Das wilde Netzwerk - Daniel Miller - E-Book

Das wilde Netzwerk E-Book

Daniel Miller

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Beschreibung

Traditionell beschäftigen sich Ethnologen mit Verwandtschaftsnetzwerken, Bräuchen und Mythen bestimmter Gruppen von Menschen. Doch was passiert, wenn wir einen immer größer werdenden Anteil unseres Lebens nicht mehr mit physischer Interaktion, sondern im virtuellen Raum des Internets verbringen? Wenn ein soziales Netzwerk wie Facebook fast 650 Millionen Mitglieder hat? Daniel Miller guckt in seinen Fallstudien, die er – ein Anknüpfungspunkt an die klassische Anthropologie – in Trinidad durchgeführt hat, Facebook-Nutzern über die Schulter. Er trifft einen Mann, dessen Ehe online vor seinen Augen zerbricht, auf Manager, die ihre gesamte Unternehmensstrategie auf diese Plattform ausgerichtet haben, und auf ältere Menschen, denen Facebook es erlaubt, auch weiterhin am wirklichen sozialen Leben teilzuhaben.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 276

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Traditionell beschäftigen sich Ethnologen mit Verwandtschaftsnetzwerken, Bräuchen und Mythen bestimmter Gruppen von Menschen. Doch was passiert, wenn wir einen immer größer werdenden Anteil unseres Lebens nicht mehr mit physischer Interaktion, sondern im virtuellen Raum des Internet verbringen? Wenn ein soziales Netzwerk wie Facebook fast 800 Millionen Mitglieder hat? Daniel Miller kuckt in seinen Fallstudien, die er auf Trinidad durchgeführt hat, Facebook-Nutzern über die Schulter. Er trifft einen Mann, dessen Ehe online vor seinen Augen zerbricht, einen schüchternen Jungen, der erst beim Online-Spiel Farmville richtig aufblüht, und auf einen älteren Mann, dem Facebook es erlaubt, auch weiterhin am wirklichen sozialen Leben teilzuhaben.

 

Daniel Miller, geboren 1954, lehrt Ethnologie am University College in London. In den letzten Jahren hat er eine Reihe vielbeachteter empirischer Studien – etwa über Au-pair-Mädchen und -Jungen, Jeans oder Mobiltelephone – und eine Theorie des Einkaufens vorgelegt. Im Suhrkamp Verlag erschienen: Der Trost der Dinge. Fünfzehn Porträts aus dem London von heute (es 2613) und Weihnachten. Das globale Fest (2011).

Das wilde Netzwerk

Ein ethnologischer Blick auf Facebook

 

Daniel Miller

 

Aus dem Englischen von Frank Jakubzik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suhrkamp

Die edition unseld wird unterstützt durch eine Partnerschaft mit dem Nachrichtenportal Spiegel Online. www.spiegel.de

 

Die englische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Tales from Facebook bei Polity Press (Cambridge). Der Autor hat aus den dreizehn Porträts der englischen Ausgabe für die Veröffentlichung in dieser Reihe sieben ausgewählt sowie den theoretischen Teil gekürzt und überarbeitet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© der deutschen Übersetzung Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Deutsche Erstausgabe

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photographie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Nina Vöge und Alexander Stublić

 

eISBN978-3-518-76350-6

www.suhrkamp.de

Das wilde Netzwerk

Inhalt

 

Vorwort

 

Erster Teil: Sieben Porträts

1 Eine virtuelle Scheidung Vor unseren Augen zerbricht Marvins Ehe. Ist Facebook daran schuld?

2 Das Buch der Wahrheit Vishala erläutert, warum man bei Facebook mehr über einen Menschen erfährt, als wenn man ihm in der Realität begegnet.

3 Die Früchte von Farmville Der schüchterne Arvind erntet virtuelle Freundschaften.

4 Gemeinschaften Alana vergleicht Facebook mit der Dorfgemeinschaft, in der sie aufgewachsen ist und bis heute lebt.

5 Ein Mann mit Zeit Der wegen einer Krankheit ans Haus gefesselte ehemalige Menschenrechtsanwalt Dr. Karamath wird auf Facebook wieder aktiv.

6 Avatar Ajani erläutert, warum sie sich auf Facebook exponiert, um ihr Privatleben zu schützen.

7 Die Historikerin Nicoles Leben ist untrennbar mit der Geschichte von Facebook verwoben.

Zweiter Teil: Ein ethnologischer Blick auf Facebook

1 Facebook und die Folgen. Fünfzehn Thesen

2 Der Ruhm von Facebook

Schlußfolgerung

Glossar

Danksagung

Vorwort

Im sechsten Jahr seines Bestehens hat Facebook Google als weltweit meistbesuchte Seite im Internet abgelöst. Unternehmensangaben zufolge sind derzeit über 500 Millionen User aktiv, die Hälfte von ihnaen loggt sich täglich ein.1 Jeden Monat werden drei Milliarden Photos hochgeladen, pro Tag etwa sechzig Millionen Statusmeldungen gepostet. Ein Facebook-User hat im Durchschnitt 130 Freunde und verbringt täglich knapp unter einer Stunde auf der Seite. Doch diese Zahlen werden uns in diesem Buch nicht beschäftigen. So beeindruckend die Statistiken auch sein mögen, mir geht es um das, was am anderen Ende des Spektrums passiert – bei denen, die Facebook nutzen, ihren Freunden und Familien. Das vorliegende Buch ist eine ethnologische Studie über die Auswirkungen sozialer Netzwerke auf den Alltag gewöhnlicher Menschen. Inwiefern hat sich ihr Leben durch Facebook verändert? Wie wirkt sich die Seite auf die Beziehungen aus, die ihnen am wichtigsten sind? Ist Facebook so etwas wie eine Gemeinschaft? Verändert es das Selbstverständnis der Nutzer? Warum machen diese sich kaum Gedanken über den Verlust ihrer Privatsphäre?

Viele Kritiker gehen irrigerweise davon aus, daß die Ursprünge von Facebook auch seine Zukunft bestimmen werden. Bekanntlich richtete sich die Seite zunächst ausschließlich an Studenten. Doch das spielt für die Dinge, um die es in diesem Buch geht, kaum mehr eine Rolle. Im Jahr 2010 (als ich die empirischen Studien für diesen Band abschloß) zeichnete sich erstmals ab, daß Facebook für ältere oder ans Haus gebundene Menschen, die keine anderen Möglichkeiten der Gesellung haben, unter Umständen bedeutsamer sein kann als für Studenten. Deshalb wird der Schwerpunkt unserer Betrachtung nicht auf dem liegen, was Facebook einst war, sondern auf der Frage, wozu es sich möglicherweise entwickeln wird. Da Facebook in den USA gegründet wurde, stammen auch die meisten Untersuchungen über seine Wirkung von dort. Inzwischen ist das Netzwerk jedoch längst ein globales Phänomen, über siebzig Prozent der User leben außerhalb der Vereinigten Staaten. Jede Untersuchung muß diese zunehmende Diversität berücksichtigen.

Einen ethnologischen Blick auf Facebook zu werfen drängt sich in gewisser Weise auf. Schließlich begreift die Ethnologie, im Gegensatz zu anderen Disziplinen, den Menschen nicht als isoliertes Einzelwesen, sondern als Knotenpunkt seiner Interaktionen mit anderen. Schon lange vor der Erfindung des Internet haben Ethnologen das Individuum als »soziales Netzwerk« betrachtet. Daher muß ein neuartiges Ding, das diese Bezeichnung trägt, für sie von besonderem Interesse sein. Am 21. April 2010 kündigte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg auf der jährlichen Entwicklerkonferenz f8 (lies: fate, Schicksal) zukünftige Veränderungen der Seite mit den Worten an: »Wir wollen ein Netzwerk, das von Grund auf sozial ist.«2 Angesichts der Tatsache, daß sich das Gemeinschaftsleben und die sozialen Beziehungen nach allgemeiner Auffassung seit über hundert Jahren im Niedergang befinden, ist diese Umkehrung eines langlebigen Trends erstaunlich – und um so relevanter für die Voraussetzungen und Möglichkeiten ethnologischer Forschung.

Die Ethnologie betrachtet globale Phänomene gerne aus lokaler Perspektive, und Facebook hat im Zuge seiner Ausbreitung eine enorme Diversifizierung durchgemacht. Aus ethnologischer Sicht gibt es daher nicht nur ein Facebook, sondern viele – entsprechend dem Gebrauch, den Menschen in unterschiedlichen Regionen von der Seite machen. Dieses Buch ist auf Trinidad angesiedelt, weil ich zeigen wollte, daß Facebook nicht nur das ist, was man sich in den USA oder in Großbritannien oder Deutschland darunter vorstellt. Der Schauplatz ist geeignet, uns die zunehmende Heterogenität des Netzwerks vor Augen zu führen. Die Verschiebung aus der gewohnten Umgebung soll es dem Leser außerdem erleichtern, über die Auswirkungen sozialer Netzwerke auf sein eigenes Leben nachzudenken. So mag der Schauplatz zwar Trinidad sein, doch liegt der Fokus auf konkreten Menschen, deren Sorgen und Nöte uns durchaus vertraut sind. Wir erfahren etwa, welche Folgen Facebook für eine Ehe haben kann, womit junge Leute ihre Nächte verbringen und wie man beurteilt, ob die Selbstdarstellung eines Facebook-Mitglieds wahrhaftig oder pure Fassade ist.

Trinidad ist eine karibische Insel unmittelbar vor der Küste Venezuelas. Zusammen mit der kleineren Insel Tobago bildet sie den Staat Trinidad und Tobago. Anstatt den vor Ort üblicheren Ausdruck »Trinbagonier« zu benutzen, spreche ich hier nur von »Trinis«, da sich meine Untersuchung auf Trinidad beschränkte. Die Insel ist knapp 5000 Quadratkilometer groß, was bedeutet, daß man sie im Auto an einem Tag umrunden kann. Die Ureinwohner wurden von spanischen Kolonialisten weitgehend ausgerottet. Das Land stand erst unter französischer, dann unter britischer Herrschaft, bis es 1962 die Unabhängigkeit erlangte. In Trinidad und Tobago leben derzeit rund 1,3 Millionen Menschen, rund vierzig Prozent stammen von afrikanischen Sklaven ab, weitere vierzig Prozent von zwangsverpflichteten Kontraktarbeitern aus dem südasiatischen Raum; die Vorfahren der übrigen kamen aus einer Vielzahl von Ländern und Regionen, unter anderem aus China, Madeira und dem Libanon.

Ich führe seit mehr als zwanzig Jahren Feldstudien auf Trinidad durch und habe bereits drei Bücher über die Insel geschrieben. Für das vorliegende Buch habe ich die Facebook-Aktivitäten der Trinis ein Jahr lang im Internet und zusätzlich zwei Monate lang, von Dezember 2009 bis Januar 2010, vor Ort erforscht. Die Beschäftigung mit Facebook ergab sich aus einer umfangreicheren Studie, in der ich zusammen mit Mirca Madianou von der Universität Cambridge die Auswirkungen der neuen Medien auf die Kommunikation über große Entfernungen hinweg untersuche. Zur Zeit der Niederschrift dieses Buches hatten 26 Prozent der Trinidader einen Facebook-Account, 54 Prozent der User waren Frauen.3 Was den Anteil der Facebook-Nutzer unter den Menschen mit Internetzugang betrifft, lag Trinidad 2008 weltweit auf Rang zwei hinter Panama.4 So zeigte sich vor Ort denn auch, daß außer in sehr armen Regionen praktisch jeder im High-School- und College-Alter bei Facebook ist.

Der erste Teil dieses Buchs besteht aus sieben Porträts. Sie beruhen auf Interviews und Beobachtungen, doch habe ich in den meisten Fällen Details geändert und Material von anderen Teilnehmern ergänzt, um die Anonymität der Beteiligten zu wahren. Stilistisch orientieren sich die Porträts eher an Kurzgeschichten oder Reiseberichten als an wissenschaftlicher Essayistik, was die Lesbarkeit erhöhen soll. Das mag jenen etwas Geduld abfordern, die das Buch aus akademischem Interesse lesen. Im zweiten Teil werden die aus den Porträts gewonnenen Erkenntnisse dann wissenschaftlich aufgearbeitet. Allerdings hoffe ich, daß auch dieser Teil für das allgemeine Publikum ebenso lesbar wie interessant sein möge. Im ersten der beiden eher theoretischen Essays versuche ich in fünfzehn tastenden Thesen anzudeuten, welche Folgen Facebook für unser Zusammenleben haben könnte.5 Im abschließenden Essay vergleiche ich dann die Ergebnisse unseres Projekts mit denen einer klassischen ethnologischen Studie über die Bewohner einer Insel an der Küste Papua-Neuguineas.

Aufgrund des Wesens sozialer Netzwerke muß man davon ausgehen, daß die in diesem Buch angestellten Überlegungen jederzeit teilweise obsolet werden können, wenn Facebook sich verändert oder etwas anderes an seine Stelle tritt. In jedem Fall bleibt es jedoch eine ethnologische Studie über Menschen als Knotenpunkte sozialer Netze.

Und warum gerade Trinidad?

Manche Leser erwarten womöglich, daß die Facebook-Nutzung auf Trinidad in diesem Buch auf globale beziehungsweise amerikanische Vorbilder zurückgeführt wird. Schließlich ist Trinidad nur eine winzige, randständige Insel, umtost von gewaltigen Stürmen, die von den Großmächten herüberwehen. Folglich kann man das »echte«, das »eigentliche« Facebook natürlich nur in seinem Ursprungsland, den USA, erforschen, während die Nutzung des Netzwerks andernorts wenig authentisch, epigonal, bloße Nachahmung bleiben muß. Solche Auffassungen sind vor allem in den Cultural Studies und der Soziologie verbreitet. In meinen Augen hat die Ethnologie jedoch vor allem die Aufgabe, uns die Dinge aus anderen Blickwinkeln zu zeigen.

Diese Auffassung hat bereits meine früheren Bücher geprägt. So gingen Don Slater und ich bei unserer Studie zur Internetnutzung auf Trinidad davon aus, daß es so etwas wie das Internet nicht gibt, da unterschiedliche Nutzer ganz unterschiedlichen Gebrauch von seinen Möglichkeiten – Surfen, E-Mails, Instant Messaging und so weiter – machen.6 Demnach war für uns das Internet stets das, was die jeweiligen User, im Rahmen einer ethnologischen Studie auf Trinidad also die Trinidader, damit anstellten. Auf diese Weise untersuchten wir, wie sich die örtlichen Gegebenheiten im Umgang mit dem Medium widerspiegelten. Mein Ausgangspunkt dabei war und ist, daß Trinidad nicht irgendeine epigonale Peripherie, sondern der Nabel der Welt ist. So habe ich einmal Coca-Cola im Titel eines Aufsatzes als »schwarze Limonade aus Trinidad« bezeichnet, weil Coke in Trinidad vor allem mit Rum getrunken wird und zudem in Abhebung von orangefarbenen oder roten Limonaden ethnische Unterschiede markiert, was mir wichtiger schien als ihre Herkunft aus den USA. Ein solcher Ansatz hat den Vorzug, vorschnelle Pauschalisierungen in Frage zu stellen. Wie ich andernorts gezeigt habe, folgt selbst die Wirtschaft auf Trinidad eigenen Regeln, die so weder in Ökonomielehrbüchern stehen noch der Theorie des Kapitalismus entsprechen und deren Auswirkungen im Wirtschafts- und Finanzbereich durchaus widersprüchlich sind.7 So sind die größten transnational agierenden Konzerne auf Trinidad einheimische Unternehmen, die weite Teile der karibischen Wirtschaft dominieren und sogar nach Florida exportieren.

Aus dem gleichen Grund werde ich hier zuweilen von »Fasbook« statt von Facebook sprechen, weil das die auf Trinidad übliche Bezeichnung ist (vgl. Glossar, S. 215). Zwar hat Mark Zuckerberg ein Netzwerk namens Facebook erfunden, doch haben es die kreativen Trinidader in Fasbook verwandelt. Und vor ihrer Kreativität und ihrem Scharfsinn habe ich schon lange den größten Respekt. Konversationen zwischen Trinis sind nach meiner Erfahrung wortgewandter, lustiger und profunder als die Alltagsgespräche in allen anderen Ländern, in denen ich gewesen bin (und da Trinis nicht zu übertriebener Bescheidenheit neigen, würden sie mir darin wohl zustimmen). Die meisten Trinis, die in den vergangenen Jahrzehnten nach Großbritannien migrierten, waren Juristen, Ärzte oder andere Fachleute. Sie haben großen Ehrgeiz und sind gewöhnlich erfolgreicher als die Einheimischen. Allerdings ist das nur ein Teilaspekt, da es daneben ein ganz anderes Trinidad gibt. Die einen bestehen als Kinder die schweren Zugangsprüfungen, werden an einer der renommierten High Schools angenommen und schneiden bei den Examina häufig so gut ab, daß sie ein Vollstipendium an einem US-College ihrer Wahl erhalten, falls sie das wollen. Die meisten international bekannten Intellektuellen aus Trinidad haben solche Schulen besucht, etwa der Kulturwissenschaftler C. L. R. James und der Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul. Wie diese Namen andeuten, ist dabei der Anteil der afrikanisch- bzw. indischstämmigen Bevölkerungsgruppen etwa gleich. Die meisten Trinis schaffen es jedoch nicht an solche Schulen, was weitaus schlechtere Lebensaussichten zur Folge hat. Allerdings verfügen auch die Bewohner der Armenviertel nach meinen Erfahrungen über eine bessere Allgemeinbildung und mehr Unternehmungsgeist als die entsprechenden Bevölkerungsschichten in jedem anderen Land, das ich kenne.

Auch deshalb neige ich dazu, neue Kommunikationstechnologien gerade auf Trinidad zu erforschen. Ich vermute, daß man dort nicht nur anders, sondern auch in mancherlei Hinsicht zukunftsweisend mit ihnen umgehen wird. So mag es zwar das Unternehmen Facebook sein, das die Infrastruktur des Netzwerks vorantreibt, doch es sind die Menschen an Orten wie Trinidad, die Ideen darüber entwickeln, was sich mit dieser Infrastruktur anfangen läßt.

Daß Trinidad einen besonderen Zugriff auf die Möglichkeiten der Moderne hat, ist auch historisch bedingt. Zum einen entstand dort durch das abrupte Ende von Sklaverei und Kontraktarbeit ein besonderes Gefühl für Freiheit, das weniger von Konservatismus geprägt ist als in Weltregionen, in denen sich der soziale Status der Landarbeiter nur allmählich verändert hat. Zum anderen hat es auch nicht geschadet, daß Trinidad eines der ersten erdölproduzierenden Länder der Welt war und die erwirtschafteten Profite ins Bildungssystem investierte. Insofern bin ich zuversichtlich, daß einige der hier für Trinidad beschriebenen Trends sich dank der Verzögerung, die die Herausgabe eines Buches mit sich bringt, inzwischen auch an gewöhnlich weniger innovativen Orten wie London oder Los Angeles abzuzeichnen beginnen. Wir werden ja sehen.

1

  

Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches waren es bereits 800 Millionen User; vgl. dazu die Angaben unter: {http://www.facebook.com/press/info.php?statistics} (Stand: November 2011) (Anmerkung des Übersetzers).

2

  

Nachzulesen unter: {http://news.bbc.co.uk/2/hi/technology/8590306.stm} (Stand: Oktober 2011).

3

  

Vgl. dazu die Informationen unter: {http://www.facebakers.com/count ries-with-facebook/TT/} (Stand: August 2010). Im Oktober 2011 nennt die Seite 36 Prozent Facebook-Mitglieder, davon 53 Prozent Frauen. Über 90 Prozent derer, die auf Trinidad über einen Internetzugang verfügen, sind auch bei Facebook.

4

  

Vgl. dazu die Informationen unter: {http://thekillerattitude.com/2008/06/facebook-statistics-and-google-motion.html} (Stand: Oktober 2011).

5

  

Der Fokus bleibt dabei auf den Nutzern. Was das Unternehmen selbst und seine Geschichte angeht, verweise ich auf das derzeit maßgebliche Buch von David Kirkpatrick, The Facebook Effect. The Inside Story of the Company That Is Connecting the World, London: Virgin Books 2010; deutsch: Der Facebook-Effekt. Hinter den Kulissen des Internet-Giganten, aus dem Amerikanischen von Karsten Petersen, München: Hanser 2011.

6

  

Daniel Miller/Don Slater, The Internet. An Ethnographic Approach, Oxford: Berg 2000.

7

  

Daniel Miller, Capitalism. An Ethnographic Approach, Oxford: Berg 1997.

Erster Teil Sieben Porträts

1 Eine virtuelle Scheidung

Für einen Moment löse ich den Blick vom Bildschirm, um durch das Fenster nach draußen zu schauen, wo ein paar Meter entfernt ein rotes Vogelhäuschen wie ein Miniaturraumschiff in der Luft schwebt. Was meine Aufmerksamkeit erregte, waren die Bewegungen eines Vogels, des auf Trinidad allgegenwärtigen Zuckervogels (oder Bananaquits) mit seinem gelben Bauch. Kurz darauf kommt ein Türkisvogel, dessen Gefieder noch intensiver leuchtet. Solche Vogelhäuschen sieht man auf der Insel überall, und wenn man Glück hat, kann man morgens einen Blick auf das irisierende Blauviolett eines Kolibris erhaschen. Die Palette kräftiger Farben der hiesigen Vogelwelt läßt an ein Korallenriff denken. Manchmal fällt es mir schwer, mich auf den Bildschirm vor mir zu konzentrieren, denn das Büro, in dem ich sitze, liegt inmitten einer Kakaoplantage in der Nähe des Zentrums der Insel. Die großen Fenster machen die Umgebung zum Panorama. Am Vormittag habe ich einen Leguan beobachtet, der meine Sichtung des Vortags ergänzte, als ich im Wald ein Aguti entdeckte, das einer Kreuzung aus Ratte und Hausschwein ähnelt.

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