Death Bastards – Dunkle Liebe - Elena MacKenzie - E-Book
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Death Bastards – Dunkle Liebe E-Book

Elena MacKenzie

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Beschreibung

Sie muss sich von ihm fernhalten - doch er zieht sie unwiderstehlich an

Billie ist 19 Jahre alt, als sie mit ansehen muss, wie ihre Familie und fast alle Mitglieder des MC ihres Vaters abgeschlachtet werden. Zusammen mit ihrer kleinen Schwester wird sie gefangen genommen und geht in den Besitz des neuen Präsidenten der Rebels über. Seitdem durchlebt Billie die reinste Hölle, denn jeder Fehler wird hart bestraft.

Erst zwei Jahre später schafft sie es, mit ihrer Schwester zu fliehen. Mit dem Geld, dass sie vor ihrer Flucht gestohlen hat, mietet sie sich einen Laden und eine Wohnung in einer Kleinstadt in Maine. Sie will nie wieder etwas mit Bikern zu tun haben. Doch dann trifft Billie auf Cage, Mitglied des Death Bastards MC - und ihre Überzeugung gerät ins Wanken. Denn sie kann seiner düsteren Anziehung kaum widerstehen ...

Düster, packend und heiß! Der dramatische Auftakt zu Elena MacKenzies neuer Dark-Romance-Reihe.

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Seitenzahl: 424

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

Epilog

Weitere Titel der Autorin

You Are Mine – Gefährliche Liebe

You Are Mine – Tödliche Hingabe

Über dieses Buch

Billie ist 19 Jahre alt, als sie mit ansehen muss, wie ihre Familie und fast alle Mitglieder des MC ihres Vaters abgeschlachtet werden. Zusammen mit ihrer kleinen Schwester wird sie gefangen genommen und geht in den Besitz des neuen Präsidenten der Rebels über. Seitdem durchlebt Billie die reinste Hölle, denn jeder Fehler wird hart bestraft. Erst zwei Jahre später schafft sie es, mit ihrer Schwester zu fliehen. Mit dem Geld, dass sie vor ihrer Flucht gestohlen hat, mietet sie sich einen Laden und eine Wohnung in einer Kleinstadt in Maine. Sie will nie wieder etwas mit Bikern zu tun haben. Doch dann trifft Billie auf Cage, Mitglied des Death Bastards MC – und ihre Überzeugung gerät ins Wanken. Denn sie kann seiner düsteren Anziehung kaum widerstehen …

Über die Autorin

Elena MacKenzie hat als erfolgreiche Selfpublisherin bereits einige Bücher veröffentlicht. Ihr Debütroman Highland Secrets eroberte auf Anhieb die Top 10 der Amazon-Charts. Als Kulissen für ihre Geschichten sucht sich die Autorin spannende Orte aus, die zum Eintauchen in fremde Welten verführen. Denn Elena MacKenzies Motto lautet: Sich in Büchern zu verlieren, heißt grenzenlos zu träumen.

Elena MacKenzie

DEATHBASTARDS

Dunkle Liebe

beHEARTBEAT

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Natalie Röllig

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Titelgestaltung: © Sarah Borchart, Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © FXQuadro/Shutterstock

Innenillustration: Elena MacKenzie unter Verwendung eines Motivs von © AdobeStock/Agor2012

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7908-2

www.luebbe.de

www.lesejury.de

1. Kapitel

Billie

Weder die Lautstärke noch den Gestank von Alkohol, Zigaretten und Sex nehme ich noch wahr, während ich im Clubhaus der Rebels Biker und ihre Gespielinnen bediene und gleichzeitig versuche, ein Auge auf meine siebenjährige Schwester zu haben, die hinter der Theke in der Küche auf dem Boden sitzt und in einem Buch liest. Lesen ist alles, was ich ihr bieten kann, um auszugleichen, dass Rose keine Schule besuchen darf, denn wir sind Gefangene.

Ich schlängle mich mit einem Tablett auf den Händen vorbei an betrunkenen, verschwitzten Männern und halb nackten Frauen, die Augen fest auf den Präsidenten der Rebels gerichtet, der mich mit hasserfülltem Blick mustert, als ich an seinen Tisch trete. Seine Augen verengen sich noch, als er meine Bekleidung entdeckt. Zornig packt er die Hundeleine, die von meinem Hals hängt, zerrt so grob daran, dass sich das Halsband schlagartig um meine Kehle zusammenzieht, und zwingt mich auf die Knie. Verzweifelt versuche ich das Tablett mit den Biergläsern darauf zu balancieren, denn wenn auch nur ein Tropfen danebengeht, wird Walker mich an das Andreaskreuz neben der Theke fesseln und vor allen im Raum demütigen. So wie er es schon viele Male gemacht hat. Die Narben, die sich auf meiner Seele befinden, und so mancher blauer Fleck auf meinem Körper beweisen es. Und niemand wird ihn davon abhalten, denn ich bin sein Eigentum, seit er in diesen Motorradclub eingefallen ist, den Präsidenten und seine Old Lady ‒ meine Eltern ‒ getötet und alles an sich gerissen hat.

Er hat jeden Biker getötet, der treu zu meinem Vater stand, die Old Ladys der Brüder verkauft oder versklavt und die Clubschlampen fortgejagt. Das ist jetzt zwei Jahre her. Zwei Jahre, in denen ich unzählige Male versucht habe, zusammen mit meiner Schwester zu fliehen, und dafür bestraft wurde, bis ich irgendwann an einem Punkt angekommen war, an dem mich die Kraft verlassen hat und ich begonnen habe, unser Schicksal hinzunehmen. Man entkommt Bikern nicht. Das Clubhaus der Rebels wird rund um die Uhr bewacht, und irgendjemand hat immer die Fernbedienung für mein Halsband in der Hand, die mich mit Stromstößen dazu zwingen kann, zu tun, was er will.

Meine nackten Knie landen in einer klebrigen Pfütze direkt vor den Füßen des Präsidenten, der mir jetzt das Tablett abnimmt, mein Gesicht packt und es nah vor seines zieht. »Was habe ich dir verfickt noch mal gesagt?«, knurrt er mich an und wendet meinen Kopf hin und her. Sein alkoholschwangerer Atem weht mir über die Wangen, und ich muss den Brechreiz, der mich überkommt, unterdrücken. Er zeigt mir die Fernbedienung, drückt den Knopf und versetzt mir einen Stromstoß. Ich ächze, kippe nach vorn über und fange mich mit den Händen ab.

Ergeben senke ich den Blick. Um ihm meine Unterwürfigkeit und mein Bedauern zu signalisieren, aber auch, um seinem Atem zu entkommen. »Ich soll nicht in Unterwäsche bedienen«, sage ich laut genug, um die Stimmen und das Gelächter im Clubhaus zu übertönen, denn Walker hasst es, wenn er mich nicht versteht. Er hasst eigentlich alles, nur nicht sich selbst und Gewalt, die er anderen antun kann. Egal wie blutig. Egal ob Frau oder Mann.

Der neue Präsident der Rebels ist Ende fünfzig, sein ergrauendes, dunkles Haar ist lang und fettig, er ist brutal und regiert den Club mit eiserner Hand. Niemand hier wagt es, ihm zu widersprechen, denn man weiß nie, was für eine Strafe diesem Wahnsinnigen einfallen könnte. Er ist der König unter den Wahnsinnigen, die jetzt diesen MC bilden, und sein Sohn ist sein ehrfürchtiger Nachfolger.

»Es tut mir leid«, entschuldige ich mich, obwohl ich nichts dafür kann, dass ich nicht dazu in der Lage war, mir etwas anzuziehen, denn jemand hat mir alles gestohlen, was ich besitze. Was nicht viel ist. Ich wette, es war Rowdie, Walkers Sohn, der sich nachts heimlich in den kleinen Raum hinter der Küche geschlichen hat, während meine Schwester Rose und ich auf dem schäbigen Bett schliefen. Unser Zimmer ist karg und fast leer, wir besitzen kaum etwas und verbringen die Nächte an den Boden angekettet, damit wir nicht fliehen können. »Wie es sich für die dreckigen Welpen eines Hundes gehört«, erklärt uns Rowdie immer gern, bevor er sich wieder etwas einfallen lässt, das mir dann eine der Bestrafungen seines Vaters einbrockt.

Walker schiebt seine Faust in mein kurzes, struppiges Haar, das er mir immer dann mit einem Messer abschneidet, wenn er glaubt, dass es wieder an der Zeit wäre, mich für ihn und seine Männer unattraktiv zu machen. Denn es gibt etwas, das er niemals zulassen würde ‒ dass sich einer seiner Männer an meiner Schwester oder mir vergreift. Nicht auf diese Weise. Manchmal bin ich ihm zumindest dafür dankbar. Aber er tut das nicht aus Sorge um uns, sondern aus Eigennutz. Unberührt sind wir mehr wert. Weswegen ich vehement verschweige, dass ich längst keine Jungfrau mehr bin. Weil ich schon einen Freund hatte. Aber das weiß er nicht, was gut ist, denn sonst hätte er mich seinen Männern längst zum Fraß vorgeworfen.

»Wenn das noch ein Mal vorkommt, sorge ich dafür, dass meine Männer bestimmte Regeln, die ich aufgestellt habe, vergessen«, knurrt er mich an, dann stößt er mich so heftig von sich, dass ich auf dem Rücken lande.

Rowdie taucht über mir auf, auf seinen Lippen ein breites Grinsen. Er zwinkert mir aus seinen kalten grauen Augen zu. Ich weiß, was ihm durch den Kopf geht, wenn er mich so ansieht, sein Blick jeden Zentimeter meines Körpers abtastet und Gier in seine Augen tritt. In ein paar Tagen wird er dreiundzwanzig, zwei Jahre älter, als ich bin, und ist dann alt genug, um ein Vollmitglied im Club zu werden. Und ich weiß auch, was er sich von seinem Vater als Geschenk gewünscht hat: mich. Ich bete jede Sekunde meines trostlosen Lebens, dass es nicht dazu kommen wird.

Ich kämpfe mich mühsam auf die nackten Füße und unterdrücke den Ekel, der sich meine Speiseröhre hochkämpft, als ich mir vorstelle, wie dieser rothaarige Dreckskerl seine Hände auf meinen Körper legt. Rowdie ist mindestens so wahnsinnig wie sein Vater. Ich habe schon oft erleben dürfen, wie er sich über die Lippen leckt und dieser Wahnsinn in sein Gesicht tritt, wenn er dabei zusieht, wie sein Vater mich bestraft.

»Du hast meine Sachen geklaut«, werfe ich ihm trotzig vor. Vor Walker habe ich Angst, weil er derjenige ist, der darüber entscheidet, ob ich leben darf oder sterben muss, aber Rowdie widert mich einfach nur an, weswegen ich kein Problem damit habe, ihm zu sagen, was immer ich über ihn denke.

Walkers Sohn lacht nur, schnappt sich meine Leine und zerrt so grob daran, dass ich das Gleichgewicht verliere und mit dem Gesicht in der nach schalem Bier stinkenden Pfütze vor mir lande. Ich rapple mich wieder auf, ohne weiter darüber nachzudenken. Alles, was sie mir jetzt antun, erlebe ich jeden Tag. Ich bin es also längst gewohnt. Als ich die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneife und Rowdie wütend anfunkle, verstummt er endlich. Er ist eben doch ein feiger Idiot, der nur mutig sein kann, wenn er sich sicher ist, dass sein Vater ihn beschützt. In letzter Zeit passiert das aber nicht mehr allzu oft. Zu meinem Glück, denn so kann ich ihm hin und wieder zurückzahlen, was er mir antut, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Rowdie wird beiseitegedrängt, und eine Hand erscheint vor meinem Gesicht. Es ist die von Angus, der erst heute aus dem Gefängnis kam, wo er die letzten fünf Jahre wegen schwerer Körperverletzung eingesessen hat. Meine Schwester wird sich nicht mehr an ihn erinnern, aber für mich war Angus immer mein Lieblingsonkel. Früher war er der Vize unseres Vaters. Und wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig interpretiere, ist er nicht glücklich mit dem, was aus dem Club geworden ist.

Ich nehme seine Hand und lasse mir von ihm aufhelfen. Er zögert einige Sekunden lang mit meiner Hand in seiner, sieht mir tief in die Augen, als wollte er sich versichern, dass es mir gut geht. Ich weiche seinem fragenden Blick aus, denn jede Sekunde, die wir zu lange so dastehen, bringt ihn in Schwierigkeiten. Walker darf auf keinen Fall glauben, Angus wäre eine Gefahr für seinen Status und die neue Ordnung im Club. Er muss glauben, dass Angus den MC akzeptiert, so wie er jetzt ist, denn ich kann nicht zusehen, wie noch mehr Menschen sterben, die einst Teil meiner Familie waren.

Mein Vater war wahrscheinlich nicht der beste Präsident, den die Rebels je hatten, nur deswegen hatte Walker überhaupt eine Chance, einen Teil der Brüder um sich zu versammeln und gegen meinen Vater zu putschen, aber Walker ist definitiv der machthungrigste und blutrünstigste. Ich kann nicht zulassen, dass Angus sein Leben wegen mir verliert.

»Habe ich dir gesagt, du sollst dich hier einmischen?«, will Walker hart wissen, steht von seinem Stuhl auf und baut sich neben Angus auf.

Erschrocken halte ich die Luft an, ich könnte es nicht ertragen, jetzt auch noch Angus zu verlieren. Ich wünschte, er wäre nie aus dem Gefängnis gekommen. Warum ist er nicht einfach verschwunden? »Es ist nichts passiert«, werfe ich hastig ein und schaue angsterfüllt zwischen Angus und Walker hin und her, die wütende Blicke wechseln, die Körper so angespannt, dass ihre Muskeln vibrieren.

Angus tritt einen Schritt von mir zurück und hebt beschwichtigend die Hände. »Alles in Ordnung. Ich habe nur eine Lady im Dreck liegen sehen und dachte, ich bin mal höflich. Meine Augen haben ein paar Jahre nichts Hübsches mehr erblicken dürfen«, wirft er ein und zwinkert mir zu.

Walkers von Akne vernarbtes Gesicht drückt deutlich sein Misstrauen aus, ich kann mir auch nicht erklären, warum er Angus nicht längst getötet hat. Vielleicht hebt er sich das für eins seiner Spielchen auf, mit denen er so gern allen verdeutlicht, wer im Club das Sagen hat. »Ich hoffe, wir bekommen hier kein Problem«, knurrt Walker, dann richtet sich sein Blick wieder auf mich. »Verschwinde in die Küche und mach was von dem Zeug, das meine Männer und die Schlampen hier so lieben. Ich hab Hunger.«

Ich sehe ergeben zu Boden, dann reiße ich Rowdie das Ende meiner Leine aus der Hand und beeile mich, in die Küche zu kommen. Die Küche ist der einzige Ort im Clubhaus, an dem ich mich wohlfühle. Der mir so etwas wie ein heimeliges Gefühl verleiht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass auch meine Mutter diesen Ort so sehr geliebt hat. Wir haben hier viele Stunden miteinander verbracht. Besonders in der Weihnachtszeit. Dann haben wir Bleche über Bleche mit Keksen gebacken und Pralinen gemacht. Zu Hause hätten wir das nicht gekonnt, weil eine normale Küche einfach nicht groß genug dafür wäre, alle Männer und Frauen im Club zu versorgen. Aber hier im Clubhaus ist sie groß genug, um eine kleine Armee zu bekochen, und gefüllt mit einer Menge Industriemaschinen. Hier hat meine Mom auch die Waren für ihren Naturkosmetikladen hergestellt.

»Geht es dir gut?«, möchte meine Schwester wissen, lehnt sich gegen die geschlossene Stahltür und sperrt so den Lärm der Biker und Frauen aus. Ich hasse es, dass sie sich um mich sorgt. Sie sollte sich nicht sorgen müssen, sondern mit ihren Freunden spielen, eine Schule besuchen und von ihrer Zukunft träumen. Sie sollte Fahrrad fahren lernen, Popcorn essen oder mit Dad auf dem Rummel einen überdimensional großen Teddybären schießen.

Ich atme tief durch und setze ein künstliches Lächeln auf, bevor ich mich zu ihr umdrehe und nicke. »Alles okay.«

Sie schnieft und wischt sich über ihr Gesicht, auf dem sich eine Spur aus Tränen gebildet hat. Meine Schwester hat kaum noch Erinnerungen an unser Leben vor der Gefangenschaft, sie war damals noch viel zu jung, und manchmal gibt es einen Teil in mir, der sich fragt, warum sie trotzdem so sehr leidet, wenn ich Ärger mit Walker bekomme. Oder warum sie so oft davon spricht, wegzulaufen, frei zu sein und zu tun, worauf auch immer wir Lust haben. Es wäre leichter, wenn sie diese Sehnsüchte nicht hätte. Vielleicht hätte ich ihr nicht so viele Bücher vorlesen sollen, dann wüsste sie nicht, dass es eine andere Welt als diese gibt. Träume zu haben macht alles nur viel schwerer. Sie kommt näher und legt ihren Skizzenblock auf den langen Tisch aus rostfreiem Stahl.

»Lass uns Chili kochen«, schlage ich lächelnd vor und beginne damit, die Zutaten aus den Schränken zu holen. Ich wickle mir meine Schürze um und reiche ihr ihre. Beide haben unserer Mutter gehört, und wenn ich sie umlege, dann fühle ich mich ihr immer ein Stück näher. Roses Schürze ist natürlich viel zu groß, ich musste unten ein ganzes Stück wegschneiden, damit sie nicht ständig auf den Stoff tritt und darüber stolpert. Wenn ich koche, dann verschwindet die Welt vor der Tür für eine Weile, und es ist fast wieder so, als wäre unsere Mutter noch hier. Walker ist es nur recht, wenn wir einen Großteil unserer Zeit in der Küche verbringen. So kann er uns auf diesem Weg beschäftigt halten, damit wir eingesperrt in diesem Haus nicht den Verstand verlieren. Die Küche ist sein einziges Zugeständnis an uns. In letzter Zeit schickt er uns immer öfter hierher, ganz als könnte er unsere Anwesenheit nicht mehr ertragen und wäre froh, wenn er uns nicht sehen muss.

Meine Schwester nickt und stößt sich von der Tür ab, genau in dem Moment, in dem sie von außen aufgerissen wird. Wir erstarren beide, als Rowdie hereintritt. Mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen beachtet er sie gar nicht und kommt direkt auf mich zu. Er lehnt sich mit der Hüfte gegen den langen Tisch, nur wenige Zentimeter von mir entfernt, und lässt den Blick über meinen Körper gleiten.

»Ich sehe es nicht gern, dass du dich von anderen Männern anfassen lässt«, sagt er mit gefährlich kühler Stimme, greift wieder nach meiner Leine und zieht mich ein Stück zu sich heran. So nah, dass sich unsere Körper fast berühren, und ich spüre, wie Galle in meiner Speiseröhre aufsteigt. Rowdie widert mich so sehr an wie kein anderer Mann hier im Club. Er entwindet mir das Messer, das ich in der Hand halte, als befürchte er, ich könnte ihn damit erstechen. Obwohl mein Gehirn ganz automatisch Bilder in meinem Kopf erzeugt hat, wie ich ihm das Küchenmesser in den Bauch ramme, habe ich nie wirklich daran gedacht, irgendjemanden in diesem Club umzubringen, weil es nichts bringen würde außer vielleicht unseren Tod.

In den ersten Wochen hätte ich mich gefreut, wenn Walker uns auch getötet hätte, aber irgendwann hat der Wille zu überleben die Kontrolle übernommen. Anfangs habe ich mir oft gewünscht, ich könnte Rose und mich hier in dieser Küche mit einem der Messer töten und es für uns beide zu Ende bringen, aber ich habe auch gewusst, Mom und Dad hätten gewollt, dass wir kämpfen und irgendwann entkommen. Sie hätten es gehasst, wenn wir diesen einfachen Weg gewählt hätten.

Ich entreiße ihm die Leine. »Lass mich gefälligst los«, zische ich.

»Ich wollte dich nur gewarnt haben. Noch ein paar Tage, dann gehörst du offiziell mir.« Er zieht eine Augenbraue hoch, und sein ekelhaftes Grinsen wird noch breiter. »Und dann werde ich mit dir tun, was auch immer ich will. Du bist also lieber nett zu mir, sonst überlege ich mir vielleicht …« Er wirft einen Blick über die Schulter zurück auf meine Schwester, und ich erstarre. »… dich und die Kleine von all meinen Brüdern gleichzeitig nehmen zu lassen. Dad sagt, ich bekomme euch beide, ihr langweilt ihn.«

Es kostet mich alle Kraft, die ich aufbringen kann, um nicht auf ihn einzuschlagen, in Tränen auszubrechen oder mich vor ihm zu übergeben. Auch wenn ich gern glauben würde, dass er mir nur leer droht ‒ in seinem Blick sehe ich die Ernsthaftigkeit. Rowdie mag manchmal wie ein kleines Kind wirken, zurückgeblieben in seiner Entwicklung, und oft unterschätze ich ihn deswegen vielleicht, doch in diesem Moment begreife ich, dass er auch gefährlich ist. Mehr, als ich je geglaubt habe.

Er wendet sich ab, ohne ein weiteres Wort zu sagen, und verlässt die Küche, noch bevor ich in der Lage bin, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich blinzle gegen die Tränen an und konzentriere mich auf meine Arbeit. »Mach dir keine Gedanken«, sage ich, so ruhig ich kann, zu meiner Schwester. »Er ist ein Idiot und Großmaul.« In meinem Kopf jedoch rattert jedes einzelne Rädchen auf der Suche nach einem Plan. Einem Weg aus unserer Gefangenschaft, denn ich weiß, jetzt ist es noch wichtiger als jemals zuvor. Aber es gibt keinen Weg, den ich nicht schon versucht habe. Es ist eben schwierig zu fliehen, wenn man angekettet wird oder an einer Horde bewaffneter Biker vorbeimuss.

Früher habe ich diesen Club geliebt, ich war gern hier bei den Männern meines Vaters, Angus hat mir Fahrrad fahren beigebracht, die Old Ladys waren meine Tanten, und mit einem der Prospects habe ich heimlich in der Werkstatt rumgemacht. Mein Vater hätte ihn wahrscheinlich rausgeworfen, wenn er es gewusst hätte. Der Club war meine Familie. Und jetzt sind sie alle tot, und geblieben sind Mörder und Vergewaltiger. Die Rebels haben sich nicht verändert, sie wurden ausgetauscht.

Cage

Hat Viking vor, aus dieser Messe die längste in der Geschichte des Clubs zu machen? Nervös zucke ich mit meinem Bein und sehe gierig aus dem vergitterten Fenster auf eine der Clubschlampen. Mir ist heute danach, mich zuerst zu besaufen und dann zu vögeln, bis sich mein Verstand ausschaltet und ich diesen beschissenen Tag irgendwo im Koma hinter mich bringen kann. Ich will keine Sekunde länger darüber nachdenken müssen, dass ich heute vor fünf Jahren alles verloren habe, was mich am Leben gehalten und mir jemals etwas bedeutet hat.

Ich reibe mir über die aufgeschlagenen Fäuste und stöhne innerlich, als sich das brennende Gefühl prickelnd durch meinen Körper ausbreitet. Rev beobachtet mich mit ernstem Blick, er ist der Einzige, der weiß, wie sich der Schmerz in meinem Inneren anfühlt und dass man ihn nur auslöschen kann, indem man anderen Schmerz fühlt. Weswegen er sich mir heute mit Freuden im Käfig gestellt und zugelassen hat, dass ich alles aus mir herauslassen konnte, bis ich so erschöpft war, dass ich kaum noch stehen konnte. Leider ist so ein Kampf nur ein kurzes Vergnügen, und es dauert nicht lange, bis all die Gedanken wieder zurück sind. Die Schuldgefühle.

»Die Rebels sind ein gefährlicher Scheißhaufen«, wirft Buster ein und verschränkt die Arme vor der Brust. Für seine mehr als fünfzig Jahre hat Buster die Brust eines American Bullys, weswegen wir ihm auch einen Hundenamen verpasst haben. Ich finde es beeindruckend, dass er überhaupt noch dazu fähig ist, die Arme vor der Brust zu verschränken. Das dürfte ihn einiges an Anstrengung kosten. Buster nimmt die Arme wieder runter und legt die Hände auf dem Altar ab. Der lange Tisch aus dunklem massiven Holz nimmt fast den gesamten Raum unserer Kirche ein.

Ich sehe Viking an, der den Richterhammer in den Händen dreht und nachdenklich wirkt. Viking versucht immer jede Entscheidung, die den Club betrifft, von allen Seiten zu beleuchten. Aber dieses Mal scheint es ihm schwerzufallen, eine Entscheidung zu treffen. Er schließt die Augen, lehnt sich zurück und knurrt leise. Sein Blick richtet sich auf das Deckengemälde über unseren Köpfen, das fünf pummelige Engel mit viel zu kleinen Flügeln zeigt, die auf einer Wolke zu Füßen von Gott sitzen und dem alten Mann gespannt zuzuhören scheinen. So wie wir gern Viking zuhören würden, wenn er denn endlich zum Entschluss kommen würde, was wir mit den Rebels anfangen sollen. Von Gott wird diese Antwort jedenfalls nicht kommen, denn der interessiert sich nicht für einen Death Bastard.

Ich reibe mir über das Kinn, lehne mich vor und verschränke die Hände auf der Tischplatte. »Die Rebels sind Dreck, aber sie sind der Dreck, der verhindert, dass sich die Kartelle weiter nach Norden ausbreiten.«

Viking sieht mich an und presst die Lippen zu einer schmalen Linie. »Die Rebels waren mal ein respektabler Club, der sich an die Regeln gehalten hat. Man kann mit ihnen arbeiten«, meint der Präs und beginnt wieder damit, den Hammer in seinen Händen zu drehen, als wäre er ein Spielzeug.

»Das konnte man«, betont Buster unzufrieden und lässt den Blick über die Gesichter von fünfzehn Bastards gleiten, die genauso wenig eine Entscheidung wie diese treffen wollen wie Viking. Mit den Rebels Geschäfte zu machen bedeutet, sich mitschuldig zu machen an allem, was in diesem Club falsch läuft. Und dort läuft eine Menge falsch. Wie man hört, hat der neue Präs den alten Präs ermordet. Und der neue Präs soll den Club in eine etwas härtere Richtung drängen. Mehr Waffengeschäfte, mehr Erpressung.

»Seien wir doch ehrlich, wären die Rebels nicht die skrupellosen Säcke, die sie sind, hätten die Kartelle sie schon längst vernichtet. Noch vor fünf Jahren hätte sich kein Mexikaner vor einem Rebel gefürchtet. Was auch immer da abgeht, sie haben dort unten alles im Griff«, werfe ich ein. »Ich hasse den neuen Präs auch, aber es ist, wie es ist. Manchmal müssen wir über bestimmte Dinge hinwegsehen. Es geht uns nichts an, was genau dort unten gelaufen ist oder läuft, solange die Angelegenheiten der Rebels nicht unseren Club und unsere Geschäfte stören. Sie machen ihr Ding, wir machen unser Ding. Und im Moment ist es so, dass deren Ding sich positiv auf unsere Angelegenheiten auswirkt. Wenn wir uns jetzt einmischen, stürzen wir uns da nur in einen unnötigen Krieg mit einem Club, den wir kaum kennen. Was da läuft, ist nicht unsere Sache. Das sind Clubinterna. Wir möchten auch nicht, dass ein anderer Club seine Nase in unseren Club steckt. Klären wir mit denen, was wir zu klären haben, mehr nicht.«

In meinem Leben vor dem Club hätte ich nur über wenig hinweggesehen und schon gar nicht über Mord. Ich hätte auch nicht so locker über Mord gesprochen, wie ich es jetzt tue. Um das zu können, musste ich erst kapieren, dass es für nichts wirklich Gerechtigkeit gibt. Gerechtigkeit ist etwas, das sich die Normalos gern einreden. Ich habe dieses neue Leben gewählt, weil es so ehrlich ist und mir hier niemand etwas einreden will, das nicht existiert, und ich mich für nichts entschuldigen muss.

Als Cop stand ich früher auf der anderen Seite, habe in New York gegen Gangs gekämpft, versucht, die Straßen möglichst drogenfrei zu halten, und habe auch den einen oder anderen Biker in den Knast gebracht. Aber dann musste ich lernen, dass das Gesetz nur für einen Teil der Bevölkerung gültig ist. Für ein paar Menschen gilt es gar nicht. Alles, woran ich bis dahin geglaubt habe, ist vor mir wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Das System, für das mein Vater und ich gearbeitet und unser Leben riskiert haben, hat mich verraten. Das veränderte etwas in mir. Ich war eine ganze Weile orientierungslos, habe gesoffen, auf der Straße gelebt und mein Geld mit Käfigkämpfen im Untergrund verdient.

Buster schnaubt laut. »Hinwegsehen? Er hat den halben Club hingerichtet. Willst du so einem vertrauen?«

Ich starre Buster ungerührt an. »Wer sagt, dass wir ihnen vertrauen sollen? Sie regeln für uns die Angelegenheiten mit dem Kartell und bekommen dafür Waffen zu einem Spottpreis. Mit etwas Glück schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.«

Ghost stößt ein heiteres Lachen aus und legt das Messer, mit dem er die ganze Zeit Scharten in den Rand der Tischplatte geschnitzt hat, auf den Tisch. »Gefällt mir, wir lassen sich die Arschlöcher einfach gegenseitig umbringen und schauen vom Spielfeldrand aus zu.«

»Und dann müssen wir nur noch das Vakuum ausfüllen«, werfe ich ein.

Viking sitzt noch immer da, alles, was er tut, ist, mein ramponiertes Gesicht zu mustern. Langsam verliere ich die Geduld. Je länger ich hier sitze, desto mehr zerfleischen die Bilder der verbrannten Körper meiner Frau und meiner Tochter mein Gehirn. Fünf Jahre, und noch immer ist dieser Tag im Jahr der schlimmste. Neben Weihnachten und ihren Geburtstagen. Ich brauche Alkohol. Eine Menge davon. Ich reibe meine Hände über den Stoff der Jeans und fühle mich wie ein Junkie auf Entzug.

»Also gut«, meint Viking. »Stimmen wir darüber ab.«

Endlich, denke ich und entspanne mich sofort. Viking hätte auch entscheiden können, dass wir das Thema heute nicht in die Abstimmung bringen oder noch weiter diskutieren und die heutige Messe damit ewig hinziehen. Aber er hat beschlossen, dass er uns entscheiden lässt, und damit das Auf-der-Stelle-Treten beendet. Und wir treten schon deutlich länger als die letzten zwei Stunden auf der Stelle, denn die Rebels beschäftigen uns bereits ein paar Monate. Das Ergebnis dieser Abstimmung interessiert mich gar nicht. Ob wir nun mit den Rebels oder gegen sie arbeiten, ist mir ziemlich egal. Alles, was mich interessiert, ist das Ende dieser Messe. Das Ende dieses Tages.

»Wer ist dafür?«, will Viking wissen, und ich hebe meine Hand, genauso wie acht andere Brüder. Damit ist es beschlossen.

Viking klopft mit dem Hammer auf den Tisch. »Okay. Also hätten wir das geklärt.« Er schaut von einem Bruder zum anderen. »Gibt es noch etwas?«

Ich schüttle eilig den Kopf, hoffe, dass auch sonst niemand noch etwas zu besprechen hat, und habe Glück. Zwei weitere Hammerschläge beenden die Messe, und ich springe eilig auf. Ich will nur noch raus hier und endlich das Koma erreichen, das mich diesen Tag überstehen lässt. Die Schuldgefühle, weil ich nicht in der Lage war, die Menschen zu schützen, die ich liebe. Als Cop, der im System ist und das Gesetz vertritt, kannst du gar niemanden schützen. Das habe ich auf die harte Tour lernen müssen. Hier bei den Death Bastards, auf der anderen Seite des Gesetzes, habe ich zuerst gelernt, dass es andere Regeln gibt, die mir mehr Spielraum lassen, wenn es nötig wird. Uns gegenseitig zu schützen steht hier über allem, auch über dem Gesetz. Das gilt sowieso nur für die Normalos. Wir haben unsere eigenen Regeln. Im Club ist jeder gleich, und wenn er die Regeln bricht, wird er bestraft. Auf dieser Seite gibt es keine Gesetze, die manche Personen vor Strafe schützen und andere nicht.

»Cage?«, ruft mir Viking hinterher. Ich erstarre, die Hand schon am Türgriff. Langsam drehe ich mich um und möchte am liebsten aufschreien vor Wut. »Warte noch kurz«, sagt er und weist mit einer Hand auf den Stuhl zu seiner Rechten, auf dem sonst immer Rev sitzt, der Sgt. at arms.

Ich trete von der Tür weg, um die anderen rauszulassen, und setze mich dann. Meine rechte Seite schmerzt ein wenig durch die Bewegung, der Riss in meiner Unterlippe pocht stetig, doch das ist lange nicht genug Ablenkung von den Bildern in meinem Kopf. »Was?«

»Der Rev hat dich ganz schön zugerichtet«, sagt er ruhig. Seine hellen Augen sind fragend auf mich gerichtet, ich weiß, er will eine Erklärung von mir, aber was soll ich ihm sagen, was er nicht schon längst weiß? Viking kennt meine Geschichte wie jeder meiner Brüder. Denn als ich damals zum Club kam, war ich kaum noch am Leben. Ich hatte den Beruf als Cop, der mir einmal alles bedeutet hat, gerade an den Nagel gehängt, weil ich mich von meinem Vorgesetzten, meinen Kollegen und diesem Land verraten fühlte, und begonnen, mir im Käfig von brutalen Kämpfern die Seele aus dem Leib prügeln zu lassen. Die Bastards nahmen mich in ihre Familie auf und gaben mir wieder Halt. Ich hatte plötzlich wieder etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnte.

Ich zucke lässig mit den Schultern. »Was willst du hören?«

Viking zieht eine Augenbraue hoch. »Ich weiß nicht, sag du es mir.«

Wütend springe ich auf, gehe ein paar Schritte hin und her, fahre mir durch die Haare und werfe wieder einen sehnsuchtsvollen Blick nach draußen. »Wird das jemals aufhören?«, will ich wissen. »Werd ich jemals die Augen schließen können und nicht ihre verbrannten Körper sehen?«

»Ich denke nicht, dass du darauf wirklich eine Antwort willst. Du kennst die Antwort schon«, sagt Viking. Er spricht von Rache, weil sie die Macht hat, Schuldgefühle auszurotten. Aber in meinem Fall ist das nicht so einfach. Seit ich bei den Bastards bin, habe ich schon Menschen getötet, jeder einzelne von ihnen war ein Krimineller. Früher als Cop hätte ich diese Menschen festgenommen, dem System zugeführt, und das System hätte sie freigelassen oder für ein paar Jahre weggesperrt, danach wären sie wieder auf der Straße gewesen, um von vorn zu verletzen, zu vergewaltigen, zu töten. Als Biker bin ich das Gesetz, ich töte diese Menschen, und sie können nie wieder jemandem wehtun. Aber der Mann, der meine Familie ausgerottet hat, ist kein Krimineller. Das mit der Rache fühlt sich also falsch an.

Manchmal hasse ich Viking dafür, dass er niemals die Kontrolle über seine Gefühle verliert. Besitzt er überhaupt welche oder ist in ihm alles erstarrt? Was hat ihn so werden lassen?

Ich stoße frustriert die Luft aus. »Noch was?«

Viking steht gemächlich von seinem Stuhl auf und kommt dann zu mir rüber. Er legt eine Hand auf das Abbild von Odin, das sich jetzt genau dort an der Wand der Kirche befindet, wo früher einmal ein Holzkreuz gehangen haben muss. Wenn man genau hinsieht, kann man den Umriss noch erkennen. Für Viking haben diese nordischen Legenden eine tiefere Bedeutung, für die meisten anderen von uns sind sie nur hübsch anzusehen. Aber auf Vikings Körper gibt es kaum eine Hautstelle, die nicht mit Göttern und nordischen Symbolen verziert ist.

»Ich habe nichts dagegen, wenn ihr in den Ring steigt und aufeinander einprügelt. Jeder von uns braucht hin und wieder mal einen guten Kampf. Aber das sollte es dann auch sein. Ein Kampf. Ich will nicht, dass du dort reinsteigst und dich nicht wehrst.«

Ich verziehe das Gesicht. Ich weiß, Viking hat recht, an Tagen wie heute will ich mich selbst bestrafen, dafür, dass ich nicht mehr tun konnte für meine Familie. Dafür, dass ich ihren Tod einfach hinnehmen musste. Ich hebe ihm meine aufgerissenen Fingerknöchel unter die Nase. »Ich habe mich gewehrt.«

Viking legt die Stirn in Falten, er kennt mich zu gut. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt versuche, ihn anzulügen. »Du hast ihm ein paar Schläge versetzt, dann hast du einfach nur darauf gewartet, dass er dich ausknockt. Das machst du immer so«, wirft er mir vor. »Und ich sage dir immer wieder, du sollst das lassen. Du bist einer der besten Käfigkämpfer auf diesem Kontinent. Wäre schade, wenn wir dich verlieren würden.«

Ich sehe zum Fenster raus, wo meine Brüder angefangen haben, sich zu betrinken, und schlucke durstig. »Ich hab es verstanden«, gebe ich widerwillig zu.

»Das will ich hoffen«, meint Viking und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Du weißt, du musst es nur sagen, wenn wir die Sache für dich beenden sollen.«

»Ich weiß«, bestätige ich.

2. Kapitel

Billie

Kurz nachdem Walker mit seinen Männern den Club übernommen hat, hat er Rose und mich in dieses Zimmer eingesperrt. Früher war es eines der Gästezimmer, in dem Biker anderer Chapter oder Freunde des Clubs manchmal übernachteten. Jetzt ist es unsere Gefängniszelle. In den ersten Tagen versuchte ich verzweifelt, ohne Schlaf auszukommen, weil ich Angst davor hatte, die Augen zu schließen und so die Kontrolle über das zu verlieren, was mit Rose und mir geschah. Eine Kontrolle, die wir nie wirklich hatten. Aber ich begegne dem Grauen lieber mit offenen Augen. Außerdem, solange ich die Augen offen hatte, konnte ich die Bilder in meinem Kopf zurückhalten. Die Morde an meinen Eltern und an den anderen Mitgliedern des Clubs. Aber je länger ich gegen den Schlaf ankämpfte, desto weniger war ich dazu in der Lage, mich auf irgendetwas zu konzentrieren. Und um Rose zu schützen oder an unserer Flucht zu arbeiten, brauchte ich meinen Verstand. Irgendwann hat sich mein Körper einfach genommen, was er brauchte, und ich bin nachts auf dem harten, kalten Boden in unserem Gefängnis eingeschlafen. Da hat es auch nicht geholfen, mich nicht auf die Matratze zu legen, die man uns überließ, und es mir möglichst unbequem zu machen.

In den ersten Wochen war mein Schlaf trotzdem kein fester. Jedes noch so kleine Geräusch hat mich aufschrecken lassen. Aber in so einem Clubhaus ist es die meiste Zeit sehr laut. Musik wird gespielt, Männer schreien sich dreckige Witze zu, sie prügeln sich oder haben lauten Sex mit Frauen. Die Geräuschkulisse wurde zu so etwas wie einem Hintergrundrauschen. Wir haben uns daran gewöhnt, sogar dann zu schlafen, wenn der Club große Partys gibt. Deswegen höre ich es auch nicht, als sich die Tür zu unserem Zimmer öffnet und jemand hereinkommt. Genauso wie ich es nicht gehört habe, als Rowdie in unser Zimmer kam und meine Sachen gestohlen hat. Aber in dem Moment, in dem sich eine Hand auf meinen Oberschenkel legt, springe ich sofort auf, meine Fußkette klappert laut, und ich verheddere mich fast darin. Es ist so dunkel, dass ich nichts sehen kann, weil das Zimmer kein Fenster hat. Ich weiche rückwärts aus und trete hinter mir auf Roses Fuß, die qualvoll aufschreit.

»Scht, seid leise. Ich bin es. Angus.«

»Angus?«, frage ich in die Dunkelheit. Ein klopfendes Geräusch ertönt, dann flackert Licht auf.

»Die beschissene Taschenlampe geht ständig aus.«

»Hast du kein Handy?«, will Rose schnippisch wissen. Sie reibt sich über ihren Fuß und macht ein grimmiges Gesicht.

»Ich war im Knast, da bekommt man keine verfickten Handys«, brummt Angus und leuchtet unsere dicken Ketten ab. In der Hand hält er eine Reisetasche, die er jetzt auf den Boden fallen lässt. »Ich schätze, wir haben nicht viel Zeit, bis die Ersten da draußen wieder wach werden.«

»Was hast du vor?«, frage ich ihn alarmiert.

»Euch rausholen, was sonst?«

Ich trete erschrocken einen Schritt zurück und wäre fast wieder auf Roses Fuß getreten.

»Pass doch auf«, murrt sie.

»Du kannst uns nicht befreien. Sie werden dich dafür töten.«

Angus schaut mich ernst an. »Seh ich so aus, als würde mich das interessieren?«

»Nein«, sage ich entschlossen. »Das lässt du schön bleiben.« Die Vorstellung, auch noch miterleben zu müssen, wie Angus mit einem Loch in der Stirn vor mir auf den Boden kippt, lässt jeden Muskel in meinem Körper zittern. Er ist der Letzte aus meiner Familie, der noch übrig ist. Der Vorletzte, Rose ist noch da. Aber dafür habe ich hart gekämpft. Und das werde ich auch für Angus tun.

»Wer sagt denn, dass sie mich kriegen müssen? Ich werde eine falsche Fährte legen, und ihr bringt euch in Sicherheit.«

Ich schüttle den Kopf. »Auf keinen Fall.«

Rose rappelt sich von der Matratze auf und umklammert meinen Unterarm. »Billie, ich will hier weg. Bitte lass uns gehen.« Im Licht der Taschenlampe wirkt ihr Gesicht noch blasser als sonst. Sie sieht mich so flehend an, dass ich mich frage, ob sie sich nur wegen mir ergeben hat. Bin ich diejenige, die es sich zu gemütlich gemacht hat? Die zu früh aufgab? Ich habe immer gedacht, dass sie besser damit klarkommt, als Gefangene zu leben, weil sie noch so jung ist und vielleicht anpassungsfähiger als ich.

In meiner Brust krampft sich alles zusammen. Ich will auch weg. Ich will nicht mein ganzes Leben hier verbringen und vielleicht bald Rowdies Eigentum werden. Und Rose? Wer weiß, was er ihr antun wird? Aber ich kann auch nicht zulassen, dass sie Angus töten. Wir haben genug Freunde verloren. »Nein, das geht nicht.«

»Und ob das geht, das entscheidest nicht du. Wir sind eine Familie, und ich werd den Teufel tun, dich bei diesen Mördern zu lassen.« Angus kniet sich auf den Boden und schaut sich das Schloss an, mit dem der Metallring um meinen Fuß verschlossen ist. »Kinderspiel«, sagt er, und obwohl ich sein Gesicht nicht erkennen kann, weiß ich, dass er lächelt, denn ich höre es in seiner Stimme. Ich setze mich vor ihm auf den Boden und nehme sein Gesicht zwischen meine Hände. Am liebsten möchte ich wohlig seufzen, als ich seinen weichen Bart unter meinen Handflächen spüre. Ich blinzle, als Tränen meinen Blick verschwimmen lassen. Ihn vor mir sitzen zu sehen fühlt sich so vertraut an, ein wenig, als wäre mein Vater hier bei uns.

»Ich will nicht, dass du stirbst«, flehe ich ihn an, aber ich spüre, dass mein Widerstand bricht, denn ich muss auch an Rose denken. Wenn es nur um mich ginge, wäre es mir egal. Ich würde das alles schon irgendwie durchstehen. Aber Rose, sie hatte noch keine Möglichkeit, richtig zu leben. Ich weiß nicht, wann sie das letzte Mal ein Eis gegessen hat, Schokolade oder Gummibären. Wann sie zum letzten Mal mit einem Kind gespielt hat, ob sie überhaupt Fahrrad fahren kann oder schon einmal im Kino war. Und wenn, erinnert sie sich genauso wenig daran wie ich? Oder hält sie an diesen Augenblicken fest und zehrt davon, wenn wir die Nächte allein in diesem Raum verbringen, in dem es nur diese Matratze, eine Toilette und ein Waschbecken gibt?

»Noch bin ich nicht tot«, meint Angus mit einem Lächeln, das von seinem dunklen Vollbart fast verschluckt wird. Er holt ein ledernes Etui mit Dietrichen aus der Innentasche seiner Kutte und legt es offen auf den Boden, dann macht er sich daran, das Schloss an meinem Fußknöchel zu öffnen und mir das Halsband abzunehmen. Nur wenige Minuten später sind Rose und ich befreit.

Angus holt aus der Reisetasche Kleidung. Shirts des Clubs, auf denen »Support my Club« steht. T-Shirts, die man im clubeigenen Fanshop kaufen kann und die meistens von Angestellten der Stripbar, Hangarounds oder Leuten aus der Nachbarschaft getragen werden. Zumindest war das früher mal so. Walker hat den Club von der Außenwelt komplett abgeschnitten. Früher war dieser MC ein Teil der Stadt, und die Menschen kamen mit ihren Problemen zu Dad. Jetzt wagt sich niemand von ihnen mehr her. Nicht einmal der Sheriff und seine Männer. Rose geht ihr Shirt fast bis zu den Waden, bei mir reicht es immerhin bis zu den Oberschenkeln. Ich bekomme eine Jogginghose, die wahrscheinlich mal einer der Frauen gehört hat, und Rose bekommt eine Jeans, deren Hosenbeine bei einer erwachsenen Frau wohl nur bis über die Knie reichen würden. Angus schnürt die Hose mit einem Stück Seil um Roses Taille fest.

»Ist das Geld?«, will ich von Angus wissen, als ich einen genaueren Blick in die Tasche werfe und dort bündelweise Geldscheine entdecke. Es müssen Tausende von Dollar sein.

Er sieht zu mir auf und grinst, dann verschließt er die Reisetasche schnell und erhebt sich. »Nichts, was euch nicht zustehen würde. Das Geld gehört dem Club und damit eurem Vater und mir. Du hast jahrelang den Dreck dieser Arschlöcher dort draußen weggemacht, du hast es verdient. Oder hast du jemals Lohn gesehen?«

Ich schüttle zögernd den Kopf. Habe ich wirklich nicht, aber ich habe auch nie damit gerechnet, bezahlt zu werden. »Wir können sie nicht ausrauben, sie werden uns töten, wenn sie uns jemals finden.«

»Das werden sie mit oder ohne dem Geld«, sagt Angus düster. »Mit dem Geld fühlt es sich vielleicht weniger schmerzhaft an, zu sterben.« Er lächelt Rose an, die leise kichert und glücklich nickt.

»Wir nehmen es mit«, meint sie entschlossen.

Angus zieht die Augenbrauen hoch. »Recht hat sie. Wir nehmen es mit.« Angus bückt sich nach meiner Schwester und hebt sie auf seine Arme, dann sieht er sich in unserem schmutzigen Zimmer um. »Bereit, diese Bude zu verlassen?«

»Ja«, stößt Rose mit einem nervösen Lachen aus und legt vertrauensvoll ihre Arme um seinen Nacken.

Mir dreht sich der Magen ein wenig um, als ich mich noch einmal umsehe, mein Blick auf die Ketten fällt, die Matratze und das wenige, was wir besessen haben. Ich bücke mich schnell nach Anne of Green Gables, Roses Lieblingsbuch, und Moms Notizbuch, das ich schon seit Jahren unter der Matratze verstecke. Beide drücke ich an meine Brust.

Auf Zehenspitzen schleichen wir durch das Clubhaus, vorbei an Bikern, die eingeschlafen sind, wo auch immer sie gerade ihr letztes Bier getrunken haben. Vorbei an zerzausten Clubschlampen, die halb nackt auf schlafenden Bikern liegen. Und vorbei an zwei Frauen, die die Männer von irgendwo verschleppt haben und die genauso als Gefangene hier leben wie Rose und ich. Holly sitzt in der Ecke, mit einer Hand an ein Rohr gefesselt. Als ich auf sie zuschleiche, schüttelt sie panisch den Kopf und flüstert: »Verschwinde hier.« Aber ich will auch sie retten. Ich ziehe Angus an der Hand und nicke in Hollys Richtung. Sie zeigt angsterfüllt in Richtung Tür. Angus nimmt meine Hand und zwingt mich weiter, vorbei an leeren Flaschen, Kondomverpackungen und Unterwäsche. Mein Puls rast bei jedem Schritt, den wir hinter uns bringen, mehr. Bei jedem Geräusch, das wir machen, ist es auch noch so leise, möchte ich am liebsten erstarren und schockiert stehen bleiben, aber Angus treibt mich an, nicht zu zögern und so schnell wie möglich auf die Tür zuzugehen, als wäre sie die letzte Barriere in die Freiheit. Doch das ist sie nicht, draußen erwartet uns noch der Hof, wo die Bikes stehen und die Prospects jede Nacht Wache halten.

Trotzdem fühlt es sich an, als würde ein kleiner Kiesel von meiner Brust rollen, als wir die Tür hinter uns lassen, raus in die Nacht treten und uns ein kühler Spätsommerregen begrüßt. Der Hof ist erhellt von Scheinwerfern, damit die Wachen jeden Eindringling sofort ausmachen können. Jeder Winkel ist ausgeleuchtet, so hell, dass sogar das Chrom an den Bikes, die in einer Reihe vor dem Clubhaus stehen, funkelt. In einer der Tonnen glüht noch immer die Asche eines Lagerfeuers, und auch hier liegt der eine oder andere Biker und stört sich nicht einmal an dem leichten Regen. Niemand schießt auf uns, ruft uns hinterher oder versucht, uns aufzuhalten, als Angus mit uns auf einen Kleinwagen zuläuft, der in der hintersten Ecke des Hofs steht und dort schon ewig darauf wartet, dass sich sein Schicksal endgültig erfüllt. Er stand schon dort, als ich noch ein kleines Mädchen mit Zöpfen war.

»Wo sind die Prospects?«, frage ich Angus.

Er reißt die Tür des Fiats auf und wirft die Reisetasche auf den Rücksitz. »Sie schlafen, wie alle anderen auch«, sagt er ernst und setzt Rose auf einen alten Kindersitz. »Ich habe ein Bierfass spendiert, zur Feier des Tages. Könnte sein, dass ich es mit den Schlaftabletten übertrieben habe.«

Mir klappt erstaunt der Mund auf. »Aber die Anwärter dürfen doch keinen Alkohol trinken.«

»Weswegen ich auch was in den Eistee getan habe, den du vorhin gemacht hast.« Angus grinst mich zufrieden an, dann nickt er mit dem Kinn zum Auto. »Los jetzt, rein da. Hoffen wir, dass die Mühle anspringt, ich hab den halben Nachmittag damit verbracht, an der Karre herumzubasteln, und musste Walker erzählen, ich bräuchte einen fahrbaren Untersatz, damit ich mein Bike neu lackieren lassen kann.«

»Du kommst mit«, beharre ich, obwohl ich weiß, dass es egal ist, was ich sage. Angus wird uns nicht begleiten. Er wird alles dafür tun, uns die Flucht zu ermöglichen. Selbst wenn es ihn sein Leben kostet.

»Das werde ich. Fünfzig Meilen, ich fahr euch in irgendein Kaff, dort setze ich euch in einen Bus und verschwinde dann mit dem Auto in die andere Richtung. Egal wohin ihr fahrt, es muss nur eine Gegend sein, die mit eurer Vergangenheit nichts zu tun hat.«

Zögernd setze ich mich auf den Beifahrersitz. Ich würde gern noch weiter diskutieren, versuchen, Angus davon abzuhalten, sich für uns zu opfern, aber tief in mir weiß ich auch, wenn Rose und ich die Freiheit wollen, dann ist dies unsere einzige Chance. Trotzdem fühlt es sich für mich wie ein Verrat an, und ich kann die quälenden Stimmen in meinem Kopf nicht beruhigen. Selbst dann nicht, als wir das Clubgelände endlich hinter uns gelassen haben und Angus zusammen mit Rose lautstark alte Countrysongs schmettert, die leiernd von der Kassette kommen, die schon so lange im Radio steckt, dass sie nicht mehr herauswill. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Angus’ Leben gegen unseres einzutauschen. Walker wird ihn jagen und nicht aufgeben, bis er ihn hat. Genau wie uns. Und dann wird Angus umsonst gestorben sein.

»Ich bringe euch direkt zum Busbahnhof, wir bezahlen jemanden, der die Tickets für euch kauft, und dann steigt ihr ohne Umstände in den nächsten Bus, der abfährt.«

»Und wenn es Kameras gibt?«, frage ich Angus besorgt. Walker ist nicht dumm, er wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um uns zu finden.

»Keine Sorge, ich kümmere mich darum. Mit ein wenig Geld kann man jeden überzeugen, ein paar Videominuten zu löschen. Und da ihr die Tickets nicht selbst kauft, wird euch am Schalter auch niemand erkennen.« Angus steuert in der nächsten Stadt sofort den Busbahnhof an. Er hält nicht direkt dort, sondern sucht sich eine Seitenstraße, in der es garantiert keine Kameras gibt. Ohne zu zögern, steigt er aus dem Auto und spricht eine Frau mit einem Kind an, die regelrecht begeistert ist, die Tickets für uns zu kaufen, denn Angus gibt ihr genug Geld, um einen ganzen Monat über die Runden zu kommen. Sobald die Frau mit unseren Tickets zurückkommt, lässt Angus uns aussteigen, nimmt die Tasche vom Rücksitz und drückt sie mir in die Hand.

»Vor dem Bus werden andere Reisende stehen, stellt euch nah hinter sie, senkt den Blick, und sobald ihr im Bus seid, geht ganz nach hinten durch und versteckt euch hinter den Rückenlehnen der Vordersitze. Im Bus wird auch gefilmt, aber wenn es keine Vorkommnisse gibt, werden die Aufnahmen nach vierundzwanzig Stunden überschrieben«, erklärt er uns. »Fahrt nicht bis zum Ende der Strecke, sondern steigt vorher aus und sucht euch einen neuen Bus. Wenn ihr ein paar Stationen vorher aussteigt, besteht so gut wie keine Chance, dass Walker euch jemals findet. Und jetzt, lebt wohl.« Angus schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln, aber trotz der Mühe, die er sich damit macht, weiß ich, dass ihm nicht nach Lächeln zumute ist. Mir ist auch nicht nach Lächeln. Das alles ist so falsch.

Meine Kehle schnürt sich zu, als er mich ansieht. Ich weiß, sobald wir uns umdrehen, um zu gehen, werden wir Angus niemals wiedersehen. Ich versuche, mir jede tiefe Falte um seine Augen, die graue Farbe seiner Iris, die Form seines Vollbartes und seiner Lippen einzuprägen. Es fällt mir so schwer, ihm Lebewohl zu sagen. Die Worte bleiben mir einfach im Hals stecken. »Versprich, dass du alles tust, um dich in Sicherheit zu bringen, wenn du sie auf eine falsche Fährte gelockt hast«, presse ich heiser hervor.

»Versprochen«, sagt er. Aber dieses Versprechen ist genauso unehrlich wie sein Lächeln davor, er wird sie von uns weglocken, und irgendwann endet seine Flucht, weil die Rebels ihn finden werden. Walker wird ihn nicht entkommen lassen, weil Angus sich zum Verräter macht, indem er uns hilft.

Ein älterer Herr geht an uns vorbei, ohne uns zu beachten. Trotzdem drängt sich Rose verängstigt an mich. Für sie muss sich das hier wie eine fremde Welt anfühlen. Wann hat sie zum letzten Mal Regen auf ihrem Gesicht gespürt? Wann hat sie Autos auf einer Straße fahren sehen? Kann sie sich noch daran erinnern, wann wir zum letzten Mal mit Mom und Dad im Auto unterwegs waren? Mein Puls rast schon viel zu schnell, und ich bin schrecklich nervös, weil wir nicht mehr im Club sind. Irgendwie habe ich das Gefühl, mit der Leine um meinem Hals auch meinen Anker verloren zu haben, der mich in so etwas wie einer Schutzzone festhielt. Wie kann es sein, dass ich in dieser Gasse stehe und mich vor dem Unbekannten fürchte?

Rose löst ihre Hand aus meiner und schlingt schluchzend die Arme um Angus’ Mitte. »Danke«, murmelt sie gegen seinen Bauch, sodass ich sie kaum verstehe. Angus legt eine Hand auf ihren Hinterkopf und drückt sie etwas an sich.

»Passt gut auf euch auf«, sagt er fast tonlos, dann löst er sich von meiner Schwester, dreht sich um und steigt in das kleine Auto. Panisch greife ich nach Roses Hand, als könnte sie mir die Sicherheit geben, nach der ich mich sehne. Wie lange wird es dauern, bis ich mich an unsere neu gewonnene Freiheit gewöhnt habe?

Ich präge mir jede Bewegung ein, die Angus macht, bis er die Autotür zuschlägt und davonfährt. Als uns unsere Eltern genommen wurden, hatte ich nicht die Möglichkeit, Abschied zu nehmen, und bereue seither jedes Lächeln, das sie mir mal geschenkt haben und ich vergessen habe. Alles verschwimmt im Laufe der Zeit, verblasst, und sosehr man versucht, sich daran zu erinnern, es bleibt für immer verloren. Mom hat mir oft Dinge erzählt, die ich als kleines Mädchen getan habe und an die ich mich selbst nicht mehr erinnern konnte. Seit sie tot ist, frage ich mich oft, was sie mir noch hätte erzählen können, was jetzt für immer verloren bleibt. Angus gehen zu sehen fühlt sich fast an, als müsste ich all den Schmerz, den ich damals empfunden habe, noch einmal durchmachen.

Roses Hand schiebt sich wieder in meine. »Komm«, meint sie und zieht an mir. Sie scheint stärker zu sein als ich, denn ich brauche ihr sanftes Drängen, um mich von der Stelle zu lösen.

Und dann gehen wir los, durchqueren die kleine Gasse und sitzen wenige Minuten später im Bus. Ich habe nicht einmal geschaut, wohin er fährt. Es ist mir egal.

3. Kapitel

Billie