Wo der Himmel die Wellen berührt - Sarah Lemme - E-Book

Wo der Himmel die Wellen berührt E-Book

Sarah Lemme

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Beschreibung

Liebe zwischen Salz auf der Haut und Sand unter den Füßen.
Fotografin und Journalistin Elena braucht dringend Abstand – von Berlin, von ihrem Ex-Freund, von sich selbst. Eine Auszeit führt sie auf die wunderschöne Insel Madeira. Dort trifft sie nicht nur auf spektakuläre Kulissen, sondern auch den wortkargen ehemaligen Profisurfer Liam, der in den Wellen des Ozeans zu vergessen versucht, was ihn quält.
Als Elena anbietet, die Website der Surfschule von Liams Bruders zu überarbeiten und im Gegenzug Surfstunden erhält, ist ein Wiedersehen unausweichlich. Zwischen Wellen, Wanderungen und gemeinsamen Erlebnissen kommen sie sich näher. Seine stille, verletzliche Art fasziniert Elena – und sie ist entschlossen, hinter seine Fassade zu blicken.
Um sich jedoch auf etwas Neues einzulassen, müssen sie sich erst dem Vergangenen stellen, das sie verdrängen wollen. Wird die Liebe dem Sturm standhalten, oder wird sie von den Fluten davongetragen?

„Wo der Himmel die Wellen berührt“ ist ein tiefgründiger Sport-Liebesroman über die heilende Kraft zweiter Chancen vor der rau-romantischen Kulisse Madeiras. Für Fans von Grumpy x Sunshine, Slow Burn und Urlaubsliebe mit Tiefgang.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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WO DER HIMMEL DIE WELLEN BERÜHRT

SARAH LEMME

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Sarah Lemme

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-516-8

Für all jene, die sich manchmal verloren fühlen,

die nicht wissen, welchen Weg sie gehen sollen,

die zweifeln, stolpern, und doch weitermachen.

Und für die Mutigen, die ins Ungewisse aufbrechen,

die sich trauen, alte Pfade zu verlassen,

um ihr eigenes Glück zu finden.

Möge diese Geschichte dich erinnern,

dass jeder Neuanfang ein leises Versprechen in sich trägt:

Das Beste könnte noch vor dir liegen.

VORWORT

Liebe*r Leser*in,

ich freue mich riesig, dass ich dich mit meiner neuen Geschichte auf die wundervolle Insel Madeira entführen darf. Gemeinsam mit Protagonistin Elena zeige ich dir diesen unglaublich schönen und vielseitigen Fleck unserer Erde, der vielleicht noch nicht als Surfhochburg bekannt ist, jedoch trotzdem wunderbare Bedingungen für diesen Sport bietet.

Dich erwartet eine Geschichte voller Geheimnisse, schweigsamer und doch attraktiver Männer sowie verwirrter Gefühle und manchmal auch naiver Entscheidungen. Doch kann man vor sich und der Wahrheit wirklich weglaufen?

Diese Geschichte birgt einige Wendungen sowie dramatische Schicksale und ist damit etwas tiefgründiger als meine anderen Romane. Bitte beachte, dass die Themen Fremdgehen, Trauer, Verlust und Unfalltod in diesem Buch eine große Rolle spielen.

Und nun wünsche ich dir ganz viel Spaß mit der Geschichte von Elena und Liam.

Deine Sarah

1

ELENA

»Kannst du mir das erklären?« Otto Fuhrmann, Chefredakteur der Berliner Tageszeitung, knallt mir die neuste Ausgabe unserer täglichen News auf den Schreibtisch.

Ich schlucke und schließe für eine Sekunde die Augen, während der Knall in meinem Kopf nachhallt. Dann sehe ich meinen Vorgesetzten mit all der Energie an, die ich aufbringen kann. Das Debakel habe ich selbst zu verantworten, denn ich ahne, worum es in dem Artikel auf der Titelseite geht. Immerhin ziert der Schauspieler Finnian Stark diese sehr regelmäßig, und ich muss kein Genie sein, um zu wissen, wer am gestrigen Abend mit ihm fotografiert wurde.

»Es ist …« Ich verstumme, als die Ader an Ottos Hals bedrohlich pulsiert.

»Lass mich raten. Es ist nicht das, wonach es aussieht? Verflucht, Elena! Du sollst Storys schreiben und nicht selbst auf der Titelseite abgelichtet sein. Klar, die Leute dürfen deinen Namen kennen. Aber nur, weil sie deine Kolumne lesen wollen und deshalb unsere Zeitung abonnieren und kaufen. Nicht, weil du dich jedem Promi an den Hals wirfst! Du kennst die Regeln!«

Die ungeschriebenen Regeln, denn er kann mir nicht vorschreiben, mit wem ich meine Freizeit verbringe. Mein Blick huscht zu dem Foto, das mich in einer eindeutigen Pose und wild knutschend mit Shootingstar Finnian Stark auf der gestrigen Charity-Gala zeigt. Im Grunde hat der Fotograf uns gut getroffen, ich hätte jedoch nie gedacht, dass Enzo – mein Kollege und ebenfalls Journalist – mich dermaßen in die Scheiße reitet.

Dabei hat der Abend so schön begonnen. Finnian hat mich pünktlich abgeholt, und ich habe mich unglaublich auf unsere gemeinsame Zeit gefreut. Endlich einmal nicht arbeiten und zusammen ein bisschen Smalltalk betreiben. Kontakte knüpfen ist in jeder Lebenslage für mich gut, um als freiberufliche Fotografin an die besten Aufträge zu gelangen. Selbst eine Story zu werden war jedoch nie Teil des Plans. Ein Plan, den ich offenbar viel zu wenig durchdacht habe. Natürlich hätte mir klar sein müssen, dass Finnian auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt wird und dass die vor mir nicht zurückschrecken.

Finnian hingegen hat mir alle Wünsche von den Augen abgelesen, ich konnte netzwerken, und wir haben Champagner geschlürft. Einzig das fehlende Abendessen hätte ich besser im Hinterkopf haben müssen. Aber ich habe die Veranstaltung genossen. Ein Fakt, der mir nun auf die Füße fällt – und das, obwohl ich noch immer mit den Nachwirkungen zu kämpfen habe.

»Ich …« Doch ich breche auch diese Rechtfertigung ab. Mein Kopf besteht viel zu sehr aus Watte, als dass ich einen klaren Gedanken fassen könnte. Außerdem hat es eh keinen Sinn. Dafür kenne ich meinen Chef zu gut. Otto ist dermaßen in Rage, dass er mich vermutlich den Rest des Tages – oder der Woche – auf den Mond wünschen wird. Hoffentlich verfliegt seine schlechte Laune schnell. Denn keiner von uns hat genug Energie oder Kapazitäten, sich über die Schlagzeilen von gestern aufzuregen. Ja, wir sitzen in einem Haifischbecken. Das war mir immer bewusst, als ich mich für einen Job als Journalistin bei ihm entschieden habe. Gebissen werden muss jedoch niemand. Umso schlimmer, dass es ausgerechnet Enzo ist, der hinterrücks ein Foto weitergibt. Schließlich hatte ich Feierabend. Doch wer mit Finnian Stark öffentlich auftritt, ist letztlich der Fisch am untersten Ende der Nahrungskette im Aquarium. Das weiß ich jetzt auch.

Enzo. Von Anfang an hat er mich abschätzig angesehen. Dabei habe ich ihm nie den geringsten Anlass dazu gegeben. Doch vielleicht liegt es daran, dass er Single ist – und sich schon immer eine heiße Schauspielerin gewünscht hat – und sein Spezialgebiet deshalb nun die Ausrutscher der Stars und Sternchen sind. Kein Wunder, dass er Finnian auf Schritt und Tritt folgt. Er hat darauf gewartet, dass er endlich etwas zu berichten hat. Mein Pech, dass Finnian ausgerechnet mein Herz gestohlen hat. Aber wenn ich an den gestrigen Abend denke, wird mir erneut warm im Bauch, und das Kribbeln verteilt sich in alle Zellen.

»Elena, ich erwarte bis 14 Uhr eine Story. Eine verdammt gute. Und eine, in der du nicht die Hauptrolle spielst.« Ottos Stimme reißt mich aus meinen Gedanken in die Gegenwart zurück. Immerhin ist er nicht von unserem kollegialen Du zum Sie gewechselt. Das käme so was wie einer Kündigung gleich. Zum Glück lässt er mich weiter Artikel schreiben.

Ob es ratsam ist, ihm zu verklickern, dass ich mit Finnian in einer Beziehung bin? Dass wir beide vermutlich noch öfter zusammen auf der Titelseite landen werden? Oder würde er mich auslachen? Immerhin bin ich, Elena Farber, nur eine stinknormale Journalistin und freiberufliche Fotografin, während Finnian der Shootingstar Deutschlands ist. Der Nachwuchsschauspieler, dem eine steile Karriere vorhergesagt wird und der mit seiner letzten Rolle von heute auf morgen aus dem Nichts aufgetaucht ist. Doch statt Otto brühwarm zu berichten, dass Finnian und ich gestern Abend auf seinen ersten Hollywood-Vertrag angestoßen haben – was natürlich noch topsecret ist –, nicke ich ergeben.

»Verstanden.« Ich hätte einfach wissen müssen, dass uns irgendwer fotografiert. Daran werde ich mich leider gewöhnen müssen, wenn ich meine Beziehung zu Finnian nicht direkt im Keim ersticken will. Und ich hätte auf Alkohol verzichten sollen. Dann wäre alles nicht so eskaliert, und ich hätte mich besser unter Kontrolle gehabt.

Trotz allem bleibe ich so aufrecht wie möglich sitzen, bis Otto aus meinem Büro verschwunden ist und die Tür hinter sich geschlossen hat. Kaum, dass ich allein bin, sinke ich in mich zusammen. Ob das nun immer so läuft? Ja, Otto ist cholerisch, doch alles in allem ist er ein guter Chef.

Ich atme tief durch. Für triste Gedanken habe ich weder einen Grund noch Zeit. Immerhin habe ich nichts falsch gemacht. Kurzentschlossen zücke ich mein Handy.

Ich:

Hey. Gut geschlafen?

Es dauert nicht lange, bis mir angezeigt wird, dass Finnian online ist.

Finnian:

Danke ja. Du hoffentlich auch? Bitte halte dir den morgigen Abend frei. Ich muss bei dieser Preisverleihung für den besten Berliner Jugend-Nachwuchsschauspieler eine Rede halten und würde mich freuen, wenn du mich begleitest.

Ich:

Natürlich. Dann kann ich direkt ein paar Fotos dort machen und in einem Artikel verwursten.

Finnian:

So passt das für uns beide.

Täusche ich mich oder wirkt er müde? Ausgelaugt? Oder vielmehr distanziert und nüchtern? Klar, er würde es nie offen zugeben, doch er hasst diese ganzen öffentlichen Auftritte. Aber ich begleite ihn gern. Immerhin gibt mir das die Gelegenheit, meine Visitenkarte in den elitären Kreisen zu verteilen. Diese Leute reisen sehr viel, und das kann mir ein paar Türen öffnen.

Und doch begleitet mich in diesem Moment das erste Mal ein ungutes Gefühl. Bin ich zu sensibel? Wünsche ich mir Aufmerksamkeit, die er mir nicht geben kann? Vielleicht interpretiere ich jedoch zu viel in seine Worte hinein. Immerhin könnte er auch einfach noch nicht richtig wach sein.

Ich gähne. In der Tat ist es gestern spät geworden, und ich hätte mich zu gern zwei oder drei Mal im Bett umgedreht. Dennoch tippe ich mühsam meinen Bericht über die aktuellen Kreuzfahrtschnäppchen zusammen. Sicher nicht der Artikel, den Otto gemeint hat, und doch gehört dieser Bereich zu meinem Pflichtprogramm für die Zeitung. Daher kann er nicht meckern. Danach stelle ich eine neue Folge der wöchentlichen Reisekolumne fertig und schnappe mir anschließend meine Jacke sowie die Kamera. Alles andere ist bereits im Auto. Für heute ist meine Arbeitszeit als angestellte Journalistin bei Otto zu Ende. Erleichtert atme ich aus, als ich an die frische Luft trete. Kommt es mir nur so vor oder war die Luft in der Redaktion an diesem Vormittag dicker als sonst?

Natürlich ist der Verkehr in Berlin wie üblich eine Vollkatastrophe. Mit fünf Minuten Verspätung betrete ich das Fotostudio, in dem zum Glück bereits alles für das heutige Shooting hergerichtet ist.

»Da sind Sie ja endlich, Frau Farber! Ich dachte, Sie würden nicht mehr kommen, wo Sie nun so etwas wie eine Berühmtheit sind.« Der Inhaber des Reiseunternehmens, für dessen nächsten Katalog ich heute Bilder mit einigen Models erstellen soll, schaut mich mit verkniffenem Mund an. Er hat die Zeitung also auch schon gelesen. Na klasse. Aber es hätte mir klar sein müssen. Gerade kann ich noch verhindern, meine Augen zu verdrehen. Verübeln kann ich es trotzdem niemandem.

Hätte mir vor zwei Wochen jemand gesagt, welche Welle ich mit einem öffentlichen Auftreten an Finnians Seite lostreten würde, hätte ich mir zweimal überlegt, ihn zu begleiten. Aber es war zu verlockend. Vor allem sollten wir uns nicht verstecken müssen.

Natürlich spürte ich sofort die Aufmerksamkeit auf mir. Wobei ich mir inzwischen nicht mehr sicher bin, ob es meinen Kollegen primär um mich oder um Finnian ging. Letztendlich ist es egal. Ich stand plötzlich im Fokus. Denn auch wenn ich als Journalistin in Berlin nicht gänzlich unbekannt bin, so war ich bisher selten in der Welt der Stars und Sternchen zu sehen. Mein Metier als Freiberuflerin sind Reisen, Natur und seriöse Fotoshootings. Schließlich muss nicht jeder dem nächsten Skandal hinterherlaufen und sich das Maul über andere Leute zerreißen. Aber meine bisherige Erfahrung zeigt, dass auch Promis ab und an Interesse an schönen Fotos haben oder sie zumindest immer wen kennen, der gerade eine Fotografin braucht. Letztendlich darf ich am Anfang meiner Karriere nicht zu wählerisch sein. Jeder Auftrag ist ein guter Auftrag.

Daher winke ich ab. »Bitte entschuldigen Sie. Leider habe ich im Stau festgesteckt. In fünf Minuten können wir loslegen. Ich sehe, dass bereits alles vorbereitet ist? Dann baue ich rasch mein Equipment auf, und die verlorene Zeit holen wir schnell auf, sodass wir pünktlich fertig sind.«

Ich lächle meinen Auftraggeber an, denn natürlich hat er das Studio nur gemietet und muss es fristgerecht wieder verlassen. So ist das in meinem Job. Alles muss just in time fertig sein.

»Wunderbar. Das Set-up ist so weit für Sie passend? Oder sollen wir noch etwas umstellen?«, fragt er weiter, während ich die Softboxen aufbaue. Natürlich könnte ich auch die vorhandenen aus dem angemieteten Studio nehmen, doch ich vertraue lieber meinem eigenen Equipment.

»Das passt für mich wunderbar. Wir machen erst die Bilder ohne Hintergründe, beziehungsweise die, bei denen wir die Hintergründe digital einarbeiten.« Denn so gern wir vor Ort auf der ganzen Welt geshootet hätten, ist das finanziell nicht realisierbar. Egal wie groß der Wunsch ist. Deshalb machen wir das Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten im Studio. »Sind alle Models da und einsatzbereit?«

Er nickt. »Ich hole sie.«

»Eine reicht. Wir shooten nacheinander.«

Kurz darauf spiele ich mit der Belichtung und dem Winkel. Wie gut, dass Fotografie heutzutage mit Digitalkameras möglich ist und ich ausreichend Speicherkarten dabeihabe. Allerdings gruselt es mich bereits jetzt vor der Bearbeitung der Bilder. Denn allein die Auswahl der perfekten Fotos wird viel Zeit kosten. Immerhin habe ich den Rest des Katalogs nahezu fertig, sodass ich nur noch die Bilder brauche. Trotzdem wird es einiges an Arbeit. Aber dafür werde ich bezahlt, und der Katalog muss erst in rund vier Monaten druckfertig sein, auch wenn viele der Routen natürlich online längst buchbar sind. Schließlich hat der Veranstalter sich auf Gruppenreisen spezialisiert.

»Pause!«, rufe ich einige Zeit später, als mein Magen vernehmlich knurrt. Habe ich heute überhaupt gefrühstückt? Zum Glück ist mein Kater von gestern Abend verflogen. Denn so lecker der Champagner war, etwas weniger hätte es auch getan.

Der Blick auf die Uhr bestätigt mir, dass es deutlich später als gedacht ist. Mist. Alle drei Frauen müssen sich noch je einmal umziehen. Eigentlich haben wir keine Zeit für eine Pause. Aber dann muss eben jedes Bild sitzen. Immerhin nennen die drei sich professionelle Models, da darf ich perfekte Leistung erwarten. Doch bei der einen habe ich eher das Gefühl, dass sie höchstens zum dritten Mal vor der Kamera steht. Zum Glück ist das Aussuchen der passenden Kandidatinnen nicht meine Aufgabe, und ich arbeite mit dem, was ich bekomme.

»Sind Sie bisher zufrieden?« Der Inhaber des Reiseunternehmens kommt auf mich zu, nachdem er zwischenzeitlich im Hintergrund verschwunden ist. Da wir bereits mehr als einmal zusammengearbeitet haben, vertraut er mir.

»Ja, ich denke, wir haben schon eine gute Ausbeute. Fehlen nur noch die Bilder für die Winterreisen.« Passend tritt in diesem Moment das erste Model aus der Garderobe. Dick eingepackt in Winterjacke, Skihose und Thermostiefel. Wahrscheinlich schwitzt sie bereits jetzt. Doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Das ist ihr Job.

Ohne auf ihren missbilligenden Blick zu achten, beiße ich in mein mitgebrachtes Brötchen. Schließlich hilft es niemandem, wenn ich aus den Latschen kippe.

Irgendein Telefon bimmelt, und ich schaue genervt auf. Wer hat sein Gerät diesmal nicht ausgestellt? Dabei ist für unsere Arbeit absolute Konzentration notwendig. Alles muss funktionieren.

»Wollen Sie nicht drangehen?«, fragt mich das Model irritiert.

Erst jetzt registriere ich, dass es mein Handy ist, das noch immer munter vor sich hinbimmelt und in diesem Moment verstummt. Hektisch fische ich es aus meiner Tasche und hoffe, dass es nichts Wichtiges ist. Wie konnte ich nur meine eigenen Regeln missachten? An dem Auftrag hängt zu viel, als dass ich ihn versauen dürfte.

1 verpasster Anruf von Otto Fuhrmann

Mein Herz rutscht eine Etage tiefer. Was zur Hölle will er nun schon wieder? Zum Glück bin ich bei ihm nur in Teilzeit angestellt, sodass ich genug Spielraum für die anderen Aufträge habe, die mir so oder so mehr Geld einbringen. Doch ohne das regelmäßige Gehalt aus der Zeitung würde mir eine wichtige und vor allem konstante Einnahmequelle fehlen. Immerhin hat eine Freiberuflichkeit durchaus auch Nachteile.

Mit einem unguten Gefühl im Bauch tippe ich auf seine Nummer und rufe Otto zurück.

»Wo ist der versprochene Artikel?«, blafft er ohne eine Begrüßung.

Ich zucke zusammen und versuche, mich nicht unterbuttern zu lassen. Trotzdem zittert meine Stimme minimal. »Den Artikel über die Kreuzfahrtschnäppchen habe ich Ihnen geschickt, bevor ich gegangen bin.«

Erneut wandert mein Blick zur Uhr. Wenn er den nicht bekommen hat, stecke ich endgültig in der Scheiße.

»In meinem Posteingang ist nichts.« Damit bestätigt er meine schlimmste Befürchtung. »Elena, ich weiß wirklich nicht, was mit Ihnen los ist. Aber wir hatten eine Abmachung. Sie sollten liefern, damit ich über Ihren Ausrutscher hinwegsehe. Nun stehe ich ohne Artikel da.«

Ich schließe die Augen. Otto war von Anfang an schwierig, und hätte ich den Job nicht gebraucht, hätte ich wohl nie den Vertrag bei ihm unterschrieben. »Ich bin mitten in einem Shooting. Sobald ich hier fertig bin, sende ich Ihnen den Artikel erneut zu.«

»Zu spät. Sie wissen, dass bereits Redaktionsschluss war. Ich warne Sie. Wenn Sie weiterhin für mich arbeiten wollen, erwarte ich, dass es ab jetzt keinerlei Störungen mehr gibt. Sie liefern pünktlich. Verstanden?«

»Ja«, flüstere ich ins Telefon, doch die Leitung ist längst tot. Wie kann ein Mensch nur so sein? Klar, in meinem Berufsleben sind mir bereits etliche Leute untergekommen. Darunter sehr nette und freundliche, aber auch cholerische und feindselige Personen.

Langsam lasse ich meine Hand mit dem Handy nach unten sinken und starre auf den Boden. Sollte ich die Mail tatsächlich nie abgeschickt haben? Blödsinn. Ich bin mir sicher, dass alles seine Richtigkeit hat. Doch darum kann ich mich im Moment nicht kümmern. Erst muss ich diesen Auftrag erledigen, bevor ich noch einen unzufriedenen Kunden vor mir habe. Meine Motivation hingegen hat sich derweil auf die kältesten Bergspitzen verzogen. Nun gut, dann passt das wenigstens zum Thema.

»Also gut. Es geht weiter!«, rufe ich, doch meine Stimme wackelt mehr, als es mir lieb ist.

2

ELENA

DREI MONATE SPÄTER

»Was soll das heißen? Und warum bist du überhaupt hier?«, frage ich und funkle Finnian an. Dass er sich noch hierhertraut!

Sein gepackter Koffer steht neben ihm, die Schachtel mit der durchaus hübsch anzusehenden und vor allem teuren Kette in seiner Hand hingegen wirkt seltsam deplatziert.

»Das heißt, dass ich dich liebe und mich freue, dich endlich wiederzusehen! Ich habe dich vermisst! Und es tut mir leid, dass ich mich nicht eher gemeldet habe. Mein Handy ist bei den Dreharbeiten leider verunglückt.« Er lächelt mich mit seinem Zahnpastalächeln offen an und streckt die Schachtel einmal mehr ein paar Zentimeter weiter in meine Richtung.

»Meinst du das ernst? Du hast Nerven!« Ich fahre mir durchs Gesicht, mache jedoch keine Anstalten, ihm das Ding aus der Hand zu nehmen. Immerhin ist die Erklärung mit dem Handy eine logische Begründung, warum ich ihn in den letzten Tagen nicht erreichen konnte.

»Soll ich später wiederkommen?« Sein Blick huscht erst am Schlafanzug hinab, dann zu der Uhr, die mahnend in meinem Flur hängt.

5:30 Uhr. Mitten in der Nacht. Natürlich stecke ich um diese Zeit noch im Pyjama.

»Du brauchst überhaupt nicht wiederkommen!« Ich spucke ihm das letzte Wort entgegen. Was denkt er sich? Dass er nach allem hier so einfach auftauchen kann? »Nimm die blöde Kette und verschwinde. Schenk sie der Tussi, von der du in LA nicht die Finger lassen konntest! Denn auch wenn dein Handy kaputtgegangen ist, hättest du mich kontaktieren können. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Und nun verschwinde!« Demonstrativ deute ich auf die Tür. Wieso habe ich ihn überhaupt hereingelassen?

Sichtlich irritiert zieht Finnian seine Augenbrauen zusammen. »Wovon redest du?«

»Nun tu doch nicht so, als ob du das nicht wüsstest!« Ich raufe mir die Haare, wobei meine Frisur nach dieser Nacht wahrscheinlich kaum schlimmer aussehen könnte.

»Was soll ich wissen? Himmel, Elena, nun sag mir bitte, was los ist. Ich meine, ich kann ja verstehen, dass du nicht begeistert bist, dass ich mich nicht gemeldet habe. Und um diese Uhrzeit bei dir aufzukreuzen war vielleicht auch nicht die beste Idee. Ich komme direkt vom Flughafen. Aber wo zur Hölle liegt dein Problem? Und welche Tussi meinst du?«

Ich schließe die Augen und atme kurz durch. »Du hast wirklich keine Ahnung, wovon ich rede?«

Meine Stimme halte ich bewusst tief, um ihr den nötigen Ernst zu verleihen. Mit zittrigen Fingern greife ich nach diversen Zeitungsausschnitten, die ich in den letzten Tagen gesammelt habe.

»Was ist beispielsweise damit?« Ich klatsche Finnian den ersten Artikel vor die Brust, den er mit fragender Miene gerade noch festhält. Rasch dreht er ihn so, dass er ihn lesen kann. Wie erwartet entgleist ihm sein Pokerface bereits bei dem Blick auf die Überschrift.

»Wer zur Hölle verbreitet so einen Stuss?« Verdattert schaut er mich an. »Du glaubst das doch nicht etwa, oder? Shannon ist eine Kollegin, mit der ich zusammen gedreht habe. Nicht mehr und nicht weniger. Die Presse hat natürlich mal wieder nichts anderes zu tun, als unser Foto mit irgendwelchen Schlagzeilen zu versehen, die vorn und hinten falsch sind.« Er gestikuliert mit den Händen, während er seine Stimme mühsam beherrscht. Und er will ein Schauspieler sein? Dann versagt er auf ganzer Linie. Denn ich glaube ihm kein Wort.

»Klar. Es ist einzig die Presse daran schuld, dass du sie auf den Mund küsst?«, frage ich tonlos.

»Das sieht auf dem Bild nur so aus! Ehrlich! Ich habe sie nicht geküsst! Fuck! Es war ganz anders!« Nun rauft er sich die Haare und starrt immer wieder auf den Schnappschuss in dem Artikel.

Ich atme tief durch. »Okay. Nehmen wir mal an, ich glaube dir. Was ist dann hiermit?«

Ich halte ihm die nächste Schlagzeile unter die Nase, die kein besseres Licht auf ihn wirft.

»Auch da wurde die Situation vollkommen verdreht. Elena, du weißt doch am besten, dass die Presse alles so hinbiegt, wie sie will. Du bist selbst Journalistin!«

»Ja, ich bin Journalistin. Und da liegt verflucht noch mal das Problem! Mein Name taucht hier überall immer wieder auf. Die Gerüchte über unsere Trennung haben mich erreicht, da wusste ich noch nicht mal, dass du dich von mir trennen willst! Ein Wunder, dass ich nicht sämtliche meiner Aufträge verloren habe, die durch deine Connection zustande gekommen sind. Aber die Auswirkungen spüre ich trotzdem bereits jetzt. Und nun stehst du hier, als wäre nichts gewesen, und behauptest, das sei alles erstunken und erlogen?« Ich habe mich in Rage geredet. Was soll ich auch anderes tun? Er hat mich verarscht! Wie kann ich ihm jemals wieder vertrauen?

Mit einem Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. »Hast du mich überhaupt geliebt oder war ich nur als Lückenfüllerin gut, damit du nicht allein auf die Veranstaltungen gehen musstest? Da hättest du sicher auch andere Püppchen gefunden, die alles dafür getan hätten, um mit dir abgelichtet zu werden. Und nun will ich die Wahrheit wissen, Finnian. Hast du mich betrogen?«

»Elena …« Finnian kommt einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche zurück. »Ich …« Er stockt, und in diesem Moment ist seine mühsam aufgebaute Fassade dahin. »Es war ein Ausrutscher … aber ja, ich liebe dich wirklich.«

In mir zerbricht etwas. Die Wahrheit tut weh, obwohl ich es längst wusste. Und so bleibt mir nur eins.

»Finnian, es ist vorbei. Ich will das so nicht«, sage ich nahezu tonlos. Selbst wenn er nicht Schluss machen wollte, nehme ich ihm diese Entscheidung ab. Ich hätte mich von Anfang an nie auf ihn einlassen dürfen, und sein Ausrutscher jetzt ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

»Elena, bitte! Lass es mich doch erklären!«

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass ich Schmerz in seinen Augen sehe. Aber warum? Wenn ihm wirklich etwas an mir gelegen hätte, hätte er sich anders verhalten. Vor allem hätte er mich nicht betrogen. Ja, ich weiß, dass die Paparazzi wie Aasgeier sein können, und bin extrem froh, dass das absolut nicht meinem Verständnis von gutem Journalismus entspricht. Trotzdem hätte ich ihm etwas mehr Verstand zugetraut. Immerhin hat er es mit seinem Talent in kurzer Zeit von null auf Hollywood gebracht. Da muss einem klar sein, dass man auf Schritt und Tritt verfolgt wird. Aber er kann sich nicht rausreden. Diese Küsse sind echt gewesen, und den Rest hat er ja auch zugegeben.

»Was ist denn hier los?« Verschlafen schlurft meine Mitbewohnerin Kirsten aus ihrem Zimmer und verstrubbelt sich die eh schon wirren Haare erneut. Ein Wunder, dass sie erst jetzt aufgewacht ist, waren Finnian und ich doch alles andere als leise.

»Geh wieder schlafen«, murrt der Mann, von dem ich mir bis eben erhofft habe, dass er tatsächlich alles aufklären würde. Dass er nicht fremdgegangen wäre. Doch sosehr ich es auch möchte, ich kann ihm nicht mehr vertrauen. Irgendwann ist es einfach zu viel.

In meinem Bauch zieht sich ein Knoten zusammen. Schmerzhaft und einschneidend. Aber ich habe meine Entscheidung getroffen.

»Brauchst du mich?« Kirsten ignoriert Finnian und kommt weiter auf mich zu. Freundschaftlich streckt sie ihre Hand in meine Richtung.

Kurz bin ich versucht, danach zu greifen, doch dann schüttle ich den Kopf. »Ist schon okay. Finnian wollte gerade gehen. Ich denke, dass alles gesagt ist.«

Ich lasse ihn nicht aus den Augen und deute auf die Tür.

»Du machst einen Fehler, Elena. Glaub nicht, dass ich so leicht aufgeben werde.« Trotz seiner Worte nimmt er endlich seinen Koffer sowie die verfluchte Schachtel und wendet sich zur Tür.

Erst, als ein Klicken bestätigt, dass er wirklich fort ist, sacke ich in mich zusammen. Meine mühsam aufgebaute Fassade bröckelt, doch vor Kirsten ist mir das egal. Die letzten Tage haben ihren Tribut gefordert, und das ist nun das Ergebnis.

»Hey!« Kirsten ist sofort bei mir, zieht mich in ihren Arm, bevor ich auf den Boden sinke.

Ich schluchze, kann und will es nicht aufhalten, während ich mich an sie schmiege. Wie konnte ich nur so naiv sein und denken, dass der große Newcomer Finnian Stark ausgerechnet mich liebt? Wobei – vielleicht tut er das sogar auf seine Weise. Das will ich ihm nicht absprechen. Doch scheint er eine Beziehung deutlich offener zu sehen als ich. Wieso sollte er sonst fremdgehen? Aber nein. Ich könnte nie ruhig schlafen, wenn er unterwegs ist und ich weiß, dass er mit anderen Frauen ins Bett steigt. Denn was sollte ihn davon abhalten? Ich wäre meilenweit entfernt, und er könnte sich wieder rausreden, dass die Journalisten sich etwas zusammengereimt haben. Oder er verschweigt es komplett. Ich kenne das Spiel. Ja, vielleicht spielt er mit mir, vielleicht mit der Presse und vielleicht gibt es noch andere Optionen. Aber das ist nicht mein Stil. Wobei ich nicht einmal wirklich sagen kann, was überhaupt mein Stil ist.

Der Knoten in meinem Bauch zieht sich ein wenig enger zu. Wie eine Schlinge, aus der ich mich befreit wissen wollte. Doch offenbar hängt ein Teil meines Körpers noch an Finnian. Unsere Zeit war durchaus schön. Liebevoll und vertraut. Und der Sex … Holla, ich hätte nie gedacht, dass mich jemand so sehr in den siebten Himmel katapultieren kann. Aber es gab auch die Momente, die … Rückblickend könnte ich manches davon anders interpretieren.

»Wieso tut es so weh?«, frage ich tränenerstickt. Immerhin hat er mich betrogen.

»Weil du dir Hoffnungen gemacht hast. Hoffnungen, obwohl du wusstest, was passieren könnte.«

Schweigend stehen wir einige Zeit in unserem Flur, während ich mich an Kirsten klammere. Irgendwann werden meine Schluchzer weniger, bis sie letztendlich ganz verebben. Dennoch halte ich mich an Kirsten fest. Immerhin kennen wir uns schon seit dem Studium und haben unsere WG seitdem nicht aufgelöst. Warum auch? Bisher bestand nie die Notwendigkeit.

»Besser?«, fragt sie irgendwann.

Ist es das?

Ich zögere, will nicken, halte dann jedoch inne und horche in mich hinein.

»Ein bisschen«, sage ich, denn der Schmerz sticht noch immer wie ein Stachel tief in mir. Ein Schmerz, den ich am liebsten ignorieren möchte, doch hilft es bekanntlich wenig, solch ein Thema einfach zu verdrängen. Und das habe ich in den letzten Tagen. Ja, ich habe wirklich gehofft, dass Finnian und ich zusammenpassen. Aber wer mich betrügt, ghostet und dann mit der Ausrede kommt, dass sein Handy kaputtgegangen ist … Tss. Er hätte in der Redaktion bei Otto anrufen oder das Kontaktformular auf meiner Webseite nutzen können. Auf irgendeinem Weg hätte er mich erreicht. Denn die Bestürzung in seinen wunderschönen blaugrauen Augen war gespielt. Da bin ich mir sicher. Und verflucht! Er hat mich betrogen. Das allein ist Grund genug, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen.

Irgendwo klingelt ein Wecker, und ich zucke zusammen. Alle Alarmglocken schrillen in mir. »Mist! Ich muss zur Arbeit! Otto bringt mich um, wenn ich wieder nicht pünktlich liefere.«

Denn natürlich ist es nicht bei dem einen technischen Patzer geblieben. Zu oft sind Mails nicht bei ihm angekommen – was er mir jedoch erst zu spät zurückgemeldet hat –, und an anderen Tagen hatte er viel zu beanstanden. Fast ist es, als hätte er mich auf dem Kieker. Deshalb bekommt er nun von mir zusätzlich alles ausgedruckt auf den Schreibtisch gelegt. Rasch löse ich mich von Kirsten und zupfe meinen Pyjama zurecht.

»Kann es vielleicht sein, dass du mal eine Auszeit brauchst? Du rennst herum wie ein aufgescheuchtes Huhn. So viel Stress ist nicht gesund.« Kirsten mustert mich.

Am liebsten würde ich direkt abwiegeln, doch ich weiß, dass sie recht hat. Seit Wochen sprinte ich in meinem Hamsterrad, gefangen in einer Spirale aus Terminen, Deadlines und Auftraggebern, die stets in letzter Minute mit Sonderwünschen um die Ecke kommen. Vor allem finanziell kann ich es mir jedoch nicht erlauben, eine längere Zeit die Füße hochzulegen. Nicht jetzt, da schon erste Kunden abgesprungen sind. Doch ich brauche eine Pause. Dringend.

»Vielleicht«, sage ich daher und bleibe bewusst vage.

»Vielleicht kannst du ja das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?« Kirsten bohrt weiter und begibt sich damit in Sphären, die mir um diese Uhrzeit fremd sind. Vor allem jetzt, da sich das Adrenalin der vergangenen Minuten aus meinem Körper verabschiedet hat.

»Vielleicht.« Ich wiederhole mich, doch fehlt mir die Kraft für mehr. Das Gespräch mit Finnian, die Enttäuschung und meine Tränen haben gefühlt alles Glück aus mir gesogen. »Erst mal muss ich mich jetzt anziehen.« Damit lasse ich Kirsten stehen, die den Geräuschen nach in die Küche geht und die Kaffeemaschine anstellt. Wenigstens das ist eine passende Idee. Wobei sie leider viel zu oft recht hat. Dafür kennt sie mich zu gut, und letztendlich braucht man kein Hellseher zu sein, um mein Dilemma zu erkennen. Vor allem: Wann ist mir meine sonst so lustige und offenherzige Art verloren gegangen? Zuletzt war ich so gereizt, dass ich mich selbst kaum wiedererkannt habe.

Ich plumpse auf mein Bett und starre an die Decke. Was ein Desaster. Das bin nicht mehr ich! Wie konnte ich mich nur so gehenlassen? Ich meine, Musiker und Schauspieler sind normalerweise gar nicht mein Bereich. Doch Finnian hat mich mit seiner Art direkt um den Finger gewickelt. War ich vielleicht auch nur ein Teil seines Gesamtschauspiels? Habe ich für ihn nur eine Rolle ausgefüllt, so lange, bis er mich durch eine Bessere ersetzen konnte? Zutrauen würde ich es ihm.

Dennoch bringt mich das kein Stück weiter. Otto will Artikel, die anderen Kunden ihre Fotos. Meine nächsten Wochen würden eh vorrangig daraus bestehen, die Aufnahmen aus den Shootings der vergangenen Tage zu sichten, zu bearbeiten und zum Endprodukt fertigzustellen. Allem voran der Katalog für das Reiseunternehmen, für das ich vor drei Monaten geshootet habe. Das wäre nicht an einen bestimmten Arbeitsort gebunden. Ich seufze. Diese Erkenntnis erleichtert mir die Entscheidung nicht.

Eine halbe Stunde später liege ich noch immer auf meinem Bett, mit dem Unterschied, dass ich längst durch diverse Reiseangebote stöbere. Von Fernreise bis Ostseetrip, einiges klingt durchaus verlockend. Doch ich habe bereits so viele Ecken der Welt besichtigt, dass ich nicht weiß, worauf ich Lust habe.

»Du solltest es auf die altmodische Art machen und einen Dartpfeil auf eine Landkarte werfen. Dann hast du das Gebiet zumindest eingegrenzt, und du schaffst es noch pünktlich zur Arbeit.«

Ich schaue auf, als Kirsten mit einem Becher Kaffee mein Zimmer betritt. »Meinst du?«

»Ja. Immerhin ist es egal, wohin du fährst. Du brauchst einen Tapetenwechsel, und den bekommst du fast überall.«

Entschlossen nicke ich und stehe auf. »Du hast recht. Es ist wirklich egal, und ich werde nehmen, was sich mir bietet, solange dort Internet vorhanden ist.«

Zum Glück habe ich mir vor Jahren eine Pinnwand mit aufgeklebter Weltkarte zugelegt, da ich dieses Spiel um die Suche nach dem nächsten Reiseziel bereits mehr als einmal gespielt habe.

Kirsten positioniert mich mit dem Rücken zur Karte, sodass ich absolut nicht weiß, wohin ich ziele.

»Kanaren oder Madeira. Der Pfeil steckt irgendwo dazwischen«, sagt sie, nachdem ich ihn mit einer ungelenken Bewegung hinter mich geworfen habe. Werfen war nie meine Stärke. Überhaupt ist sportliche Betätigung nicht meins.

»Madeira«, antworte ich entschlossen. »Dort war ich tatsächlich noch nicht, und es ist von der Entfernung her passend. Wären die Kanaren zwar auch, doch da war ich schon. Ja, Madeira ist super.«

»Wie lange willst du denn weg?«, fragt Kirsten.

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Eine Woche ist zu wenig. Nach zwei Wochen ist man gerade im Urlaubsmodus angekommen … wobei ich ja zwischendurch auch arbeiten muss. Also würde ich sagen drei Wochen. Nur … So lange bekomme ich nicht frei.«

Ich seufze. Darum brauche ich Otto nicht zu bitten. Vor allem nicht, wenn ich kurzfristig losmöchte.

»Aber du hast doch gesagt, dass du von unterwegs arbeiten kannst und musst. Du schickst die Artikel eh per Mail, damit sie digital weiterverarbeitet werden können. Musst du denn immer in die Redaktion? Außerdem hat er nichts davon, wenn du mit einem Burn-out mehrere Monate ausfällst.«

Ich wiege den Kopf hin und her. Dann halte ich inne. »Scheiße, du hast recht.« Wenn er meine Mails so oder so nicht erhält, ergibt es wirklich keinen Unterschied, ob ich vor Ort oder woanders bin. Zum Teufel mit der Anwesenheitspflicht, die Otto nur eingeführt hat, damit er uns kontrollieren kann. Entschlossen schnappe ich mir erneut mein Handy und suche in der Reiseapp nach Hotels und Flügen nach Madeira. »Schau, das sieht doch nett aus und ist preislich in Ordnung.«

Ich halte Kirsten das Angebot unter die Nase.

»Da stimme ich dir zu. Aber du kennst den Markt besser. Wenn es für dich passt, solltest du zuschlagen.«

Ich brauche nur einen Klick, gebe meine Daten ein und schließe die Buchung ab. »Dann muss ich das gleich nur noch meinem Chef verklickern.«

Ich seufze. Da muss ich nun durch, denn Kirsten hat recht. Den Tapetenwechsel habe ich dringend nötig. Außerdem verliere ich den Job so oder so, wenn ich nicht irgendetwas verändere.

Rasch klicke ich erneut durch die Bilder des beschaulichen Hotels, das in einem Ort auf der nordöstlichen Seite der Insel liegt. Porto da Cruz. Idyllisch, WLAN-Verbindung, Meerblick und hoffentlich ruhig. Mehr brauche ich nicht. Immerhin will ich entspannen, vielleicht etwas schwimmen gehen und vor allem möglichst viel nichts tun.

3

ELENA

5 TAGE SPÄTER

Als die Wolken lichter und somit endlich das Blau des Wassers sowie das Grün der Insel sichtbar werden, fällt mir ein Stein vom Herzen. Pure Erleichterung durchströmt mich, flutet meine Zellen, und einmal mehr weiß ich, dass dies genau die richtige Entscheidung war. Dort ist Madeira. Die Insel, auf der ich die nächsten Tage und Wochen verbringen werde. Zerklüftete Berge, Dörfer in den Tälern und kieselige Strände. Die Natur sieht bereits von hier oben so faszinierend aus, dass ich mich kaum sattsehen kann. Warum bin ich noch nie hier gewesen? Das schreit in jedem Fall nach mehreren Artikeln, die ich schreiben werde.

Ich knipse mit dem Handy ein Foto durchs Fenster, das natürlich nicht an die Qualität der Bilder meiner Kamera herankommt. Dennoch steckt diese mitsamt dem Rucksack im Staufach oberhalb meines Sitzes, und da wir uns im Landeanflug befinden, darf ich nicht mehr aufstehen. Gleichzeitig bin ich froh, dass dieser Flug überstanden ist. Schließlich ist das eher ein notwendiges Übel für einen Inselurlaub.

Als wir auf der Landebahn aufsetzen, jubelt die Reisegruppe mit den Jugendlichen auf, die seit Stunden hinten im Flugzeug für gute Laune gesorgt haben. Zumindest, wenn man es nett ausdrückt, denn ich konnte etlichen Mitreisenden ansehen, dass sie lieber ihre Ruhe gehabt hätten. Zum Glück hat die Crew den Jungs und Mädels keinen Alkohol ausgeschenkt. Darauf hat der Reiseleiter bestanden. Jedoch war nicht zu überhören, dass die Jugendlichen im selben Ort wohnen wie ich. Hoffentlich am anderen Ende. Außerdem soll es dort den perfekten Surfspot geben, denn die Gruppe will eine Woche lang in der ansässigen Surfschule Kurse besuchen.

Nun gut. So sind sie beschäftigt und werden mir nicht in die Quere kommen, wenn ich in Ruhe in der Natur wandere. Gemütlich und entspannt. Einfach die Seele baumeln lassen. Vielleicht gehe ich auch ein wenig schnorcheln.

Erst mal muss ich jedoch aus dieser Blechbüchse heraus. So sehr ich unsere Welt liebe und an die entferntesten Ecken reise, so unwohl fühle ich mich bei jedem Flug. Doch das ist eine andere Geschichte. Jetzt bin ich da und habe hoffentlich zu mir selbst zurückgefunden, wenn ich diese Insel wieder verlasse. Zumindest ist das mein Ziel. Je eher ich das erreiche, desto mehr kann ich mich den schönen Dingen widmen. Wobei das alles nahtlos ineinanderfließt.

Ich ziehe die Mundwinkel in die Breite, während ich den Menschenmassen zur Gepäckausgabe folge. Wenigstens hier läuft alles wie am Schnürchen. Ganz im Gegensatz zu meinen letzten Monaten. Wahrscheinlich ist es ein Vorteil, dass auf Madeira gerade die Hauptreisezeit zu Ende geht. Natürlich kann man jetzt nicht mehr mit dem schönsten Wetter rechnen, doch in Berlin hat längst der Herbst Einzug gehalten. Daher ist dies eine willkommene Abwechslung. Etliche Koffer drehen sich bereits auf dem Gepäckband, und ich finde meinen auf Anhieb. Perfekt.

Als ich in die große Halle des Flughafens trete, atme ich ein weiteres Mal durch. Jetzt kann der Urlaub beginnen. Bleibt nur abzuwarten, wo mein Shuttleservice auf mich wartet.

Ich recke mich auf die Zehenspitzen, doch bis auf den älteren Mann, der offensichtlich das Vergnügen hat, die stimmungsgeladene Partygesellschaft der Jugendlichen zu ihrer Unterkunft zu bringen, wartet niemand auf Ankommende. Die anderen Mitreisenden pilgern in Richtung des Mietwagenverleihs oder zum Ausgang.

Rasch stelle ich meinen Koffer ab und krame die Reiseunterlagen aus dem Rucksack hervor. »Hier steht klar und deutlich, dass ich abgeholt werde.«

Ich seufze. Das kann ja heiter werden, wenn die mich vergessen haben. Doch um keinen Preis der Welt will ich mir meine Laune verderben lassen. Ich habe Urlaub, und auch wenn ich zwischendurch etwas arbeiten werde, habe ich mir diese Auszeit mehr als verdient. Also lächle ich und suche nach einem Infoschalter, an dem ich vielleicht Unterstützung bekommen kann.

»For you.«

Ein Flyer aus Blau und Grün erscheint in meinem Blickfeld, sodass ich die Augen zusammenkneife und beinahe schiele, um irgendetwas zu erkennen. Als mir das nicht gelingt, greife ich nach dem Zettel und schaue in das Gesicht, das mir nun stattdessen die Sicht versperrt.

»Sind Sie …«, frage ich auf Englisch, stocke jedoch, als mein Blick auf eisblaue Augen trifft, die mir einen kalten Schauer den Rücken hinabjagen. Darin liegt eine tiefe Traurigkeit, so unergründlich wie die Wellen, die der Sturm umherpeitscht. Wellen, die turbulent durcheinanderwirbeln und mich in einen Strudel mitreißen, sodass ich kaum mehr weiß, wo oben oder unten ist. Ich schnappe nach Luft wie eine Ertrinkende. Im selben Moment blinzelt er, und der Zauber ist vorbei.

Ich will ihn fragen, ob er mein Shuttleservice ist, doch der billig wirkende Flyer, den ich in der Hand halte, lädt mich zu einem Surfkurs ein. Grafisch veraltet, mit Fotos, die heutzutage nahezu jeder mit dem Handy besser hinbekommt, und untermalt von der aufdringlichen Art des Mannes mit den eisblauen Augen, die nun leer wirken. Seine blonden, fast kinnlangen Haare sind strähnig, jedoch nicht ungepflegt. Wenn er lächeln würde, wäre er ein hübsches Exemplar. Knapp älter als ich – also vielleicht Ende zwanzig –, braungebrannt und mit einem wahrscheinlich sehr gut trainierten Körper, den er unter dem schlabbrigen T-Shirt mit der Palme drauf versteckt.

»Danke. Aber kein Interesse«, sage ich freundlich und halte ihm den Flyer hin. Wer kann sich heutzutage erlauben, so Werbung für sein Unternehmen zu machen? Dennoch klopft mein Herz schneller.

Der Mann, der aussieht wie ein Bilderbuch-Surfer, schaut mich verständnislos an, macht jedoch keine Anstalten, den Flyer zurückzunehmen. Beinahe wirkt er verloren.

»Ja nun. Soll ich den Flyer hier einfach auf den Boden werfen? Ich gehöre sicher nicht zu eurer Zielgruppe, daher möchte ich den Flyer nicht mitnehmen.« Eigentlich will ich nicht so unfreundlich sein, doch seine ganze Art ist merkwürdig. Geheimnisvoll. Dass ich meinen Blick trotzdem nicht von seinen Augen abwenden kann, sollte mir zu denken geben. Denn ja, er ist heiß. Durchtrainiert und attraktiv. Zumindest könnte er das sein, wenn er etwas aufmerksamer wäre und die Schultern straffen würde.

»Sorry.« Zerstreut schaut er durch die Halle, während er sich über die rötlich schimmernden blonden Haare wuselt. »Mein Bruder ist dafür verantwortlich, dass ich das hier mache.« Er zupft an seinem T-Shirt, als wäre ihm plötzlich zu heiß. Die Muskeln an seinen Unterarmen spielen deutlich, derweil sein Gesichtsausdruck noch immer nicht die Freude ausdrückt, die ich erwarten würde, wenn man auf einer solchen Insel wohnt und arbeitet. Ich meine, er lebt an diesem paradiesischen Ort! Da muss man doch automatisch blendende Laune haben. Genau die lasse ich mir von ihm sicher nicht vermiesen.

»Na gut. Dann will ich mal nicht so sein. Bitte entschuldige mich jetzt. Ich muss schauen, wie ich zu meiner Unterkunft komme. Hab noch einen schönen Tag und lass dich von deinem Bruder nicht ärgern!« Ich lächle ihn an und stecke den Flyer in die Tasche. »Ähm, weißt du, ob die Taxen dort stehen?« Ich deute in Richtung des Ausgangs.

Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund würde ich mich gern länger mit dem Mann unterhalten, obwohl er alles andere als kontaktfreudig wirkt. Wieso verteilt ausgerechnet er die Zettel?

Er nickt knapp, ohne wirklich hinzusehen, und wendet sich dem nächstbesten Ankömmling zu, um auch dem älteren Herrn kommentarlos einen Flyer unter die Nase zu halten. Als ob der sich für einen Surfkurs interessiert. Aber ich werde mich hüten, ihn darauf hinzuweisen. Was für ein komischer Kerl. Trotzdem haben mich vor allem seine Augen neugierig gemacht. Dieses Mystische darin geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Doch dann schüttle ich den Gedanken ab.

Meinen Koffer hinter mir herziehend gehe ich durch den Ausgang und atme tief die salzige Luft ein, die mir mit einer angenehmen Wärme entgegenschlägt. Herrlich! Postwendend bin ich schon deutlich mehr in Urlaubsstimmung und summe irgendeine fröhliche Melodie, die mir durch den Kopf wandert.

Das Meer, die Berge. Hier werde ich mich wohlfühlen. Ganz sicher. Letztendlich bin ich wie ein Chamäleon und anpassbar. Daher werde ich mir durch nichts und niemanden meine Stimmung verderben lassen.

Auch hier draußen ist nirgendwo jemand mit einem Schild zu sehen, der mich abholen will. Nun gut. Dann nehme ich eben doch das Taxi. Den Rest kann ich später klären. So genieße ich die Fahrt über die Insel, die nach jeder Kurve einen neuen Blick enthüllt, als wäre diese Tour eine Reise ins Ungewisse. Eine Expedition durch Flora und Fauna, gepaart mit Vulkanen und dem wiederkehrenden Ausblick aufs Meer. Vielleicht aber ist es auch nur die Reise zu mir, die durch ihre Höhen und Tiefen genau hier beginnt. Beginnen muss. Wo immer sie mich hinführt.

* * *