Department 19 - Die Mission - Will Hill - E-Book
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Department 19 - Die Mission E-Book

Will Hill

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Beschreibung

Jamies Leben wird nie wieder dasselbe sein. Sein Vater tot, seine Mutter vermisst und er selbst von einem Hünen namens Frankenstein entführt - an einen Ort wie aus einem Science-Fiction-Film. Hier residiert die geheimste Organisation der britischen Regierung: das Department 19. Verantwortlich für die Bekämpfung des Übernatürlichen. Gegründet vor über einem Jahrhundert von niemand Geringerem als Abraham van Helsing, dem Erzfeind des Grafen Dracula ... Mit der Hilfe von Frankensteins Monster, einem schaurig-schönen Vampirmädchen mit ganz eigenen Absichten und den Mitgliedern der Organisation muss Jamie nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch seine Mutter vor einem grauenvollen, übermächtigen Vampir retten - während etwas viel Älteres sich regt, das selbst das Department 19 nicht bezwingen kann ...

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Seitenzahl: 665

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WILL HILL

DEPARTMENT

19

DIE MISSION

Thriller

Übersetzung aus dem Englischen von Axel Merz

Lübbe Digital

Vollständige E-Book-Ausgabe des in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen Titel der englischen Originalausgabe: »Department 19« Für die Originalausgabe: Copyright © 2011 by Will Hill Für das Gedicht von Robert Frost: Robert Frost: Promises to keep. Poems. Gedichte. Übersetzt von Lars Vollert. Copyright © 2011 by C. H. Beck Verlag, München, Reihe textura Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln Textredaktion: Katja Bendels, Bad Vilbel Umschlaggestaltung: Pauline Schimmelpenninck Büro für Gestaltung, Berlin Umschlagmotiv: © getty-images/Image Source, © getty-images/Eddie O’Bryan, © missbehavior.de Datenkonvertierung E-Book: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-8387-1988-7 Sie finden uns im Internet unter: www.luebbe.de Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Für meine Mutter

Ich war so einer, der die Nacht gekannt.

Ich ging bei Regen aus, bei Regen heim.

Ich ging am letzten Stadtlicht noch vorbei.

Robert Frost

»Wir brauchen keine Beweise, wir fordern niemand auf, uns zu glauben.«

Memorandum

VON: BÜRO DES VORSITZENDEN DES GEMEINSAMEN GEHEIMDIENSTAUSSCHUSSES

BETREFF: REVIDIERTE EINTEILUNG DER DEPARTMENTS DER BRITISCHEN REGIERUNG

SICHERHEITSSTUFE: STRENG GEHEIM

Department 1

Büro des Premierministers

Department 2

Kabinett

Department 3

Innenministerium

Department 4

Außenministerium und Commonwealth Office

Department 5

Verteidigungsministerium

Department 6

Britische Armee

Department 7

Königliche Marine

Department 8

Diplomatischer Dienst Ihrer Majestät

Department 9

Schatzamt Ihrer Majestät

Department 10

Verkehrsministerium

Department 11

Generalstaatsanwalt

Department 12

Justizministerium

Department 13

Militärische Aufklärung Sektion 5 (MI5)

Department 14

Geheimdienst (SIS)

Department 15

Königliche Luftwaffe

Department 16

Nordirland-Büro

Department 17

Schottland-Büro

Department 18

Wales-Büro

Department19

Höchste Geheimhaltungsstufe

Department 20

Territoriale Polizeikräfte

Department 21

Gesundheitsministerium

Department 22

Fernmeldeaufklärung und Nachrichtendienst

Department 23

Geheimdienstaufsicht und -koordination

Prolog

Brenchley, Kent 3. November 2007

Jamie Carpenter saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher, als er hörte, wie der Wagen seines Vaters auf dem Kies der Einfahrt knirschte – viel, viel früher als sonst. Jamie sah zur Wanduhr über dem Fernseher und runzelte die Stirn. Erst Viertel nach fünf. Julian Carpenter war, soweit Jamie sich erinnern konnte, noch nie früher als um sieben Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen – und selbst das nur zu besonderen Gelegenheiten wie dem Geburtstag seiner Mum oder wenn Arsenal in der Champions League spielte.

Jamie, ein groß gewachsener, linkischer Vierzehnjähriger mit hagerer Statur und unbändigem braunen Haar, stemmte sich vom Sofa hoch und trat ans Fenster.

Der silberne Mercedes parkte an der gleichen Stelle wie immer, vor der vom Haus abgesetzten Garage. Sein Dad stand im Schein der Rücklichter am Kofferraum und hob etwas heraus.

Vielleicht ist er krank?, überlegte Jamie. Doch bei genauerer Betrachtung sah er überhaupt nicht krank aus – seine Augen schimmerten hell im roten Licht der Rückleuchten, und er bewegte sich schnell, als er irgendwelche Sachen aus dem Kofferraum in seine Taschen stopfte. Und noch etwas bemerkte Jamie: Sein Dad blickte immer wieder über die Schulter zur Straße, als würde er …

Da sah Jamie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bei der Eiche am Ende des Gartens. Er schaute genauer hin. Plötzlich überzog Gänsehaut seine Arme und seinen Rücken, und ihm wurde bewusst, dass er Angst hatte.

Hier stimmt was nicht, dachte er. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht.

Der Baum mit seinem knorrigen, nach links geneigten Stamm und den mächtigen Wurzeln, die den Rasen durchzogen und gegen die Gartenmauer drückten, sodass diese sich nach außen wölbte, sah genauso aus wie immer. Was auch immer Jamie gesehen hatte – sein Vater hatte es ebenfalls bemerkt. Er stand reglos hinter dem Wagen und starrte hinauf in die Zweige des Baums. Jamie fixierte angestrengt den Baum und die langen schwarzen Schatten, die das Mondlicht ins Gras warf. Falls sich dort wirklich irgendetwas bewegt hatte – jetzt rührte es sich nicht mehr. Doch während er zur Eiche starrte, wurde Jamie klar, dass irgendetwas anders war als sonst.

Dort waren mehr Schatten, als da sein sollten.

Wegen des bevorstehenden Winters hatte der Baum seine Blätter schon abgeworfen, und sein Schatten hätte die dünnen Umrisse leerer Zweige abbilden müssen. Doch die dunklen Muster auf dem Rasen waren fett und ausladend, als wären die Zweige voll von …

Was? Voll von was?

Jamie sah wieder zu seinem Dad. Plötzlich wollte er ihn im Haus haben, sofort, auf der Stelle. Sein Vater starrte noch immer in den Baum hinauf. Er hielt etwas in der Hand, das Jamie nicht erkennen konnte.

Wieder eine Bewegung. Beim Baum.

Die Angst schnürte Jamie die Kehle zu.

Komm ins Haus, Dad! Komm sofort rein! Da draußen ist etwas Böses …

Die Schatten auf dem Rasen begannen, sich zu bewegen.

Vor lauter Angst konnte Jamie noch nicht einmal schreien, als sich die dunklen Muster plötzlich entfalteten. Er starrte in den Baum und sah, wie die Zweige sich bewegten, hörte das leise Rascheln der Rinde, als sich etwas im Geäst der Eiche rührte.

Nicht irgendetwas – viele Dinge; es klingt, als wären es sehr viele …

Er blickte verzweifelt zu seinem Vater, der immer noch reglos beim Wagen stand, angeleuchtet von den roten Rücklichtern, und in den Baum starrte.

Warum stehst du noch da? Komm ins Haus! Bitte Dad, komm ins Haus!

Jamie wandte sich wieder zum Baum – und sah direkt in das bleiche Gesicht eines Mädchens, das ihn aus dunkelroten Augen zähnefletschend von draußen anstarrte. Jamie schrie so laut auf, dass er glaubte, seine Stimmbänder müssten reißen.

Das Gesicht verschwand in der Dunkelheit, und dann sah Jamie, wie sein Vater über die Auffahrt zum Haus rannte. Die Haustür flog auf, und Julian Carpenter platzte genau in dem Moment ins Wohnzimmer, in dem seine Frau in der Küchentür auftauchte.

»Weg von den Fenstern, Jamie!«, rief sein Vater.

»Dad, was ist …«

»Tu, was ich dir sage. Wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen!«

»Was soll das heißen, Julian, keine Zeit?«, fragte Jamies Mum mit schriller Stimme. »Was ist hier los?«

Julian Carpenter ignorierte sie. Er zog ein Handy hervor, das Jamie noch nie gesehen hatte, und wählte eine Nummer. »Frank? Ja, ich weiß, ich weiß. Wann werdet ihr hier sein? Ganz sicher? Okay. Pass auf dich auf.«

Er beendete das Gespräch und nahm die Hand von Jamies Mum.

»Julian, du machst mir Angst«, sagte sie leise. »Bitte sag mir, was das zu bedeuten hat. Bitte.«

Er sah seiner Frau in das blasse, verängstigte Gesicht. »Das kann ich nicht«, antwortete er. »Es tut mir leid.«

Jamie beobachtete alles wie benommen. Er begriff nicht, was geschah, er begriff rein gar nichts. Was war das, was sich da draußen vor ihrem Haus in der Dunkelheit bewegte? Wer war dieser Frank? Sein Dad hatte keinen Freund, der Frank hieß, das wusste Jamie ganz sicher.

Hinter Jamie zerbarst das Wohnzimmerfenster, als ein schwerer Eichenast wie eine Rakete hindurchschoss und auf dem Couchtisch landete, der unter dem Aufprall zerbrach. Diesmal schrie nicht nur Jamie, sondern auch seine Mutter.

»Weg von den Fenstern!«, brüllte Julian erneut. »Los, kommt hierher, zu mir!«

Jamie rappelte sich vom Boden hoch, rannte durch das Zimmer zu seinem Vater und packte die Hand seiner Mutter. Sie drängten sich an die Wand gegenüber den Fenstern. Sein Dad legte den Arm um ihn und seine Mum, bevor er mit der anderen Hand eine schwarze Pistole aus der Manteltasche zog.

Jamies Mutter drückte die Hand ihres Sohnes so fest, dass Jamie glaubte, seine Knochen würden brechen. »Julian!«, kreischte sie. »Was machst du mit dieser Pistole?«

»Still, Marie«, antwortete Jamies Vater mit leiser Stimme.

In der Ferne hörte Jamie Sirenen.

Gottseidankgottseidankgottseidank. Jetzt sind wir gerettet.

Draußen im Garten hallte ein grotesk schrilles Lachen durch die Nachtluft.

»Beeilt euch«, flüsterte Julian. »Bitte beeilt euch!«

Jamie hatte keine Ahnung, mit wem sein Vater da redete, jedenfalls aber nicht mit ihm oder seiner Mum. Dann plötzlich war der Garten voller Licht und Lärm, als zwei schwarze Lieferwagen unter gellenden Sirenen und Blaulicht auf den Dächern mit quietschenden Reifen in die Auffahrt bogen. Jamie starrte hinaus zu der alten Eiche, die jetzt im hellen Schein der roten und blauen Lichter stand. Der Baum war leer.

»Sie sind weg!«, rief Jamie. »Dad, sie sind weg!«

Er sah seinen Vater an, und der Ausdruck in Julian Carpenters Gesicht verängstigte Jamie mehr als alles, was bisher geschehen war.

Julian trat von seiner Frau und seinem Sohn zurück und sah ihnen in die Augen. »Ich muss gehen«, sagte er mit brechender Stimme. »Vergesst niemals, dass ich euch mehr liebe als alles andere auf der Welt. Jamie, pass auf deine Mutter auf. Okay?«

Er drehte sich um und ging zur Tür.

Jamies Mutter lief zu ihm, griff nach seinem Arm und wirbelte ihn zu sich herum. »Wo willst du denn hin?«, schluchzte sie, und Tränen strömten über ihre Wangen. »Was soll das heißen, Jamie soll auf mich aufpassen? Was geht hier vor?«

»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Julian Carpenter leise. »Ich muss euch schützen.«

»Wovor?«, schrie seine Frau.

»Vor mir selbst«, antwortete er mit gesenktem Kopf. Dann sah er sie an, und mit einer Geschwindigkeit, die Jamie nicht für möglich gehalten hätte, entwand er sich ihrem Griff und stieß sie quer durch das Zimmer. Sie stolperte über eines der Tischbeine, und Jamie sprang vor, fing sie auf und ließ sie zu Boden gleiten. Mit einem Schrei, so schmerzerfüllt, dass es Jamie durch Mark und Bein ging, stieß sie seine Hände weg. Er blickte zu seinem Vater und sah gerade noch, wie er durch die Tür nach draußen ging.

Jamie stieß sich vom Boden hoch, wobei er seine Hände am Glas des zerbrochenen Tisches schnitt, und rannte zum Fenster. In der Auffahrt standen acht Männer in schwarzen Einsatzmonturen und mit Maschinenpistolen, die sie auf seinen Vater richteten.

»Die Hände über den Kopf!«, befahl einer der Männer. »Sofort!«

Jamies Vater trat noch ein paar Schritte vor und blieb dann stehen. Für einen langen Moment starrte er hinauf in den Baum, bevor er einen raschen Blick über die Schulter zum Fenster warf und seinem Sohn zulächelte. Dann ging er weiter, zog die Pistole aus der Tasche und zielte damit auf den ihm am nächsten stehenden Mann.

Die Welt explodierte in ohrenbetäubendem Lärm, und Jamie schlug die Hände über die Ohren und schrie und schrie und schrie, als die Maschinenpistolen Feuer und Eisen spien und seinen Vater töteten.

Zwei Jahre später

1

Teenager-Ödnis

Jamie Carpenter schmeckte Blut und Dreck und fluchte in den feuchten Matsch des Spielfelds.

»Geh runter von mir!«, gurgelte er.

Ein schrilles Lachen ertönte hinter seinem Kopf, und sein linker Arm wurde auf seinem Rücken weiter nach oben verdreht, was eine erneute Woge von Schmerz durch seine Schulter jagte.

»Brich ihm den Arm, Danny«, rief jemand. »Reiß ihn aus!«

»Lust dazu hätte ich«, antwortete Danny Mitchell zwischen Runden wilden Gelächters. Dann wurde seine Stimme leise, und er flüsterte Jamie ins Ohr: »Ich könnte es, weißt du? Ganz leicht.«

»Geh runter von mir, du fettes …«

Eine riesige Hand mit Fingern wie Würste packte ihn an den Haaren und drückte sein Gesicht wieder in den Matsch. Jamie kniff die Augen zu und ruderte mit der rechten Hand blindlings umher in dem Versuch, sich aus dem nassen Dreck zu befreien.

»Haltet seinen Arm fest!«, rief Danny. »Haltet ihn fest!« Eine Sekunde später wurde Jamies rechtes Handgelenk gepackt und ebenfalls auf den Boden gedrückt.

Sein Kopf begann zu schmerzen, als sein Körper um Sauerstoff bettelte. Er konnte nicht atmen. Seine Nasenlöcher waren voll mit klebrigem, faulig stinkendem Matsch. Außerdem konnte er sich nicht bewegen mit dem fünfundneunzig Kilo schweren Danny Mitchell, der rittlings auf ihm hockte.

»Das reicht jetzt!«

Jamie erkannte die Stimme von Mr. Jacobs, dem Englischlehrer.

Mein Held und Befreier. Ein fünfzig Jahre alter Pauker mit Mundgeruch und Schweißflecken unter den Armen. Großartig.

»Mitchell! Runter von ihm! Ich will das nicht zweimal sagen!«, rief der Lehrer, und plötzlich waren der Druck auf Jamies Arm und das Gewicht auf seinem Rücken verschwunden. Er hob den Kopf aus dem Matsch und atmete tief durch. Seine Brust bebte.

»Das war nur ein Spiel, Sir«, hörte er Danny Mitchell sagen.

Tolles Spiel. Echt lustig.

Jamie rollte sich auf den Rücken und sah in die Gesichter der Menge, die sich eingefunden hatte, um seine Demütigung zu beobachten. Sie starrten in einer Mischung aus Abscheu und Erregung auf ihn herab.

Dabei mögen sie Danny Mitchell nicht mal. Aber mich hassen sie eben noch mehr als ihn.

Mr. Jacobs ging neben ihm in die Hocke.

»Alles in Ordnung, Carpenter?«

»Alles bestens, Sir.«

»Mitchell sagt, es wär nur ein Spiel gewesen. Stimmt das?«

Über Jacobs’ Schulter hinweg sah Jamie Dannys warnenden Blick.

»Das ist richtig, Sir«, sagte er. »Schätze, ich hab verloren.«

Mr. Jacobs musterte Jamies schlammbesudelte Kleidung. »Sieht ganz danach aus.« Der Lehrer hielt ihm die Hand hin, und Jamie ergriff sie und zog sich daran aus dem Matsch. Es gab ein lautes schmatzendes Geräusch. Ein paar Schüler in der Menge kicherten, und Mr. Jacobs wirbelte mit vor Zorn hochrotem Gesicht herum.

»Geht mir aus den Augen, ihr Geier!«, rief er. »Macht, dass ihr in euren Unterricht kommt, oder wir sehen uns alle beim Nachsitzen wieder!«

Die Menge zerstreute sich, und Jamie stand mit Mr. Jacobs allein auf dem Feld.

»Jamie«, begann der Lehrer. »Wenn du über irgendetwas reden möchtest, dann weißt du, wo mein Büro ist.«

»Worüber reden, Sir?«, fragte Jamie.

»Nun ja, du weißt schon … deinen Vater und … und das, was passiert ist.«

»Was ist denn passiert, Sir?«

Mr. Jacobs sah ihn lange schweigend an, dann senkte er den Blick. »Gehen wir«, sagte er. »So kannst du nicht zur nächsten Stunde gehen. Du kannst die Lehrertoilette benutzen, um dich zu waschen.«

Als die Glocke das Ende des Unterrichts verkündete, schlenderte Jamie langsam über den Hof in Richtung Tor. Seine Instinkte waren normalerweise scharf, insbesondere, wenn Gefahr im Verzug war, doch irgendwie war es Danny Mitchell gelungen, sich in der Pause unbemerkt von hinten an ihn heranzuschleichen. Das würde ihm nicht noch einmal passieren.

Er verlangsamte sein Tempo und mischte sich unter die anderen Schüler, die zu den Bussen und wartenden Autos gingen. Dabei schweiften seine Blicke unablässig hin und her auf der Suche nach einem möglichen Hinterhalt.

Dann entdeckte er Danny Mitchell ein Stück weit links von sich, und seine Brust zog sich zusammen. Mitchell lachte sein albernes Lachen, wedelte wild mit den Armen und ließ vor seiner bewundernden Schar von Speichelleckern die üblichen Prahlereien vom Stapel.

Jamie schlüpfte zwischen zwei Bussen hindurch und überquerte die Straße, während er auf die Rufe und das Geräusch rennender Füße wartete, die anzeigten, dass man ihn gesehen hatte. Doch sie kamen nicht. Dann war er außer Sicht und verschwand zwischen den hübschen Reihen identischer Häuser des Wohnviertels, in dem er mit seiner Mum lebte.

In den zwei Jahren seit dem Tod von Jamies Dad waren die Carpenters dreimal umgezogen. Unmittelbar nach jenem Abend waren Polizeibeamte zu ihnen gekommen und hatten ihnen erklärt, Jamies Vater wäre in eine Verschwörung verwickelt gewesen und hätte geheime Informationen von seiner Arbeit beim Verteidigungsministerium an eine britische Terrorzelle verkaufen wollen. Die Polizisten waren freundlich und mitfühlend gewesen und hatten ihnen versichert, dass es keinerlei Beweise für eine Verwicklung Jamies oder seiner Mutter in diese Angelegenheit gäbe, doch das spielte keine Rolle. Die Briefe hatten fast zur gleichen Zeit angefangen. Briefe von patriotischen Nachbarn, die nicht wollten, dass in ihrer ruhigen, respektablen Gegend die Familie eines Verräters wohnte.

Wenige Monate später hatte Marie Carpenter das Haus in Kent verkauft. Jamie war es egal gewesen. Seine Erinnerungen an jene grauenvolle Nacht waren verschwommen, doch der Baum im Garten machte ihm Angst, und er konnte nicht über den Kiesweg laufen, auf dem sein Vater gestorben war. Stattdessen ging er jedes Mal über den Rasen und hielt dabei so viel Abstand zu der Eiche wie nur irgend möglich. Vor dem Haus angekommen, sprang er jedes Mal mit einem großen Satz über den Kies auf die Türschwelle.

An das Gesicht vor dem Fenster und das hohe, furchterregende Lachen, das durch die eingeschlagene Fensterscheibe ins Wohnzimmer gedrungen war, erinnerte er sich überhaupt nicht mehr.

Kurze Zeit später war er mit seiner Mum bei seiner Tante und seinem Onkel eingezogen, die in einem Dorf in der Nähe von Coventry lebten. Eine neue Schule für Jamie, eine Anstellung als Sprechstundenhilfe bei einem Hausarzt für Jamies Mutter. Doch die Gerüchte und wilden Geschichten verfolgten sie, und nachdem Jamie einem Klassenkameraden, der über seinen Vater herzog, die Nase gebrochen hatte, war ein Ziegelstein durch das Küchenfenster des Reihenhauses seiner Tante geflogen.

Am nächsten Morgen waren sie erneut umgezogen.

Sie hatten ein Haus in einem Vorort von Leeds gefunden, das aussah, als hätte man es aus Legosteinen erbaut. Als Jamie zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten wegen wiederholten Schwänzens von der Schule flog, schimpfte seine Mutter nicht einmal mehr. Sie schrieb die Kündigung an den Vermieter und begann ihre Sachen zu packen.

So waren sie in dieser ruhigen Wohngegend am Stadtrand von Nottingham gelandet. Hier war es grau, kalt und trostlos. Jamie, der auf dem Land aufgewachsen war, ein Naturkind aus tiefster Seele, war plötzlich dazu gezwungen, über Supermarktparkplätze und durch Unterführungen zu streifen. Mit hochgeschlagener, tief ins Gesicht gezogener Kapuze und den Kopfhörern seines iPods in den Ohren, aus denen hämmernde Musik dröhnte, blieb er für sich und vermied die Gangs, die sich in den Schatten der Ecken dieser vorstädtischen Ödnis sammelten. Jamie wich Schatten aus, wo immer er konnte. Er wusste nicht, warum.

Jetzt lief er eilig durch das Viertel, durch stille Straßen voll nichtssagender Häuser und Gebrauchtwagen. Er passierte eine kleine Gruppe von Mädchen, die ihn mit unverhohlener Feindseligkeit musterten. Eine von ihnen sagte etwas, das er nicht genau verstand, und ihre Freundinnen lachten. Er ging weiter.

Er war sechzehn Jahre alt und fühlte sich hundeelend und schrecklich einsam.

Jamie schloss die Eingangstür der kleinen Doppelhaushälfte auf, in der er zusammen mit seiner Mutter ein so ruhiges und unauffälliges Leben führte, wie es ihnen nur möglich war. Er wollte direkt in sein Zimmer gehen und seine schmutzigen Sachen ausziehen, kam aber nur bis zur Hälfte der Treppe, als seine Mutter nach ihm rief.

»Was denn, Mum?«, rief er zurück.

»Kannst du bitte mal herkommen, Jamie?«

Jamie stieß einen unterdrückten Fluch aus und stapfte die Treppe wieder hinunter, durch den Flur und ins Wohnzimmer. Seine Mutter saß im Sessel vor dem Fenster und sah ihn mit einem Blick an, der so traurig war, dass sich sein Herz verkrampfte.

»Was ist denn, Mum?«, fragte er.

»Einer deiner Lehrer hat mich heute angerufen«, antwortete sie. »Mr. Jacobs.«

Herrgott noch mal, warum kümmert er sich nicht um seinen eigenen Kram? »Tatsächlich? Was wollte er?«

»Er hat gesagt, du wärst heute Nachmittag in eine Prügelei verwickelt gewesen.«

»Er irrt sich.«

Seine Mutter seufzte. »Ich mache mir Sorgen um dich, Jamie.«

»Das musst du nicht. Ich kann selbst auf mich aufpassen.«

»Das sagst du immer.«

»Dann solltest du vielleicht anfangen, auf mich zu hören.«

Ihre Augen verengten sich.

Das hat weh getan, nicht wahr? Gut. Jetzt kannst du mich anbrüllen, und ich kann nach oben gehen, und wir müssen heute Abend nicht mehr miteinander reden.

»Ich vermisse ihn auch, Jamie«, sagte seine Mutter leise, und er zuckte zusammen, als wäre er von einem Insekt gestochen worden. »Ich vermisse ihn jeden einzelnen Tag.«

Jamie hatte einen riesigen Kloß im Hals, um den herum er seine Antwort herausquetschte. »Schön für dich«, sagte er. »Ich vermisse ihn nicht. Nicht eine Sekunde.«

Seine Mutter sah ihn an, und in ihren Augenwinkeln sammelten sich Tränen. »Das meinst du nicht ernst.«

»Glaub mir, ich meine es so, wie ich es sage. Er war ein Verräter, ein Verbrecher, und er hat unser Leben ruiniert.«

»Unser Leben ist nicht ruiniert. Wir haben immer noch uns.«

Jamie lachte auf. »Sicher. Und wie wunderbar wir beide doch zurechtkommen.«

Die Tränen flossen über, und seine Mutter senkte den Kopf, während sie über ihre Wangen liefen und zu Boden tropften. Jamie sah sie hilflos an.

Geh zu ihr. Geh zu ihr und umarme sie und sag ihr, dass du es nicht so gemeint hast.

Er wollte es, wollte nichts lieber, als sich neben sie zu knien und den Abgrund zwischen ihnen zu überbrücken, der sich seit jener Nacht, in der sein Vater gestorben war, stetig vergrößert hatte. Doch er konnte nicht. Stattdessen stand er wie erstarrt da und sah zu, wie seine Mutter weinte.

2

Die Sünden des Vaters

Am nächsten Morgen ging Jamie unter die Dusche, zog sich an und schlüpfte aus dem Haus, ohne seine Mutter gesehen zu haben. Er lief auf seiner üblichen Route durch die Siedlung, doch an der Abzweigung zu seiner Schule ging er geradeaus weiter durch das kleine Einkaufszentrum mit dem McDonald’s und dem DVD-Verleih, überquerte die mit Graffiti übersäte Eisenbahnbrücke voller Glasscherben und platt getretener Kaugummis, lief am Bahnhof mit den Fahrradständern vorbei und schlug den Weg hinunter zum Kanal ein. Er würde an diesem Tag nicht zur Schule gehen. Keine Chance.

Warum zum Henker hat sie sich so aufgeregt? Weil ich Dad nicht vermisse? Er war ein Verlierer. Sieht sie das denn nicht?

Jamie ballte wütend die Fäuste und stieg die Stufen zum Leinpfad hinunter. Hier verlief der Kanal über eine Strecke von mehr als anderthalb Kilometern schnurgerade, sodass Jamie jede sich nähernde Gefahr aus sicherer Entfernung erkennen konnte. Doch obwohl er die Augen offen hielt, sah er nur ein paar Spaziergänger, die ihre Hunde ausführten, und hin und wieder einen der Obdachlosen, die unter den niedrigen, den Kanal überquerenden Brücken Schutz gesucht hatten. Nach einer Weile begannen seine Gedanken zu wandern.

Er hätte niemals – und am allerwenigsten gegenüber seiner Mum – zugegeben, wie groß das Loch war, das der Tod seines Vaters in seinem Leben zurückgelassen hatte. Jamie liebte seine Mutter, liebte sie so sehr, dass er sich dafür hasste, wie er sie behandelte, und dafür, dass er sie von sich stieß, wenn sie ihn ganz offensichtlich brauchte und er alles war, was sie hatte. Doch er konnte nicht anders. Die Wut, die in ihm brannte, schrie nach Entladung, und seine Mutter war das einzige Ziel, das sich anbot.

Die Person, die es verdient hatte, das Ziel zu sein, lebte nicht mehr.

Sein Vater, dieser feige Verlierer von einem Vater, war mit ihm nach London gefahren, um Arsenal spielen zu sehen. Er hatte ihm das Schweizer Armeemesser geschenkt, das Jamie nicht mehr bei sich trug, weil er es nicht ertragen konnte, es in seiner Tasche zu spüren, er hatte ihn auf den Feldern hinter ihrem alten Haus mit seinem Luftgewehr schießen lassen, mit ihm ein Baumhaus gebaut und samstagmorgens mit ihm zusammen Zeichentrickfilme im Fernsehen geschaut. Dinge, die Jamies Mutter niemals tun würde, die er niemals mit ihr tun wollte. Dinge, die er mehr vermisste, als er jemals zugegeben hätte.

Jamie war wütend auf seinen Vater, weil er ihn und seine Mum alleingelassen hatte, weil er sie gezwungen hatte, aus dem alten Haus auszuziehen, das Jamie so sehr geliebt hatte. Er war wütend, weil er seine Freunde zurücklassen und in diese schreckliche Gegend hatte ziehen müssen.

Wütend wegen der Schadenfreude, die er in den Gesichtern der Schulhofschläger jeder neuen Schule zu sehen bekam, sobald das Getuschel einsetzte und sie begriffen, dass man ihnen das perfekte Opfer präsentiert hatte: einen hageren Neuankömmling, dessen Vater versucht hatte, Terroristen dabei zu helfen, das eigene Land anzugreifen.

Wütend auf seine Mutter, weil sie sich beharrlich weigerte, die Wahrheit über seinen Vater zu sehen, wütend auf die Lehrer, die sich bemühten, Verständnis zu zeigen und ihn dazu zu bringen, über seinen Vater und seine Gefühle zu reden.

Wütend.

Jamie kehrte aus seinen Gedanken zurück und sah die Sonne hoch am Himmel stehen, wo sie sich bemühte, ihr bleiches Licht durch die graue Wolkendecke zu senden. Er zog sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Beinahe Mittag. Vor ihm führte ein ausgetretener Pfad die Böschung hinauf zu einem kleinen Park, der von hohen Birken umgeben war. Der Park war die meiste Zeit menschenleer; es war einer von Jamies Lieblingsorten.

Er setzte sich mitten auf die Wiese, abseits der Bäume und der kurzen Schatten, die sie in der frühen Mittagssonne warfen. Um heute Morgen nicht in die Küche gehen und mit seiner Mutter reden zu müssen, hatte er kein Schulbrot mitgenommen. Stattdessen hatte er eine Dose Cola und ein paar Süßigkeiten eingepackt. Die Cola war warm, die Schokolade halb geschmolzen, doch das war Jamie egal.

Er beendete seine Mahlzeit, schob sich den Rucksack unter den Kopf, legte sich ins Gras und schloss die Augen. Mit einem Mal fühlte er sich erschöpft, und er wollte nicht länger nachdenken.

Fünfzehn Minuten. Nur ein kurzes Nickerchen. Eine halbe Stunde, allerhöchstens.

»Jamie.«

Er riss die Augen auf und sah dunklen Abendhimmel über sich. Ruckartig setzte er sich auf, rieb sich die Augen und sah sich im finsteren Park um. Die abendliche Kühle ließ ihn zittern, und er bekam eine Gänsehaut, als ihm bewusst wurde, dass er genau an der Stelle saß, wo die gerade noch sichtbaren Schatten der Bäume einander berührten.

»Jamie.«

Er wirbelte herum. »Wer ist da?«, rief er.

Ein Kichern drang durch den Park.

»Jamie.« Die Stimme lispelte ein wenig. Eine Mädchenstimme. Es klang, als würde sie seinen Namen singen und der Gesang durch die Bäume widerhallen.

»Wo bist du? Das ist nicht lustig!«

Erneutes Kichern.

Jamie stand auf und drehte sich einmal um sich selbst. Er konnte niemanden entdecken, doch hinter der ersten Reihe von Bäumen war es stockdunkel, und die Bäume selbst waren groß und knorrig.

Ausreichend Möglichkeiten, um sich zu verstecken.

Irgendetwas meldete sich in seinem Unterbewusstsein, ein Bild von einem Mädchen vor einem Fenster, doch er bekam es nicht zu fassen.

Hinter ihm knackte ein Ast.

Er wirbelte herum. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Nichts.

»Jamie.«

Diesmal war die Stimme näher.

»Zeig dich!«, rief er.

»Also schön«, sagte jemand direkt neben ihm, und er schrie auf und wirbelte mit erhobenen Fäusten herum. Er spürte, wie er mit der Rechten etwas traf und wie Adrenalin in seine Adern rauschte. Dann erstarrte er.

Vor ihm am Boden lag ein Mädchen, ungefähr in seinem Alter, und hielt sich die Nase. Ein dünner Blutstrom rann über ihre Lippe, und Jamie sah, wie ihre Zunge hervorschnellte und die rote Flüssigkeit ableckte.

»O mein Gott«, sagte Jamie. »Es … es tut mir leid. Ist alles in Ordnung?«

»Du Blödmann«, schniefte das Mädchen hinter der Hand. »Warum hast du das getan?«

»Es tut mir leid«, wiederholte Jamie. »Warum musstest du dich auch anschleichen?«

»Ich wollte dich erschrecken, das ist alles«, antwortete sie schmollend.

»Warum?«

»Zum Spaß. Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht.«

Etwas anderes ging ihm durch den Kopf, doch auch das bekam er nicht richtig zu fassen. »Tja, das ist dir jedenfalls gelungen. Du hast mich erschreckt, herzlichen Glückwunsch.«

»Danke«, schnaubte das Mädchen. Sie streckte die Hand aus. »Hilfst du mir auf?«

»Oh, entschuldige. Natürlich«, erwiderte Jamie, ergriff ihre Hand und zog sie auf die Beine. Sie klopfte sich ab, wischte sich mit dem Handrücken die Nase und stand dann vor ihm.

Jamie betrachtete sie. Sie war sehr, sehr hübsch, mit langen dunklen Haaren, blasser Haut und dunkelbraunen Augen. Sie bemerkte seinen Blick und grinste. Jamie errötete.

»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte sie.

»Entschuldige. Ich wollte dich nicht anstarren. Es ist nur, ich, äh …«

»Hast du aber. Kein Problem. Ich bin Larissa.«

»Ich bin …«

Plötzlich fielen die Puzzlesteine in Jamies Kopf an ihren Platz, und die Angst drohte ihn zu überwältigen. »Du … du hast eben meinen Namen gerufen«, stammelte er und wich einen Schritt zurück. »Woher kennst du meinen Namen?«

»Das spielt keine Rolle mehr, Jamie«, antwortete sie, und dann nahmen ihre wunderschönen braunen Augen einen dunklen, gruselig roten Farbton an. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«

Sie bewegte sich wie ein Blitz. Ehe er sich versah, war sie bei ihm und nahm in einem grausamen, unerbittlich harten Griff sein Gesicht in beide Hände. »Nichts spielt mehr irgendeine Rolle, Jamie«, flüsterte sie, und er sah in ihre roten Augen und war verloren.

3

Angriff auf die Vorstadt

»Ich kann das nicht.«

Die Stimme klang, als käme sie aus hundert Kilometern Entfernung. Jamie bemühte sich, die Augen zu öffnen. Er lag im Gras, und dieses Mädchen namens Larissa saß neben ihm. Er versuchte davonzukriechen, konnte sich aber nicht bewegen. Seine Gliedmaßen schmerzten, und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er voller Watte.

»Verdammt, ich kann das einfach nicht!«, sagte sie, anscheinend zu sich selbst. »Was ist nur los mit mir?«

Er blinzelte mühsam und starrte sie an. Ihre Augen waren wieder braun, und sie sah mit beinahe sanftem Blick zu ihm herab. »Wer … wer bist du?«, stieß er hervor. »Was hast du mit mir gemacht?«

Sie senkte den Kopf. »Du warst für mich bestimmt«, sagte sie. »Er hat es gesagt. Aber ich kann das nicht.«

»Was soll das heißen, für dich bestimmt?«

»Du warst für mich bestimmt. Du solltest mein sein, in jeder denkbaren Weise.«

Unter größter Anstrengung gelang es Jamie, sich aufzusetzen. »Ich verstehe nicht …«, sagte er.

»Es spielt keine Rolle.« Sie sah hinauf zum Himmel. »Du solltest jetzt besser gehen.« Traurig blickte sie ihn an. »Sie sind wahrscheinlich schon dort.«

Eine Flutwelle aus Adrenalin schoss durch seine Adern. »Dort? Wo? Wer?«

»Meine Freunde. Du weißt wo.«

Jamie sprang auf und starrte auf Larissa hinunter.

»Ich hab dich schon mal gesehen, stimmt’s?«, fragte er mit bebender Stimme. Vor seinem geistigen Auge sah er das Gesicht im Fenster.

Sie nickte schweigend.

Er wandte sich um und rannte los, als ginge es um sein Leben.

Bitte nicht! Bitte mach, dass sie Mum nichts tun!

Als er seine Straße erreichte, hämmerte sein Herz so wild in der Brust, dass er meinte, es müsste explodieren. Ein grauer Schleier lag über seinen Augen, die Muskeln in seinen Beinen schrien, doch er achtete nicht auf die Schmerzen und sprintete die letzten fünfzig Meter zu ihrem Haus, schleppte sich um den Torpfosten herum und in Richtung Haustür.

Sie stand weit offen.

Er rannte in den Flur. »Mum!«, brüllte er. »Mum, bist du da? Mum!«

Keine Antwort.

Er lief ins Wohnzimmer. Leer. Durch das Zimmer in die Küche. Leer.

Keine Spur von seiner Mutter.

Er sprintete die Treppe hinauf und stieß die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf. Das Fenster über dem Bett stand weit offen, und die Vorhänge flatterten in der nächtlichen Brise. Jamie rannte durch das Zimmer und streckte den Kopf aus dem Fenster.

»Mum!«, rief er in die tintenschwarze Nacht hinaus. Seine rechte Hand rutschte auf etwas Glitschigem aus, das den Fenstersims bedeckte. Hastig zog er sie weg. Rote Flüssigkeit tropfte an seinem Handgelenk hinab.

Er starrte auf den Sims und sah zwei kleine Blutlachen. Weiteres Blut war über das Glas des offenen Fensters verschmiert.

Voller Entsetzen blickte Jamie auf seine Hand, und dann löste sich etwas in seinem Kopf, als ihm bewusst wurde, dass seine Mutter tatsächlich fort war. Er legte den Kopf in den Nacken und heulte in die Nacht hinaus.

Viele Meilen entfernt, hoch oben in den dunklen Wolken, vernahm etwas seinen Schrei und drehte um.

Jamie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war.

Er konnte nicht im Schlafzimmer seiner Mutter bleiben, konnte das Blut nicht länger ansehen, das sich so grauenvoll rot von der weißen Farbe der Fensterbank und vom Glas der Scheibe abhob. Irgendwie kehrte er zurück ins Wohnzimmer. Er saß auf dem Sofa und starrte mit leerem Blick an die Wand, als jemand durch die Haustür trat und sie leise hinter sich schloss.

Jamie war über den Punkt hinaus, an dem er noch Angst empfunden hätte. Er war wie betäubt. Teilnahmslos verfolgte er, wie der große, hagere Mann in dem grauen Anzug ins Wohnzimmer kam und ihn angrinste. Seine Zähne waren scharf wie Rasiermesser, und seine Augen leuchteten rot im Dämmerlicht.

»Jamie Carpenter«, sagte der Fremde. Der Klang seiner Stimme war weich wie Honig. »Was für eine Freude, dich endlich persönlich kennenzulernen.«

Der Mann bleckte die Zähne und machte einen Schritt auf Jamie zu – da explodierte die Haustür in einer Wolke aus Sägemehl, und eine riesige Gestalt mit einem gewaltigen Rohr in den Fäusten stand im Eingang zum Wohnzimmer.

»Weg von ihm, Alexandru!«, bellte der Neuankömmling in einem Befehlston, der das ganze Haus erzittern ließ.

Der Hagere in dem grauen Anzug fauchte und machte einen Buckel. »Das geht dich überhaupt nichts an, Monster!«, zischte er. »Hier ist noch eine alte Rechnung offen!«

»Sie wird offen bleiben«, erwiderte der Riese und zog an dem Griff, der unter dem Rohr hing. Es gab einen mächtigen Knall wie von einem riesigen platzenden Luftballon, und etwas Spitzes schoss aus dem Rohr durch den Raum und zog eine dünne Metallschnur hinter sich her.

Alexandru machte einen gewaltigen Satz in die Luft, und das Projektil krachte hinter der Stelle, wo er noch einen Sekundenbruchteil zuvor gestanden hatte, in die Wand, nur um sogleich wieder genauso blitzartig in das Rohr zurückzuschnellen.

Die Kreatur in dem grauen Anzug verharrte in der Luft. Ihre roten Augen blitzten vor mühsam gezügelter Wut. Sie knurrte die Gestalt im Durchgang an, bevor sie mit irrsinniger Geschwindigkeit durch das große Fenster an der Frontseite des Hauses schoss und in den Nachthimmel hinaussprang.

Jamie hatte sich nicht gerührt.

Der Riese rannte zum Fenster und verrenkte den mächtigen Hals in die Richtung, in der das Ding namens Alexandru verschwunden war.

»Er ist weg«, sagte er. »Für den Moment.«

Dann drehte er sich zu Jamie um, und als der seinen Retter zum ersten Mal deutlich sehen konnte, stieß er einen entsetzten Schrei aus.

Der Riese war mindestens zwei Meter zwanzig groß und beinahe genauso breit. Seine Haut war grün-grau meliert. Über der unglaublich hohen, massigen Stirn saß ein dichter Schopf schwarzer Haare. Er trug einen dunklen Anzug und einen langen grauen Mantel. Ein Schlauch lief vom Ende des Rohrs in seiner Hand an seinem Ärmel entlang nach oben und verschwand irgendwo über seiner Schulter.

Der Riese machte einen Schritt auf Jamie zu, und als Angst und Entsetzen bereits anfingen, dessen Bewusstsein abzuschalten, erblickte er noch zwei Metallbolzen, die jeweils rechts und links aus dem Hals des Riesen herausragten. Sein Retter streckte ihm die Hand hin.

»Jamie Carpenter«, sagte er. »Mein Name ist Frankenstein. Ich bin hier, um dir zu helfen.«

Jamies Augen rollten zurück in den Kopf, und süße, leere Dunkelheit umfing ihn.

4

Retter in der Not

Staveley, North Derbyshire Sechsundfünfzig Minuten zuvor

Matt Browning saß an seinem Computer, als es passierte.

Er arbeitete an einem Essay, einem Vergleich der Reden von Brutus und Marcus Antonius in Shakespeares Julius Cäsar, und tippte eifrig in seinen alten Laptop, als etwas vom Himmel rauschte und in den kleinen Garten hinter dem Reihenhaus krachte, in dem Matt mit seinen Eltern und seiner Schwester wohnte. Fontänen aus Dreck und Gras wirbelten in die Luft.

Matt hörte, wie seine Mutter unten einen erschrockenen Schrei ausstieß und sein Vater sie anfuhr, still zu sein. Im Zimmer nebenan fing Matts kleine Schwester Laura an laut zu weinen, ein hohes, klagendes Heulen, verwirrt und empört zugleich.

Matt speicherte seine Arbeit und stand auf. Er war klein und zierlich für seine sechzehn Jahre, mit braunen Haaren, die ihm wirr in die Stirn hingen und gegen den oberen Rand seiner Brille stießen. Sein Gesicht war blass und beinahe feminin, die Züge weich und wenig markant. Er trug sein dunkelrotes Lieblings-T-Shirt mit dem Harvard-Logo und dazu eine dunkelbraune Cordhose. Matt schob die Füße in ein paar dunkelblaue Vans, bevor er hastig über den Flur zum Zimmer seiner kleinen Schwester lief.

Laura lag in ihrem Bettchen, das Gesicht vor Empörung gerötet, die Augen fest zugekniffen, der Mund ein perfekter Kreis. Matt bückte sich und hob sie hoch, wiegte sie an der Brust und redete mit sanften, leisen Worten beruhigend auf sie ein. Einen wundervollen Augenblick lang herrschte Stille, während sie tief Luft holte, dann setzten die Schreie genauso vehement wieder ein. Matt durchquerte das Zimmer, öffnete die Tür und stieg die Treppe hinunter.

In der Küche im hinteren Teil des Hauses war seine Mutter völlig außer sich. Sie lief in ihrem hellen Schlafrock und den blauen Pantoffeln zwischen den beiden Fenstern über dem Spülbecken hin und her, spähte immer wieder hinaus in den dunklen Garten und bat ihren Mann zum wiederholten Mal, endlich die Polizei zu rufen.

Greg Browning stand unsicher schwankend mitten im Raum, eine Hand an die Stirn gepresst, in der anderen eine Dose Bier. Als Matt die Küche betrat, drehte er sich um. »Sorg dafür, dass deine Schwester endlich still ist, hörst du?«, brummte Matts Vater. »Ich krieg Kopfschmerzen von diesem Geschrei!« Dann wandte er sich wieder zu seiner Frau um. »Könntest du mal aufhören mit deinem Gekeife und das verdammte Baby nehmen?«, sagte er mit zunehmend lauter werdender Stimme.

Hastig nahm Matts Mutter ihrem Sohn das kleine Mädchen aus den Armen und setzte sich mit ihr an den Tisch.

»Hol deiner Mutter das Telefon!«

Matt zog das Telefon aus der Wandhalterung neben der Tür und reichte es seiner Mutter, die es mit verwirrter Miene entgegennahm.

»Jetzt kannst du die Polizei anrufen. Matt und ich gehen in den Garten und sehen uns mal um.«

»Nein, Greg! Du solltest nicht …«

»Was sollte ich nicht?«

Matts Mutter schluckte. »Ich meine, bitte geh nicht da raus, ja? Bitte, Greg.«

»Halt einfach den verdammten Mund, okay, Lynne? Los, Matt, gehen wir.«

Greg Browning öffnete die Tür in den Garten und hielt inne, um zu lauschen. Matt durchquerte die Küche und blieb hinter ihm stehen, um über die Schulter seines Vaters nach draußen in den dunkler werdenden Himmel zu spähen.

Im Garten war alles ruhig. Nichts rührte sich in der kühlen Abendluft.

Matts Vater nahm eine Taschenlampe aus dem Regal neben der Tür, schaltete sie ein und trat hinaus auf die kleine Terrasse vor den Küchenfenstern. Matt folgte ihm, während seine Blicke unablässig den Garten nach dem Ding absuchten, das vor seinem Fenster vom Himmel gefallen war. Drinnen versuchte seine Mutter am Telefon, der Polizei zu erklären, was geschehen war.

Matts Vater leuchtete mit der Taschenlampe in weitem Bogen über die den Rasen säumenden Blumenbeete. Der Strahl streifte etwas Helles.

»Da drüben!«, flüsterte Matt. »Im Blumenbeet!«

»Bleib hier.«

Matt wartete auf der Terrasse, während sein Vater sich der Stelle vorsichtig näherte. Unvermittelt blieb er stehen und holte erschrocken Luft.

»Was ist denn?«, fragte Matt.

Keine Antwort. Greg Browning stand wie angewurzelt da und starrte hinunter ins Blumenbeet.

»Dad? Was ist?«

Schließlich drehte Greg sich um und schaute seinen Sohn mit weit aufgerissenen Augen an. »Es ist ein Mädchen«, sagte er schließlich. »So alt wie du.«

»Was?«

»Komm selbst und sieh es dir an.«

Matt überquerte den Rasen und sah hinunter in das unkrautübersäte Beet.

Das Mädchen lag auf dem Rücken, von der Wucht des Aufpralls war sie halb im Boden versunken. Ihr blasses Gesicht war blutverschmiert, Augen und Mund grotesk angeschwollen. Die schwarzen, von Schmutz und Blut verklebten Haare lagen um ihren Kopf wie ein dunkler Heiligenschein. Ihr linker Arm war offensichtlich gebrochen, denn der Unterarm stand in einem unnatürlichen Winkel vom Ellbogen ab. Das hellgraue Hemd war durchnässt von Blut, und Matt bemerkte voller Entsetzen, dass sie ein klaffendes Loch im Bauch hatte. Er sah nass glitzerndes Rot und Violett und wandte den Blick ab.

»Sieht aus, als hätte jemand versucht sie aufzuschlitzen«, sagte Matts Vater leise.

»Was ist, Greg?«, rief Matts Mutter von der Küchentür her. »Habt ihr was gefunden?«

»Halt den Mund, Lynne«, antwortete Greg Browning automatisch, doch seine Stimme war leise und klang ausnahmsweise einmal nicht verärgert.

Er hat Angst!, dachte Matt und ging neben dem Mädchen in die Hocke. Trotz der Schwellungen in ihrem Gesicht konnte er sehen, dass sie sehr schön war, mit einer hellen, beinahe durchsichtig schimmernden Haut und dunklen, einladenden Lippen.

Hinter ihm murmelte sein Vater irgendetwas Unverständliches, während er zum Himmel hinaufsah, dann zum Boden und wieder nach oben und nach einer Erklärung suchte, wieso dieses Mädchen in seinen Garten hatte fallen können.

Matt legte eine Hand auf die kühle Haut ihres Halses und tastete nach dem Puls, obwohl er wusste, dass er keinen finden würde.

Wer hat dir das nur angetan?, fragte er stumm.

In diesem Moment öffnete sie das geschwollene rechte Auge und sah ihn direkt an. Matt schrie auf.

»Sie lebt!«, rief er.

»Blödsinn!«, entgegnete sein Vater. »Sie ist …«

Das Mädchen hustete, ein tiefes, röchelndes, nasses Geräusch, das neue Blutströme über ihr Kinn sandte. Sie drehte den Kopf zu Matt und sagte etwas, das er nicht verstand.

»Mein Gott!«, keuchte Matts Vater.

Matt richtete sich aus der Hocke wieder auf, stellte sich neben ihn und blickte hinunter auf das verletzte Mädchen, das den Kopf langsam von einer Seite zur anderen bewegte und vor Schmerzen das Gesicht verzog.

»Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Matt. »Wir können sie nicht einfach so da liegen lassen.«

Sein Vater sah ihn ärgerlich an. »Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?«, rief er wütend. »Die Polizei ist auf dem Weg. Sollen die sich darum kümmern. Am besten fassen wir sie gar nicht erst an.«

»Aber Dad …«

Greg Browning hob wutentbrannt die Faust und näherte sich drohend seinem Sohn, sodass Matt mit abwehrend erhobenen Händen zurückwich.

»Du hältst besser den Mund, wenn du weißt, was gut ist für dich!«, knurrte sein Vater und senkte die Faust.

Matt starrte ihn an. Seine Wangen waren rot vor Scham und Ohnmacht, doch in ihm brannte der Hass. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, irgendetwas, als plötzlich ohrenbetäubender Lärm die Nachtluft erfüllte und ein schwarzer Helikopter über den Bäumen ihres Vorstadtgartens erschien.

Matt hob schützend die Hände und bemühte sich stehen zu bleiben, während die Rotoren des Helikopters Dreck und Staub im Garten aufwirbelten. Er konnte seinen Vater etwas rufen sehen, doch der Lärm war so gewaltig, dass er kein Wort verstand. Er reckte den Hals, schirmte die Augen mit den Händen ab und beobachtete, wie der Helikopter hinter dem Dach ihres Hauses verschwand.

Dann drehte er sich um und rannte zum Haus, an seiner Mutter vorbei, die reglos in der Küchentür stand, durch die Küche und den schmalen Flur zur Vordertür.

Hinter sich hörte er seinen Vater rufen, doch er verlangsamte sein Tempo nicht. Er riss die Haustür auf, gerade als der Helikopter mit wirbelnden Rotoren auf dem grauen Asphalt der Straße landete.

Jetzt tauchte auch Greg Browning hinter ihm im Hausflur auf. Er packte seinen Sohn bei der Schulter und wirbelte ihn zu sich herum. »Was zur Hölle glaubst du eigentlich …«

Doch als sein Blick nach draußen auf die Straße fiel, verstummte er. Matt drehte sich um und sah die Luke an der Seite des Helikopters aufgleiten und vier Gestalten heraussteigen.

Die beiden ersten waren ganz in Schwarz gekleidet und sahen aus wie Bereitschaftspolizisten im Einsatz gegen eine Gruppe Randalierer. Ihre Uniformen waren mit Kunststoffplatten gepanzert, die Gesichter unter schwarzen Helmen mit roten Visieren verborgen.

Allerdings hielten sie im Gegensatz zu Bereitschaftspolizisten Maschinenpistolen in den Händen.

Hinter ihnen folgten ein Mann und eine Frau in weißen ABC-Schutzanzügen. Ihre Gesichter waren hinter den großen Glasscheiben der Helme deutlich zu erkennen. Sie trugen eine weiße Trage.

Im Laufschritt näherten sich die vier Matt und seinem Vater. Soldaten, sie sehen aus wie Soldaten, dachte Matt. Der Erste blieb vor ihnen stehen.

»Haben Sie den Notruf abgesetzt?«, fragte er. Seine Stimme klang, als wäre er nicht viel älter Matt.

Weder Matt noch sein Vater antworteten.

Der Soldat trat einen Schritt vor. »Wurde aus diesem Haus ein Notruf abgesetzt?«, wiederholte er seine Frage.

Matt nickte schüchtern.

Der Mann in Schwarz drehte sich um und winkte die drei anderen zu sich, dann schob er sich an Matt und Greg Browning vorbei und verschwand im Flur. Die restlichen Neuankömmlinge folgten ihm, und Matt blieb mit seinem Vater allein zurück. Fassungslos standen sie da und starrten zu dem wartenden Helikopter. Erst als Matts Mutter anfing zu schreien, drehten sie sich um und rannten zurück ins Haus.

Sie fanden sie in der Küche, Matts kleine Schwester in den Armen. Beide schrien unisono. Greg lief zu seiner Frau und nahm sie in den Arm, flüsterte ihr zu, dass alles in Ordnung wäre und dass sie aufhören sollte zu weinen. Matt wandte sich ab und ging in den Garten.

Die beiden Soldaten standen rechts und links von dem Mädchen, die Waffen an den Schultern, mit der Mündung nach oben. Der Mann und die Frau in den Schutzanzügen knieten am Boden und untersuchten die Verletzte.

Matt wollte zu ihnen, doch bevor er nah genug herankommen konnte, um zu sehen, was sie machten, vertrat ihm einer der beiden Soldaten den Weg. Er zielte mit der schwarzen Maschinenpistole auf Matts Brust, und Matt blieb wie angewurzelt stehen.

»Bitte bleiben Sie, wo Sie sind, Sir«, sagte der Soldat. »Zu Ihrer eigenen Sicherheit.«

»Was geht hier vor?«, fragte eine leise Stimme hinter Matt. Er war zu eingeschüchtert, um sich zu bewegen, warf nur einen Blick über seine Schulter und erblickte seinen Vater auf der schmalen Terrasse vor den Küchenfenstern. Greg Browning sah aus, als hätte jemand die Luft aus ihm herausgelassen.

»Nehmen Sie Ihren Sohn mit ins Haus, Sir«, befahl der Soldat.

»Ich will wissen, was hier vorgeht!«, beharrte Matts Vater. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Ich sage das nicht noch einmal, Sir«, entgegnete der Soldat. Er klang, als wäre er am Ende seiner Geduld. »Nehmen Sie Ihren Sohn, und gehen Sie ins Haus. Sofort.«

Greg Browning sah aus, als wollte er widersprechen, doch dann überlegte er es sich anders.

»Komm mit rein, Matt«, sagte er schließlich.

Matt sah von seinem Vater zu dem Soldaten, der mit der Maschinenpistole auf seine Brust zielte. Hinter ihm sah er den zweiten Soldaten und die beiden Personen im Schutzanzug, die ihn aufmerksam beobachteten. Er wollte sich gerade abwenden und tun, was sein Vater von ihm verlangte, als das Mädchen im Blumenbeet den Kopf hob und den Mann im weißen Schutzanzug in den Arm biss.

Im nächsten Augenblick brach die Hölle los.

Der Mann schrie auf und riss seinen Arm aus dem Mund des Mädchens. Blut spritzte aus dem ausgefransten Loch des Plastikmaterials und landete auf dem Rasen.

Der zweite Soldat riss seine Maschinenpistole herum, und der schwere Lauf der Waffe krachte gegen das Kinn des Mädchens. Sie sank in sich zusammen und rührte sich nicht mehr.

Der Soldat, der Matt aufgehalten hatte, senkte den Lauf seiner Maschinenpistole und drehte sich zu seinen drei Kameraden um. »Wie schlimm ist es?«, rief er.

Die Frau im Schutzanzug kniete neben ihrem Partner und untersuchte die Wunde. Beim Klang der Stimme sah sie zu dem Soldaten hoch. »Ziemlich schlimm«, sagte sie. »Wir müssen ihn sofort von hier wegschaffen.«

»Packen Sie das Subjekt ein«, befahl der Soldat. »Schnell.«

»Dazu ist keine Zeit. Er braucht sauberes Blut, sofort.«

»Er wird sein sauberes Blut bekommen. Packen Sie das Subjekt ein.«

Einen Moment lang starrte die Frau den Soldaten aufsässig an, dann wandte sie sich von ihrem Kollegen ab und legte die weiße Trage flach auf den Rasen. »Helfen Sie mir«, sagte sie zu dem anderen Soldaten.

Der Mann kauerte nieder und packte das Mädchen unter den Schultern, um es aus dem Blumenbeet zu ziehen. Matt gab ein erschrockenes Ächzen von sich, als er die Verletzungen ihrer unteren Körperhälfte sah.

Beide Beine waren in der Mitte der Oberschenkel gebrochen, und die Knochen hatten ihren blutgetränkten schwarzen Rock durchbohrt. Ihr linker Fuß war am Knöchel völlig verdreht, und am rechten fehlten drei Zehen. Die roten Stummel waren im schwachen Licht deutlich zu erkennen.

Matt rannte zu dem Mädchen. Er wusste nicht, was er tun sollte, nur, dass er irgendetwas tun musste. Er hörte seinen Vater rufen, doch er ignorierte ihn. Der Soldat, der das Mädchen mit seiner Waffe niedergeschlagen hatte, drehte den Kopf und sah ihn kommen. Er stieß einen Warnruf aus und wollte sich ihm in den Weg stellen, doch er war nicht schnell genug. Matt rutschte auf den Knien bis zu dem verletzten Mädchen und sah die Frau in dem Schutzanzug fragend an. »Kann ich irgendwie hel…«

In diesem Moment schnellte der Arm des Mädchens nach oben, und ihre Fingernägel glitten über Matts Kehle. Matt spürte, wie seine Haut den Nägeln für eine Millisekunde widerstand, bevor diese sich in sein Fleisch gruben. Eine gewaltige Fontäne von etwas Rotem spritzte in die nächtliche Luft und sprudelte über sein Kinn und seine Brust.

Er spürte keinen Schmerz, nur Überraschung und eine überwältigende Müdigkeit. Er starrte auf die dunkle Flüssigkeit, die immer noch in die Luft spritzte, und erst als er langsam hintenüber ins Gras sank, dämmerte ihm, dass es sein eigenes Blut war. In platschenden Tropfen landete es auf seinem Gesicht, und als sich seine Augen schlossen, spürte er, wie sich Hände auf seinen Hals pressten, und er hörte einen der Soldaten zu seinem Vater sagen, dass so etwas noch niemals zuvor geschehen war.

5

In die Dunkelheit

Jamie Carpenter träumte von seinem Vater.

Als Jamie zehn Jahre alt war, kam sein Dad eines Tages von der Arbeit, die Hand unter dem Mantel verborgen, und verschwand nach oben, ohne seinen Sohn zu begrüßen. Seine Mum war damals in Surrey, um ihre Schwester zu besuchen. Nach einer kurzen Weile folgte Jamie seinem Vater die Treppe hinauf, ganz leise und auf Zehenspitzen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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