Date me, Mr. Valentine - Sarah Lemme - E-Book
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Date me, Mr. Valentine E-Book

Sarah Lemme

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Beschreibung

Manchmal ist Liebe die einzige Reise, die zählt.
Aubrey Fallon ist über den Wolken zu Hause, doch eine gesundheitliche Krise zwingt die Flugbegleiterin, ihre Flügel für eine Weile zu stutzen. Zurück in ihrer ungeliebten Heimat New York City sucht sie sich widerwillig einen Aushilfsjob in einem Geschenkladen. Und ihr neuer Boss ist ausgerechnet Maverick Spoon, ihr ehemaliger Schulfreund.
Ihr Wiedersehen wirft Aubrey völlig aus der Bahn. Erinnerungen flammen auf an einen Pakt, den sie zu Jugendzeiten geschlossen hatten, während sich zwischen ihnen ein ungeahntes Knistern entfaltet – vertraut und doch voller unausgesprochener Spannung. 
Doch für Aubrey steht fest, dass sie bald wieder fliegen wird, und Maverick kämpft mit seinen eigenen Verpflichtungen und Unsicherheiten. Werden ihre unterschiedlichen Lebensstile sie erneut auseinanderreißen?

Dies ist der Auftakt der romantischen “Date Me”-Reihe von Sarah Lemme. Über 4 Jahreszeiten sorgen hier 4 Traummänner für absolute Wohlfühl-Romantik mitten aus dem Leben. Perfekt für Fans von Neuanfängen und Feel-Good-Liebesromanen.
 

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DATE ME, MR. VALENTINE

DATE ME

BUCH 1

SARAH LEMME

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Sarah Lemme

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: TE Language Services – Tanja Eggerth

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-515-1

VORWORT

Liebe*r Leser*in,

weißt du, dass dies ein magischer Moment für mich ist? Denn Date me, Mr. Valentine ist meine 10. Veröffentlichung. Wow!

Deshalb freue ich mich umso mehr, dass dieses Buch der Auftakt einer vierbändigen Reihe ist, die sich rund um den Geschenkladen The Gift in New York City dreht. Alle Geschichten sind in sich geschlossen und die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden. Was erwartet dich sonst noch? Liebe am Arbeitsplatz, wenig bis kein Spice und vier Spitznamen mit Bedeutung!

Deshalb wünsche ich dir nun viel Spaß mit den Spoon-Brüdern, von denen jeder in einem Band seine Geschichte erzählt.

Los geht es mit dem CEO von The Gift: Maverick, der seine frühere Schulfreundin Aubrey wiedertrifft, mit der er vor Jahren einen Pakt geschlossen hat. Ob sie deshalb in seinen Laden gekommen ist?

Deine Sarah

1

AUBREY

»Ms. Fallon, leider hat sich unser Verdacht bestätigt. Sie dürfen nicht mehr fliegen.«

Seit einer Woche dröhnen diese Sätze permanent wie Peitschenhiebe durch meine Gedanken. Erinnern mich immer wieder an diesen unsäglichen Arzt, der dafür verantwortlich ist, dass ich heute in Josys und Mats Wohnung im Gästezimmer hocke und lustlos durch das TV-Programm zappe, anstatt in Singapur zu shoppen oder am Great Barrier Reef zu tauchen. Vielleicht hätten wir auch eine Bootsfahrt unternommen oder die Nachtclubs unsicher gemacht. Völlig egal, Hauptsache die Welt entdecken. Wie sehr ich meine Kollegen bereits jetzt vermisse! Sicher jetten sie gerade irgendwo am anderen Ende der Welt herum, während ich im tristen New York City hocke. Wobei New York für andere ebenfalls ein begehrtes Reiseziel ist. Doch ich bin hier aufgewachsen und mich hat es schon immer in die weite Welt gezogen. Vielleicht liegt es an meinen Eltern, die sich damals nicht leisten konnten, mich auf Klassenfahrt zu schicken. Vielleicht aber auch daran, dass ich seit frühster Kindheit die Natursendungen im Fernsehen bevorzugt habe.

Länger als ein paar Tage war ich zuletzt während meiner College-Zeit in den Staaten. Denn trotz, dass New York City meine Heimat ist, bin ich frei wie ein Vogel. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwann sesshaft zu werden. Muss ich aber auch nicht. Ich habe mein Leben schließlich so gewählt, dass ich mir jede Freiheit erlauben kann. Unabhängig, ungebunden und keine Kinder. Das ist der Preis, den ich für mein Glück zahle.

Kurz bleibe ich bei einer Sendung über die Landschaft Indonesiens hängen. Tatsächlich erkenne ich einige Orte wieder und sofort fluten Erinnerungen meine Gedanken. Dort im Dschungel haben wir Affen gefüttert. Dann sind wir auf einer Raftingtour gewesen. Anschließend hat Mike Schluss gemacht. Idiot. Zum Glück hat er kurz danach die Airline gewechselt und ich musste ihn nicht mehr sehen. Beziehungen unter Kollegen sind bei meinem Arbeitgeber zwar keine Seltenheit, doch kann es anstrengend werden, wenn es nicht passt.

Mit einem Klick auf den roten Button schalte ich den Fernseher aus und seufze. Müde drücke ich den Rücken durch, der protestierend darauf besteht, dass ich mich mehr bewegen sollte. Steif und ungelenk recke ich meine Arme. Das Bett in Josys und Mats Gästezimmer ist nicht dafür gemacht, dass ich stundenlang darin fernsehe. Aber was soll ich sonst tun?

Das Grummeln meines Magens gibt mir darauf zumindest eine vorläufige Antwort und so mache ich mich auf den Weg in die verlassene Küche – noch immer im Schlafanzug, obwohl es bereits 15 Uhr ist. Beim Durchstöbern des Kühlschranks hingegen wird mir warm ums Herz. Rasch nehme ich die Dose, auf der ein Zettel mit der Aufschrift Damit du nicht verhungerst klebt, heraus und verschlinge das Kartoffelgratin mit dem Gemüse kalt. Natürlich hat Josy eine Mikrowelle, doch ich bin faul – und habe Hunger.

Anschließend gebe ich mir einen Ruck und wasche das Geschirr ab, das sich in der Spüle stapelt, seitdem Josy am Morgen zur Arbeit aufgebrochen ist. Mat ist auf Geschäftsreise in Los Angeles und wird erst in ein paar Tagen zurückkehren. So muss ich mich mit meinen Gedanken allein beschäftigen, die immer wieder um die nächsten Wochen kreisen. Ich bin Flugbegleiterin, habe keinen Job und mir fällt die Decke auf den Kopf. Es ist zum Mäusemelken.

Kurz darauf nicke ich zufrieden und stelle das Radio an. Der neue Song von Taylor Swift schallt mir entgegen und ich singe ohne nachzudenken mit. Wenn ich schon dabei bin, kann ich auch direkt den Rest des Chaos beseitigen. Wie kann Josy nur so unordentlich sein? Uns trennen Welten. Vielleicht ist das der Grund, warum ich ihr Gästezimmer höchstens sporadisch in Anspruch nehme. Trotzdem habe ich sie gern und rechne es ihr hoch an, dass sie meine Post sammelt und liebevoll nach Eingangsdatum und Alphabet der Absender ordnet, um mir damit eine Freude zu bereiten.

Gerade als ich ihre Kochbuchsammlung neu sortiert habe, höre ich, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wird.

»Huhu Sonnenschein! Bin wieder zu Hause!«, flötet sie mir entgegen und bringt einen Schwall winterlicher Luft mit hinein. Obwohl es für Januar deutlich zu mild ist, würde ich 20 Grad mehr, Sonne und Strand durchaus befürworten. So, wie es jetzt an den Orten ist, die ich laut des inzwischen nichtigen Flugplans in diesen Tagen angeflogen wäre.

»Ich merke es«, gebe ich grummelig zurück und reibe mir über die Arme, auf denen sich die feinen Härchen aufstellen.

»Ach, komm schon! Immerhin regnet es nicht. Du solltest mal an die frische Luft gehen. Das würde dir guttun.« Ihr missbilligender Blick lässt mich kalt, während sie Mütze, Schal, Handschuhe und Jacke nacheinander an die Garderobe hängt.

»Was soll ich denn draußen?«, murre ich. Vorbei ist es mit der kurzen Phase guter Laune, die ich beim Sortieren der Bücher verspürt habe. Immerhin war das sinnvoll.

»Was weiß ich? Vielleicht solltest du dir wenigstens einen Job suchen. Oder hast du genug Ersparnisse, um die Zeit deiner Krankschreibung zu überbrücken?« Verständlich, dass sie auf dem Punkt herumreitet, der mir seit ein paar Tagen durch den Kopf geht. Josy schlüpft in ihre kuschelig aussehenden Hausschuhe mit den Katzenohren und entleert die volle Einkaufstasche anschließend auf der jüngst von mir freigeräumten Arbeitsfläche.

»Ich bin Flugbegleiterin. Was anderes kann ich nicht.« Natürlich bin ich längst die Jobangebote im Internet durchgegangen, da mein Arbeitgeber mir langfristig keine Lohnfortzahlung gewährt. Ein paar Tage, ja. Aber bei Langzeiterkrankungen kennt er keinen Spaß. Immerhin hat er nichts dagegen, wenn ich mir übergangsweise einen anderen Job besorge, bei dem ich nicht fliegen muss. »Mindestens zwei Jahre Berufserfahrung ist Standard.« Ich atme tiefer durch, als ich müsste, doch das Thema nervt. Vor allem will ich mich nicht mit Josy streiten.

»Darf ich dir einen Vorschlag machen?«

Oh, oh. Wenn sie so vorsichtig anfängt, hat sie längst einen Plan. Dafür kenne ich sie zu gut.

»Kann ich dich davon abhalten?« Ich seufze und ergebe mich in mein Schicksal, während sie grinsend den Kopf schüttelt.

»Ich bin vorhin bei The Gift vorbeigekommen und habe zufällig einen Aushang gesehen. Schau mal.« Josy tippt auf ihrem Handy herum und hält mir anschließend das Display mit einem Foto hin.

Verkäufer*innen gesucht!

Du bist auf der Suche nach einem Job? Wir suchen dich!

Keine Vorerfahrung nötig. Lediglich zuverlässig solltest du sein und gut mit Kunden umgehen können. Den Rest bringen wir dir bei! Melde dich einfach im Laden.

Das Plakat wirkt grafisch professionell aufgesetzt, der Text lockt mich hingegen überhaupt nicht. Energisch schüttle ich den Kopf. »Ich bin keine Verkäuferin.«

Josy lässt sich mit ihrer Antwort Zeit und legt das Handy auf die Arbeitsplatte. »Ach komm. Während des Fluges servierst du, bedienst die Gäste und hast außerdem die Duty-free-Sachen zu verkaufen. Das ist doch fast gleich.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe, um sie nicht direkt zu korrigieren. Dann platzt es aus mir heraus. »Ich bin vollkommen überqualifiziert!« Das bedeutet nämlich, dass der Verdienst garantiert Mist ist. Außerdem … Ein Geschenkladen? Nachher muss ich dort zu Halloween verkleidet herumlaufen. Der Gedanke drückt mir den Magen zusammen.

»Du könntest wenigstens hingehen und fragen. Wenn sie dich nicht wollen, dann ist das okay. Aber größere Chancen hast du wohl nirgends. Jetzt nach dem Weihnachtsgeschäft werden die Mitarbeiter eher wieder entlassen als neu eingestellt. Zumindest in vielen anderen Läden. Doch The Gift … Die haben einen guten Ruf.«

Ob das stimmt, kann ich weder belegen noch abstreiten. »Ich weiß nicht –«

»Aubrey, du gehst jetzt duschen und dann fährst du dahin. Zur Not schleife ich dich in deinem Pyjama mit. Such es dir aus, doch ich lasse nicht zu, dass du hier wochenlang in meiner Bude sitzt und meine Kochbücher durcheinanderbringst!« Ihr ist es aufgefallen.

»Du hattest eine Ordnung darin?« Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

»Selbstverständlich! Nun muss ich alle einzeln durchgehen und schauen, ob ich alle Gerichte gekocht und gebacken habe oder noch nicht.« Ihre Augen funkeln und für einen Moment meine ich, eine gewisse Ernsthaftigkeit darin zu lesen. Vielleicht hat sie recht. Mit allem. Möglicherweise sollte ich zumindest nachfragen, ob ich vorübergehend aushelfen darf. Ein bisschen Abwechslung schadet nicht. Außerdem ist es nur übergangsweise, bis ich wieder fit bin. Also nicke ich Josy zu, gehe ins Gästezimmer zurück und durchwühle meinen Koffer nach etwas Brauchbarem für ein Vorstellungsgespräch. Neben meiner Uniform der Airline besitze ich allerdings wenig. Das kann ja heiter werden. Und damit vertage ich mein Vorhaben gedanklich auf den nächsten Tag.

2

MAVERICK

AM NÄCHSTEN TAG

»Entschuldigung, würden Sie mich bitte einmal durchlassen?« Ich schreie beinahe, doch der ungefähr 50-jährige glatzköpfige Mann schaut verständnislos auf, nur um sich wieder den beiden Tassen zuzuwenden, die mit lustigen Sprüchen eines lokalen Designers bedruckt und damit einer unserer Dauerbrenner sind. Mein Blick huscht umher. The Gift strotzt vor überfüllten Regalen mit jeglichen Geschenkartikeln, die das Herz begehrt. Von besagten Tassen über Dekomaterial bis hin zu einer gigantischen Spielzeugabteilung. Wir haben garantiert für jeden etwas.

Irgendwann – das habe ich mir zumindest vorgenommen – werde ich aufräumen. Die Regale müssen übersichtlicher werden, das Konzept klarer. Aber wann? Der Laden ist brechend voll und die Geräuschkulisse so extrem, dass ich kaum mein eigenes Wort verstehe. Ich hetze seit Stunden umher und versuche händeringend, jeden Kunden zu bedienen. Uns fehlt das Personal an allen Ecken und Enden. Falls ich gehofft habe, dass es dieses Jahr nach Weihnachten besser wird, so habe ich mich getäuscht. Es ist wie immer. Alle wollen Geschenke umtauschen, ihre Gutscheine einlösen oder irgendetwas für Geburtstage oder den nahenden Valentinstag kaufen.

»Für eine Frau oder einen Mann?«, frage ich daher den Herrn, der noch immer vor mir steht und die Tassen anstarrt. Der einfachste Weg, Kunden aus dem Weg zu bekommen, ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen – also ihnen das Geschenk aufzuschwatzen, welches sie guten Gewissens verschenken können.

»Meine Mutter. Es ist ihr 80. Geburtstag.«

Ich verziehe das Gesicht. Das ist nicht sein Ernst, oder? »Darf ich Ihnen dann zu etwas anderem raten? Wie wäre es beispielsweise mit diesem Kissen hier? Gern können wir Ihnen die aufgedruckte Schrift individuell anpassen. Dazu stehen diese Vordrucke unserer lokalen Künstler zur Verfügung.« Ich wähle aus dem Kissensortiment zwei aus und sehe seine Augen aufleuchten.

»Die habe ich ja überhaupt nicht auf meiner Ideenliste gehabt. Das ist definitiv besser als eine Tasse. Davon hat sie mehr als genug.« Er strahlt, und ich sehe, dass er keine weitere Hilfe benötigt. Außerdem ist er mir ein paar Schritte gefolgt und somit ist der Weg für mich frei. Rasch verabschiede ich mich und haste in Schlangenlinien zum Lager, um endlich das eine leere Regal wieder aufzufüllen. Die Packungen mit den künstlichen Rosenblättern sind dieses Jahr unerwartet schnell ausverkauft, doch ich bin mir sicher, dass irgendwo noch ein Rest lagert. Ansonsten haben wir den passenden Zeitpunkt zur Nachbestellung aufgrund der wochenlangen Lieferfrist verpasst. Aber falls der Artikel vergriffen ist, wieso hat unser System den geringen Warenbestand nicht angezeigt? Eine Baustelle mehr, die Aufmerksamkeit verlangt. Dabei habe ich mit Technik genauso wenig am Hut, wie ein Fisch an Land glücklich wäre. Und schlafen muss ich auch irgendwann. Immerhin ist bis zum Valentinstag noch etwas Zeit und die meisten Kunden kommen erst am entsprechenden Tag, um ein Geschenk für die Liebste zu organisieren.

Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, atme ich kurz durch, lehne mich gegen die Wand und schließe die Augen. Seit acht Stunden bin ich ohne Pause am Rennen. Langsam macht sich mein Kreislauf bemerkbar. Vielleicht muss ich mir doch eine Pause gönnen. Zumindest etwas essen. Immerhin ist es nicht im Sinne des Erfinders, dass ich hier im Lager zusammenklappe. Wenn mir dieser Laden nicht so verdammt wichtig wäre und wir weniger Kundschaft hätten, hätte ich längst kürzere Öffnungszeiten durchgesetzt. Aber seit einigen Monaten – seitdem wir drei lokale Designer gewinnen konnten, die für uns exklusive Designs anfertigen – ist es so extrem, dass wir die Kunden selten pünktlich zu Feierabend aus dem Laden scheuchen können. Immer wieder huscht einer durch die sich schließenden Türen und braucht eine ausführliche Beratung. Die geben wir ihm natürlich gern. Gleichzeitig kann ich die Kunden verstehen. Wenn es so voll ist wie jetzt, kann man sich nicht in Ruhe umsehen. Immer steht jemand im Weg, und selbst die Hinweisschilder an den Regalen sind in solchen Momenten keine Hilfe. Viel zu oft sehe ich Kunden deshalb genervt den Laden verlassen. Ob wir die Verkaufsfläche erweitern sollten? Oder braucht es lediglich eine neue Ordnung?

So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Aber eins nach dem anderen. Deshalb muss ich zunächst das dringlichste Problem angehen: mehr Personal einstellen. Doch weiter Geld in überteuerte Stellenanzeigen zu investieren, bringt nichts.

Ich seufze, streiche mir die kurzen, widerspenstigen Haare glatt und wende mich den Regalen in unserem schier unerschöpflichen Lager zu. Welch ein Chaos! Noch ein Punkt, um den wir uns beizeiten kümmern müssen.

»Suchst du was?«

Ich zucke zusammen, als Ezra, mein jüngerer Bruder und damit der zweitälteste von uns vier Geschwistern, vor mich tritt.

»Was machst du denn hier?«

»Ich brauchte kurz etwas Ruhe. Die Kunden sind heute wie die Aasgeier.« Ezra knibbelt an seiner Nagelhaut. Eine Angewohnheit, die immer bei zu viel Stress auftaucht und genauso schnell verschwindet, wenn er zufrieden ist. Sein Hemd ist verknittert, die Krawatte schief und seine Augen von tiefen Ringen umzogen. Immerhin ist bald Feierabend und damit Zeit, den Laden für heute zu schließen. Früher habe ich die Abende herbeigesehnt, mich mit Kumpels oder meinen Brüdern getroffen und die Clubs unsicher gemacht. Heute wartet außer Daisy niemand auf mich. Selbstständig zu sein bedeutet leider auch, viel zu arbeiten. Ohne diesen Fleiß stünden wir mit The Gift sicher nicht da, wo wir aktuell sind. Dennoch verstehe ich Ezra, denn seine Lieblingsbeschäftigung ist nicht das Bedienen im Laden, sondern unser Eventservice. Sein Eventservice.

Ich nicke. »Du sagst es. Aber wir müssen nach vorn. Nur so werden aus den Aasgeiern Kunden. Waylon schafft das nicht allein mit der Handvoll Leute, die uns geblieben ist. Ich hoffe, dass Jackson bald wieder da ist.« Letzterer ist der drittälteste von uns Brüdern und musste ausgerechnet jetzt eine Auszeit nehmen, um in den Bergen wandern zu gehen. Aber wie hätte ich es ihm verwehren können? Wir alle arbeiten seit Monaten bis zum Umfallen und wenn wir nicht aufpassen, fahren wir trotz allen Erfolges den Laden gegen die Wand. Immerhin hatte er die glorreiche Idee, dass wir unsere Produkte mit den Kreationen lokaler Designer zusammen aufpeppen können. Eigentlich müsste ich mir ein Beispiel an Jackson nehmen und mir ebenfalls Urlaub buchen. Vielleicht Hawaii. Surfen wollte ich schon immer lernen.

»Gab es denn überhaupt keine Bewerbung?« Ezra reißt mich aus den Gedanken. »Wo sind die Leute alle? Ich meine, so viele suchen Arbeit. Und unser Laden ist bestimmt keine schlechte Adresse. Außerdem ist Geschenke zu verkaufen doch attraktiv. Es macht die Leute glücklich.« Ezra seufzt und steckt sich den blutig geknibbelten Finger in den Mund.

»Nein. Es gab wirklich keine. Und ja, es gibt definitiv bescheidenere Jobs. Ich habe mich umgehört. Wir zahlen einen Lohn, der deutlich über dem Durchschnitt liegt. Das kann nicht der Grund sein.« Ich schüttle den Kopf. Bisher hat sich zumindest keiner der Angestellten über zu wenig Geld beklagt. Ob es dennoch daran liegt? »Ich schaue mal, was ich tun kann. Vielleicht haben wir einfach nicht die richtigen Personen mit unseren Anzeigen erreicht. Aber nun los. Die Kunden warten nicht. Weißt du zufällig, ob wir noch von diesen künstlichen Rosenblättern haben?« Immerhin ist mir der Grund meines Besuches im Lager wieder eingefallen. Ich schaue mich suchend um, doch in dem Regal, wo ich sie vermutet habe, entdecke ich nichts.

»Vielleicht dort hinten?« Er deutet auf das Regal mit der defekten und mangelhaften Ware, die wir aus dem Laden aussortiert haben. Kinderspielzeug, Scherben von Vasen und anderen Glasartikeln, unvollständige Spiele oder beschädigte Kleidungsstücke. All das sollte eigentlich längst entsorgt sein. Noch eine Baustelle, um die ich mich aus Zeitmangel nicht kümmern kann. Kein Wunder, dass unsere Bestandslisten nicht stimmen. Eine Inventur wäre dringend nötig.

»Danke. Und zieh ein neues Hemd an. So kannst du nicht zu den Kunden.« Was auch immer mit ihm los ist, so abgewrackt sah er lange nicht aus. Ob es wieder zwischen Nova, seiner Freundin, und ihm kriselt?

»Ja, Chef …« Ezra funkelt mich aus müden Augen an, doch er weiß, dass ich es nicht böse meine. Klar, ich bin der CEO unserer Firma, gleichzeitig sind wir alle in der Leitungsetage.

Ich kümmere mich um die tatsächliche Geschäftsführung und alles, was sich rund um den Valentinstag dreht. Daher weiß ich aktuell kaum mehr, welchen Tag wir haben. Zumindest ist der 14. Februar noch nicht vorbei.

Ezra ist unser Eventmanager und springt bei Bedarf dort ein, wo Not am Mann ist. Allerdings hat er zusätzlich unser großes Sommerfest vor der Brust. Mal sehen, ob wir alles stemmen können. Eigentlich bräuchte auch er dringend Unterstützung, wenn er den Geschäftszweig weiter ausbauen will. Anfragen hat er genug.

Unser Urlauber Jackson hingegen kümmert sich um die Finanzen und die Geschenkartikel für Halloween. Da wir diese jedoch ganzjährig verkaufen, hat er normalerweise ebenfalls alle Hände voll zu tun. Vor allem die Buchhaltung ist ein großer Batzen, den er besser an eine Assistentin abgeben könnte. Hoffentlich kommt er nicht auf die Idee, seinen Urlaub verlängern zu wollen, denn momentan hängt dieser große Klotz an Fleißarbeit an meinem Bein.

Last, but not least, ist unser jüngster Bruder Waylon für die PR und das Weihnachtsgeschäft zuständig. Und er macht seinen Job viel zu gut, denn sonst würden uns die Leute nicht die Bude einrennen. Wenn unter den Kunden doch ein paar dabei wären, die Arbeit suchen.

Andersrum kann ich die Menschen verstehen. Wer hier kauft, hat zumindest genug Geld für Dinge, die man nicht zwingend zum Überleben braucht. Das bedeutet gleichzeitig, dass Arbeitslose sich eher selten zu uns verirren.

Apropos suchen. Nirgends ist auch nur ein künstliches Rosenblatt zu finden. Mist. Ich ziehe das Handy aus der Tasche und scrolle durch die Kontakte, bis ich unseren Lieferanten finde. Parallel verlasse ich das Lager und lausche dem Tuten aus dem Lautsprecher.

»Mr. Valentine! Wie schön, dass du anrufst! Na, suchst du noch eine Begleitung für heute Abend?«, flötet mir die Stimme von Coopers Assistentin entgegen.

»Charleen. Ist Cooper da?« Ich verdrehe die Augen und ignoriere ihre Frage. Wenn sie nur nicht ständig in Flirtlaune wäre. Nicht, dass ich grundsätzlich etwas dagegen hätte, mich ab und an mit einer Frau zu treffen, doch sie ist absolut nicht mein Typ. Zu viel Barbie und gleichzeitig fehlt ihr das Einfühlungsvermögen. Nein, seit meiner letzten Beziehung schaue ich genauer hin, mit wem ich meine Zeit verbringe. Immerhin war ich nie der Typ für einen One-Night-Stand.

»Heute kommt er nicht mehr rein. Kann ich dir weiterhelfen?«

Ich unterdrücke ein Seufzen und erkläre ihr rasch mein Problem. »Keine Ahnung, warum plötzlich nichts mehr da ist.«

»Natürlich kann ich dir eine neue Lieferung schicken. Aber ob sie rechtzeitig vor Valentinstag ankommt, kann ich nicht versprechen. Die Lieferzeit beträgt aktuell rund vier bis sechs Wochen. Das Zeug wird ja irgendwo in Asien produziert und die kommen nicht hinterher.«

Es ist also, wie ich befürchtet habe. Ich schließe kurz die Augen und kneife mir mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel. Als ich wieder aufschaue, remple ich mit jemandem zusammen. Entschuldigend hebe ich die Hand und gehe noch zwei Schritte weiter, halte dann jedoch inne.

»Gut. Lass mir bitte 500 Pakete zukommen.« Vielleicht sollten wir auf echte Rosen umschwenken? Das wäre zumindest eine Idee für den 14. Februar. Da sucht doch jeder Mann einen Strauß Blumen. Rasch habe ich den Punkt auf meine mentale Liste gesetzt. Wohl wissend, dass ich es bis zum Feierabend wieder vergessen habe. Damit lege ich auf und wende mich dem Kunden zu, mit dem ich zusammengestoßen bin – und erstarre, als mein Blick auf den der Kundin trifft.

3

AUBREY

ZWEI STUNDEN ZUVOR

Seit einiger Zeit streife ich ziellos durch die Straßen New York Citys. Falls ich gestern noch halbwegs motiviert war, mir den Job als Verkäuferin bei The Gift zu schnappen, bin ich inzwischen so weit, dass ich trotz des Verbots in den nächstbesten Flieger steigen möchte. Immerhin habe ich Josys Wohnung verlassen, bevor sie von der Arbeit zurückgekehrt ist. Sie hätte mir in jedem Fall die Hölle heißgemacht, und anlügen will ich sie nicht. Fakt ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, irgendwo als Verkäuferin zu arbeiten. Nicht, dass dieser Job verkehrt wäre, im Gegenteil. Aber für mich … Ich brauche Luft zum Atmen und Freiheit.

Die hohen Häuser um mich herum erdrücken mich, die dichte Wolkendecke tut ihr Übriges. Seit Tagen hat kein Sonnenstrahl die Erde erreicht. Nur die Vögel, die längst nicht mehr gen Süden ziehen, tirilieren eifrig in den kahlen Bäumen, während die Tauben auf dem Boden gurrend nach irgendetwas Essbarem suchen.

Vogel müsste man sein. Die können wenigstens jederzeit in den Himmel fliegen und die Welt von oben betrachten. Oben, wo die Probleme kleiner werden, je weiter man sich von der Erde entfernt. Und wenn ich gehofft hatte, dass ich bald wieder abheben würde, so wurden diese Träume just zerstört. Der Arzttermin heute früh hat bestätigt, dass ich einige Zeit länger am Boden bleiben muss als erhofft. Wochen. Vielleicht Monate. Dabei ist Januar. Ausgerechnet Januar. Der schlimmste Monat im Jahr, in dem ich niemals wieder in New York City sein wollte. Denn mit dem Tod meiner Mom, der den Januar zu einer eigenen Jahreszeit macht, habe ich mir geschworen, diesem Kapitel ausschließlich mit Sonne auf meiner Haut zu begegnen. 15 Jahre ist es her und doch erinnere ich mich an Mom, als hätte sie mir gestern Brote geschmiert. Sie hat nach der Schule auf mich gewartet, hat mein Lieblingsessen gekocht und sich bemüht, mir das Leben zu ermöglichen, das sie sich für mich gewünscht hat.

Sie hat immer gesagt, dass ich das Beste wäre, was ihr jemals passiert sei. Und dann war sie einfach weg. Es ging so schnell. Nichts haben wir bemerkt. Doch als sie endlich die Wahrheit gesagt hat, war der Krebs längst zu weit fortgeschritten und metastasiert. Endstadium.

Von da an war ich auf mich gestellt. Einzig die Freundschaft zu Maverick hat mir Halt gegeben, denn mein Dad war die meiste Zeit arbeiten, wenn er seinen Kummer nicht im Alkohol ertränkt hat. Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, die Schule zu beenden und anschließend Flugbegleiterin zu werden. Ja, ich kann wirklich sagen, dass ich meinen Träumen gefolgt bin. Gleichzeitig war ich Mom so nah, wie ich konnte. Keine Ahnung, aber jeder Flug fühlt sich an, als würde sie mich in den Arm nehmen. So wie damals, als ich ein kleines Mädchen war, das sich das Knie aufgeschlagen hat.

Und nun bin ich zurück in New York City. Zurück in der Stadt, in der ich niemals länger als ein paar Tage bleiben wollte. Aufenthaltsdauer ungewiss. Ein Stich zieht durch mein Herz. Ich schaue auf, finde mich in einer Seitenstraße wieder, die ich vor vielleicht zehn oder zwölf Jahren zuletzt betreten habe. Doch ich erkenne das Tanzstudio sofort. Das Fitnessstudio gegenüber ist jedoch neu. Die Muckibuden sind in den vergangenen Jahren zu einem Trend für jedermann geworden, den ich kaum nachvollziehen kann. Es ist hip, dass auch Oma Augustine und Tante Mary ihre schwindenden Muskeln bewegen, wohingegen die muskelbepackten Jungs sich in die Hinterhöfe zurückziehen. Nun, mir soll es recht sein, denn ich bevorzuge Sport mit dem eigenen Körpergewicht. Mehr ist nicht notwendig.

Kurzentschlossen betrete ich das Tanzstudio. Musik schallt aus den Räumen. Offensichtlich laufen ein Hip-Hop-Kurs und ein Standardkurs parallel, denn der Walzertakt ist unüberhörbar. Natürlich kenne ich die junge Frau hinter der Theke nicht, dennoch lächelt sie mir entgegen, als sie mich entdeckt.

»Hey! Willkommen! Wie kann ich dir weiterhelfen?«

»Hallo. Ich, ähm …« Suchend schaue ich an die Wand, wo die Bilder mit den Tanzlehrern aufgelistet sind. Alle Gesichter sagen mir auf den ersten Blick nichts. Auch scheinen die meisten von ihnen jünger zu sein als ich.

Dann gebe ich mir einen Ruck. »Ich habe vor ungefähr zwölf Jahren hier einen Poledance-Kurs besucht. Gibt es den noch?«

Die junge Frau mit den schwarzen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz frisiert hat, nickt heftig, sodass ihr Zopf lustig mitwippt. »Ja, den gibt es tatsächlich noch. Allerdings nur einmal pro Woche. Morgen Abend wieder. Charly leitet den Kurs.« Sie deutet auf das Foto einer durchtrainierten Frau Anfang 20, die lässig an der Stange lehnt. Natürlich. Darauf hätte ich selbst kommen können.

»Ist dort noch ein Platz frei?« Die Eingebung kommt mir spontan, denn wenn ich für ein paar Wochen hier festhänge, brauche ich unbedingt einen Zeitvertreib. Und eine Stunde Poledance pro Woche muss drin sein.

»Ja klar! Kostet pro Monat 99 Dollar als Mitgliedschaft in unserem Studio. Hier ist das Anmeldeformular.« Sie reicht mir ein Klemmbrett mit einem Formular über den Tresen. 99 Dollar ist eine Hausnummer. Vor zwölf Jahren habe ich höchstens die Hälfte für mehrere Trainingsstunden pro Woche bezahlt. Gleichzeitig werde ich nicht allzu lange bleiben und da ist eine monatliche Kündigungsfrist besser als eine jahrelange Bindung.

Dennoch wird mir einmal mehr bewusst, dass ich einen Job brauche. Meine Rücklagen sind überschaubar, denn ich lebe im Hier und Jetzt. Schon immer war ich der Meinung, dass Geld besser ausgegeben werden kann. Wer weiß, ob ich so jung sterbe wie meine Eltern? Zumindest will ich mir nicht vorwerfen, dass ich Zeit vergeudet habe. Daher ist das Formular schnell ausgefüllt. Auch die Unterschrift ist gesetzt, bevor ich es mir anders überlege.

»Danke. Dann freue ich mich auf die erste Stunde.« Ich lächle der jungen Frau zu und wende mich dem Ausgang zu, als ich stutze.

Gerade betritt eine etwa mir gleichaltrige Frau das Tanzstudio, die Nase auf das Handy gerichtet und eine Sporttasche über die Schulter geworfen, während ihre lockige Mähne in alle Richtungen absteht.

»Clara?«, frage ich, und die Angesprochene hebt den Kopf.

»Aubrey? Was machst du denn hier? Wolltest du nicht um die Welt jetten?«

Ich gehe auf Clara zu und umarme sie. Es dauert einige Sekunden, bis ich sie wieder loslasse. »Ja, kleine Zwangspause.«

»Und da dachtest du, dass du mal vorbeischaust?« Sie lächelt und steckt ihr Handy in die Sporttasche, die sie anschließend auf den Boden stellt.

»Ich habe mich wieder für den Kurs angemeldet. Bist du auch dabei?«

»Klar. Ein paar aus der alten Runde sind ebenfalls noch hier. Aber das wirst du dann ja sehen. Ich muss jetzt leider weiter, denn mein Kurs beginnt gleich.« Clara hebt die Tasche wieder auf.

»Oh, du gibst Kurse? Ich habe dich nicht unter den Trainerinnen gesehen.« Mein Blick huscht erneut zu den Fotos.

»Ist noch ganz frisch. Habe einen Gymnastik-Kurs übernommen, als die Trainerin krankheitsbedingt ausgefallen ist. Und daraus hat sich mehr entwickelt.« In ihrer Stimme schwingt Stolz mit und ich kann es ihr nicht verübeln.

Während Clara damals schnell für Poledance-Auftritte gebucht wurde, wollte ich nie mehr als ein Hobby darin sehen. Letztendlich ist es eine Sportart, doch mit anderen messen muss ich mich nicht. Meine Challenge ist, dass ich jedes Mal etwas besser werde als beim vorherigen Training.

»Klasse. Dann will ich dich nicht aufhalten. Wir sehen uns!«

Damit verlasse ich das Tanzstudio und auch der graue Himmel draußen kommt mir nun ein bisschen freundlicher vor. Beschwingt gehe ich zurück zur Hauptstraße. Das war ein voller Erfolg. Gleichzeitig brauche ich wirklich einen Job. Josy hat recht, und es nützt nichts, wenn ich die Augen vor der Wahrheit verschließe. Und wenn ich als Verkäuferin arbeiten kann, sollte ich das tun. Kurzentschlossen schlage ich die Richtung zu The Gift ein. Endlich kann ich wieder freier atmen, denn ich weiß, dass meine Mom nie gewollt hätte, dass ich den Kopf in den Sand stecke. Das sieht mir absolut nicht ähnlich.

Meine Schuhe klackern auf den Gehwegplatten und jeder Schritt vibriert durch meinen kompletten Körper. Als es kurz darauf nieselt, ziehe ich die Mütze tiefer über die Ohren. Meine Laune kann es jedoch nicht trüben. Beinahe ist es, als hätte mir der Besuch im Tanzstudio ein wenig von meiner jugendlichen Leichtigkeit zurückgegeben.

Komme, was wolle, ich werde mir einen Job angeln. Denn wenn der Laden wirklich so dringend Personal sucht, werden sie mich mit Kusshand nehmen. Immerhin ist das Verkaufen von Geschenkartikeln keine hochkomplexe Wissenschaft.

Als ich The Gift kurz darauf erreiche, komme ich kaum durch den Eingang. Alles ist voller Menschen, die wie ein Bienenschwarm durcheinanderwuseln.

»Entschuldigung. Gibt es hier etwas umsonst?«, frage ich die nächstbeste Person, einen jungen Burschen, der einen Präsentkorb unbeschadet durch den Laden zu tragen versucht.

»Wenn es so wäre, würde man hier definitiv kein Bein mehr an den Boden bekommen. Nein, das ist hier der ganz normale Wahnsinn. Entschuldigen Sie mich, ich muss zur Kasse.«

Irritiert ziehe ich die Augenbrauen hoch. Das ist hier der Normalzustand? Na herzlichen Glückwunsch. Vielleicht sollte der Inhaber eher auf Sicherheitspersonal setzen oder einen Parkour durch den Laden arrangieren, damit wenigstens eine gewisse Laufrichtung Orientierung gibt. Verkaufsfördernde Kundengespräche werden hier in jedem Fall zu einer Herausforderung. Vielleicht ist genau dieser Punkt das Problem?

Entschlossen stürze ich mich ins Getümmel und halte nach einem Angestellten Ausschau. Ich schlängle mich durch die Menschen, bis ich heftig mit jemandem zusammenstoße.

»Uff.« Ich stoße die Luft aus und reibe mir die Rippen. Genervt drehe ich mich um, will bereits zu einer derben Antwort ansetzen, als ich innehalte. Der Mann mit Telefon am Ohr kommt mir bekannt vor. Ja, er ist älter geworden, aber die Geheimratsecken hatte er damals schon. Oder täusche ich mich?

»Maverick?«, frage ich laut über das Stimmengewirr hinweg, nicht ganz sicher, ob er es wirklich ist. Das wäre schon ein großer Zufall.

4

MAVERICK

»Maverick?«, fragt die attraktive Frau, die mir bekannt vorkommt, über den zum Glück inzwischen etwas leiser gewordenen Lärmpegel.

»Ja?«, frage ich und spüre dem vertrauten und prickelnden Gefühl in mir nach. Woher auch immer wir uns kennen, wir begegnen uns nicht zum ersten Mal. Dessen bin ich mir sicher, denn es kommt selten vor, dass Personen mich bei meinem Vornamen ansprechen. Die meisten nennen mich inzwischen Mr. Valentine. So, wie es auf meinem Namensschild steht. Ein Spitznamen-Gag, den unsere Kundschaft zu verantworten hat. Immerhin ist der Valentinstag mein Steckenpferd, obwohl ich ihn privat nie feiere. Wie auch, fehlt mir doch die passende Partnerin. Dieses Jahr wird es nicht anders sein. Trotzdem bin ich gewillt, unseren Kunden jegliche Geschenkwünsche von den Augen abzulesen. Die Frau vor mir hingegen sucht eindeutig kein Präsent.

»Ich … erkennst du mich noch?« Mit ihren High Heels reicht sie mir bis auf Augenhöhe. Ihre Kleidung ist besprenkelt mit Wassertropfen. Dennoch ist ihr kinnlanger blonder Bob akkurat frisiert. Woher kennen wir uns nur? Plötzlich kommt mir das Bild einer 15 Jahre jüngeren Frau in den Kopf. Nicht blond, sondern brünett, die Haare deutlich länger. Aber die Augen sind noch immer dieselben. Grau-grün. Und genauso wie damals könnte ich direkt wieder darin versinken, während das Kribbeln in meinem Bauch zunimmt. Sie ist es. Mein Herz legt einen Sprint ein und ich räuspere mich. Wieso habe ich sie nicht auf Anhieb erkannt? Auch nach so vielen Jahren ist sie bildhübsch.

»Deine Haare! Du hast sie abgeschnitten!«, brabble ich los. Die Worte haben schneller meinen Mund verlassen, als ich sie fertig gedacht habe. »Nicht falsch verstehen. Du siehst fantastisch aus!«, sage ich ergänzend und beiße mir auf die Lippe.

»Stimmt. Meine Frisur ist neu.« Sie grinst mich an. »Hey Maverick. Schön, dich zu sehen.«

Immerhin scheint sie mir die Bemerkung nicht krummgenommen zu haben. Rasch versuche ich, meine Gedanken zu sortieren, die wild hin und her springen zwischen der Vergangenheit und der Frau, die vor mit steht. »Ganz meinerseits. Aubrey. So eine Überraschung! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Wie geht es dir?« Immerhin bekomme ich noch vollständige Sätze raus, auch wenn sie sich für mich wirr anhören.

Meine ehemalige Klassenkameradin aus der Highschool nickt. »Gut so weit. Und selbst?«

»Ebenfalls gut. Also etwas gestresst, aber das ist ja heutzutage normal, oder?« Ich plappere. Verflucht. Das hatte ich mir in den vergangenen Jahren abtrainiert. Aubreys Anwesenheit hingegen befördert mich sofort zurück in die Schulzeit. Damals mit Zahnspange, Pickeln im Gesicht und Klamotten, die rückblickend fürchterlich sind. Aber dieses Kapitel ist vorbei.

Aubrey nickt. »Ja, hier steigt der Stresspegel von allein.« Sie zögert kurz, spricht dann jedoch weiter. »Du, so sehr ich mich freue, dich zu sehen, bevor der Laden schließt, würde ich gern mit dem Chef sprechen. Weißt du zufällig, wo ich ihn finde?«

Ich bekomme nur halb mit, was sie sagt. Noch immer bin ich gedanklich in der Highschool, wo ich das Mädchen mit den brünetten, glatten Haaren keine Sekunde aus den Augen gelassen habe. Es ist verdammt lange her. Damals haben wir jede freie Minute miteinander verbracht. Als Freunde, obwohl ich sie schon immer sehr mochte. Wir haben zusammen Hausaufgaben gemacht und sie hat mich mehr als einmal vor einer Standpauke des Lehrers gerettet.

So genau kann ich nicht mehr sagen, wann unsere Freundschaft begann. Allerdings war es für mich schon immer mehr. Mehr als nur Freundschaft, obwohl ich nie mehr verlangt habe. Ich habe es akzeptiert, wie es war. Schließlich war ich pickelgesichtig und schüchtern. Warum hätte sie mehr zulassen sollen? Wir waren jung und naiv. Zu jung für eine ernsthafte Beziehung.

»Maverick? Geht es dir gut?« Aubrey berührt mich sanft am Oberarm und ich zucke zusammen.

Schnell fokussiere ich mich, schüttle die Gedanken an die Vergangenheit ab und nicke. »Natürlich. Ich meine, ja, mir geht es gut. Ich musste an die alten Zeiten denken. Was haben wir damals alles gemeinsam erlebt. Wie lang ist das her? Zehn Jahre?«

»Stimmt. Wir waren so … unerfahren. Und zu gern würde ich mit dir darüber quatschen, doch ich muss wirklich erst mit dem Chef sprechen. Es ist dringend. Kannst du mir sagen, wo ich ihn finde?«

Offenbar mache ich zumindest den Eindruck, dass ich in diesen Laden gehöre. Dass man mir den Chef nicht sofort ansieht, hat seine Vorteile – aber eben auch Nachteile.

Daher richte ich meine Krawatte, strecke den Rücken durch, lächle und nehme mir vor, demnächst aufmerksamer zuzuhören. Irgendetwas scheint ihr auf der Seele zu brennen. »Du stehst vor dem Chef«, sage ich schlicht, um ihre Geduld nicht weiter auf die Folter zu spannen.

Ihre Mimik ändert sich bei meinen Worten schlagartig. Sichtlich irritiert mustert sie mich und streicht sich hastig eine Strähne ihres Bobs hinter das Ohr, die jedoch sofort wieder in ihre ursprüngliche Position zurückfällt. Dann fällt ihr Blick auf mein Namensschild.

»Mr. Valentine? Hast du geheiratet?«

Ich winke ab und schüttle meine kurzzeitige Unsicherheit ab. »Mr. Valentine ist mein Spitzname. Das begann als ein Gag unseres Ladens, jetzt ist es unser Markenzeichen geworden. Ich heiße noch immer Maverick Spoon, so wie ich hier als CEO von The Gift vor dir stehe. Also, was kann ich für dich tun?« Zum Glück verlassen die Wörter problemlos und mit ausreichend Zeit zum Denken meinen Mund. So gern ich mit ihr plaudere und mich an die alten Zeiten zurückerinnere, ich habe einen Job zu erledigen und im Laden schwirren auch kurz vor Feierabend viele Kunden herum. Außerdem hat Aubrey etwas auf dem Herzen, und wenn ich ihr helfen kann, will ich das gern tun.

Kurz flackert Erkenntnis in ihren Augen auf. »Du und CEO? Toll! Das ist … unerwartet.« Sie beißt sich auf die Unterlippe. Immerhin ist sie um Worte nicht verlegen, doch damit verwirrt sie mich endgültig.

»Ja, herzlich willkommen bei The Gift. Ich führe den Laden mit meinen Geschwistern gemeinsam, seitdem ich die Ladenfläche vor rund fünf Jahren übernehmen konnte. Beziehungsweise Ezra und ich haben gestartet, und die anderen beiden sind nach dem Studium dazugestoßen. Wir konnten auch alle Hilfe gebrauchen, denn hier hat sich einiges getan und ich freue mich, dass unser Angebot so gut angenommen wird.« Damit deute ich durch den Laden, der sich glücklicherweise immer mehr leert. Traut Aubrey mir etwa nicht zu, einen Laden zu führen? Gut, als wir uns zuletzt gesehen haben, hätte ich das ebenfalls nicht für möglich gehalten.

Aubreys Gesichtszüge werden wieder weicher und sie schaut mich entschuldigend an. »Sorry. So war das nicht gemeint. Ich hätte nur nicht gedacht, dass du einmal einen Geschenkladen führst. Vielleicht ein Hotel oder sowas. Aber Geschenke? Wolltest du nicht immer in einer Bank arbeiten?«

Ich lache trocken auf und winke ab. »Früher hatte ich irgendwie mehr den Draht zu den Zahlen. Doch dann kam es anders. Du weißt ja, manchmal muss man Chancen ergreifen, wenn sie sich einem bieten. Als wir die Option hatten, die Ladenfläche zu übernehmen, konnten wir nicht Nein sagen. Und es war die beste Entscheidung meines Lebens – unseres Lebens. Auch wenn es oft sehr stressig ist. Mir graust es schon davor, gleich die ganzen Regale wieder herzurichten. Aber wo das Personal fehlt, muss der Chef mit anpacken.« Zum Glück haben unsere Eltern uns stets vorgelebt, dass wir es ohne Fleiß zu nichts bringen. Dennoch vermeide ich, zu erwähnen, wie viel Geld wir in den vergangenen Jahren wirklich erwirtschaftet haben. Es reicht, wenn ich weiß, dass ich mir zumindest darüber keine Sorgen machen muss.

Aubrey hat inzwischen ihr Lächeln wiedergefunden und nickt. »Verstehe ich vollkommen und würde ich wahrscheinlich auch tun.« Sie zögert, atmet tief ein und gibt sich einen Ruck. »Wenn du magst, unterstütze ich euch gern. Zumindest vorübergehend. Ihr sucht doch noch Mitarbeiter?«

Irritiert schaue ich sie an. Mit dieser Antwort hätte ich am wenigsten gerechnet. Vor allem nicht mit diesem spontanen Angebot. »Du willst hier arbeiten?«, echoe ich. Das sagt sie nur, damit wir mehr Zeit miteinander verbringen können, oder? Wobei wir genauso gut einen Kaffee trinken gehen könnten, für den es jetzt jedoch zu spät ist.

»Ja?«, fragt sie dann zögerlich.

Sie meint es ernst. Deshalb wollte sie zum Chef? Es war die ganze Zeit ihr Plan und sie hat nur nicht damit gerechnet, dass ich der CEO bin? Sie war eindeutig überrascht, mich hier anzutreffen. Will sie wirklich einen Job? Ich ringe um meinen hoffentlich noch immer halbwegs freundlichen Gesichtsausdruck. Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Wie könnte ich sie hier arbeiten lassen?

In mir kribbelt alles und ich schlucke. Sie ist noch viel hübscher als damals, obwohl das kaum möglich ist. Ihre sinnlichen Lippen zucken, als sie mich ebenfalls mustert.

»Ich …«, setze ich an, stocke jedoch. Was auch immer ich ihr auf diese Anfrage sagen soll.

Dann geht ein erneuter Ruck durch sie und die Worte sprudeln aus ihr heraus. So schnell, dass ich beinahe meinen könnte, sie will sie loswerden, damit sie es sich nicht anders überlegt. »Es muss aber auch nicht sein. Ich wollte es nur anbieten, da ich gerade Zeit habe. Vielleicht war es eine doofe Idee. Ich will dich nicht von der Arbeit abhalten. War schön, dich wiederzusehen.«

Ihre Augenlider flackern und sie zieht ihren Mantel vor dem Körper zusammen, um ihn zu schließen. Will sie schon gehen? Um Himmels willen.

»Ähm, Aubrey. Warte!«, sage ich daher. Warum ist dieses Gespräch so verkorkst? Ich habe ein Problem, und sie bietet mir die Lösung auf einem Silbertablett. Eine Verkäuferin mehr ist definitiv besser als keine. Egal, ob wir uns aus der Highschool kennen. »Entschuldige. Ich wollte nicht despektierlich sein, aber ich befürchte, dass es keine gute Idee ist, wenn wir miteinander arbeiten.« Das klang erneut komisch, oder?

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Wie kann ich nur so dämlich sein? Wir haben uns Ewigkeiten nicht gesehen und ich würde sie zu gern in meine Arme ziehen. Wir könnten plaudern und gemeinsam lachen. Stattdessen weise ich sie ab.

Sie nickt wacker, auch wenn ihr Lächeln auf halbmast verrutscht ist. »Verstehe. Ist okay. Melde dich einfach, falls du doch noch jemanden brauchst.« Damit steckt sie mir einen Zettel zu, macht auf dem Absatz kehrt und schlängelt sich athletisch zwischen den Kunden hindurch in Richtung Ausgang.

Mein Herz wummert noch immer gegen meine Brust. Mist. Das habe ich verbockt, oder? Aber was steht sie hier denn auch nach all den Jahren ohne Ankündigung? Ich meine, wir haben uns jahrelang nicht gesehen. Und dann will sie nur einen Job? Kein Anstoßen auf die alten Zeiten? Kein Plaudern über das, was in der Zwischenzeit gewesen ist? Wir waren so gut befreundet. Zählt das nichts mehr? Oder erwarte ich zu viel?

Vielleicht …? Doch ich breche den Gedanken ab. Mein Bauch gibt mir eindeutig zu verstehen, dass sie mir auch nach all den Jahren nicht egal ist. Damals waren wir wie siamesische Zwillinge. Nahezu untrennbar miteinander verbunden. Bis uns das Ende der Highschool schweren Herzens in unterschiedliche Richtungen geführt hat. Ob sie ihren Traum wahrgemacht hat? Bestimmt. Noch sicherer ist sie längst verheiratet, und ich mache mir unnötige Hoffnungen. Denn das ist mir definitiv klar: Meine Gefühle sind stärker als je zuvor. Aber warum will sie einen Job, wenn sie ihren Traum verwirklicht hat?

Ich schüttle energisch den Kopf. Zeigt dieses Gespräch nicht, dass wir uns auseinandergelebt haben? Es ist utopisch, zu glauben, dass alles wieder wie früher wäre. Das kann es nicht sein, denn wir haben uns entwickelt. Ich bin CEO und muss Entscheidungen im Sinne der Firma treffen. Andersrum habe ich ein Problem, und sie könnte ein Teil der Lösung sein. Ich seufze. Hätte mir vorher jemand erklärt, dass CEO sein so kompliziert ist, hätte ich vielleicht Ezra den Posten überlassen.