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Dein selbstbestimmtes Kind E-Book

Jesper Juul

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Beschreibung

Für ein gutes Miteinander statt Machtkämpfen

Es gibt Kinder, die wissen schon früh ganz genau, was sie wollen. Diesen selbstbestimmten Kindern ist es wichtig, dass man sie ernst nimmt. Den besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden, stellt Eltern nicht selten vor große Herausforderungen. Der renommierte Familientherapeut Jesper Juul plädiert für ein offenes und authentisches Miteinander anstelle von Machtkämpfen, Manipulation oder gar Kapitulation. In diesem, seinem letzten Buch beantwortet er über dreißig konkrete Fragen, die ihm von betroffenen Eltern gestellt wurden, und erklärt, wie Eltern diese Kinder besser verstehen und gut ins Leben begleiten können, ohne sich dabei selbst aufzureiben.

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Seitenzahl: 169

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Zum Buch

Es gibt Kinder, die wissen schon früh ganz genau, was sie wollen. Diesen selbstbestimmten Kindern ist es wichtig, dass man sie ernst nimmt. Den besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden, stellt Eltern nicht selten vor große Herausforderungen. Der renommierte Familientherapeut Jesper Juul plädiert für ein offenes und authentisches Miteinander anstelle von Machtkämpfen, Manipulation oder gar Kapitulation. In diesem, seinem letzten Buch beantwortet er über dreißig konkrete Fragen, die ihm von betroffenen Eltern gestellt wurden, und erklärt, wie Eltern diese Kinder besser verstehen und gut ins Leben begleiten können, ohne sich dabei selbst aufzureiben. Jesper Juul (1948–2019) war einer der bedeutendsten und innovativsten Familientherapeuten Europas, Konfliktberater und Gründer des Elternberatungsprojekts familylab international. Seine respektvolle, gleichwürdige Art, mit Menschen umzugehen, beeindruckte Fachleute und Eltern immer wieder neu.

Jesper Juul

Dein selbstbestimmtes Kind

Unterstützung für Eltern, deren Kinder früh nach Autonomie streben

Herausgegeben von Mathias VoelchertUnter Mitarbeit von Knut Krüger

Kösel

OriginalausgabeDer Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Aus dem Dänischen übersetzt von Knut Krüger: EinleitungHinweis: Die Namen in den Elternbriefen wurden von der Redaktion geändert.Dieses Buch wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Wir haben uns intensiv bemüht, das Einverständnis aller Eltern, deren Briefe hier abgedruckt sind, einzuholen. Leider konnten wir einige Eltern nicht erreichen. Zur Wahrung der Rechte der Betroffenen haben wir deshalb leichte Verfremdungen an den Texten vorgenommen.

Copyright © 2020 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Cover: Weiss Werkstatt, München

Covermotiv: © DEEPOL by plainpicture / Peter Rutherhagen

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21630-6V003www.koesel.de

Dein selbstbestimmtes Kind

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Was ist ein selbstbestimmtes Kind?

In welchen Fällen handelt es sich nicht um ein selbstbestimmtes Kind?

Wie verhalte ich mich meinem autonomen Kind gegenüber am besten?

Bedeutungsvolle Botschaften

Autonome Kinder und ihre Geschwister

Anleitung für Fachleute

Beziehung statt Diagnose

Südländisches Temperament oder selbstbestimmtes Kind?

Die Selbstzweifel der Eltern

Das Unverständnis der Verwandten

Warum schreit mein Kind so viel?

Wahlfreiheit und Entscheidungsfreiheit

Ein selbstbestimmtes Kind geht seinen Weg

Wenn die eigene Tochter den Eltern Rätsel aufgibt

»Mama, ich sag aber nix!«

Straffe Führung oder Nachgiebigkeit?

Sind selbstbestimmte Kinder besonders begabt?

Das Leben in einer selbstbestimmten Familie

Woher kommt die Aggressivität meines Kindes?

Wie Eltern voneinander lernen können

Der Tod eines Zwillingskinds

Eine Mutter mit Schuldgefühlen

Soll man seinen Kindern Frustrationen ersparen?

Ein Pflegekind mit Wut im Bauch

Schwarze und weiße Punkte

Akzeptanz statt starre Grenzen

Die Kunst des Kompromisses

Das Dilemma einer jungen Mutter

Ist Autonomiebestreben vererblich?

Wessen Bedürfnisse sind wichtiger?

Wie sag ich’s seinen Lehrern?

Sind eigentlich nicht alle Kinder so?

Höchste Zeit, den Machtkampf zu beenden

Wie erklärt man Kindern, dass gewisse Dinge unumgänglich sind?

Wie entwickeln sich autonome Kinder als Erwachsene?

Ein anderer Ausdruck von Liebe

Zwei Erwachsene gegen ein Kind

Die besten Eltern der Welt

Nachruf von Mathias Voelchert

Literatur und DVDs

Vorwort

Zunächst möchte ich an dieser Stelle allen Eltern herzlich danken, die uns geschrieben haben. Ohne Ihren Mut, uns Ihre Beobachtungen und Erfahrungen, aber auch Ihre Sorgen und Nöte anzuvertrauen, wäre dieses Buch nicht entstanden.

Alle Ihre Zuschriften handeln von Kindern, deren Streben nach Unabhängigkeit und Autonomie weit über das gewohnte Maß hinauszugehen scheint. Deren ausgeprägter Wille, selbst Stellung zu beziehen und eigene Entscheidungen für sich zu treffen, viele Eltern überfordert.

Jesper Juul hatte viele Jahre lang Bedenken, über diese Art von Kindern zu reden und zu schreiben, hat sich dann aber doch dazu entschieden – teils, um die erschöpften und oft verzweifelten Eltern zu ermutigen, ihre Kinder so zu nehmen, wie sie sind. Teils, um es den Kindern zu ersparen, eine offizielle »Diagnose« aufgepfropft zu bekommen, die ihnen nicht gerecht wird.

Denn die wichtigste Aussage, die ich seit dem Beginn unserer Zusammenarbeit im Jahr 2006 immer wieder von Jesper Juul gehört habe, lautet folgendermaßen: »Das Kind ist. Punkt.«

Diese Haltung ermöglicht uns Eltern eine entspannte Grundeinstellung und gibt uns zudem die Gewissheit, dass wir unsere Kinder nicht formen müssen, sondern dass alles Wesentliche bereits in ihnen angelegt ist. Wir müssen nur dafür sorgen, dass sich ihre Talente frei entfalten können und dass wir als Eltern die Freude an unseren Kindern nicht verlieren.

Dazu noch empathische Begleitung und liebevolle, elterliche Führung – was sollte dann noch schiefgehen?

Drei Jahre lang haben wir gemeinsam an diesem Buch gearbeitet, und trotz seiner schweren Erkrankung – Jesper Juul litt an der Autoimmunkrankheit Transverse Myelitis, die ihn brustabwärts lähmte und seine Arbeitskapazität stark einschränkte – hat er sich stets bemüht, möglichst präzise auf die Briefe der Eltern einzugehen. Seine teils knappen, jedoch stets erhellenden und konstruktiven Antworten sind auch das Kondensat seiner jahrzehntelangen Berufserfahrung als Familientherapeut.

Das Buch ist fertig geworden, doch sein Erscheinen konnte Jesper Juul, der unmittelbar nach Fertigstellung des Manuskripts starb, nicht mehr erleben.

Was mich während der letzten Monate unserer Zusammenarbeit sehr berührt hat, ist die Tatsache, dass die oft gestellte Frage: »Habe ich ein autonomes Kind oder nicht?« zunehmend in den Hintergrund trat. Immer klarer schälte sich stattdessen der Wunsch aller Eltern heraus, so gut wie möglich mit ihren Kindern in Kontakt zu kommen, ohne ihnen das Gefühl zu vermitteln, mit ihnen sei irgendetwas nicht in Ordnung.

Der Wunsch nach Selbstbestimmtheit ist in uns von Geburt an angelegt, beim einen mehr, beim anderen weniger. Es ist der Wunsch, die eigenen Anlagen entwickeln zu dürfen, sich als Mensch mit seinen Fähigkeiten einzubringen und von seinen Mitmenschen unterstützt zu werden.

Die facettenreichen Beschreibungen der Kinder in diesem Buch belegen die unendliche Vielfalt, mit der wir alle geboren wurden und die nun endlich immer mehr gelebt werden darf – im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule.

Ich wünsche Ihnen größtmöglichen Gewinn aus den vielen Elternbriefen und den Antworten von Jesper Juul, die mich in ihrer Prägnanz und Klarheit weiterhin anrühren. Mögen diese Einsichten Ihr Elternsein etwas erleichtern.

Ihr Mathias Voelchert

Gründer von familylab.de in Deutschland und dessen Leiter 2006-2022

Was ist ein selbstbestimmtes Kind?

Ein selbstbestimmtes oder autonomes Kind ist ein Kind, das von Geburt an auf sein Selbstbestimmungsrecht besteht und dadurch seine Eltern an ihrer Liebe und dem Wert ihrer Fürsorge zweifeln lässt.

Selbstbestimmte Kinder fordern also das Recht ein, über ihre eigenen Belange zu entscheiden und eigene Entscheidungen zu treffen. Sie scheinen nur selten daran zu zweifeln, was gut und was schlecht für sie ist, besitzen aber weder das Urteilsvermögen noch die Erfahrung eines Erwachsenen. Selbstbestimmte Kinder brauchen keine Wahlfreiheit, sondern das Recht, zu den Angeboten und Forderungen ihrer Eltern Nein sagen zu dürfen. Selbstbestimmte Kinder wollen nicht über ihre Familien oder ihre Eltern entscheiden, sondern kämpfen um ihr Recht, eigene Entscheidungen zu treffen. Durch Bestrafungen oder Belohnungen lassen sie sich nicht manipulieren.

Ich werde später noch auf diese Aussagen zurückkommen. Zunächst möchte ich jedoch die Erlebnisse von Müttern und Vätern mit ihrem Neugeborenen beschreiben:

– Mütter, die bereits mehrere Kinder zur Welt gebracht haben, merken oft schon während der letzten zwei, drei Monate ihrer Schwangerschaft, dass dieses Kind anders ist. Obwohl dieser Eindruck so unmissverständlich ist, lässt er sich schwer in Worte fassen. Erstgebärenden fällt manchmal auf, dass sich ihr Erlebnis, schwanger zu sein, von dem anderer Frauen unterscheidet. Doch erst, wenn ihr Kind Wochen, Monate oder Jahre später als autonom beziehungsweise selbstbestimmt bezeichnet wird, werden sie sich dieser Tatsache vollauf bewusst.

– Autonome Kinder werden fast immer mit einem »fertigen« Körper und einem »reifen« Gesichtsausdruck geboren. Eltern beschreiben oft, wie ihr Neugeborenes ihnen mit klarem Blick direkt in die Augen gesehen hat. Der Körper dieser Babys ist straff, zeigt bereits wohldefinierte Muskeln und keinen Babyspeck. Ihre Motorik ist der von Gleichaltrigen in den ersten 18–20 Monaten oft voraus.

– Ihr Verhalten ist von Beginn an äußerst spezifisch. Manche von ihnen wollen nicht allzu viel Körperkontakt, machen sich nichts aus Kuscheln und Knuddeln, wenngleich wir gelernt haben, dass Babys dies brauchen und die Eltern dies selbst so genießen. Fremden Erwachsenen gegenüber sind sie meist reserviert und weisen deren Kontaktversuche konsequent ab. Was vor allem für diejenigen Frauen in der Familie gilt, deren Kontaktaufnahme besonders aufdringlich und laut ist und die auch anderen Kindern gegenüber wenig geneigt sind, deren persönliche Grenzen zu akzeptieren.

Zu autonomen Kindern muss man zunächst einen Meter Abstand lassen und warten, bis man Blickkontakt zu ihnen bekommt. Dann kann man seine Hände vorstrecken und fragen: »Ich würde dich so gern auf den Arm nehmen, darf ich das?« Sollte die Antwort darin bestehen, dass das Kind den Blick abwendet, muss man das natürlich akzeptieren. Großmütter und kinderliebe Tanten fühlen sich durch dieses Verhalten oft provoziert, was schon mal zur einen oder anderen Krise zwischen den Erwachsenen führen kann.

In welchen Fällen handelt es sich nicht um ein selbstbestimmtes Kind?

In den letzten zwanzig Jahren hat es nicht an Horrorgeschichten von Großeltern, aus Kindergärten und Schulen gemangelt, die von Kindern handeln, die ihre Eltern ebenso wie alle anderen in ihrer Reichweite tyrannisieren, stets im Mittelpunkt stehen und von vorne bis hinten versorgt werden wollen. Kinder, die oft als »kleine Tyrannen« und als vollkommen »unerträglich« im Umgang bezeichnet werden. Selbst die Eltern haben irgendwann genug und gleichaltrige Freunde wenden sich ab.

Doch diese Kinder sind nicht autonom, sondern vernachlässigt, und ihr tyrannisches Verhalten geht auf Eltern zurück, die nach bestem Wissen und Gewissen versucht haben, alle Bedürfnisse und unmittelbaren Wünsche ihrer Kinder zu erfüllen – freilich ohne sich des Unterschieds zwischen den grundlegenden Bedürfnissen und den momentanen Wünschen ihrer Kinder bewusst zu sein. Wenn Eltern nicht in der Lage sind, dies zu ändern, entwickeln ihre Kinder schnell narzisstische Eigenschaften bis hin zu einer regelrechten Persönlichkeitsstörung.

Je länger Kinder vernachlässigt und im Stich gelassen werden, desto einsamer und frustrierter werden sie, und ganz gleich, was ihre Mitmenschen versuchen, um sie zufriedenzustellen, es wird ihnen nicht gelingen. Diese Kinder fordern von ihrer gesamten Umgebung das Unmögliche, während autonome Kinder nur eine Herausforderung für ihre eigenen Eltern sind.

In gewisser Weise stellen diese vernachlässigten Kinder für Erwachsene außerhalb ihrer Familie genauso eine Provokation dar, wie autonome Kinder dies zuweilen tun, und wecken in ihnen noch weniger Empathie und Sympathie. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Kinder zutiefst unglücklich sind und den Kontakt zu Eltern, Großeltern und Pädagogen brauchen, die in der Lage sind, Nein zu ihren Wünschen und Forderungen zu sagen, ohne ihnen damit den Rücken zuzukehren. (Zu diesem Thema können Sie auch mein Buch »Nein aus Liebe« lesen.)

Während die Kinder allmählich von ihrer Rolle befreit wurden, immerzu süß, nett und ausgeglichen sein zu müssen, entlarvten sie das moralische Doppelspiel und die mangelnde Konsistenz der Erwachsenen. Ein Doppelspiel, das beispielsweise von Lehrern praktiziert wurde, die Respekt und Ruhe einforderten, jedoch nicht in der Lage waren, ihren Schülern ebenso zu begegnen. Wenn diese aufmüpfig oder vorlaut waren, wurde den Eltern vorgeworfen, ihre Kinder nicht ausreichend zu disziplinieren und in der Erziehung zu wenig Konsequenz an den Tag zu legen.

Eltern Inkonsequenz vorzuwerfen oder sich darüber zu beklagen, dass man als Lehrer nicht mehr konsequent sein (gewisse Strafen nicht mehr anwenden) dürfe, geht jedoch am Kern der Sache vorbei.

Wenn Kinder der Autorität der Erwachsenen Vertrauen und Respekt entgegenbringen sollen, erfordert dies konsistente Eltern – Eltern also, deren Verhalten mit ihren Werten übereinstimmt.

Die Mehrzahl dieser »frechen« oder unerzogenen Kinder ist weder autonom noch vernachlässigt, doch braucht es das Engagement der Erwachsenen, um eine dynamische und respektvolle Beziehung zu ihnen aufzubauen.

Im Zuge der Ausbreitung dieses Phänomens wurde eine alte Kategorie abgeräumt: die oppositionelle Verhaltensstörung, die weit davon entfernt ist, eine Persönlichkeitsstörung zu sein. Sie bezeichnet ein Verhalten, das ausschließlich Kinder und Jugendliche (manchmal sogar Erwachsene) an den Tag legen, die sich an einem Zusammenspiel beteiligen sollen, bei dem der Erwachsene nicht in der Lage ist, die Verantwortung für die Qualität des Zusammenspiels zu übernehmen. Oft handelt es sich dabei um Eltern, die zu autoritär/kränkend und/oder zu inkonsistent sind. Es handelt sich daher um eine wohlbegründete Opposition gegen eine unzulängliche Autorität.

Diese generell defensive Haltung kann sich in einem Alter von 2–3 Jahren im Zusammenspiel mit Eltern herausgebildet haben, die immer noch dem alten Mythos vom »Trotzalter« anhängen.

Selbstbestimmte Kinder haben keine ausgeprägte Sensitivität, sondern machen meist einen robusten Eindruck, können aber auch verletzlich, hysterisch oder empfindsam sein. Sie können sich im Zusammenspiel mit ihren Eltern nicht anders verhalten, solange diese ihre Grenzen nicht achten und ihr Bedürfnis nach Selbstbestimmung nicht akzeptieren.

Wie verhalte ich mich meinem autonomen Kind gegenüber am besten?

»Ich fühle mich wie die schlechteste Mutter der Welt.« Das war der erste Satz, den eine Mutter während eines Familiengesprächs zu mir sagte. »Wir haben noch drei andere Töchter, zu denen wir, abgesehen von den ganz normalen Problemen und Konflikten, ein gutes Verhältnis haben. Doch Katharina hat von Geburt an alles abgewehrt, was ich unter notwendiger und liebevoller Fürsorge verstehe. Trotz unserer jahrelangen pädagogischen Erfahrung sind wir mit unseren Kräften am Ende und fühlen uns total hilflos. Bitte helfen Sie uns!«

Mit diesen Sätzen hat die Mutter auf den Punkt gebracht, wie schwer es ist, ein autonomes Kind zu lieben und ihm gegenüber verantwortlich zu sein. Zu dieser wichtigen emotionalen und existenziellen Dimension gesellen sich soziale und moralische Aspekte. Lasse ich meine Tochter im Stich, wenn ich ihr das nicht mehr anbiete, was sie bisher permanent abgelehnt hat? Haben unsere Freunde und Verwandten womöglich recht, dass wir zu nachgiebig sind?

Für diese Mutter ging es um sehr konkrete Dinge:

– Die dichten, langen Haare ihrer Tochter zu bürsten.

– Sie zu einem vernünftigen Zeitpunkt zum Schlafen zu bringen.

– Dafür zu sorgen, dass sie dem Wetter gemäß angezogen ist.

– Dicht beieinander auf dem Sofa zu sitzen.

– Dafür zu sorgen, dass sie genug zu essen bekommt.

Die Tochter wollte von all diesen Dingen nichts wissen, alle Motivationsversuche oder Konsequenzen prallten an ihr ab. Doch ihre Mutter versuchte es immer wieder, weil sie sich andernfalls als Rabenmutter gefühlt hätte, die ihr Kind im Stich lässt oder sich von einem kleinen Mädchen tyrannisieren lässt. Acht Jahre lang hatte sie dies ausgehalten, doch nun konnte sie nicht mehr. Der Versuch, die Erziehungsverantwortung auf den Vater zu übertragen, hatte mit demselben kümmerlichen Resultat geendet.

Andere Eltern müssen auf ähnliche Dinge verzichten, ob es nun um Gute-Nacht-Rituale, Nahrungsaufnahme oder körperliche Nähe geht. Nach meiner Erfahrung und der vieler Familien gibt es jedoch keinen Ausweg, wenn Sie das Selbstvertrauen der Eltern und das Selbstgefühl des Kinders retten wollen. Der erste Schritt besteht darin, ein »Büfett« mit all der geistigen und psychologischen »Nahrung« aufzustellen, die man anbieten kann.

Warum? Weil es das Kind in die Freiheit versetzt, über das Was und Wann zu entscheiden, und ihm den Schmerz erspart, einen geliebten Erwachsenen abweisen zu müssen. Selbstbestimmte Kinder haben genau dieselben Bedürfnisse wie andere Kinder, müssen aber selbst über Zeitpunkt, Ort und Menge der »Nahrung« bestimmen können.

Wie? Man zählt einfach auf, was zur Verfügung steht – entweder per E-Mail, Snapchat oder indem man ein Bild malt –, und sagt seinem Kind, dass es nun nach Herzenslust aus diesem Angebot auswählen könne, sei es in einer Stunde, morgen, in drei Wochen oder in einem halben Jahr.

Die Eltern brauchen sich nicht zu sorgen, das Kind könne ihr Angebot missbrauchen. Selbstbestimmte Kinder haben ein ausgeprägtes Gespür und großen Respekt vor den Grenzen anderer. Seien Sie vorsichtig mit dem Wort »Lust« (»Nimm dir, worauf du Lust hast.«). Das gilt im Prinzip für alle Kinder, doch in diesem Fall ist es besonders wichtig, von »wollen« zu reden (»Nimm dir, was du willst.«)

Dies korrespondiert mit dem Bedürfnis des Kindes nach Selbstbestimmung, was etwas ganz anderes ist, als sich vom Lustprinzip leiten zu lassen. Damit bringt man Empathie zum Ausdruck, statt allzu willfährig oder hyperflexibel zu wirken. Man stellt Gleichwürdigkeit her, statt einen Service anzubieten.

Und jetzt kommt das Schwierigste an der Sache: Sagen Sie es nur ein Mal und dann nie wieder! Denn jede Wiederholung signalisiert entweder, dass Sie dem Erinnerungsvermögen oder dem Kooperationswillen Ihres Kindes misstrauen oder dass Sie Ihre eigenen Schuldgefühle besänftigen wollen, wodurch Ihr Angebot an Glaubwürdigkeit verliert.

Wenn Ihr Kind widerstrebend einwilligt und um Hilfe oder Fürsorge bittet, ist es wichtig, dass der Erwachsene sich seiner eigenen Grenzen bewusst ist. Es ist vollkommen in Ordnung zu sagen: »Wie schön, mein Schatz, aber ich kann leider erst heute Abend. Ich hoffe, du kannst so lange warten.« Denken Sie stets daran, dass autonome Kinder ein feines Sensorium für Widersprüche und mangelnde Authentizität haben. Darum sollte das Büfett erst eröffnet werden, wenn dies für die Eltern sinnvoll und keine neue Strategie oder Methode ist.

Meiner Erfahrung nach geschehen unmittelbar darauf zwei Dinge, die für eine Entspannung der Beziehung sorgen: Die Eltern sind von einem Teil ihres schlechten Gewissens befreit, und das Kind gibt einen Teil seiner defensiven Haltung auf, was es beiden ermöglicht, sich auf halbem Wege entgegenzukommen, ohne einen faulen Kompromiss schließen zu müssen.

Es geht also darum, vertrauenswürdig und entgegenkommend zu sein, wie der folgende Dialog veranschaulicht:

Sohn: »Papa, bringst du mich nachher ins Bett?«

Vater: »Ja, gern. Was meinst du, welche Zeit passen würde?«

Sohn: »So um neun.«

Vater: »Oh, um neun ist es schlecht, da muss ich mit Thomas telefonieren. Hast du einen anderen Vorschlag?«

Sohn: »Dann eben um halb neun … aber früher will ich nicht, Papa!«

Vater: »Halb neun passt gut. Ich freu mich.«

Beachten Sie, dass der Vater auf jegliche Belehrung verzichtet und damit Gleichwürdigkeit herstellt.

Schauen wir uns ein weiteres Beispiel an:

Tochter: »Papa, bringst du mich nachher ins Bett?«

Vater: »Ja, gern. Was meinst du, welche Zeit passen würde?«

Tochter: »So um neun.«

Vater: »Das ist mir zu spät. Nach neun ist nur Papa-Zeit, wenn du krank bist. Sonst ist das meine Erwachsenen-Zeit.«

Tochter: »Okay, dann geh ich eben allein ins Bett. Aber kannst du mir um halb neun noch was vorlesen?«

»Das tue ich gern.«

Auch in diesem Fall sorgt der Vater für ein gleichwürdiges Verhältnis, indem er sich abgrenzt, statt seiner Tochter Grenzen zu setzen. Sie ist sieben Jahre alt und weiß genau, dass ihre Eltern finden, sie ginge zu spät ins Bett. Das haben sie ihr schon klargemacht, als sie noch fünf war, deshalb müssen sie es nicht jeden Abend wiederholen. Falls sie es täten, würden sie ihrer Tochter vermitteln, dass sie schwer von Begriff sei.

Ein autonomes Kind darf die Familie nicht steuern und hat auch gar kein Interesse daran. Falls dies geschieht, liegt es daran, dass die Eltern sich steuern lassen – beispielsweise aus Angst vor Konflikten. Sollte das der Fall sein, müssen sich die Eltern ihre Führungsrolle bewusst machen, statt so zu tun, als sei ihr Kind ein machtdürstendes Monster.

Nehmen Sie sich in Acht. Für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist es gefährlich, besserwisserisch aufzutreten. Das gilt für alle Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsen, doch im Verhältnis zu autonomen Kindern fällt es Eltern oft besonders schwer, sich der Besserwisserei zu enthalten, weil diese Kinder so oft Entscheidungen treffen, die weder besonders klug sind noch auf Erfahrung beruhen. Die Eltern wissen es in der Regel eben doch besser, und das ist auch gut so. Bei autonomen Kindern müssen sie das, was sie »besser wissen«, zusammen mit all den anderen guten Angeboten aufs Büfett stellen.

Auch mit Überzeugungs- und Motivationsversuchen sollte man vorsichtig sein – es sei denn, Sie haben damit wirklich gute Erfahrungen gemacht. In Wahrheit sind beides schlechte Angewohnheiten oder ein Ausdruck von schlechtem Timing in Bezug auf andere Menschen. Im Verhältnis zu selbstbestimmten Kindern und Jugendlichen kommt es insbesondere darauf an, dass der Erwachsene das Nein der Kinder zur Kenntnis nimmt, persönlich darauf reagiert und mit aufrichtigem Interesse nach der Begründung fragt. Erst wenn sich Mimik und Körpersprache des Kindes wieder entspannt haben, kann man versuchen, sich eine Einladung zu verschaffen, um für die eigene Botschaft zu werben. Ein Beispiel:

Mutter: »Ich finde, du solltest dein Zimmer ein wenig aufräumen, bevor du heute Abend ins Bett gehst.«

Kind: »Ich will aber nicht.«

Mutter: »Es irritiert mich ein bisschen, dass es bei dir so unordentlich ist. Weißt du, warum du nicht willst?«

Kind: »Ich hab eben keine Lust.«

Mutter: »Hast du was anderes vor?«

Kind: »Wenn ich keine Lust hab, dann hab ich eben keine Lust!«