Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse - Erich Fromm - E-Book

Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse E-Book

Erich Fromm

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Beschreibung

Erich Fromm und Herbert Marcuse, die ehemaligen Kollegen am Institut für Sozialforschung, gerieten Mitte der Fünfziger Jahre in einen heftigen Disput um das Verständnis von Psychoanalyse und deren Rolle bei der Veränderung von Gesellschaft. Als Marcuse sich als Kenner der Psychoanalyse in der 1968er-Bewegung zum Wortführer einer Gesellschaftsveränderung machte, griff Fromm noch einmal zur Feder und schrieb diese scharfe Kritik an Marcuse, die er aber nie veröffentlichte. Hier wird der 1969 entstandene Beitrag zugänglich gemacht.

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Seitenzahl: 38

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Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse

(Infantilization and Dispair Maskerading as Radicalism)

Erich Fromm(1990h [1968])

Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer FunkAus dem Amerikanischen von Rainer Funk.

[Anmerkung des Herausgebers: Als Manuskript im Nachlass von Erich Fromm gefunden, versehen mit dem Titel Epilog. Infantilization and Dispair Maskerading as Radicalism. Entstehungszeit 1968. Erstveröffentlichung in deutscher Sprache unter dem Titel Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse 1990 in E. Fromm, Die Entdeckung des gesellschaftlichen Unbewussten. Zur Neubestimmung der Psychoanalyse (Band 3 der „Schriften aus dem Nachlass“) beim Beltz Verlag, Weinheim, S. 149-170. Überarbeitet fand der Beitrag 1999 Aufnahme in die Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag), Band XII, S. 97-111. – Die Erstpublikation in der englischen Originalsprache erfolgte 1992 unter dem Titel On My Psychoanalytic Approach in: E. Fromm, The Revision of Psychoanalysis bei Westview Press in Boulder/USA.

Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an den von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassungen der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, Band XII, S. 97-111.

Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.

Copyright © 1990 by The Estate of Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2015 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2015 by Rainer Funk.

Inhalt

Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse

1. Marcuses Freudrezeption

2. Marcuses Verständnis der Perversionen

3. Marcuses Idealisierung der Hoffnungslosigkeit

Literaturverzeichnis

Der Autor

Der Herausgeber

Impressum

1. Marcuses Freudrezeption

Aus zwei Gründen fühle ich mich genötigt, mich eigens mit den Schriften von Herbert Marcuse auseinanderzusetzen[1]: Erstens vertritt er mir völlig entgegengesetzte Auffassungen, obwohl er in gewissen Fragen eine ähnliche Linie des kritischen Denkens hat, wie ich sie nicht nur in meinen frühen Arbeiten seit Beginn der dreißiger Jahre, sondern auch in Die Furcht vor der Freiheit (1941a) und in den nachfolgenden Büchern ausgedrückt habe. Ich denke, dass ich meine eigene Position noch verdeutlichen kann, wenn ich, und sei es nur knapp, einige der wichtigsten Theorien erörtere, die Marcuse entwickelt hat.

Der zweite Grund ist wichtiger: Marcuse neigt dazu, durch seine falschen Interpretationen von Freud (und Marx) und außerdem durch sein oft irreführendes und widersprüchliches Denken den Geist vieler Leser zu verwirren, und dies besonders bei einigen Anhängern der radikalen Linken. Ich glaube, dass diese Wirkung gefährlich ist. Hört radikales Denken auf, kritisch und rational zu sein, dann hört es auch auf, „radikal“ zu sein, das heißt an die Wurzeln zu gehen; es wird abenteuerlich und führt zu irrationalen Handlungen. Wie ein großer Teil der jungen Generation, ist auch die neue Linke zudem kaum mit der Literatur der Vergangenheit vertraut. Wird sie nun mit einem entstellten Freud und einem entstellten Marx bekannt, dann wird dies in Wirklichkeit keine Hilfe sein, um mit der humanistischen und revolutionären Tradition in Berührung zu kommen. [XII-098]

Ich zögere, einen intelligenten und gebildeten Menschen wie Marcuse, der ein ausgezeichnetes und tiefschürfendes Buch, Vernunft und Revolution (1941), geschrieben hat, der falschen Interpretation jener Werke anzuklagen, die er erörtert. Da ich aber davon überzeugt bin, dass er nicht willentlich und absichtlich entstellt, muss es in ihm machtvolle persönliche Motive geben, die ihn nicht gewahr werden lassen, was für absurde Dinge er 1955 in Triebstruktur und Gesellschaft (1966) und in Der eindimensionale Mensch (1964) geschrieben hat. Was die Motive auch sein mögen, ich werde mich auf den folgenden Seiten nur auf seine Argumente konzentrieren und versuchen, eine Antwort zu geben.

Bevor ich beginne, seine Darstellung von Freuds Theorien zu kritisieren, muss ich auf eine Schwäche hinweisen, die Marcuse selbst erwähnt, allerdings ohne sich ihrer Implikationen ausreichend bewusst zu sein. Er erhebt den Anspruch, dass er sich nur mit Freuds Theorien auseinandersetzen will, mit der klinischen Anwendung der psychoanalytischen Erkenntnisse aber weder vertraut sei noch sich hierfür kompetent fühle. Eine solche „Philosophie“ der Psychoanalyse, die sich nicht auf klinische Erfahrung bezieht, ist ein Zugang, der das Verstehen der psychoanalytischen Theorie weitgehend behindert. Nimmt man Freuds Erkenntnisse aus ihrem klinischen Kontext heraus, werden sie zu abstrakten Theorien, die eine Bewertung der wirklichen Bedeutung von Freuds Theorien unmöglich machen, weil sie nicht in klinischen Beobachtungen wurzeln.

Marcuses entscheidende Fehlinterpretation der Freudschen Position ist in dem Versuch zu sehen, Freud als einen revolutionären Denker zu interpretieren. Freud war ein typischer Vertreter des Bürgertums des Neunzehnten Jahrhunderts und des mechanistischen Materialismus und bis zum Ersten Weltkrieg ein optimistischer liberaler Reformer; danach und später hatte er keine Hoffnung auf irgendeine gesellschaftliche Änderung zum Besseren. In Das Unbehagen in der Kultur (