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Dr. Baumann ist ein echter Menschenfreund, rund um die Uhr im Einsatz, immer mit einem offenen Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Patienten, ein Arzt und Lebensretter aus Berufung, wie ihn sich jeder an Leib und Seele Erkrankte wünscht. Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen. Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird. »Untersteh dich, zwischen die Rosenbüsche zu laufen, Franzl.« Katharina Wittenberg, die Haushälterin Dr. Baumanns, drohte dem Mischlingshund mit dem Finger. »Solltest du es tun, werde ich dir das Fell gerben.« Franzl blieb stehen. Langsam drehte er sich der älteren Frau zu. Er wirkte, als würde er grinsen. »Wow«, machte er und wedelte freundschaftlich mit dem Schwanz. In diesem Moment hielt vor dem Grundstück ein Wagen. Franzl lief neugierig zum offenen Gartentor. Katharina folgte ihm. Lambrecht«, grüßte sie, als eine junge dunkelhaarige Frau ausstieg. »Guten Morgen, Frau Wittenberg«, antwortete Janina. Sie öffnete die Fondtür und hob ihren Sohn Aaron aus dem Kindersitz. Kaum hatte sie den Kleinen auf den Boden gestellt, rannte er auch schon Katharina und Franzl entgegen. »Wie schön, daß du uns einmal besuchst, Aaron«, sagte Katharina und hob den Buben hoch.
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2020
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»Untersteh dich, zwischen die Rosenbüsche zu laufen, Franzl.« Katharina Wittenberg, die Haushälterin Dr. Baumanns, drohte dem Mischlingshund mit dem Finger. »Solltest du es tun, werde ich dir das Fell gerben.«
Franzl blieb stehen. Langsam drehte er sich der älteren Frau zu. Er wirkte, als würde er grinsen. »Wow«, machte er und wedelte freundschaftlich mit dem Schwanz.
In diesem Moment hielt vor dem Grundstück ein Wagen. Franzl lief neugierig zum offenen Gartentor. Katharina folgte ihm. »Guten Morgen, Frau
Lambrecht«, grüßte sie, als eine junge dunkelhaarige Frau ausstieg.
»Guten Morgen, Frau Wittenberg«, antwortete Janina. Sie öffnete die Fondtür und hob ihren Sohn Aaron aus dem Kindersitz. Kaum hatte sie den Kleinen auf den Boden gestellt, rannte er auch schon Katharina und Franzl entgegen.
»Wie schön, daß du uns einmal besuchst, Aaron«, sagte Katharina und hob den Buben hoch. »Sieht aus, als wärst du ein ganzes Stück gewachsen.«
»Ich bin schon groß.« Aaron schlang die Ärmchen um Katharinas Nacken und schmiegte sich an sie.
Franzl schnüffelte schwanzwedelnd an den Beinen des Kleinen.
»Du kitzelst!« rief Aaron lachend. Er versuchte, seine Beinchen aus der Reichweite des Hundes zu bekommen.
»Müssen Sie mit Aaron zu Doktor Baumann, Frau Lambrecht, oder haben Sie selbst einen Termin?« erkundigte sich Erics Haushälterin.
»Ich bin selbst bestellt«, antwortete Janina. »Mir geht es schon seit einigen Wochen nicht besonders. Nun, Sie wissen ja, wie das so ist. Anfangs nimmt man so etwas nicht besonders ernst und ich habe nie die Zeit gefunden, Doktor Baumann aufzusuchen. Langsam machen mir meine Beschwerden allerdings angst.«
»Man sollte niemals zu lange zögern, einen Arzt aufzusuchen, Frau Lambrecht«, meinte Katharina Wittenberg. »Wenn Sie möchten, kümmere ich mich unterdessen um Aaron. Ich habe heute nicht allzuviel zu tun, und Sie wissen, wie gern ich kleine Kinder habe.«
»Es wäre mir eine große Hilfe, Frau Wittenberg«, erwiderte die junge Frau dankbar und wandte sich an ihren Sohn: »Möchtest du bei Tante Katharina bleiben, Aaron?«
Der Kleine nickte. »Gibt es Kekse?« fragte er.
»Natürlich gibt es Kekse«, versicherte Katharina und trug ihn gefolgt von Franz ins Haus.
Janina betrat die Arztpraxis. Nachdem Barbara Schneider ihren Namen im Meldebuch abgehakt hatte, wandte sie sich dem Wartezimmer zu. Im Gang begegnete ihr Franziska Kessler, die aus ihrem Behandlungsraum kam. Die junge Frau blieb stehen, um ein paar Worte mit der Krankengymnastin zu wechseln, die sie seit ihrer Kindheit kannte.
»Ich habe gehört, daß Sie ein Kind erwarten, Frau Kessler«, sagte sie, nachdem sie einander begrüßt hatten. »Das freut mich. Herzlichen Glückwunsch.«
Franziska, die seit einem Unfall in ihrer Kindheit nicht mehr sprechen konnte, schrieb auf den kleinen Block, den sie bei sich trug: »Ich kann es kaum noch erwarten, das Kleine endlich in den Armen zu halten.«
»Das glaube ich Ihnen gern. Mir ist es genauso ergangen, als ich mit Aaron schwanger gewesen bin. Die Zeit bis zu seiner Geburt ist mir endlos erschienen.« Über Janinas Gesicht legte sich ein kaum merklicher Schatten. »Dabei hatte ich allen Grund gehabt, niedergeschlagen zu sein. Aarons Vater und ich hatten uns schon lange getrennt.«
»Wer weiß, ob Sie mit diesem Mann glücklich geworden wären, Frau Lambrecht«, schrieb Franziska.
»Ja, das ist wahr«, antwortete Janina und betrat das Wartezimmer.
»Frau Lambrecht, wie schön, daß wir uns einmal sehen«, meinte Lina Becker, die zusammen mit Sabine Seitter, ihrer Nachbarin, auf Stühlen am Fenster saß. »Wann werden Sie denn Ihren Geschenkladen eröffnen?«
»Anfang Mai.« Die junge Frau griff nach einer Zeitschrift, bevor sie sich den beiden Frauen gegenübersetzte. Sie mochte weder Lina Becker noch Sabine Seitter sonderlich. Lina gehörte zu den berüchtigsten Klatschtanten Tegernsees. Frau Seitter dagegen schien völlig im Schatten ihres Mannes zu stehen, eines pensionierten Finanzbeamten, der die meisten Leute ansah, als wollte er mit einem einzigen Blick überprüfen, ob sie auch ihre Steuern pünktlich bezahlt hatten.
»Sicher freuen Sie sich schon auf die Geschäftseröffnung«, sagte Lina Becker. »Ich habe neulich Ihre Freundin in der Stadt getroffen. Frau Kübler erzählte mir, daß Sie Freitag in einer Woche umziehen. Sie hat von dem Haus gesprochen, daß Sie günstig mieten konnten.«
Es ging andere Leute nicht das geringste an, wieviel Miete sie für das Haus bezahlen mußte, in dem sie zukünftig wohnen würde. Janina spürte, wie sie auf ihre Freundin ärgerlich wurde. Warum konnte Brigitte ihren Mund nicht halten? So gern sie ihre Freundin hatte, sie gab oft mehr preis, als unbedingt nötig gewesen wäre.
»Momentan haben wir jedenfalls alle Hände voll zu tun«, erwiderte sie. »So ein Umzug bringt eine Menge Arbeit mit sich.«
»Und meinen Sie, daß Sie mit einem Geschenkladen Erfolg haben werden?« Lina schenkte ihr ein leutseliges Lächeln. »In Tegernsee gibt es schon so viele Geschäfte.«
»Und auch das ganze Jahr über Touristen«, bemerkte Janina.
»Sie sollten einmal mit meinem Mann sprechen, Frau Lambrecht. Heinz kann Ihnen bestimmt diesen oder jenen Tip geben. Ich meine im Hinblick auf das Finanzamt«, bot Sabine Seitter an.
Es mochte freundlich gemeint sein, aber Janina wußte schon jetzt, daß sie Heinz Seitter nicht um Hilfe bitten würde. Der Mann gehörte zu den Leuten, die sie absolut nicht mochte. »Ich habe einen guten Steuerberater«, sagte sie. »Trotzdem vielen Dank, Frau Seitter.«
Lina Becker lehnte sich zurück. »Es wird bestimmt nicht einfach sein, den ganzen Tag im Geschäft zu stehen und gleichzeitig für ein kleines Kind sorgen zu müssen. Haben Sie jemanden, der sich während Ihrer Arbeitszeit um Ihren Sohn kümmert?«
»Ich habe jemanden«, erwiderte die junge Frau. Sie schlug demonstrativ die Zeitschrift auf. »Und im September kommt Aaron in den Kindergarten, dann wird es auch leichter sein.«
»Also, ich weiß nicht, ich habe noch nie viel von Müttern gehalten, die ihre kleinen Kinder den ganzen Tag im Kindergarten lassen. Ich bin froh, daß meine Schwiegertochter, als Jasmin und Jaron noch so klein gewesen sind, sie nur halbtags im Kindergarten hatte.« Frau Becker öffnete ihre Handtasche, um das letzte Foto ihrer Enkel zu zeigen.
»Ihre Schwiegertochter hat auch nicht allein für ihre Kinder sorgen müssen.« Janina bemühte sich, nicht ärgerlich zu werden. Sie kannte ja Lina Becker gut genug, um zu wissen, daß Takt nicht zu ihren Stärken gehörte. »Nicht jede Mutter ist in dieser glücklichen Lage.«
»Jeder ist seines Glückes Schmied«, meinte Lina ungerührt. »Um ehrlich zu sein, ich hätte niemals den Mut aufgebracht, so einfach ein Kind in die Welt zu setzen. Ich…« Sie schenkte Janina ein gütiges Lächeln. »Natürlich möchte ich Ihnen nicht zu nahe treten, Frau Lambrecht.«
»Das freut mich«, bemerkte die junge Frau trocken und vertiefte sich in ihre Zeitschrift.
Janina, die an diesem Vormittag die letzte Patientin von Dr. Baumann war, mußte fast vierzig Minuten warten, bis sie aufgerufen wurde. Sabine Seitter und Lina Becker waren schon längst gegangen. Sie hatte erleichtert aufgeatmet, als Lina die Tür des Wartezimmers hinter sich geschlossen hatte. Wie konnte man nur so taktlos sein? Jeder mußte schließlich selbst verantworten, was er tat. Es ging keinen anderen etwas an, wenn er damit niemandem schadete. Und um nichts auf der Welt hätte sie auf Aaron verzichten mögen. Gut, er hatte keinen Vater, aber ihre Liebe reichte aus, um ihm Vater und Mutter zu sein.
Die Praxis von Dr. Baumann kannte Janina seit ihrer Kindheit, als sie beim Vater des jetzigen Arztes in Behandlung gewesen war. Sie hatte fast ihr ganzes Leben in Tegernsee verbracht und nur einige Jahre in München gelebt. Nach der Geburt ihres Sohnes war sie nach Tegernsee zurückgekehrt. Seitdem war Dr. Eric Baumann ihr Hausarzt. Sie mochte ihn sehr und hatte absolutes Vertrauen zu ihm.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Frau Lambrecht«, bat er, nachdem sie einander begrüßt hatten, und wies auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. »Ich habe gehört, daß Sie bald umziehen.« Er lachte. »Frau Becker hat es mir erzählt. Sie wissen ja, wie diese Frau ist. Überall muß sie ihre Nase hineinstecken.«
»Sie ist eine richtige Landplage«, meinte Janina. »Sie hat durchblicken lassen, wie unverantwortlich sie es findet, ein Kind ohne Vater aufzuziehen.«
»Machen Sie sich nichts daraus«, meinte Eric und nahm Platz. »Sie werden es auf jeden Fall schaffen. Ich bin überzeugt, daß es Ihnen nicht an Kunden mangeln wird, wenn Sie erst einmal Ihr Geschäft eröffnet haben.«
»Danke, daß Sie das sagen, Doktor Baumann.« Die junge Frau stellte ihre Handtasche neben den Stuhl. »Meine Freundin und ich haben wochenlang alles durchgerechnet. Wenn wir Glück haben, werden wir schon im ersten halben Jahr einen Gewinn erwirtschaften können. Natürlich wird es nicht leicht sein. Ich bin ja nur froh, daß mir die Burglands ihr altes Stadthaus vermieten. Sie sind mit meinen Großeltern befreundet gewesen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie mich als Kind mit Geschenken überschüttet haben.«
»Die Burglands sind ein reizendes altes Ehepaar«, sagte Eric. Auch sie gehörten zu seinen Patienten. Er sah sie an. »Und was führt Sie zu mir?«
»Ich fühle mich schon seit geraumer Zeit nicht besonders wohl«, gestand die junge Frau. »Mein Gesicht scheint um die Augen herum geschwollen zu sein. Manchmal sehe ich etwas schlechter, ich schwitze sehr oft, habe Herzjagen, bin grundlos unruhig, meine Verdauung stimmt nicht und ich habe in letzter Zeit ziemlich abgenommen.«
Dr. Baumann sah Janina nachdenklich an. »Alle Symptome deuten darauf hin, daß mit Ihrer Schilddrüse etwas nicht stimmt«, sagte er. »Natürlich können Ihre Beschwerden auch andere Ursachen haben, aber das werden wir feststellen.« Ihm war vorhin schon aufgefallen, daß Janinas Augen unnatürlich glänzten.
Die junge Frau rührte sich nicht, als der Arzt ihren Hals abtastete. »Mein Hals ist in den letzten Wochen dicker geworden«, meinte sie, als er sich wieder setzte. »Ich habe es an einer Kette gemerkt, die ich neulich umbinden wollte.«
»Das deutet auch auf die Schilddrüse hin«, sagte Eric. »Auf jeden Fall werden wir erst einmal eine Blutuntersuchung machen. Können Sie morgen früh kommen?«
»Ja, das ist kein Problem.« Janina nickte.
»Gut, je nach Ergebnis werde ich Sie an einen Röntgenarzt zu einer Ultraschalluntersuchung Ihrer Schilddrüse und einer Schilddrüsenzintigraphie überweisen.« Dr. Baumann bemerkte Janinas besorgten Blick. »Keine Angst, das klingt nur ein wenig kompliziert«, fügte er hinzu. »Bei einer Schilddrüsenzintigraphie wird Ihnen durch die Vene ein Radioisotop injiziert, das ist eine kurzlebige radioaktive Substanz. Danach wird Ihre Schilddrüse geröntgt, um sich ein genaues Bild von ihr machen zu können.«
Janina stieß heftig den Atem aus. »Ich weiß schon, weshalb ich einen Arztbesuch so lange hinausgezögert habe«, meinte sie und verzog das Gesicht.
»Etwas, was man nie tun sollte. Lieber einmal zu früh, als zu spät zum Arzt«, erwiderte er. »Im Anfang sind die meisten Krankheiten noch gut zu behandeln.«
Sie wechselten noch ein paar Worte, bevor Dr. Baumann seine Patientin nach draußen begleitete. Er bat Tina Martens, eine seiner Sprechstundenhilfen, Janina Lambrecht für den nächsten Morgen zu einer großen Blutuntersuchung und einem EKG einzutragen.
»Auf Wiedersehen.« Er reichte Janina die Hand. »Und grüßen Sie Aaron von mir.«
»Das werde ich«, versprach die junge Frau und verließ die Praxis.
Dr. Eric Baumann kehrte in sein Sprechzimmer zurück. Rasch räumte er seinen Schreibtisch auf und führte noch zwei Telefonate.
»Nicht so stürmisch, Franzl«, sagte er, als er eine halbe Stunde später durch die Verbindungstür in sein Haus hinüberging. »Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen. Hattest du einen schönen Vormittag?«
»Und ob er einen schönen Vormittag hatte«, erklärte Katharina Wittenberg grimmig. »Laß dir mal von ihm erzählen, was er mit dem Stück Salami gemacht hat, das ich versehentlich auf dem Tisch liegengelassen habe.«
»Hast du Salami gestohlen?« Eric sah den Hund streng an. »Pfui, so etwas tut man nicht.« Er schlug ihm leicht auf den Rücken. »Hat sie wenigstens geschmeckt?«
»Und das nennt man Erziehung.« Seine Haushälterin seufzte lachend auf. »Kein Wunder, daß Franzl glaubt, er könnte sich alles erlauben.«
»Und wer verwöhnt ihn gewöhnlich?« fragte Eric amüsiert. Er schnupperte. »Das duftet ja wunderbar. Was gibt es denn?«
»Kartoffelgratin und Putenschnitzel«, antwortete Katharina. »Das Essen ist in fünf Minuten fertig.«
»Also habe ich noch Zeit, meine Post durchzusehen.« Er trat in sein Arbeitszimmer.
Katharina Wittenberg wendete die Putenschnitzel. Franzl saß neben der Speisekammertür und ließ sie nicht aus den Augen. Er hatte zwar sein Futter schon bekommen, wußte allerdings aus Erfahrung, daß auch für ihn noch ein Bröckelchen abfallen würde.
»Die Streckers haben mir eine Einladung zu ihrer Hochzeit geschickt«, sagte Eric, als er in die Küche kam. »Ich freue mich so für Wolfgang Strecker und seine Mutter. Für einen Bauern ist es heutzutage nicht leicht, eine Familie zu gründen, und Georgia Papadiamantis paßt auf den Streckerhof, als sei sie für ihn geboren.«
»Ich freue mich auch für die Streckers, nichtsdestoweniger mache ich mir Sorgen«, erwiderte seine Haushälterin. »Du weißt, daß es in Gmund einige Leute gibt, die Frau Papadiamantis ablehnen, weil sie Griechin ist. Man wird ihnen nach der Hochzeit das Leben noch schwerer machen als bisher.«
»Hoffen wir, daß die Vernunft siegt.« Eric schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Irgendwann müssen die Menschen begreifen, daß sie sich selbst nur schaden, wenn sie alles Fremde ablehnen.«
Katharina sah ihn an. »Wir wissen beide, wie gering die Chance dazu ist«, meinte sie aufseufzend. »Ausgerechnet die Leute, die dazulernen sollten, sind meistens nicht bereit, es zu tun.«
*
»So ein wunderschönes Kleid werde ich wohl nach meiner Hochzeit nie wieder tragen«, meinte Georgia Papadiamantis, nachdem sie ihr Hochzeitskleid noch einmal anprobiert hatte. »Es erscheint mir wie ein Traum. Sie sind eine großartige Schneiderin, Frau Jost.«
»Es ist der Beruf, den ich mir schon als Kind erträumt habe«, antwortete Maren Jost. An und für sich kamen aus ihrer Werkstatt nur exklusive Dirndls, aber sie kannte die Streckers seit Jahren. Als Agnes Strecker sie gebeten hatte, das Hochzeitskleid für ihre zukünftige Schwiegertochter zu nähen, hatte sie sofort zugesagt. Es sollte ein Traum aus schwerer beigefarbener Seide werden. Obwohl Maren ihren Arbeiten meistens kritisch gegenüberstand, fand sie, daß ihr dieses Kleid wirklich ausgesprochen gut gelungen war.
Georgia zog sich um. »Wissen Sie schon, ob Ihr Mann an meinem Hochzeitstag freihaben wird?« fragte sie.
»Ich habe mit Armin gesprochen. Er kann seinen Dienst am Samstag tauschen«, antwortete die Schneiderin. »Ihre Hochzeit wollen wir natürlich nicht versäumen.«