Das Verlangen des Ritters - Rexanne Becnel - E-Book
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Das Verlangen des Ritters E-Book

Rexanne Becnel

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Beschreibung

Nur einer kann ihr rebellisches Herz bezwingen: „Das Verlangen des Ritters“ von Romance-Königin Rexanne Becnel als eBook bei dotbooks. England, 1273: Die einflussreichen Häuser Orrick und Colchester werden von einer Fehde entzweit, die bereits viele Menschenleben kostete. Auch die Verlobung von Lady Lilliane und Sir Corbett wurde durch das Zerwürfnis ihrer Väter jäh beendet. Als Corbett Jahre später nach Orrick zurückkehrt und seine Braut einfordert, weiß Lilliane gar nicht, wie ihr geschieht. Nur eines ist sicher: Sie wird diese Hochzeit um jeden Preis verhindern! Doch egal, welchen Plan sie fasst – Corbetts Entschlossenheit, ihr Herz zu erobern, kann sie nichts entgegensetzen. Unter den glühenden Blicken und den sanften Berührungen des Ritters bröckeln die Mauern, die sie um ihr Herz errichtet hat, dahin … „Eine hinreißende Romanze aus dem englischen Mittelalter … Sehr gefühlvoll, realistisch und leidenschaftlich.“ Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Das Verlangen des Ritters“ von der Bestsellerautorin historischer Liebesromane, Rexanne Becnel. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 581

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Über dieses Buch:

England, 1273: Die einflussreichen Häuser Orrick und Colchester werden von einer Fehde entzweit, die bereits viele Menschenleben kostete. Auch die Verlobung von Lady Lilliane und Sir Corbett wurde durch das Zerwürfnis ihrer Väter jäh beendet. Als Corbett Jahre später überraschend seine Braut einfordert, weiß Lilliane nicht, wie ihr geschieht. Nur eines ist sicher: Mit einem Feind ihrer Familie wird sie um keinen Preis die Ehe eingehen! Doch egal, welche tollkühnen Pläne sie auch schmiedet – Corbetts Entschlossenheit, ihr Herz zu erobern, kann sie nichts entgegensetzen. Unter den glühenden Blicken und den sanften Berührungen des Ritters bröckeln die Mauern, die sie um ihr Herz errichtet hat, dahin … Aber darf sie es wirklich riskieren, diesem Schuft zu trauen?

»Eine hinreißende Romanze aus dem englischen Mittelalter … Sehr gefühlvoll, realistisch und leidenschaftlich.« Romantic Times

Über die Autorin:

Rexanne Becnel ist gefeierte Autorin zahlreicher historischer Liebesromane. Während mehrerer Aufenthalte in Deutschland und England in ihrer Jugend begeisterte sie sich so sehr für mittelalterliche Geschichte, dass sie Architektur studierte und sich für den Denkmalschutz mittelalterlicher Gebäude einsetzt. In ihren Bestseller-Romanen haucht sie der Geschichte auf ganz andere Art neues Leben ein. Sie lebt glücklich verheiratet in New Orleans.

Bei dotbooks erschienen bereits folgende eBooks:

»Die Sehnsucht des Lords«

»Das Herz des Lords«

»Der Pirat und die Lady«

»Das wilde Herz des Ritters«

»Ein ungezähmter Gentleman«

»In den Armen des Edelmanns«

»Rosecliff – Der Ritter und die zarte Lady«

»Rosecliff – Der Ritter und die schöne Rächerin«

»Rosecliff – Der Ritter und die stolze Geisel«

»Gefangen – Die Rosecliff-Saga in einem Band«

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe November 2020

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1990 unter dem Originaltitel »My gallant enemy« bei Dell Publishing, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Das Herz meines Feindes« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1990 by Rexanne Becnel

Published by Arrangement with Rexanne Becnel

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/KDdesignphotos, iLongLoveKing

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-160-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Rexanne Becnel

Das Verlangen des Ritters

Roman

Aus dem Amerikanischen von Nicole Hölsken

dotbooks.

Kapitel 1

September 1273

Die Sonne tauchte den Schloßhof in goldenes Licht. Ihre Strahlen fingen sich im Staub, den die Ritter bei ihren Waffenübungen aufgewirbelt hatten. Wieder und wieder waren sie mit ihren Pferden über die trockene, gestampfte Erde geprescht, bis ihre Körper vor Schweiß glänzten und ihnen die Arme so schwer waren, daß sie sie kaum mehr heben konnten. Erst jetzt hatten sie mit ihren Waffenübungen aufgehört, erschöpft und doch befriedigt von ihrem Tagwerk.

Während Lady Lilliane of Orrick über den jetzt leeren Schloßhof schritt, glaubte sie fast, die Rufe der Männer noch immer hören zu können: ihre Siegesschreie, ihre Flüche bei einer Niederlage. Orrick hatte sich nicht verändert, man hätte fast glauben können, daß sie nicht zwei lange Jahre fort gewesen wäre. Und doch gab es Unterschiede zu früher, dachte sie, als sie auf die große Kastanie zuging, die im hinteren Teil des Schloßhofes Schatten spendete.

Die Männer waren nicht von ihrem Vater befehligt worden, denn er war nicht länger der kräftige, gesunde Mann ihrer Jugendjahre. Sir Aldis hatte Orricks Ritter unterwiesen. Ihre Schwester Odelia hatte ihn kurz vor Lillianes Abreise geheiratet, und obwohl ihr Vater seinem Schwiegersohn die Verwaltung des Schlosses noch nicht offiziell übertragen hatte, befürchtete Lilliane, daß es nur eine Frage der Zeit war.

Doch man mußte auch an den zukünftigen Gatten der jungen Tullia denken. Sie heiratete in vier Tagen Sir Santon, und es war gut möglich, daß dieser ebenfalls Ansprüche auf das Verwalteramt geltend machen würde. Und doch spürte Lilliane, daß ihr Vater keinen der beiden jungen Ritter wirklich schätzte. Aber schließlich hieß er die Männer, die seine Töchter für sich wählten, nur selten gut.

Zwei Frauen gingen gemessenen Schrittes auf die große Empfangshalle zu. Lilliane erkannte ihre Schwester Odelia, die andere hatte sie noch nie gesehen. Ein leichtes Stirnrunzeln zeigte sich auf ihrem sonst so heiteren Gesicht. Die Hochzeitsgäste, die aus weit entlegenen Ortschaften wie Farrelton kamen, waren bereits eingetroffen, und Odelia genoß den Ruhm, den die Rolle der Gastgeberin mit sich brachte. Sie war mehr als zufrieden,-daß sie die praktischen Vorbereitungen Lilliane überlassen konnte, während sie die Gäste unterhielt.

Zuerst war Lilliane durch Odelias kühle Haltung ihr gegenüber verletzt gewesen. Es war offensichtlich, daß weder Odelia noch ihr Mann Aldis sehr erfreut über ihre Rückkehr waren. Solange sie unverheiratet blieb, waren Aldis und Odelia die Erben von Orrick Castle. Aber wenn ihr Vater nun doch einen Mann für sie fand …

Lilliane lächelte bei diesem Gedanken spöttisch vor sich hin. Das Thema ihrer Ehe wollten weder sie selbst noch ihr Vater ansprechen. Tatsächlich waren sie ihm in den vergangenen Wochen beide sorgsam ausgewichen.

Sie seufzte, entschlossen, Odelias schlechte Laune zu ignorieren. Tullias erfreuter Willkommensgruß hatte sie mehr als entschädigt. Wenn ihre jüngere Schwester sie nicht in einem Brief verzweifelt uni Hilfe bei ihren Hochzeitsvorbereitungen gebeten hätte, wäre Lilliane in der Abtei von Burgram geblieben.

Und doch war sie froh darüber, heimgekehrt zu sein. Lilliane ließ ihren Blick langsam über den Schloßhof schweifen, sie nahm den vertrauten Anblick in sich auf und bemerkte jede kleine Veränderung. Orrick war etwas Besonderes, das mußte sie zugeben, als sie sich gegen den kräftigen Stamm des alten Baumes lehnte. All ihre Erinnerungen waren mit diesem Schloß eng verbunden, die guten wie die schlechten. Nicht ein Tag, den sie in der Abtei verbracht hatte, war vergangen, an dem ihre Gedanken nicht nach Orrick Castle gewandert waren.

Diesmal würde es noch schwerer als vor zwei Jahren sein, Orrick Castle wieder zu verlassen.

Von einem Fenster in der Empfangshalle beobachtete Lord Barton of Orrick, wie seine älteste Tochter die Hand an die Augen führte. Weinte sie etwa? Er beugte sich nach vorn, legte seine Hand auf den Mittelpfosten und blickte angestrengt in die Richtung seiner Tochter. Er beobachtete, wie sie sich aufrichtete und auf die Wirtschaftsgebäude zuging. Dann schlug er voller Enttäuschung auf die granitene Brüstung des Fensters.

»Was ist dir, Vater?«

Ohne seine Augen von der schlanken Gestalt im Hof abzuwenden, streckte Lord Barton den Arm aus, um Tullia zu sich heranzuziehen und liebevoll an sich zu drücken. Er küßte sie auf ihre sanfte Stirn.

Als sie ihn umarmte, erspähte sie Lilliane. »Sie wird nicht hierbleiben, nicht wahr?« fragte sie voller Wehmut.

»Es ist unwahrscheinlich.« Er seufzte. »Wenn ich sie nicht dazu zwinge.«

»Vielleicht solltest du das tun. Vielleicht wäre es das beste.«

»Es war ein Fehler, sie vor zwei Jahren gehen zu lassen.«

»Du meinst, du hättest zulassen sollen, daß sie Sir William heiratet?« Tullia blickte voller Überraschung zu ihrem Vater auf.

»Nein. Sir William war nicht der Richtige für sie. Ich meinte, daß ich es nicht hätte zulassen sollen, daß sie sich nach Burgram Abbey zurückzog. Sie hätte ihren Zorn auf mich nicht so lange am Leben erhalten können, wenn sie weiterhin hier gelebt hätte. Aber nun …«

»Sie ist nicht wütend auf dich«, antwortete Tullia ernst. »Wahrhaftig, das ist sie nicht.«

Er schnaubte nur ungläubig.

»Wenn es um Lilliane geht, bist du ebenso halsstarrig wie sie.« Tullia warf ihm aus ihren sanften braunen Augen einen anklagenden Blick zu. »Mein Gott, ganz offensichtlich seid ihr beiden einander so ähnlich, daß Ihr Euch endlos übereinander aufregen könnt.«

»Eine Tochter sollte ihrem Vater gehorchen.«

»Das tat sie«, erwiderte Tullia. »Sie hat William schließlich nicht geheiratet, nicht wahr?«

»Nein, aber sie ist fest entschlossen, niemals jemand anders zu heiraten. Schmachtet sie ihm immer noch hinterher?«

»Das glaube ich nicht«, antwortete Tullia nachdenklich. »Aber wir werden es bald wissen. Sir William und seine Gattin, Lady Verone, sind heute nachmittag angekommen. Odelia ist im Moment bei ihr. Lady Verone ist …« Sie zögerte. »Sie ist guter Hoffnung.«

»Guter Hoffnung? Und William hat zugelassen, daß sie in diesem Zustand eine solch lange Reise unternimmt?« Die buschigen Augenbrauen Lord Bartons zogen sich grimmig zusammen. »Ich hoffe, ich werde den Tag nicht bereuen, an dem ich William wieder nach Orrick eingeladen habe. Ich habe diesem Burschen noch nie über den Weg getraut. Er ist ein eitler Pfau. Ein Mann, der lieber um den leeren Thron König Edwards herumscharwenzelt, als sich um seine Ländereien und seine Vasallen zu kümmern. Ich wünsche nicht, daß er Lilliane allein trifft.«

»Du hast für niemanden ein freundliches Wort übrig«, tadelte ihn Tullia milde. »Du hast den armen William fortgeschickt, als er Lilliane den Hof machte. Und dabei hatte sie doch schon ein zerbrochenes Verlöbnis hinter sich. Und fast das gleiche hast du auch mit Sir Aldis gemacht, als er um Odelia warb.«

»Ich habe die Hochzeit schließlich doch gestattet, nicht wahr?« Sein Blick verfinsterte sich, aber die Umarmung, in der er sie hielt, wurde nur noch inniger. »Und jetzt lasse ich es zu, daß du diesen Knaben heiratest, diesen Santon.«

Tullia drückte ihr Gesicht an die breite Brust ihres Vaters und lächelte. »Ich liebe ihn. Und das ist auch der Grund, warum du deine Erlaubnis gegeben hast, nicht wahr? Du hast zugelassen, daß Odelia und ich die Männer heiraten, denen unser Herz gehört. Warum konntest du Lilliane nicht das gleiche erlauben?«

Beunruhigt tätschelte Lord Barton zärtlich ihren Kopf und ließ seinen Blick zur Nachmittagssonne emporschweifen, die sich über die Burg senkte und das fruchtbare Land rotgolden erglühen ließ.

Er war ein Mann der Tat, nicht der Worte. Er war ein Ritter. Obwohl er vielleicht häufig mit seinen Gefühlen zu kämpfen hatte und mit seinen Töchtern stritt, traf er seine Entscheidungen unweigerlich zum Wohle Orricks und der dort lebenden Menschen. Er konnte sein Mißtrauen William of Dearne gegenüber nicht in Worte fassen. Aber er war unerbittlich gewesen, als er diesem Mann die Hand seiner ältesten Tochter und das damit verbundene Eigentumsrecht an Orrick verweigerte. Und diese Entscheidung hatte eine Kluft zwischen Lilliane und ihm aufgerissen.

Aber er hatte die richtige Entscheidung getroffen, sagte er sich, als er Tullia in die große Halle führte. William war nicht der Richtige für seine Lily gewesen.

Die große Halle war mit Gästen und Dienern fast zum Bersten voll. Die gewölbte Decke hallte von Gelächter und Gesprächen wieder, als Lilliane am obersten Absatz der Haupttreppe stehenblieb, um die Menschen dort unten zu betrachten.

Alles war so, wie es sein sollte, dachte sie mit einem kleinen, befriedigten Lächeln. Ein großer Ochse und zwei mächtige Eber drehten sich bereits seit dem vorherigen Abend an den Spießen und wurden nun von den Dienern für das Mahl vorbereitet. Andere Diener liefen geschäftig hin und her, beladen mit Platten voller Fasane und Wachteln, Enten und Aalen. Große Terrinen mit Lauchsuppe und Körbe voller Brot wurden auf jeden Tisch gestellt, und Wein und Bier flossen in Strömen. Tabletts mit köstlichen Obstkuchen und Schüsseln mit geschmorten Birnen warteten in der Küche darauf, später serviert zu werden.

Lilliane konnte nicht verleugnen, daß sie stolz auf den Anblick war, der sich vor ihr entfaltete. Keine drei Wochen zuvor war sie entsetzt gewesen, als sie entdeckt hatte, in was für einem verwahrlosten Zustand die Halle war. Die beiden gewaltigen Feuerstellen waren schwarz vor verkrustetem Ruß gewesen und hatten Myriaden kleiner Kriechtiere beherbergt. Das große Wappen von Orrick, das stolz in der Sonne hätte funkeln sollen, war grau von Rauch und Spinnweben gewesen, die blaue und silberne Farbe kaum noch zu erkennen.

In den letzten paar Jahren war die Halle nur selten für Festlichkeiten genutzt worden, ,und Lilliane konnte Tullia wegen ihres schäbigen Erscheinungsbildes keinen Vorwurf machen. Immerhin war das Mädchen erst vierzehn gewesen, als ihre beiden älteren Schwestern Orrick verlassen hatten. Das Schloß war groß und weitläufig. Für seine Instandhaltung und die Erledigung der täglichen Aufgaben zu sorgen war eine Aufgabe, die man nicht unterschätzen durfte und die niemals zu enden schien. Es gab zahlreiche Diener, die dafür sorgen sollten, daß die Arbeit erledigt wurde, aber Lilliane wußte, daß die hübsche, weichherzige Tullia niemals in der Lage sein würde, dafür zu sorgen, daß die Diener ihre Aufgaben gewissenhaft erledigten. Wenigstens hatte Tullia genügend Voraussicht bewiesen, um vor der Hochzeit nach ihr zu schicken.

Lilliane hatte jede Minute damit verbracht, dafür zu sorgen, daß Orrick für den Empfang der Gäste bereit war. Jedes Bettlaken war gewaschen und in der Sonne gebleicht worden. Man hatte verdorbene Lebensmittel aus den Vorratskammern entfernt und frisch geerntetes Getreide und Früchte eingelagert. Jedes Zimmer, angefangen von dem hochherrschaftlichsten Gemach für einen besonderen Gast bis zu den kleinsten Kammern der Dienerschaft war gekehrt und geschrubbt worden. Jeder Kerzenleuchter war abgenommen worden, um das Wachs, das daran heruntergetropft war, abzukratzen und ihn so lange zu polieren, bis man sich in ihm spiegeln konnte. Eine Gruppe von Frauen hatte sich tagelang damit abgeplagt, Bienenwachs und die Beeren der Wachsmyrte zu kochen, um Hunderte von Kerzen zu ziehen.

Auf Lillianes Weisung hin hatten die Näherinnen neue Vorhänge für die große Halle und alle größeren Gemächer angefertigt. Mit geschickten, flinken Fingern hatten sie feine, neue Kleider genäht, wie sie von den Gastgebern, der Familie der Braut, erwartet wurden. Sie war vom Morgengrauen bis zur Dämmerung auf den Beinen gewesen und hatte jede Arbeit so lange beaufsichtigt, bis es keinen Diener mehr gab, den sie nicht kannte und der ihre hohen Ansprüche noch nicht kennengelernt hatte. Sie bezweifelte nicht, daß sie alle über ihre Rückkehr nach Orrick murrten, aber das lag nur daran; daß sie unter Tullias unerfahrener Hand faul geworden waren.

Jetzt war sie zufrieden, denn auch der anspruchsvollste ihrer Gäste konnte nichts mehr an Orrick auszusetzen haben. Und so lehnte sie sich vor über die reich verzierte Steinbalustrade und betrachtete aufmerksam die Menge, die sich im Erdgeschoß versammelt hatte.

»Suchst du jemand besonderen?«

Die Stimme ihres Vaters überraschte sie, und sie wirbelte herum und sah ihn an. Er war gekleidet, wie es sich für den Herrn dieses Schlosses geziemte, in einer Tunika aus kostbarer blauer Seide, die am Kragen, am Saum und an den Ärmeln mit breiter Silberborte bestickt war. Ein kurzer Umhang war über einer Schulter befestigt und wurde durch eine große Saphirbrosche gehalten, die in aufwendig gearbeitetes Silber gefaßt war. Eine schwere Silberkette umgab seine beachtliche Taille.

Nachdem sie nach Orrick zurückgekehrt war, war Lilliane zuerst erschüttert gewesen, wie sehr ihr Vater während ihrer Abwesenheit gealtert war. Aber heute abend, in seinem königlichen Gewand, sah er fast wie der Mann aus, an den sie sich aus ihrer Jugendzeit erinnerte.

»Ich war nur neugierig, wer von Tullias Gästen schon angekommen ist«, antwortete sie.

»Aber du hast niemand besonderen im Auge?« beharrte er.

»Nein, warum fragst du?«

Lord Barton senkte den Blick und umfaßte die Balustrade mit seinen fleischigen Händen. »Sir William of Dearne ist heute angekommen. Seine Frau ist bei ihm«, fügte er mit besonderer Betonung hinzu.

Obwohl Lilliane bei seinen Worten erstarrte und sofort verstand, worauf er hinauswollte, weigerte sie sich, auf diese Bemerkung einzugehen. »Nun, ich hoffe aufrichtig, daß Odelia sie in einem bequemen Zimmer untergebracht hat.«

Ihr Vater betrachtete sie mißtrauisch, und sie wußte, daß er sich von dem süßen Ton ihrer Worte keineswegs zum Narren halten ließ. Sie konnte nicht verleugnen, zumindest nicht sich selbst gegenüber, daß der Gedanke daran, William wiederzusehen, ihr Herz vor Vorfreude schneller schlagen ließ. Aber diese Tatsache würde sie vor ihrem Vater verbergen, und wenn es sie das Leben kostete.

»Ich habe immer noch die Hoffnung, dich mit einem Ehemann zu versorgen.« Lord Barton sprach vorsichtig, als ob er sich ihrer Reaktion nicht sicher sei. Aber seine strahlend blauen Augen blickten voller Schläue drein, während er auf ihre Antwort wartete.

»Ich würde sogleich einwilligen«, gab sie zurück und hob mutig das wohlgerundete Kinn. »Aber ich würde nur einen Mann heiraten, den ich liebe … oder zumindest respektiere.«

»Würde ich denn einen anderen für dich auswählen?« verlangte er zu wissen und machte eine wütende Handbewegung. »Würde ich mein ältestes Kind und das Haus meiner Vorfahren der Obhut eines Mannes ohne Ehre und Achtbarkeit überlassen?«

»Aber ich dachte Aldis … oder vielleicht auch Santon. Nun ja, Odelia hat große Pläne für Orrick, wenn du …« Sie stockte vor Verlegenheit.

»Wenn ich sterbe?« Lord Barton lachte, und seine Züge wurden weich, als er ihr ins Gesicht sah. »Aldis versteht sich nicht auf die Verwaltung eines Gutes. Oh, seinen Männern ist er ein guter Anführer. Aber für ein Schloß mit seinen Ländereien und Untergebenen zu sorgen, erfordert erheblich größere Fähigkeiten als trefflich mit der Keule oder dem Breitschwert umzugehen. Nein, seine Fähigkeiten in der Kriegskunst werden ihm dabei nicht von Nutzen sein: Und was Santon anbelangt …« Er zuckte die Achseln und ließ die Augen zu der ausgelassenen Gesellschaft schweifen. »Santon ist gut für Tullia. Aber er könnte dieses Anwesen ebensowenig versorgen, wie Tullia sich um das Schloß zu kümmern vermag. Du siehst also« – er warf ihr ein liebevolles Lächeln zu – »es hat sich eigentlich nichts geändert. Ich muß immer noch einen Mann für dich finden.«

Lilliane schwieg. Seit sie nach Orrick zurückgekehrt war, hatte sie die Gesellschaft ihres Vaters nicht gesucht. Tatsächlich hatte sie ihn sogar so gut es ging gemieden, obwohl es sie außerordentlich schmerzte, sich so zu verhalten. Sie liebte ihn innig, auch wenn seine Entscheidung, was William betraf, ihr das Herz gebrochen hatte. Seine aufrichtige Enthüllung überraschte sie zwar, aber sie war keineswegs verärgert, denn ihre Gedanken waren, was die Ehegatten ihrer Schwestern betraf, einem ähnlichen Pfad wie dem seinen gefolgt.

»Ich liebe Orrick«, gab sie mit leiser Stimme zu. Sie ließ ihre Hand langsam über die rauhe Steinmauer neben sich gleiten, als ob sie ein Haustier streichelte. »Ich habe es bitterlich vermißt.«

»Dann bleib hier.«

Er schien keine Antwort von ihr zu erwarten, und dafür war Lilliane sehr dankbar. Er nahm nur ihren Arm und führte sie die breite Steintreppe hinunter, damit sie sich dem ausgelassenen Treiben anschließen und ihre Gäste zum Abendbrottisch führen konnten.

Viele Augen folgten Vater und Tochter, während sie sich ihren Weg durch das Gedränge bahnten, Verwandte und Bekannte begrüßten, denn sie waren ein aufsehenerregendes Paar. Lilliane glich ihrem Vater auf vielerlei Weise, mit ihrer aufrechten Gestalt und selbstbewußten Haltung. Obwohl sein Haar nun von breiten Silbersträhnen durchzogen war und seine Augen nicht mehr das durchdringende Blau seiner Jugendjahre hatten, fühlten sich jene, die Barton of Orrick in früheren Jahren gekannt hatten, durch Lilliane an ihn erinnert. Ihr Haar war von dem gleichen tiefen Kastanienbraun wie das seine und sprühte goldene Funken in dem Licht der zahlreichen Fackeln. Ihre breiten Wangenknochen und das energische Kinn waren aus dem gleichen Guß wie die seinen. Nur die Augen hatte sie von ihrer Mutter geerbt, eine seltene Mischung aus Grün und Gold, die ebenso vor Witz sprühen wie vor Zorn blitzen konnten.

Und jedem war bekannt, daß sie das gleiche Temperament wie ihr Vater hatte. Was sonst konnte ein Mädchen fast zwei Jahre von ihrer Heimat fernhalten?

Lilliane war sich der forschenden Blicke bewußt, die ihr bei ihrem Eintreten am Arm ihres Vaters zugeworfen wurden. Sie wußte um den Klatsch, der ihrem Zerwürfnis gefolgt war. Aber heute abend empfand sie keinerlei Entfremdung. Es war einfach nur schön, zu Hause und in seiner Gesellschaft zu sein.

Sie warf Tullia und Santon ein warmherziges Lächeln zu, als sie die Stufen zum Tisch am Kopfende des Saals erklomm. Aber als ihr Blick auf Odelia und Aldis fiel, war sie erschüttert, wie viel Zorn im Gesicht ihrer Schwester zu lesen war. Sir Aldis schien ebenfalls nicht besonders erfreut über ihr Erscheinen zu sein. Mit einem Seufzer fügte sie sich, als ihr Vater sie aufforderte, sich neben ihn zu setzen. Als er ihre Hand drückte, warf sie ihm einen liebevollen Blick zu und nahm sich vor, Odelias schlechter Laune keine Aufmerksamkeit zu schenken.

Als die Gäste Platz genommen hatten, ließ Lilliane den Blick über die Versammlung wandern. Und erst jetzt sah sie William. Er starrte sie direkt an, während er neben einer Frau stand, der er soeben einen Platz angeboten hatte. Ihre Augen trafen sich, und ihre Blicke hielten einander fest, bis seine Aufmerksamkeit von der Frau in Anspruch genommen wurde. Langsam nahm er neben ihr auf einer breiten Bank Platz, nicht ohne einen letzten, intensiven Blick in Lillianes Richtung geworfen zu haben.

Etwas an diesem Blick störte sie, und Lilliane wandte sich dem Diener zu, der ihr Wein eingoß. Dankbar für die Ablenkung nippte sie an dem köstlichen Wein und warf William erneut einen verstohlenen Blick zu.

Sie bemerkte, daß er so attraktiv wie immer war, groß und elegant gekleidet; sein Haar fiel ihm in lohfarbenen Locken auf die Schultern. Er trug eine gemusterte Tunika in Rot und Gold. Die Frau an seiner Seite war in den gleichen Farben gekleidet, und Lilliane wurde sogleich klar, daß es sich um Williams Gemahlin handeln mußte. Sie war eine kleine, hübsche Frau, deren Haar fast genauso hell wie Tullias war. Es überraschte Lilliane keineswegs, daß William eine gute Partie gemacht hatte. Sie hatte von Lady Verone gehört und wußte, daß sie ein herrliches Schloß und viele Leibeigene mit in die Ehe gebracht hatte. Daß sie auch noch schön war, schien nur Rechtens zu sein, denn einen besser aussehenden Mann wie William of Dearne konnte eine Frau so leicht nicht finden.

In diesem Augenblick sah er erneut zu ihr herüber, und sie senkte sofort den Blick. Zwei lange Jahre hatte sie die Erinnerung an ihn am Leben erhalten. Ihr war bewußt, daß sie niemals heiraten würde, aber sie brauchte zumindest ein paar romantische Träume, an denen sie sich in ihrem jungen und allzu abgeschiedenen Leben festhalten konnte. Doch nun, da er ihr so offensichtlich seine Aufmerksamkeit zuwandte, wurde ihr unbehaglich zumute.

»Der junge William scheint von deiner Anwesenheit ausgesprochen beeindruckt zu sein«, flüsterte ihr Vater ihr ins Ohr. »Die Frau an seiner Seite ist seine Gemahlin. Sie ist guter Hoffnung«, fügte er hinzu, wobei er jedes Wort betonte.

»Du bist ungerecht«, gab Lilliane kurz zurück, eine schwache Röte überzog ihre Wangen. »Glaubst du etwa, daß ich weniger Ehrgefühl besitze als du? Glaubst du etwa, ich würde mit einem verheirateten Mann herumtändeln?« Sie warf ihm einen zornigen Blick zu, bevor sie ihren Kelch erneut an die Lippen setzte.

Lord Barton lehnte sich in seinem geschnitzten Stuhl zurück und sah ihr prüfend in die wütenden Augen. »Nein, meine Tochter«, antwortete er sanft. »Ich weiß, daß du weder deine Familie noch dich selbst auf solch schändliche. Weise entehren würdest. Aber was William angeht …« Er zuckte die Achseln. »Am Hof habe ich häufig von seinen Eskapaden gehört. Du hast mit diesen Dingen lange Zeit nichts zu tun gehabt.« Er streckte die Hand aus und berührte sanft ihre Wange. »Und du bist in der Zeit deiner Abwesenheit von Orrick sogar noch schöner geworden.«

Als Lilliane seinen liebevollen Blick bemerkte, verrauchte ihre Wut völlig. Sie hatte keine Schwierigkeiten, seinem Zorn oder seinem Mißfallen gegenüberzutreten. Aber seine sanfte Zuneigung war ihr Verderben. Rasch ergriff sie seine Hand und lächelte kläglich. »Dein Augenlicht muß schlechter geworden sein. Ich sehe mittlerweile ganz aus wie eine Nonne. Ganz wie eine alternde Jungfer. Du hast dir eine wahrhaft herkulische Aufgabe gestellt, wenn du die Hoffnung hegst, für mich noch einen Gatten zu finden.«

Sie hatte geglaubt, ihn damit zum Lachen zu bringen, aber Lord Barton schien völlig von diesem Thema in Anspruch genommen zu sein und drückte ihre Hand nur um so fester. »Es ist zu dumm«, sagte er langsam.

»Zu dumm?« fragte sie, da sie seine Worte nicht verstand. Die Frage schien sein Blut in Wallung zu bringen.

»Die Sache mit Colchester. Zu dumm, daß deine eure Verlobung nicht zu einer Heirat geführt hat.«

Einen Augenblick lang antwortete Lilliane nicht. Der Name Colchester ließ Unmengen beinahe vergessener Bilder vor ihrem geistigen Auge auftauchen. Es hatte eine Zeit gegeben, da sie albern gekichert hatte und errötet war, wenn der gutaussehende junge Ritter, der vor so vielen Jahren für sie ausgewählt worden war, erwähnt wurde. Corbett of Colchester war groß und muskulös gewesen, daß jedes Mädchen vor Freude erzitterte. Jede andere Frau im Schloß hatte sie beneidet. Aber das war vorher gewesen. Vor der großen Fehde. Vor den blutigen Kriegen, die die Häuser Orrick und Colchester in bittere Feinde verwandelt hatten. Heute war der Name Colchester wie ein Fluch, ein Name, den sie verabscheute. Diese Familie hatte ihren Kinderjahren die Unschuld geraubt. Und sie hatte ihren teuren Vetter Jarvis getötet.

»Colchester?« Lilliane entwand sich dem Griff ihres Vaters und sah ihn vorwurfsvoll an. »Du wagst es, zu trauern, daß du ihn als Schwiegersohn verloren hast? Sind diese Barbaren aus Colchester nicht ein Fluch, der auf der Erde und insbesondere auf Windermere Fold lastet? Kannst du die fünf Jahre des Unheils vergessen, die sie über die Menschen auf Orrick gebracht haben? Kannst du vergessen, daß sie Jarvis ermordet haben?«

»Ich vergesse nichts«, antwortete er, und in seinen Augen glomm ein warnender Funke. »Jarvis stand mir ebenso nahe wie ein eigener Sohn. Aber als Herr von Orrick kann ich meinen persönlichen Gefühlen nicht gestatten, dem, was für meine Untergebenen das Beste ist, entgegenzustehen. Und es wäre das beste gewesen …«

»… wenn ein Großteil von ihnen bei der Geburt gestorben wäre!«

»Ist dies die blutrünstige Lektion, die man dir in der Abtei von Burgram beigebracht hat? Wenn ja, dann sei versichert, daß Mutter Mary Catherine einiges von mir zu hören bekommen wird. Ich habe ihr ein reines, unschuldiges Mädchen geschickt, und sie schickt mir ein Kriegerweib zurück, das bereit ist, eine ganze Familie zu verfluchen und zuzusehen, wie sie untergeht …«

»Du hast mich nicht zu ihr geschickt«, gab Lilliane zornig zurück. »Ich habe mich entschlossen, dorthin zu gehen. Und sie hat mich nicht zurückgeschickt, ich habe mich entschlossen, zurückzukehren. Und wenn du daran denkst, mich an diesen Sprößling der Colchesters zu binden, versichere ich dir, daß ich nach Burgram Abbey flüchten und den Schleier nehmen werde.«

»Beruhige dich, Tochter. Beruhige dich. Es ist traurig, aber meine Überlegungen sind nur das, nichts weiter. Der junge Colchester ist vor ein paar Jahren unter die Kreuzritter gegangen. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt.« Er verstummte und starrte auf die Gesellschaft, die sich unter ihnen versammelt hatte. »Dieser Corbett war ein strammer Bursche. Ich möchte wetten, daß er sich im Orient ganz gut geschlagen hat. Er ist aus dem gleichen Holz geschnitzt, wie es seinerzeit Jarvis war.« Lord Barton hob seinen Kelch an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck, als seine Erinnerungen ihn zu überwältigen drohten. »Eine Heirat zwischen den Häusern Orrick und Colchester wäre von großem Vorteil gewesen. Corbett wäre dir ein guter Mann gewesen, und dieses Tal hätte letztlich doch noch seinen Frieden gefunden.«

Lilliane starrte auf ihren Teller hinab, aufgewühlt durch die gleichen Erinnerungen. »Aber statt dessen haben sie es vorgezogen, uns den Krieg zu erklären.«

»Sie glaubten, daß Lord Frayne auf mein Geheiß hin ermordet worden sei. Was hätten zwei loyale Söhne sonst tun sollen, als zu versuchen, den Tod ihres Vaters zu rächen? Wenn Jarvis im Kampf nicht gefallen wäre, würde der Krieg immer noch andauern«

»Auge um Auge?«

»Es scheint so. Oh, nicht daß du mich jetzt mißverstehst. Wir haben nichts füreinander übrig, denn immer noch dürsten sie nach Rache. Jeder Mann aus Orrick, der den Grenzstein hinter sich läßt und die Colchester-Ländereien betritt, läuft Gefahr, getötet zu werden. Und genausowenig sollten sie sich auf unser Land wagen. Aber seit Edward so viele Ritter auf seinen Kreuzzug mitgenommen hat, hat es keinen richtigen Kampf mehr gegeben.«

»Sie sind also immer noch unsere Feinde«, bekräftigte Lilliane.

»Ja, das sind sie.« Lord Barton seufzte. »Und es ist unwahrscheinlich, daß sich das jemals ändern wird.«

Der Rest der Mahlzeit verlief vergleichsweise friedlich. Schwierige Themen, wie William, Sir Corbett of Colchester und ihre Zukunft wurden nun geflissentlich vermieden. Sir Aldis gab sich Mühe, die Aufmerksamkeit seines Schwiegervaters auf die Verteidigungsanlagen Orricks zu lenken, und Tullia tat ihr Bestes, um Odelia, Lilliane und Santon zu unterhalten. Aber Odelia schien entschlossen zu sein, Schwierigkeiten zu machen, und schließlich suchte Tullia bei San ton und seiner bewundernden Aufmerksamkeit Trost. Da Odelia sie bewußt ignorierte, war Lilliane auf sich selbst gestellt und beobachtete von ihrem Platz am Familientisch das Treiben der Gesellschaft, die sich in der großen Halle versammelt hatte.

Als die Mahlzeit beendet war, begannen die Lustbarkeiten. Einige Minnesänger unterhielten die Menge mit vergnüglichen Balladen und zotigen Gedichten. Hunde schossen pfeilschnell zwischen den Tischen umher und suchten nach heruntergefallenen Krumen, während Kinder einander foppten und umherrannten und sowohl die Erwachsenen als auch die Tiere mit ihren Streichen plagten.

Doch über der ganzen Gesellschaft lag eine Atmosphäre der Harmonie und der guten Laune. Der Sommer hatte eine gute Ernte und scheinbaren Frieden gebracht. Jetzt hatten sie sich versammelt, um gemeinsam Hochzeit zu feiern. Abgesehen davon, daß die nächsten Nachbarn, die Bewohner von Schloß Colchester, nicht zugegen waren, war dieser Abend ein voller Erfolg.

Bei dem Gedanken an die Colchesters verfinsterte sich Lillianes stolzes Antlitz. Sie hatte schon seit Jahren nicht mehr an ihr Verlöbnis mit Sir Corbett of Colchester gedacht, und es bekümmerte sie, daß ihr Vater das Thema heute abend zur Sprache gebracht hatte. Damals war sie vierzehn Jahre alt gewesen. Ihr Vater und Lord Frayne of Colchester hatten gehofft, ihre zerbrechliche Freundschaft durch die Heirat der ältesten Tochter von Schloß Orrick mit dem jüngsten Sohn der Colchester, zu festigen.

Er war natürlich viel älter als sie gewesen. Dreiundzwanzig Jahre im Gegensatz zu ihren vierzehn. Aber sie konnte sich an den großen, ruhigen jungen Mann noch gut erinnern. Er war so dunkel und ernst gewesen, daß sie sich damals fast ein bißchen vor ihm gefürchtet hatte. Doch war er so attraktiv und überwältigend gewesen, daß sie über die Verbindung sehr erfreut gewesen war. Als Verlobungsgeschenk hatte er ihr einen silbernen Kamm und einen passenden Spiegel geschenkt; sie hatte diese Gabe immer in Ehren gehalten. Ihre Schwestern hatten sie sehr beneidet, und selbst ihre Mutter, Lady Edlyn, war beeindruckt gewesen.

Aber das war lange her, rief sich Lilliane zur Ordnung. Im folgenden Jahr war ihre Mutter im Kindbett gestorben. Ihr Vater war verrückt vor Trauer geworden und hatte ziemlich heftig mit Lord Frayne über eine Schafherde gestritten. Am nächsten Tag war Lord Frayne ermordet aufgefunden worden. Obwohl Augenzeugen Lord Barton dieses Verbrechens bezichtigt hatten und tatsächlich einige Beweise darauf hindeuteten, daß er der Täter war, hatte er geschworen, unschuldig zu sein.

Daraufhin hatte der Krieg zwischen den beiden Häusern im langen Tal von Windermere Fold gewütet. Der Fluß Keene war mehr als einmal rot vor Blut gewesen. Und erst als ihr einziger Cousin, der teure Jarvis, gefallen war, war eine Art von Frieden geschlossen worden. Aber es war ein Frieden voller Schmerz gewesen, und die Wunden, die er geschlagen hatte, würden bleibende Narben hinterlassen. Selbst jetzt erschienen ihr jene Tage als die schlimmsten in ihrem jungen Leben.

Es hatte ihr keine Schwierigkeiten bereitet, die Aufgaben der Schloßherrin zu übernehmen. Immerhin hatte sie ihre Mutter in allen Bereichen der Haushaltsführung in einem Schloß unterwiesen. Aber der Tod ihres jungen Cousins, der ihr wie ein Bruder gewesen war, und die lange und schmerzensreiche Genesung ihres schwer verletzten Vaters hatten sie sehr angestrengt. Es war eine freudlose Zeit für Orrick gewesen. Kein Gelächter und Gesang, kein Vergnügen, um einem jungen Mädchen die schwere Arbeit zu erleichtern.

Aber sie hatten überlebt, und das würden sie immer, dachte sie mit grimmigem Stolz. Wie schlimm es Colchester auch treiben mochte, Orrick würde immer durchkommen. Und trotz des Geredes ihres Vaters hatte sie keinen Grund, die Rückkehr Corbetts of Colchester zu fürchten. Wenn der gute Gott im Himmel Gerechtigkeit walten ließ, dann hatte Er sicher dafür gesorgt, daß ein heidnisches Schwert das schwarze Herz des Ritters geradewegs durchbohrte!

Von ihren Erinnerungen aufgewühlt erhob sich Lilliane, um sich zurückzuziehen. Sie sagte ihrem Vater gute Nacht, gab dem Kämmerer ein paar kurze Anweisungen und warf noch einen Blick in die Küchen, bevor sie die Treppe hinaufging. Aus der großen Halle drangen fröhliche Rufe und Gesang zu ihr empor, und sie begann sogar, die vertraute Melodie mitzusummen. Gerade als sie eine schmalere Treppe, die zu ihren Gemächern führte, erklimmen wollte, trat ihr aus dem Schatten ein Mann in den Weg.

»Endlich bist du gekommen.«

Als sie ein erstauntes Keuchen von sich gab, trat Sir William in das Lampenlicht und streckte eine Hand aus, um sie zu stützen. »Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich dich sah.«

Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, und als sie nicht reagierte, zog er sie sanft an sich heran und in die dunkleren Gefilde des Treppenhauses. Aber als seine Hände ihre Oberarme ergriffen, erholte sich Lilliane von ihrem Schreck. »Du solltest mir nicht nachstellen«, ermahnte sie ihn sanft. Dann entzog sie sich ihm. »Das ist für keinen von uns gut, und ganz bestimmt erweist du damit deiner Frau einen schlechten Dienst.«

Einen Augenblick lang glitten seine Augen über ihre Gestalt hinweg, und Lilliane spürte, wie ihr Herz schneller schlug. »Es ist nur, daß du schöner bist denn je, Lilliane. Selbst meine Erinnerungen verblassen dagegen«, sprach er inbrünstig und legte seine Hand ernst auf die samtgekleidete Brust.

»Bitte, William, das darfst du nicht sagen.«

»Darf ich denn nicht die Wahrheit aussprechen, wenn ich sie sehe?« hielt er dagegen und machte einen Schritt auf sie zu. »Darf ich denn nicht sagen, daß deine Augen sind wie die Felder, bernsteinfarben und in ständiger Bewegung? Darf ich nicht sagen, daß dein Haar dem Herbstlaub gleicht, daß es rot und braun und golden schimmert? Darf ich nicht …«

»Nein!« erwiderte sie scharf, hatte sie doch das Gefühl, daß sich ein Messer in ihr Herz bohrte. »Solche Dinge darfst du zu mir nicht sagen, weder jetzt noch später. Es hat uns damals schon nirgends hingeführt, und jetzt bist du verheiratet.«

Er schien plötzlich wieder zu Verstand zu kommen, denn sein Gesicht wurde härter und sein Lächeln verblaßte. »Ja, ich habe eine Frau. Aber du hast keinen Ehemann. Versucht dein Vater immer noch, einen für dich zu finden? Oder wirst du im Kloster bleiben?«

Lilliane schüttelte langsam den Kopf. Die Entscheidung fiel ihr plötzlich leicht. »Nein, ich werde hierbleiben. Ob er mich verheiraten wird, kann ich nicht sagen. Aber für den Augenblick werde ich bleiben.«

Lange Zeit starrte William sie nur an, und sie befürchtete, daß er alle Vorsicht in den Wind schlagen und sie in die Arme nehmen würde. Ein kleiner Teil ihres Herzens hätte diese Anmaßung willkommen geheißen: Es war schon so lange her, daß sie sich schön und begehrenswert gefühlt hatte. Aber es gab auch eine andere Seite in ihr, die seine zärtlichen Absichten vollkommen abstoßend fand. Er hatte eine Frau. Es war seine moralische Pflicht, ihr treu zu sein und niemand anderem. Oh, sie wußte, daß viele verheiratete Männer mit anderen Frauen herumtändelten. Aber sie würde sich niemals herablassen, in eine solche Abscheulichkeit einzuwilligen.

Ihre Ablehnung stand ihr wohl auf der Stirn geschrieben, denn William schien plötzlich verärgert zu sein. »Du hast kein Mitspracherecht in der Frage, wen er dir auswählt, das weißt du. Er wird dich benutzen und seine Entscheidung nur zum Besten von Orrick treffen.«

»Kannst du guten Gewissens behaupten, daß du mit deiner erstgeborenen Tochter anders verfahren würdest?« verteidigte Lilliane ihren Vater in herausforderndem Ton. »Kannst du behaupten, daß du dieses Kind, das im Augenblick unter dem Herzen deiner Frau heranwächst, nicht benutzen wirst, um das zu erlangen, was du auf andere Weise nicht bekommen kannst?«

Sein Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an, aber seine Antwort war ausweichend. »Ich wäre ihm ein guter Schwiegersohn und Orrick ein guter Herr gewesen, und ich hätte dich glücklich gemacht.«

»Vielleicht, aber jetzt ist es zu spät.«

William runzelte die Stirn und wandte sich zum Gehen, aber dann hielt er inne und sah ihr aufmerksam ins Gesicht. »Vielleicht sollte ich dich warnen, daß ich Sir Corbett bei Hofe gesehen habe. Es ist noch keine drei Wochen her. Er ist von seinem Kreuzzug zurückgekehrt. Er hat immer noch keine Frau.«

Mit diesen Worten verließ er sie.

Sie hörte, wie seine Schritte verhallten. Sie hörte das schwache Echo der Festgesellschaft im unteren Stockwerk. Aber sie schenkte diesen Dingen keine Beachtung. Statt dessen schien es ihr, als ob ihr das Gewicht einer düsteren Vorahnung auf der Brust lastete. Die Fäden ihrer Vergangenheit schienen sich zu einem Netz zusammenzufügen, das sie umschlang und gefangenhielt.

Dann eilte sie schnellen Fußes in ihre Kammer und zog die schwere, holzvertäfelte Tür hinter sich zu. Ihre Finger zitterten, als sie die Bänder löste, die ihr Überkleid zusammenhielten, und dann Schuhe und Strümpfe auszog. Sie löste ihre Rise und befreite das Haar aus seinem festen Knoten, dann schüttelte sie es, so daß ihre üppige Mähne frei den Rücken hinabfiel. Geistesabwesend begann sie, die Haare zu flechten, als sie ein plötzlicher Gedanke innehalten ließ.

Sie ging zu einer Eichentruhe hinüber, die unter dem schmalen Fenster stand, und kniete davor nieder. In den Tiefen dieser Truhe befanden sich die Erinnerungen ihrer gesamten Kindheit: die Leinengewänder, die sie für ihre Hochzeit genäht hatte, der Stoff, den sie für das Hochzeitsgewand ihres zukünftigen Gatten beiseite gelegt hatte, und die kleinen Gewänder, die sie für ihre Kinder zu nähen begonnen hatte. Eine Girlande aus Tausendschönchen, getrocknet und verwelkt, eine Schulterbinde, die zwar zerrissen, aber ihr immer noch zu heilig war, um weggeworfen zu werden, auch eine Sammlung von Steinen war in den Tiefen der Truhe vergraben. Doch nach all diesen Dingen hielt sie jetzt nicht Ausschau. In der hintersten Ecke der Truhe, eingewickelt in ein grob gewebtes Stück Barchent, das durch häufiges Waschen vergilbt und weich geworden war, fand sie das Paket, nach dem sie gesucht hatte.

Lilliane setzte sich auf ihre Fersen und starrte das einsame Bündel lange Zeit an, bevor sie es öffnete. Als sie die beiden darin eingewickelten Gegenstände zutage beförderte, war sie fast enttäuscht, als sich ihr Glanz vor ihren Augen entfaltete. Es handelte sich um einen kunstvoll verzierten Kamm und einen silbernen Spiegel, beide mit gravierten Ranken und Lilien verziert. Auf dem Rücken jedes Gegenstandes war ein kunstvolles L eingraviert, das mit funkelnden Meridianen besetzt war. Die lavendelfarbenen Edelsteine stammten, wie sie sich erinnerte, aus dem Stein, der die Grenze von Windermere Fold markierte.

Sie fuhr mit dem Finger über das Muster, wie sie es in ihrer Jugend so oft getan hatte. Irgendwie hatte sie erwartet, daß sie mittlerweile abscheulich aussahen, so häßlich und schrecklich wie der schlimme Zustand, der zwischen den beiden Familien herrschte. Aber nein, die beiden Stücke waren so schön wie eh und je.

Mit einem wütenden Fluch legte sie sie beiseite.

Sie hatte keinen Grund, die Rückkehr Corbetts of Colchester zu fürchten, sagte sie sich. Er würde niemals die Tochter seines Feindes als Gemahlin wählen. Niemals.

Mit diesem Gedanken beruhigte sie sich, als sie den Silberspiegel und die Bürste nahm und sie geschwind wieder in das grobe Tuch einwickelte. Dann warf sie das Päckchen in die tiefste Ecke der Truhe und stapelte andere Gegenstände darüber. Sie schlug den Deckel der Truhe zu und löschte schnell die Kerzen, dann sprang sie in ihr verhängtes Bett.

Dann, als ob sie sichergehen wollte, zog sie sich die schwere Überdecke über den Kopf.

Kapitel 2

Krachend fiel einem Diener das Tablett aus der Hand. Er zuckte zusammen, als sein Herr ihm eine schmerzhafte Ohrfeige versetzte, aber er wußte offensichtlich, daß es nicht gut war, vor dem Zorn seines Herrn davonzulaufen. Jedem Diener auf Colchester war bewußt, daß Sir Hughes Zorn sich um ein Zehnfaches steigern konnte, wenn sich ihm kein Ventil bot. Obwohl er vor Furcht zitterte, beugte der arme Mann nur den Kopf und versuchte sich so gut es ging mit den Schlägen abzufinden, die auf ihn herniederhagelten.

Sir Corbett of Colchester konnte seinen Abscheu über das Verhalten seines Bruders nicht verbergen. Sein Gesicht verdüsterte sich, und sein Stirnrunzeln zusammen mit der schlimmen Narbe, die ihm über Stirn und Augenbraue lief, gaben ihm ein grimmiges Aussehen. Mit drei schnellen Schritten hatte er die Halle betreten und war zu Hughe hinübergegangen.

»Hast du etwa Ärger mit der Dienerschaft? Ich erinnere mich nicht daran, daß es in der Vergangenheit ähnliche Schwierigkeiten gegeben hat.«

Hughe riß sich sogleich zusammen. Als er sich seinem Bruder zuwandte, war auf seinem Gesicht keine Spur von Zorn zu entdecken. Aber dem Lächeln, das er hervorbrachte, fehlte jede Wärme. Corbett wappnete sich gegen die Abneigung, die er für seinen Bruder empfand, war er doch der einzige seiner Angehörigen, der noch am Leben war.

»Er ist faul«, erklärte Hughe mit einem Schulterzucken. »Wie viele von ihnen. Ich sollte sie eigentlich alle auf die Felder schicken. Dann wüßten sie meinen Großmut zu schätzen, den sie im Augenblick noch für selbstverständlich halten.« Mit einer flüchtigen Handbewegung befahl er dem unglücklichen Diener, sich zurückzuziehen.

Auf den ersten Blick war nichts Ungewöhnliches geschehen: ein achtloser Diener, der von seinem Herrn getadelt wurde. Aber Corbett hatte schon zu viele unliebsame Zwischenfälle auf Colchester erlebt, um diesen Vorfall einfach ignorieren zu können. Auf den ersten Blick sah das Schloß prächtiger aus denn je; Teppiche, Wandbehänge und sogar Fensterglas machten Colchester zu einem sehr beeindruckenden Gebäude. Doch abgesehen von den feinen Dekorationen war keineswegs alles so, wie es sein sollte. Corbett war erst seit drei Tagen wieder daheim, doch es war unmöglich gewesen, diese Tatsache zu übersehen.

Die Unterhaltung der beiden Brüder, während sie gemeinsam auf den Außenhof der Burg zugingen, verlief gezwungen. Hughe sprach von unwichtigen Dingen, von der Jagd und von seinen preisgekrönten Falken. Doch Corbett hatte das unbehagliche Gefühl, daß Hughe irgend etwas zu verbergen suchte. Auf den Stufen, die in die Halle führten, wandte sich Corbett um, um seinem Bruder in die Augen zu blicken. Trotz seiner Besorgnis achtete er darauf, sich nichts anmerken zu lassen.

»In den nördlichen Grafschaften Londons hört man nur wenig. Und du hast auch noch nicht allzuviel erzählt. Bedeutet das, daß sich in den Jahren meiner Abwesenheit nichts verändert hat?«

Hughe verengte die Augen und betrachtete das Gesicht seines hochgewachsenen jüngeren Bruders aufmerksam. Dann schürzte er die Lippen und wandte den Blick ab. »Wir kommen zurecht, wenn man bedenkt, daß der König sich nicht sonderlich um uns kümmert.«

Corbett fand den seltsamen Tonfall in der Stimme seines Bruders befremdlich. »Edward will für England nur das Beste. Als loyaler Untertan kannst du das wohl kaum bezweifeln. Wenn er sich hinsichtlich seiner Rückkehr aus dem Osten auf keinen genauen Zeitpunkt festlegen will, – dann müssen wir darauf vertrauen, daß seine Entscheidung wohlüberlegt ist.«

Hughe warf Corbett einen scharfen Blick zu. Aber als sein Bruder ihm offen ins Gesicht sah, wandte Hughe seine dunklen Augen schnell wieder ab. Seine Lippen wurden schmal, und seine Stimme klang scharf vor Sarkasmus, als er antwortete. »Es gibt Menschen, die behaupten, daß England ohne seine Anwesenheit besser dran wäre. Ich hoffe nur, daß die verrückten Schotten im Norden ebenso geduldig auf seine Rückkehr warten, wie wir ›loyale Untertanen‹ es müssen!«

Ein unbehagliches Schweigen senkte sich auf sie herab, als sie in den Außenhof hinabschritten. Erst jetzt vermochte Hughe wieder ein Mindestmaß an Liebenswürdigkeit aufzubringen.

»Wirst du nun, da du Colchester verläßt, nach London fahren? Oder willst du vielleicht in den Osten zurückkehren?«

Es war eine höfliche Frage, vielleicht gezwungen, aber nichtsdestotrotz höflich. Eigentlich wäre es das Natürlichste von der Welt gewesen, wenn Corbett seinem Bruder die Wahrheit gesagt hätte. Aber zwischen ihnen herrschte eine unbehagliche Spannung, und Corbett antwortete so vorsichtig, wie er es sich seinem eigenen Fleisch und Blut gegenüber niemals hätte träumen lassen.

»London hat keinen Reiz für mich. Und ich habe keine Lust mehr, Kriege gegen die Türken zu führen.«

»Man erzählt sich, daß Edward sehr in deiner Schuld steht. Er hat sich offensichtlich in die Normandie verliebt. Möglicherweise versorgt er dich mit einer reichen normannischen Braut.«

Corbett bemerkte unweigerlich den befriedigten Gesichtsausdruck seines Bruders, und ein unerklärliches Leid befiel ihn. Es war offensichtlich, wie erpicht Hughe darauf war, daß er Colchester wieder verließ. Corbett konnte sich jedoch nicht vorstellen, wieso.

Sie trennten sich keineswegs herzlich voneinander, obwohl Hughe ein liebenswürdiges Gesicht aufsetzte. Drei Tage lang hatten Corbett und seine Ritter den Trost des Heims gesucht, das sie vor vier Jahren verlassen hatten, um sich Edwards Kreuzzug anzuschließen. Aber sie waren außerordentlich kühl begrüßt worden, und jetzt, da sie abreisten, herrschte im Schloß unterschwellige aber eindeutige Erleichterung.

Bevor Corbett jedoch aufbrach, stattete er dem Familiengrab einen Besuch ab. In der Kapelle war es kühl und dunkel, und es roch modrig. Eine weitere Veränderung seit den Tagen, da seine Mutter dafür gesorgt hatte, daß auch der hinterste Winkel des Schlosses sauber und gut durchlüftet war, grübelte Corbett. Aber jetzt war seine Mutter tot. Sie hatte den Tod ihres Gatten nicht lange überlebt. Nur er und Hughe waren übriggeblieben, und zwischen ihnen lag eine Spannung, die, wie er befürchtete, ihren Ursprung nicht ausschließlich in der Entfremdung durch seine jahrelange Abwesenheit hatte.

Corbett seufzte und rieb die gezackte Narbe auf seiner Stirn. Was immer er bei seiner Rückkehr nach Colchester erwartet hatte, das hier war es ganz bestimmt nicht gewesen. Er konnte jederzeit nach London zurückkehren und dort die Ankunft des Königs abwarten. Er war sicher, daß Hughe genau das von ihm erwartete. Aber das deckte sich nicht mit seinen Plänen. Er würde statt dessen seine Männer in die Felder von Colchester führen und dort ein vorübergehendes Lager errichten lassen. Vor Einbruch des Winters würde er eine dauerhaftere Lösung finden müssen, aber gegenwärtig blieb ihm keine andere Wahl. Hughe fühlte sich sichtlich unwohl, solange er auf Colchester weilte, und gleichermaßen mißfiel ihm augenscheinlich, daß König Edward noch immer nicht nach England zurückgekehrt war.

Mit einem weiteren Seufzer wandte er sich zum Gehen. Schon vor langer Zeit war er des Kriegselends, des Leidens und Abschlachtens überdrüssig geworden. Aber zumindest wußte man im Krieg, was man zu tun hatte und wer der Feind war. Hier im hohen Norden Englands hatte er lediglich ein unbestimmtes Ziel vor Augen, und seine Feinde kannte er nicht. Und doch, er war der Vasall des Prinzen – des neuen Königs. Er würde tun, was sein Lehnsherr von ihm verlangte, und er würde seine Sache gut machen.

Als seine Truppen Colchester kurze Zeit später verließen, war von dem fröhlichen Treiben, das solche Umzüge für gewöhnlich begleitete, nichts, zu spüren. Es erklangen keine Hörner, und außer Corbetts eigenen Standarten flatterten keine Flaggen im Wind. Sie ritten nach Norden, und als sie einen gehörigen Abstand zum Schloß hergestellt hatten, schloß sich einer der Ritter ihm an der Spitze der doppelten Kolonne an.

»Gott sei gepriesen, daß wir diesen Ort wieder verlassen«, murmelte der stämmige Riese. »Dieses Schloß ist wie ein Friedhof. Was hat diesen Ort dermaßen verändert?«

»Hughe«, antwortete Corbett kurz angebunden und warf seinem Stellvertreter einen Blick zu. »Mein Bruder war schon immer ein merkwürdiger Mensch, Dunn. Daran wirst du dich sicher noch erinnern. Er hatte schon als Kind seine Launen. Aber das hier …« Er zuckte die Achseln. »Meine Rückkehr hat ihn vollkommen aus der Bahn geworfen.«

Dunn schnaubte. »Seine Ritter – wenn man ihnen die Ehre zuteil werden lassen will, sie als solche zu bezeichnen – sind alle fett und faul geworden. Es wäre uns ein Leichtes …«

Corbett lächelte düster. »Wenn es doch so einfach wäre. Aber dies ist nicht unsere Aufgabe.«

»Unsere Aufgabe besteht darin, die Gegner König Edwards in Nordengland zu bezwingen …«

»Unsere Aufgabe besteht darin, verräterische Komplotte ausfindig zu machen. Das hat nichts mit Hughe zu tun.«

»Zumindest nicht auf den ersten Blick«, stimmte Dunn düster ein. »Er war nicht glücklich, dich zu sehen, beim Blute Gottes, Mann! Wenn du es nicht bist, vor dem er sich fürchtet, wer ist es dann?«

Dies war eine Frage, über die Corbett noch lange nachgrübeln sollte. Während der grausigen Jahre, in denen er an Edwards Seite gekämpft hatte, und dann während der gefährlichen Rückreise über das europäische Festland und der stürmischen Überfahrt nach England hatte ihn der Gedanke an dieses wunderschöne, grüne Tal aufrecht erhalten.

Windermere Fold war ein leuchtendes Feuer im Wald, das ihm Frieden und Zuflucht vor den endlosen Schrecken des Krieges bot.

Er ließ seinen Blick langsam über das Tal schweifen und nahm die breiten Felder wahr, die die Abhänge bedeckten und von niedrigen Steinmauern und dichten grünen Hecken ordentlich begrenzt wurden. Nach diesem Ort hatte er sich gesehnt, und jetzt, da er endlich zurückgekehrt war, mußte er feststellen, daß er durch Ränke und Verrat besudelt war. Seine Mundwinkel senkten sich herab, als er an den Namen denken mußte, den er sich verdient hatte: Lockvogel des Königs. Er war froh gewesen, seinen Lehnsherrn vor der Bedrohung durch die Heiden schützen zu können. Aber nun mußte er eine Bedrohung niederschlagen, die aus den eigenen Reihen kam. Und jeder konnte sein Feind sein – sogar sein eigener Bruder.

Die Sonne ging langsam unter, als Corbett die Reihen seiner Männer verließ und sein wildes Schlachtroß vorantrieb. Genau vor ihnen war der Grenzstein, und er jagte das Tier den schmalen Pfad hinauf, der an seine Spitze führte. Nur ein kleines Sims ragte vor dem mächtigen Stein hervor, und es lieferte nur spärlichen Raum für das große Pferd. Doch weder Mann noch Tier wurden am Zutritt gehindert. Sie ritten hinauf, vorbei an den Männern, die am Fuße des Steines warteten.

Als das schwere Roß das Ende des gezackten Pfades erreichte, blieb es gehorsam stehen, während sein Reiter abstieg. Dann suchte Corbett mit seinen Lederschuhen Halt auf dem kalten, rauhen Felsen, hielt sich mit beiden Händen an Felsvorsprüngen fest und kletterte bis zur Spitze empor. Sein Atem ging schwer und schnell, als er sein Ziel schließlich erreicht hatte.

Weit im Süden, seinem Blick fast schon entrückt, erhoben sich die grauen Granittürme von Colchester Castle, und bei diesem Anblick verdüsterte sich seine Miene. Er hatte geglaubt, Colchester zu seinem Stützpunkt machen zu können, während er Edwards Befehlen folgte und den Verrat, der im Norden Englands gärte, mit Stumpf und Stiel auszurotten. Es war ganz natürlich, daß er dorthin zurückkehrte, und niemand hätte wegen seiner Anwesenheit auf Colchester Verdacht geschöpft. Aber Hughe wünschte offensichtlich nicht, daß sein Bruder länger unter seinem Dach weilte.

Einige weitere Sekunden lang starrte Corbett nach Süden zu der in der Ferne liegenden Burg hin. Sein Gesichtsausdruck war hart, seine Augen düster. Schließlich wandte er sich ab, um mit dem Abstieg zu beginnen.

Genau in diesem Augenblick durchbrach ein Sonnenstrahl das bleierne Grau der dichten Wolkenschicht, die über dem nördlichen Teil des Tales hing. Wie ein goldener Finger des Lichts berührte er die hellen Mauern des weit entfernt liegenden Schlosses von Orrick und ließ ihn innehalten. In gleichem Abstand vom Grenzstein beherrschte Orrick die nördliche Hälfte von Windermere Fold, während Colchester die Oberhoheit über die südliche Hälfte innehatte. Doch er hatte schon seit Jahren nicht mehr an Orrick gedacht.

Jetzt, da das Sonnenlicht von den wehrhaften Kalkstein-mauern zurückgeworfen wurde, konnte er seine Augen nicht abwenden. Ein früher Herbstwind fuhr ihm durch das dunkle Haar, aber er bemerkte es gar nicht, so sehr stand er im Bann dieses fernen Anblicks. Dann erhellte ein leichtes Lächeln sein Antlitz, das seine harten, männlichen Züge weicher erscheinen ließ. Er begann mit dem Abstieg, doch plötzlich ließ eine Erinnerung aus seiner Jugend ihn stehenbleiben. Auf der Stelle entfernte er die üppigen Flechten und Moose, die eine Spalte am Fuße des obersten Steinvorsprungs verdeckte.

Selbst im trüben Licht des verhangenen Himmels schien das schmale Band des lavendelfarbenen Gesteins zu leuchten. Corbett ließ seinen Finger noch einmal über die seltene Ader aus Meridian gleiten. Als er sich wieder aufrichtete, ließ er den Blick wieder gen Süden wandern.

Colchester Castle lag ¡in Süden. Aber vielleicht, sagte er sich nachdenklich; vielleicht führte der beste Weg, um dorthin zu gelangen, über den Norden. Durch Orrick.

Bis zur Hochzeit waren es nur noch zwei Tage, und Lilliane war entschlossen, bis dahin alles in Ordnung zu bringen. Sollte Odelia doch die schwatzenden Gäste unterhalten; Lilliane arbeitete hart und trug ihr ältestes Gewand und das älteste Unterkleid.

Ihr dickes, kastanienbraunes Haar war mit einem Streifen einfachen Leinen zusammengebunden, um ihr nicht ins Gesicht zu fallen.

Sie war gemeinsam mit dem Major Domus und dem Seneschall in den Wirtschaftsgebäuden, als die Glocke Alarm schlug. Sie ließ von ihrer Arbeit ab und eilte in den Schloß-hof. Dort herrschte Chaos. Soldaten erklommen geschwind die Treppen, die zu den Zinnen hinaufführten. Tiere wurden hinter die schützenden Mauern getrieben, und die Dorfbewohner flohen von den Feldern und ihren Häusern. Frauen sammelten in wilder Hast ihre Kinder um sich und zählten die Köpfe, um sicherzugehen, daß keines fehlte. Aber trotz des Lärms und der Verwirrung und dem Staub, der sie fast blind machte, hörte Lilliane die bellende Stimme ihres Vaters und bemerkte, wie seine massive Gestalt den Hof überquerte.

»Vater! Warte!« rief sie und hob ihre Röcke, um schnell zu ihm hinlaufen zu können. »Was ist geschehen? Was ist los?«

»Mach dir keine Sorgen.« Abwesend tätschelte er ihren Arm, seine Augen waren besorgt auf die hastigen Vorbereitungen gerichtet. »Es gibt nichts, weshalb du dir Sorgen machen müßtest. Schaffe nur die Frauen in die große Halle und versuche, alle ruhig zu halten.«

»Aber kannst du mir nicht sagen, was hier vor sich geht? Ich muß es wissen«, bat sie eindringlich und klammerte sich an seinen Arm.

Jetzt schien er sie zu hören, und zumindest blickte er ihr in die besorgten Augen. »Ein volles Bataillon bewaffneter Männer nähert sich der Burg. Ritter zu Pferd, Soldaten zu Fuß, gefolgt von einem Troß.« Er hielt inne. »Sie tragen schwarz-rote Banner.«

Lord Barton eilte davon, unzählige Befehle rufend, und Lilliane sah ihm entsetzt hinterher. Colchester trug die Farben schwarz und rot. Colchester griff Orrick an! Es gab keinen anderen Grund, warum er die Zugangsstraße hinauf-marschieren sollte. Im Norden herrschte kein Krieg, nichts, das eine solche Zurschaustellung kriegerischer Stärke erforderlich gemacht hätte.

Sie hätten es besser wissen sollen, statt in den letzten friedlichen Jahren selbstzufrieden und träge zu werden, ärgerte sich Lilliane, als sie sich umwandte, um nach Tullia und Odelia zu suchen. Die Colchesters waren ein böser und grausamer Haufen. Weder ihrem Wort noch ihren Taten konnte irgend jemand auf Orrick trauen. Jetzt war es offensichtlich, daß sie Orrick demütigen wollten, indem sie die Hochzeitsgäste gefangenhielten und das Schloß belagerten. Lilliane hatte kein anderes Ventil für ihre Wut und Entrüstung, als umsichtig dafür zu sorgen, daß die verängstigten Gäste in Sicherheit gebracht und beruhigt wurden.

Es dauerte zwei lange Stunden, bevor die erste Botschaft zu den Frauen und Kindern durchdrang, die sich in der großen Halle versammelt hatten. Selbst dann jedoch blieben mehr Fragen als Antworten übrig, denn der Befehl, den Lord Barton an Lilliane ergehen ließ, forderte sie auf, die Halle räumen zu lassen und einen Krug des besten Bieres, den die Bierbrauerin zu bieten hatte, sowie zwei Bierkrüge bereitzustellen. Außer dieser kurzen Anweisung gab es nichts Neues.

Als die Brücke herabgesenkt wurde, war der Schloßhof voller Familienmitglieder, Gäste und Gefolgsleuten. Doch die Menge war still, das einzige, was man hören konnte, war das widerstrebende Quietschen der selten benutzten Kurbel. Selbst die Schafe und Kühe, die man vorübergehend zwischen den Ställen und der Gerberei eingepfercht hatte, schienen zu wissen, daß sie ihre Stimmen jetzt besser nicht erhoben.

Schließlich vernahm man den schweren, gemessenen Gang eines großen Pferdes, das die Brücke überquerte. Der Laut war so unheilverkündend wie das Jüngste Gericht. Als man die Hufe zweier weiterer Pferde hörte, zuckte Lilliane trotz all ihrer Vorsätze zusammen.

Der erste Reiter, der das Tor durchschritt, bot einen beeindruckenden Anblick. Sein Pferd war ein Tier mit breiter Brust, ein Streitroß, das eindeutig stark, ausdauernd und schnell war. Das Tier war schwarz wie Kohle, und sein stolz gewölbter Nacken und der fast tänzelnde Gang schienen die stumm Maulaffen feilhaltende Menge herauszufordern.

Lilliane, die zwischen ihren Schwestern stand, war genauso beeindruckt von dem großartigen Pferd wie alle anderen. Aber der große Ritter, der auf dem Rücken des Tieres einher-ritt, flößte ihr wahre Ehrfurcht ein.

Er trug ein schwarzes Hemd und eine ärmellose Tunika aus schwarzem Leder, die in Kriegermanier kurz geschnitten war. Er war hochgewachsen, hielt sich aufrecht und trug weder Rüstung noch Kettenpanzer, gleichwohl umgab ihn der Hauch der Unbesiegbarkeit, als ob weder Pfeil noch Klinge noch Streitkolben ihn von seinem Ziel abhalten konnten. Auf dem Kopf trug er weder Helm noch Kappe, und sein schwarzes Haar wehte sanft in der leichten Brise.

Sein Haar war das einzige, das weich an ihm zu sein schien.

Von seinen schwarzen Lederstiefeln bis hin zum durchdringenden Blick seiner Augen sah er aus wie geschmiedetes Eisen. Lilliane mußte sich zusammennehmen, um nicht schnell das Kreuz über der Brust zu schlagen, als er an ihr vorbeikam. Mutig wie Daniel in der Löwengrube ritt er geradewegs auf ihren Vater zu, der auf den Stufen vor der großen Empfangshalle stand. Dann stieg er ab und ging Lord Barton dreist in die Halle voraus.

Als die Türen sich mit einem vernehmlichen Schlag schlossen, ging ein Seufzer durch die Menge. Die gesamte Versammlung im Schloßhof schien den Atem angehalten zu haben. Die beiden Reiter, die ihrem Herrn gefolgt waren, stiegen nicht ab, sondern wandten ihre Rösser, um sich den neugierigen Blicken der Menge zu stellen.

Im Innern der großen Halle bot Lord Barton seinem unerwarteten Gast einen Stuhl an, dann nahm er ebenfalls Platz. Erst als sein alter Diener Thomas zwei Becher Bier eingegossen und sich dann entfernt hatte, begann er zu sprechen.

»Euer Bote sagte, daß Ihr ein dringendes Anliegen hättet. Ich muß gestehen, Colchester, daß Eure Anwesenheit mich überrascht.«

»Und ich gebe zu, daß ich gleichermaßen überrascht bin, daß Ihr mir sicheres Geleit zugesichert habt.«

Lord Barton trank einen Schluck Bier, während er das strenge Gesicht des jungen Mannes, der vor ihm saß, betrachtete. Bevor er sich Prinz Edward angeschlossen hatte, war Corbett of Colchester ein hervorragender Krieger gewesen, doch jetzt war er ein Kriegsveteran, kampferfahren durch Edwards zahlreiche Feldzüge. Das hübsche Gesicht seiner Jugend hatte er verloren, denn alles Knabenhafte war daraus gewichen. Eine lange, sich kräuselnde Narbe schlängelte sich über seine Stirn und gab ihm ein grimmiges Aussehen.

Er sah muskulös und stark aus, breiter als früher, aber ohne auch nur die kleinste Andeutung überflüssigen Fettes. Zum zweiten Mal in dieser Woche bedauerte Lord Barton, daß die Verbindung zwischen Lilliane und diesem jungen Mann nicht zustande kommen konnte. Was für großartige Enkelkinder dieses Paar ihm geschenkt hätte.

»Ich habe Euch sicheres Geleit zugesichert, weil ich verwirrt bin. Colchester und Orrick sind noch immer erbitterte Feinde. Oder hat euer Bruder, Hughe, Euch nicht an diese Tatsache erinnert?«

»Es ist nicht nötig, daß Hughe mich an den Mord an meinem Vater erinnert.«

Die Worte wurden leise ausgesprochen. Und doch spürte Lord Barton einen Stich der Angst, als er dem standhaften Blick seines Gegenübers begegnete. Er zweifelte nicht daran, daß Sir Corbett ihn mühelos überwältigen konnte. Mit der langen Stahlklinge aus Damaskus, die an seinem Gürtel hing, konnte ihn der junge Mann mühelos aufschlitzen, bevor auch nur ein einziger Wachmann herbeieilen konnte.

Doch Lord Barton hatte dem Tod schon häufig ins Auge geblickt. Außerdem spürte er zwar Sir Corbetts Feindseligkeit, aber es ging keine unmittelbare Bedrohung von ihm aus.