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Eine junge Frau wird mit einem Strick um ihren Hals an den "Stöpsel" gebunden aufgefunden. Dieser befindet sich im Watt vor Tossens. Niemand weiß, wer sie ist oder woher sie kommt. Gemeinsam mit den Oldenburger Kollegen der Mordkommission beginnen die Ermittler ihre Arbeit. Werden die Identität und Umstände des Todes der Frau aufgeklärt und was hat die Vergangenheit damit zu tun?
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Seitenzahl: 61
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Tossens, 1999
Kapitel 1, Tossens 2021
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
20.03.1999
30.03.1999
10.04.1999
25.04.1999
8.05.1999
11.08.1999
20.08.1999
30.08.1999
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Im Nordseebad Tossens am Jadebusen schien die Hektik der restlichen Welt noch nicht angelangt zu sein.
Viele Urlauber kamen über das ganze Jahr verteilt, genossen die Ruhe, welche hier am Meer herrschte. Egal, ob es sonnig war und man an der See verweilen konnte oder man an kälteren sowie regnerischen Tagen in einem Restaurant saß, mit dem Rad fuhr oder ein Museum besuchte.
Der heutige Tag war sehr stürmisch, kaum jemand hatte sich nach draußen verirrt. Der Wind peitschte kalt und der Regen kam in vereinzelten, heftigen Schüben auf die Erde hinunter. Einzig eine junge Frau saß in einem der Strandkörbe, welche auf einer dem Strand angrenzenden Wiese standen. Sie lag darin. Über ihren langen, schwarzen Haaren, befand sich eine Mütze. Ihre wä11ssrig grünen Augen waren auf das vor ihr liegende Meer gerichtet.
Die graue See schlug hohe Wellen, die klatschend gegen die schräg liegenden Erhöhungen aus grauen Pflastersteinen peitschten und zu versuchen schienen, den oben gelegenen Fußgängerweg zu erreichen. Es wirkte, als würde der Himmel die tosende See mit einem heftigen Regenschauer bei ihrem Vorhaben unterstützen wollen. Die Wolken, welche schwer am Himmel hingen, sahen aus, als würden sie gleich in die tosende See stürzen. Der Himmel und die See schienen farblich übergangslos ineinander überzugehen.
Gedankenverloren wanderte die Hand der jungen Frau unter ihren dicken, schwarzen Pullover und fasste an ihren Bauch. Es war immer noch zu unglaublich, dass es wahr sein konnte. Sie trug ein kleines Leben unter ihrem Herzen. Das Baby, das in ihrem Körper heranwuchs, war schon nicht mehr so klein. Im vierten Monat sei sie, hatte der Arzt gemeint. Ein leichtes Lächeln huschte ihr über die Lippen. Sie war so erstaunt über das Aussehen des kleinen Menschen. Er hatte Arme, Beine, sogar Finger und Zehen, konnte man auf dem Schwarz-Weiß-Bild erkennen, sowie das Gesicht.
Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber sie dachte, das Baby würde sie treten. Ging das überhaupt schon? War der Fuß des Kindes nicht noch etwas zu klein, dass man den Tritt spüren konnte? Vielleicht sollte sie sich ein passendes Buch kaufen, da sie davon keine Ahnung hatte. Zwar hatte sie etwas Angst vor dem, was kommen würde, doch auf der anderen Seite freute sie sich unglaublich. Zärtlich strich sie sich über ihren Bauch und lächelte versonnen.
„Moin und herzlich willkommen bei der Wattwanderung zum Butjadinger Stöpsel. Mein Name ist Hein. Im Watt duzen wir uns normalerweise gegenseitig, ich hoffe, das ist für jeden von euch in Ordnung.“
Der Mann blickte sich einen Moment schweigend um. Nachdem von keiner Seite ein Einwand kam, fuhr er fort: „Unsere Tour geht zum Stöpsel und anschließend durch die Austernbank zurück ans Festland. Wenn ihr nach rechts seht, könnt ihr den Stöpsel bereits erkennen.“
In der Ferne war ein kleiner Würfel zu sehen. Die Menschen sahen interessiert zu ihrem Ziel am Horizont.
„Nun aber genug der Worte. Gehen wir mal los!“
Über das schon fast wie gemalt aussehende Watt machte sich die Gruppe auf den Weg zum „Stöpsel“. Auf dem ganzen Watt verteilten sich die Ausscheidungen der Wattwürmer, die wie graue Spaghettihaufen aussahen und die Trichter, welche Herzmuscheln verursachten. Die Wattschuhe, die an Socken mit Noppen darunter erinnerten, trug jeder Teilnehmer der Wattwanderung. Sie ermöglichten einen schnelleren Schritt, ohne dass einem die zerbrochenen Muschelsplitter, welche sich im gesamten Watt verteilten, schmerzhaft in die Fußsohlen schnitten und doch dafür sorgten, dass man den Untergrund mit den Sohlen spürte.
Als die Gruppe etwa zwanzig Minuten vom Festland entfernt war, blieb der Wattführer stehen und sagte: „Seid bitte ganz still und horcht.“
Alle taten wie ihnen geheißen. Nach einigen Momenten fragte der Wattführer: „Was hört ihr?“
„Nichts“, antwortete eine junge Frau.
„Das ist die Stille des Watts. Sie ist sehr entspannend, wenn man sie auf sich wirken lässt. Versucht doch einmal, den Weg in stillem Horchen fortzusetzen und nehmt die Geräusche des Watts in euch auf.“
Die Gruppe setzte sich in einvernehmlicher Ruhe wieder in Bewegung. Ab und an standen sie zusammen und der Wattführer erzählte. Gerade blieben sie erneut stehen und Hein hob eine den Weg entlang gehende Krabbe hoch.
„Hier seht ihr eine typische Nordseekrabbe. Sie ist noch jung, was man an der hellen Farbe ihres Panzers erkennt. Je älter sie werden, desto dunkler und härter wird der Schutzmantel. Dann schauen wir mal nach, ob es eine Lütte oder ein Lütter ist“, sagte der Wattführer.
„Ein Mädchen.“
„Woher weißt du das?“, fragte ein junger Mann, der zu der Sorte Menschen gehörte, die ihm im Vorfeld keine Gelegenheit gaben, es zu erklären.
„Hier, unten am Bauch hat sie eine Handtasche. Merkt euch immer, die Frauen tragen ihre Handtasche und die Männer haben einen Leuchtturm am Bauch.“
Hein setzte die kleine Krabbe ab, welche sich direkt daran machte, sich im Sand zu vergraben, um Schutz vor Möwen und anderen Fressfeinden zu suchen.
Einer der Männer wollte sich gerade eine schön geschwungene Schneckenmuschel ans Ohr halten, als Hein mit seiner brummenden Stimme sagte: „Das würde ich nicht tun.“
„Wieso?“, fragte der Angesprochene verwirrt.
„Kiek mal rein!“
Der junge Mann tat wie ihm geheißen und sah in die Muschel.
„Huch“, rief er aus, als sich lange, zarte Beine und ein Paar große Glubschaugen zu Tage begaben.
„Das ist der Bewohner der Muschel, ein Einsiedlerkrebs. Hättest du sie dir ans Ohr gehalten, hätte er sich zum Umzug entscheiden können.“
Ein allgemeines Gelächter ertönte, der Mann wurde rot und legte die Muschel zart wieder ab.
„Natürlich wäre es auch möglich gewesen, mit ihm zu diskutieren, wenn du die Muschel hättest behalten wollen. Aber lass dir gesagt sein, solche Einsiedlerkrebse sind sehr langatmig.“
Die Gruppe setzte ihren Weg fort.
„Nun kommen wir zum Stöpsel“, begann Hein seine Ausführung, als sie an selbigem angelangt waren.
„Der Stöpsel ist das übrig gebliebene Fundament des alten Oberfeuers Sengwarden, welches im Jahre 1939 erbaut wurde. Es wurde im Laufe der Entwicklung der Wasserstraßen rückgebaut. Doch das Fundament ist immer noch sehr resistent. Mit den Jahren hat sich die Geschichte entwickelt, dass das gesamte Wasser bei Ebbe durch den Stöpsel abläuft, wie in der Badewanne. Wenn wir nun auf die Rückseite gehen, seht ihr die in einer Steinummantelung eingearbeitete Jahreszahl des Erbauungsjahres.“
Die Teilnehmer bestaunten das Monument, welches sich hoch über ihre Köpfe erstreckte. Es bestand aus roten Ziegelsteinen. Eisengriffe waren in den Bau eingelassen, um einen Aufstieg zu ermöglichen. Allerdings schien dies nicht empfehlenswert, da der „Stöpsel“ gut erkennbar mit ätzender Möwenkacke übersäht war.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Doch bevor sie um den „Stöpsel“ gegangen waren, durchschnitt ein markerschütternder Schrei die Stille des Watts. Hein, der sich mit einer älteren Dame am Ende der Gruppe unterhalten hatte, sprintete zum Ausgangspunkt des Schreis. Angst durchzuckte seinen Körper, da er dachte, es habe sich jemand verletzt. Doch was er dann auf der anderen Seite des „Stöpsels“ sah, hätte er sich niemals vorstellen können.