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Dr. Baumann ist ein echter Menschenfreund, rund um die Uhr im Einsatz, immer mit einem offenen Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Patienten, ein Arzt und Lebensretter aus Berufung, wie ihn sich jeder an Leib und Seele Erkrankte wünscht. Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen. Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird. Dr. Eric Baumann hatte es sich in seinem Lehnsessel bequem gemacht und las einen Kriminalroman. Seitlich von ihm auf dem Tisch stand eine fast leere Teetasse. Langsam spürte er, wie er sich zu entspannen begann. Ein harter Arbeitstag lag hinter ihm. Nach der Nachmittagssprechstunde hatte der Arzt noch mehrere Krankenbesuche machen müssen. Unter anderem war er bei Agnes Strecker gewesen, die einen heftigen Angina pectoris-Anfall gehabt hatte. Die alte Frau hatte sich wie gewöhnlich hartnäckig geweigert, ins Krankenhaus zu gehen. »Im Krankenhaus wird man auch nicht mehr viel für mich tun können, Dr. Baumann«, hatte sie zu ihm gesagt. »Die Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich hier auf dem Hof verbringen. Mein Sohn und meine Schwiegertochter kümmern sich wirklich liebevoll um mich. Es gibt nichts, worüber ich klagen könnte.« Eric mochte Agnes Strecker. Sie gehörte zu seinen liebsten Patientinnen. Es freute ihn für sie, daß ihr Sohn Wolfgang nun endlich doch noch geheiratet hatte. Sie hoffte inbrünstig, noch die Geburt eines Enkelchens zu erleben. Franzl, der neben Erics Sessel lag, hob den Kopf. Als er bemerkte, daß sein Herrchen keinen Blick für ihn hatte, seufzte er laut auf.
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Dr. Eric Baumann hatte es sich in seinem Lehnsessel bequem gemacht und las einen Kriminalroman. Seitlich von ihm auf dem Tisch stand eine fast leere Teetasse. Langsam spürte er, wie er sich zu entspannen begann. Ein harter Arbeitstag lag hinter ihm. Nach der Nachmittagssprechstunde hatte der Arzt noch mehrere Krankenbesuche machen müssen. Unter anderem war er bei Agnes Strecker gewesen, die einen heftigen Angina pectoris-Anfall gehabt hatte. Die alte Frau hatte sich wie gewöhnlich hartnäckig geweigert, ins Krankenhaus zu gehen.
»Im Krankenhaus wird man auch nicht mehr viel für mich tun können, Dr. Baumann«, hatte sie zu ihm gesagt. »Die Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich hier auf dem Hof verbringen. Mein Sohn und meine Schwiegertochter kümmern sich wirklich liebevoll um mich. Es gibt nichts, worüber ich klagen könnte.«
Eric mochte Agnes Strecker. Sie gehörte zu seinen liebsten Patientinnen. Es freute ihn für sie, daß ihr Sohn Wolfgang nun endlich doch noch geheiratet hatte. Sie hoffte inbrünstig, noch die Geburt eines Enkelchens zu erleben.
Franzl, der neben Erics Sessel lag, hob den Kopf. Als er bemerkte, daß sein Herrchen keinen Blick für ihn hatte, seufzte er laut auf. Es klang so herzerweichend, daß es Eric kalt über den Rücken rann.
Der Arzt ließ einen Arm über die Sessellehne baumeln und streichelte den Hund. »Wir sind erst vor einer halben Stunde draußen gewesen, du Gauner«, erinnerte er ihn. »Also laß dieses Theater.«
Franzl ergab sich in sein Schicksal und vergrub den Kopf zwischen den Pfoten. Als sie nach dem Abendessen spazierengegangen waren, hatte er die Spur einer jungen Hündin aufgenommen. Zu gern hätte er sie jetzt weiterverfolgt. Schade, daß sein Herrchen dafür kein Verständnis aufbrachte.
Katharina Wittenberg kam mit einem Glasteller ins Wohnzimmer. Franzl sprang auf und rannte ihr entgegen. Schnüffelnd streckte er die Schnauze in die Luft. »Die Kekse sind für Eric«, sagte sie lachend und stellte den Teller neben den Teebecher auf den Tisch. »Eine kleine Kostprobe.«
»Danke, Katharina«, erwiderte Eric. »Die Kekse duften mehr als verführerisch.« Er griff nach einem und warf ihn Franzl zu. Der Hund fing ihn geschickt mit der Schnauze auf.
»Möchtest du noch ein wenig Tee?«
»Gern.« Eric nickte. »Davon abgesehen wird es Zeit, daß du auch Feierabend machst. Du hättest heute abend nicht noch backen müssen.«
»Ich wollte das neue Rezept ausprobieren, das mir die alte Frau Walkhofer gegeben hat«, antwortete seine Haushälterin. »Wenn…« Sie wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen.
»Es kann der Beste nicht in Frieden leben…« Eric schlug den Kriminalroman zu und ging in das danebenliegende Arbeitszimmer, um dort den Telefonhörer abzuheben. »Baumann«, meldete er sich.
»Tut mir leid, daß ich Sie so spät noch stören muß, Herr Doktor«, sagte Alois Sacher, nachdem er seinen Namen genannt hatte. »Meine Frau hat einen schweren Asthmaanfall. Sie bekommt kaum Luft.«
»Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen, Herr Sacher«, versprach der Arzt. Er hielt sich nicht damit auf, dem Bauern Verhaltensmaßregeln zu geben, weil er wußte, daß Alois Sacher automatisch das Richtige tun würde. Seine Frau litt seit vielen Jahren an Asthma, und er hatte gelernt, damit umzugehen.
Katharina Wittenberg gefiel es ganz und gar nicht, daß Eric noch fort mußte. Er war den ganzen Tag über kaum zur Ruhe gekommen. Auch wenn er es abstritt,
sie wußte, daß er sich in letzter Zeit oft nicht wohl fühlte. »Ich werde frischen Tee aufbrühen«, sagte sie, »damit du etwas Warmes zu trinken hast, wenn du nach Hause kommst. Für den Mai ist es abends bemerkenswert kühl.«
»Lieb von dir, Katharina.« Eric eilte in seine Praxis hinüber, um seine Tasche zu holen.
Franzl stand schwanzwedelnd vor der Wohnungstür, als sein Herrchen mit der Tasche kam. Enttäuscht mußte er feststellen, daß nicht einmal diese freundliche Geste Eric bewegen konnte, ihn mitzunehmen.
»Katharina wird mit dir noch einen Spaziergang machen«, versprach der Arzt und verließ das Haus. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Franzl auf sein dickes Hinterteil fallen.
Der Sacherhof lag zwischen Tegernsee und Gmund am Abhang eines Hügels. Nahe dem alten, vor einigen Jahren renovierten Bauernhaus standen vier im bayerischen Stil errichtete Bungalows. In ihnen wohnten fast das ganze Jahr über Feriengäste. Während sich Alois Sacher mit seinen Leuten um Viehzucht und Landwirtschaft kümmerte, gehörten die Feriengäste zur Domäne seiner Frau.
Der Hofhund der Sachers rannte Eric kläffend entgegen, als dieser vor der Eingangstür des Bauernhauses parkte und ausstieg. »Ich bin es nur«, sagte der Arzt, »also laß es gut sein.«
Die Haustür öffnete sich. »Ruhig, Ferdl!« befahl Alois Sacher. »Guten Abend, Herr Doktor. Gut, daß Sie schon da sind. Meiner Frau geht es noch nicht besser.«
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.« Dr. Baumann drückte kurz die Hand des Bauern. »Ist Ihre Frau im Schlafzimmer?«
Alois Sacher nickte. Er wies zur Treppe. »Sie kennen ja den Weg. Leider habe ich Sie schon oft genug rufen müssen. Daß diese Anfälle auch immer nachts oder am späten Abend kommen müssen.« Er folgte Eric die Treppe hinauf.
Das Schlafzimmer lag im ersten Stock. Seine Tür stand offen. Dr. Baumann sah, daß die jüngste Tochter der Sachers, die fünfjährige Veronika, ängstlich aus ihrem Zimmer schaute. Die vierzehnjährige Eva und der elfjährige Wolfgang saßen auf dem Bett ihrer Mutter, deren geräuschvoller, pfeifender Atem den Raum erfüllte.
»Guten Abend, Dr. Baumann«, sagte Eva. Sie stand auf und zog auch ihren Bruder hoch. Dem Arzt fiel auf, wie verstört Wolfgang wirkte.
»Geht auf euer Zimmer«, forderte Alois Sacher die Kinder auf. Er tätschelte liebevoll Evas Wange. Seinen Sohn beachtete er nicht weiter.
Der Arzt erkannte auf den ersten Blick, wie schlecht es Heidelinde Sacher ging. Ihr sonst so rosiges Gesicht wirkte bläulich-grau und war vor Angst und Atemnot verzerrt. Auf ihrer Stirn stand Schweiß. »Ich ersticke«, brachte sie zwischen zwei keuchenden Atemzügen hervor.
»Nein, das werden Sie nicht, Frau Sacher«, erwiderte Eric ruhig und bat den Bauern, die Tür zu schließen. »Ihnen wird es gleich bessergehen.« Er legte ihr die Manschette des Blutdruckmeßgeräts um den Arm. Der Blutdruck der Kranken war beängstigend hoch. Sorgfältig horchte er sie ab.
Alois Sacher ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen. Er liebte seine Frau, und diese starken Asthmaanfälle, unter denen sie alle paar Wochen litt, machten ihm angst.
Dr. Baumann sprach beruhigend auf die Kranke ein, während er ihr eine Injektion gab. Auf ihrem Bett sitzend, wartete er die Wirkung ab. »Na, also«, meinte er, als Heidelindes Keuchen verstummte und ihr Gesicht seine normale Farbe annahm.
»Danke, Dr. Baumann«, flüsterte sie und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. »Auch wenn ich weiß, daß mir geholfen wird, jedesmal ist es, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen.« Sie holte tief Luft. »Jetzt geht es mir wirklich schon entschieden besser.«
»Das freut mich, Frau Sacher.« Eric maß erneut den Blutdruck der Kranken. Er hatte sich normalisiert. »Versuchen Sie zu schlafen. Ihr Körper braucht Ruhe, um sich von dieser Anstrengung zu erholen.«
»Ich fühle mich, als sei ich durch eine Mühle gedreht worden«, sagte die Bäuerin. »Es tut mir leid, daß wir Sie um Ihren wohlverdienten Feierabend gebracht haben.«
»Darüber sollten Sie sich keine Gedanken machen, Frau Sacher«, erwiderte der Arzt und verabschiedete sich von ihr.
»Ich bringe Sie nach unten, Herr Doktor.« Alois Sacher öffnete die Schlafzimmertür. »Es ist alles in Ordnung, Eva«, sagte er zu seiner Tochter. »Bleib bei der Mutti, bis ich zurück bin.«
»Gut, Vati.« Das Mädchen schlüpfte ins Schlafzimmer.
Dr. Baumann folgte dem Bauern die Treppe hinunter. »Ich nehme an, Ihr Sohn wird schon schlafen«, meinte er. »Er hat auf mich vorhin einen ziemlich verstörten Eindruck gemacht. Wolfgang ist sehr sensibel und…«
»Wolfgang ist schuld, daß seine Mutter diesen Anfall hatte«, fiel ihm Alois Sacher ins Wort. »Er hat den ganzen Abend mit uns gestritten. Es geht um seinen Schafsbock, den Jacob. Der Bub will nicht einsehen, daß es an der Zeit ist, den Burschen zu schlachten.«
»Wieso wollen Sie den Jacob schlachten?« fragte Eric bestürzt. Alois Sacher hatte ihn seinem Sohn Jacob vor zwei Jahren geschenkt. Das Böckchen war damals erst wenige Wochen alt gewesen. »Sie wissen, wie Wolfgang am Jacob hängt.«
»Ich habe ihm von Anfang an gesagt, daß der Jacob vom Hof muß, wenn er zwei Jahre alt und geschlechtsreif wird. Ich kann es mir nicht erlauben, in meine Herde Inzucht zu bekommen.«
»Wolfgang ist damals neun gewesen. Zwei Jahre müssen ihm damals wie eine Ewigkeit erschienen sein.« Dr. Baumann berührte die Schulter des Bauern. »Sie müssen auch Ihren Sohn verstehen, Herr Sacher. Jacob ist sein ein und alles.«
»Als ich in seinem Alter gewesen bin, habe ich auch begreifen müssen, daß sich ein Bauer die Tiere nicht zum Vergnügen halten kann und damit leben muß, sie zur Schlachtbank zu führen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, der Jacob muß weg. Ich habe mich redlich bemüht, ihn anderweitig unterzubringen, es ist mir nicht möglich gewesen. Wer möchte schon einen Schafsbock, der über ein Seil springen kann, einem Ball nachjagt und unter anderem Füßchen gibt?«
»Sie hätten das vorher bedenken müssen, Herr Sacher«, meinte der Arzt, auch wenn er verstehen konnte, daß Jacob für die Herde eine Gefahr bedeutete. »Wenn man ihn nicht mit den anderen Schafen zusammen lassen würde, müßte es…«
»Und wie stellen Sie sich das vor?« Alois Sacher schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt keine andere Lösung, und je eher das der Bub begreift, um so besser wird es sein.« Er stieß heftig den Atem aus. »Nun, ich will Sie nicht länger aufhalten, Dr. Baumann.«
Eric verstand den Wink. »Also, gute Nacht, Herr Sacher«, wünschte er und verabschiedete sich von dem Bauern. Er wußte, daß Alois Sacher kein Unmensch war, nur zu sehr mit seinem Hof verwurzelt, um auf die Gefühle seines Sohnes Rücksicht nehmen zu können.
Hinter Eric schloß sich die Haustür. Er ging zu seinem Wagen und wollte schon einsteigen, als er Wolfgang sah. Der Bub kam mit tränenverschmiertem Gesicht aus dem Stall. »Hat Ihnen mein Vater erzählt, daß er Jacob schlachten will?« fragte er. »Können Sie den Jacob nicht kaufen?«
»Was sollte ich mit ihm anfangen, Wolfgang?« Eric legte den Arm um die Schultern des Buben. »Jacob gehört auf eine Weide. Was meinst du, wie schnell er meinen Garten leergefressen hätte, und was dann?«
»Sie kennen so viele Leute,
Dr. Baumann. Bitte, fragen Sie, ob nicht einer von ihnen Jacob nehmen könnte.« Wolfgang schaute zu ihm auf. »Jacob darf nicht sterben. Ich habe ihn so lieb.«
»Gut, Wolfgang, ich werde mich bei den Bauern, die ich kenne, umhören, nur kann ich mir leider nicht vorstellen, daß einer von ihnen Jacob nehmen wird.«
»Warum hat mein Vater zugelassen, daß ich ihm Kunststückchen beibringe?« fragte der Bub. »Wenn ich das nicht getan hätte, hätte Jacob eine Chance.« Er rieb sich die Augen.
»Dein Vater ist auch nur ein Mensch und Menschen machen Fehler«, sagte Eric. »Du solltest ins Bett gehen, Wolfgang. Es ist schon spät.« Er hätte dem Buben gern etwas Tröstliches gesagt, nur da gab es nichts, was ihn hätte trösten können.
»Ich werde nicht zulassen, daß Jacob stirbt!« Wolfgang rannte zur Haustür und riß sie auf. »Nein, das werde ich nicht.« Ohne einen Gruß verschwand er im Haus.
Der Arzt starrte auf die geschlossene Haustür. Er hörte, wie Alois Sacher ziemlich laut etwas zu seinem Sohn sagte, konnte jedoch nicht die einzelnen Worte verstehen. Sollte er noch einmal mit dem Bauern sprechen? Allerdings würde es ein sinnloses Gespräch sein. Alois Sacher würde sich nicht von ihm überzeugen lassen, für Jacob auf seinem Hof einen Platz zu finden. Resignierend setzte er sich in den Wagen, um nach Tegernsee zurückzukehren. Den dumpfen Schmerz, den er tief in seiner Brust spürte, beachtete er nicht weiter.
*
Felicitas Becker stand am Wohnzimmerfenster und blickte in den Garten hinaus. Sie fühlte sich wie ausgehöhlt. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen und wäre die nächsten Tage nicht zum Vorschein gekommen. Ihr Vater war erst vor vier Tagen gestorben, und schon jetzt vermißte sie ihn mit jeder Faser ihres Herzens.
»Kann ich irgend etwas für dich tun, Felicitas?« fragte Lina Becker fürsorglich. Zusammen mit ihrem Mann und Harvard war sie zur Beerdigung von Freds Cousin Hartmut nach Braunschweig gekommen.
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Ich werde noch einmal zum Friedhof fahren«, sagte sie.
»Sollen wir dich begleiten?« erkundigte sich Lina. Sie beugte sich zu Harvard hinunter, der sich ihr zu Füßen gelegt hatte, und kraulte ihn. »Ich weiß, wie sehr du an deinem Vater gehangen hast, Felicitas, dennoch solltest du ihm seinen Frieden gönnen. Ihr habt in den letzten Monaten alle beide ziemlich viel mitgemacht.«
»Hartmut ist bestimmt kein sehr geduldiger Patient gewesen«, warf Fred Becker ein. »Er konnte schon als Kind sehr aufbrausend sein.«
»Er ist ein sehr guter Vater gewesen, Fred.« Felicitas bemühte sich, ihren Ärger hinunterzuschlucken. Sie wußte ja, daß die Beckers es nicht böse meinten, nur Taktgefühl gehörte nun einmal nicht zu ihren Stärken. Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte allein zum Friedhof fahren. So gegen halb sieben werde ich zurück sein.«
»Hältst du das für vernünftig?« Lina Becker unterdrückte einen Seufzer.
»Ich bin vor zwei Monaten dreiundzwanzig geworden, Lina.« Die junge Frau straffte die Schultern. »Bitte, seid mir nicht böse, ich muß wirklich ein bißchen allein sein.« Mit raschen Schritten ging sie in den Korridor, nahm ihre Jacke vom Garderobenhaken und verließ das Haus.
Fred Becker stieß heftig den Atem aus. »Wir müssen etwas für das Kind tun«, meinte er. »Wir sind Felicitas’ einzige Verwandte. Da sie sich die letzten anderthalb Jahre nur noch um die Pflege ihres Vaters gekümmert hat, sind auch ihre meisten Freundschaften in die Brüche gegangen.«
»Wir werden auch etwas für sie tun«, erwiderte seine Frau bestimmt. »Wir haben ja bereits auf der Fahrt nach Braunschweig darüber gesprochen. Am besten wird es sein, wenn Felicitas zu uns nach Tegernsee kommt. Schau sie dir an. Richtig elend sieht sie aus und ich bin überzeugt, wenn man sie sich selbst überläßt, wird sie noch völlig vor die Hunde gehen.«
»Leicht wird es nicht sein.«