Date me, Mr. Summertime - Sarah Lemme - E-Book

Date me, Mr. Summertime E-Book

Sarah Lemme

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Beschreibung

Eine Nacht. Zwei Fremde. Und eine Verbindung, die bleibt.
Madeline kennt den Abgrund – und wie man jeden Tag einen Schritt davon entfernt lebt. Tagsüber arbeitet sie in einem Bürojob, doch um ihre Rechnungen zu bezahlen, tanzt sie abends in einem zwielichtigen Nachtclub. Als sie sich weigert, ihre letzten moralischen Grenzen zu überschreiten, verliert sie in kurzer Zeit alles, was ihr Halt gegeben hat.
Ezra versucht nach einer schmerzhaften Trennung den Kopf über Wasser zu halten. Erfolgreich im Business als Eventmanager bei  The Gift, doch innerlich leer, stolpert er in einen Club, ohne zu ahnen, dass eine Begegnung dort sein Leben verändern wird.
Als sich ihre Wege unter beruflich turbulenten Umständen wieder kreuzen, lodert die alte Nähe sofort wieder auf. Zwischen Sommerfesten, unerwarteten Geständnissen und zarten Momenten wächst etwas, das sich wie Hoffnung anfühlt – wenn sie es zulassen …

“Date me, Mr. Summertime” ist der zweite Band der romantischen “Date Me”-Reihe von Sarah Lemme. Über 4 Jahreszeiten sorgen hier 4 Traummänner für absolute Wohlfühl-Romantik mitten aus dem Leben. Perfekt für Fans von zweiten Chancen und Feel-Good-Liebesromanen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DATE ME, MR. SUMMERTIME

DATE ME

BUCH 2

SARAH LEMME

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Sarah Lemme

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: TE Language Services – Tanja Eggerth

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-519-9

VORWORT

Liebe*r Leser*in,

Mit Mr. Summertime hältst du den zweiten Teil meiner vierbändigen Reihe rund um den Geschenkladen The Gift in New York in den Händen. Alle Geschichten sind in sich abgeschlossen und die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.

Was erwartet dich in diesem Buch? Liebe am Arbeitsplatz, moderater Spice und eine dunkle Vergangenheit.

Deshalb wünsche ich dir nun viel Spaß mit Ezra Spoon, der plötzlich im Büro der Frau gegenübersteht, mit der er einen One-Night-Stand hatte. Ausgerechnet mit ihr soll er künftig zusammenarbeiten. Ob das gutgeht?

Deine Sarah

1

MADELINE

EIN HALBES JAHR ZUVOR

Der Wind weht böig durch die herbstlich verfärbten Blätter, die sich auf dem Boden zu einem raschelnden Strudel zusammengefunden haben. Eine Katze miaut, und irgendwo bellt ein Hund, der sicher mit seinem Herrchen auf der letzten Gassirunde des Tages ist, bevor das Wetter endgültig umschlägt. Gewitter und Regen sind angekündigt. Eine Wetterlage, bei der niemand freiwillig draußen ist. Daher haste ich durch die dunkler werdenden Straßen. Grau ragen die Häuser um mich herum auf, kommen bedrohlich näher.

Erste Tropfen patschen auf den Asphalt, auf meinen Kopf. Hektisch ziehe ich die Mütze notdürftig über die Haare und senke den Blick, damit mein Make-up nicht verläuft. Gleichzeitig beschleunige ich die Schritte, bis ich beinahe renne. Ich kenne die Gegend wie meine Westentasche. Leider.

Je weiter ich mich meinem Ziel nähere, desto mehr lungern irgendwelche Kerle in den Seitengassen, verticken ihre Drogen und wer weiß was noch. Auch erste leicht bekleidete, junge Frauen sehe ich. In diese Gegend wollte ich niemals und doch habe ich keine Wahl. Ich muss. Muss mich zusammenreißen, nicht umzudrehen und schnellstmöglich das Weite zu suchen. Denn das wäre die einzig richtige Reaktion.

Jeden Donnerstag, jeden Freitag und jeden verfluchten Samstag. So auch heute. Ich atme tief durch und biege in die eine, noch dunklere Seitenstraße ab. Oh, wie ich diesen Ort verfluche. Dennoch kann ich nicht ohne ihn.

»Hey, komm her und ich zeige dir, wie du deinen Horizont erweiterst!« Die sonore Stimme aus der rabenschwarzen Ecke treibt mir einen eisigen Schauder über den Rücken. Jedes Mal, wenn er irgendwen anspricht, würde ich ihm am liebsten eine Backpfeife verpassen. Doch das ist nicht meine Art. Schlimm genug, dass ich seinen Namen kenne.

»Dean, lass den Scheiß und verpiss dich.« Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu, verlangsame die Schritte allerdings keine Sekunde.

»Niemals. Mein Platz ist hier, und wenn der Regen sich verzogen hat, wird das Geschäft brummen. Jeder will sich aus dieser gottverlassenen Welt wegbeamen.« Er lacht höhnisch auf, denn er weiß genau wie ich, dass unser Gespräch zu keinem Zeitpunkt anders verlaufen wird. Auch wenn ich verzweifelt sein mag, ihm würde ich nie einen Schritt zu nahe kommen. Vor allem würde ich ihm unter keinen Umständen etwas von seinem gepantschten Zeug abkaufen. Es reicht, dass ich zu oft die armseligen Gestalten sehe, die zitternd mit ihrem geklauten Geld bei ihm auftauchen.

Der Regen trommelt inzwischen heftiger auf meine Kapuze, und ich beeile mich, den Eingang zu dem Gebäude zu erreichen, das mir Hoffnung schenkt und mir gleichzeitig die Seele raubt. Es ist die Nacht, während ich der Tag bin. Ein Ort, an dem ich niemals sein dürfte und es doch immer wieder bin. Weil es sein muss. Weil ich mich arrangiert habe. Immerhin habe ich ein Ziel. Und auch wenn es sich manchmal anders anfühlt, bleibe ich mir treu. Hoffentlich, denn zu oft ist es, als würde ich meine Seele scheibchenweise verkaufen.

Ich nicke dem Türsteher zu, der mich ohne ein Wort passieren lässt. Die Gäste kommen gleich. Und er kennt mich, obwohl ich keine Ahnung habe, wie sein Name ist. Denn Namen sind hier wie Schall und Rauch. Bedeutungslos. Hier zählt nur das Geld.

Rasch biege ich in Richtung der Umkleide ab. Ich nicke den anderen Frauen zu, die sich bereits fertigmachen. Mehr als ein paar Worte haben wir nie gewechselt. Keine von uns will Kontakte knüpfen. Niemand möchte reden. Wir sind alle aus einem bestimmten Grund hier. Jeder Grund mag individuell sein und doch eint uns, dass wir Geld brauchen. Mehr Geld, als man mit einem simplen Kellner-Job verdienen würde. Denn was immer einem versprochen wird, auch in New York City ist nicht alles Gold, was glänzt. Im Gegenteil. Wie oft habe ich in Manhattan an den Gebäuden emporgeschaut, aus denen regelmäßig die Schönen und Reichen hervorkrabbeln? Wie oft habe ich mir gewünscht, eine von ihnen zu sein? Dass ich selbst in einer winzigen Wohnung dort lebe, ist reiner Zufall. Müsste ich Miete dafür bezahlen, wäre ich längst verschwunden. Denn ich bin kein Stadtmädchen. War es nie und doch bin ich hier gestrandet. Meinen Großeltern zuliebe, die sich immer eine fantastische Karriere für mich gewünscht haben. Zumindest ist das die Begründung, die ich mir einrede. Tss. Als wenn ich jemals aus diesem Loch herauskommen würde. Und mein anderer Job ist gefühlt auch nicht besser. Was würde ich dafür geben, mal wieder aufs Land rauszufahren? Zu meiner Tante und ihrem Pferdehof. Immerhin telefonieren wir regelmäßig. Doch ist das nicht dasselbe. Wie gern würde ich auf dem Pferderücken sitzen und durch die Natur bummeln? Aber dafür fehlt die Zeit. Ich seufze.

»Du bist heute im Cage.«

Ich schaue kurz zu dem untersetzten Mann mit Glatze und der Waffe am Gürtel auf und nicke. Als wenn ich eine Wahl hätte. Cage, Table, Pole oder den vierten Raum, in den keine von uns will. Das ist die Auswahl. Eine Auswahl, die nicht wir treffen, sondern Garry. Immerhin habe ich mit ihm den Deal, dass ich nie in den vierten Raum muss, der von uns nur ›The Dark‹ genannt wird, obwohl er eigentlich namenlos ist. Ein schwarzes Loch, das jeden verschlingt, der sich dort hineintraut.

Wir befinden uns in dem Nachtclub mit dem anmutig klingenden Namen Heavenly Nights. Aber das ist alles, was daran charmant ist. Zumindest für mich. Klar, es gibt da diesen fünften Raum. Das, was der Ottonormalverbraucher zu sehen bekommt. Ein stinknormaler Nachtclub, in dem der Gast neben Cocktails guter Musik lauschen und sich unter anderem als Zusatzleistung ein Zimmer für die Nacht mieten kann. Ob er dort mit einer Frau, die er im Lokal kennengelernt hat, oder allein nächtigt, bleibt ihm überlassen. Der Laden brummt und jeden Tag strömen die Menschen herbei.

Doch es gibt diese eine andere Tür. Die Tür, die ich noch nie genommen habe, da ich stets durch den Hintereingang gehe. Die Tür öffnet das Tor zum Abgrund für unsere Kunden. Wobei Garry diesen Abgrund seine Goldgrube nennt, in die längst nicht jeder hineingelassen wird. Ein Raum für Cage-Fights, in dem die Leute auf den Sieg einer Person Geld wetten können. Dann der Raum, in dem Glücksspiel aller Art betrieben wird. Natürlich unangemeldet und steuerfrei. Als Drittes der Raum, an dem einige von uns an der Stange tanzen. Zu knapp bekleidet und mit der Erlaubnis, angefasst zu werden. Und abschließend die wirkliche Hölle, die ich hoffentlich nie von innen kennenlernen werde. Es reicht, die Mädchen zu sehen, die dort wieder herauskommen.

Ich nehme die blonde Perücke vom Styroporkopf und setze sie mir sorgfältig auf. Selbst meine eigene Mutter würde mich so nicht erkennen. Dafür ist das Make-up zu dick und die Veränderung zu gravierend. Doch es muss sein. Für mein Seelenheil, obwohl ich ebenjene Seele hier jeden Tag ein Stück mehr verkaufe.

»Jetzt raus mit euch!« Garry steht an der Tür und winkt.

Hastig streife ich die locker sitzende Jogginghose und die Sweatjacke ab. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper, sodass ich erschaudere. Bald wird er die Heizung anschmeißen müssen, doch an dieser Stelle spart er gern. Ich bin mir sicher, dass ich den Grund kenne. Immerhin bezahlt er uns nicht dafür, dass wir hier in der Garderobe herumsitzen, die zudem so unbequem und eng ist, dass ich keinerlei Bedürfnisse habe, hier länger als absolut notwendig zu verweilen.

Ich schließe die Augen, atme tief durch und vergesse, wer ich bin. Spätestens mit der Perücke bin ich nicht mehr Madeline, die tagsüber im Büro arbeitet. Ich werde zu einem Niemand. Einem schmucken Beiwerk in meiner persönlichen Hölle.

Seufzend gehe ich durch den Flur und betrete den Cage. Wobei dies nur den Raum meint, in dessen Mitte der Käfig platziert ist. Das unsägliche Stahlding, das die Kontrahenten erst verlassen, wenn einer von ihnen nicht mehr aufsteht. Zum Glück gibt es ausreichend Idioten, die sich das schnelle Geld durch einen Cagefight versprechen, sodass Garry hoffentlich nie auf die Idee kommt, eine von uns könnte sich dort vermöbeln lassen.

Trotz allem betrete ich den Käfig – meinen ersten Arbeitsspot für heute – so anmutig ich kann, denn inzwischen strömen Gäste in den Raum. Gierig schauen sie sich um und steuern auf die Infotafel zu, die die heutigen Ansetzungen benennt, während der DJ wummernd rockige Beats auflegt, die die Gebote in die Höhe schrauben sollen. Gleichzeitig wissen alle Anwesenden, dass das nur die Show vermag, die gleich startet.

Ich blende es aus. Versinke in der Musik und bewege mich zu ihr. Lasziv und aufreizend. Denn ich bin nur Dekoration. Zumindest heute. Von allen Räumen ist der Cage zwar der brutalste, dafür für uns Mädchen der entspannteste, da die Gäste nicht an uns herankommen, während wir tanzen.

Und so erlebe ich die Nacht wie in Trance. Betrete den Cage zwischen den Kämpfen und verziehe mich währenddessen an einen anderen Platz, an dem mir die Männer ebenfalls gierig zusehen können. Ich spule meine Tänze ab und blicke mehr wie eine Außenstehende auf die Szenerie hinab, als dass ich anwesend bin. Letztendlich ist meine Meinung egal. Es geht einzig ums Geld. Geld, welches ich dringend brauche.

Ich wechsle vom großen Cage in den kleinen Käfig, sorge für Animation und tanze. Nicht mehr und nicht weniger, auch wenn ich mir durchaus mehr Stoff am Körper wünschen würde als den Tanga und die abgeklebten Nippel. Doch ich tue es für Mom. Einzig für Mom.

»Hey!«

Ich öffne die Augen, als Garry mich anspricht.

»Ich brauche dich für einen Extra-Job. Eine Stunde. Vierfacher Stundenlohn.« Seine Stimme ist unnachgiebig und fordernd, sodass sich alles in mir zusammenzieht. Er duldet kein Nein, und doch kann ich ihm kein Ja geben. Ich weiß, was er will. Mein Blick folgt seinem dezent ausgestreckten Finger, der auf einen Mann weist, dem das Geld anzusehen ist. Teurer Anzug, Goldkettchen, und auch der Silber glänzende Zahn entgeht mir nicht, als er mich überheblich angrinst.

»Vergiss es«, zische ich, denn ich wage es nicht, den Kopf zu schütteln.

»Das habe ich ihm gesagt, doch er will nur dich. Koste es, was es wolle.«

»Ich bin nicht käuflich.« Das ist meine Grenze. Ich tanze, ja. Aber ich werde mich nicht prostituieren.

Garry lacht trocken auf. »Schätzchen, wir sind alle käuflich. Auch du. Du hast die Wahl. Nimm das Angebot an oder du gehst jetzt und für die Ewigkeit. Eine andere Option gibt es nicht und wenn ich richtig informiert bin, brauchst du dieses Geld.«

Wer auch immer dieser Mann ist, er gehört definitiv nicht zu den Menschen, die ihre Millionen durch legale Geschäfte scheffeln. Denn solche Leute treiben sich auf schicken Galas rum, spenden für wohltätige Zwecke. Sie verbringen ihre Nächte nicht im Heavenly Nights. Nicht in diesem Raum. Hier treffen Drogenbosse, Waffenhändler und Kleinkriminelle aufeinander. Doch nirgends sonst ist der Verdienst als Tänzerin so gut. Das ist der einzige Grund, warum ich mir zusätzlich zu meinem Gehalt als Angestellte mehr dazuverdiene. Geld, welches ich dringend brauche. Nicht für mich, aber …

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Natürlich weiß ich, was in der Stunde passieren wird, in der der Mann mich exklusiv haben will. Doch ich gehöre nicht zu dieser Art Mädchen und der Mann ist mir mit seinem Grinsen, dem am Hals heraufragenden Tattoo und der Zigarette in der Hand zutiefst zuwider.

»Nein«, sage ich entschlossen, wohl wissend, dass ich damit mein Schicksal besiegle. Aber meine selbst aufgelegte Grenze werde ich nicht überschreiten. Vieles habe ich versucht, mir die Nächte um die Ohren geschlagen und tagsüber hundemüde gearbeitet. Doch dieses letzte bisschen Selbstachtung werde ich nicht aufgeben. Das weiß Garry. Da werde ich keine Ausnahme machen. »Nein. Tut mir leid. Du kennst meine Limits.«

Nur deshalb hat er mich bisher von den Extra-Jobs ausgenommen. Das war ihm von Anfang an klar. Damals. Vor inzwischen fünf Jahren. Als er Mädchen brauchte, und ich Geld. Aber nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich unsere Wege trennen. Denn er hat genug Mädchen, die solche Extra-Aufträge zu gern annehmen. Die ihre Seele verkaufen, nur um noch mehr Geld zu bekommen. Doch so sehr ich es bräuchte, es geht nicht. Auch wenn das bedeutet, dass ich versagt habe.

»Gut. Dann soll es so sein. Du kennst den Weg nach draußen. Du erhältst dein Geld anteilig für diesen Abend, und wir sehen uns nie wieder.«

Ich nicke, werfe einen letzten Blick zu dem Mann, der für dieses Übel verantwortlich ist, und haste zur Umkleide. Fünf Jahre. Fünf verflucht lange Jahre habe ich hier meine Seele verkauft. Doch ab heute muss ich mein Geld anderweitig verdienen.

* * *

AM NÄCHSTEN TAG

»Siiie isss tooot.« Die Stimme meines Dads lallt ebenso emotionslos wie betrunken durch das Telefon.

Zur Salzsäule erstarrt hocke ich im Schneidersitz auf dem Bett. Benommen und müde von der viel zu kurzen Nacht, die dank meines Neins immerhin länger als gewöhnlich ausgefallen ist. Fuck. Ich habe alles riskiert und verloren. Bin den illegalen Job mit dem guten Gehalt los und müsste zusehen, wie ich alternativ Geld ranschaffen kann.

»Letzte Nacht?«, hake ich nach, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass er mir in seinem Zustand eine konkrete Auskunft geben kann. Immerhin hat es Gründe, dass sich unser Kontakt auf das Notwendigste beschränkt.

»Nein.« Das eine Wort kommt ihm kaum über die Lippen.

Ich schließe die Augen und beiße auf meine Fingerknöchel, um nicht loszuschreien. Wie kann er nur? Wie kann er mir diese Nachricht vorenthalten? Wie kann er das alles so emotionslos sagen? Immerhin hat er sie geliebt! Zumindest dachte ich das.

Im Hintergrund höre ich, wie er einen Schluck aus der Flasche trinkt. Wahrscheinlich Wodka, so wie damals. Dabei hatte er den Entzug durchgestanden und sein Leben umgekrempelt. Er war trocken. Er hatte einen anständigen Job. Mom hat ihn geliebt und die ganze Zeit zu ihm gestanden. Bis zu dem einen Tag. Der Tag, der unser aller Leben erneut verändert hat. Trotzdem ist er nicht rückfällig geworden. Er hatte sich im Griff, hat getan, was er tun konnte. Nur um dann doch rückfällig zu werden.

»Wann ist die Beerdigung?«, frage ich mit bebender Stimme weiter, als ich mich wieder halbwegs unter Kontrolle habe.

»War gessstern.«

Damit lege ich auf. Ich schicke ihm jeden Monat Geld, harre in dieser verfluchten Stadt namens New York City aus, weil ich hier Kohle bei Garry verdienen kann – konnte. Und er dankt es mir damit, dass er nicht in der Lage ist, mich über ihren Tod zu informieren? Dass ich nicht einmal eine Einladung zu ihrer Beerdigung bekomme? Was stimmt nicht mit diesem Mann?

Ich starre auf die Wand und mit der Erkenntnis, dass Mom tot ist, rollen die Tränen über meine Wangen. Warum? Warum hat mich niemand informiert? Hat er es irgendwem gesagt? Ich bin leer. So leer wie seit Jahren nicht mehr. Allein und ohne Sinn im Leben. Denn was soll ich tun? Mir bleibt einzig der vermaledeite Job im Büro, den ich am liebsten sofort an den Nagel hängen würde. Mom war alles für mich. Zu gern hätte ich Mom öfter besucht. Immerhin war sie es, die mich überredet hat, in New York City zu bleiben. Der Stadt, in der Träume angeblich wahr werden können. Pah! Die Stadt ist genauso gut wie jedes andere Drecksloch.

Was soll ich tun? Denn ich falle. Falle ins Bodenlose. Nicht aufzuhalten und ein Ende ist nicht in Sicht. Wenn ich vor ein paar Stunden dachte, mein Rauswurf im Heavenly Nights wäre das Schlimmste, was mir passieren könnte, dann …

Fuck!

Er hat es mir nicht gesagt!

Wie in Trance greife ich erneut zum Handy und suche die Telefonnummer von Wendy aus meinen Kontakten. Doch als ihre Stimme am anderen Ende erklingt, bringe ich kein Wort heraus. Denn niemals darf irgendwer erfahren, was ich all die Jahre dreimal wöchentlich nachts getan habe. Niemals. Und doch wünsche ich mir einen Partner an meiner Seite, dem ich genau das anvertrauen kann. Ich will ankommen und endlich einen sicheren Hafen finden. Nur nicht so.

2

MADELINE

HEUTE

Ich schiebe mich durch die Menschenmenge, die Arme fest an den Körper gepresst. Schweißgeruch steigt in meine Nase, gepaart mit dem Duft nach einem süßlichen Parfum, zuckrigen Cocktails, Knoblauch und Aftershave. Der wummernde Beat zu dem Lied, das aktuell die Spitze der Charts bildet, vibriert in meinem Bauch. Als sich ein Rücken vor mir aufbaut, halte ich an und recke mich auf die Zehenspitzen. Wo sind die anderen?

Ein Ellenbogen trifft mich hart in die Rippen. »Uff.« Ich stoße die Luft aus, krümme mich zusammen und suche nach Halt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Himmel! Ich bin erst seit fünf Minuten hier, habe noch keinen Tropfen Alkohol getrunken und bin mitten auf der Tanzfläche gelandet. Das kann ein unterhaltsamer Abend werden. Rasch zücke ich mein Handy. Keine Nachricht von Kathy oder Wendy.

Madeline:

Wo seid ihr?

Ich schicke die Frage ab und stecke das Handy weg. Anschließend atme ich durch, ignoriere den penetranten Knoblauchgeruch, der von einer der Personen um mich herum ausgeht, und schiebe die Körper vor mir energisch auseinander. Niemand stört sich an meiner ruppigen Art. Keine Ahnung, ob mir das zu denken geben sollte. Immerhin stehe ich kurz darauf neben einer Bar.

»Einen Blue Lagoon bitte!«, rufe ich dem Barkeeper die Cocktail-Bestellung zu und schaue erneut auf mein Handy, das just in diesem Moment vibriert.

Kathy:

Gleich da! Sind vor dem Eingang!

Ich verdrehe die Augen. Warum habe ich gehofft, dass ich mit meinen 30 Minuten Verspätung heute nicht die Erste bin? Es ist alles wie immer.

Madeline:

Ich checke schon mal die Karte.

Dazu mache ich ein Foto von dem knallblauen Cocktail, den der Barkeeper mir mit einem Lächeln serviert. Immerhin sind die auf Zack und lassen einen nicht lange warten. Aber das hier ist nicht das Heavenly Nights.

»Danke!«, rufe ich ihm über die dröhnende Musik hinweg zu. Zum Glück wummert der Bass in dieser Ecke der gigantischen Halle nicht übermäßig. Dennoch ist es mir unerklärlich, wie er die Bestellungen korrekt versteht. Das soll jedoch nicht mein Problem sein. Inzwischen hat der Song gewechselt und ein weiteres Lied, das tagtäglich im Radio rauf und runter läuft, dudelt aus den Boxen.

Da die Bar auf einer erhöhten Fläche seitlich des Tanzbereiches liegt, ziehe ich mir einen Hocker heran und lasse meinen Blick über die sich hin und her bewegenden Köpfe schweifen. Der Club ist neu, an diesem Samstag dank des Eröffnungsangebots mit dem freien Eintritt rappelvoll und scheint offensichtlich die richtigen Leute anzuziehen. Wobei richtig immer eine Frage der Definition ist. Wahrscheinlich gehöre ich mit meinen 25 Jahren zu dem älteren Drittel aller Anwesenden, doch mich stört es nicht. Die Gesichter, die ich sehe, passen zu Studenten, vermutlich gerade 21. Männer, Frauen, die teilweise so jung aussehen, dass ich mich frage, ob sie um diese Zeit nicht besser im Bett sein sollten. Doch wie oft hätte ich das ebenfalls sein sollen und war stattdessen in diesem unsäglichen Club bei Garry? Nicht, dass ich es vermisse. Gleichzeitig ist mein Leben seitdem nicht mehr dasselbe.

Ich wende mich von der Tanzfläche ab und dem Cocktail zu. Dabei bleibt mein Blick an einem Mann hängen. Er ist anders als die meisten hier. Nicht nur aufgrund seines Alters. Er fällt auch durch sein Verhalten auf. Ein Bier in den Händen drehend stützt er sich am gegenüberliegenden Ende der Bar, nahe dem Eingang zum VIP-Bereich, auf den Tresen. Den Blick von der Tanzfläche abgewendet und auf das Getränk gerichtet, wirkt er, in seiner Anzughose und dem blauen Hemd mit den hochgekrempelten Ärmeln, zu erwachsen – und zu trübsinnig. Wie kann man in einem Club, in dem alle überschäumend euphorische Laune haben und die Musik durchaus passabel ist, so miesepetrig dreinschauen? Dennoch beschleunigt sich mein Herzschlag und pocht dumpf gegen die Rippen, während ich ihn mustere. Noch hat er mich nicht bemerkt. Seine Haare sind verstrubbelt, und auch wenn ich mir sicher bin, dass ich ihn nie zuvor gesehen habe, kommt er mir bekannt vor. Vielleicht sind wir uns irgendwo zufällig begegnet?

Über was er wohl nachdenkt? Hat er schlechte Nachrichten bekommen? Oder gehört ihm der Laden? Nein. Dann müsste er sich freuen. Immerhin brummt der Club. Das kann es nicht sein. Aber woher könnte mir sein Gesicht bekannt vorkommen? Attraktiv ist er in jedem Fall. Wenn ich ehrlich bin, genau mein Beuteschema. Trotzdem … Ich kann nicht … Oder doch? Ob ich ihn ansprechen soll? Zu verlieren hätte ich nichts und zu einer aufregenden Nacht sage ich nie Nein. Hauptsache, er will nicht mehr. Aber so, wie er dreinschaut, hat er offenbar kein Interesse, mit irgendwem ins Gespräch zu kommen. Also keine Option. Außerdem werden die anderen gleich da sein.

»Hey!« Ich zucke zusammen. Wendys Stimme schrillt in meinem Ohr, so nah steht sie neben mir und brüllt gegen die Musik an, obwohl es nicht nötig wäre, da der Song in diesem Moment endet. »Sorry nochmal! Ich hatte noch ’nen Hund in der Betreuung, und der Besitzer kam zu spät.«

»Schon gut«, gebe ich gemäßigter zurück und umarme erst sie und anschließend Kathy. »Immerhin bin ich nicht verdurstet, und ihr seid ja nun da. Auf einen grandiosen Abend!«

»Ich verdurste gleich, wenn ich nicht endlich etwas zu trinken bekomme. Und, schon wen Interessantes gesichtet?« Kathy drängelt sich an mir vorbei an die Bar, während mir Hitze ins Gesicht schießt und meine Wangen glühen. Mein Blick huscht zu dem Mann und für einen Augenblick hoffe ich, dass er dort nicht mehr sitzt. Allerdings hat er sich keinen Millimeter bewegt. Noch immer starrt er in sein Bier, das bereits recht abgestanden aussieht. Sucht er darin irgendwelche Antworten? Beinahe hätte ich aufgelacht. So naiv kann er nicht sein.

Bevor Kathy oder Wendy Verdacht schöpfen, wende ich mich ihnen wieder zu. »Nein, hier tummelt sich eindeutig zu viel junges Gemüse.«

Wendy lacht auf. »Junges Gemüse? Du bist selbst erst 25. Definitiv jung, knackig und dynamisch.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch, kann mir das Grinsen jedoch nicht verkneifen. »Aus welcher Werbung hast du das denn?«

»Keine Ahnung. Kam mir gerade so. Wollen wir tanzen?«, fragt Kathy lautstark gegen die Musik an, inzwischen mit zwei bunten Cocktails in der Hand, von denen sie einen an Wendy weiterreicht. »Unterhalten kann man sich hier ja eh kaum.«

Ich nicke, denn sie hat recht. Außerdem würde es mir die Chance geben, mein noch immer pochendes Herz auf andere Weise zu beschäftigen.

Bevor ich Kathy und Wendy mit dem Blue Lagoon in der Hand in die Menge folge, werfe ich einen Blick zur Bar zurück. Doch dort steht nur ein verlassenes, halb ausgetrunkenes Bierglas. Von ihm hingegen ist keine Spur zu sehen.

Ich schüttle kaum merklich meinen Kopf. Was denke ich mir dabei? Immerhin kann ich nicht davon ausgehen, dass jeder Kerl, den ich interessant finde, für ein paar Stunden für mich zur Verfügung steht. Wahrscheinlich ist es besser so. Ich bin mit den Mädels hier und wir wollen die Nacht zum Tag machen. Ein wenig aus dem grauen Alltag flüchten – auch wenn keine von den beiden weiß, dass solche Clubs Erinnerungen in mir wecken.

Also gebe ich mich dem Rhythmus der Musik hin und lasse alle Gedanken los. Wir sind hier, um Spaß zu haben. Da kann ich mich nicht mit den destruktiven Gedanken eines Mannes beschäftigen, nur weil der in sein Bierglas starrt. Außerdem ist er weg, und ich nehme nicht an, dass er tanzen gegangen ist.

Ich grinse Kathy an und proste ihr zu. Das ist unser Mädels-Abend. Seitdem wir uns kennen, muss das ab und an sein, auch wenn die beruflichen Wege uns in vollkommen unterschiedliche Richtungen getrieben haben.

Als der Refrain des allseits bekannten Liedes ertönt, regelt der DJ die Lautstärke kurz runter, sodass die Halle von hunderten Stimmen erfüllt ist. Ich singe so laut mit, wie ich kann, denn wer nicht mitsingt, wird wahrscheinlich schräg angeschaut. Nicht für eine Sekunde bleibe ich still. Im Gegenteil. Langsam bin ich warm geworden. Auch Kathy hält ihren Drink hoch über dem Kopf, hat die Augen halb geschlossen und grölt mit. Oh, wie habe ich das vermisst. Einfach das Leben genießen.

Der Song endet und wir tanzen auch den nächsten durch. Ebenso wie den übernächsten und den danach. Immer weiter, bis sich ein anderes Bedürfnis meldet.

»Ich muss mal!«, rufe ich Wendy zu, die direkt neben mir tanzt, warte jedoch nicht auf ihr Nicken. So rasch ich kann, quetsche ich mich durch die tanzenden Menschen und steuere auf die Toiletten zu, vor denen glücklicherweise keine kilometerlange Schlange steht. Ich stelle mein leeres Glas auf einem Tisch ab und verschwinde auf dem stillen Örtchen. Kurz überprüfe ich das Make-up, doch obwohl ich geschwitzt habe, sitzt alles perfekt. Nicht, dass ich mich übermäßig schminken würde – so wie damals im Heavenly Nights –, aber die natürlichen Vorzüge unterstreiche ich gern. Viel mehr Zeit verschwende ich darauf jedoch nicht.

Ich löse das Haargummi aus meinem Pferdeschwanz und binde ihn neu. So sollte es gehen. Als ich die Tür wieder öffne, umhüllt mich sofort die Musik, die hier hinten in der Ecke jedoch nicht so dröhnend ist wie auf der Tanzfläche. Ob ich mir noch einen Drink organisieren soll?

In dem Moment trifft mich etwas – nein, jemand – an der Schulter. Drückt mich vorwärts, sodass ich strauchle. Haltsuchend rudere ich mit den Armen, doch mein Gleichgewicht habe ich längst verloren. Ich stolpere, knicke um und kralle mich reflexartig an dem fest, was mir in die Hände kommt. Stoff. Darunter ein warmer Körper. Nicht weich, sondern trainiert. Ekliger Biergeruch dringt in meine Nase und trotzdem kann ich nicht aufhören, einzuatmen.

»Hey! Pass auf!« Die Stimme des Mannes ist eindeutig verärgert. Doch trotz der Schärfe hat sie einen angenehm warmen Klang, der tief in jede meiner Zellen dringt und sie zum Schwingen bringt.

Immerhin habe ich das Gleichgewicht wiedergefunden und will zu einer Erwiderung ansetzen, als mir klar wird, dass er überhaupt nicht mich gemeint hat. Er … Fuck! Das ist er! Ich schließe die Augen, öffne sie erneut, doch noch immer hält er mich an den Oberarmen fest und schaut an mir vorbei.

Der Mann, den ich vorhin an der Bar beobachtet habe, schiebt mich kurzerhand beiseite und geht auf den anderen Mann zu, der mich mutmaßlich angerempelt hat. Wahrscheinlich unbeabsichtigt und doch hat er mich voll erwischt. Rasch reibe ich mir über die schmerzende Stelle an der Schulter. Hoffentlich bekomme ich keinen blauen Fleck.

»Sorry, Mann. Ich wollde deine Kleine nich anrembeln.« Er lallt so eindeutig, dass mir klar ist, warum er sein Gleichgewicht und seine Bewegungen nicht mehr koordinieren kann.

»Ein gut gemeinter Rat: Du solltest nach Hause gehen.« Dann wendet Mister Ich-starre-mürrisch-in-mein-Bier sich von ihm ab und winkt einen der Security-Leute heran, die mir zuvor nicht aufgefallen sind. Was die Männer sagen, verstehe ich nicht mehr, doch ist es wohl besser, ebenfalls zu verschwinden. Als ich den nächsten Schritt mache, sticht ein Schmerz durch meinen Knöchel. Nicht doll, aber genug, dass ich den Schuh am liebsten in die nächstbeste Ecke pfeffern würde. Warum habe ich die Dinger mit den acht Zentimetern angezogen?

Ich humple zur Bar und setze mich auf den einzig freien Hocker. Diesmal ignoriert der Barkeeper mein Winken jedoch gekonnt.

»Alles okay bei dir?« Die wohlige Stimme des Mannes lässt meine Wangen erneut glühen. Er ist so nah, dass ich seine Körperwärme an meiner Seite spüre.

»Ja«, krächze ich und streiche mir eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr. »Danke.«

»Wirklich? Ich habe gesehen, dass du gehumpelt bist.« Wieder rieche ich das Bier in seinem Atem, das er vorhin getrunken hat. Die obersten zwei seiner Hemdknöpfe sind geöffnet und die Ärmel hat er noch immer nach oben gerollt. Seine Unterarme wirken so durchtrainiert, als würde er den ganzen Tag damit verbringen, zu pumpen. Der Rest seines Körpers scheint dem in nichts nachzustehen.

»Wieso bist du noch hier?«, frage ich und schlage mir die Hand vor den Mund, während sein Blick eine Nuance tiefgründiger wird. »Sorry. Das war unhöflich«, sage ich direkt hinterher. Ich will ihm nicht auf die Füße treten. Immerhin hat er vorhin so mürrisch geschaut und garantiert einen Grund dafür.

»Schon okay. Wie kommst du auf die Idee?« In gespannter Erwartung schaut er mich aus seinen grau-grünen Augen an, bei denen die Sprenkel wie Diamanten funkeln.

»Ich habe dich an der Bar gesehen …« Ich lasse den Rest des Satzes unbeendet, doch er versteht mich. Seine Mundwinkel zucken, während ich den Hauch eines Lächelns erahne.

»Da habe ich eine Weile gesessen, ja. Ich habe nicht mitbekommen, dass ich beobachtet wurde. Schon gar nicht von so einer bezaubernden Frau. Hätte ich das geahnt, wäre ich rübergekommen und hätte nicht erst warten müssen, dass ich dich vor einem unsanften Sturz retten darf.« Falls die grünen Sprenkel in seinen Augen noch intensiver leuchten können, tun sie dies in diesem Moment. Zumindest würde ich Stein und Bein darauf schwören.

Die Hitze brennt in meinen Wangen. Falls es möglich wäre, würde ich mir ein Loch im Boden wünschen, in dem ich versinken könnte. »Ich … ich«, stottere ich.

Doch er winkt ab. »Schon gut. Wenn du magst, kann ich mir deinen Knöchel gern einmal ansehen.«

»Bist du Arzt?« Keine Ahnung, warum ich diesen Gedanken direkt ausspreche. Immerhin wirkt er souverän. Genau so, wie ich mir einen Arzt wünsche.

»Wer weiß? Ich bin mir zumindest sicher, dass ein Eisbeutel Schlimmeres verhindern könnte.«

Endlich reagiert der Barkeeper auf meine gehobene Hand. »Einen Blue Lagoon bitte!«, rufe ich ihm zu und bin nach wie vor froh, dass die Musik in dieser Ecke ebenfalls leiser ist. Allerdings: Wer will direkt vor den Toiletten sitzen? Da war es an der anderen Bar zuvor schöner.

»Ich bin übrigens Ezra.« Der Mann, der noch immer vor mir steht und offensichtlich nicht gewillt ist, mich mit meinem pochenden Knöchel allein zu lassen, streckt mir die Hand hin. Nach kurzem Zögern ergreife ich sie.

»Mady. Und danke. Fürs Auffangen und so. Sorry nochmal, dass ich dich vorhin beobachtet habe. Du wirktest so traurig. Da konnte ich nicht wegschauen.« Ich nehme dem Barkeeper den Cocktail ab und lasse Ezra für keine Sekunde aus den Augen.

»Soso. Traurig? Ich sollte an meinem Pokerface arbeiten.«

Hastig schüttle ich meinen Kopf. »Sorry, so war das nicht gemeint. Aber …« Ich stocke wieder. Keine Ahnung, warum, doch er hat etwas an sich, das mir zeitweise die Wörter im Halse stecken bleiben lässt. Auf eine positive Art und Weise.

»Schon gut.« Er winkt ab. »Ich brauchte einfach einen Moment für mich und wo geht das besser als mitten in einem überfüllten Club?« Wieder zuckt sein Mundwinkel amüsiert.

»Stimmt. Da könnte ich mir keinen geeigneteren Ort vorstellen«, antworte ich mit einem Schmunzeln und ziehe den Schuh aus, um den Fuß zu betasten. Noch ist er nicht dick. Aber irgendetwas sagt mir, dass ich nicht auftreten sollte.

Kurz schweigen wir, denn ich habe absolut keine Ahnung, über was ich mit Ezra sprechen soll. Smalltalk war nie meine Stärke.

»Du bist wirklich verletzt. Ich bestehe darauf, dass du mir deinen Knöchel zeigst.« Als Ezras Hände daraufhin meine Haut streifen, prickelt eine süße Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Er ist sanft, viel zärtlicher, als ich es diesem Hünen mit den breiten Schultern zugetraut hätte. Und seine Hände sind so weich. Er arbeitet sicher nicht körperlich schwer. »Komm, ich weiß, wo wir uns etwas gemütlicher hinsetzen können und du deinen Fuß hochlegen kannst.« Einladend streckt er die Hände aus.

Mein Blick hingegen wandert zur Tanzfläche, doch von Kathy und Wendy ist nichts zu sehen. Außerdem ist die Idee von Ezra nicht verkehrt. Mein Knöchel braucht ein paar Minuten Ruhe. Montag beginne ich den neuen Job und kann mir nicht erlauben, direkt krank zu sein. Also nicke ich. Was soll hier im Club passieren? Und ich bin neugierig, ihn besser kennenzulernen.

Das Lächeln auf seinem Gesicht wird breiter. Ohne Vorwarnung hebt er mich auf seinen Arm, sodass ich den Cocktail rasch ausbalanciere, um uns beide nicht mit der blauen Flüssigkeit zu bekleckern. Doch obwohl ich wahrscheinlich besser daran tun würde, zu fordern, dass er mich hinunterlässt, tue ich das Gegenteil. Ich schlinge meinen Arm um seinen Hals und atme tief seinen unvergleichlichen Duft nach Zedernholz ein, der noch immer biergeschwängert ist. Mein Blick auf seine Augen gerichtet, hebt und senkt mein Brustkorb sich zu schnell, während mein Herz dumpf gegen die Rippen schlägt. Ich schlucke. Seine Nähe ist so einnehmend. So allumfassend und erfüllend, dass ich mich ihm nicht entziehen will. Beinahe magisch, löst ein Prickeln in mir aus, das sich immer tiefer in meinen Unterbauch zieht.

Ruhig bahnt er uns einen Weg durch die Menschen. Doch falls ich gedacht habe, dass er in Richtung Ausgang geht, so habe ich mich getäuscht.

3

EZRA

Mady ist federleicht und so trage ich ihren zarten Körper mühelos in Richtung des VIP-Bereichs. Dort ist die Musik nur gedämpft zu hören. So war es zumindest vor dem Umbau. Früher – vor wenigen Wochen, um genau zu sein – war das Oaks unser Lieblingsclub, doch der Besitzer ist nach Miami umgezogen, weil er sich dort mehr Freizeit erhofft. Tss. Wäre er mal hiergeblieben! Dann würde der Schuppen jetzt nicht diese ganzen Kinder anlocken. Studenten und Partyvolk. Keine Ahnung, ob der Inhaber das beabsichtigt hat. Damals hatte der Laden Stil, aber ob ich nach diesem Abend weiterhin regelmäßig herkommen werde? Geschäftspartner kann ich hier definitiv nicht mehr hin einladen.

Doch Mady ist anders als die jugendlichen Studenten. Reifer. Erwachsener. Und auch wenn ich mir sicher bin, dass sie selbst laufen würde, so muss ich sie tragen. Ich will ihr nahe sein. Sie spüren, ihre Körperwärme durch mein Hemd kriechen lassen. Dabei beobachte ich die winzigen Reaktionen in ihrer Mimik, die sie nicht unterdrücken kann. Ein kribbeliges Gefühl sorgt dafür, dass ich mich zusammenreißen muss, nicht dämlich zu grinsen.

»Hallo Charles!«, rufe ich dem Türsteher vor dem abgegrenzten Bereich zu, der schon beim Vorbesitzer dieses Ladens gearbeitet hat. Vielleicht hätte ich mit investieren sollen, um das Oaks zu erhalten? Allerdings ergibt es keinen Sinn, hinter verpassten Chancen her zu trauern. Das Oaks ist Geschichte. Zum Glück lässt Charles mich ohne Nachfrage ein. Zumindest das hat sich nicht geändert. Der neue Besitzer hat wahrscheinlich die Liste der bestätigten VIPs übernommen. Dennoch mustert Charles Mady kritisch.

Verübeln kann ich es ihm nicht. Immerhin ist es nicht üblich, die Frauen auf dem Arm hineinzutragen. Auch wenn es normal ist, dass die VIPs ihre Häschen mitbringen. Manchmal musste er halbe Orgien verhindern. Aber zumeist geht es gesittet zu. Zumindest war es früher so.

Außerdem ist Mady mit ihren dunkelbraunen Augen, den langen schwarzen Haaren und dem heißesten Kleid des Jahrtausends, für das sie eigentlich einen Waffenschein bräuchte, ein Hingucker. Sie kann es definitiv tragen. Schon deshalb konnte ich sie nicht weiter allein durch den Club irren lassen. Ich muss wissen, welche Person hinter dieser betörenden Fassade steckt. Langsam gehe ich die paar Stufen empor, die den VIP-Bereich deutlich vom Rest des Clubs abgrenzen. Immerhin will man hier in der Regel unter sich sein, fernab vom Partyvolk. Genauer gesagt steigen wir eine halbe Etage nach oben. Ein Areal, das nicht einsehbar ist.

Sanft setze ich Mady auf das Sofa in meiner Stammecke. Auf dem Tisch prangt das Schild mit der Aufschrift reserviert. Der Blick auf die Tanzfläche ist durch eine Glasscheibe unterbrochen – durch die man natürlich nicht hier oben hineinschauen kann. »Du bist noch versorgt?«, frage ich sie und deute auf ihren Cocktail, aus dem sie bisher kaum einen Schluck getrunken hat. Gleichzeitig bin ich froh darum, dass hier der Geräuschpegel drastisch geringer ist und ich nicht mehr schreien muss, damit sie mich versteht. Keine Ahnung, warum ich heute in diesen Club musste. Immerhin habe ich den ganzen Tag im Laden gestanden und Kunden bedient. Habe mich abgelenkt vom Rest meines beschissenen Lebens, das ich nur mit viel Arbeit und Alkohol ertrage. Es hätte alles anders kommen sollen. Ja, ich hätte niemals zulassen dürfen, einfach so abserviert zu werden. Doch ich bin zu müde, um weiterzukämpfen.

Mady nickt. Ich winke dem Barkeeper zu und bedeute ihm mit einer Geste einmal das Übliche, bitte. Er weiß, was ich möchte. Dann setze ich mich zu Mady.

»Zeig mal her«, sage ich erneut und hebe ihren Fuß auf meine Oberschenkel. Nicht, dass ich Ahnung von verstauchten Knöcheln hätte, aber vielleicht hilft ein wenig Zuwendung. Sacht streiche ich über die zarte Haut, mustere ihre dunkelrot lackierten Fußnägel.

»Ich glaube, es geht schon wieder besser«, sagt sie, nippt an ihrem Drink und zieht den Fuß dennoch nicht einen Millimeter weg. Im Gegenteil. Sie scheint es zu genießen und sieht mich unumwunden an.

»Hmm«, brumme ich und streiche mit meinen Fingern nicht mehr nur über ihren Fuß, sondern auch ihren Unterschenkel hinauf. Dabei mustere ich ihre Reaktionen haargenau. Ihre Mimik ist entspannt und nichts deutet darauf hin, dass sie sich unwohl fühlt. Gut so. Sie fixiert meine Augen, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass ihr Blick beinahe lasziv wirkt. Aber nein, sie ist nicht eine von diesen Frauen. Sie hat Klasse und ist zuvor nie regelmäßig im Oaks gewesen. Das wüsste ich, denn sie wäre mir zu 100 Prozent aufgefallen. Ob sie dieses sanfte Vibrieren zwischen uns spürt? Um keinen Preis will ich es abstellen oder unsere Zweisamkeit beenden. Keine Ahnung, was ich mir erhoffe, aber letztendlich habe ich den Club ohne Erwartungen betreten. Sie kennenzulernen ist ein schöner Zufall. Vielleicht ja Schicksal und das sollte man annehmen, wie es einem serviert wird.

Der Barkeeper, dessen Namen ich tatsächlich nicht kenne, bringt mir mein bestelltes Bier. »Kann ich sonst noch etwas für euch tun?«, fragt er.

»Du brauchst sicher nichts zum Kühlen für den Knöchel?«, frage ich an Mady gewandt, doch sie schüttelt den Kopf.

»Danke. Es geht wirklich schon besser.«

Damit verschwindet der Barkeeper, und ich mustere sie erneut.

»Also, Mady, deren Fuß wieder okay ist. Was hat dich heute Abend hergeführt?«, frage ich und versinke ein weiteres Mal in ihren, wie dunkler Bernstein funkelnden, Augen.

»Ich bin mit meinen Mädels hier …« Sie stockt. »Mist, ich sollte mich bei ihnen melden. Immerhin wollte ich nur kurz auf die Toilette. Sie suchen bestimmt nach mir.« Ein alarmierter Ausdruck tritt in ihre Augen.

Bevor ich sie davon abhalten kann, zückt sie ihr Handy und für den Moment verfliegt der Zauber, den ich zwischen uns gespürt habe. Dieses Kribbeln und Vibrieren, das ich so dringend brauche, um mich abzulenken. Abzulenken von dem Stress im Alltag. Abzulenken von dem Streit und den Sorgen daheim. Abzulenken von meiner leeren Wohnung, in der ich mich noch nie so allein gefühlt habe. Ehrlich, ich mache drei Kreuze, wenn ich Nova nie wiedersehen muss. Aber zehn Jahre Beziehung hinter sich zu lassen, kickt manchmal härter als gedacht.

»Tss. Ich glaube es nicht.« Mady schaut mich mit einem irritierten Gesichtsausdruck an.

»Was ist los?«, frage ich automatisch, lasse ihren Fuß jedoch nicht los.

»Die sind schon weg. Haben nur eine Nachricht geschrieben, weil sie mich nicht gefunden haben. Dem Hund meiner Freundin geht es nicht gut. Tss, was muss sie sich auch gerade jetzt einen Welpen zulegen, mit dem ihr Freund nicht einen Abend allein klarkommt? Da kommen sie erst zu spät und nun das.« Sie schüttelt ungläubig den Kopf und hält mir als Beweis ihr Smartphone vor das Gesicht. Aus Reflex senke ich den Blick, denn ich habe kein Bedürfnis, in dem Nachrichtenverlauf mit ihren Freundinnen zu lesen.

»Tja, die Sache mit den Hunden kenne ich.« Ich seufze.

»Du hast auch einen?« Für einen Moment fliegt ein entsetzter, beinahe schon panischer Ausdruck über ihr Gesicht.

»Um Himmels willen, nein.« Ich winke hastig ab. »Mein Bruder hat einen, und der reicht mir. Wobei die Hündin meistens ganz süß ist.« Da muss ich eine Lanze für die Chihuahua-Dame brechen. Zumindest ist sie so lange ein Zuckerstück, wie Maverick oder die Hundefrau regelmäßig mit ihr rausgehen. Zu gut erinnere ich mich an die Situation vor einiger Zeit, als Mav fluchtartig den Laden verlassen hat, da er seine Hündin vor lauter Arbeit vollkommen vergessen und diese ihn aus Verzweiflung angepinkelt hat. Natürlich hatte er keine Wechselkleidung dabei. Der Gedanke daran entlockt mir ein Schmunzeln.

»Ja, Hunde sind so lange süß, wie sie noch Welpen sind. Danach … Ich bin jedenfalls froh, dass ich keinen habe. Überhaupt bin ich nicht der Typ, mich um ein Haustier zu kümmern. Und du? Du siehst aus, als hättest du ein Tier. Nur keinen Hund. Vielleicht eine Schildkröte?«

Ich lache auf. »Schildkröte? Wie kommst du denn darauf?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Kam mir spontan in den Sinn.«

Nun lasse ich ihren Fuß doch los und rücke ein Stückchen näher an sie heran, während meine Hand weiterhin auf ihrem Unterschenkel ruht.

»Soso, deine spontanen Ideen gefallen mir. Vielleicht sollte ich über eine Schildkröte nachdenken. Immerhin halten die Winterruhe, wenn ich korrekt informiert bin. Das wäre eine Überlegung wert.« Meine Stimme ist eine Nuance weicher und tiefer geworden, während ich gedankenverloren über ihr Bein streiche, das glatt wie ein Babypopo ist. Noch immer zieht sie es nicht weg. »Aber zurück zum Hund deiner Freundin. Du bist nun also allein hier?«

Sie nickt zaghaft, doch zuckt sie dabei mit keiner Wimper. Nur die Ader an ihrem Hals, knapp über dem Schlüsselbein, pulsiert. Selbst wenn ihr dieser Umstand erst jetzt bewusstwird, so scheint sie dies kaum zu beunruhigen. Sie ist selbstbewusst, und wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie nicht das erste Mal allein unterwegs ist und sich wahrscheinlich im Zweifelsfall zu verteidigen wüsste. Sie schluckt und lehnt sich etwas nach vorn. »Offensichtlich bist du auch ohne Begleitung hier?«

Ich nicke. »Ja, das bin ich.« Ich hauche die Worte mehr, als dass ich sie sage.

Zwei, drei Sekunden verstreichen, in denen ich hoffe, dass sie keinen Rückzieher macht. Aber im Gegenteil. Wie zwei Magnete driften wir unaufhaltsam aufeinander zu. Kommen uns näher und näher. Dann geht Mady den nächsten Schritt und rutscht etwas dichter an mich heran. Leider zieht sie dabei ihr Bein an sich, sodass ich meine Liebkosungen unterbrechen muss. Direkt spüre ich jedoch ihre Hand auf meiner Schulter. Ihre Augen fixieren meine, und ich würde schwören, dass man das Knistern hören kann. Die Anziehung zwischen uns ist greifbar. Ihr Blick wird deeper, verheißungsvoller und beinahe gierig. Lasziv und mit einer Penetranz, als würde sie öfter Männer verführen. Aber nein. So eine ist sie nicht. Das würde ich spüren. Dennoch weiß sie, welche Wirkung sie auf mich hat. Kurz bevor sich unsere Lippen berühren, hält sie inne. Ihr Atem kitzelt auf meiner Haut und ihre Hand wandert in meinen Nacken.

»Darf ich dich küssen?«, flüstert sie. Doch sind es genau diese Worte, die in mir den letzten Teil der Schutzmauer zum Einsturz bringen. Ich will sie. Ja, ich kann heute nicht ohne sie. Es ist Schicksal, dass wir uns begegnet sind. Als Antwort überwinde ich die verbleibenden Millimeter und lasse unsere Lippen verschmelzen.