Das wilde Herz des Ritters - Rexanne Becnel - E-Book
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Das wilde Herz des Ritters E-Book

Rexanne Becnel

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Beschreibung

Um ihre Schwester zu retten, opfert sie ihre Freiheit … und ihr Herz: »Das wilde Herz des Ritters« von Romance-Königin Rexanne Becnel bei dotbooks. Als Zwillinge geboren – als Hexenkinder verflucht … Wessex im Jahre 1153: Ein uralter Aberglaube verlangt, dass Linnea, die Zweitgeborene eines Lords, getötet wird. Doch sie hat Glück und darf unerkannt als Magd auf der Burg ihres Vaters aufwachsen. Jahre später ist das friedliche Leben auf Maidenstone Castle vorbei: Axton de la Manse, der Todfeind ihrer Familie, nimmt die Burg ein und will Beatrix heiraten, um seinen Anspruch zu stärken. Um ihre Schwester vor diesem Schicksal zu bewahren, übernimmt sie ihre Rolle. Obwohl sie sich schwört, den stattlichen Ritter für seine Taten zu hassen, gerät ihre Entschlossenheit schon bald ins Wanken – denn Axton nicht der brutale Eroberer, der er zu sein scheint: Er ist sanft und leidenschaftlich, fordernd und großzügig … aber wie lange kann Linnea ihr Geheimnis vor ihm bewahren? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Mittelalter-Romanze »Das wilde Herz des Ritters« von der Bestsellerautorin historischer Liebesromane, Rexanne Becnel. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 579

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Über dieses Buch:

Als Zwillinge geboren – als Hexenkinder verflucht …

Wessex im Jahre 1153: Ein uralter Aberglaube verlangt, dass Linnea, die Zweitgeborene eines Lords, getötet wird. Doch sie hat Glück und darf unerkannt als Magd auf der Burg ihres Vaters aufwachsen. Jahre später ist das friedliche Leben auf Maidenstone Castle vorbei: Axton de la Manse, der Todfeind ihrer Familie, nimmt die Burg ein und will Beatrix heiraten, um seinen Anspruch zu stärken. Um ihre Schwester vor diesem Schicksal zu bewahren, übernimmt sie ihre Rolle. Obwohl sie sich schwört, den stattlichen Ritter für seine Taten zu hassen, gerät ihre Entschlossenheit schon bald ins Wanken – denn Axton nicht der brutale Eroberer, der er zu sein scheint: Er ist sanft und leidenschaftlich, fordernd und großzügig … aber wie lange kann Linnea ihr Geheimnis vor ihm bewahren?

Über die Autorin:

Rexanne Becnel ist gefeierte Autorin zahlreicher historischer Liebesromane. Während mehrerer Aufenthalte in Deutschland und England in ihrer Jugend begeisterte sie sich so sehr für mittelalterliche Geschichte, dass sie Architektur studierte und sich für den Denkmalschutz mittelalterlicher Gebäude einsetzt. In ihren Bestseller-Romanen haucht sie der Geschichte auf ganz andere Art neues Leben ein. Sie lebt glücklich verheiratet in New Orleans.

Bei dotbooks erschienen bereits folgende eBooks:

»Die Sehnsucht des Lords«

»Das Herz des Lords«

»Das Verlangen des Ritters«

»Der Pirat und die Lady«

»Ein ungezähmter Gentleman«

»In den Armen des Edelmanns«

»Rosecliff – Der Ritter und die zarte Lady«

»Rosecliff – Der Ritter und die schöne Rächerin«

»Rosecliff – Der Ritter und die stolze Geisel«

»Gefangen – Die Rosecliff-Saga in einem Band«

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe November 2020

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »The Maiden Bride« bei St Martin’s Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Die Braut mit der Maske« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1996 by Rexanne Becnel

Published by Arrangement with Rexanne Becnel

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/fotorince, Kozlik, dherrmann79, mashakotcur und adobeStock / fasphotographic

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-172-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Rexanne Becnel

Das wilde Herz des Ritters

Roman

Aus dem Amerikanischen von Norbert Jakober

dotbooks.

Für DotDorothy Madeleine Knobloch Becnel1913–1996

Prolog

Geburt

»Lehre dein Kind, seine Eltern zu achten, führe es hin zu Kirche und Gott.Sei ihm stets eine gütige Mutter,und wenn es sein muß, gebrauche den Stock.«

– Tusser (1513)

Maidenstone Castle, Wessex10. Juni 1135

»Das zweite Kind muß sterben.«

Die Frau, die in dem großen Bett lag, hielt erschrocken den Atem an, was weder Edgar de Valcourt noch seine Mutter, Lady Harriet, bemerkten. Die Hebamme reinigte währenddessen ihre Herrin von den Spuren der langwierigen und schweren Geburt. Zwei Mägde hatten die beiden zarten Geschöpfe gebadet und in Leinentücher gewickelt. Das Erstgeborene wurde in eine Wiege gelegt.

Für das zweite Kind stand jedoch keine Wiege bereit, und sein Schicksal war es, über das Sir Edgar und Lady Harriet gerade sprachen.

»Du willst meine Tochter töten lassen?« fragte er verständnislos. »Das würdest du so einfach fertigbringen?«

»Ich würde alles tun, um die Familie zu retten«, behauptete die alte Dame, die von dem zornigen Ton ihres Sohnes nicht im geringsten eingeschüchtert wurde. »Jeder weiß doch, daß auf solchen Kindern, die zusammen zur Welt kommen, ein Fluch lastet – sie haben nur eine Seele. In früheren Zeiten hätte man beide ertränkt. Du solltest froh sein, daß ich solche heidnischen Praktiken nicht befürworte. Nein, mit solchem Aberglauben habe ich nichts zu tun.« In ihrem Blick zeigte sich die Empörung darüber, daß er ihr überhaupt zu widersprechen wagte – handelte es sich doch um eine häusliche Angelegenheit, von der er gewiß nichts verstand. »Das erste Kind trägt alles Gute ihrer gemeinsamen Seele in sich, und deshalb ist es sinnvoll, es am Leben zu lassen. Das Mädchen wird uns allen hier auf Maidenstone Castle große Freude bereiten, und dir selbst wird es ein Trost im Alter sein. Aber das zweite ...« Sie hielt einen Augenblick inne und starrte das winzige Geschöpf derart haßerfüllt an, daß die Magd, die es im Arm hielt, erschrocken einen Schritt zurückwich. »Das zweite Kind ist verflucht – es hat eine schwarze Seele. Frag den Priester, er wird es dir bestätigen.« Sie blickte ihrem Sohn gerade in die Augen. »Wir haben keine andere Wahl. Es ist das beste für das Kind und für die Familie, wenn du es noch heute tötest«

»Aber ... es verstößt gegen die Gesetze Gottes, ein Kind zu töten ... Außerdem ziemt es sich nicht für einen Ritter ...«

»Du willst mir doch nicht weismachen, mein Sohn, daß du in deinem Dienst für König Stephen und Gott niemals Frauen und Kinder getötet hast?«

»Natürlich habe ich das getan. Aber das war etwas anderes – das war im Krieg.«

»Und was denkst du, ist das hier? Das ist ein heiliger Krieg, ein Krieg gegen den Teufel selbst!« Sie griff nach dem Rosenkranz, den sie bei sich trug, und fuchtelte ihm damit vor dem Gesicht herum, so als handelte es sich um eine göttliche Waffe gegen die Verderbnis der Welt – und er wich einen Schritt zurück. »Du tötest damit nichts anderes als den Keim des Teufels, den das Kind in sich trägt.« Und in verächtlichem Ton fügte sie hinzu: »Wenn du nicht den Mut dazu hast, dann werde ich mich selbst darum kümmern.«

»Nein!«

Der Schrei seiner Ehefrau war zwar nur schwach, doch Edgar hatte ihn sehr wohl vernommen – und er wandte sich ihr mit einiger Erleichterung zu. Wenn es um Kriegsangelegenheiten, um Land und Macht ging, dann war er nie um eine Antwort verlegen. Er hatte auch schwierige Entscheidungen stets ohne Zögern getroffen und war immer bereit gewesen, die Konsequenzen zu tragen. Diese Entschlußkraft, die sogar König Stephen in seiner Auseinandersetzung mit der Tochter des alten Königs Henry, Matilda, zugute gekommen war, hatte ihm letztlich auch Maidenstone Castle eingebracht, mitsamt den riesigen Ländereien, die dazugehörten. Als Stephens Gefolgsmann war es ihm stets gut ergangen; er hatte eine reiche und wunderschöne Frau geheiratet, die ihm bereits zwei Söhne geschenkt hatte. Doch die Geburt dieser Zwillingstöchter war eine Sache, die ihn etwas tiefer traf.

»Edgar, bitte«, flehte Lady Ella mit flüsternder Stimme, so daß sich alle Anwesenden in dem dunklen, überheizten Zimmer ihr zuwandten. Ihr Mann war froh, sich von dem vorwurfsvollen Gesicht seiner Mutter schnell abwenden zu können.

»Es ist ja nur zu unserem Besten«, murmelte er und nahm ihre schlaffe Hand in die seine. »Wir werden das erstgeborene Kind ja behalten ...«

»Ich will sie beide behalten. Laß es nicht zu, daß sie mein Kind tötet. Bitte ... laß es nicht zu ...«

Tränen traten ihr in die Augen und strömten über ihr blasses Gesicht, um sich in ihrem blonden Haar zu verlieren. Sie war so wunderschön, und es gab kaum etwas, das er nicht getan hatte, um ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Schon vor längerer Zeit war ihm der Gedanke gekommen, daß seine Mutter sie vielleicht gern haben könnte, wenn er seine Frau nicht so sehr lieben würde.

»Beruhige dich doch. Du brauchst jetzt viel Ruhe, damit du dann das Kind stillen kannst ...«

»Die beiden Kinder. Nicht eines, sondern alle beide«, beharrte sie. »Wir sind zweifach gesegnet, Edgar, daß uns gleich zwei Töchter geschenkt wurden. Sag mir, wie sehen sie denn aus?«

»Sie sehen aus ... wie Babys eben«, antwortete er achselzuckend. Mehr hätte er auch nicht sagen können – hatte er sie doch nur sehr flüchtig angesehen, nachdem er erfahren hatte, daß es keine Söhne waren.

»Bring sie mir«, bat sie ihn und drückte seine Hand. »Ich möchte meine Töchter sehen.«

»Bringt ihr nur das eine Kind«, befahl Lady Harriet und hielt die Magd zurück, die das zweite Kind im Arm hielt.

»Nein, beide«, flehte Ella und starrte in Edgars unentschlossenes Gesicht. »Ich habe dir schon zwei Söhne geschenkt«, erinnerte sie ihn mit flüsternder Stimme, so daß nur er sie hören konnte. Jetzt kannst du etwas für mich tun, indem du mir beide Töchter läßt.«

Er zögerte für einen Augenblick. Die Kirche billigte es nicht, wenn man ein Baby tötete – wenngleich er es ja einfach im Wald aussetzen könnte. Doch dann könnte man es auch gleich töten. Er spürte, wie Ellas Hand sich fester um die seine schloß. »Ich werde dir noch weitere Söhne schenken, Edgar – prächtige Söhne, auf die du stolz sein kannst. Nur mußt du mir jetzt meine Töchter lassen.«

Sie blickte ihn mit glühenden Augen an, während ihre Hand leicht über sein Handgelenk strich. Sein Körper reagierte augenblicklich auf die Berührung – immerhin waren Wochen vergangen, seit sie zum letztenmal das Bett mit ihm geteilt hatte. Wenn er ihr diesen Gefallen nicht tat, dann würde sie sehr lange um das Kind trauern – so wie sie es nach dem Tod ihres erstgeborenen Kindes, eines Mädchens, getan hatte. Es verging fast ein Jahr, ehe sie sich ihm wieder zuwandte. Er erinnerte sich an die vielen Nächte des unerfüllten Verlangens – und wußte, daß er so etwas nie wieder mitmachen wollte.

»Du sollst beide Töchter haben«, versprach er ihr, einer plötzlichen Eingebung folgend. Als er ihr zitterndes Lächeln sah und die Freudentränen, die ihr in den Augen standen, war er stolz, diese Entscheidung getroffen zu haben. Er hatte es wieder einmal geschafft, seine wunderbare Frau glücklich zu machen.

Seine Mutter stieß einen unverständlichen Fluch aus, den er jedoch nicht beachtete, während er auszurechnen versuchte, wie lange es wohl dauern mochte, bis Ella wieder das Bett mit ihm teilte. Auf sein Zeichen wurden beide Kinder zu seiner Frau gebracht, und als sie ihre Brüste entblößte, um die Kleinen zu stillen, hatte er das sichere Gefühl, keine vierzehn Tage mehr auf sie warten zu können.

Doch als er – zufrieden mit sich selbst – das Zimmer verließ, um eine Magd aufzusuchen, die seiner wunderschönen Frau annähernd ähnlich sah, kam seine Mutter hinter ihm her.

»Du bist ein Narr, daß du dich von dem dummen Ding leiten läßt, das du zwischen den Beinen hast!« stieß sie ärgerlich hervor.

»Sie ist meine Ehefrau«, brummte er nur. Er hatte keine Lust, wieder einmal zwischen seiner Frau und seiner Mutter zu stehen.

»Sie ist deine Ehefrau«, wiederholte sie in verächtlichem Ton. »Und ihr verfluchtes Kind wird eines Tages dein Verderben sein!«

»Ich habe mich entschieden! Und jetzt geh und laß uns in Ruhe!« brüllte er und eilte an ihr vorbei, während die Lust, von der er soeben noch erfüllt gewesen war, ihn wieder verließ.

Doch Lady Harriet hatte den Zorn ihres Sohnes noch nie gefürchtet, und so gab sie auch jetzt nicht klein bei. »Du solltest das zweite Kind zumindest brandmarken. Sie sehen einander so ähnlich – du mußt es mit einem Zeichen versehen, damit wir später wissen, vor welchem Kind wir uns in acht nehmen müssen!«

Edgar eilte ins Zimmer seiner Frau zurück, als sie schlief, und befahl den Kindermädchen, ihm beide Mädchen zu bringen. Er begutachtete das erstgeborene der beiden, für das seine Frau den Namen Beatrix ausgesucht hatte; mit seinen vollen Wangen, den dunklen Augen und dem hellen Haarflaum war es vom anderen Kind, das noch keinen Namen hatte, nicht zu unterscheiden. Selbst die Fältchen in den Ohren waren bei beiden gleich. Da er keinerlei Merkmale fand, um die beiden auseinanderzuhalten, tat Sir Edgar, was seine Mutter von ihm verlangt hatte. Er hielt seinen Siegelring über die Kerzenflamme, und als das Metall heiß war, drückte er den Ring dem Kleinen auf die zarte Haut des Beines.

Der laute Schrei des Babies weckte sein Schwesterchen auf, das ebenfalls zu schreien begann. Dennoch tat Edgar de Valcourt, was er sich vorgenommen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Erst als der Geruch von verbranntem Fleisch ihm in die Nase stieg, zog er den Ring zurück, um zu sehen, was er angerichtet hatte.

Die zarte Haut des einen Beines wurde von einer häßlichen Wunde verunziert. Dieser Anblick ließ ihn zusammen mit dem verzweifelten Geschrei, das die beiden Neugeborenen nun von sich gaben, an leidende Seelen denken, die im ewigen Feuer der Hölle schmorten. Die Vorstellung ließ ihn erschaudern, und für einen Augenblick überlegte er, ob er dem Wunsch seiner Mutter nicht doch nachkommen und das Kind töten sollte – für den Fall, daß an dem Aberglauben doch etwas dran sein sollte.

In diesem Augenblick drehte sich seine Frau im Bett um, und er ließ den Gedanken wieder fallen. Ella würde ihm das nie verzeihen. Sie würde lange um das Kind trauern und es ihm noch länger übelnehmen.

Er übergab das Baby der Magd, die ihn mit großen Augen ansah, und warf ihr einen warnenden Blick zu. Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Er hatte sowohl seiner Frau als auch seiner Mutter gegeben, was sie von ihm verlangten. Und wenn sie damit nicht zufrieden waren, dann sollten sie ihn kennenlernen. Irgendwann war auch seine Geduld einmal am Ende.

Tage des Erwachens

»Denn nur das ist dein,was dein König dir gibt.«

Crowley, um 1550

Kapitel 1

Maidenstone Castle, WessexApril 1153

Sie wußte, daß die Burg nicht allzulange zu halten sein würde. Zu viele Soldaten waren es, die über den Hügel kamen. Es war wie ein nicht enden wollender Strom, der unaufhaltsam näher rückte, und über allem wehte das rote Banner, auf dem zwei kämpfende schwarze Bären zu erkennen waren.

Doch Linnea de Valcourt tat, als sähe sie die Übermacht nicht, die sich auf das Schloß zubewegte, und spuckte trotzig über die Zinnen hinunter. »Diese Narren. Sie verschwenden doch bloß ihre Zeit – und ihr Blut«, stellte sie mit einer Zuversicht fest, die sie nicht wirklich empfand. »Henry von Anjou kann Maidenstone Castle niemals einnehmen, genausowenig wie irgendeine andere Burg in Wessex oder in Britannien«, fügte sie mit jugendlichem Trotz hinzu.

»Sie haben schon einen großen Teil von Wessex eingenommen«, murmelte Sir Hugh, der Hauptmann der Burgwache, während er auf die feindliche Übermacht hinunterblickte.

»Aber Maidenstone Castle werden sie nicht einnehmen«, erwiderte Linnea. Im nächsten Augenblick ließ sie ihr Mut ein wenig im Stich, und in etwas zögerlichem Ton fügte sie hinzu: »Oder?«

Sir Hugh wandte den Blick nicht von dem feindlichen Heer, das fast schon das Dorf erreicht hatte. Die Dorfbewohner mit ihren Kindern flüchteten in ihrer Angst zur Burg herauf. Sie trugen gerade soviel Proviant mit sich, wie sie in aller Eile zusammensammeln konnten, nachdem die Nachricht vom Vordringen des feindlichen Heeres sie aus ihrem Alltag gerissen hatte. Linnea sah, wie die Gesichtsmuskeln des Mannes arbeiteten.

»Zieht die Brücke hoch«, brummte er dem Soldaten zu, der neben ihm stand.

»Nein! Noch nicht!« rief Linnea empört, ohne nachzudenken.

Doch Sir Hughs harter Blick hielt sie davon ab, weitere Einwände zu machen. »Verschwinde von den Zinnen, du bringst uns bloß Unglück hier oben!« Als die umstehenden Soldaten sie ebenfalls mit strengem Blick anstarrten, machte sie ein ziemlich betretenes Gesicht, so daß Sir Hugh in etwas milderem Ton hinzufügte: »Geh zu deiner Schwester in den Saal hinunter«, wies er sie an. »Und sag deiner Großmutter, ich gebe euch Bescheid, wenn es etwas Neues gibt.«

Linnea nickte und hob ihren Rock aus grobem Leinen mit einer Hand hoch, ehe sie die steile Treppe hinunterstieg, die in den Burghof führte. Er hatte es bestimmt nicht so gemeint, was er sagte, das wußte sie genau. Er war gewiß bloß ein wenig angespannt wegen der bevorstehenden Schlacht. Sir Hugh war nicht wie so viele andere auf Maidenstone, die sie mit argwöhnischen Augen betrachteten. Er bekreuzigte sich nicht, wenn sie ihm unerwartet über den Weg lief. An seiner Gereiztheit war bloß dieser verdammte Krieg schuld, der zwischen König Stephen und diesem normannischen Eindringling, Henry Plantagenet, tobte. Zuerst seine Mutter Matilda, und jetzt Henry, ihr Sohn – warum konnten diese ständig kriegführenden Adeligen die Einwohner von Wessex nicht in Frieden lassen, fragte sie sich, während das Knirschen der Zahnräder und das Quietschen der Ketten darauf hinwiesen, daß die neugebaute Brücke von Maidenstone langsam hochgezogen wurde.

Im nächsten Augenblick waren Schreie der Verzweiflung zu hören, die von den Dorfbewohnern stammten, die schutzlos außerhalb der Burgmauern bleiben mußten. Währenddessen trug der Wind den Geruch von Rauch heran. Sie hatten das Dorf in Brand gesetzt, ging es Linnea durch den Kopf. Diese Barbaren brannten die Häuser der unschuldigen Bewohner von Maidenstone nieder!

»Dafür sollt ihr alle in der Hölle schmoren!« murmelte Linnea, gleichermaßen von Wut und tiefem Mitleid erfüllt. »In der Hölle sollt ihr braten, ihr, die ihr hinter dem Banner mit den schwarzen Bären herlauft!« rief sie und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß sie tatsächlich über die Kräfte verfügte, die so viele ihr zuschrieben. Wenn sie wirklich die Macht hätte, diese Eindringlinge zur Hölle zu schicken, dann würde sie es in diesem Augenblick tun, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie würde sie ins ewige Feuer schicken und dadurch ihre Heimat und die Menschen, die hier lebten, retten.

Und die Menschen würden sie dafür lieben, dachte sie und träumte für einen Augenblick davon, wie es wäre, wenn sie eine wirklich große Tat vollbringen könnte, damit die Menschen von Maidenstone sie endlich anerkennen würden ...

»Aus dem Weg«, fuhr eine grobe Stimme sie an und brachte sie auf diese Weise unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück.

Sie eilte die letzten Stufen der Treppe hinunter, während ein Soldat der Burgwache dicht hinter ihr herlief. Er hatte offensichtlich sofort gesehen, daß sie es war, und nicht ihre Zwillingsschwester Beatrix – doch angesichts ihrer einfacheren Kleider passierte es ohnehin nur selten, daß man sie mit Beatrix verwechselte. Aber Beatrix trug nicht nur feinere Kleider, sie würde auch niemals so unvernünftig sein, sich während der Vorbereitungen auf eine Schlacht draußen aufzuhalten. So etwas Dummes konnte nur Linnea einfallen. Beatrix war bestimmt drinnen im Saal, um verängstigte Dorfbewohner zu beruhigen oder sich um die Küche oder eine andere wichtige häusliche Angelegenheit zu kümmern.

Im Burghof hielt Linnea inne und überlegte, wo sie sich während der bevorstehenden Belagerung aufhalten sollte. Auf der anderen Seite des Hofes sah sie ihre Großmutter auf der obersten Stufe vor dem großen Saal stehen, auf ihren Gehstock gestützt, wobei sie mit der anderen Hand gestikulierend Anordnungen erteilte.

Sie würde nicht in den Saal gehen, entschloß sich Linnea. Ihre Großmutter, Lady Harriet, konnte den Anblick ihrer jüngeren Enkeltochter selbst dann kaum ertragen, wenn sie bei bester Laune war; am heutigen Tag jedoch würde sie wohl nicht imstande sein, ihre Gefühle im Zaum zu halten und sich zu beherrschen, wie sie das sonst zumeist tat.

Im nächsten Augenblick hörte Linnea die rauhe Stimme ihres Vaters, und nachdem sie im Gewühl der durcheinanderlaufenden Menschen eine ganze Weile nach ihm suchte, erspähte sie ihn schließlich auf dem Wehrgang der östlichen Brustwehr, wo er die Verteidigung der Burg in die Hand nahm, indem er seine Männer mit Worten und Gesten anwies, ihre Position zu beziehen.

Er war mit einem ledernen Gewand bekleidet, auf dem das Familienwappen der de Valcourt prangte – ein goldener Greif vor blauem Hintergrund. Dazu trug er einen kurzen blauen Umhang, und um die etwas füllige Leibesmitte einen schweren, mit Gold verzierten Gürtel, so daß man ihm auch rein äußerlich ansah, welch mächtiger Ritter er war – ein Mann, dessen Tapferkeit, Schlauheit und Kraft unübertroffen waren. Sie selbst kannte ihn eher als einen Mann, der mehr Zeit mit Essen und Trinken verbrachte als mit Kriegsvorbereitungen und Schlachten, was jedoch einzig und allein daran lag, daß in den vergangenen zehn Jahren nichts anderes von ihm verlangt worden war. Sie war zu jung, um sich an jene Jahre erinnern zu können, als er noch für König Stephen gekämpft und ihm geholfen hatte, der Tochter des alten Königs die Krone zu entreißen. Doch sie hatte sehr wohl all die Geschichten über seinen Wagemut gehört – Geschichten, die man sich in langen Winternächten immer wieder erzählte. Und so wußte sie, daß er einst von König Stephen zum Ritter geschlagen worden war, lange bevor Stephen König wurde, und daß er in Stephens Elitetruppen gekämpft hatte. Für seine Treue erhielt er schließlich Stephens zweite Cousine Ella zur Frau, die als die schönste Frau weit und breit galt. Kurz nach dem Tod des alten Königs hatte er dann Maidenstone Castle eingenommen und die Burg gegen alle Versuche Matildas, sie zurückzuerobern, verteidigt.

Heute jedoch schien es, als würde Matildas Sohn mit bedeutend mehr Nachdruck als seine Mutter versuchen, die Burg und das ganze Land an sich zu reißen.

Linnea zog sich in einen verborgenen Winkel in der Nähe des Kräutergartens zurück. Im Burghof herrschte ein dichtes Gewühl von Menschen, Hunden und unruhigen Kühen. Der Staub, der in dem Durcheinander aufgewühlt wurde, drang ihr in die Kehle und trieb ihr Tränen in die Augen. Doch sie wandte den Blick nicht von ihrem geliebten Vater ab.

Wenn doch nur Maynard hier wäre, dachte sie, während sie beobachtete, wie ihr Vater an Sir Hughs Seite trat, so daß sie gemeinsam auf die rasch heranziehenden feindlichen Truppen hinunterblickten. Ihr Bruder konnte ein widerlicher und lästiger Flegel sein, aber er war ein Ritter von außerordentlichen Fähigkeiten und genauso tapfer wie sein Vater.

Maynard befand sich jedoch in Melcombe Regis, wo auch der Großteil ihres Heeres von Rittern, Bogenschützen und Fußsoldaten stationiert war. Die Verteidigung von Maidenstone lag somit ausschließlich in den Händen der Burgwache sowie jener Dorfbewohner, die sich noch ins Innere der Burgmauern hatten retten können, bevor die Zugbrücke hochgezogen wurde.

Linnea spürte, wie es ihr vor Angst eiskalt den Rücken hinunterlief. Auch wenn es ihr schwerfiel, es sich einzugestehen – Maidenstone hatte wohl kaum eine Chance, diese Schlacht zu gewinnen.

Nein, sie hatten keine Chance, dachte sie und verließ ihren Winkel. Großmutters Zorn war in diesem Moment unwichtig. Sie mußte Beatrix finden, um bei ihr zu sein, wenn das Undenkbare tatsächlich eintrat. Beatrix würde jemanden brauchen, der sie beschützte – und wie immer würde Linnea alles tun, um ihrer geliebten Schwester beizustehen.

Sie hob ihre Röcke auf nicht sehr damenhafte Weise hoch und rannte quer über den Burghof, wobei sie aufgeregten Dorfbewohnern und verängstigten Kindern ausweichen mußte. Der Rauch war immer stärker wahrzunehmen, genauso wie das Jammern und Wehklagen innerhalb und außerhalb der Burgmauern.

Das mußte das Ende der Welt sein, dachte sie, während sie immer mehr von der allgemeinen Panik angesteckt wurde. Sie saßen mitten in der Hölle fest, und der schwarze Bär draußen vor den Toren war der Teufel selbst, der sie alle holen kam.

Axton de la Manse saß auf seinem prächtigen Streitroß vor den Toren des Dorfes und betrachtete die mächtigen Steinmauern von Maidenstone Castle. Schwarze Rauchwolken stiegen zum Himmel auf und ließen die Heimat seiner Kindheit wie eine Flammenhölle erscheinen. Doch es waren nur Scheunen und Nebengebäude, die er anzünden hatte lassen, außerdem das eine oder andere Geschäft und Lagergebäude, wenn sie sich an einer strategisch wichtigen Stelle befanden. Das hatte jedoch völlig ausgereicht, um die armen Dorfbewohner in Angst und Schrecken zu versetzen, und es hatte gewiß auch Edgar de Valcourt und seine ganze niederträchtige Familie gehörig eingeschüchtert.

»Die Dorfbewohner sitzen in der Falle – zwischen uns und dem Burggraben«, sagte Sir Reynold, Axtons Hauptmann und gleichzeitig sein engster Vertrauter.

Axton nickte. »Laßt das Feuer nicht ausgehen, bis sie die Brücke herunterlassen und das Tor öffnen. Und bringt de Valcourts Sohn nach vorne, damit sie ihn sehen können.«

»Er ist immer noch bewußtlos und mittlerweile mehr tot als lebendig.«

»Er hat tapfer gekämpft – für einen de Valcourt«, sagte Axton achselzuckend. »Wenn er sterben sollte, dann würde das auch nichts am Ausgang der ganzen Sache ändern.« Es bereitete ihm große Genugtuung, daß er selbst es gewesen war, der Maynard de Valcourt mit einem mächtigen Schwerthieb außer Gefecht gesetzt hatte. Axton und Reynold hatten in vielen Schlachten Seite an Seite gekämpft, und sie hatten dabei manch einen kühnen Mitstreiter verloren. Aber das war eben das Schicksal eines Ritters. Tapfer zu kämpfen und dann auf dem Feld der Ehre zu sterben – das war alles, was Axton und Reynold je vom Leben erwartet hatten.

Bis zu diesem Tag.

Nun fühlte er plötzlich den Wunsch, alt zu werden und irgendwann Schwert und Lanze beiseite zu legen. Er hatte die feste Absicht, noch an diesem Tag sein Zuhause zurückzugewinnen. Natürlich würde er weiterhin verpflichtet sein, für seinen König zu kämpfen, wenn es nötig war, oder ihm das Schildgeld zu zahlen, um sich dadurch vom Kriegsdienst freizukaufen – aber er hatte auf jeden Fall vor, sich ab nun in Maidenstone niederzulassen. Und mit ihm sollten die wenigen Menschen hier leben, die von seiner Familie noch übrig waren, damit sie gemeinsam all das wieder in Besitz nehmen konnten, was ihnen vor so vielen Jahren entrissen worden war.

Dennoch würde es nie wieder so sein, wie es einmal war.

Seine lederbewehrte Hand schloß sich fester um die Zügel, und sein Streitroß tänzelte aufgeregt im Kreis. Ach, wenn doch nur sein Vater jetzt hier sein könnte, um den Triumph auszukosten, der so lange auf sich hatte warten lassen. Und auch seine Brüder William und Yves hätten es verdient, an diesem großen Ereignis teilzuhaben.

Doch sie waren nicht mehr bei ihm. Er war der einzige Ritter, der aus seiner Familie noch am Leben war. Das bedeutete, daß er den Triumph für sie alle auskosten mußte, sagte er sich, während der Karren, auf dem der junge de Valcourt lag, rumpelnd vorwärts geschoben wurde. Er würde den Sieg vierfach feiern – für sich genauso wie für seinen Vater und seine beiden Brüder. Er würde für vier essen und trinken und danach vier Weiber im Bett haben.

Ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Es war viele Wochen her, seit er zum letztenmal mit einer Frau zusammen war. Wenn er nicht so verdammt müde wäre, dann würde er sich heute nacht tatsächlich vier Weiber ins Bett kommen lassen.

Er blickte zu den Burgmauern auf. Bald würden sie sich ergeben. Es war nur noch eine Frage der Zeit – und diese Gewißheit drängte alle Gedanken an Frauen wieder beiseite. Der große Augenblick stand unmittelbar bevor, in dem er selbst triumphieren und de Valcourt stürzen würde.

»Er hat Sir Maynard ...«

»Er hat den jungen Herrn in seiner Gewalt ...«

»Sir Maynard ist diesem gemeinen Bastard in die Hände gefallen ...«

Die Nachricht verbreitete sich rasch von der Brustwehr in den Burghof hinunter und bis zu dem Saal, wo Lady Harriet von ihrem Platz auf dem Podium aus Anordnungen gab. Es war einfach unfaßbar: Maynard lag draußen vor dem Burggraben auf einem Karren – offensichtlich schwer verwundet –, und jedermann konnte sein schlimmes Schicksal mitverfolgen.

Sie mußten nur die Zugbrücke hinunterlassen und die Burg somit aufgeben, um sich um ihren Helden kümmern zu können.

Auch Linnea hörte die bittere Nachricht, und sie reagierte genauso darauf wie alle anderen. Die geringe Hoffnung, die noch geblieben war, löste sich augenblicklich in nichts auf. Ohne ihren Bruder und sein Heer gab es keine Möglichkeit mehr, die feindlichen Horden aufzuhalten, die draußen vor den Mauern der Burg auf ihre Chance warteten. Solange er irgendwo im Land für König Stephen gekämpft hatte, bestand noch Hoffnung, daß Maynard von ihrer Notlage gehört hätte und ihnen zu Hilfe geeilt wäre. Sie hätten einer Belagerung mindestens einige Wochen standhalten können, wenn es nur irgendeine Aussicht auf Rettung gegeben hätte.

Doch nun lag ihre letzte Hoffnung am Boden zerstört draußen auf einem Karren.

»Der arme Maynard«, flüsterte Linnea und drückte die Hand ihrer Schwester.

»Wir müssen für ihn beten«, gab Beatrix flüsternd zurück, und so folgte Linnea ihrem Beispiel und senkte den Kopf, um mit ihrer Schwester für ihren älteren Bruder zu beten, der seinen beiden Schwestern nie auch nur die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte – außer um gelegentlich seiner ›verfluchten Schwester‹, wie er Linnea nannte, etwas in die Schuhe zu schieben, was er selbst angestellt hatte. Das konnte er stets sehr gut als Kind, so daß Linnea manch eine Tracht Prügel hatte einstecken müssen, die eigentlich ihm gebührt hätte.

Aber das spielte an diesem Tag keine Rolle, sagte sich Linnea und versuchte sich auf die flehenden Worte zu konzentrieren, die Beatrix zum Himmel schickte. »Bitte, Herr, rette unseren geliebten Bruder. Rette unser Zuhause und unsere Familie sowie auch das ganze Volk vor den niederträchtigen Horden, die uns angreifen. Bitte, Herr, hilf deinen ergebenen Dienern in der Stunde der Not ...«

Es war ein endloser Strom von Worten, die sich mit dein Gemurmel der anderen vermischten, die ebenfalls ihre Gebete zum Himmel richteten. Plötzlich wurde die Doppeltür aufgestoßen, und Sir Edgar trat schwankenden Schrittes ein. Es war augenblicklich still im Saal.

Linnea hatte auch zuvor schon Mühe gehabt, ihre Angst im Zaum zu halten, doch als sie den entsetzten Gesichtsausdruck ihres Vaters sah, erschrak sie zutiefst. Sie hatte ihren Vater oft zornig gesehen, und sie wußte auch, wie er aussah, wenn er traurig oder betroffen war. Sie hatte ihn in seiner Wut erlebt und auch, wenn er stockbetrunken war. Aber es war das erstemal, daß sie Angst in seinen Augen sah. Es war mehr als nur Angst – er schien am Boden zerstört zu sein.

»Macht Platz für meinen Herrn. Platz da!« rief Sir John, der Seneschall, während er die Leute mit Händen und Füßen zur Seite schob, damit Sir Edgar zu seiner Familie gelangen konnte. Angst und Entsetzen ließen eine lähmende Stille entstehen.

Linnea und Beatrix saßen dicht aneinandergeschmiegt neben ihrer Großmutter. Sie stand auf ihren Stock gestützt da und sah zu, wie ihr Sohn taumelnden Schrittes näherkam.

Für einen Augenblick empfand Linnea tatsächlich so etwas wie Bewunderung für ihre Großmutter. Lady Harriet hatte sie seit jeher gequält. Nie hatte Linnea auch nur ein freundliches Wort von der Mutter ihres Vaters gehört. Lady Harriets ganze Zuneigung galt Maynard, und in etwas geringerem Maße auch Beatrix, während sie für Linnea nie etwas übrig hatte.

Doch in diesem Augenblick war Lady Harriets Härte und Unnachgiebigkeit durchaus nicht fehl am Platz. Linnea sah, wie Mutter und Sohn sich gegenüberstanden – und ihr war augenblicklich klar, wer der Stärkere der beiden war.

»Sie haben ihn ... sie haben Maynard«, bekräftigte Sir Edgar mit entsetzter Miene. »Sie haben ihn, und er ist schwer verwundet. Er liegt draußen auf einem Schweinekarren, damit alle ihn sehen können ...«

Seine Stimme stockte, und er bedeckte seine Augen mit der zitternden Hand. Linnea spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, vor lauter Schmerz darüber, ihren Vater derart am Boden zerstört zu sehen.

»Der arme Maynard. Der arme Maynard«, flüsterte Beatrix und drückte Linneas Hand noch fester.

Doch Lady Harriet stand unbewegt da. »Wer ist der Schuft, den Henry geschickt hat, um uns anzugreifen? Wer ist dieser Teufel, der gekommen ist, um unsere Söhne zu töten und unsere Töchter zu schänden?«

Sir Edgar ließ die Hand von den Augen sinken und hob sein verhärmtes Gesicht, um seiner Mutter in die zornfunkelnden Augen zu blicken. Linnea beugte sich ein wenig vor, um besser hören zu können, wenngleich sie den Namen des feindlichen Ritters ohnehin nicht kennen würde. Sie und Beatrix erfuhren nie etwas von dem, was in der Welt vor sich ging. Die wenigen Dinge, die Linnea wußte, hatte sie hier und dort aufgeschnappt – sehr oft dann, wenn es ihr gelang, sich von ihrer Arbeit davonzustehlen und sich im Dorf herumzutreiben.

Es wunderte sie deshalb gar nicht, daß ihr der Name, den Sir Edgar aussprach, nicht gleich bekannt war. »Es ist de la Manse«, sagte er. »Ich habe ihn an seinem Banner erkannt.«

»De la Manse«, stieß ihre Großmutter mit großen Augen hervor, während sich ihre knorrigen Hände fester um den geschnitzten Gehstock schlossen. »De la Manse«, wiederholte sie in so verächtlichem Ton, als wäre es ein Fluch, den sie ausstieß. Und in diesem Augenblick fiel Linnea wieder ein, woher sie diesen Namen kannte.

De la Manse. Das war jene Familie, die auf Maidenstone Castle gelebt hatte, bevor König Stephen die Burg ihrem Vater für dessen treue Dienste überließ. Jene Familie, die Matildas Anspruch auf den Thron in all den Jahren von der Normandie aus unterstützt hatte und die mit besonderer Verbissenheit darum kämpfen würde, Maidenstone Castle zurückzugewinnen.

»De la Manse.« Wie ein Lauffeuer breitete sich der Name im Saal aus. »De la Manse.«

»Ruhe!« rief Lady Harriet mit kreischender Stimme und ließ ihren Stock auf den Fußboden knallen wie sie es immer tat, wenn sie wütend war. Sie starrte mit zorniger Miene auf das verängstigte Volk hinunter, so daß augenblicklich Stille eintrat. Es gab kaum einen unter ihnen, der nicht irgendwann den Zorn der alten Frau zu spüren bekommen hätte.

»Wir müssen Maynard unbedingt retten«, stellte sie fest. »Komm mit«, forderte sie ihren Sohn auf.

Als er nicht sofort auf ihre Aufforderung reagierte, zog sie ihn am Ärmel: »Na los, komm schon, Edgar!« wiederholte sie.

Linnea sah den beiden nach, wobei ihre Großmutter – obwohl sie sich auf den Stock stützen mußte – einen äußerst entschlossenen Eindruck machte, während ihr Vater wie ein gebrochener Mann neben ihr hertrottete. Sir John ging hinter ihnen her, wobei er vor Sorge die Hände rang.

Sie empfand zwar Mitleid mit ihrem Vater – dennoch wünschte sie sich, er hätte wenigstens halb soviel Haltung und Mut gezeigt wie seine Mutter.

»Wir müssen noch inniger beten«, flüsterte Beatrix, als die drei auf der Treppe verschwanden, die steil nach oben führte. Aber Linnea hatte etwas anderes im Sinn, und sie löste sich aus Beatrix' Hand.

»Ich muß nachsehen, was da vor sich geht«, sagte sie zu ihrer Schwester und huschte an der ältlichen Frau des Seneschalls und dessen gelähmtem Sohn vorbei. Dann schob sie sich durch die nun wieder lauter werdende Menschenmenge, um zur Tür zu gelangen.

»Warte!« rief Beatrix ihr nach. »Warte auf mich!« Doch als Beatrix sich erhob, um ihr hinterherzueilen, wurde sie alle paar Schritte aufgehalten und mit Fragen bestürmt.

»Was soll nun aus uns werden, Mylady?«

»Wird Sir Edgar uns retten?«

»Wird unser Sir Maynard überleben?«

Jedesmal, wenn sie aufgehalten wurde, versuchte Beatrix die drängenden Fragen zu beantworten und die Menschen zu beruhigen. Linnea hingegen mußte keine einzige Frage beantworten. Einerseits war sie erleichtert darüber, denn sie hätte keine Antwort gewußt – doch auf der anderen Seite kam eine altbekannte Sehnsucht in ihr hoch. Man wandte sich niemals an sie, nur an ihre schöne und allzeit freundliche Schwester Beatrix. Denn schließlich galt Beatrix als besonders reine Seele, während man Linnea als schwarze Seele ansah. Beatrix war demnach, so dachte man, mit lauter guten Eigenschaften gesegnet, während auf Linnea ein Fluch lastete. Und obwohl sich Linnea längst mit ihrem Schicksal abgefunden hatte, gab es doch Augenblicke, wo der Schmerz sie unerwartet überkam.

Doch ihrer Schwester konnte sie wegen alldem keinen Vorwurf machen, denn sie konnte ja nichts dafür, daß sie als erste geboren worden war – genauso wie Linnea nichts dafür konnte, daß sie als zweite zur Welt gekommen war. Gott hatte es ebenso eingerichtet, und darum mußte sie sich fügen und gegen die Launen ankämpfen, die hin und wieder in ihr hochkamen. Manche dieser Launen waren leicht zu beherrschen. So konnte sie zum Beispiel auch dann stets ordentlich gehen, wenn sie einmal den Drang verspürte, ausgelassen zu springen. Und es gelang ihr auch dann, sich auf ihre verschiedenen Arbeiten zu konzentrieren, wenn sie vielleicht lieber im Garten gesessen wäre, um einfach vor sich hin zu träumen oder auf der Laute zu üben.

Manchmal jedoch war es ihr einfach unmöglich, ihre wahre Natur zu unterdrücken – so wie in diesem Augenblick. Sie wußte, daß sie eigentlich hier im Saal bleiben sollte, um den anderen zu helfen – dennoch gab es nichts auf der Welt, was sie davon abhalten hätte können, zurück auf die Brustwehr zu gehen.

Sie warf noch einen kurzen Blick zu ihrer Schwester zurück, ehe sie eine der riesigen Eichenholztüren aufstieß, die in den Hof hinaus führten.

Der Rauch war noch stärker geworden – er war wie eine dunkle Wolke, die, kaum daß sie ein wenig nachließ, sofort wieder neue Nahrung zu bekommen schien. Unter den Dorfbewohnern sowie der Burgwache herrschte nunmehr blankes Entsetzen. Zweifellos war es Sir Edgars Niedergeschlagenheit, die ihnen am meisten zu schaffen machte. Doch als Linnea auf einer Leiter an der östlichen Mauer hochkletterte und dann zum Nordturm eilte, sah sie schließlich den wahren Grund für die Verzweiflung, die überall herrschte und von der vor allem ihr Vater völlig erfüllt war.

Auf dem freien Feld zwischen dem schmalen Burggraben und den nächstgelegenen Gebäuden des Dorfes hatte ein riesiges Heer seine Zelte aufgeschlagen. Auch die Karren mit dem Nachschub, die stets dem Heer nachfolgten, kamen bereits herbei. Ihr fiel ein prächtiges weißes Zelt auf, das soeben aufgestellt wurde. An den vier Ecken prangte ein Banner.

Es war gewiß das Zelt ihres Anführers, dieses de la Manse. Er machte es sich hier bequem, während er das Dorf hinter sich niederbrennen ließ!

Die armen Dorfbewohner, die nicht mehr Einlaß ins Innere der Burg gefunden hatten, wurden direkt unter Linneas Aussichtspunkt zusammengetrieben. Bewacht wurden sie von zwei Rittern zu Pferd sowie mehreren gut bewaffneten Fußsoldaten. Doch die Männer, Frauen und Kinder des Dorfes zeigten ohnehin nur wenig Neigung, zu flüchten, was Linnea nur zu gut verstand. Wohin hätten sie auch flüchten sollen? Und wovon sollten sie leben?

Aber wo war nur Maynard? Sie beugte sich zwischen zwei Zinnen nach vorn, um das Durcheinander besser überblicken zu können. Vielleicht hatte sich ihr Vater ja geirrt; vielleicht war alles bloß ein Gerücht, das sich bald als falsch herausstellen würde.

Dann fiel ihr Blick auf einen kleinen Karren, der wohl normalerweise dazu diente, Schweine oder Gemüse zu befördern, und sie erstarrte augenblicklich. Auf dem Karren sah sie einen Mann regungslos auf dem Rücken liegen.

Vielleicht war es ja gar nicht er, dachte sie, während ihr Herz heftig zu pochen begann. Daß er in den blauen Umhang der de Valcourts eingehüllt war, bewies noch gar nichts.

Dann bewegte sich der Mann und drehte den Kopf zur Seite, und obwohl es durch den Rauch nicht ganz deutlich zu erkennen war, sah sie schließlich sein blondes Haar. Es war genau die Haarfarbe ihrer Mutter und auch die von Linnea selbst.

Ihr Herz schien stillzustehen. Es war tatsächlich Maynard. O Gott, es stimmte also, was man sich erzählte. »Du solltest nicht hier oben sein!«

Linnea drehte sich nicht einmal um, als sie Sir Hughs vorwurfsvolle Stimme hörte. »Er lebt noch!« rief sie entsetzt. »Soll das heißen, daß sie ihn hier sterben lassen, ohne ihm zu helfen? Wollen sie es denn nicht zulassen, daß wir uns um seine Wunden kümmern?«

Sir Hugh trat neben sie und blickte auf die unwirklich scheinende Szene hinunter. »Er ist ihre größte Waffe. Wir müssen uns ergeben, wenn wir sein Leben retten wollen.«

Linnea schluckte erst einmal und blickte ihn fassungslos an. »Und werden wir uns ergeben?«

Die Antwort kam nicht von Sir Hugh, sondern von einem Pagen, der rasch herbeigeeilt kam. »Mylady sagt ...« Er unterbrach sich, um erst einmal zu Atem zu kommen. »Ich meine, Lord Edgar sagt, daß wir die weiße Fahne hissen sollen.«

Linnea verfolgte mit großen Augen, wie Sir Hugh nickte und dann zweien seiner Männer ein Zeichen gab, um die weiße Fahne über der rauhen Steinmauer zu hissen. Sie konnte nicht sehen, wie der weiße Stoff sich nach unten entrollte, doch sie konnte es sich gut vorstellen – es mußte wohl wie ein Leichentuch sein, das entrollt wurde, so daß der Tote zum Vorschein kam. Nur daß es an diesem Tag kein Mensch war, der zu Grabe getragen wurde, sondern das Leben ihrer Familie auf Maidenstone Castle.

Im nächsten Augenblick waren Jubelrufe von dem Angreifer und erleichterte Seufzer von den Dorfbewohnern zu hören. Linnea sah einen jungen Reiter von dem weißen Zelt weggaloppieren. Das Banner der de la Manse hielt er wie eine Trophäe in der Hand. Die beiden schwarzen Bären, die auf dem leuchtend roten Stoff zu erkennen waren, standen auf den Hinterbeinen und schienen miteinander zu kämpfen, während das Banner im Wind flatterte.

Der Junge ritt zum Burggraben herauf und ließ sein prachtvolles Streitroß im Kreis gehen, während die Zugbrücke langsam niederging. Linnea war so außer sich vor Zorn und Angst, daß sie betete, der Junge möge vom Pferd fallen und im Burggraben ertrinken. Dieser eingebildete Bengel!

Doch während sich ihr Zorn gegen den Jungen richtete, wußte sie sehr wohl, daß es ein anderer war, den sie fürchten mußte – dieser de la Manse, der sich darauf vorbereitete, sein ehemaliges Zuhause wieder an sich zu reißen, und der für die de Valcourt gewiß nichts anderes als Haß empfand.

Sie starrte auf das große weiße Zelt hinunter und versuchte ihn sich vorzustellen – diesen Mann, den ihr Vater vor achtzehn Jahren besiegt hatte. Sie war damals noch gar nicht auf der Welt gewesen, und doch, das wußte sie, war dieses Ereignis für ihr gesamtes Leben von entscheidender Bedeutung.

Sie spürte, wie die Angst in ihr hochkroch. Die Brücke war beinahe unten, und der Rauch verzog sich langsam. Sie sollte jetzt wohl zu ihrer Schwester und ihrem Vater gehen. Sie sollten alle zusammensein in diesem Augenblick, ihr ganzes Leben in tausend Stücke zerbrach.

Kapitel 2

»Sie sind wie Hunde, die jetzt den Schwanz einziehen.«

Trotz der einander widerstrebenden Gefühle, die ihn bewegten, mußte Axton über Peters Bemerkung lachen. Es war so offensichtlich, wie aufgeregt sein Bruder war. Es war das erstemal, daß der Junge mit dem Krieg in Berührung kam, das erstemal, daß er weit weg von zu Hause als Schildknappe seines großen Bruders unterwegs war. Eigentlich hätte er von jemand anderem zum Ritter ausgebildet werden müssen – doch seine Mutter hatte zu große Angst um ihn. Sie war ohnehin dagegen, daß Peter überhaupt Ritter wurde, da sie doch zuvor schon ihren Mann und zwei Söhne im Krieg verloren hatte.

Aber Peter war so fest entschlossen, Ritter zu werden, daß ihre Mutter schließlich einwilligte. Sie bestand jedoch darauf, jene Ritter, die ihn ausbilden würden, selbst auszusuchen. In ihren Augen war ihr jüngster Sohn am besten bei seinem einzigen Bruder aufgehoben, der noch lebte – bei Axton.

Axton war zunächst ein wenig skeptisch gewesen, aber nachdem Peter jetzt ein Jahr als Schildknappe für ihn tätig war, betrachtete er den Versuch als durchaus gelungen. Wie sich zeigte, war sein jüngster Bruder viel besser für das Ritterdasein geeignet, als es seine beiden anderen Brüder William und Yves gewesen waren. Er war einfach schneller und entschlossener und verfügte bereits über eine große Geschicklichkeit im Umgang mit Schwert und Lanze. Darüber hinaus konnte er ausgezeichnet mit Pferden umgehen.

Was lag also näher, als Peter zur Belagerung von Maidenstone Castle mitzunehmen – jenem Ort, wo der Junge eigentlich hätte aufwachsen sollen. Außerdem war Axton auf die Idee gekommen, Peter als Unterhändler für die Übergabe der Burg auszuwählen. Er war der einzige der vier de-la-Manse-Brüder, der nie einen Fuß in ihr früheres Zuhause gesetzt hatte, da er erst während ihres erzwungenen Exils in der Normandie zur Welt gekommen war. Darüber hinaus wußte Axton, daß es eine Demütigung für de Valcourt bedeuten würde, wenn er mit einem jungen Burschen, einem Schildknappen, verhandeln mußte.

Axton betrachtete das rot-schwarze Banner, das munter im Wind flatterte, während die Zugbrücke langsam niederging. Er schwor sich, daß dies nicht bei der einzigen Demütigung bleiben würde, die de Valcourt hinzunehmen hätte.

Leider war es ihm verwehrt, den Mann und seinen Sohn auf der Stelle zu töten – es sei denn, es blieb ihm keine andere Wahl. Diese Anweisung hatte Henry ihm mitgegeben. Nun, im Getümmel der Schlacht konnte viel passieren – aber jetzt, wo de Valcourt sich so rasch ergeben hatte, herrschten natürlich andere Gesetze. Nach der Übergabe der Burg würden sie seinem Schutz, beziehungsweise dem des Herzogs der Normandie, unterstehen. Axton ballte die Hände zu Fäusten, als er daran dachte, wie absurd die Situation doch war. Da hatte er seinen ärgsten Feind in seiner Hand und durfte sich doch Henrys Befehl nicht widersetzen, um den Frieden im Land nicht zu gefährden!

Gewiß, der Junge würde wohl an seinen Verletzungen sterben. Axton war erstaunt, daß er überhaupt noch lebte.

Was den Vater betraf, so konnte Axton nicht gut die Waffe gegen ihn erheben – es sei denn, der alte Mann forderte ihn dazu heraus.

Wenn es nur ein Fünkchen Gerechtigkeit auf dieser Welt gab, dann würde der alte Bastard genau das tun – aber das war leider sehr unwahrscheinlich. Axton war durch sein Ehrenwort daran gebunden, die Wünsche seines Lehensherrn auszuführen. Wie hatte Matilda, die Tochter des einstigen Königs, doch immer zu ihrem Sohn Henry gesagt – und er hatte es an seine Lords weitergegeben: Tötet die Söhne in der Schlacht, heiratet die Töchter im Frieden und laßt das Land unversehrt. Keine Plünderungen, keine wahllose Verwüstung des Landes, außer wenn dies nötig ist, um die Bevölkerung zu unterwerfen.

Dementsprechend hatte Axton nur so viel von dem Dorf in Brand gesteckt, wie notwendig war, um die Bewohner in Angst und Schrecken zu versetzen; doch er hätte gewiß auch ohne Henrys Weisung nicht anders gehandelt. Dies war seine Heimat, auch wenn er sie als neunjähriger Junge verlassen mußte.

Als der alte König Henry starb, waren Allan de la Manse und seine Frau sowie ihre drei Söhne in der Normandie, um für Henrys Tochter Matilda und seinen Enkel Henry dazusein. Matildas Abwesenheit aus England gab ihrem Vetter Stephen Gelegenheit, den Thron an sich zu reißen – und so eroberten seine Männer alle Festungen des Königs, bevor Matilda eingreifen konnte.

Edgar de Valcourt war nur auf geringen Widerstand gestoßen, als er Maidenstone Castle an sich riß, und Allan de la Manse war anschließend mit seiner Bitte um Gerechtigkeit bei Stephen auf taube Ohren gestoßen. Ihre Familie hatte sich in die Normandie zurückziehen müssen, nachdem Stephen und de Valcourt ihnen ihr Zuhause weggenommen hatten. Doch während der achtzehn langen Jahre im Exil war Maidenstone stets Axtons Zuhause geblieben – zumindest in seinen Gedanken, und auch in denen seiner Eltern. Er hatte nicht die Absicht, die Burg niederzubrennen oder das Land zu verwüsten, genausowenig wie er vorhatte, die Dorfbewohner oder deren Vieh abzuschlachten.

Maidenstone gehörte endlich ihm – und als die Zugbrücke auf den riesigen Stein am Rande des Burggrabens niedersank, war es besiegelt. Er brauchte sein Zuhause nur noch zu betreten, um es wieder in Besitz zu nehmen. De Valcourt konnte seinen Sohn zurückhaben, der mit seinen schweren Verletzungen keine Bedrohung mehr darstellte. Selbst wenn er überleben sollte, würde er bestimmt nie mehr kämpfen können – dazu war sein rechter Arm zu übel zugerichtet.

Doch Axton hatte vor allem vor, die älteste Tochter zu heiraten, falls es eine gab. Er würde sie zur Frau nehmen, gleichgültig ob sie alt oder jung, schön oder häßlich war. Dann würde er dafür sorgen, daß sie so rasch wie möglich schwanger wurde. Erst dann konnte er sicher sein, daß niemand mehr seinen Anspruch auf Maidenstone anzweifeln würde.

Der Junge mit dem Banner führte die Reihen der feindlichen Truppen an, die durch das Tor in den Burghof einmarschierten. Linnea und Beatrix spähten von ihrem gemeinsamen Zimmer aus auf den Hof hinunter. Der Junge war recht stämmig und hatte dunkles lockiges Haar; seine Lippen umspielte ein arrogantes Grinsen, das Linnea geradezu abstoßend fand. Wer war bloß dieser Dreikäsehoch, der ein Heer anführte, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt? Er mußte wohl der Sohn von diesem de la Manse sein.

Im nächsten Augenblick flog die Tür krachend auf, so daß sie beide hochschreckten. Doch es war nur ihre Großmutter mit Ida, ihrer Magd – und nicht zwei heimtückische Soldaten, wie sie befürchtet hatte.

»Geh weg da, Mädchen. Laß mich sehen«, befahl Lady Harriet. Sie packte Linnea am Arm und schob sie vom Fenster weg.

Linnea trat zur Seite und rieb sich nicht einmal den schmerzenden Arm, wenngleich sie sicher war, daß es einen blauen Fleck geben würde. Sie war es längst gewohnt, daß ihre Großmutter sie auf diese Weise behandelte. Nicht, daß sie sie jemals ernstlich verletzt hätte – nein, wenn ihre Großmutter ihr weh tat, dann heilte es meist sehr schnell wieder. Trotzdem – Beatrix wurde nie so grob behandelt.

Lady Harriet trat neben Beatrix und drückte ihr aufmunternd die Hand.

»Sie bringen Maynard herein. Ich hab's von meiner Kammer aus gesehen. Schau, dort kommt der Karren schon.«

Linnea trat einen Schritt vor und stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf ihren verwundeten Bruder zu erhaschen – sie sah jedoch nur einen Teil des Karrens.

»Diesen de la Manse soll der Teufel holen!« fluchte Lady Harriet dermaßen wütend, daß die beiden Mädchen erschraken. »Und mit ihm seine ganze verdammte Familie. Vor allem den Jungen da!«

Zumindest in diesem Punkt war Linnea völlig mit ihr einer Meinung. Ja, vor allem dieser Junge. Beatrix versuchte ihre Großmutter zu beruhigen, die am ganzen Leib zitterte – so außer sich war sie vor Wut. »Der Junge ist doch nicht so wichtig ...«, begann Beatrix.

»Was du nicht sagst! Dieser Junge ist ein de la Manse, ein Sohn von Allan de la Manse. Und schon allein deshalb ist er unser Erzfeind! Ach, wenn ich nur wüßte, wie ich ihn uns vom Hals schaffen könnte.« Sie schlug mit der Hand auf die steinerne Fensterbank und wandte sich mit bitterer Miene vom Fenster ab. »Er sollte da unten verwundet auf dem Karren liegen und durch die Gegend gefahren werden.« Im nächsten Augenblick blieb ihr eisiger Blick auf Linnea haften – und ihre Miene wurde noch eine Spur grimmiger.

Linnea wich instinktiv zurück, denn sie kannte diesen Blick nur zu gut, weshalb sie ihrer Großmutter auch aus dem Weg ging, wo sie nur konnte. Aber in diesem Moment war es unmöglich, ihr auszuweichen.

»Schuld ist allein der Teufel, den wir unter uns haben«, zischte Lady Harriet. »Jetzt sieht man's wieder, wie recht ich hatte. Zuerst starb dein ältester Bruder im Fieber. Und dann auch deine Mutter und mit ihr viele Männer und Frauen von Maidenstone. Und jetzt bringt deine schwarze Seele erneut Unheil über unsere Familie!«

Hätte Linnea sich nicht mit einem Sprung in Sicherheit gebracht, dann hätte ihre Großmutter sie gewiß mit ihrem Gehstock geschlagen. Sehr früh schon hatte sie gelernt, stets außer Reichweite ihrer Großmutter zu bleiben. Beatrix rang verzweifelt die Hände, während Ida sich bekreuzigte, um sich vor allem Übel zu schützen, das von Linnea ausgehen mochte. Diese kleine Geste drückte all das Mißtrauen aus, das die Menschen auf Maidenstone Linnea entgegenbrachten – und sie schmerzte genauso wie die Grobheit, mit der ihre Großmutter sie behandelte. Doch Linnea zeigte nie jemandem ihren Schmerz – am wenigsten ihrer Großmutter.

Wie immer war es Beatrix, die ihr zu Hilfe kam, indem sie ihre Großmutter am Arm zurückhielt. »Das nützt doch jetzt nichts«, sagte sie. »Wir müssen uns um Maynards Wunden kümmern. Ob sie uns wohl zu ihm lassen? Sie bringen ihn doch in sein Zimmer, oder?«

»Ich habe keine Ahnung, was sie vorhaben«, stieß Lady Harriet hervor. »Das sind Heiden, egal was Pater Martin sagt.« Doch ihr Zorn verrauchte schließlich angesichts der Güte, die Beatrix ausstrahlte. Die alte Frau seufzte, als wäre sie sehr erschöpft. »Edgar erwartet sie im Saal. Dort werden sie ihre Bedingungen stellen. Dann wissen wir Bescheid. Aber glaub nur nicht, daß sie sich nachsichtig zeigen werden.«

Sie blickte Beatrix eindringlich an, und ihre Stimme zitterte einen Augenblick, als sie sagte: »Wir müssen dich vor ihnen schützen, Beatrix. Denn wenn sie erst einmal gesehen haben, wie schön du bist, dann werden schreckliche Dinge passieren.«

»Schreckliche Dinge?« Beatrix' milchweiße Haut wurde noch eine Spur bleicher. »Was meinst du damit?«

»Daß sie dich schänden«, antwortete die alte Dame mit schneidender Stimme. »Das machen alle Heere. Nun, vielleicht kommt dir deine Schönheit und Unschuld ja zugute. Sogar der junge Henry, dieser selbsternannte König, wird einsehen, daß eine Erbin mit deiner Mitgift besser ist ...«

Sie hielt inne und erstarrte förmlich. Linnea hatte den gleichen Gedanken wie ihre Großmutter. Henry würde einsehen, daß eine schöne Jungfrau mit einer stattlichen Mitgift am wertvollsten war, wenn ihre Unschuld bewahrt blieb. Nur würde Beatrix über keine stattliche Mitgift mehr verfügen – jetzt, da alles diesem de la Manse in die Hände fiel. Linnea ging zu ihrer Schwester und legte ihr tröstend den Arm um die Schulter. »Vielleicht können wir ja fliehen«, flüsterte sie und blickte ihre Großmutter erwartungsvoll an.

Lady Harriets Nasenflügel bebten, so als wäre Linneas Vorschlag absolut erbärmlich. Doch bevor sie eine beißende Bemerkung machen konnte, kam Norma, das langjährige Kindermädchen der Zwillinge, ins Zimmer gestürmt.

»Mylord ... Mylord Edgar möchte, daß Ihr zu ihm in den Saal kommt, Mylady«, stieß sie atemlos mit gerötetem Gesicht hervor. Sie war offensichtlich die Treppe herauf gelaufen, was in ihrem Alter und mit ihrer Leibesfülle bestimmt sehr beschwerlich war. Linnea und Beatrix erschraken, als sie die Frau so aufgewühlt sahen.

»Was ist mit Beatrix?« fragte Lady Harriet. »Hat er etwas über sie gesagt?«

»Er hat gemeint, ich soll mit ihr zur Vorratskammer gehen und alle Kräuter holen, die sie braucht, um Maynard zu behandeln. Dann sollen wir uns um ihn kümmern. Der arme Junge soll in die Gesindehäuser gebracht werden.«

Lady Harriet zögerte keine Sekunde. Es war, als würde ihr die Tatsache, daß sie gebraucht wurde, neue Kräfte verleihen. Sie nahm den Schlüsselbund von ihrem Gürtel und warf ihn Beatrix zu. Dann nahm sie ihre Enkeltochter am Arm und führte sie zur Tür. »Ich werde ebenfalls nach Maynard sehen, sobald man meinen Rat nicht mehr braucht. Diese Teufel! Daß sie es wagen, ihn in ein Gesindehaus zu bringen!« Sie spuckte verächtlich aus. »Verflucht sollen sie alle sein!« Dann fiel ihr zorniger Blick auf Linnea.

»Du – geh mir aus den Augen. Du hast für heute genug Unheil angerichtet. Ach, hätte Edgar nur auf mich gehört ...«

Sie drehte sich um und ging zur Tür hinaus, so daß nur noch ihr Stock auf dem harten Steinboden zu hören war. Als auch dieses Geräusch verebbt war, hörte Linnea nichts anderes mehr als das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Sie war es gewöhnt, daß man sie zurückwies – doch am heutigen Tag war es viel schwerer zu ertragen als sonst.

Sie wußte, was ihre Großmutter gemeint hatte. Sie wünschte sich, daß man Linnea noch am Tag ihrer Geburt getötet hätte, damit all das Übel, das ihrer Seele innewohnte, keine Möglichkeit habe, in der Welt wirksam zu werden. Auf diese Weise würde der Familie großes Unheil erspart bleiben. Nun, das Unheil war geschehen – und es war anscheinend allein ihre Schuld. Sie schloß die Augen – es bereitete ihr Mühe, sich aufrechtzuhalten, so furchtbar war der Gedanke, daß sie es womöglich gar nicht wert war, am Leben zu sein.

Im nächsten Augenblick spürte sie eine tröstende Hand auf ihrem Arm, und die schwarzen Schatten über ihr verflüchtigten sich ein wenig.

»Es ist nicht deine Schuld«, flüsterte ihr Beatrix voller Überzeugung ins Ohr.

Linnea erbebte im Innersten. Die gute Beatrix. Wenn ihre Schwester in all den Jahren nicht so an sie geglaubt hätte, dann hätte sie nie überleben können. Beatrix konnte zwar kaum etwas tun, um das Mißtrauen der anderen gegenüber ihrer Zwillingsschwester zu zerstreuen, doch allein, daß sie so unerschütterlich an sie glaubte, bedeutete Linnea unendlich viel. Zwischen ihnen beiden bestand eine tiefe Verbundenheit, an der niemand sonst teilhatte. Beatrix war der einzige Mensch, der Linnea liebte, und Linnea liebte ihre Schwester ihrerseits mit einer Hingabe, die manchmal fast beängstigend war.

Und auch in diesem Augenblick waren Beatrix' ermutigende Worte genau das, was Linnea brauchte, um neuen Mut zu schöpfen. Sie blickte in die wunderschönen grünen Augen ihrer Schwester und streichelte ihre runde Wange. »Danke, Bea. Ich danke dir. Aber ich fürchte, es spielt keine Rolle, wessen Schuld es ist – wir stecken auf jeden Fall in großen Schwierigkeiten.«

Beatrix nickte und berührte Linneas Stirn mit der ihren, so wie sie es als Kinder immer getan hatten. Linnea fühlte sich ihrer Schwester so nahe wie schon lange nicht mehr, und ihr Wunsch, diesen über alles geliebten Menschen zu schützen, wurde noch stärker.

Beatrix löste sich schließlich von ihrer Schwester. »Ich muß zu Maynard«, sagte sie.

»Nein! Nein«, entgegnete Linnea und hielt ihre Schwester am Arm zurück. »Du darfst nicht allein in den Burghof gehen, wo doch all diese Männer versammelt sind.«

»Norma begleitet mich ja.« Beatrix blickte zu der Frau hinüber, die sich auf eine Bank niedergelassen hatte und immer noch schwer atmete.

»Nein, Norma wird mich begleiten«, erwiderte Linnea.

»Aber du hast doch gehört, was Großmutter gesagt hat. Du sollst hierbleiben – und ich soll zu Maynard gehen.«

Aber Linnea war fest entschlossen. So große Angst sie auch haben mochte, den blutrünstigen Eindringlingen zu begegnen und die schlimmen Wunden ihres Bruders zu sehen – noch größer wäre ihre Angst gewesen, wenn Beatrix das hätte durchmachen müssen. »Maynard blutet wahrscheinlich stark«, sagte sie. »Und du weißt ja, mir macht das nicht soviel aus wie dir. Es ist besser, wenn ich gehe.« Außerdem ist es meine große Chance, Großmutter zu beweisen, daß das Ganze nicht meine Schuld ist. Wenn ich Maynard retten kann ...

»Aber was ist, wenn er stirbt?« fragte Beatrix mit zitternder Stimme, so als hätte sie Linneas Gedanken erraten.

Linnea wollte lieber nicht daran denken. »Komm mit, Norma. Wir müssen uns beeilen. Rasch, Bea. Wir müssen unsere Kleider tauschen. Dann sperrst du dich hier ein und öffnest niemandem, außer es ist jemand von uns.«

Beatrix zögerte einen Augenblick, und Linnea wußte, warum. Sie hatten seit vielen Jahren nicht mehr die Rollen getauscht. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte ihre Großmutter ihnen diesen Streich verboten. Das eine Mal, daß sie es trotzdem getan hatten, wurden sie hart dafür bestraft – das heißt, Linnea wurde hart bestraft. Doch schließlich stimmte Beatrix trotz ihrer Angst zu – wie immer, wenn Linnea einen ihrer gewagten Pläne ausheckte.

Es war schon immer so gewesen; Linnea war die Kühne, Furchtlose und Beatrix die Vorsichtige, die schließlich aber doch ihrer Schwester vertraute. Linnea machte es nichts aus, wenn sie für ihren Ungehorsam bestraft wurde – und sie war auch nicht verbittert darüber, daß Beatrix stets verschont wurde, denn sie wußte ja, daß ihre Schwester nur mitmachte, weil sie sie dazu anstiftete. Nein, es waren nicht allein die ungerechten Bestrafungen, die ihr weh taten – daß sie von der eigenen Familie nicht angenommen und geliebt wurde, daß sie niemals auch nur annähernd so schöne Kleider bekam wie Beatrix.

Linnea schlüpfte aus ihrem schlichten Leinenkleid, das weder mit Borten noch Stickereien verziert war. Das Kleid, das Beatrix ihr reichte, war aus feiner tiefgrüner Wolle. Den Ausschnitt zierte eine goldene Borte, und der schmale Gürtel, den sie trug, stellte allerlei Fabelwesen dar. Sie streifte das wunderschöne Kleid über ihr grobes Hemd und vergaß für einen Augenblick die unglückseligen Umstände, die sie zu diesem Tausch zwangen. Fast hätte sie glauben können, daß sie die erstgeborene Tochter war, wenn sie ein so schönes Kleid trug – und dabei war es bei weitem nicht das beste Stück, das Beatrix besaß. Doch selbst Beatrix' einfachstes Kleid war immer noch feiner als Linneas allerschönstes.

Linnea strich das Kleid glatt, bevor sie sich den Gürtel umband. Erst als sie ihren dicken Zopf zurechtrückte und zu Beatrix hinüberblickte, kehrte sie wieder in die Wirklichkeit zurück.

So sah sie also in ihren einfachen Kleidern aus! Nein, das konnte nicht sein – und für einen Augenblick fürchtete sie, daß ihre List fehlschlagen würde. Denn selbst in diesem schlichten Arbeitskleid sah Beatrix immer noch wunderschön aus. Bestimmt würde man den Schwindel rasch bemerken.