Der bewohnte Mensch - Sebastian Jutzi - E-Book

Der bewohnte Mensch E-Book

Sebastian Jutzi

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

100 Billionen Mikroorganismen leben auf und in uns – und das ist gut so. Ohne Bakterien, Pilze und sogar Viren könnte der Mensch nicht überleben. Sie schützen uns vor Krankheiten, trainieren unser Immunsystem und unterstützen uns bei der Verdauung. Die kleinen Helfer können aber noch viel mehr: Sie manipulieren unsere Psyche, komponieren unseren Körpergeruch und machen uns erst zu dem, was wir eigentlich sind. Spannend, unterhaltsam und wissenswert – eine packende Entdeckungsreise zu den kleinsten Lebewesen, die uns bewohnen.

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Seitenzahl: 407

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SEBASTIAN JUTZI

DER

BEWOHNTE

MENSCH

DARM, HAUT, PSYCHE

BESSER LEBEN MIT MIKROBEN

© 2014 by Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Sigrun Künkele

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN: 978-3-641-13422-8

www.heyne.de

Inhalt

Winzig, aber enorm wichtig

Mauern, Mikroben und Kochrezepte

Wer bin ich?

Von der ersten Minute an

Im Mund, da sind die Räuber

Alles im Fluss

Abrissbirne im Bauch

Teilen und herrschen

Jetzt kommt’s dicke

Kamikaze hinterm Nabel

Feuer im Darm

Die Bombe entschärfen

Die Mikrobe der menschlichen Dummheit

Weshalb Napoleons Frau sich doch gewaschen hat

Weshalb Sex tödlich enden kann

Das Geheimnis der Hundertjährigen

Literaturverzeichnis

Winzig, aber enorm wichtig

Im Jahr 1673 ereignete sich in der 15 000 Seelen zählenden niederländischen Stadt Delft Erstaunliches. Der Amateurforscher Antoni van Leeuwenhoek betrachtete durch eines seiner Mikroskope Wassertropfen, die von einem nahe der Stadt liegenden See stammten. Er sah zu seiner Verwunderung ein wimmelndes Heer kleinster Lebewesen. Er nannte sie in Ermangelung eines besseren Begriffs Animalcules, lateinisch für Tierchen. Tatsächlich hatte er Bakterien und andere Mikroorganismen beobachtet. Ähnliche Animalcules fand er später im Belag seiner Zähne.

Zwar erregte Leeuwenhoek bereits zu Lebzeiten Aufsehen und wurde sogar von zahlreichen Herrschern besucht, die auch einmal einen Blick in die Welt des Kleinsten werfen wollten. Seine Vorführungen hatten dabei aber eher den Rang einer Zirkusdarbietung als wirklichen wissenschaftlichen Wert. Erst viel später, mit der Entwicklung der Mikrobiologie als Wissenschaft im 19. Jahrhundert, trat die wahre Bedeutung der Mikroorganismen für das Leben und die Erde zutage.

Die Welt der kleinsten Lebewesen bietet faszinierende Perspektiven. Mit ihnen begann vor mehr als dreieinhalb Milliarden Jahren das Leben auf der Erde – und, so viel steht fest, es wird auf unserem Planeten dereinst mit ihnen enden, voraussichtlich in noch einmal etwa dreieinhalb Milliarden Jahren. Bakterien oder andere Mikroorganismen werden dann die letzten Lebewesen sein, die unseren Globus bevölkern, bevor er in der sich ausdehnenden Sonne untergeht.

Die Einzeller, die, wie ihr Name bereits verrät, als einzelne Zellen und nicht als vielzelliger Organismus ihr Leben fristen, sind im Vergleich zu den mehrzelligen Pflanzen und Tieren harte Kerle. Als sogenannte Extremophile leben sie auch heute noch an Orten, an denen kein anderes Lebewesen, geschweige denn der Mensch, existieren könnte. In heißen Quellen von mehr als 120 Grad Celsius fühlen sich manche pudelwohl. Andere leben munter bei dauerhafter Kälte von minus 20 Grad Celsius und mehr. Wieder andere haben sich an eine besonders saure, basische oder trockene Umgebung angepasst. Manche überstehen sogar einen Atomunfall wie in Tschernobyl oder Fukushima, weil sie besonders resistent gegen nukleare Strahlung sind. Andere Spezialisten gedeihen inmitten starker Gifte. Sogar mehr als zweieinhalb Kilometer tief in der Erdkruste findet man Spezialisten, die sich von Gestein ernähren.

Bei dieser enormen Bandbreite an unterschiedlichen Lebensstilen wundert es nicht, dass Mikroorganismen nicht nur den Planeten als Wohnort nutzen, sondern auch dessen Bewohner. Pflanzen und Tiere bieten mannigfaltige Lebensräume für eine Vielzahl an Mikroben – der Mensch macht da keine Ausnahme. So leben Tiere seit mindestens einer Milliarde Jahre eng mit Mikroorganismen zusammen. Das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit aller ein Lebewesen bewohnenden Mikroorganismen, ist somit keineswegs eine neue Erfindung der Evolution, sondern steht ganz am Anfang der Entwicklung tierischen Lebens.

Zählt man die Zellen, aus denen ein menschlicher Körper besteht, und anschließend seine Mikroben, so stellt man erstaunt fest: Wir sind mehr Bazille als Mensch – denn 1013 Zellen setzen Homo sapiens zusammen. Das sind zehn Billionen Zellen. Aus zehnmal mehr Zellen besteht dagegen das Mikrobiom – also 100 Billionen Zellen. Würde man dieses Zahlenverhältnis auf unseren Körper übertragen und dessen gesamte Zellzahl entspräche der Zahl aller Zellen, sowohl der Körperzellen als auch der der Mikroorganismen unseres Körpers, dann entspräche die Zahl der menschlichen Körperzellen in etwa der eines Unterschenkels samt Fuß. Das Mikrobiom müsste man mit dem Rest des Körpers gleichsetzen. Insofern stellt der deutsche Philosoph und Publizist Richard David Precht in einem seiner Buchtitel vollkommen zu Recht die Frage: »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?«

Vom Kopf bis zu den Füßen bietet der Mensch vielfältige Nischen für die Winzlinge, die so bedeutend sind, dass das renommierte Wissenschaftsmagazin Science das Mikrobiom und seine Auswirkungen auf den Menschen zu einer der zehn wichtigsten Entdeckungen des vergangenen Jahrzehnts kürte. Gerade erst beginnen Forscher mit der Erkundung der geheimen Welt auf und in uns, ohne die es kein menschliches Leben geben würde. Die Verbindung zwischen dem Menschen und seinen Mikroorganismen ist so eng, dass manche Forscher dem Mikrobiom den Status eines weiteren Organs zubilligen wollen und es gleichberechtigt neben Herz, Leber, Nieren, Haut oder Blut stellen. Das Gewicht dafür hätte es jedenfalls, summiert sich die Gesamtheit aller kaum ein Nanogramm, also ein Milliardstelgramm, wiegenden Einzeller jedes Menschen immerhin auf ein bis zwei Kilogramm.

Unser Körper bietet Platz für zahlreiche Untermieter. Mehr als 10 000 Arten wurden bislang gezählt. Allein der Darm ist mit etwa 8000 verschiedenen Mikroorganismenarten einer der am dichtesten besiedelten Lebensräume der Erde überhaupt. Die Mikroben unserer Darmflora besitzen insgesamt etwa 3,3 Millionen Gene. Der Mensch selbst nennt dagegen nur schätzungsweise 20 000 bis 25 000 Gene sein Eigen.

Angesichts dieser überwältigenden Zahlen verwundert es nicht, dass Mikroorganismen nicht nur seit Jahrmillionen die Evolution prägen, sondern auch den Menschen und seine biologische Entwicklung. Doch im Verhältnis Mensch zu Mikrobe kündigt sich eine Zeitenwende an. Denn vielleicht wird es bald möglich sein, nicht nur die Mikroorganismen in unserer Umwelt, sondern auch diejenigen auf und in unserem Körper gezielt zu beeinflussen.

Seit Jahrtausenden nutzten wir Mikroorganismen gezielt für unsere Zwecke, vor allem bei der Nahrungsmittelproduktion. Bier, Brot und Joghurt sind drei populäre Beispiele. Seit einigen Jahrzehnten helfen Mikroben dem Menschen bei der industriellen Herstellung von Medikamenten. Nun beginnen Forscher, die Gemeinschaft der Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, zu entdecken – unter anderem mit dem sogenannten Human Microbiome Project. Sein Ziel ist die Kartierung aller Lebensräume im menschlichen Organismus und die Identifizierung aller Bewohner. Die dahinterstehende Hoffnung ist, dass wir mit einer besseren Kenntnis unseres Mikrobioms besser leben können. Erste Erfolge wurden bereits erzielt.

Bislang haben Forscher nur einen Bruchteil der Mikroben identifiziert, die auf und in uns existieren. Doch schon aus diesen Untersuchungen ergibt sich eine vage Landkarte der Bereiche, wo es von Leben nur so wimmelt. Andere gestalten sich eher öde. Bakterien bevorzugen vor allem den Darm, die Haut oder die Mundhöhle als Wohnort. Dort fristen etwa drei Viertel aller Einzeller ihr Dasein, die man bislang im menschlichen Mikrobiom identifiziert hat. Aber auch in den Atemwegen, im Urogenitaltrakt oder sogar im Blut lassen sich die Winzlinge nachweisen (siehe auch Tabelle 2).

Um die Welt der Mikroorganismen zu begreifen und diese nutzen zu können, muss man zunächst verstehen, mit wem man es überhaupt zu tun hat. Die kleinsten Lebewesen lassen sich verschiedenen Kategorien zuordnen. Die gröbste Einteilung sortiert die Mikroben in eine von drei Gruppen, die sogenannten Prokaryoten, die Eukaryoten und die Viren.

Zunächst sind da also die Lebewesen, deren Erbgut nicht in einem vom Rest der Zelle abgetrennten Zellkern liegt, die sogenannten Prokaryoten. Diese Bezeichnung leitet sich von den altgriechischen Wörtern »karyotos« für »nussartig« und »pro« für »zuvor« ab. Mit »nussartig« ist der entfernt an eine Walnuss erinnernde Zellkern gemeint.

Prokaryoten besitzen keinen Zellkern und stehen damit für das Stadium der Evolution, in dem die Natur diesen Teil einer lebenden Zelle noch nicht erfunden hatte. Hierzu zählen beispielsweise Bakterien oder noch urtümlichere Einzeller, die sogenannten Archaeen. Letztere gelten quasi als Urbakterien, die wohl ganz am Anfang des Lebens entstanden. Unter ihnen befinden sich viele der schon erwähnten Extremophile, die beispielsweise in heißen Quellen leben. Einige von ihnen bevölkern auch den Menschen.

In Bakterien und Archaeen steckt enormes Potenzial, vor allem wenn man ihre Vermehrungsfähigkeit betrachtet. Die einzelligen Bakterien pflanzen sich in der Regel fort, indem ihre Zelle zunächst wächst und sich dann in zwei neue Zellen teilt. Bei dem weitverbreiteten Darmbakterium Escherichia coli geht man davon aus, dass es sich alle 20 Minuten in dieser Weise teilt – zumindest wenn es in einer idealen Umgebung lebt. Bei einer Anfangszelle hat man dann also nach 20 Minuten zwei. Teilen sich diese auch jeweils nach 20 Minuten, hat man nach 40 Minuten bereits vier und nach 60 Minuten acht Zellen. Man nennt dieses Wachstum auch exponentielles Wachstum. Auch wenn diese Bezeichnung zunächst nur wissenschaftlich klingt, steckt in ihr eine beinahe beängstigende Sprengkraft.

Abbildung 1: Ein Prokaryot. Typisch für diese Lebensform ist, dass ihr Erbgut frei in der Zelle liegt und nicht von einem Zellkern umhüllt ist.

Dies verdeutlicht am besten eine Legende aus dem Orient. Dieser zufolge gewährte ein König dem Erfinder des Schachspiels einen freien Wunsch. Der Untertan zögerte keine Sekunde und wünschte sich, dass der Herrscher auf alle Felder des Schachbretts Weizenkörner legen sollte, und zwar nach folgender Regel: Auf das erste Feld sollte er ein einziges Korn legen, auf das zweite zwei Körner, auf das dritte vier, auf das vierte acht und so weiter. Die Zahl der Körner sollte sich von Feld zu Feld verdoppeln – also exponentiell ansteigen, so wie wir das auch von der Escherichia-coli-Zelle annehmen.

Der König willigte fröhlich und, wie sich wenig später herausstellen sollte, leichtfertig ein. Bekanntlich besitzt ein Schachbrett 64 Felder. Würde man alle Weizenkörner zählen, die auf diese Weise am Schluss der Prozedur zusammenkämen, dann addierten sie sich zu der gigantischen Zahl von 18 446 744 073 709 551 615, also fast 18,5 Trillionen. Kalkuliert man das durchschnittliche Gewicht eines einzelnen Weizenkorns mit 0,5 Gramm, dann wöge der gesamte Weizen auf dem Schachbrett etwa 922 Milliarden Tonnen. Zum Vergleich: Im Erntejahr 2011/12 betrug die weltweite Weizenproduktion 692 Millionen Tonnen. Damit überstiege selbst heute noch die Weizenmenge auf dem Schachbrett die jährliche Ernte um mehr als das Tausendfache.

Der Legende nach bemerkte der König bald, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte. Er erwies sich aber auch als Schlitzohr, denn er entging der Misere, indem er den Schacherfinder aufforderte, die Weizenkörner auf jedem einzelnen Feld zu zählen, bevor er ein neues mit Körnern füllte.

Die fast unvorstellbare Zahl an Weizenkörnern, die sich bei der Legende vom König und dem Spieleerfinder anhäuft, vergrößert sich noch, wenn wir wieder zum Bakterium Escherichia coli zurückkehren und statt der 64 Felder eines Schachbretts von einem Tag mit 24 Stunden ausgehen. Im Idealfall teilt sich eine Escherichia-coli-Zelle dreimal pro Stunde. Bei einer Zelle am Anfang haben wir nach einer Stunde acht Zellen. Wenn sich dieser Vorgang des exponentiellen Wachstums über 24 Stunden ungebremst fortsetzen könnte, dann entspräche das insgesamt 72 Teilungszyklen. Am Ende dieses Wachstums bestünde die Escherichia-coli-Population aus 4 722 366 482 869 645 213 696 Zellen, mehr als 4,5 Trilliarden einzelner Bakterien. Geht man davon aus, dass eine einzelne Zelle etwa ein Picogramm wiegt, also ein Billionstelgramm, dann summiert sich das Gewicht der Bakterien am Ende der 24 Stunden auf 472 Tonnen. Zum Vergleich: Afrikanische Elefantenbullen können ein Gewicht von maximal 7,5 Tonnen erreichen. Aus einer einzigen Zelle würden die Bakterien also in nur 24 Stunden eine Biomasse aufbauen, die einem Gewicht von mehr als 60 Elefanten entspräche. Nach weiteren 24 Stunden hätte sich diese Masse auf das Gewicht von etwa drei Erden erhöht. Theoretisch wären die Bakterien also in der Lage, ausgehend von nur einer einzigen Zelle, unseren Planeten innerhalb von knapp zwei Tagen quasi aufzufressen, denn schließlich bräuchten sie ja auch ausreichend Material, um fortwährend neue Zellen zu bilden. Glücklicherweise nur theoretisch. Im echten Leben setzen zum Beispiel Nahrungsknappheit oder Unverdaulichkeit vieler Substanzen dem Wachstum der Bakterien Grenzen.

Die zweite große Gruppe der Mikroorganismen bietet ebenso faszinierende Perspektiven. Sie besteht aus sogenannten Eukaryoten. Auch in dieser Bezeichnung stecken zwei altgriechische Wörter; einmal das bekannte Wort für »nussartig« und dann »eu«, was soviel wie »echt« bedeutet. Sie besitzen einen Zellkern, in dem ein Großteil des Erbguts enthalten ist. Die allermeisten Gene befinden sich in diesem Zellkern. Zu den Eukaryoten zählen zum Beispiel die Pilze, darunter jedoch nicht nur diejenigen, die wir aus dem Wald kennen, sondern auch beispielsweise Hefen. Mikroalgen und sogenannte Protozoen sind ebenso Eukaryoten wie alle höher entwickelten Lebewesen, also alle Pflanzen und Tiere.

Unter den Eukaryoten findet sich das bislang größte Lebewesen, das bekannt ist. Dies ist nicht der Blauwal, obwohl ausgewachsene Exemplare dieser Meeresgiganten mehr als 30 Meter lang und bis zu 200 Tonnen schwer werden können. Trotz dieser schon beeindruckenden Maße stellt der Blauwal lediglich das größte Tier der Erde dar. Das größte bislang bekannte Lebewesen tummelt sich dagegen nicht im Meer, sondern wächst im Wald im amerikanischen Bundesstaat Oregon. Es ist kein Baum, sondern ein Pilz, der zur Familie der Hallimaschpilze gehört. Diese Organismen bilden für gewöhnlich lange Zellfäden, die sich gespinstartig im Boden ausbreiten. Man nennt dieses Geflecht auch Myzel. Zur Fortpflanzung entwickeln sie Fruchtkörper, die aus dem Boden herauswachsen und das darstellen, was wir normalerweise als Pilz im Wald wahrnehmen. In Oregon fand man einen Dunklen Hallimasch (Armillaria ostoyae), dessen Myzel sich über eine Fläche von fast neun Quadratkilometern ausbreitet. Dass die Fäden miteinander verbunden sind, fand man mithilfe von Genanalysen heraus. Auf der ganzen Fläche wachsen demnach genetisch identische Zellverbände. Dieser Hallimasch wiegt geschätzte 600 Tonnen, also dreimal so viel wie ein ausgewachsener Blauwal.

Damit muss der Pilz allerdings die Ehre, das schwerste Lebewesen der Erde zu sein, an eine Amerikanische Zitterpappel (Populus tremuloides) im amerikanischen Bundesstaat Utah abtreten. Dort sprießt ein kleines Wäldchen, das aus nur einem einzigen Baum besteht. Seine über das Wurzelgeflecht verbundenen, genetisch identischen Triebe bedecken eine Fläche von knapp 0,5 Quadratkilometern. Das Gewicht der Pflanze beträgt schätzungsweise 6000 Tonnen.

Neben erstaunlichen Superlativen und einer enormen Vielfalt an unterschiedlichen Lebensformen bieten die Eukaryoten noch weitere Besonderheiten. Ein wichtiges Charakteristikum der allermeisten Eukaryoten sind die sogenannten Organellen. Sie fungieren quasi als Organe der einzelnen Zellen. Dazu gehören der Zellkern oder auch der Apparat, mit dessen Hilfe die Zelle Eiweiße produziert.

Zwei Typen der Organellen sind etwas ganz Besonderes: Mitochondrien und Chloroplasten. Mitochondrien sind kleine Zellpartikel, die die notwendige Energie für das Leben bereitstellen. Hier findet die Zellatmung mittels Sauerstoff statt. Wenn wir also regelmäßig Luft holen, dann tun wir das eigentlich, um die Mitochondrien unserer Zellen ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Die kleinen Kraftwerke gehören untrennbar zu uns und sind die vielleicht engste Verbindung, die wir mit Mikroorganismen haben. Sie waren nämlich einmal eigenständig lebende Einzeller, die vor etwa ein bis zwei Milliarden Jahren entdeckten, dass es sich als Untermieter einer Zelle auch ganz behaglich leben lässt. Daher schlossen sie einen Pakt zum beiderseitigen Vorteil – eine sogenannte Symbiose.

Die Zelle, in der sie ihr Quartier aufschlugen, belieferte sie mit allem Lebensnotwendigen und bot Schutz vor möglichen Feinden. Die Mitochondrienvorfahren spezialisierten sich im Laufe der Zeit immer mehr und wurden quasi zu Kraftwerksingenieuren. Allerdings verloren sie die meisten ihrer früheren Eigenschaften und – bis auf einen kleinen Rest – ihr ehemaliges Erbgut, sodass sie nicht mehr in der Lage waren, selbstständig zu überleben. Seitdem gehören die Mitochondrien untrennbar zu den allermeisten Zellen der Eukaryoten. Diese Zellorganellen sind nur zwischen 0,5 und zehn Mikrometer lang, ein menschliches Kopfhaar ist damit hundertfach dicker! Im Menschen variiert ihre Zahl pro Zelle je nach Gewebe. Die meisten Mitochondrien finden sich in den Herzmuskelzellen, da diese besonders leistungsfähig sein müssen. In ihnen machen Mitochondrien mehr als ein Drittel des Zellvolumens aus.

Abbildung 2: Ein Eukaryot. Typisch für diese Lebensform ist der Zellkern, in dem der Großteil des Erbguts enthalten ist.

Diese als Endosymbionten-Hypothese bezeichnete Theorie, nach der sich ehemalige Einzeller in anderen Zellen ansiedelten und schließlich zum festen Bestandteil dieser Zellen wurden, gilt unter den meisten Biologen als bewiesen.

Finden sich Mitochondrien in nahezu allen Eukaryoten, zeichnen sich viele Pflanzen noch durch eine weitere Form der Organellen aus. Sie beherbergen Chloroplasten, ebenfalls ehemals unabhängig lebende Einzeller. Auch sie fanden den Weg in größere Zellen und verloren die meisten ihrer Eigenschaften und den Großteil ihres Erbguts. Sie tragen den grünen Farbstoff Chlorophyll, mit dessen Hilfe sie das Sonnenlicht einfangen und einfache Verbindungen wie Kohlendioxid zu komplexen wie Zucker umwandeln. Auch ohne sie könnte der Mensch nicht überleben, denn letztendlich beruht unsere gesamte Nahrungsmittelproduktion auf diesem Fotosynthese genannten Vorgang der grünen Pflanzen. Menschliches Leben ist also noch viel fundamentaler auf Mikroorganismen angewiesen als lediglich auf das eigene Mikrobiom.

Die dritte Gruppe der Kleinstlebewesen stellen die Viren, obwohl Biologen immer noch darüber streiten, ob man Viren überhaupt als Lebewesen bezeichnen kann, da sie beispielsweise keinen eigenen Stoffwechsel besitzen. Viren befallen in der Regel Zellen, ob nun ein Bakterium oder die einer Pflanze oder eines Tieres. Anschließend programmieren sie die infizierte Zelle so um, dass sie unzählige neue Virenkopien herstellt.

Auch diese große Gruppe der Mikroorganismen besitzt eine ganz besondere Bedeutung für den Menschen. Bekannt sind sie vor allem als Krankheitserreger, von der Erkältung über AIDS bis hin zu Ebola. Es gibt wohl kein Lebewesen, das nicht von irgendeinem Virus befallen werden könnte.

Der Aufbau eines Virus ist im Vergleich zu der Zelle eines Menschen oder auch Bakteriums vergleichsweise einfach. Im Wesentlichen besteht es aus einer Hülle und seinem Erbgut. In diesem Erbgut schlummern die Informationen, die der Erreger braucht, um eine befallene Zelle umzuprogrammieren, sowie der Bauplan für neue Viren.

In der Regel übernimmt ein Virus das Kommando über eine Zelle, indem es sein Erbgut in die Zelle einschleust. Danach gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, wie das Virus die Zelle kapert. Eine ist, das virale Erbgut in das der Wirtszelle einzubauen. Dabei können jedoch Fehler passieren. Manchmal schafft es das Virus zwar, sein Erbgut in das der Zelle zu integrieren, aber nicht mehr, sich daraus zu lösen oder neue Viren zu produzieren. Es wird damit zum Gefangenen in seinem eigentlich als Opfer vorgesehenen Wirt.

Passiert diese Panne auch noch in einem Spermium oder einer Eizelle, also jenen Zellen, mit denen wir uns fortpflanzen, dann wird dieser Gefangene sogar auf die Nachkommen vererbt. Dann ist ein sogenanntes humanes endogenes Retrovirus entstanden, ein HERV. Das geschieht häufiger, als man annehmen mag, zumal sich Evolution in viel längeren Zeiträumen abspielt, als es sich der Mensch vorstellen kann. Allein im Laufe der biologischen Entwicklung des Menschen hat sich in unserem Erbgut eine erhebliche Menge dieser viralen Erbmasse angehäuft. So bestehen mehr als acht Prozent unseres Erbguts aus solchen ehemaligen Viren. Manche Biologen gehen sogar davon aus, dass diese Form der genetischen Pannen eine entscheidende Triebfeder der Evolution darstellt.

Der Mensch ist also tiefgreifend und auf vielfältige Weise durch Mikroorganismen geprägt – nicht zuletzt durch sein Mikrobiom. Es hilft bei der Verdauung, trainiert das Immunsystem und schützt vor Krankheiten. Manche Keime auf und in uns können uns aber auch krank machen. Andere wiederum lassen uns zu gefährlichen Beißern werden. Das Mikrobiom beeinflusst unsere Psyche und entscheidet darüber, ob wir einen anderen Menschen riechen können und welchen Partner wir wählen. Von der ersten Minute bis über unseren Tod hinaus prägen uns die Winzlinge. Insofern hatte der berühmte französische Mikrobiologe Louis Pasteur recht, als er sagte: »Messieurs, c’est les microbes qui auront le dernier mot.« (»Meine Herren, es sind die Mikroben, die das letzte Wort behalten.«)

Abbildung 3: Ein Virus. Die Zellparasiten können viele verschiedene Formen annehmen, hier ein kugelförmiges Grippevirus. Im Wesentlichen besteht es aus einer Hülle und seinem Erbgut.

Die Welt der Mikroben

Bezeichnung

Charakteristikum

Vertreter

Prokaryoten

kein Zellkern, aber Zellwand, Plasmide (siehe hier)

Archaeen, Bakterien

Eukaryoten

Organellen, zum Beispiel Zellkern, Mitochondrien, Chloroplasten

Algen, Pilze, Protozoen; (hierzu zählen auch Pflanzen und Tiere)

Viren

kein eigener Stoffwechsel

HIV, Ebola, Tollwut, Grippe

Tabelle 1: Einteilung der Mikroorganismen

Größenverhältnisse

Durchmesser eines Virus: 15 bis 440 Nanometer

Durchmesser einer durchschnittlichen Bakterienzelle: 1 Mikrometer

Durchmesser einer durchschnittlichen Hefezelle: 10 Mikrometer

Durchmesser einer durchschnittlichen pflanzlichen oder tierischen Zelle: > 100 Mikrometer

Durchmesser eines durchschnittlichen menschlichen Kopfhaars: circa 60 Mikrometer

Durchmesser von Globuli in der Homöopathie: 0,5 bis 1,5 Millimeter

Durchmesser Tennisball: 6,64 bis 6,86 Zentimeter

Zellzahl

Menschlicher Körper: 1013 (zehn Billionen)

Zellen des menschlichen Mikrobioms: 1014 (100 Billionen)

Organ

Anteil in Prozent

Verdauungstrakt

29

Mund und Rachen

26

Haut

21

Atemwege

14

Urogenitaltrakt

9

Blut

1

Tabelle 2: Bakterienbesiedelung des Menschen

Mauern, Mikroben und Kochrezepte

Manche Irrtümer sind nur schwer auszurotten. So hält sich beispielsweise hartnäckig das Gerücht, man könne die Chinesische Mauer aus dem Weltraum, ja sogar vom Mond aus mit bloßem Auge erkennen. Diese Fehleinschätzung beruht unter anderem darauf, dass dieses menschliche Bauwerk eine so gewaltige Ausdehnung besitzt. Nach neusten Messungen sind die Befestigungsanlagen im Norden Chinas über 21 000 Kilometer lang. Ein Bauwerk von solch gigantischen Ausmaßen muss man doch bereits aus großer Entfernung sehen können. Doch die Mauer dehnt sich ja vor allem in der Länge aus. Ihre Breite ist dagegen sehr gering, im Norden Pekings beispielsweise nur etwa zehn Meter. Auch die Höhe nimmt sich im Vergleich zur Länge geradezu winzig aus, sie beträgt im Schnitt zwischen sechs und neun Metern.

Wie unsinnig die Behauptung ist, man könne die Mauer aus dem Weltraum sehen, wird klar, wenn man sich die folgenden Dimensionen vor Augen führt: Die meisten Weltraummissionen verlaufen in einer Höhe von etwa 300 bis 600 Kilometern. Niemand würde erwarten, dass man die Mauer auf der Erde aus einer solchen Entfernung auch nur erahnen könnte. Denn die maximale Fernsicht auf unserem Planeten beträgt selbst bei besten Bedingungen knapp 300 Kilometer. Dass man sie aus dem Weltraum nicht sehen kann, haben bislang alle Astronauten bestätigt, die sich damit beschäftigt haben. Vom Mond aus, der ja mindestens 363 000 Kilometer von der Erde entfernt ist, lässt sie sich also noch viel weniger ausmachen. Selbst den Schatten der Mauer könnte man aus dem Weltall ohne Hilfsmittel nicht erkennen, auch wenn die Einstrahlung beitiefstehender Sonne günstig ist.

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