden Sie jede Menge Themen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Werkzeuge, die Sie einsetzen können, um sich ein Trauma von der Seele zu schreiben. Sind Sie jedoch zuvor näher daran interessiert, was ein Psychotrauma genau ist, wie es entsteht, welche Folgen es auf Ihr Leben haben kann und wie Sie das Heilschreiben sinnvoll für sich nutzen können, lesen Sie in den folgenden Kapiteln weiter. Und natürlich können Sie ganz nach Belieben zwischen den Kapiteln hin- und herblättern.

Teil 1: Hintergründe des Heilschreibens

Psychotrauma

Wenn über Trauma gesprochen wird, haben die meisten Menschen Bilder von Krieg und Folter im Kopf, von abgetrennten Gliedmaßen, Vergewaltigung oder Naturkatastrophen. Eine Form von Trauma wird jedoch leicht übersehen: Vernachlässigung.

Der schottische Psychoanalytiker und Sozialarbeiter James Robertson filmte Anfang der 1950er-Jahre Kinder, die über einen längeren Zeitraum dauerhaft von ihrer Mutter getrennt wurden. Um ihre Verhaltensveränderungen zu dokumentieren, zeigte er zum Beispiel den 17 Monate alten John, der für neun Tage in eine Rund-um-die-Uhr-Kinderkrippe gegeben wurde, weil seine Mutter ins Krankenhaus musste. Aus zahlreichen Momentaufnahmen zusammengeschnitten, erlebt man in wenigen Minuten mit, wie sich das gesamte Wesen des kleinen John von Tag zu Tag grundlegend veränderte. Als ihn die Mutter nach wenigen Tagen abholen wollte, wandte er sich ab, hatte Angst vor ihr und verweigerte sich dem physischen Kontakt mit ihr. John hatte durch die Trennung von seiner Mutter ein Trauma erlitten.

Was versteht man unter einem Psychotrauma?

Damit ein Psychotrauma entsteht, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen:

•Sie geraten in eine Situation, die Sie nicht vermeiden können, der Sie sich ausgeliefert fühlen und die gegen Ihren Willen geschieht.

•Ihre aktuellen Fähigkeiten, die Situation zu bewältigen oder zu integrieren, reichen nicht aus.

•Diese Überforderung ist so stark, dass Sie das Erlebnis nicht in seiner Vollständigkeit erinnern können, sondern allenfalls Bruchstücke. Sie blenden die dazugehörigen Gefühle aus oder verdrängen das ganze Ereignis komplett aus Ihrem Bewusstsein.

•Oft meiden Sie nachfolgend Situationen, Orte oder Menschen, die Sie an dieses Ereignis erinnern könnten.

•Bilder können in Form von Tagträumen oder Albträumen in Ihr Bewusstsein drängen, die mit der aktuellen Realität wenig zu tun haben.

•Sie erleben Schmerz, Aufregung oder Anspannung, obwohl es keinen ersichtlichen Anlass dafür gibt.

•Sie wiederholen die Erfahrungen des Traumas wieder und wieder, zum Beispiel, indem Sie sich (Geschäfts-)Partner suchen, die Sie genauso behandeln, wie Sie während des traumatischen Ereignisses behandelt wurden.

•Ihr Selbstbild und Ihr Weltbild nehmen dauerhaft Schaden.

»Psychotrauma« ist keineswegs eine neue Diagnose. Sie wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt und 1919 von Pierre Janet aufgrund seiner Erfahrungen mit Patienten am berühmten Nervenkrankenhaus Hôpital de la Salpêtrière in Paris zum ersten Mal definiert.

Was bedeutet Monotrauma?

Ein Beispiel macht das deutlich:

Frau K. bleibt nach einem Auffahrunfall in ihrem Fahrzeug eingeschlossen. Benommen bekommt sie mit, dass andere Unfallbeteiligte mit den Worten flüchten: »Schnell weg hier! Der Karren explodiert gleich.« Erst nach einer gefühlten Ewigkeit trifft die Feuerwehr ein und schneidet sie aus dem Wagen heraus. Von ein paar Kratzern abgesehen, bleibt sie körperlich unversehrt. Innerlich jedoch ist nichts mehr wie vor dem Unfall: Sie kann immer schlechter schlafen, leidet unter Albträumen, bald kann sie die Wohnung nur mehr verlassen, nachdem sie Beruhigungstabletten eingenommen hat. Autos und Straßenverkehr meidet sie.

Die unbedachten Worte des Unfallgegners leben in ihr fort: »Schnell weg hier! Der Karren explodiert gleich.« Sie sitzt fest und glaubt, sterben zu müssen. Die Angst, gleich in einem Wagen zu verbrennen, können vermutlich nicht viele Menschen gelassen hinnehmen. Die Psyche von Frau K. schaltet ab, noch während ihr die Worte im Ohr klingen. Sie »verlässt ihren Körper«, um die Todesangst nicht mehr spüren zu müssen. Monotraumata werden auch Einmal- oder Schocktraumata genannt.

Was definiert ein Entwicklungstrauma?

Entwicklungstraumata, auch Komplextraumata genannt, entstehen, wenn die gesunde Entwicklung eines Menschen beeinträchtigt wird. Diese Beeinträchtigung kann schon bei der Zeugung beginnen. Ein Experiment an den kleinsten Lebewesen macht dies deutlich: Piekt man eine Amöbe, zieht sie sich zusammen. Sobald der Reiz abklingt, entspannt sie sich wieder. Piekt man sie erneut, wiederholt sich das Spiel. Setzt man das Pieken fort, dauert es von Mal zu Mal länger, bis die Entspannung einsetzt. Wird eine Amöbe dem Reiz längerfristig ausgesetzt, verharrt sie bald in der Kontraktion. (Weiss 2015)

Menschen reagieren ähnlich. Werden sie besonders in jungen Jahren dauerhaft überfordernden Situationen oder Erfahrungen ausgesetzt, können sie das nicht verkraften. Erschwerend kommt hinzu, dass sie nicht mit Nadeln gepiekt, sondern von anderen Menschen emotional oder physisch verletzt werden. Sind diese anderen Menschen zudem die eigenen Eltern, führt die Erfahrung ins Chaos. Bei Gefahr sucht jedes Kind Schutz bei jenen, die es gezeugt haben. Fügen aber genau jene ihm Schaden zu, sucht es Hilfe dort, von wo Gefahr ausgeht. Es ist, als würden Sie bei einem elektrischen Schlag das Stromkabel noch fester umklammern. Ein Teufelskreis entsteht, der zu völliger Verwirrung führt und mannigfache Konsequenzen nach sich zieht.

Ursachen für Traumata

Haben Sie bis zum Alter von 17 Jahren physischen, emotionalen oder sexuellen Missbrauch erfahren? Sind Sie vernachlässigt, also in Ihren psychischen oder emotionalen Bedürfnissen nicht gesehen, gehört, geliebt worden? Wurden Sie von Eltern mit psychischen oder schweren physischen Erkrankungen aufgezogen? Waren Ihre Eltern drogenabhängig oder vorübergehend beziehungsweise dauerhaft abwesend? Haben Sie die Trennung oder Scheidung der Eltern oder häusliche Gewalt miterlebt? Je mehr dieser schädigenden Einflüsse Sie ausgesetzt waren, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ihre gesundheitliche Verfassung darunter gelitten hat.

Ende der 1990er-Jahre wurde in den USA eine Studie in Auftrag gegeben, die sogenannte ACE-Studie. ACE steht für »Adverse Childhood Experiences«, zu Deutsch etwa: »Nachteilige Erfahrungen in der Kindheit« oder schlichtweg »Frühe Traumata«. In dieser Studie wurde erstmals der Zusammenhang zwischen Kindheitserfahrungen und den Folgen für die Gesundheit im Alter erforscht. (Felitti et al. 1998) Bei den Teilnehmern korrelierte die Anzahl der schädigenden Erfahrungen mit einer erheblich erhöhten Wahrscheinlichkeit, schwere beziehungsweise lebensverkürzende Krankheiten wie Herzinfarkte oder Krebs zu erleiden, alkohol- oder drogenabhängig zu werden oder sich vorzeitig das Leben zu nehmen. 67 Prozent der über 17 000 Befragten wiesen mindestens einen ACE-Punkt auf (hatten also ein traumatisches Ereignis miterlebt), 17 Prozent sogar vier und mehr. Menschen mit mehr als sieben ACE-Punkten erkrankten dreimal so oft als andere an Lungenkrebs – unabhängig davon, ob sie rauchten! – und hatten die dreieinhalbfach erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu erleiden. Unverarbeitete Traumata haben also nicht nur Folgen für unser emotionales Erleben, sondern stellen auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar.

Was ist Vernachlässigung?

Wird ein Kind vernachlässigt, erfährt es nicht ausreichend Kontakt, interessiert sich keiner wirklich für seine Belange, werden ihm die eigenen Qualitäten und seine Fähigkeiten nicht so gespiegelt, wie es für eine gesunde Entwicklung seiner Identität nötig wäre. Es erfährt nie, dass seine bloße Existenz eine Bereicherung für sein Gegenüber darstellt.

In einer Langzeitstudie begleitete L. Alan Sroufe Menschen beginnend schon vor ihrer Geburt bis über das 30. Lebensjahr hinaus. Er kommt zum Ergebnis, dass die Qualität der Bindung, die ein Kind in den ersten beiden Lebensjahren erfährt, schwerer wiegt als spezifische Missbrauchserfahrungen in späteren Jahren.4

Es ist unwahrscheinlich, dass eine ähnliche Studie hierzulande grundlegend andere Ergebnisse hervorbringen würde. Von 900 Patientinnen in stationärer Suchtrehabilitation haben 53 Prozent körperliche Gewalt und 34 Prozent sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit erfahren. »Nimmt man seelische Gewalt hinzu, haben 74 Prozent irgendeine Form von Gewalt erlitten«, berichtete Dr. Andreas Linde, Leitender Oberarzt der Klinik Königsfelden, in einem Vortrag auf der Jahrestagung »Sucht« 2010 in Basel. (Linde 2010) Bei der Anamnese von Opiat- und Mehrfachabhängigen wurde festgestellt, dass 25 bis 40 Prozent der männlichen und 50 bis 60 Prozent der weiblichen Personen sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlitten haben. Menschen, die früh traumatisiert wurden, waren beim Einstieg in die Abhängigkeit jünger und wurden später häufiger Opfer von Gewalt. Sie berichteten von deutlich mehr Suizidversuchen und leiden vermehrt unter psychischen Begleiterkrankungen.

Noch zwei Zahlen geben zu denken: Jahr für Jahr werden hierzulande 1300 Schwangerschaften verdrängt. 270 Kinder werden überhaupt erst wahrgenommen, weil bei den werdenden Müttern Wehen einsetzen.5 Es ist schon für einen Erwachsenen eine kaum zu ertragende Erfahrung, zwar mit Nahrung und Sauerstoff versorgt zu sein, aber ansonsten neun Monate nicht einmal wahrgenommen zu werden. Was mag das bei heranwachsenden Menschen bewirken, deren Gehirn und Nervensystem dringend auf Kontakt und Ansprache angewiesen sind?

Sie bekommen eine Ahnung davon, wenn Sie auf Youtube »Still Face Experiment«6 eingeben. Der Psychologe Ed Tronick filmte Kinder im Alter von mehreren Monaten oder einem Jahr im engen Kontakt mit der Mutter. Nach ein paar Minuten wurde diese gebeten, mit regungslosem Blick (still face) über den Kopf des Kindes hinwegzuschauen und nicht mehr zu reagieren, ganz gleich, wie sich das Kleinkind verhält. Innerhalb kürzester Zeit sieht man die kleinen Wesen verzweifeln. In den Tonaufnahmen hört man das kleine Herz rasen, die Panik steht den Kindern ins Gesicht geschrieben.

In Psychotherapien, die das implizite Gedächtnis von Menschen erkunden, also jenen Anteil unseres Gedächtnisses, den man nicht bewusst erinnert, der aber wirkt, zeigt sich seit Jahrzehnten, dass unverarbeitete Erfahrungen aus früheren Generationen in das Erleben der Kinder und Kindeskinder einfließen. Inzwischen werden diese jahrzehntelangen Beobachtungen von der Wissenschaft bestätigt. In Experimenten mit Mäusen und Ratten konnten angstauslösende Stressfaktoren weitervererbt werden. Um auszuschließen, dass die Informationen durch Lernverhalten weitergegeben werden, zeugte man Nachkommen im Reagenzglas mithilfe von Leihmüttern. Und siehe da: Auch diese Nachkommen reagierten auf dieselben Angstauslöser wie ihre biologischen Eltern. (Dias und Ressler 2014)

An den Kindern von Holocaustüberlebenden sowie schwangeren Frauen, die den Anschlag auf das World Trade Center überlebt haben, konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden, dass nachfolgende Generationen sehr viel häufiger Posttraumatische Belastungsstörungen erleiden als Menschen ohne diesen Erlebnishintergrund. (Yehuda 2002)

Übung: Wie geht es Ihnen jetzt?

Über Psychotrauma zu lesen, löst in manchen Menschen Unruhe und Unwohlsein aus. Wie geht es Ihnen in diesem Augenblick?

Schreiben Sie jetzt 15 Minuten darüber. Nehmen Sie dabei alle Ihre Reaktionen ernst. Vielleicht wecken die gelesenen Ausführungen Ihren Unmut, weil Sie sie für übertrieben halten. Vielleicht fühlen Sie sich gerade eher traurig. Es könnten sich Erinnerungen einstellen. Oder Angst?

1. Schalten Sie alle Störquellen aus und setzen Sie sich mit Schreibzeug bequem hin.

2. Spüren Sie Ihre Sitzhöcker auf dem Stuhl. Wenn Ihnen das schwerfällt, verlagern Sie das Gewicht nur ein wenig nach links und rechts und finden Sie abschließend die Mitte. Spüren Sie die Knochen jetzt? Atmen Sie tief durch. Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit in die Füße und nehmen Sie das Gewicht Ihrer Beine wahr, das auf ihnen ruht.

3. Beginnen Sie mit der direkten Erfahrung Ihres Körpers. Was erleben Sie gerade? Achten Sie auf Ihre Schultern. In welchem Spannungszustand befindet sich Ihr Bauch? Können Sie in Ihrer Herzgegend etwas wahrnehmen? Wie tief fließt Ihr Atem?

4. Achten Sie dabei darauf, wie es ist, das alles in Worte zu fassen. Atmen Sie erleichtert auf? Wird Ihnen schwer ums Herz? Verstärkt sich die Spannung in Ihren Schultern? Sie müssen nichts Bestimmtes fühlen. Egal, was passiert, dokumentieren Sie es genau so.

5. Während Sie das alles in sich wahrnehmen: Erinnert Sie dieses Körpergefühl an etwas? Falls ja, woran? Wann haben Sie das schon einmal erlebt? Und wie ist es, das heute zu erinnern?

6. Schreiben Sie nicht länger als 15 Minuten. Lehnen Sie sich dann zurück und schließen Sie die Augen. Lassen Sie das Geschriebene nachklingen und dokumentieren Sie dann auch das.

Abgesehen von den Bewusstseinsinhalten, die während des Schreibens aufgetaucht sind, haben Sie nun auch erfahren, wie man während des Schreibens auf das eigene Erleben achtet. Ein weiterer wichtiger Schritt, um Heilschreiben zu praktizieren.

Bedeutet jede überwältigende Erfahrung ein Trauma?

Ob sich eine Erfahrung zu einem Trauma entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab:

•Wie alt ist die betroffene Person zum Zeitpunkt des Ereignisses?

•Wie oft durchlebt sie es?

•Wie nah steht ihr die traumatisierende Person?

•Welche Qualität haben die Beziehungen, in denen die betroffene Person vor, während und nach dem Ereignis lebt?

•Hat die Person jemanden, mit dem sie darüber sprechen kann?

•Trifft die Person auf verständnisvolle oder mitfühlende Ohren?

•Kann jemand den Schmerz nachvollziehen?

•Ist jemand bereit zu helfen?

Am Beispiel sexueller Gewalt kann sich das so darstellen: Wenn sich ein Mädchen gegen den Angreifer erfolgreich zur Wehr setzt, darüber sprechen kann, von den Eltern aufgefangen und der Täter womöglich gefasst und bestraft wird, kann das Erlebnis an sich sogar zu einer Erfahrung der persönlichen Macht werden: »Ha, ich habe einen erwachsenen Mann in die Flucht geschlagen!« Das Mädchen wird sich danach sicherer, stärker und selbstbewusster fühlen. Der Halt, den es von den Eltern erfährt, wird seine Bindung an sie im positiven Sinne stärken.

Dagegen hinterlässt es mit Sicherheit negative Folgen, wenn ein Missbrauch innerhalb der Familie erfolgt, wenn das Mädchen nicht darüber sprechen darf, wenn es allein damit fertig werden muss, wenn es Angst haben muss, dass so etwas immer wieder passiert, wenn Strafe droht, falls es den Missbrauch öffentlich macht, oder wenn ihm sogar die Schuld dafür eingeredet wird: »Du willst es doch!«, »Du hast es nicht anders verdient«.

Posttraumatische Belastungsstörung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert alle körperlichen und psychischen Krankheiten in einem System, der »International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems«, zu Deutsch: »Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme« (ICD). Darin werden mögliche Folgen von Traumaerfahrungen fälschlicherweise als Posttraumatische Belastungs-»Störung« (PTBS) bezeichnet, was den Symptomen eine Aura von Krankheit verleiht. Dabei sind diese Folgen für die Psyche nur konsequent und müssten daher allenfalls als »Reaktion« bezeichnet werden.

Nach einem Trauma beklagen Menschen,

• dass nach einem Autounfall immer wieder Bilder vom Ereignis auftauchen, dass sie Geräusche des berstenden Glases nicht aus den Ohren bekommen oder immer wieder von dem Ereignis träumen. Das nennt man »Flashback«.

• dass sie Situationen, Orte oder Menschen meiden, die sie an die ursprüngliche Erfahrung erinnern könnten.

• dass sie unter einer anstrengend hohen Form der Wachsamkeit leiden, einer »Überwachheit«. Der Fachbegriff dafür ist »Hypervigilanz«. Sie sind ständig auf der Hut, schreckhaft, leiden unter Einschlaf- oder Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Wutausbrüchen, chronischer Unruhe und/oder Anspannung.

• dass sie sich zurückziehen, den Kontakt mit Menschen meiden, sich betäubt und/oder emotional stumpf fühlen.

• dass sie sich chronisch überfordert fühlen und unfähig sind, mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen.

Dazu kommt, dass Symptome innerhalb von sechs Monaten nach dem Ereignis auftreten müssen, um als PTBS gewertet zu werden. Sie sehen allein daran, dass diese Diagnose allenfalls für Schocktraumata zutreffen kann, Entwicklungstraumata darin aber gar nicht abgebildet sein können.

Folgen von Schocktraumata

Erinnern Sie sich an den Auffahrunfall von Frau K. Schocktraumata rufen oft Symptome hervor, die dem ursprünglichen Ereignis zuzuordnen sind. So kann jemand nach einem Verkehrsunfall Angst im Straßenverkehr entwickeln. Nach einer Vergewaltigung können körperliche Nähe und Sexualität konfliktträchtig werden. Ein Wohnungseinbruch kann bewirken, dass das Opfer sich mehrmals versichern muss, dass die Tür abgeschlossen ist, es denkt vielleicht ständig an die Wohnungstür. Ein Schocktrauma zeichnet auch aus, dass sich das Vorher in der Regel klar vom Nachher unterscheiden lässt.

Folgen von Entwicklungstraumata