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Wer glaubt im Urlaub sicher vor den Cybernetics zu sein, wird sehr schnell zu einem Tombie. Die Schleimer lauern mit ihren Sensoren im Wasser, zu Land und in der Luft. Diese Verschwörung ist unausweichlich, überall präsent unsichtbar für Urlauber, die sich unbedenklich jeder Elektronik anvertrauen. Das Monster der Chip-Intelligenz wird ein vernichtender und technisch ausgereifter Mechanismus, der gesteuert wird durch die Lobby der vermeintlichen Evolution.
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2020
Elisabeth Stier
DAS UNSCHULDIGERUDER
© 2020 Elisabeth Stier
Umschlag, Illustration: Elisabeth Stier
Verlag & Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
ISBN 978-3-7497-8634-3
Hardcover
ISBN 978-3-7497-8635-0
e-Book
ISBN 978-3-7497-8636-7
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Inhaltsverzeichnis
Die Anfahrt
Die Kunst des Flusses
Die erste Nacht
Kein Urlaubsmodus mehr
Der Alptraum
Mein erster Landgang
An der Uferpromenade
Unterwegs
Der Rundgang
Was mir die Wolken erzählen
Zweiter Landgang
Regenwetter
Die gläserne Treppe
Die Anfahrt
Seit einigen Tagen nun schon, warte ich auf den Beginn meiner alljährlichen Urlaubsreise. Das Warten ist schon fast unerträglich geworden. Nachts wache ich erschrocken auf, weil die Träume mir sagen, dass schon alles vorbei ist. Die Stunden am Tag vergehen nur noch träge. Meine gewissenhafte Zielstrebigkeit leidet unter diesem psychischen Druck enorm. Diese Reise ist die einzige Zeit, in der ich mich von meinen eigenen, ständig brodelnden Gedanken erholen kann. Die Verwirrungen in meinem Geist können nur zu dieser ablenkenden Gegebenheit ausgebügelt und geglättet werden. Die vielen neuen Eindrücke der fremden Umgebung vertreiben viele alte Überlegungen und Kombinationen von Verstrickungen, die sich im Laufe des Jahres als dicker Brei im Kopf angestaut haben. Eine regelmäßige Erholung für meine Seele ist das Wichtigste im Jahr, um dann wieder Kraft zu schöpfen, für neue, ungesehene als auch aufregende Dinge. Der angedickte Matschebrei der unsinnigen Überlegungen in der Vergangenheit wird verdünnt und kann endlich beseitigt, verdaut, sowie vergessen werden. Natürlich ist die Anfahrt zum Urlaubsort nicht unbedingt gefahrlos. Die größten intellektuellen Gefahrenpotentiale während der Reise liegen in den Besuchen der Büchereien am Bahnhof begründet, wenn die Umstiegswartezeit zu groß ist. Dort sind die Informationsblasen besonders stark ausgedünstet. Bereits im Schaufenster schreien mir die Wortfetzen der Zeitschriften in mein Gedankengut hinein. Bei den vielen erschlagenden Argumenten und Beweisen wie auch Behauptungen, vielen Kurzgeschichten, Erzählungen, insbesondere Schlagzeilenangeboten, wird mein Gemüt ungemütlich belastend gestört. Von Komplexen verschiedener Art werde ich dann heimgesucht. Der Hammer der Gewissensbiss-Hexe schlägt dann auf mich besonders stark ein. Am stärksten sind dabei die Minderwertigkeitsgefühle und die Depressionserscheinungen in verschiedenen Graustufen der Heftigkeit, die über mich hereinfallen. Sie kommen und gehen in jeder Sekunde, gestalten sich ständig neu, bilden Knoten und Verwerfungen in meinem Kopf, machen sich selbständig, springen regelrecht aus meinen Augen zu den Texten, verweilen dort einige Zeit; bis sie sich im Nichts auflösen und nach ein paar Schritten erneut zuschlagen. Die Menge der auf mich wirkenden Gedanken der anderen Menschen, macht mich jedes Mal fast blind für kreative Überlegungen. Da werden so viele Themengebiete angesprochen, die ich in der Kürze der Zeit einfach nicht verarbeiten kann. Ständig wollen neue raumerfüllende Sichtweiten der Welt in meinen Kopf eindringen. Ich will sie dort nicht haben. Sie stören meinen inneren Zusammenhalt der Gefühle. Nur, die pochenden Sätze machen mich nervös, nachdem ich diese gelesen habe. Dabei springe ich von einem Satz zum anderen. Kein klarer Gedanke ist hierbei entwickelbar. Es entsteht ein Brei an Gedankenfetzen, die sich verrühren zu einer Grütze an sinnlos durcheinandergewürfelten Informationen, die ich im Augenblick nicht gebrauchen kann. Entweder man flüchtet aus diesen Gebieten in der Art, dass man schnell was kauft und sich auf dieses eine Gebiet konzentriert, oder man geht der Sache gleich aus dem Weg, indem man sofort den Saal der Datenmengen verlässt. Genau das ist die einzige Lösung für mich. Nicht rein gehen, oder gleich wieder raus gehen. Doch jedes Mal locken die vielen bunten Zeitschriften mit besonders schön aufgemachten Covern. Dabei falle ich immer wieder auf die Lockangebote der Bilder herein. Dann entstehen Verstopfungen an neuen Informationsblasen, die starke dicke Gemütswolken produzieren und Gewittergüsse in meinem Kopf auslösen. Diese auftretenden Gewitter kann ich nur verhindern, indem ich die Aufnahme an Information regelrecht blockiere und schnell zum vielleicht schon wartenden Zug renne.
Des Weiteren liegen auch in den Abteilen der Züge ständig Zeitschriften herum. Man kann es kaum verhindern, dass man einen wagen Blick auf diese wirft, vielleicht auch entsprechend manchmal hinein schaut. Sehr oft quälen mich dann Selbstvorwürfe oder Minderwertigkeitskomplexe. So viele erfolgreiche Leute mit so großen positiven Qualitätsmerkmalen die dort beschrieben werden, kann ich nicht verdauen. Man beurteilt sich selbst dann als Idiot. Das muss ich mir dann aber nicht gefallen lassen. Denn ich selber bin ein Forscher der Superlative, was natürlich keiner weiß oder begreifen kann. Wirklich wichtige Persönlichkeiten werden sowieso nicht abgebildet, weil diese viel zu klug sind und sich nicht durch ein blödes Bild zum Affen machen lassen. Eventuell noch die netten Damen, die mit ihren Körpern eine Luststimmung produzieren können, wären eine mögliche Abbildung wert. Ansonsten könnte man das Cover auch schwarz machen. Der Unterschied wäre für mich kaum zu benennen. Der Inhalt der meisten Artikel ist dann kaum wichtig oder bemerkenswert. Entweder steht dort etwas, was niemand braucht oder es wird etwas bewiesen, was nur als wichtig definiert wird. So sind die vielen Ratezeitungen kein Mittel um schlau zu werden. Das Wissen dort erscheint mir nur als Fülle von Hülle von Allem zu sein. Wozu sollte man das alles kennen und wissen? Schlau ist der, der es versteht, sich nicht zu viele angebliche Daten einverleiben zu lassen. Manche Leute quatschen den ganzen lieben langen Tag herum und meinen, sie müssen andere Personen mit ihren Wörtern infizieren. Das Gelabere kann einen aber nur krank und blöd machen. Die Wörter sind wie Viren gleich. Wenn man sie gehört hat, dann ist es zu spät. Die Sätze vermehren sich dann im Kopf ganz allein und automatisch. Wer nicht dagegen geimpft ist, hat keine Chance sich den Unrat vom Hals zu schaufeln. Das angebliche Mitdenken wird bereits seit langem systematisch erforscht und natürlich für die Werbung verwendet. Die Fragen und Antworten der Geschichten in den Medien haben nur das eine Ziel, nämlich die eigenen Gedanken zu zerstreuen um mit den Mitteln der Grammatik eine Einflussnahme auf die Hirne zu steuern. Leider kann ich nicht überall mir die Ohren verschließen und Augen mit Scheuklappen abdunkeln.
Im Sitzen angekommen, muss meine seelische Verfassung vor den im Fenster vorbeifliegenden Bildern geschützt werden, die sich während der Fahrt natürlicher weise ergeben. Das Hinausschauen aus dem Abteilfenster ist auch kaum zu verhindern. Dort werden im Fahren ständig neue Blitzlichter in meiner Pupille erzeugt, die durch eine spezielle Sonnenbrille gefiltert werden. Ein Optiker hat sie mir vor vielen Jahren angefertigt. Sie hat die Eigenschaft, jegliche negativen Eindrücke aus dem Blick zu entfernen. Wie das geschieht, weiß ich nicht so genau. Der Optiker, mit Namen Jeriska Dolemka, hatte mir zustimmend erklärt, dass die Wirkung rein psychologisch wäre. Die Dinge werden dann durch eine sonderbare Anschauung in Rosarot dargestellt. Diese Sichtweise ist dann sehr beruhigend für meine Gemütslage. Gut zu wissen, dass sich andere Menschen vertrauensvoll solchen wichtigen Arbeiten, der Anfertigung der sogenannten Psychobrillen, widmen und auch noch Geld damit verdienen können.
Das Gerede im Abteil kann ich mit Ohrstöpseln, in Form von akustischen gummiartigen Schutzstäbchen, derart akustisch von meinem Gehörgang abkoppeln, dass ich von diesen Gedankenströmen zum Glück befreit bin. Die Gummipfropfen werden zwischen den Händen zu schmalen länglichen Schlangen gedreht; dann in die Ohren gesteckt. Dort dehnen sie sich aus und blockieren die Schallimmission im Gehörgang. Ein perfekter Schutz gegenüber allen nervtötenden und aggressiven Musiksowie Sprachausdehnungen im Zug. Meine einfühlsame Befindlichkeit gegenüber den Menschen, die ihr Leid oder andere Erfahrungen mitteilen, ist einfach zu groß, als dass ich das Zuhören einfach geschehen lassen könnte. Für meine Ohren ist als Schutz zusätzlich ständig etwas Zellstoff in der Hosentasche vorhanden. Das hilft meistens dann, wenn ich die Ohrstöpsel mal nicht dabei habe – aber leider eben, auch nicht immer.
Mein Gebäck ist in diesem Jahr nicht so üppig. Insgesamt 2 Koffer muss ich mitschleppen. Darin sind enthalten: Ein paar Regenschuhe, ein Regenmantel, ein Schirm, Gummistiefel, ein eigenes Badetuch, Shampoo, Badelatschen, Hausschuhe, Hygieneartikel, ein Rasierapparat, einen schicken schwarzen ausgeliehenen Wrack, zwei weiße Hemden, ein Bügeleisen, ein Föhn, 7 paar Socken, 2 Unterhosen, 7 Unterhemden, nur eine Hose, 3 Pullover, ein Fernglas, ein kleinerer Koffer und ein Notizbuch ist immer dabei. Elektronische Geräte sind zu gefährlich und werden auf jeden Fall vermieden. Daher gibt es auch nur einige kleine Bleistifte und einen Anspitzer. Der Anspitzer ist sehr wichtig, damit die aufgeschriebenen Erörterungen auf jeden Fall später noch lesbar sind. Mit dicken Bleistiftminen kann ich nicht umgehen und schmieren nur auf dem Papier herum. Der Optiker meinte auch zu diesem Problem der Wiedererkennung bereits gefertigter Konstruktionen in Form meiner Satzgefüge, dass ihm das auch des Öfteren passiert, bereits eigenhändig geschriebene Dinge später dann nicht wieder zu erkennen. Daher sollte man die aufzuschreibenden Notizen, für den Einkauf zum Beispiel, immer deutlich mit einem harten gut angespitzten Bleistift sorgfältig notieren. Es wäre schade, wenn das Papier schließlich ungelesen weggeworfen werden müsste, weil man das Geschriebene nicht mehr lesen kann. Ganz zu schweigen von den wichtigen Inhalten auf dem Papier, die für immer vergessen sind. So richtig vergessen sind sie eigentlich nicht. Nur wenn man die Informationen benötigt, sind sie wie weggeblasen. Nach Tagen oder Stunden, wenn man nicht mehr daran denkt, kommen diese einem plötzlich wieder in den Sinn. Welch ein Verlust an negativer Entropie möchte ich fast behaupten. Die Entropie, also die Zunahme an Chaos und Unordnung wird mich auf diese Reise besonders intensiv beschäftigen. Diese Formulierung bezüglich der Verluste an Informationen, wird nun auf meiner derzeitigen Reise überhaupt keinen messbaren Effekt begründen. Eine Entropie mag es vielleicht im Universum geben, in meinem Kopf jedenfalls nicht. Gibt man dem Universum nun keine Realität ohne Gehirngrütze, dann gibt es so etwas wie Entropie nur in der Einbildung. Die sich ausbreitende Leere an Ordnung oder Ordnung der Leere entsteht dann im Gehirn selber. Dieses Nichts ist dann im Kopf und füllt ihn aus. Wie ein Vakuum, das immer mehr wird, dehnt sich das Nichts dort aus. Dann entsteht ein überhöhter Unterdruck, der zu Kopfschmerzen führen kann. Zum Glück bin ich gerade dabei in den Urlaub zu fahren, um mich genau von diesen sinnlosen Gedanken zu befreien. Ich kann nur hoffen, dass mein Bericht hier, auch andere Mitmenschen, denen es ähnlich ergeht, emotional anspricht.
Während der Anreise musste ich einmal umsteigen. Im ersten Zug saßen einige ältere Damen mit im Großraumabteil und hatte keine Scheu ihre gaggerhaften Laute über dies und das in die Welt zu schreien. Das Gelächter war ohrenbetäubend kreischend laut. Die Lästigkeit dieser Botschaften an die Mitmenschen waren auch durch meinen minimalistischen Schutz mit Ohrstöpsel kaum zu dämpfen. Ablenkung verschaffte ich mir mit dem vorsichtigen Anspitzen meiner Bleistifte. Manche brachen hierbei ab. Das war für mich ein Zeichen nicht genug abgespannt zu sein. Aber dafür geht es jetzt auf Urlaubsfahrt. Sie wird mit einem Schiff auf der Donau gehen. Ein Versuch, dort Ruhe zu erhaschen, ist mein oberstes Ziel. Was könnte es dort schon für Aufregung geben? Das Wasser, die Strömung, die Vollverpflegung, das Herumsitzen in der Lounge wird mir ganz sicher guttun.
Dabei fahre ich nicht ganz allein. Und dazu muss ich auf jeden Fall etwas zu meinem imaginären Gegenüber sagen. Das ist mein zweites personengebundenes Gewissen; ein Gefährte für jede Zeit in jeder Situation. Er hat mich schon vor so manchen Gefahren bewahrt, und ist ein treuer Partner in allen Lebenslagen. Leider kann ich ihn nicht sehen, so wie andere Leute ihn nicht sehen, als auch zusätzlich nicht wahrnehmen können. Daher meinen diese auch permanent, dass ich Selbstgespräche führe. Das ist im Grunde auch nicht unbedingt so falsch. Nur, dass diese selbständige Existenz ein Eigenleben in mir selbst bevorzugt. Wenn er mir dann gegenüber sitzt, beim Essen zum Beispiel, dann haben andere Menschen auch keinen Platz dort. Freilich hat auch niemand Interesse daran, sich zu mir dazu zu setzten. Womöglich glauben die Leute, dass ich verrückt bin und das ansteckend sein könnte. Das ist aber nicht der Fall. Sondern ganz im Gegenteil bin ich einer der wenigen, die sich selbst noch treu sind und gerade nicht verrückt sind. Damit habe ich mich schon seit Jahren abgefunden. Was mir weniger gefällt ist die Tatsachen, dass er eine eigene Meinung hat. Diese ist mit meiner Meinung nicht immer konform. Daher gibt es auch schon mal Streit zwischen uns. Manchmal könnte ich ihn auf die Nase hauen, da er immer mal einfach nur blöd ist. Das Zurechtweisen eines subjektiven Dickkopfes ist bekanntermaßen ein schwieriges Unterfangen. Es dauert Stunden, bis mein fiktiver Begleiter sich dann beruhigt hat. Leider ist er schon zu alt, um ihn noch umerziehen zu können. Manche Eigenarten behält eine Person sein ganzes Leben lang. Natürlich ist er auch sehr oft ein netter Kerl. Er hat Witze drauf, worüber sogar ich lachen kann. Mein Umfeld ist dann aber meistens irritiert, wenn ich mal so einfach aus dem, für sie so sichtbaren Nichts, loslache. Man kann es aber nicht jedem Recht machen. Aus diesem Grund versuche ich meinem imaginärem Gegenüber klar zu machen, dass er sich in der Öffentlichkeit gefälligst zurückhalten soll. Dann zickt er herum wie ein kleines Kind und spricht mit mir dann eine Weile nicht mehr. Nach ein paar Minuten ist dafür alles wieder vergessen und in Butter sozusagen.
Während der Hinfahrt mit dem Zug waren doch noch einige erwähnenswerte Ereignisse vorgefallen. So zum Beispiel lief die Schaffnerin ständig in diesem Abteil an mir vorbei. Sie hatte ganz sicher noch nicht gelernt die Personen, die schon kontrolliert worden sind, im Gedächtnis zu behalten. Zu mindestens für die Dauer der Fahrt. Jedenfalls sprach sie mich des Öfteren darauf an, ob ich neu hinzu gestiegen wäre. Ihre Augen wurden dabei sehr groß und rundlich schön. Ich sah ihr tief in die Augenpupillen. Das war ihr aus einem mir unbekannten Grund unangenehm, weil sie sehr schnell wieder wegsah, und nun plötzlich meine Fahrkarte nicht mehr sehen wollte. Eventuell war genau das die Erinnerung daran, dass sie mich schon einmal kontrolliert hatte. Dieser Augenblick des Augenblickens ist unter Umständen auch ein Merkmal eines Vorganges, wie mich diese Situation mit der Schaffnerin zu belehren weiß. Mir schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Durchganges, saß vermutlich ein Musiker. Er hatte ein dickeres Buch vor sich liegen, in dem er mit verschiedenen Buntstiften eigenartige Zeichen einfügte. Die Notenblätter bestanden aus unterschiedlich großen vorgedruckten Notenzeilen. Demnach war das bestimmt die Partition eines Musikstückes. Sehr flink und geschickt setzte er Haken für Haken. Warum er das machte, wollte ich ihn nicht fragen. Dazu schien er zu vertieft in seiner Arbeit zu sein. Zwischendurch telefonierte er mit jemanden, blätterte in dem Buch hin und her, radierte einige Dinge wieder weg, kratzte sich ab und zu am Hinterkopf, kramte in seiner Aktentasche hin und her, und derweil mehr. Ein sehr beschäftigter Mann sozusagen. Womöglich hatte er heute Abend noch einen Probeauftritt oder sogar einen offiziellen Vortrag zu leisten.
Davor saß eine Mutter mit 2 Kindern an einem Tisch. Alle drei spielten UNO. Soweit ich weiß, spielt jeder seine eigenen Regeln. Das kleinste Kind zog ständig nur Karten und legt keine Karte ab. Wobei sie die Karten nicht auf der Hand hielt, sondern alle ausgebreitet auf dem ganzen Tisch herum lagen. Das andere Kind schaute nur zu und gab immer mal gute Ratschläge. Die Mutter erklärte ständig, wie und was die Kinder an Karten auflegen sollen und warum. Diese legten mal eine mal zwei Karten auf den Stapel. Scheinbar spielten die Kinder zufällig zusammen und in der nächsten Runde selbständig gegeneinander. Der Sinn dieser Beschäftigung erschließt sich mir auch heute noch nicht. Mag sein, dass die erzieherischen Besonderheiten hier eine wesentliche Rolle spielten. So blieben die Kleinen wenigstens einigermaßen still und hampelten auf ihren Sitzen nicht herum.
Eine Sitzreihe dahinter saß eine Frau mittleren Alters. Sie fuchtelte auf ihrem Handy mit einem Eingabestift herum und schüttelte dabei beständig den Kopf. Vermutlich war die Bedienung des Gerätes nicht so eindeutig. Das Problem hatte ich nicht, da diese Geräte auf das gefährlichste inkonsistent bezüglich Diskretion sind; daher bevorzuge ich ohne diese vermeintlichen Fortschrittskandidaten zu reisen. Sie verraten nicht nur die Daten, sondern identifizieren ebenso den Ort als auch den Nutzer. Was kann es Schlimmeres geben, als dauernd belauscht und beobachtet zu werden. Meine Tätigkeit in forschenden Bereichen der Schleimer, macht mich zum Gegner jener im Untergrund und offiziellen Bereichen tätig wirkenden Übeltätern. Ach ja, die Schleimer. Das sind die kybernetischen, biologisch erzeugten, im Untergrund arbeitenden Mächte. Sie bestimmen unser Geschick und leben unauffällig dort, wo man nicht arbeiten muss. Sie stellen unser System unter Beobachtung und verwalten das Leben aller Menschen hier. Diese schleimigen Gesellen kriechen hinter jede verdächtige Intelligenz und versuchen es auszulöschen. Wer auch nur ein Fünkchen an eigener schöpferischer Kraft zeigt, wird sofort in eine Art Quarantäne geschoben. Wer eigene Fantasie entwickelt, muss aus dem System hier entfernt werden.
Aber genug der Erklärung. Der Urlaub soll mich etwas entspannen. Da wäre noch eine seltsame Beobachtung. Nach einer Umstiegspause von etwa zwanzig Minuten saß ich in einem Waggon, der noch voller war als der im letzten Zug. Zum Glück war hier ein Platz frei, wo sich zwischen den Sitzen ein großer Tisch befand. Mir zur Seite saß ein junges Mädchen, wahrscheinlich eine Studentin, dies sich intensiv mit einem dicken Buch beschäftigte. Sie schrieb einige Textpassagen in ein Notizblock mit kleineren Karos. Ihre Schrift war ungewöhnlich sauber, so dass man Probleme hatte etwas mitzulesen. Das kenne ich von früheren Schulkindern aus meiner Klasse in der Schule. Die Schrift von Mädchen mit besonders sauberen Aussehen, waren kaum zu entziffern, was mir damals schon komisch erschien. Des Weiteren war dieses Mädchen hier im Zug linkshändisch und hatte den Schreibstift zwischen dem Ringfinger und Mittelfinger eingekeilt. Das sah etwas ungewöhnlich komisch aus. Als wenn sie eine steife Hand hätte. Dass die Schrift allerdings so sauber aussah, war schon recht bemerkenswert. Ihr gegenüber saß ein zappelnder älterer Herr, dem es anscheinend zu heiß war. Er wedelte mit einer großen Zeitung sich Luft zu. Ich hatte das Gefühl, dass ich mehr Wind und Zug abbekam als er selber. Ich traute mich aber nicht, auf seine Unsitte aufmerksam zu machen. So schlimm war es indes nicht, dass die Kühlung in diesem Abteil auch nicht sonderlich zirkulierte. Das soll heißen, dass im Zug wohl eher die Klimaanlage ausgefallen war. Überraschenderweise haben wir was zu trinken bekommen, von einem durchlaufenden Burschen mit einem Beutel, in dem Selterflaschen untergebracht wurden. Auch die Schaffnerin ist weiterhin mindestens dreimal vorbei gelaufen und wollte die Fahrkarten sehen. Aber immer nur von den neu zugestiegenen Gästen. Schön blöd, wer sich da meldet, meine ich. Wir alten Hasen, sozusagen, haben uns dann eben nicht mehr bei ihr gemeldet, um kontrolliert zu werden.