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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2020
Friedrich Dürrenmatt
Der Besuch der alten Dame
Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler
Von Bernd Völkl
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Eine tragische Komödie. Neufassung 1980. Zürich: Diogenes Verlag, 1998.
Lektüreschlüssel XL | Nr. 15467
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961754-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015467-0
www.reclam.de
Dürrenmatt gelang mit seiner Tragikomödie Der Besuch der alten Dame nicht nur der internationale Durchbruch als Autor; der Titel des Stücks ist mittlerweile sogar in unsere Alltagssprache eingegangen und wird für sprachspielerische Abwandlungen des DramentitelsAbwandlungen genutzt. Das kann man immer wieder an Überschriften von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften beobachten. So wurde ein Wintertief als »Besuch der kalten Dame« bezeichnet. Auch Auslandsreisen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in europäische Länder wurden gelegentlich als »Besuch der kalten Dame« angekündigt, wenn gerade die Kanzlerin als Verantwortliche für unliebsame Maßnahmen der Europäischen Union gesehen wurde.1 Eine Episode der Fernsehserie Rosenheim Cops war mit Der Besuch der jungen Dame betitelt. Auch der Bericht über einen Auftritt der jungen russischen Opernsängerin Olga Peretyatko in der Metropolitan Opera in New York im November 2017 trug den gleichen Titel.2
Der Besuch der alten Dame hat viele Leser und Zuschauer gefunden; es ist eines der meistgespielten Stücke des 20. Jahrhunderts und gilt heute als moderner Moderner KlassikerKlassiker. Es hat den Autor, der vorher unter Geldproblemen litt, zu einem reichen Mann gemacht.
Auch wenn es unverkennbar ist, dass das Stück im westlichen Europa der 1950er Jahre verankert ist, gilt es dennoch als Ein zeitloses Stückzeitlos. Man kann es als eine Parabel lesen, in der allgemeine menschliche Wahrheiten zum Ausdruck gebracht werden. Die Handlung ist leicht zu verstehen, auch die Übertragung auf die Gegenwart, auf andere Situationen oder Gesellschaften bereitet keine Schwierigkeiten. Der Besuch der alten Dame hat sich deswegen einen festen Platz als Schullektüre erobert. Es gibt nur wenige andere moderne Stücke, die sich ähnlich gut eignen, um im Unterricht besprochen zu werden. Außerdem wird Der Besuch der alten Dame gerne und häufig von Schultheatergruppen aufgeführt; Ausschnitte aus diesen Produktionen sind auf Youtube zu sehen. In den folgenden Kapiteln soll dem nachgespürt werden, was den Erfolg dieses Stücks ausmacht.
Mit der Regieanweisung vor dem Beginn des ersten Aktes und dem Dialog der namenlosen Bürger auf dem Bahnhof zeigt der Autor, dass die Stadt Güllen völlig Güllen – eine verarmte Stadtverarmt ist. Die Verbindung zur großen Welt ist praktisch abgebrochen, denn die meisten Züge rasen nur noch durch den Ort, ohne anzuhalten. Früher war Güllen ein wirtschaftlich florierender Ort und eine bedeutende Kulturstadt gewesen. Deswegen haben damals sogar die Expresszüge im Güllener Bahnhof haltgemacht.
Abb. 1: Überblick über die Handlung des ersten Akts
Die Güllener bereiten sich auf den Besuch der Milliardärin Claire Zachanassian vor, die als Klara (Kläri) Wäscher in dem Ort aufgewachsen ist. Sie hoffen, dass sie Güllen zu neuer Blüte verhilft. Sie glauben, dass sie noch zwei Stunden Zeit zur Vorbereitung haben, doch zum Erstaunen aller Einwohner hält ein D-Zug am Güllener Bahnhof. Die Milliardärin hat die Notbremse gezogen, weil sie wegen ihrer Beinprothese nicht mehr im Auto fahren kann und nicht im Bummelzug fahren will. Wegen der verfrühten Verfrühte AnkunftAnkunft können die Planungen für den Empfang nicht mehr abgeschlossen werden, und alles wirkt halbfertig und improvisiert. In den Gesprächen mit den Bewohnern deutet Claire einen möglichen Todesfall an.
Die Milliardärin lässt sich in der Sänfte vom Bahnhof in die Stadt zum »Goldenen Apostel« (S. 14) tragen. Zuvor besucht sie mit Alfred Ill die alten Besuch der alten LiebesorteLiebesorte, die Petersche Scheune und den Konradsweilerwald. Ill heuchelt ihr Liebe vor, doch Claire stellt immer wieder trocken fest, dass die heutige Wirklichkeit mit der Liebe von einst nichts mehr zu tun hat. Im Gespräch macht sie dunkle Andeutungen. Zu diesen Andeutungen passt es, dass sie neben vielen Koffern, die auf einen längeren Aufenthalt hindeuten, auch einen kostbaren schwarzen Sarg mitgebracht hat, der von zwei Dienstmännern ebenfalls zum Gasthof in der Stadt transportiert wird.
Im »Goldenen Apostel« wird die Milliardärin anschließend offiziell in ihrer alten Heimat begrüßt. Nach der verlogenen Rede des Empfang im GasthofBürgermeisters, die nur das Ziel hat, an das Geld der Zachanassian zu kommen, ist die Zeit der Andeutungen vorbei. Ganz offen klärt sie die Güllener über den Zweck ihres Besuches auf. Sie will der Stadt und ihren Bewohnern unter einer Voraussetzung eine Milliarde schenken: Nach fünfundvierzig Jahren will sie sich Gerechtigkeit kaufen. Ill soll für sein früheres Verhalten ihr gegenüber getötet werden, er wird sozusagen zum Tod verurteilt.
Ihre Begleiter stellen sich vor, zugleich erfährt man, was ihr von Ill angetan wurde. Ihr Butler war früher im Ort Oberrichter und ist später für ein immenses Gehalt in den Dienst der Zachanassian getreten. Er rollt nun den Fall wie in einem Gerichtsverfahren noch einmal auf: Vor 45 Jahren hat Grund ihres BesuchsKlara Alfred Ill angeklagt, der Vater ihres Kindes zu sein. Dies wurde von Ill bestritten, der auch noch zwei Zeugen bestochen hat, die vor Gericht beschworen haben, mit Klara geschlafen zu haben. Aufgrund dieses Meineids wurde Ill freigesprochen.
Claire hat die beiden falschen Zeugen später weltweit suchen lassen. Sie wurden gefunden und im Auftrag Claires kastriert und geblendet. Seitdem gehören sie zum Gefolge der Zachanassian. Ihre heutige Situation steht in einem skurrilen Gegensatz zu ihrem Auftreten, denn die beiden Blinden halten sich »fröhlich an der Hand« (S. 47).
Klaras Ein Fehlurteil und seine FolgenKind starb nach einem Jahr, und sie wurde zu einer Dirne. Ihre Heirat mit Zachanassian, den sie im Bordell kennengelernt hatte, machte sie zur reichsten Frau der Welt. Nun will sie also Ill für das einstige Unrecht zur Rechenschaft ziehen und setzt ein hohes Kopfgeld für den Tod ihres einstigen Liebhabers aus, was vom Bürgermeister »im Namen der Menschlichkeit« (S. 50) abgelehnt wird. Damit ist die Exposition beendet. Der Zuschauer kennt nun wesentliche Teile der Vorgeschichte und ist gespannt, ob sich die Güllener von dem Angebot doch noch verführen lassen. Für Ill sind das alte Geschichten, die längst verjährt sind.
Abb. 2: Überblick über die Handlung des zweiten Akts
Der zweite Akt zeigt einerseits die Milliardärin, die auf dem Balkon des »Goldenen Apostel« Die Zachanassian wartet ababwartet und beobachtet, was im Ort geschieht. Andererseits werden kurze Szenen aus dem Leben der Güllener geschildert, die erkennen lassen, wie sie der Verführungskraft des Geldes zunehmend erliegen. Während in der letzten Zeit kaum jemand in Ills Laden gekommen ist, strömen die Güllener jetzt zu ihm, kaufen Produkte, die sie sich eigentlich nicht leisten können, und lassen bei Ill anschreiben.
Als Ill an den neuen gelben Schuhen, die alle tragen, erkennt, dass sich der ganze Ort verschuldet und alle damit rechnen, das Geld der Milliardärin zu bekommen, fühlt er sich Ill fühlt sich zunehmend bedrohtbedroht und bittet den Polizisten und den Bürgermeister um Hilfe gegen die Zachanassian. Doch die bestreiten die Existenz einer Bedrohung und machen ebenfalls auf Pump Anschaffungen für sich und für die Stadt.
Die Zachanassian hat auch einen schwarzen Jagd auf den PantherPanther dabei, den sie als »großes, böses Kätzchen mit funkelnden Augen« bezeichnet (S. 61). Dieses Tier steht symbolisch für Ill, den sie früher ihren schwarzen Panther genannt hat. Dieses Tier bricht aus und wird dann im Ort gejagt und schließlich vor Ills Laden erschossen. Damit werden die Jagd auf Ill und sein späterer Tod vorweggenommen. Die Trauerode des gemischten Chors auf den Panther wird dementsprechend von Ill so interpretiert, dass man ein Lied auf seinen Tod »übt« (S. 77).
In seiner inneren Not hat Ill auch den Pfarrer des Ortes aufgesucht. Der Pfarrer, der ebenfalls der Lockung des Geldes erliegt, rät ihm, aus dem Ort zu fliehen. Als Ill mit einem Koffer am Bahnhof erscheint, tauchen auch die Güllener auf. Sie ermutigen ihn mit ihren Worten, in den Zug einzusteigen, hindern ihn aber durch ihr Verhalten an der geplanten Flucht. Als dieser Vergeblicher FluchtversuchFluchtversuch gescheitert ist, erkennt Ill, dass er »verloren« ist (S. 85).
Nach Claires Hochzeit mit dem Gatten VIII im Münster – die Scheidung hat sie unmittelbar danach schon wieder eingereicht – bitten der Arzt und der Lehrer die Zachanassian, ihnen aus ihrer Verschuldung herauszuhelfen, ohne Ill töten zu müssen, etwa indem sie marode Betriebe kauft und in sie investiert. Doch sie macht ihnen unmissverständlich klar, dass sie das Geld nur beim Ills Tod wird unvermeidlichTod Ills bekommen. Außerdem besitzt sie die Betriebe bereits und hat den Niedergang des Ortes bewusst herbeigeführt, um sich dafür zu rächen, wie sie vor 45 Jahren von Ill und den Güllenern behandelt worden ist.
Mit der Verschuldung verändert sich auch die öffentliche Veränderung der öffentlichen MeinungMeinung. Ill, früher der beliebteste Bürger der Stadt, wird nun in den Gesprächen offen abgelehnt und für sein früheres Verhalten kritisiert. Am klarsten erkennt der Lehrer, dass er und die anderen Bürger Güllens wegen der Milliarde zu Mördern werden. Ill zieht sich mit der Zeit zurück und kommt in schweren inneren Kämpfen zu der Einsicht, dass er schuldig ist und Claire zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Er erklärt dem Lehrer, dass er nicht mehr um sein Leben kämpfen will.
Der Bürgermeister kommt zu Ill und informiert ihn von der geplanten Gemeindeversammlung, bei der, ohne es direkt auszusprechen, über das Angebot der Zachanassian abgestimmt werden soll. Ill sagt zu, das Urteil der Güllener zu akzeptieren. Er wird weiterhin schweigen, ist aber nicht bereit, Ill soll sich selber umbringenSelbstmord zu begehen, wie es ihm der Bürgermeister nahelegt, um ihnen den Mord zu ersparen. Er erklärt dem Bürgermeister, dass er die Hölle durchgemacht habe, nun aber die Furcht vor dem Tod überwunden hat. Der Bürgermeister nimmt das mitgebrachte Gewehr bedauernd wieder an sich.
Mit seiner Familie unternimmt er noch eine letzte Fahrt im neugekauften Auto und sieht, wie Güllen in Erwartung des Geldes der Milliardärin wieder aufblüht. Überall wird gebaut und investiert. Die Ill nimmt Abschied von der FamilieFamilie verweilt im Konradsweilerwald, nimmt danach aber nicht an der Gemeindeversammlung teil, sondern fährt weiter zum Kino. Sie verabschiedet sich so von Ill, als ob sie ihn bald wiedersehen würde, obwohl alle genau wissen, dass er noch an diesem Abend umgebracht wird.
Ill will zu Fuß zur Gemeindeversammlung laufen und trifft im Konradsweilerwald noch ein letztes Mal mit Letzte Begegnung mit ClaireClaire zusammen. Sie wissen beide, dass es ihre letzte Begegnung ist. Der innerlich veränderte Ill erkundigt sich nach dem gemeinsamen Kind, und Claire erinnert noch einmal an ihre Zeit als Liebespaar und lässt ihm seine Lieblingslieder auf der Gitarre vorspielen. Ill spricht am Ende offen aus, was ihm bevorsteht, und Claire erzählt ihm, wie prächtig sie ihn bestatten wird. Indem sie Ill vernichtet, der ihre Liebe verraten hat, will sie ihren Traum von Liebe »wieder errichten« (S. 117).
Unter Anwesenheit der internationalen Presse, des Fernsehens und Rundfunks findet eine Gemeindeversammlung statt, die über die Annahme der Spende der Milliardärin entscheidet. Was im Namen von Humanität und Gerechtigkeit beschlossen wird, ist in Wirklichkeit ein Todesurteil. Nachdem die Presse den Raum verlassen hat, wird Ermordung Ills
