Nur für Linkshänder - Sebastian Jutzi - E-Book

Nur für Linkshänder E-Book

Sebastian Jutzi

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Beschreibung

Spannende Einsichten in ein unterschätztes Alltagsphänomen. Wie viele Linkshänder gibt es? Die exakte Antwort auf diese Frage kennt niemand. Offiziell ist mehr als jeder zehnte Deutsche Linkshänder, die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein. Ist das überhaupt wichtig? Der Wissenschaftsjournalist und Biologe Sebastian Jutzi meint: Unbedingt! Denn vieles in der Natur ist rechts oder links gestrickt, selbst in der Tierwelt existieren Links- und Rechtshänder.Wichtige Bausteine des menschlichen Körpers sind links- oder rechtshändig. Nicht nur Katzen, Papageien oder Affen bevorzugen für bestimmte Tätigkeiten die Linke – oder die Rechte. Die Wurzeln der Händigkeit reichen so tief, dass selbst bei intensivstem Training aus einem Linkshänder niemals ein echter Rechtshänder wird. Wer die Linkshändigkeit versteht, erfährt mehr über das Wesen Mensch, angefangen bei seinen Genen und seinem Gehirn bis hin zur Geschichte, Sprache und Pädagogik.

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Sebastian Jutzi

Nur für Linkshänder

Das Buch

Fischer e-books

Wie viel Linkshänder steckt in Ihnen?

Drei Blitz-Tests verraten es Ihnen.

Test 1

Mit welcher Hand üben Sie die folgenden Aufgaben aus beziehungsweise nutzen Sie folgendes Gerät?

Nun ziehen Sie die Anzahl der Rechts-Antworten von der Anzahl der Links-Antworten ab und teilen das Ergebnis durch die Anzahl aller Antworten. Das Ergebnis multiplizieren Sie mit 100 und schon haben Sie einen Lateralisations-Quotient, der sich zwischen Werten von –100 bis +100 bewegt.

 

Test 2

Setzen Sie innerhalb 30 Sekunden Punkte in so viele Kreise wie möglich. Einmal mit der linken und einmal mit der rechten Hand. Wo mehr Punkte genauer gesetzt sind, befindet sich die geschicktere Hand, die Führungshand.

 

Test 3

Halten Sie eine Papierröhre mit ausgestreckten Armen vor sich und peilen damit ein Objekt, z.B. eine Wanduhr, mit beiden Augen durch die Röhre an. Dann schließen Sie jeweils ein Auge. Das Auge, das die Uhr in der Röhre sieht, ist das Führungsauge. Es dominiert das andere Auge und steuert die Blickrichtung. Bei Linkshändern dominiert das linke doppelt so häufig wie das rechte.

Der Speer des Zorro und der Fall des Dr. Watson

Als der deutsche Speerwerfer Matthias de Zordo während der Leichtathletik-Europameisterschaft am 31. Juli 2010 im Olympiastadion von Barcelona zu seinem zweiten Versuch im laufenden Wettbewerb ansetzte, ahnte keiner der Zuschauer, was sich in den kommenden Sekunden abspielen würde. Der Sportler, glücklich über seine bereits im ersten Versuch erzielte persönliche Bestleistung von 86,22 Metern, lief an, schleuderte seinen Speer mit aller Macht in den Abendhimmel und schickte dem Wurfgerät einen gewaltigen Schrei hinterher. Nach einem langen Flug bohrte sich die Speerspitze deutlich über der 85-Meter-Marke in den Rasen. Die Siegerpose de Zordos, dem seine Freunde den Spitznamen »Zorro« gaben, ließ nicht lange auf sich warten. Schließlich verkündeten die Kampfrichter die Weite des Wurfs: 87,81 Meter. Erneut eine persönliche Bestleistung und Weltrekord – für Linkshänder.

Obwohl noch nie in einem offiziellen Wettkampf ein Linkshänder seinen Speer weiter geworfen hatte, musste sich de Zordo dem amtierenden Weltmeister und Olympiasieger Andreas Thorkildsen – einem Rechtshänder – geschlagen geben und wurde Vize-Europameister in seiner Disziplin. Gut ein Jahr später erkämpfte sich de Zordo bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft die Goldmedaille – allerdings mit »nur« 86.27 Metern.

Wie soll man den Weltrekord de Zordos bewerten: Herausragende Leistung oder Spitzenwert innerhalb einer Exotengruppe?

Gleichgültig zu welchem Schluss man kommt, er wird die uralte Konfrontation zwischen links und rechts nicht beenden. Ist ein Mensch Rechtshänder oder Linkshänder? Weshalb existieren Linkshänder – oder Rechtshänder? Seit wann gibt es überhaupt Rechtshänder – oder Linkshänder? Was bringt dem Menschen mehr Vor- oder Nachteile? Was verrät das Wesen der Linkshänder über die Rechtshänder – und umgekehrt? Wird es einmal keine Rechtshänder mehr geben? Oder sterben die Linkshänder aus?

Seit Jahrtausenden beschäftigen sich Menschen mit den Fragen rund um die Händigkeit. Die Suche nach den Antworten erstreckt sich in viele Dimensionen. Zeitlich reicht sie bis zu den frühen Wurzeln der Menschheit vor etwa zwei Millionen Jahren. Räumlich taucht sie bis in die molekularen Tiefen des Lebens. Anatomisch erschließt sie die Eigenheiten unseres Körpers. Biographisch entschlüsselt sie Rätsel um die Entwicklung des Individuums. Schließlich eröffnet sie uns historische oder boulevardesque Perspektiven auf herausragende oder nur prominente Persönlichkeiten.

Wer sich auf die Spuren der Linkshändigkeit setzt, entdeckt, weshalb man Menschen wie Marionetten manipulieren kann, dass die linke Hand manchmal mehr weiß als die rechte oder wieso die Bevorzugung einer Seite keine Frage der Hände und beileibe nicht nur dem Menschen vorbehalten ist.

Hinter dem augenscheinlichen Phänomen der Linkshändigkeit verbirgt sich ein viel weiter reichendes, das Biologen, Mediziner und Psychologen als Lateralität bezeichnen. Gemeint ist damit zunächst lediglich die Bevorzugung einer Körper- oder Organseite bei bestimmten Wahrnehmungen, Tätigkeiten oder auch einfach nur die Lage von Organen.

Drei weithin in Vergessenheit geratene Namen von Ärzten, die im 19. Jahrhundert lebten, verbinden sich mit entscheidenden Entdeckungen zu diesem Phänomen.

Im Herbst des Jahres 1835 starb der 48-jährige John Reid in einem Londoner Krankenhaus. Von ihm oder seinem Leben wäre der Nachwelt nichts Nennenswertes überliefert, hätte sein Arzt Thomas Watson nicht wissen wollen, was denn nun die Todesursache gewesen sei. Bei der Obduktion seines Patienten entdeckte Dr. Watson zwar nicht, weshalb der Mann das Zeitliche segnen musste, aber die erstaunliche Tatsache, das Reids Organe seitenverkehrt in seinen Körperhöhlen gelagert waren. Das Herz lag rechts, ebenso wie Magen und Milz, wohingegen die Leber sich links eingeordnet hatte.

Trotz dieser Spiegelung seines Inneren hatte Reid bis zu seinem Tod weitgehend beschwerdefrei gelebt. Etwa ein halbes Jahr später erfuhr Dr. Watson von einem ähnlichen Kuriosum, nur dass es sich diesmal um eine an Durchfall gestorbene Frau handelte. Watson folgerte messerscharf, dass die bislang als gültig angesehene Anordnung der Organe nicht zwangsläufig für deren Funktion notwendig ist. Die spiegelverkehrte Positionierung gewährleistete ein ebenso reibungsloses Arbeiten der Organe. Die übliche Lateralität, also Herz links, Leber rechts und so weiter, war offensichtlich austauschbar. Angeregt durch diese Beobachtung ließ sich Watson zu der Spekulation hinreißen, die eigentliche Händigkeit, also das Bevorzugen der Hand einer Seite, müsste biologisch betrachtet in der Bevölkerung gleich verteilt sein. Die beobachtbare Abweichung könne demnach nur kulturell, also durch das Umerziehen von Linkshändern, begründet sein.

Zur gleichen Zeit machte der französische Arzt Marc Dax die Entdeckung, dass entscheidende Sprachzentren in der linken Gehirnhälfte des Menschen angesiedelt sind. Dax fasste seine Erkenntnisse zusammen und trug sie im Juli 1836 einer Konferenz von Medizinern vor – ohne Aufsehen zu erregen. Erst 1861 veröffentlichte sein Sohn, Gustave, ein Manuskript, das die Gedanken seines Vaters zusammenfasste. Marc Dax hatte mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor einen Kavallerie-Hauptmann der französischen Armee untersucht. Dieser hatte eine Schädelverletzung durch einen schweren Säbelhieb davongetragen. Der Schlag hatte die linke Hälfte des Schädels getroffen und der Offizier litt seither unter eine Sprachschwäche. Unter anderem konnte er sich nicht mehr an bestimmt Worte erinnern. Das brachte Dax zu seiner – wie sich erst viel später herausstellen sollte, richtigen Vermutung, dass Sprache zu wesentlichen Teilen in der linken Gehirnhälfte verarbeitet beziehungsweise produziert wird.

Die Veröffentlichung von Dax’ Gedanken durch seinen Sohn geschah gerade noch rechtzeitig, so dass sich sein Vater den Ruhm, der Entdecker dieses wichtigen Faktums zu sein, mit Paul Broca teilen konnte. Der ebenfalls aus Frankreich stammende Arzt hatte wie Dax erkannt, dass menschliches Sprachvermögen entscheidend mit der linken Gehirnhälfte gekoppelt ist. Er fand heraus, dass bestimmte Körperfunktionen wesentlich von nur einer Seite des Gehirns gesteuert werden.

Seitdem ist der Streit um links und rechts auf eine naturwissenschaftliche Grundlage gestellt. Wissenschaftliche Arbeiten zur Lateralisation reihen sich tausendfach aneinander. Trotzdem führen sie nicht immer zu einem sachlichen, rationalen Umgang mit dem Thema, wie Linkshänder bestätigen werden.

Bei der Erklärung, weshalb gerade die Linkshändigkeit provozierend auf Rechtshänder wirkt, zu Vorurteilen verleitet und zu Fehl- oder sogar Überreaktionen führen kann, hilft ein Blick auf die Biologie des Menschen.

Beim Betrachten der untenstehenden Abbildung 1 glauben wir, dass Feld B des Schachbrettmusters deutlich heller als Feld A sei. In Wirklichkeit weisen beide denselben Grauwert auf. Das ist tatsächlich so, auch wenn man es kaum glauben mag.

Abb.1 Das Feld B wirkt eindeutig heller als Feld A, eine Folge der Verrechnung in unserem Gehirn. In Wirklichkeit haben beide Felder denselben Grauwert.

Die eigentliche Wahrnehmung geschieht in unserem Gehirn. Dort werden millionenfach Reize, die von den Sinnesorganen anfluten, verarbeitet. Eine Möglichkeit der Rationalisierung ist dabei das Erkennen und Fortschreiben von Mustern, in unserem konkreten Fall des Schachbrettmusters. Derlei vereinfachende Verarbeitung der Reize geschieht sogar bereits im Auge.

Hinzu kommt die Alltagserfahrung des Gehirns, dass Flächen im Schatten gewöhnlich dunkler sind als solche im Licht. Kurzerhand bastelt das Gehirn daraus jenes vermeintlich korrekt fortlaufende Schachbrettmuster, das wir beim Betrachten von Abbildung 1 sehen. Selbst wenn wir wissen, dass wir uns täuschen, unser Gehirn besteht auf seiner Version der Realität.

Das Beispiel macht klar, wie sehr der Mensch abhängig ist von seiner optischen Wahrnehmung und ihren biologischen Grundregeln. Sie bedingt, dass wir ständig auf der Suche nach Mustern sind. Was nicht passt, wird eben passend gedacht. Deshalb richtet sich das Augenmerk jener Menschen, die bevorzugt ihre rechte Hand für bestimmte Tätigkeiten benutzen, auf die Linkshändigkeit als offensichtlichste Ausprägung einer Lateralisation, und passt sie in bestimmte Muster ein. Der Mensch ist – auch wenn er sich weigert – also manchmal hilflos gegen das, was ihm sein Gehirn vorgaukelt. Das Muster gewinnt, selbst wenn wir uns dagegen sträuben.

Verstärkt wird diese Tendenz des Menschen durch eine zweite Neigung: den Hang zur sogenannten In-Group. Mit diesem Fachbegriff bezeichnen Forscher alle Angehörigen einer bestimmten Gruppe. Wer dazugehört, ist »in« der Gruppe. Gerne geben sich die Mitglieder solcher Gruppen einander zu erkennen, beispielsweise durch äußere Kennzeichen wie Embleme und Uniformen oder durch Gesten, Verhaltens- oder Ausdrucksweisen.

Wie tief diese Tendenz zu unserer eigenen, wie auch immer definierten Gruppe in uns wurzelt, zeigen zwei Experimente, die der Psychologe Kurt Hugenberg an der Miami Universität in Florida durchführte. Sie verdeutlichen Mechanismen, die wohl auch der Attitüde von Rechtshändern gegenüber Linkshänden zugrunde liegen.

Hugenberg präsentierte Studenten seiner Universität Bilder von Männer-Gesichtern. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal während einer ersten Lernphase war der Hintergrund. Die eine Hälfte der vorgeführten Gesichter wurde vor rotem Hintergrund präsentiert, die andere Hälfte vor grünem. Zusätzlich wurde den Probanden gesagt, die Gesichter vor rotem Hintergrund gehörten direkten Kommilitonen, die vor grünem Hintergrund stammten von Studenten einer anderen Hochschule. Anschließend wurden den Probanden diese Gesichter vermischt mit neuen Konterfeis gezeigt. Ergebnis: Die Studenten erkannten ihre vermeintlichen Kommilitonen, die angeblich zur selben Universität gehörten, wesentlich besser als die Fremden. Sie zeigten eine deutliche Tendenz zu ihrer eigenen Gruppe, die sich in diesem Fall von anderen lediglich durch die vorgebliche Zugehörigkeit zu ein und derselben Universität unterschied.

In einem zweiten Versuch mussten die Probanden zunächst einen schriftlichen Fragebogen ausfüllen. Die Auswertung der Befragung, stufte die Teilnehmer entweder als »grüne« oder »rote« Persönlichkeit ein, was den Studenten auch mitgeteilt wurde. Anschließend zeigte man ihnen Gesichter, die lediglich mit dem jeweiligen Wort als »grüne« oder »rote« Persönlichkeit gekennzeichnet waren. In dieser Abfolge von Konterfeis erkannten die Versuchspersonen auch hier jene Gesichter, die ihrer eigenen Persönlichkeitskategorie zugeordnet waren, wesentlich besser als andere. Die Roten erkannten besonders gut andere Rote, die Grünen besonders gut die Grünen. Sie zeigten wieder eine deutliche Tendenz zu ihrer eigenen Gruppe.

Hugenbergs Ergebnis, wie viele andere Experimente auch, bestätigen das Sprichwort: »Gleich und gleich gesellt sich gern.« Man könnte es sogar dahingehend erweitern, dass sich gleich und gleich auch besonders gut erkennt beziehungsweise wiedererkennt.

Wenn also Rechtshänder etwas verwundert ihr linkshändiges Gegenüber betrachten und dazu neigen, ihm mit einer Flut von Vorurteilen zu begegnen, dann sollten sich Linkshänder nicht sofort darüber ärgern. Der Hang zur Musterbildung und -erkennung, begründet in der Biologie des Menschen, verleitet Rechtshänder dazu, Linkshänder zumindest als merkwürdig einzustufen. Getreu dem Muster: Was nicht ich bin, muss etwas Anderes sein – und das ist im Zweifel erst einmal merkwürdig.

Das Leben ist links gestrickt und Linkshänder riechen anders

Im Jahr 1848 erhielt die lateinische Redewendung »in vino veritas«, im Wein liegt die Wahrheit, eine neue Bedeutung. In jenem Jahr präsentierte der 25-jährige, französische Naturwissenschaftler Louis Pasteur die Ergebnisse seiner bahnbrechenden Forschung. Er hatte bewiesen, dass es in der Natur tatsächlich links- oder rechtshändige Substanzen gibt – und hatte sie sogar voneinander getrennt.

Pasteur führte seine Experimente mit Weinsäure durch und gelangte so zu einer grundlegenden Erkenntnis. Der Name dieser Substanz verrät schon, wo sie vorkommt: in Rebstöcken, Trauben und folglich auch im Wein. Pasteur verglich nun die Säure aus Wein mit industriell hergestellter Weinsäure. Er stellte fest, dass die beiden Substanzen, in Wasser gelöst, jeweils unterschiedlichen Einfluss auf Licht ausübten.

Licht breitet sich in Wellen aus. Diese Wellen kann man filtern, so dass nur Licht einer bestimmten Wellenart durch den Filter kommt. Es hat, wie Wissenschaftler sagen, eine bestimmte Polarisationsebene.

Dieses polarisierte Licht durchdringt jeden Filter, der so aufgebaut ist wie in der Abbildung 2. Würde man den Filter drehen, dann würde er das Licht nicht hindurchlassen.

Abb. 2 Aus einem Sammelsurium unterschiedlicher Lichtwellen wird eine ganz bestimmte Welle herausgefiltert. Das Licht ist polarisiert.

Pasteur schickte nun derart polarisiertes Licht einmal durch eine Lösung mit Weinsäure aus Trauben und ein andermal durch eine Lösung mit industriell hergestellter Weinsäure. Er stellte verblüfft fest, dass die natürliche Weinsäure das polarisierte Licht nach rechts, also im Uhrzeigersinn, drehte – die industriell hergestellte aber nicht.

Der Forscher verdunstete das Wasser, die Weinsäure bildete Kristalle und Pasteur entdeckte unter dem Mikroskop, dass die Kristalle aus Trauben alle gleich aussahen, während sich die Kristalle aus der industriellen Lösung in zwei Typen unterscheiden ließen (siehe Abbildung 3). Mit einer feinen Nadel sortierte der Forscher dann diese beiden unterschiedlichen Kristallformen.

Abb. 3 Links Kristall der D-Weinsäure, rechts Kristall der L-Weinsäure.

Nachdem er sie wieder in Wasser aufgelöst hatte, drehte die eine Lösung das polarisierte Licht nach rechts wie bei der natürlichen Weinsäure, die andere drehte das Licht aber nach links. Ein Gemisch aus beiden hatte erneut keinen Effekt. Die natürliche Weinsäure bestand also aus jenem Typ, der das Licht nach rechts drehte.

Jahre später stellte Pasteur weitere Versuche an und entdeckte, dass Mikroorganismen nur mit einer der beiden Formen der Weinsäure wachsen konnten.

Worin unterscheiden sich die beiden Substanzen, die doch ansonsten gleiche Eigenschaften haben? Das Geheimnis liegt tatsächlich in der »Händigkeit« der beiden Verbindungen. Sie setzen sich zwar aus exakt den gleichen Bausteinen zusammen, diese sind aber einmal linkshändig zusammengesetzt und einmal rechtshändig (siehe Abbildung 4). Sie gleichen sich wie Spiegelbild und Original. Ebenso wie rechte und linke Hand ähneln sie sich stark, aber genauso wie unsere Hände sind sie durch kein Manöver zur exakten Deckung zu bringen.

Abb. 4 Die beiden Formen der Weinsäure setzen sich gleich zusammen, aber die OH-Gruppen sind unterschiedlich angeordnet. D steht für dexter (lateinisch: rechts), L für laevus (lateinisch: links).

Die grundlegende Erkenntnis, die Pasteur mit seinen Versuchen gewann, hat weitreichende Bedeutung, denn nicht nur Weinsäure kann asymmetrisch aufgebaut sein.

Der menschliche Körper setzt sich zu einem guten Teil aus Aminosäuren zusammen, den Bausteinen der Eiweiße. Haut, Muskeln, Bindegewebe, Haare, Fingernägel – ohne Eiweiße würde der Mensch nicht existieren, ja, es gäbe überhaupt kein Leben auf der Erde. Auch die Aminosäuren können – ähnlich wie die Weinsäure – in linkshändige L-Aminosäuren und rechthändige D-Aminosäuren unterschieden werden. Lebewesen nutzen zum ganz überwiegenden Teil nur die L-Aminosäuren.

Würde man beispielsweise einem Menschen Eiweiß zu essen geben, das sich nur aus D-Aminosäuren aufbaut, müsste er verhungern, denn sein Körper wäre weder in der Lage, die Nahrung zu verdauen noch sie aufzunehmen. Der Tod käme mit vollem Magen, denn die Enzyme, die üblicherweise das Eiweiß zerkleinern, sind auf linkshändige Aminosäuren eingestellt. Sie greifen bestimmte Strukturen der Proteine an. Eiweiß und Enzym passen zusammen wie Schloss und Schlüssel. Nur dann kann der Abbau gelingen. So wie ein Händeschütteln nur dann richtig funktioniert, wenn zwei rechte oder zwei linke Hände nacheinander greifen.

Abb. 5 Oben greifen eine rechte und eine linke Hand nacheinander. Das Händeschütteln geht schief. Anders unten, wo zwei rechte Hände einander berühren. So müssen auch Enzyme zur Nahrung passen.

Weshalb die linkshändigen Aminosäuren eindeutig überwiegen ist Gegenstand heftiger wissenschaftlicher Diskussionen. Manche Forscher glauben, dass die Grundbausteine des Lebens durch Kometen oder Meteoriten auf die Erde kamen und die L-Aminosäuren die Reise durchs Weltall einfach besser überstanden als ihr rechtshändiges Pendant.

Andere vermuten, dass die Ursuppe, in der sich das Leben entwickelte, einfach ein wenig mehr L- als D-Aminosäuren enthielt und sich das Leben deshalb für die linkshändigen Verbindungen entschied.

Abb. 6 Lebewesen setzen sich überwiegend aus linkshändigen L-Aminosäuren zusammen. Entscheidend ist hier die NH2-Gruppe.

Die weitgehende Unverdaulichkeit von Eiweißen, die D-Aminosäuren enthalten, machen sich Bakterien zunutze, indem sie genau diese Aminosäuren in ihre Zellwände einbauen. Das bietet ihnen Schutz gegen Angriffe von außen. Normalerweise. Zum Glück entdeckte der britische Forscher Alexander Fleming zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Penicillin, das von einem Pilz produzierte Abwehrgift gegen Bakterien, das eben jenes Bollwerk der Einzeller sprengt.

Viele Substanzen in der Natur weisen eine Händigkeit auf. Greifen Lebewesen bevorzugt auf linkshändige Aminosäuren zurück, handhaben sie das bei Zuckern genau umgekehrt. Die allermeisten Zucker, die der Stoffwechsel von Lebewesen umsetzen kann, sind rechtshändig.

Die Bedeutung der auch als Chiralität bezeichneten Händigkeit von Molekülen ist groß. So duften manche links- oder rechtshändigen Stoffe verschieden, zum Beispiel das Limonen. Es ist sowohl für den Duft von Zitronen als auch Orangen verantwortlich. Obwohl es sich jeweils um die gleiche Verbindung handelt, riechen beide Zitrusfrüchte für uns unterschiedlich. Der Grund hierfür ist die Händigkeit des Limonens. Linkshändiges duftet nach Zitrone, rechtshändiges nach Orange. Auch andere Aromen lösen je nach ihrer Orientierung unterschiedliche Empfindungen aus. So riecht linkshändiges Carvon nach Minze, rechtshändiges dagegen nach Kümmel. Der in vielen ätherischen Ölen enthaltene Duftstoff Linalool verbreitet in seiner linkshändigen Form einen süßlichen Lavendelduft, als Rechtshänder riecht er holzig. Basilikumöl kann bis zu 60 Prozent linkshändiges Linalool enthalten, Korianderöl dagegen bis zu 80 Prozent der rechtshändigen Form.

Manche Pestizide, die auf Äcker ausgebracht werden, um Schädlinge zu töten, bestehen ebenfalls aus rechts- oder linkshändigen Verbindungen. Die Gifte werden meist als Gemisch verkauft, weil man nicht weiß, ob beide wirken oder nur eine Form den eigentlichen Zweck erfüllt. Klar ist jedenfalls, dass bei einigen dieser Agrochemikalien die eine Form wesentlich länger in der Umwelt verweilt als die andere, teilweise doppelt so lange. Ein Grund hierfür dürfte sicher darin liegen, dass Mikroorganismen mit ihren Enzymen auf entweder links- oder rechtshändige Formen dieser Gifte spezialisiert sind und nur diese rasch abbauen können.

Händigkeit von ansonsten gleich gebauten Substanzen duftet nicht nur unterschiedlich oder erweist sich als hartnäckiger gegen den Verfall, sie kann auch darüber entscheiden, ob eine Arznei heilt oder schadet. So erlangte der Wirkstoff Thalidomid unter dem Handelsnamen eines Medikaments traurige Berühmtheit. Ende der 1950er-Jahre schädigte das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan mehrere tausend Ungeborene, weil ihre Mütter auf die Aussage des Herstellers und der Ärzte vertrauten, das Mittel sei für Schwangere gut geeignet. Leider erwies sich das als Irrtum und viele missgebildete Kinder kamen zur Welt.

Thalidomid existiert in einer links- und einer rechtshändigen Form, die sich allerdings spontan und schnell ineinander umwandeln – auch im menschlichen Körper. Deshalb spielen Spekulationen darüber, ob nur eine der beiden Substanzen schädlich für Ungeborene ist, keine Rolle. Bei anderen Wirkstoffen ist es jedoch entscheidend, welche Form ein Patient bekommt. So wird L-Dopa oder Levodopa unter anderem zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit eingesetzt, während das rechtshändige D-Dopa versagen und die Zahl der weißen Blutkörperchen stark senken würde, was die Immunabwehr extrem schwächt.

Das Antibiotikum Ethambutol hilft bei der Bekämpfung der Tuberkulose, die sich in manchen Regionen der Erde erneut ausbreitet. Nur die linkshändige Version entfaltet eine heilende Wirkung. Das rechtshändige Molekül kann dagegen zur Erblindung führen.

Mehr als 30 Prozent aller handelsüblichen Pharmazeutika weisen eine Händigkeit auf. Oft werden sie als Gemisch von links- und rechtshändigen Substanzen verkauft, nur etwa 20 Prozent der Medikamente, die eine Händigkeit aufweisen, werden in reiner links- oder rechtshändigen Form verkauft.

Die Händigkeit von chemischen Verbindungen nährt auch die Hoffnung auf neue Waffen gegen Krankheitserreger. Britischen Biochemikern ist es gelungen, organische Moleküle so um Eisenatome anzuordnen, dass sie Spiralen bilden, die sich entweder links- oder rechtsherum winden. Die linkshändige Form dieser neuen Substanzen zeigt im Labor bereits gute Wirkung gegen multiresistente Bakterien und scheint gleichzeitig nur wenig giftig für höher entwickelte Lebewesen zu sein. Angesichts der zunehmenden Resistenzen von Krankheitserregern gegen herkömmliche Antibiotika, könnten diese Linkshänder vielleicht bald viele Menschenleben retten.

Die Bedeutung der unterschiedlichen Händigkeit von Substanzen ist so groß, dass im Jahr 2001 der Nobelpreis für Chemie an drei Wissenschaftler vergeben wurde. Mit ihrer Forschung haben sie entscheidend dazu beigetragen, dass man heute im Labor gezielt entweder links- oder rechtshändige Moleküle erzeugen kann. Die drei Laureaten William Knowles und Barry Sharpless aus den USA sowie Ryoji Noyori aus Japan dürften sich angesichts des Preisgeldes von etwa 1,2 Millionen Euro besonders darüber freuen, dass links und rechts in Chemie und Biologie eine so große Rolle spielen.

Wenn es schon für Moleküle wichtig ist, ob sie links- oder rechtshändig sind, dann überrascht es kaum, dass Pflanzen und Tiere mindestens ebenso davon abhängig sind.

Schneckenkönig und Adlerauge

Neben Elefanten, Tigern, Löwen und Co. bieten viele Zoos eine weitere Attraktion, vor der sich Kinder wie Erwachsene gerne die Nase an einer Scheibe platt drücken. Fasziniert schauen die Besucher in gläserne Brutkammern und sehen zu, wie Küken aus dem Ei schlüpfen. Dass aus dem, was wir uns gerne als Rühr- oder Spiegelei in die Pfannen hauen, auch so ein entzückendes Flaumknäuel werden kann, grenzt jedes Mal an ein Wunder, betrachtet man das kleine Tier.

In 21 Tagen entwickelt sich hinter der Kalkschale eines Eis der Embryo zum Küken. Während sich aus dem anfänglich unförmigen Zellklumpen zusehends das spätere Hühnchen formt, spielt sich etwa 48 Stunden vor dem Schlupf Entscheidendes ab. In dem Ei herrscht bereits gedrängte Enge. Für Bewegungsfreiheit oder gar bequemes Ausstrecken der Extremitäten oder des Kopfes ist auch nicht annähernd Platz. Das nun schon beinahe fertige Küken drückt mit seinem ganzen Körper gegen die Eierschale und muss unter anderem seinen Kopf zur Seite drehen. Das geschieht meist so, dass sein rechtes Auge zur Schale gerichtet ist, das linke sich dem Körper zuwendet. In das rechte Auge fällt also wesentlich mehr Licht. Diese Stimulation bewirkt, dass sich das rechte Auge des Kükens zum Führungsauge entwickelt. Die Hühnchen orientieren sich bei komplexen Aufgaben am liebsten mit diesem Auge.

Um das zu prüfen, brüteten australische Biologen einige Küken aus. Die eine Hälfte wurde bei Licht gewärmt, die andere im Dunkel. Den geschlüpften Hühnchen stellten sie folgende Aufgabe: In einem Käfig waren Futterkörner und kleine Kiesel am Boden verstreut. Die hungrigen Küken pickten eifrig danach. Diejenigen, deren Eier im Licht gelegen hatten, lernten schneller und besser Futter von Steinchen zu unterscheiden als jene, die permanent im Dunkel bebrütet worden waren.

Einem Teil der gefiederten Probanden wurde dann noch zusätzlich die Silhouette eines Raubvogels über ihren Köpfen präsentiert. Das löste bei den meisten ein angeborenes Flucht- und Warnverhalten aus. Diejenigen, deren Eier im Finstern gelegen hatten, waren noch schlechter in der Lage, Futter von Steinchen zu unterscheiden als vorher, als sie keine Greifvogelattrappe störte.

Die Küken, die schon vor dem Schlüpfen beleuchtet wurden, zeigten im Gegensatz zu ihren Brüdern und Schwestern aus der Dunkelheit eine weitere Besonderheit. Sie starrten bevorzugt mit dem linken Auge nach dem vermeintlichen Feind. Sie benutzten also ihr weniger geschultes Auge für die leichtere Aufgabe. Mit dem linken mussten sie lediglich darauf achten, wo sich zum Beispiel ein Habicht oder Adler befand, mit dem rechten konzentrierten sie sich darauf, zwischen Futter und Ungenießbarem zu wählen. Hühnchen haben also ein spezielles Adlerauge – und zwar das linke.

Die Augen der Küken verdeutlichen etwas Wesentliches im Zusammenhang von linker und rechter Körperhälfte. Die beiden Seiten ergänzen sich in Form einer Arbeitsteilung. Jede für sich übernimmt besondere Aufgaben. So schielt ein Auge eben nach Futter, während das andere nach Feinden Ausschau hält.

Das auch als Lateralisation beziehungsweise Seitigkeit bezeichnete Phänomen teilen viele Lebewesen miteinander. Schon bei sehr einfachen Tieren zeigt es sich. So tragen die allermeisten Gehäuseschnecken ein sogenannt rechtsdrehendes Haus. Die Spirale dreht sich von innen her im Uhrzeigersinn. Wenn das Haus einer Weinbergschnecke mit der Spirale nach oben liegt, dann zeigt die Öffnung des Gehäuses nach rechts unten (siehe Abbildung 7).

Abb. 7 Oben eine gewöhnliche Weinbergschnecke. Ihr Haus ist rechtsdrehend. Unten ein sogenannter Schneckenkönig mit linksdrehendem Gehäuse.

Selten kommen Abweichungen von diesem Normalfall vor. Bei Weinbergschnecken trägt etwa eine von 10000, in manchen Populationen sogar nur eine von einer Million Tieren ein linksdrehendes Gehäuse. Weil diese quasi linkshändigen Schnecken etwas so Besonderes sind und sie aus der Masse ihrer gewöhnlichen Artgenossen herausragen, nennt man sie auch Schneckenkönige.

Anders als die Masse zu sein, kann Vorteile haben. Das war schon in der Urzeit so, wie amerikanische Paläontologen in mühevoller Detektivarbeit herausfanden. Sie begutachteten mehr als 1700 Gehäuse von Meeresschnecken, die im Pliozän vor 3,5 bis vier Millionen Jahren lebten – und deren Verwandten noch heute die Meere besiedeln. Die Forscher suchten nach Spuren eines Kampfes. Der Hauptfeind der Schnecken war damals wie heute eine Krabbe. Um ihre Beute zu töten, positioniert das Krustentier die Schnecke mit nach oben gerichtetem Hauseingang vor sich. Bei gewöhnlichen Schnecken mit rechtsdrehendem Gehäuse öffnet sich der Eingang so, dass die Krabbe bequem mit ihrer rechten Schere in das Gehäuse eindringen kann. Hierzu muss man wissen, dass Krabben meist ihre rechte Schere bevorzugen, sie also Rechtshänder sind.

Ein linksdrehendes Schneckenhaus erweist sich für diese rechtshändigen Krabben dagegen als sperrig, weil es sich seitenverkehrt präsentiert. Der Rand des Eingangs, an dem die Schere sonst so geschmeidig eindringt, liegt bei ihnen auf der gegenüberliegenden Seite. Die Forscher fanden denn auch anteilig viel weniger beschädigte linksdrehende Schneckenhäuser als rechtsdrehende. Offenbar erwiesen sich die außergewöhnlichen Linkshänder unter den Schnecken als so unhandlich, dass ihnen die Krabben viel seltener zu Leibe rückten. Diesen Vorteil behielten die Schnecken aber nur so lange, wie sie selten waren. Dass sie ihn nicht verloren, dafür sorgte eben diese Besonderheit selbst, denn wenn sich Schnecken paaren, pressen sie ihre Leiber aneinander. Das funktioniert ähnlich wie das Händeschütteln nur dann gut, wenn sich zwei Individuen mit einem rechtsdrehenden oder mit einem linksdrehenden Gehäuse miteinander vereinigen. Treffen Links- und Rechtshänder aufeinander, klappt die Zeugung nicht so gut, weil die Partner einfach nicht zusammenpassen. Da Schnecken mit linksdrehendem Gehäuse selten sind, stoßen sie auch nicht sehr häufig auf gleichgestaltete Paarungspartner. Sie haben weniger Nachkommen, was letztlich dafür sorgt, dass sie rar bleiben und sie somit ihren Vorteil gegenüber ihren rechtshändigen Fressfeinden behalten.

Japanische Biologen untersuchten nun Landschnecken auf irgendeinen Vorteil der seltenen Linkshändigkeit. In vielen Regionen der Erde fressen kleine Schlangen Schnecken. Manche haben sich so sehr an die üblichen, rechtsdrehenden Gehäuse ihrer Beute angepasst, das sie auf der rechten Seite des Kiefers mehr und stärkere Zähne haben als links, was wiederum den linkshändigen Schnecken einen Vorteil verschaffen sollte. Und tatsächlich leben in Populationen, die von Schlangen bedroht sind, etwa zwölf Prozent linksdrehende Schnecken. In Gegenden, in denen keine Reptilien auf Schneckenjagd gehen, sind es dagegen nur fünf Prozent. Für die Landschnecken gilt dabei dasselbe wie für ihre Verwandten im Meer: Solange ihre außergewöhnliche Eigenschaft auch gleichzeitig dafür sorgt, dass sie selten bleiben, dürfen sie ihren Vorteil gegenüber ihren Fressfeinden genießen.

Erstaunlicherweise entscheiden schon bei den Schnecken eben jene Gene darüber, ob sie ein rechts- oder linksdrehendes Gehäuse tragen, die auch bei den Säugetieren dafür verantwortlich sind, dass die Organe ihren angestammten Platz einnehmen – also zum Beispiel die Leber rechts und das Herz eher links. Funktionieren diese Erbanlagen nicht, sterben sowohl die Schnecken als auch die Embryonen der Säugetiere.

Über Leben oder Tod entscheiden links und rechts aber nicht nur hinsichtlich der Körperform und der Lage von Organen. Im afrikanischen Tanganjika-See leben Zahnkärpflinge, die sich von den Schuppen anderer Fische ernähren. Um an ihre Beute zu kommen, pirschen sich die kaum 15 Zentimeter kleinen Räuber an ihre Opfer heran, stoßen blitzschnell zu, reißen eine Schuppe aus der Haut ihrer Beute und schwimmen davon. Jeder der Kärpflinge greift dabei bevorzugt von links oder rechts an. Das Maul der Schuppenräuber passt sich dieser Seite an. Bei denen, die meist von rechts attackieren, biegt es sich nach links, und umgekehrt. Noch haben Biologen nicht geklärt, ob sich diese anatomische Besonderheit rein aufgrund der Erbanlagen so ausbildet oder sich durch das Jagdverhalten selbst eine bestimmte Maulform ausprägt.

Wenn die Fische aus den Eiern schlüpfen, ist bei manchen das Maul schon leicht in eine Richtung gekrümmt, entweder nach links oder rechts. Es gibt aber auch Fische, bei denen das Maul vollkommen symmetrisch ist. Erst wenn die Tiere erwachsen werden, zeigen viele eine deutliche Tendenz zum Links- oder Rechtsmäuler. Diese Spezialisierung verschafft ihnen einen größeren Jagderfolg als jenen, die sich nicht entscheiden können und mal von links, ein andermal von rechts angreifen.

Neben erfolgreicher Jagd ermöglicht Lateralisation aber auch eventuell erfolgreiche Flucht. Das beweist eine andere Fischart, die zu den Brandungsbarschen im nordöstlichen Pazifik gehört. Individuen, die ähnlich wie Küken eine stärkere Lateralisation zeigen, zum Beispiel Feinde bevorzugt mit dem einen Auge, Artgenossen mit dem anderen beobachten, reagieren schneller, wenn sie flüchten müssen. Wird es brenzlig, kann einem die Seitigkeit, egal ob links oder rechts, also sogar das Leben retten. Wie das eventuell mit dem Elfmeterschießen beim Fußball zusammenhängt, erfahren Sie hier.

Pflanzen wenden sich nicht zur Flucht und im Fußballstadion dienen sie lediglich in Form des Rasens als angenehm grüne Spielfläche. Aber auch im Reich der Gewächse findet sich die Bevorzugung einer Seite. Das fiel bereits Immanuel Kant auf, als er in seinem Werk »Vom ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raum« schrieb: »Aller Hopfen windet sich von seiner Linken gegen die Rechte um seine Stange; die Bohnen aber nehmen eine entgegengesetzte Wendung.« Schon der Königsberger Philosoph erkannte, dass Pflanzen Links- und Rechtsvorlieben haben. So rankt sich die Passionsblume immer nur in eine Richtung: rechtsherum. Der Blauregen, eine beliebte Fassadenpflanze, dreht sich ebenfalls immer rechtsherum – mit einer Ausnahme: Eine Unterart des Blauregens hat sich für die Linksspirale entschieden. Die Spiralrichtung einer Pflanze ist in ihren Genen festgelegt.

Botaniker definieren links und rechts, indem sie von oben auf die Pflanze schauen und verfolgen, in welche Richtung sie von unten nach oben gewachsen ist. Das entspricht genau der umgekehrten Herangehensweise von Architekten. Sie definieren rechtsherum nicht mit einem Blick aus der Vogelperspektive, sondern von unten nach oben, so wie man beispielsweise eine Treppe heraufgeht.

Die Mehrzahl der Schlingpflanzen sind übrigens Linkswinder mit teilweise klingenden Namen: Baumwürger, Pfeifenwinde, Schwarzäugige Susanne, Sternwinde oder Stangenbohnen zählen dazu. Die Rechtswinder sind weniger zahlreich. Der bekannteste ist der schon von Kant erwähnte Hopfen. Hinzu kommen Gewächse wie die Yamswurzel oder das Geißblatt.

Für keine der beiden Seiten konnte sich dagegen der Schlingknöterich Fallopia entscheiden. Er windet sich mal links- und mal rechtsherum.

Im Tierreich ist die Lateralisation noch wesentlich verbreiteter als unter den Pflanzen. So beobachteten Heidelberger Biologen Halsbandsittiche beim Fressen. Die eigentlich aus Asien und Afrika stammenden Vögel sind als eingewanderte Art mittlerweile in einigen europäischen Städten heimisch geworden. In Deutschland bevorzugen sie die Siedlungen entlang des Rheingrabens und auch das Stadtgebiet von Heidelberg. Hier legten sich der Zoologieprofessor Christoph Randler und seine Kollegen auf die Lauer und sahen den Vögeln dabei zu, wie sie entweder die Früchte von Trompetenbäumen oder als Köder ausgelegte kleine Apfelstückchen fraßen. Dazu hielten die Sittiche das Futter mit einem Fuß fest, um dann mit ihrem Schnabel hineinbeißen zu können. Von 184 Vögeln, die Trompetenbaumfrüchte verputzten, griffen 102 mit dem linken und 82 mit dem rechten Fuß zu. Bei den Sittichen, die sich an den Apfelstücken gütlich taten, langten 24 mit links zu, elf mit rechts. Unter den Halsbandsittichen scheint es also eine deutliche Tendenz zur Linkshändigkeit zu geben.

In Australien stellten Forscher Papageien vor ein komplexes Problem. An einer Querstange hing an einer 50 Zentimeter langen Schnur ein verlockendes Stück Futter. Die Vögel konnten nur an die Leckerei herankommen, wenn sie mit ihrem Schnabel ein Stück der Schnur zu sich heraufzogen, sie dann mit einem Fuß festhielten, um erneut an der Schnur zu ziehen. Auf diese Weise hievten sie das Futter Stück für Stück hoch. Wenn sie dieses Vorgehen oft genug wiederholten, war das Futter schließlich so nahe, dass sie es fressen konnten.

Auch in diesem Experiment zeigte sich, dass es von Vorteil ist, wenn man eine Extremität bevorzugt. Je mehr die Vögel dazu tendierten, zur Lösung schwieriger Aufgaben immer einen bestimmten Fuß zu benutzen, desto leichter meisterten sie auch die in dem Versuchsaufbau gestellte Hürde. Individuen von acht Arten mit unterschiedlichem Hang zur Linkshändigkeit wurden in dem Experiment untersucht. Dabei zeigte sich, dass besonders jene Tiere die Aufgabe erfolgreich lösten, die auch sonst dazu neigten, immer entweder den rechten oder den linken Fuß zum Greifen zu benutzen. Am besten schnitten die Helmkakadus ab, die ausschließlich Linkshänder sind.

Je stärker die Lateralisation beim Einsatz der Füße, desto erfolgreicher lösen Papageien eine komplexe Aufgabe.

 

Dass Nymphen- und Wellensittiche komplett scheiterten, hängt nicht mit ihrer Händigkeit und schon gar nicht mit mangelnder Intelligenz zusammen. Sie setzen üblicherweise ihre Füße nicht zur Nahrungssuche beziehungsweise beim Fressen ein. Und so lag ihnen auch in diesem Fall nichts ferner, als mit den Füßen nach der Schnur zu greifen, um an das Futter zu gelangen.

Während Papageien also offensichtlich eine Tendenz zur Linkshändigkeit zeigen, verhält es sich bei Walrossen umgekehrt. Wenn sie abtauchen, um nach Muscheln zu suchen – eine ihrer Hauptnahrung –, dann benutzen sie vier verschiedene Techniken, um an die im Sand eingegrabene Beute zu gelangen. Meist schaufeln sie den Sand mit der linken oder der rechten Vorderflosse beiseite. Manchmal spülen sie die Muscheln auch mit einem Wasserstrahl, den sie aus dem Maul herauspumpen, aus dem Versteck. Oder sie graben den Meeresboden mit ihrer Schnauze um wie nach Trüffel wühlende Wildschweine. In einem Prozent der Fälle nutzen sie den Wasserstrahl, zu 29 Prozent greifen sie auf die Wildschweinmethode zurück. In vier Prozent der Fälle rücken sie den Muscheln mit der linken Vorderflosse zu Leibe, aber zu 66 Prozent kommt die Rechte zum Einsatz. Betrachtet man nur die Technik des Ausgrabens mit den Flossen, wird die Händigkeit der Walrosse noch deutlicher: Zu 89 Prozent benutzen sie die Rechte.

Pferde wiederum sind hinsichtlich ihrer Händigkeit reichlich unentschlossen. Etwa 47 Prozent bevorzugen den linken Vorderhuf, 43 Prozent den rechten und zehn Prozent ist es egal, mit welchem Vorderlauf sie ein Rennen beginnen. Hengste tendieren dabei mehr zur Linkshändigkeit als Stuten. Wer also Pferdewetten auf der Rennbahn platzieren will, sollte sich vorher anschauen, welche Händigkeit sein Favorit hat. Da die allermeisten Rennen linksherum geführt werden, besitzen rechtshändige Pferde einen kleinen Vorteil. Sie stoßen sich mit dem rechten Vorderlauf kräftiger ab, was einen leichten Linksdrall bewirkt. Das hat zur Folge, dass sie die Linkskurven des Kurses etwas leichter als ihre linkshändige Konkurrenz meistern können. Einen ersten Hinweis auf die Händigkeit eines Pferdes liefert übrigens die Stirnlocke. Bei linkshändigen Tieren drehen sich die Haare in 75 Prozent der Fälle entgegen dem Uhrzeigersinn beziehungsweise nach links. Bei Rechtshändern zwirbelt sich die Locke immerhin noch zu 67 Prozent ebenfalls nach rechts.

Wie bei Pferden unterscheiden sich auch bei Hauskatzen die Geschlechter in der Bevorzugung der linken oder rechten Pfote. In einem Test, während dem 21 weibliche und 21 männliche Katzen Futter aus einem Glas angeln, einen Gegenstand über ihrem Kopf oder vor ihnen auf dem Boden berühren mussten, tendierten die Kater eindeutig zur Linkshändigkeit und die Weibchen zum Gegenteil. Jeweils 20 Männchen setzten immer nur die linke Pfote ein, so wie auch 20 Weibchen lediglich die Rechte zur Bewältigung der jeweiligen Aufgabe bevorzugten.

Die nicht immer besten Freunde der Katzen zeigen dagegen eine ganz besondere Form der Lateralisation. Wenn Hunde mit dem Schwanz wedeln, nehmen wir das als Ausdruck ihrer Erregung wahr. Zumeist vermuten wir, dass sie sich freuen. Aus dem Wedeln lässt sich aber viel mehr ablesen. Die Rute kann nämlich stärker nach links oder nach rechts schlagen, je nach der Situation, in der sich das Tier befindet. Der italienische Biologe Giorgio Vallortigara präsentierte Hunden entweder ihr eigenes Herrchen, eine fremde Person, einen fremden, dominanten Artgenossen oder eine Katze. Sahen die Hunde ihr Herrchen, wedelten sie ausgiebig mit eindeutiger Schlagseite nach rechts. Bei dem Fremden zeigten sie ein ähnliches, leicht abgeschwächtes Verhalten. Die Katze löste nur wenig Wedeln aus, mit ebenfalls leichter Tendenz nach rechts. Der dominante Hund ließ sein Gegenüber zwar auch wedeln, diesmal schlug der Schwanz aber deutlich weiter nach links aus. Vallortigara erzielte seine Ergebnisse mit Hilfe von Videoaufnahmen, die er, verlangsamt abgespielt, genau analysieren konnte. Denn für das menschliche Auge schlagen die allermeisten Hunderuten zu schnell, als dass wir mit bloßem Auge mehr als nur die hektische Bewegung feststellen können. Schade. Wenn sie nicht so schnell wedeln würden, könnten uns Hunde mit ihrem Schwanz mehr mitteilen als lediglich: Ich bin aufgeregt.

Eine dem Menschen sehr ähnliche Lateralisation zeigen Tiere, von denen man es zunächst nicht vermuten würde. Neukaledonische Krähen, auch Geradschnabelkrähe genannt, leben auf einer Inselgruppe im südlichen Pazifik. Die bis zu 40 Zentimeter großen Vögel sind für ihre Intelligenz und Findigkeit bekannt.

Der neuseeländische Biologe Gavin Hunt fand einen beeindruckenden Beleg dafür, als er den Werkzeuggebrauch der gefiederten Intelligenzbestien untersuchte. Die Vögel nutzen die Blätter von Schraubenpalmen, um besser an fette Maden heranzukommen, die sich in den Spalten von Ästen verbergen.

Der Rand der Palmblätter ist mit scharfen Widerhaken versehen. Die Krähen basteln sich daraus eine Art Angel, indem sie einen Streifen des Blattrandes abziehen. Bei der Untersuchung der Blätter entdeckte Hunt, dass überwiegend deren linke Seite bearbeitet wurde. Dabei mussten die Tiere das Blatt meist rechts am Kopf gehalten und von rechts nach links gearbeitet haben. Diese Vorliebe machte sich sogar noch bei solchen Blättern bemerkbar, die auf Grund ihrer Drehrichtung eigentlich leichter von der anderen Seite zu bearbeiten gewesen wären. Diese Ergebnisse deuten, so folgert der Forscher, auf eine Lateralisierung hin.

Bei dieser Vielfalt an Seitenbevorzugung in der Tierwelt wundert es nicht, dass auch die nächsten Verwandten des Menschen Händigkeit zeigen. Auch Menschenaffen sind wahlweise Links- oder Rechtshänder. Die Faustformel gilt: Je schwieriger eine Tätigkeit ist, desto stärker wird eine Seite bevorzugt – ganz einfach deshalb, weil es effektiver ist, wenn man nur eine Hand auf die Ausführung kniffliger Bewegungen trainiert anstatt zwei. Die Natur spart damit also Zeit und Aufwand. Gorillas erweisen sich zum Beispiel eher als beidhändig. Sie fressen überwiegend Grünzeug, das beinahe überall in ihrem Lebensraum sprießt. Sie müssen einfach nur danach grabschen.

Auch wenn Schimpansen Futter auflesen, das rund um sie herum auf dem Boden verteilt ist, tun sie das mit beiden Händen. Entscheidend ist dann nur, mit welcher Hand sie besser danach greifen können. Wenn sie sich dagegen über einen Termitenbau hermachen, erbeuten sie die Insekten, indem sie Zweige bearbeiten und die dünnen Halme in die Gänge der Termitenbaue stecken. Die Krabbler wähnen einen Feind, verbeißen sich in den mutmaßlichen Eindringling und lassen sich bequem ins Maul befördern. Quasi als Ameise am Stiel. Einige Studien liefern Hinweise, dass Schimpansen für diese Jagdmethode eher die linke Hand benutzen.

In Westafrika haben es die Affen außerdem gelernt, Nüsse zu knacken. Dafür verwenden sie entweder Steine oder große Holzstücke. Der Vorgang ist recht kompliziert. Mit einer Hand legen sie die Nuss auf eine geeignete Unterlage, zum Beispiel einen Stein, der als Amboss dient. Mit der anderen Hand, in der sie einen Knüppel oder Stein halten, schlagen sie wie mit einem Hammer zu. Es dauert Jahre bis Jungtiere diese Technik erlernen und sie schließlich an das nahrhafte Innere der hartschaligen Früchte gelangen. Schimpansen, die älter als zwölf Jahre alt sind, benutzen zum Zuschlagen immer nur eine bestimmte Hand mit einer leichten Tendenz zur Rechtshändigkeit.

Im Gegensatz zu ihren Verwandten in der freien Wildbahn zeigen Menschenaffen in Gefangenschaft meist einen ausgeprägten Hang zur Rechtshändigkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein rechtshändiger Pfleger betreut ist wesentlich größer, da Rechtshänder in menschlichen Populationen viel häufiger sind. Allgemein nimmt man an, dass sich die Affen an ihre Betreuer anpassen.

Alle vier großen Menschenaffenarten, also Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans zeigen Händigkeit. Insgesamt tendieren sie eher zur Rechtshändigkeit. Allerdings ist die Häufigkeit von Rechts- und Linkshändern anders verteilt als beim Menschen. Statistisch betrachtet beträgt ihr Verhältnis zwei zu eins. Am deutlichsten neigen Schimpansen und Bonobos zur Rechtshändigkeit. Bei Gorillas scheinen nahezu gleich viele Linkshänder aufzutreten. Die Zahlen zu Orang-Utans könnten auf ein Überwiegen der Linkshänder deuten. Doch gerade bei dieser Art sind nur sehr wenige Daten zur Händigkeit vorhanden.

Am besten erforscht sind die Schimpansen. Wie der Mensch neigen sie eher zur Rechtshändigkeit. Besonders wenn sie mit Gesten kommunizieren, nutzen sie ihre Rechte. Eine Erkenntnis, die ein Schlaglicht auf die Evolution der menschlichen Sprache wirft. Um zu verstehen weshalb, muss man sich in den Maschinenraum der Händigkeit begeben – das Gehirn. Denn vielen der bisher genannten Beispiele liegt ein Prinzip zugrunde.

Das linke und das rechte Hirn

Ein Notfall: Auf der japanischen Insel Hokkaido prahlte 1949 ein betrunkener amerikanischer Besatzungssoldat damit, einem einheimischen Küchenjungen, der in der Kantine der örtlichen Garnison arbeitete, die Mütze vom Kopf schießen zu können. Der Soldat zielte aber nicht gut genug. Er schoss nicht nur die Mütze vom Kopf seines Opfers. Die Kugel zerstörte auch noch die Schädeldecke und einiges an Gehirngewebe.

Der Schwerverletzte wurde zu einem jungen japanischen Arzt gebracht. Juhn Wada wusste, dass eine sofortige Operation notwendig war, aber sein Patient wand sich in epileptischen Krämpfen. So konnte die Operation nicht stattfinden.