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Eine Träne im Wasser. Ein Splitter im Herzen. Ein verwunschener Prinz. Als der Spiegel ihrer Großmutter zerbricht, verliert Leonie mit der Erinnerung an sie auch den letzten Halt in ihrem Leben. In der Schule nur als Brillenschlange gehänselt und verlacht, hat sie längst aufgegeben dazugehören zu wollen. Ihr bleibt nur eine Möglichkeit, mit allem fertig zu werden. Eine beschissene Möglichkeit, wie Fynn meint. Nur kann er ihr gerade keinen guten Rat geben, weiß er ja selbst nicht einmal, warum er sich in Leonies Aquarium wiederfindet. Nur noch 20 cm groß mit glitschiger, kupferfarbener Haut und seltsamen Wucherungen dort, wo eigentlich sein Hals sein sollte, werden die zehn Quadratmeter ihres Zimmers seine neue Welt. Bevor er das Rätsel seiner Verwandlung allerdings lüften kann, enthüllt eine blutige Scherbe ihm Leonies bitteres Geheimnis. Nun hat er die Wahl: Will er weiter in Selbstmitleid baden, oder wird er die helfende Hand, die Leonie braucht? Froschkönig trifft Schneekönigin. Im Axolotlkönig spinnt die Autorin Sylvia Rieß die Elemente zweier weltbekannter Märchen in einer witzig-modernen und zugleich düsteren Romanze zusammen, die uns zeigt, wie wichtig es ist, die Welt manchmal mit anderen Augen zu sehen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Sylvia Rieß
Der Axolotlkönig
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Axolotlkönig
Widmung
Prolog
1.
2.
Impressum tolino
Der Axolotlkönig
oder der kupferne Fynn
von
Sylvia Rieß
frei nach einem Märchen der Brüder Grimm
Für alle Leonies dieser Welt.
Die junge Frau mit der Haut wie geschmolzene Nougatcreme muss für sich feststellen, dass sie das alles gar nicht mehr wirklich gewohnt ist.
Die stickig-schwüle Feuchtigkeit in der Hütte treibt ihr Schweißperlen auf die Stirn, obwohl der Regen draußen gerade eigentlich für Abkühlung hätte sorgen sollen. Salzige Tropfen suchen sich den Weg zwischen den ebenholzfarbenen Brauen entlang den breiten Nasenrücken hinab und verirren sich auch von ihrem Nacken aus zwischen die Schultern.
Dort fangen sie sich im Nylongewebe des Sporttops und erinnern sie daran, dass es eine dumme Idee war, diese Kleidung zu wählen. Doch in den traditionellen, bunten Baumwollroben fühlt sie sich schon lange nicht mehr wohl. Keine Identität mehr für sie, bloß noch eine Verkleidung.
Ungeduldig wandern ihre Augen jetzt durch das schummrige Zwielicht der Hütte. Kurz streifen sie das frisch ausgeweidete Huhn auf dem Tisch. Die Gedärme liegen in einer Schale daneben. Der Geruch von Blut schwängert die Luft. Sie wendet sich ab.
„Was willst du hier, wenn dich das alles doch nur noch anwidert?“, fragt aus dem Dunkel des hinteren Raumes eine Stimme in schnellem, verwaschenem Französisch.
Die junge Frau muss über die Antwort lange nachdenken, ballt dabei die Fäuste um den Brief, den sie mitgebracht hat.
Eigentlich hat die Alte Recht. Eigentlich will sie nicht hier sein. Diese ‚Wurzeln‘, dieses Erbe, was ihr Gegenüber einst in ihr sah, das ist ihr kein Stück mehr vertraut, stößt sie nur noch ab.
Durch das zerknüllte Papier spürt sie allerdings die kleine Scherbe, die darin eingewickelt ist. Sie presst die Finger so fest zusammen, dass die Enden sich langsam in ihre Haut bohren.
Bevor sie jedoch hindurchschneiden können, hebt sie die Hand und lässt das Schriftstück mit seinem Inhalt auf dem Tisch neben die Teile des zerlegten Huhns fallen.
„Ich kenne jemanden, der dringend deine Hilfe braucht.“
Ihr klares, beinahe akzentfreies Englisch zerschneidet die dicke Luft und sie spürt förmlich, wie die Spannung zwischen ihr und der Alten wächst.
Diese macht keine Anstalten, von ihrer Waschschüssel mit Linsen wegzukommen und sich den Brief auch nur anzusehen.
„Viele Leute da draußen bräuchten sie“, entgegnet sie abweisend.
„Bon Maman“, bittet die Jüngere besänftigend und schiebt den Zettel in ihre Richtung, „sie ist ein Kind. Sie ist verzweifelt und allein, und wenn du ihr nicht hilfst, dann weiß ich nicht, wo sie Halt finden soll.“
Die Alte erhebt sich; gemächlich, langsam. Sie tritt an den Tisch, wischt die nassen Finger an ihrer bunten Schürze trocken. Sie sind dunkler, viel dunkler als die der jüngeren Frau.
Kurz begegnen sich die schwarzen und die schokoladenbraunen Hände, als die Alte den Brief entgegen nimmt. Sie wickelt ihn zunächst auseinander und lässt ihn dann achtlos fallen. Die kleine Scherbe hingegen, die darin verborgen war, dreht sie lange in der Hand hin und her.
„Ich weiß jetzt, warum du zu mir kommst“, sagt sie knapp. „Ist das ein Stück von dem, was sie verletzt hat?“
Die Jüngere nickt.
„Und das ...“, sie hebt den Brief hoch, hält ihn falsch herum.
„Darauf sind erst vor Kurzem ihre Tränen gefallen. Die brauchst du doch für den Zauber.“
Nun nickt die Alte.
„Und der Name?“, will sie als letztes wissen.
Die Jüngere druckst herum. Die schwarzen Augen ihres Gegenüber nageln sie allerdings fest.
„Sie nennt sich selbst ‚GhostGirl‘ in einem Internet-Forum. Das müsste doch reichen. Oder?“
Ohne ein weiteres Wort schleudert die Alte alles zurück auf den Tisch. Hühnerblut spritzt auf den zerknüllten Zettel und benetzt auch die Scherbe.
„Oma, bitte!“, platzt es aus der Jüngeren heraus. „Bitte, du musst ihr einfach helfen.“
„Du hast nichts gelernt! Du weißt, es ist gefährlich ohne den Namen. Den richtigen Namen.“
„Aber …“
„Kein Aber. Du weißt, was passieren kann.“
„Wenn du es nicht tust, werde ich ...“
„Gar nichts wirst du! Dafür habe ich dir die alten Lehren Ezilis nicht beigebracht. Du könntest alles nur noch schlimmer machen.“
Die Jüngere sieht das Zittern, das durch die Hände der alten Frau läuft. Sie weiß, das geschieht nur, wenn diese Angst hat.
Es macht sie wütend. Ihr Leben lang hat die Großmutter diese Zauber gesprochen; für so viele. Immer hatte sie sie einweihen wollen; verlangt, dass sie ihr Erbe antrete. Doch jetzt, jetzt, wo sie freiwillig kommt, obwohl sie doch schon so lange draußen ist aus all dem Elend und der Armut und dem Aberglauben, jetzt traut sie sich auf einmal nicht!
„Wenn du dir zu fein dazu bist, es für eine Weiße zu tun, also schön, dann werde ich selbst den Zauber sprechen.“
Sie klaubt die Sachen wieder vom Tisch, tritt durch den Vorhang aus gewebten Bananenblättern, lässt die stickige Luft und den Geruch nach Schweiß und Blut hinter sich.
„Nicht, Cecille!“, hört sie es noch hinter sich, „Du weißt nicht, mit was du dich da anlegst.“
12. November
Fynn
Ich sprinte die Stufen hinauf, um noch rechtzeitig in die Aula zu kommen. Wir haben heute Vorspielen für das Schulfest nächsten Monat. Ausgerechnet da muss ich zu spät sein! Die Jungs werden mich steinigen.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, bemerke ich zu spät, dass mir jemand entgegen kommt. Wir rumpeln frontal zusammen. Ich kann mich gerade so noch abfangen. Sie knallt hin. Als ich mich umdrehe, um mich zu entschuldigen, sehe ich, dass es nur Brillenschlange ist.
„Pass doch auf, Mensch!“, fahre ich sie genervt an, dann haste ich weiter.
Völlig außer Atem komme ich in die Aula, wo Jonas zu erklären versucht, wo ich stecke.
„Alles cool, bin schon da“, keuche ich, werfe ein gewinnendes Lächeln in die Runde und schwinge mich mit einem lässigen Satz auf die Bühne.
Bis eben haben meine Beine gezittert und mein Herz raste wie ein Dampfkraftwerk. Jetzt streife ich den Gitarrengurt über die Schulter, trete vors Mikro und der Scheinwerfer trifft mich. Augenblicklich werde ich ruhiger. Das hier ist mein Element.
Ich höre wie Marv den Takt vorzählt.
„A one, a two, a one, two, three.“
Jonas haut in den Bass und ich in die Saiten meiner E-Gitarre. Dann rocken wir die Hütte.
Ich bin übrigens Fynn, Schüler der 10d am Goethe Gymnasium in … Ach egal! Das Provinzkaff kennt eh keiner. Hier will niemand wirklich bleiben und eines Tages gehe ich ohnehin nach Hollywood.
Woher ich das weiß? - Hatte ich schon erwähnt, dass ich Fynn bin? Der Fynn Kaiser. Der hipste Junge in der Stadt. Leadsänger und Gitarrist der 'Shattered Mirrors', der coolsten Band, die diese langweilige Schule je gesehen hat?
Dass wir super sind, brauche ich nicht extra zu erwähnen, oder?
Unser Musiklehrer hat gemeint, wir sollten mal bei 'Germany's got Talent' oder was ähnlichem auftreten. Unsere Songs sind selbst geschrieben. Unsere Musik ist echt und griffig. Nicht das übliche Popgesülze, das im Radio rauf und runter läuft.
Obwohl ich eben noch aus der Puste war, treffe ich jeden Ton. Ich sehe die Lehrerinnen im Publikum schmelzen. Selbst unser Direktor wippt mit dem Fuß im Takt mit. - Der Auftritt ist genehmigt, das weiß ich jetzt schon.
Wir beenden den ersten Song. Dann kommt der zweite, er ist gefühlvoller. Ich habe ihn extra geschrieben, um die Mädels zu beeindrucken. Man glaubt gar nicht, was man damit so alles erreichen kann. Sogar Cilly, die zwei Stufen über mir ist, hat nach einem Konzert in unserer Garage schon mit mir rumgeknutscht. Ich wette, das hätte sie nicht, wenn ich nur so ein Typ aus der Zehnten wäre.
Aber wie ich schon erwähnte, bin ich Fynn Kaiser. Mein Vater ist CEO von Kaiser Designs.
Opa war mal einfach ein kleiner Förster, der das Glück hatte, nicht beim Staat sondern in der boomenden Holzindustrie zu landen. Heute handeln wir mit Tropenhölzern und haben neben einer gut gehenden Designer-Möbelkette auch einen Vertrag mit einem Autowerk für Nobelflitzer, das von uns Echtholz-Innenarmaturen bezieht. In einem Wort: Mein Vater ist stinkreich.
Da er selbst auch so ein, zwei dieser schicken Karren bei uns rumstehen hat, ist unsere Garage an sich schon der Burner. Dort Konzerte zu geben ist das Jahreshighlight für jeden. Da wir aber nicht blöd sind, laden wir nicht jeden ein. Da wird der Hype gleich dreimal größer.
Das Einzige, was bisher noch nicht geklappt hat, war, uns auf Youtube bekannt zu machen.
Ich weiß nicht, wie diese Newcomer-Talente das machen, von einem auf den anderen Tag eine Million Klicks zu haben. Wir haben es mit 'Born to party' bisher nur auf dreitausend gebracht. Ich muss die Jungs dringend überreden, dass wir 'Soulmate' aufnehmen und online stellen. Das ist zwar nicht ganz unser Stil - weil so schnulzig - aber es ist viel mehr Mainstream. Das gibt bestimmt mehr Likes. - Und dann, dann werde ich endlich berühmt!
Das Licht in der Aula geht wieder an, es gibt Applaus, die Lehrer stehen sogar auf.
„Na geht doch, oder?“, raune ich Jonas und Marv zu.
„Ja, aber du hast es fast verkackt, weil du nie pünktlich sein kannst. Was war denn diesmal los? Dein Alter schon wieder?“
Darauf verfinstert sich meine Miene und ich nicke.
„Ja, mein Alter.“
Kaum haben wir unseren Kram von der Bühne geräumt, damit die Theaterfreaks mit ihren Proben anfangen können, verschwinde ich in Richtung der Toiletten. Ich schließe mich in einer der Kabinen ein und hole erstmal tief Luft.
Ich bin froh, dass wir das jetzt hinter uns gebracht haben. War eigentlich von vornherein abzusehen, dass wir spielen dürfen. Aber der Direktor macht immer einen Aufriss wegen der Formalitäten. Immer muss er raushängen lassen, dass er in allen Entscheidungen das letzte Wort hat. - Klar, wenn man daheim die Hosen schon nicht anhaben darf.
Dennoch bin ich nicht ganz so cool, wie ich nach außen hin wohl immer wirke. Grade nicht nach dem Auftritt, den mein Dad daheim wieder hingelegt hat. Sturzbetrunken, das Whiskyglas noch in der Hand; - dass es ein Dalmore Jahrgang 64 war, hat es nicht besser gemacht.
Kotze wegwischen noch vor dem Frühstück. Brauche ich unbedingt!
Und umziehen musste ich mich dann auch noch mal. Mann, Mann, Mann. Ich bin doch nicht sein Kindermädchen. Ich hoffe, er pennt einfach, bis ich heute Nachmittag wieder da bin.
Mit zitternden Fingern ziehe ich eine Zigarettenschachtel aus der Tasche. In der Schule darf nicht geraucht werden. Es tun trotzdem alle. Aber ich sollte mich nicht erwischen lassen. Hab schon zwei Verwarnungen. Bei der nächsten muss ich für vier Wochen die Schulklos putzen.
Fällt mir ja im Traum nicht ein!
Ich stecke die Zigarette an. Huste kurz beim ersten Zug, doch merke ich gleich, wie es mich beruhigt.
Ich bin jetzt kein Dauerraucher. Eigentlich paffe ich bloß; will mir ja die Lunge nicht ruinieren. Aber irgendwie brauch ich das manchmal, grade an 'nem Tag wie heute.
Nach außen müssen wir natürlich ein tadelloses Image pflegen. Auf qualmende Schmuddelrocker steht keiner mehr. Nein. Am besten sollte man ein tierlieber Öko sein, der in seiner Freizeit Elefantenbabys rettet.
Naja, vielleicht such ich mir eine entsprechende Beschäftigung, wenn ich wirklich mal berühmt geworden bin.
Ich höre die Unterrichtsglocke schellen. Dann quietscht die Tür. Hastig werfe ich die Zigarette in die Kloschüssel.
„Fynn? Bist du hier drin?“, meldet sich Marv.
Ich atme erleichtert aus und will ihm antworten, da passiert mit einem Mal etwas Seltsames.
Mir wird erst eiskalt und dann heiß. Etwas in mir zieht sich zusammen. Ein helles Klirren ertönt in meinem Kopf. Irgendwie riecht es nach Regen und muffiger Erde und Blut. Dann ist mir, als würde ich plötzlich keine Luft bekommen. Für Momente glaube ich, in einen schummerigen Raum zu blicken. Schwarze Augen aus einem dunklen Gesicht starren zurück. Erschrocken stolpere ich rückwärts, verliere den Halt, stürze und drehe mich ein paar Mal um mich selbst. Dann macht es 'platsch'.
Als ich wieder zu mir komme, bin ich pitschnass und schwimme in einer riesigen Wasserlache. Um mich her ist alles weiß. Wände, Boden, Decke - alles weiß.
Ich drehe mich verwirrt um. Ich will etwas sagen. Ich höre nur: „Blubb!“
Neben mir schwimmt ein Zigarettenstummel von gigantischem Ausmaß vorbei.
Ich will mir die Augen reiben, weil ich zu träumen glaube. Doch da, wo meine Arme waren, sind jetzt seltsam wachsartige Stummel mit kleinen Händchen und Schwimmhäuten zwischen den Fingerchen.
Ich schreie auf.
„Blubb!“
Ich glaube ich spinne. Nein, denke ich mir. Ruhig Blut. Du bist einfach umgekippt. Kommt schon mal vor bei Stress, und jetzt hab ich grade den abgefahrensten Traum überhaupt.
Ich mache die Augen zu. Zähle bis zehn.
„Blubb, Blubb, Blubb, Blubb, Blubb, Blubb, Blubb, Blubb, Blubb, Blubb.“
Als ich die Augen aufmache, bin ich immer noch in dem weißen Raum mit dem Wasser.
So langsam wird mir klar, dass es die Toilettenschüssel von innen sein muss. Die Zigarette schwimmt auch weiterhin neben mir.
Ich schiele nach oben und mein Blick bleibt kurz unter dem Rand hängen. Angewidert drehe ich mich weg. Für das, was da hängt, habe ich keine Worte, und die Kotze von heute Morgen scheint mir fast schon appetitlich.
Vermutlich hätte ich mich auch übergeben, wenn das in meinem momentanen Zustand möglich wäre. Doch außer einem Kribbeln in Körperteilen, die wie kleine Äste seitlich aus meinem Kopf herausragen, spüre ich gar nichts.
Verdammte Scheiße! Was geht hier eigentlich vor sich?!
Bevor ich allerdings weiter nachdenken kann, höre ich, wie sich erneut die Tür öffnet. Eine Stimme plärrt herum, die ich trotz der Verzerrung durch das Wasser eindeutig als Herrn Bochs identifiziere.
„In der Schultoilette wird nicht geraucht!“
„Ha..ha...ha...hab ich auch gar nicht“, stottert Marv.
Doch Herrn Bochs Geruchssinn kann man nicht täuschen. Ich höre, wie die Tür zu dieser Kabine aufgerissen wird, und er will anklagend auf den Stummel deuten, der als Corpus delicti in der Schüssel schwimmt, da fällt ihm die Kinnlade runter.
Aus meinem neuen Blickwinkel sieht das noch dämlicher aus als sonst. Ich gluckse vor mich hin. „Blubbblubbblubb!“
„Was ist das für ein Vieh?“, entfährt es Marv, der neugierig an die Schüssel herangetreten ist und mich beäugt.
Das hätte er besser nicht gemacht, denn Herr Boch haut ihm deftig eins auf den Hinterkopf.
- Ja, körperliche Züchtigungen sind in der Schule eigentlich verboten, … aber das ist noch nicht bis zu jedem unserer Pädagogen vorgedrungen.
„Als ob du das nicht wüsstest!“, staucht der Boch Marv zusammen und beschuldigt ihn: „Gib zu, du hast versucht, den armen Lurch hier zu ersäufen.“
Ein wenig angewidert, aber entschlossen, krempelt Boch seine Ärmel bis zum Pullunder hoch und angelt dann mit seinen dicken, kurzen Fingern ungeschickt nach mir. Als er mich schließlich in den Händen hält, grinst er zunächst triumphierend. Doch schon im nächsten Moment tritt panische Erkenntnis in seinen Blick und er sieht sich hastig um.
Ich selbst merke schon, dass mir das Außerhalb-des-Wassers-Seins nicht halb so gut bekommt wie die ekelige Toilettenbrühe. Meine Kiemen schreien nach Luft. - Eigentlich total paradox.
Herr Boch hastet mit mir in seinen Fingern durch die Gänge bis zur Rumpelkammer, holt einen Eimer und lässt frisches Wasser ein. Erleichtert tauche ich darin unter, als sein Griff mich schließlich wieder freigibt.
„Was ist das denn?“, höre ich nun immer mehr aufgeregte Stimmen um mich herum.
Dann schiebt sich ein Gesicht mit roten Bäckchen und einer riesigen Hornbrille über den Eimerrand.
„Ambystoma mexicanum“, sagt die Brillenschlange altklug.
„Das ist ein Axolotl. Sie gehören zur Gattung der Schwanzlurche.“ - Als wär sie Scheiß-Wikipedia. - „Sie sehen auch im Erwachsenenalter wie Larven aus, weil sie nicht die für Amphibien typische Metamorphose durchmachen.“ - Japp, original Wikipedia! -
Ich sehe mich derweil in ihren dicken Brillengläsern und bin fasziniert von meinen schwarzen Knopfaugen, meiner kupfern schillernden Haut und dem breiten Maul, mit dem ich aussehe, als würde ich in einem fort grinsen. Dabei ist mir so ganz und gar nicht danach.
Axo … was bitte? Schwanzlurch? Ich? Wie konnte das passieren?
All diese Fragen schießen mir auf einmal durch meinen Kopf, während ich mir über eine Sache ziemlich sicher bin: Ich mag nicht die 'für Amphibien typische Metamorphose' durchgemacht haben, aber wenn das keine Metamorphose war, weiß ich es auch nicht!
Eine gute Stunde später, die sich der arme Marv vor dem Co-Rex und dem Direx erklären musste, obwohl er mit dem 'Amphib in den Toilettenräumlichkeiten', wie es im Protokoll jetzt offiziell lautet, nichts zu tun hat, ist entschieden, was mit mir passieren wird.
Herr Boch hatte ins Auge gefasst, ein Aquarium in der Eingangshalle einzurichten, um mich - quasi als Mahnmal - allen Schülern zu präsentieren, die nochmal auf die dumme Idee kommen könnten, ungeliebte Haustiere im Klo ertränken zu wollen.
Gott sei Dank wird daraus nichts. Ich hätte mir nichts Schlimmeres vorstellen können, als den ganzen lieben langen Tag in der Halle unten meine Runden schwimmen und das blöde Anschlagbord begutachten zu müssen. Außerdem wäre ich dann der fürsorglichen Pflege von Bio-Boch anheim gefallen, und der ist dafür bekannt, dass er sogar die Petersilie im schuleigenen Kräutergarten zum Welken gebracht hat – im verregnetsten Sommer seit Beginn des dritten Millenniums!
So bin ich seinen Stummelfingern zwar entkommen, doch die Alternative erscheint mir auch nicht wirklich verlockend.
Da Brillenschlange die Einzige zu sein scheint, die halbwegs etwas mit mir anzufangen weiß, und auch noch erwähnte, dass sie zwei 'Lotl' wie mich schon daheim hat, hat Direktor Berger mich kurzerhand ihr überlassen.
Super!
Leonie Kallenbach, mit vierzehn die Jüngste in der Klasse, die braunen Spaghettihaare immer zu Zöpfen geflochten, immer im Alternativlook mit Stulpen bis zu den Ohren, selbst im heißesten Hochsommer, ist so ziemlich der letzte Mensch, in dessen Zimmer ich den Rest meines Amphibiendaseins verbringen will. - Obwohl - besser als der Bio-Boch.
Aber allein, dass ich das denke, beweist mir, wie sehr ich noch immer unter Schock stehe. Erst so langsam beginne ich zu realisieren, wie bescheuert das ist.
Hallo?!
Ich, ein Amphib?
Ich, Fynn Kaiser, Fynn Legend, der größte Rockmusiker des nächsten Jahrzehnts, soll in einem Glaskasten bei Brillenschlange den Rest meines erbärmlichen Lurchidaseins fristen?
Das kann doch nicht angehen!
Wie ist das überhaupt möglich?
Ich merke, wie mir die Luft - äh das Wasser - im Eimer auf einmal zu dünn erscheint. Ich beginne mich an den pinken Wänden entlangzuschrauben wie ein durchgedrehter Brummkreisel und denke nur: 'Hilfe. Hilfe! Ich will wieder aufwachen.'
Doch das Erwachen kommt nicht.
Dafür höre ich nach gut einer halben Stunde, die ich, in meinem Eimer schwimmend, unter einem Bussitz zwischen den Beinen einer schweigenden Brillenschlange eingeklemmt war, einen erleichterten Seufzer.
Sie springt hastig auf, greift nach meinem Eimer. Er gerät ins Wackeln. Wasser schwappt über, ich fast mit.
Ich werde durch die Luft gewirbelt. Wieder schreit mein Lurchgehirn aufgrund des akuten Sauerstoffmangels auf. Ich gerate gefährlich nah an den rosa Plastikrand, sehe mich schon unter den Füßen lärmender Fünftklässler zertreten werden, die schnatternd den Bus verlassen. Da fängt Brillenschlange mich in letzter Sekunde auf.
Dann ruckt es nochmal. Der Bus hat angehalten. Brillenschlange ist mit mir im Eimer als erstes an der Tür und springt raus. Ich höre, wie ein paar aus unserer Stufe ihr noch etwas hinterherrufen. Doch bis ins Wasser dringt der genaue Wortlaut nicht durch.
Wir sind ungefähr zehn Minuten unterwegs, dann vernehme ich das Quietschen einer rostigen Gartentüre und sehe den Schatten einer Haustür über mir. Ein Schlüssel wird gedreht und wir betreten einen hellen Flur, der oben unter der Decke eine stilvolle grüne Musterborte hat.
„Bin zuhause!“, ruft Brillenschlange scheinbar ziellos in die Räume.
Es kommt keine Antwort. Aber sie hat offensichtlich auch keine erwartet, denn ohne Zeit zu verlieren schleppt sie mich ein paar Stufen hinauf.
Der obere Flur ist ebenfalls hell und, soweit ich das aus meinem eingeschränkten Blickwinkel beurteilen kann, modern eingerichtet. Dann öffnet sie eine weitere Tür und ich habe das Gefühl, dass schlagartig Nacht geworden ist.
Die Wände dieses Zimmers sind in dunklem Violett gestrichen. Es hängen Poster daran von Heath Ledger und ... meine Fresse! - Kurt Cobain ist doch so was von out!
Auch Amy Winehouses überschminktes Gesicht blitzt mich aus der Ecke an. Dazu ein paar düster aufgemachte Bilder von solchen alternativen Mittelalter-Punkrockbands.
Schauderhaft!
Ich werde zu einer kleinen Kommode getragen, die irgendwas zwischen antik und schäbig ist. Darauf steht ein Aquarium. Das einzige beleuchtete, helle und freundliche Objekt im ganzen Raum. Brillenschlange fischt mich aus dem Eimer und lässt mich dann in das Becken gleiten.
Es ist ungefähr einhundert auf fünfzig mal fünfzig Zentimeter lang, tief, hoch. Das also ist nun mein neues Zuhause. Dazu fällt mir nur eins ein: „Blubb.“
Fynn
Nach dem Umbetten in mein neues Heim habe ich wohl erstmal so was wie einen Blackout gehabt. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, außer daran, dass ich in einer Ecke zwischen ein paar Pflanzen saß und immer nur im Kopf vor mich hin wiederholte: ‚Das darf nicht wahr sein. Das kann nicht wahr sein. Das ist alles ein schlechter Traum.‘
Dass es das nicht ist, davon bin ich überzeugt, als ich Dick und Doof kennenlerne. - So taufe ich spontan die anderen beiden Axolotl, die nun auf mich zu geschwommen kommen.
Der eine scheint mich für einen Stein zu halten, denn er stößt mich nur kurz an und schwimmt dann wieder weg. Der andere meint wohl, ich wäre ein fetter Nachmittagsimbiss. Er verbeißt sich direkt herzhaft in meiner rechten Kieme und ich muss mich ganz schön schütteln und wehren, bis ich ihn loswerde.
„Hallo Brillie!“, versuche ich zu rufen.
Die dumme Schnalle muss doch mitkriegen, dass mich ihr dumpfbackiges Haustierchen massakriert. Die kann mich doch nicht neu dazu werfen und dann nicht gucken!
Ich schaffe es vor Dickundhungrig zu fliehen und erhasche einen Blick auf Brillenschlanges Schreibtisch, der direkt neben dem Aquarium steht.
Sie sitzt davor, hat uns den Rücken zugedreht und hämmert mit den Fingern wie eine Bekloppte auf ihrer Tastatur rum.
So ein hohle Nuss!
Ich dachte, sie hat aus Intelligenz zwei Klassen übersprungen. Das hier ist nicht gerade ein Beweis für einen genialen Geist. Wie kann Facebook denn bitte wichtiger sein als ich?
„Hallo, ich bin dein neues Haustier!“
Ich trommle mit meinen Stummelärmchen gegen das Glas und konzentriere mich dabei einen Augenblick nicht auf das Wasser hinter, über oder unter mir und schwuppdiwupp, schon ist wieder der Dicke da.
Ich vermute fast, es liegt daran, dass ich eine andere Farbe habe, als die beiden. Sie sind pink mit dunklen Knopfaugen und sehen aus wie blasse Clowns.
- Wenn ich bis heute noch keine Clownphobie hatte, dann spätestens jetzt. Danke Schicksal! -
Zu meinem Glück sind die beiden aber nicht die einzigen Bewohner meines Glasgefängnisses. Es gibt auch noch einen blauen Krebs.
Als Dickerchen zum dritten Mal versucht, mich anzuknabbern, kommt er angeschwommen und wirft sich dazwischen. Vor seinen Scheren hat die rosa Dumpfnase offensichtlich Respekt, denn er zieht erst einmal ab.
Den Krebs taufe ich derweil Jaques. Irgendwie sieht er französisch aus, finde ich. Außerdem hält er vornehm Abstand zu mir; immer drei Schritte, nie näher dran, nie weiter weg. Dabei beäugt er mich mit scheelem Blick.
Das verschafft mir Zeit zu verschnaufen und meine lädierten Kiemen einer genaueren Inspektion zu unterziehen. Ich stelle fest, dass an einer Stelle ein Stück fehlt und es blutet. Es tut sogar weh.
Ich wusste gar nicht, dass Amphibien Schmerzen spüren können. Aber offensichtlich können sie. Und hungrig können sie auch werden. Superhungrig!
Durch den verkorksten Start in den Tag dank meines Dads hatte ich ja nicht mal Frühstück. Ich hoffe Leonie kommt bald mal von ihrem dummen PC weg und füttert uns.
Was fresse ich jetzt eigentlich so?
Ich sehe mich im Aquarium um. Der Boden besteht nicht aus Sand, wie ich es irgendwie erwartet habe, sondern aus glatten, runden Perlchen, die eher nach Deko als nach artgemäßer Einstreu ausschauen. Es gibt ein paar Pflanzen und Kunststeine, um sich darunter zu verstecken. In einer Ecke steht eine kitschige Schatzkiste, in der Glasedelsteine und ein Ring liegen. Der sieht aus wie aus einem Kaugummiautomaten.
Vorsichtig schwimme ich zu der Scheibe, durch die ich Leonie über die Schulter sehen kann. Sie tippt noch immer. Dann aber sind plötzlich Schritte aus dem Flur auf der Treppe zu hören. Leonies Finger halten über der Tastatur inne. Sie lehnt sich zurück und ich kann zum ersten Mal auf das Dokument schauen, das sie offen hat.
Mit dem Maul an der Scheibe klebend lese ich:
„12. November im beschissensten Jahr meines Lebens
Mama musste heute weg. Nach Hamburg. Nur für ein paar Tage, hat ihr Chef gesagt. Aber das können schnell auch mal zwei Wochen werden.
Ich soll brav sein, hat sie gesagt, und Papa keinen Ärger machen. Der hat so viel zu tun wie noch nie zuvor.
Dabei weiß ich das. Ich bin ja kein Baby mehr. Sie braucht es nicht immer extra zu sagen.
In der Schule war es grausam - wie immer. Mein Aufsatz in Deutsch ist ne glatte Eins geworden. Jetzt muss ich mich wieder tagelang Streber nennen lassen und das hässliche Bild von mir und der Brille wird auch wieder die Runde auf Facebook machen.
Ich überlege, ob ich die nächste Hausarbeit einfach mal nicht abgebe. Ich kann die Kommentare bald nicht mehr hören. Vor allem, weil wirklich jeder in der Klasse mitmacht.
Ich hasse sie! Vor allem Stacey. Sie ist die Schlimmste. Aber die Lehrer machen ja auch nichts.
Inkompetente Idioten.
Kein Wunder, dass Papas Praxis bis unters Dach voll ist mit Kindern, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen.“
Leonie scheint ihr Geschriebenes auch noch einmal gelesen zu haben und ist wohl wild entschlossen, den Ergüssen ihrer Seele weitere Zeilen hinzuzufügen, als es an die Tür klopft und eine tiefe Männerstimme zu hören ist.
„Leo?“
Entnervt schiebt sie den Stuhl zurück, macht aber keine Anstalten aufzustehen.
„Was?“, fragt sie und dreht sich in Richtung Tür um.
Dabei lehnt sie sich soweit vor, dass ich jetzt auch das Fenster neben dem Textdokument einsehen kann. Es ist ihr Facebook-Profil. Unter dem Nachrichten-Globus in der Ecke rechts hängt ein rotes Fähnchen mit einer Achtundzwanzig und drei neue Privat-Nachrichten sind eingetroffen.
„Scharfes Bild“, hat eine 'Vi Cky' kommentiert und eine 'Ana Stacia' schreibt: „Mit den Bauklötzen vorm Gesicht wohl eher unscharf.“
Das Foto dazu kenne ich. Das kennt jeder in der Klasse. Es ist schon gut ein halbes Jahr alt. Darauf sieht man im Vordergrund zwei süße Mädels, die einen Kussmund machen. Die eine hat langes, glattes, nachtschwarzes Haar und betörend blaue Augen. Das ist Stacey. Die andere ist blond. Staceys beste Freundin Carlotta. Im Hintergrund sitzt unser Streberlein mit ihrer Lesebrille und den obligatorischen Zöpfen. Außerdem verzieht sie grade das Gesicht ganz komisch, ich weiß nicht mal mehr warum. Vielleicht hatte sie in einer Deutscharbeit mal nur eine Zwei Plus geschrieben. Auf jeden Fall war es so gut, dass Marv das einfach für die Ewigkeit festhalten musste.
'Vom Streberlein gefotobombt. #Brillen-schlange', steht drunter. *grusel*, hat Stacey kommentiert.
Ich kichere. Luftblasen steigen auf. Die tiefe Männerstimme fragt gerade zum dritten Mal, ob sie reinkommen darf. Doch Brillie ignoriert es völlig und klickt die übrigen Kommentare durch. 'Heute schon ein blödes Gesicht gemacht' oder 'Habe deine schicke Brille vermisst' steht da. Auch der Rest ist in einem ähnlich sarkastischen Tonfall gehalten und nach der vierzehnten dummen Bemerkung über ihre Brille, vergeht selbst mir das Glucksen.
Sie beendet Facebook mit einem unsanften Schlag auf die rechte Maustaste, schiebt sich vom Bildschirm weg und springt auf. Unauffällig wischt sie sich mit den Stulpen übers Gesicht und greift nach der Klinke. Dann kommt sie aber nochmal zurück und schließt das Dokument, in dem sie gerade geschrieben hat, bevor sie mit einem genervten Augenrollen auf den Flur tritt.
Der Raum ist leer und ich kann nun auch auf den Rest des Bildschirms schauen, wo noch zwei offene Fenster nebeneinander hängen. Da ich eh gerade nichts Besseres zu tun habe, schwimme ich so dicht es geht an die Scheibe und lasse meine schwarzen Knopfaugen zu einem davon huschen. Axolotl-Freunde-Forum kann ich in Knallgelb auf grünem Hintergrund lesen.
Ach du Scheiße! Es gibt da hunderttausend verschiedene Threads mit nur einem einzigen Thema: Schwanzlurche.
Ich habe das dringende Bedürfnis mir mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen. - Doch nein, geht ja nicht. Arme zu kurz.
Als nächstes frage ich mich, was man denn wirklich so den lieben langen Tag über meinesgleichen zu berichten hat.
Ich wende den Kopf zu Dick und Doof, die mit den dauergrinsenden Schnauzen auf den Kügelchen am Boden kleben und irgendwelche braunen Pellets inhalieren. Besonders unterhaltsam sieht das nicht aus. Mehr als 'meiner ist immer noch nass und glitschig' kann man da doch nicht austauschen.
Ich starre wieder den offenen Thread an. Er enthält jede Menge Fotos. Wohl alles die Tierchen von Forumsmitgliedern. 'Lotl' nennen die Spinner sie in der Verniedlichung und geben ihnen sogar Namen. Eigentlich interessiert mich das alles nicht, doch dann bemerke ich schnell, dass sie alle irgendwie unterschiedlich aussehen.
Manche sind dunkel, fast schwarz, andere gescheckt und wieder andere sehen aus, als hätten sie sich nicht entscheiden können, was sie eigentlich sein wollen, weil die rechte Körperhälfte anders aussieht als die linke.
'„Flecki“, Harlekin' steht unter einem Bild von einem Axolotl der weiß mit schwarzen unregelmäßigen Tupfen ist. Ein anderer, goldfarbener heißt „Maya“ und der optische Zwilling dazu „Willi“. 'Goldalbino' ist hinter beiden vermerkt.
Ich suche die Bilder durch, doch finde auf Anhieb nur einen, der so aussieht wie ich. Ebenfalls mit rostroten Flecken und diesem Hauch Rosa auf der sonst hellen Haut. '„Smaug“, Copper' lautet der Vermerk unter dem Bild.
Ich staune nicht schlecht. Ich habe mich also nicht nur in eine Spezies verwandelt, um deren Existenz ich bis vor wenigen Stunden nicht einmal wusste, ich bin offensichtlich auch noch eine Farbrarität.
Ha! Selbst so ein dummer Hokuspokus kann nichts daran ändern, dass ich einfach immer etwas Besonderes sein werde. - Ich, Axolotl-Fynn, ein Copper!
Meine Euphorie über die Entdeckung verfliegt aber schnell wieder, denn mehr als 'Blubb' sagen, kann ich damit immer noch nicht.
Wäre ich ein Meerschweinchen oder ein Hamster, dann hätte ich nicht nur süße Knopfaugen und Flauschefell sondern auch scharfe Zähne und könnte mich aus meinem Käfig herausnagen. Selbst als Frosch würde es mir besser gehen, denn dann wäre ich nicht auf das Wasser angewiesen und könnte irgendwie entkommen, um … Ja, um was eigentlich zu tun?
Ich habe keine Ahnung, was da vorgefallen sein könnte, und somit auch keinen Plan, wo ich anfangen sollte, nach einer Lösung zu suchen.
Es ist einfach zum Haareraufen!
Ach ja, stimmt! Haare habe ich ja auch keine mehr.
Dafür tun mir die Kiemen weh, da, wo der blasse Fettsack mich gebissen hat. Es blutet auch immer noch ein wenig, aber Brillie hat das noch nicht einmal bemerkt.
Ich schaue kurz zu dem zweiten Fenster auf dem Bildschirm. Noch ein Forum. Hat sie eigentlich noch was anderes zu tun, als in irgendwelchen schrägen Internet-Communities rumzuhängen?
„Schleiertänzer“ kann ich gerade noch entziffern, doch der Rest ist zu stark verkleinert.
Mit einem Blubb drehe ich mich von der Scheibe weg und gerate ins Grübeln. Am Ende dieses Tages wollte ich eigentlich mit den Jungs feiern, dass wir nen neuen Auftritt haben, und vielleicht hätte ich Stacey sogar ins Kino eingeladen. Bis zum Weihnachtskonzert wollte ich mit ihr angebandelt haben. - Hübscheres Armcandy finde ich in der ganzen Stufe nicht. - Aber jetzt sitze ich hier. Nix mit Band. Nix mit Stacey.
Ich bin etwas, was ich noch nicht so oft in meinem Leben war: ratlos.
Bisher hat sich immer irgendwie eine Lösung für alles gefunden. Im Zweifelsfall war das dicke Portemonnaie meines Alten Herrn die Antwort auf selbst ausweglos scheinende Situationen. Aber das hier, - das ist so schräg, dass ich nicht weiß, wie ich hier wieder herauskommen soll.
‚Under the sea … down there it's better, cause there it's wetter .
- Ende der Buchvorschau -
Texte © Copyright by Sylvia Rieß Schulstr.67 65594 Runkel-Steeden [email protected]
Bildmaterialien © Copyright by Sylvia Rieß
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-7393-9268-4