Den Tod überleben - Wilhelm Schmid - E-Book

Den Tod überleben E-Book

Wilhelm Schmid

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Beschreibung

Den Tod überleben, wie geht das? Das ist die unmittelbare Herausforderung für den, der bis auf Weiteres am Leben bleibt und Phasen durchläuft, die zu kennen hilfreich ist. Eine beliebte Methode, den Tod zu überleben, besteht darin, nicht über ihn zu sprechen. Dem setzt Wilhelm Schmid sein neues Buch entgegen.

Denn es hilft ja nichts: Einstweilen bleibt der Tod das Ende des Lebens für jeden Menschen. Ungleich fallen nur Zeitpunkt und Art und Weise des Todes aus. Meist kommt er zu früh und hinterlässt viel Leid. Kann das Drama abgemildert werden durch die Annahme, dass der Tod nicht das Ende allen Lebens ist? Wilhelm Schmid beschäftigt sich von Neuem ernsthaft mit dieser Frage, die Menschen seit unvordenklichen Zeiten umtreibt: Wohin geht der, der geht? In ein anderes Leben? Gibt es vielleicht wirklich ein Leben nach dem Tod? Wie ist es vorstellbar? Kann allein schon die Möglichkeit ein Trost sein?

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Seitenzahl: 107

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Cover

Titel

Wilhelm Schmid

Den Tod überleben

Vom Umgang mit dem Unfassbaren

Insel Verlag

Impressum

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eBook Insel Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 2. Auflage der Erstausgabe, 2024.

© Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2024

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Umschlag unter Verwendung eines Entwurfs für dieses Buch von Barbara Ketterer, Berlin, 2023

eISBN 978-3-458-77966-7

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Vorwort

1. Wo ist meine Frau?

2. Liebe bis in den Tod

3. Lebenskunst und Kunst des Sterbens

4. Phasen im Umgang mit dem Tod

5. Gibt es den Tod wirklich?

6. Gibt es ein Leben nach dem Tod?

7. Den Tod überleben oder überwinden?

8. Tod als Befreiung vom Leben

9. Was kann Menschen trösten?

10. Was ich meiner Frau verdanke

Buchpublikationen

Informationen zum Buch

Vorwort

Meine Verblüffung war groß. Am Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) passierte ich die Sicherheitsschleuse. Schlüssel, Geldbörse, Gürtel, Kleinkram aus Hemd- und Hosentaschen hatte ich vorschriftsmäßig in die separate Wanne gelegt. Der Detektor piepste dennoch. Der Sicherheitsmann hinter der Schleuse winkte mich zur Seite und begann, mich sorgfältig von Kopf bis Fuß abzutasten. Nichts. Da fiel ihm ein Scherz ein: »Haben Sie vielleicht eine Frau dabei?« »Hä? Was stellst du denn für Fragen?«, fuhr ihn seine danebenstehende Kollegin an. »Männergespräche!«, entschuldigte er sich. Ich lächelte ihm verschwörerisch zu.

Ahnte er etwas? Tatsächlich hatte ich meine Frau inständig gebeten, mit mir auf diese Reise zu gehen, die wir zwei Jahre zuvor unternehmen wollten. Es war nichts daraus geworden, sie sollte auf keinen Fall mehr fliegen, Hirnmetastasen. Ein Jahr später war sie tot. Wir hatten uns versprochen, zusammenzubleiben, »egal in welchem Aggregatzustand«, wie sie sagte. Dass wir uns in energetischer Form weiterhin nahe sind, spüre ich Tag für Tag, wo immer ich auch bin. Kann es sein, dass das an der Sicherheitsschleuse den Ausschlag gab? Schlug der Detektor an, weil da einer mit den Energien von zweien hindurchgegangen war?

Den Tod überleben, wie geht das? Das war die Frage, die sich mir stellte, als meine Frau in physischer Gestalt nicht mehr da war. Das ist die unmittelbare Herausforderung für den, der noch für eine Weile am Leben bleibt. Mir hilft seither am meisten das Gefühl, vollkommen von der besonderen Energie dieser wunderbaren Frau erfüllt zu sein. Unsere Liebe war so groß, dass sie mühelos den Tod überdauert. Schon als junges Liebespaar, das gemeinsam Latein lernte, begeisterte uns die alte Sentenz Omnia vincit amor, die Liebe besiegt alles. Also auch ihn. Ihn? Er wird gerne personalisiert, im Deutschen scheint der Tod männlich zu sein, im Französischen weiblich, la mort. Dabei handelt es sich eher um ein Es, ein Phänomen.

Eine beliebte Methode, den Tod zu überleben, besteht darin, nicht über ihn zu sprechen. Er ist zwar kein Tabu mehr, aber für viele einfach kein Thema. »Niemand spricht gerne darüber«, höre ich jemanden sagen. In einer Gesellschaft, die den Tod nicht mehr zu Gesicht bekommt, verschlägt er einem auch die Sprache. Und so heißt Leben, nicht an das Ende zu denken. Don’t mention the end. Die meisten Menschen wollen nicht im Bewusstsein des Todes leben, sondern sich möglichst uneingeschränkt des Lebens freuen. Dagegen spricht nichts. Wichtiger als der Tod ist das Leben davor. Ein frohes, bewegtes, womöglich wild bewegtes Leben zu führen ist besser als ein tristes schon zu Lebzeiten. Ein gelegentlicher Wink vom Ende her ist dafür jedoch ein guter Ansporn. Das leistet jeder Tod, der auch nur halbwegs nahe kommt. Die Schockwelle, die er mit sich führt, rührt Gedanken an das eigene Ende auf, das doch nicht erwähnt werden sollte. Wenn ein Mensch, den man kannte, »gegangen« ist, stellen sich ganz von selbst Fragen: Was ist mit meinem eigenen Leben? Was kann daraus noch werden? Und was ist, wenn…? Ist es mir möglich, im vollen Bewusstsein des Todes das Leben zu lieben?

Menschlich gesehen ist der Tod eine Katastrophe, in der doppelten Bedeutung des Wortes: Etwas Schreckliches, das zugleich alles wendet. Manchen bringt er die ersehnte Erlösung von Schwermut, Schmerz und Leid. Einige sehen in ihm einen natürlichen Vorgang, der zu einer unbestimmten oder vorbestimmten Zeit ansteht. Viele halten ihn für eine schlimme Zumutung, die eigentlich abgeschafft werden muss. Wird es irgendwann möglich sein, den Tod tatsächlich zu überleben? Forschungsprogramme und pharmazeutische Entwicklungen zielen darauf, ihn hinauszuschieben und endlich ganz zu überwinden. Der sehnlichste Wunsch vieler, dass es ein Ende mit dem Ende haben möge, ginge damit in Erfüllung.

Aber auch das wirft Fragen auf: Was wird geschehen, wenn der Tod stirbt? Ist er entbehrlich? Wie kann sich das Leben dann noch erneuern? Stirbt, wenn der Nachschub aus dem Diesseits ausbleibt, das Jenseits aus? Sterben die Menschen aus, wenn sie den Tod überleben, aber an Langeweile zugrunde gehen? Bisher ähnelte das Leben einem Fußballspiel. Hatten sich Spieler und Spielerinnen verausgabt, wurden sie vom Platz genommen, damit Andere mit unverbrauchten Kräften frische Impulse ins Spiel bringen konnten. Etwas Besseres zur Regeneration des Lebens hat noch niemand erfunden. Ein Leben ohne Tod könnte sich als Sackgasse der Evolution erweisen. Vorwürfe, dies sei eine »darwinistische« Sicht, kümmern die hier trainierende Natur nicht. Aus ihrer Sicht ist der Tod ein Erfolgsmodell.

Sollte er dennoch überwindbar sein, ist mit dem Blick aus fernen Zeiten eine Nostalgie des Todes denkbar: Wie einfach war doch das Leben damals, als es ihn noch gab. Zu irgendeiner Zeit kam er über die Menschen, egal um wen es sich handelte. Mit dem Blick aus fernen Räumen könnte sich zusätzlich die Frage aufdrängen, ob der irdische Tod eine Ausnahme im Kosmos darstellt. Sollte es verstreut in der Galaxie namens Milchstraße, der unser Sonnensystem zugehört, und noch weiter draußen im unendlichen Universum Leben auf anderen Planeten geben, wäre es spannend zu wissen, ob auch dieses Leben zeitlich begrenzt ist. Ist der Tod ein irdischer Sonderfall oder die kosmische Regel?

Einstweilen bleibt der Tod jedoch das Ende des Lebens für alle auf Erden. Niemand muss sich vordrängen. Jede und jeder ist mal dran. Alle werden gleichbehandelt. Ungleich fallen nur Zeit, Ort und Art des Todes aus. Meist kommt er zu früh und hinterlässt viel Leid. Freude ist selten. Manchmal mag er partout nicht eintreten, obwohl er hereingebeten wird. Er kann der Abschluss eines langen Prozesses sein, aber ein Leben auch abrupt abbrechen. Fast immer ist das Ende ein Drama, sowohl für den, der aus dem Leben scheidet, als auch für die, die zurückbleiben und noch lange mit diesem Tod zu leben haben. Kann das Drama abgemildert werden durch die Annahme, dass der Tod nicht wirklich das Ende des Lebens ist?

Das wäre eine weitere Variante, den Tod zu überleben. Davon werden Menschen umgetrieben, seit sie denken können: Wohin »geht« der Mensch, der geht? In ein anderes Leben? In eine andere Welt? Für meine Frau war Sterben ein Teil des Lebens, auf das fraglos ein anderes Leben folgt, in ihren Worten: »Abschied vom Erdenleben, Übergang in einen anderen Lebensabschnitt.« Sie antwortete damit auf Fragen, die ihr im Rahmen einer Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizbegleiterin gestellt worden waren: »Tod existiert nur in den Augen des Betrachters und in Bezug auf das hiesige Leben.« Besonders wichtig und lebenswert sei ihr, »mit meinen Menschen« in Verbindung zu sein und diese Verbindung auch beim Verlassen der endlichen Dimension nicht zu verlieren.

Ihr Sterben hat meine Haltung zum Tod verändert. Lange hatte ich große Angst davor, dass mein Tod mich von ihr trennen würde. Von all dem Schönen, das das Leben zu bieten hat, war sie das Allerschönste für mich. Das sollte niemals enden. Es endete aber, und sie ging mir voraus. Ich weiß nun, wie es abläuft. Das Unfassbare habe ich aus nächster Nähe miterlebt. Näher kann der Tod nur noch kommen, wenn es mein eigener ist. Dann aber ist er die Brücke zu ihr. Habe ich selbst die Schwelle zu überschreiten, wartet in der anderen Dimension schon jemand, der mich freudig in Empfang nimmt. Sie wird da sein, auch wenn ich nicht genau weiß, wo das sein wird. »Sterben ist Übergang«, notierte sie vor ihrem Tod. Und wie wird das Leben in der anderen Dimension sein? »Es ist, was es ist, und ich weiß nicht, was es ist.«

1.

Wo ist meine Frau?

Gibt es menschliche Konstanten? Also Dinge im menschlichen Leben, die immer gleich bleiben? Vermutlich dies: Dass sich die meisten Menschen viel Glück im Leben und in der Liebe wünschen. Unglücklicherweise hält das Leben aber auch andere Konstanten bereit, etwa eine zeitliche Grenze. Insbesondere für Liebende ist das unendlich schmerzlich. Da ist kein Trost in der grenzenlosen Leere, die der Verlust des geliebten Menschen hinterlässt. Das Leben steht still. Alles ist nur noch Vergangenheit. Eine Zukunft ist uninteressant. So erging es auch mir, als meine Frau nach langer Krebserkrankung starb, immerhin zuhause, umgeben von den Kindern und mir, nach fast 40 gemeinsamen Jahren, erst 59 Jahre alt.

Was geschieht im Moment des Todes? Das ist absolut rätselhaft. Der Tod ist ein magischer Moment, unwirklich mächtig, zutiefst erschütternd. Er wirft Fragen auf, die keine Antwort finden. Was empfindet der Mensch, der stirbt? Was genau nimmt er oder sie noch wahr? Was ist seine oder ihre Erfahrung? Was daran ist neu? Das Gehör ist bis zuletzt aktiv. Bekam meine Frau noch mit, wie sehr wir weinten, als ihre Augen erloschen? »Augen, von denen niemand weiß, was sie noch sehen, werden zugedrückt, man hält dem Blick nicht stand, entsetzt sich, die Ewigkeit schaut einen an« (Ulla Berkéwicz, Überlebnis, 2008, 107).

Aus der Binnensicht des Menschen, der den Tod erfährt, fühlt sich dieser äußerste Moment womöglich ganz anders an als für die Zurückbleibenden. Er könnte der Erfahrung ähneln, nach der Liebende sich sehnen und die sie in manchen Momenten auch erlangen: Eine energetische Verschmelzung, ein göttliches Erlebnis, von alters her Unio mystica genannt. Der »kleine Tod« (la petite mort) der Liebesekstase könnte eine Vorahnung des großen Aktes sein, der der Tod selbst ist, der gewaltigste Moment des Lebens mit einem Hinausströmen des Ich aus sich, einer rauschhaften Auflösung des Lebens in dieser Gestalt. Diese ultimative Ekstase hat nicht mehr nur ein »Hinausstehen« (ekstasis im Griechischen), sondern ein komplettes Hinausgehen aus sich und diesem Leben zur Folge.

Und was kommt danach? Wohin entschwindet der Mensch, wenn der Tod endgültig da ist? Welche Beziehung zu ihm ist dann noch möglich? Kann er wirklich tot sein? Wie ist der Zustand jenseits des biologischen Lebens vorstellbar? Ist es ein anderes Leben? Diese Fragen beschäftigen mich ohne Unterlass. Die einzige Antwort ist: Der Tod und das, was darauf folgt, sind vollkommen unfassbar. Eines Tages werde ich selbst, wie jeder Mensch, in das Rätsel hineingehen. Aber niemand wird je zurückkehren und darüber berichten. Eher sind Reisen zu fernen Sternen möglich, als dass dieses Geheimnis gelüftet werden könnte.

Mit meiner Frau habe ich oft überlegt, was den Toten vom Lebenden unterscheidet. Wir fanden vor allem dies: Die Energien sind nicht mehr im Körper. Nicht etwa geheimnisvolle, sondern gut bekannte Energieformen wie Wärme, verifizierbar durch bloße Berührung, und Elektrizität, messbar durch ein EKG, das die Herzstromkurven wiedergibt, sowie ein EEG, das die Spannungsschwankungen der Hirnströme aufzeichnet. Bis nichts mehr messbar ist. Energie wäre somit das Wesentliche eines Menschen (und aller Wesen). Sie belebt den Körper. Entweicht sie aus ihm, ist das sein Tod. Nicht jedoch der Tod der Energie.

Energie kann ohne Ende in andere Energieformen umgewandelt, niemals vernichtet werden. Das besagt der Energieerhaltungssatz (1.Hauptsatz der Thermodynamik), den Hermann von Helmholtz 1847 nach Vorarbeit des Heilbronner Forschers Julius Robert Mayer für die Physik formulierte. Als Physiologe bezog Helmholtz diesen Satz auch auf Lebewesen, aus nachvollziehbaren Gründen: Biologie beruht auf Chemie, diese wiederum auf Physik. Was Energien für die Lebenspraxis und das persönliche Befinden bedeuten, weiß jeder Mensch, der im Februar die Frühlingssonne herbeisehnt.